Dark Elite – Redemption - Julia Hausburg - E-Book

Dark Elite – Redemption E-Book

Julia Hausburg

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Beschreibung

Was ist, wenn deine große Liebe ein Geheimnis hat, das alles zerstören könnte?

Ein anonym gepostetes Video stellt Simonas Leben auf den Kopf. Es zeigt sie, die Nachfahrin einer Schweizer Adelsfamilie, im Streit mit der kurz darauf tödlich verunglückten Studentin Sara. Als Simona bei der Vorbereitung einer Feier zur Sommersonnenwende auf Saras Jugendfreund Emil trifft, macht auch er ihr zunächst schwere Vorwürfe. Während der Zusammenarbeit sprühen zwischen ihr und dem gut aussehenden Mann aber zunehmend Funken. Doch Emil verheimlicht ihr etwas, das nicht nur ihr neu gewonnenes Vertrauen, sondern auch die zart aufkeimenden Gefühle für ihn zu zerstören droht. Und dann ist da noch die einflussreiche Studentenverbindung Fortuna, die Simonas Zukunft für immer verändern könnte.

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Seitenzahl: 502

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Das Buch

Ein anonym gepostetes Video stellt Simonas Leben auf den Kopf. Es zeigt sie, die Nachfahrin einer Schweizer Adelsfamilie, im Streit mit der kurz darauf tödlich verunglückten Studentin Sara. Als Simona bei der Vorbereitung einer Feier zur Sommersonnenwende auf Saras Jugendfreund Emil trifft, macht auch er ihr schwere Vorwürfe. Während der Zusammenarbeit sprühen zwischen ihr und dem gut aussehenden Mann aber zunehmend Funken. Doch Emil verheimlicht ihr etwas, das nicht nur ihr neu gewonnenes Vertrauen, sondern auch die zart aufkeimenden Gefühle für ihn zu zerstören droht. Und dann ist da noch die einflussreiche Studentenverbindung Fortuna, die Simonas Zukunft für immer verändern könnte.

Die Autorin

Julia Hausburg wurde 1998 geboren und studierte Bildungswissenschaften, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Katzen in Südbayern, liebt warmen Sommerregen und Schreibnachmittage im Café. Wenn sie nicht gerade an ihrem nächsten Buch arbeitet, findet man sie mit einem spannenden Liebesroman in ihrer eigenen kleinen Bibliothek.

Lieferbare Titel

Dark Elite – Revenge

Dark Elite – Regrets

Julia Hausburg

Roman

Band 3 der Dark-Elite-Reihe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet sich hier eine Triggerwarnung. Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch. Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis.

Julia Hausburg und der Heyne Verlag

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe 06/2024

Copyright © 2024 dieser Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Nina Bellem

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN 978-3-641-30823-0V001

www.heyne.de

Für alle, die etwas verändern wollen:

Schritt für Schritt

Kapitel 1

Emil

Die Welt geht unter.

Zumindest scheint es das Gewitter draußen vor dem Fenster der Berufsschule genau darauf anzulegen. Seit Stunden schüttet es wie aus Eimern, der Himmel ist tiefschwarz, wird nur kurzzeitig von Blitzen erhellt.

Ich löse meinen Blick von der Fensterscheibe, versuche mich wieder auf die Prüfungssimulation zu konzentrieren. In einem halben Jahr muss ich die Schaltanalyse fehlerfrei durchführen können – ein wichtiger Teil, um meine Ausbildung als Elektriker abzuschließen. Die Aufgabe auf dem Prüfungsbogen verschwimmt vor meinen Augen, meine innere Unruhe wächst. Ich balle meine Faust um den Kugelschreiber, versuche tief ein und aus zu atmen.

Was ist heute nur los mit mir? Schon den gesamten Tag über bin ich angespannt und nervös. Dabei gibt es dafür überhaupt keinen Grund.

Es ist sicher nur die Prüfungssituation, rede ich mir ein. Aber das Gefühl bleibt und mit ihm das Bedürfnis etwas zu unternehmen. Irgendetwas. Aufzuspringen und wegzurennen, egal wohin.

Die Regentropfen trommeln gegen die Scheibe, ein Donnerschlag lässt mich zusammenzucken. Der Kugelschreiber fällt mir aus der Hand. Fuck. Es ist alles gut, ermahne ich mich, alles …

Es klopft an der Tür des Klassenzimmers. Kurz darauf wird sie aufgerissen und die Direktorin der Berufsschule tritt ein.

»Es tut mir leid, euch stören zu müssen«, sagt sie und sieht sich suchend um.

Hinter ihr erkenne ich eine zweite Frau im Türrahmen. Mein Herz macht einen Satz, und noch bevor die Direktorin meinen Namen ausspricht, weiß ich, sie ist auf der Suche nach mir.

»Emil Bucher?«

»Hier«, erwidere ich, während mein Gehirn zu rasen scheint. Keine Antworten findet auf die unzähligen Fragen, die gleichzeitig auf mich einprasseln.

Warum ist meine Mutter hier? Warum unterbricht die Direktorin die Probeprüfung? Das Kneifen in meiner Magengegend wird beinahe unerträglich.

»Bitte pack deine Sachen zusammen und folge mir.«

Verdammt. Habe ich Scheiße gebaut? Ich wüsste nicht, wie. Andererseits hatte ich auf der Party zum Start des neuen Lehrjahrs letzte Woche einen krassen Filmriss. Da könnte alles passiert sein. Fieberhaft versuche ich mich zu erinnern. Vielleicht habe ich jemandem eine reingehauen? Aus Versehen den Toilettendeckel zertrümmert, weil ich über die Kabinenwand hinweg zu meinem würgenden Kumpel gespäht habe? Egal was, es ist diesem verdammten Pfefferminzschnaps zu verdanken, den …

»Emil?«, fragt die Direktorin streng, und ich schrecke zusammen.

Na super, ich muss nur an dieses Teufelszeug denken, und schon ist mir kotzübel. Hastig versuche ich das Gefühl zu vertreiben.

»Was ist mit der Prüfung?«, frage ich.

»Ich bin mir sicher, du wirst sie nachholen können.« Sie tauscht einen schnellen Blick mit meinem Lehrer, der nickt.

Wenn ich tatsächlich etwas angestellt habe, das so wichtig ist, dass ich deswegen von der Prüfung befreit werde … Fuck, dann bin ich echt am Arsch.

»Okay«, sage ich nervös, erhebe mich vom Stuhl und sammle eilig meine Schreibutensilien ein.

Draußen kracht ein weiterer Donnerschlag, und ich zucke zusammen. Wie peinlich. Meine Mitschüler starren mich an. Ich weiche ihren Blicken aus, höre aber ihr Getuschel.

»Ruhe!«, ruft der Lehrer. »Ihr befindet euch immer noch in einer Prüfungssituation.«

Ich laufe schneller, bin froh, dem Walk of Shame entkommen zu sein, nachdem die Direktorin die Tür hinter uns schließt.

Zumindest bis ich meiner Mutter gegenüberstehe. In der verdammten Berufsschule. Was soll das? Warum ist sie hier? Ich bin fast dreiundzwanzig Jahre alt, kann meine Probleme selbst klären.

Die Übelkeit kehrt auf einen Schlag zurück. Es ist nur die Erinnerung an den Schnaps, bete ich mir in Gedanken vor. Wieder und wieder, weil ich die Gewissheit, die sich darunter verbirgt, nicht hören möchte. Nicht hören kann.

Ich will nicht sehen, dass die Augen meiner Mutter in Tränen schwimmen. Nicht darüber nachdenken, weshalb ihre Wangen gerötet sind. Nicht verstehen, warum ihre Hände zittern. Aber vor allem will ich nicht akzeptieren, dass es nur eine mögliche Erklärung für ihre Anwesenheit gibt.

Es ist tatsächlich etwas Schreckliches passiert.

Meine Knie werden weich. Ich stolpere auf sie zu, greife nach ihren Händen. »Ist was mit Papa?«

Sie schüttelt den Kopf, ich atme auf, Erleichterung durchflutet mich. Aber dann öffnet sie die Lippen, holt tief Luft und zerbricht meine Welt in Scherben.

»Es ist Sara, Emil. Sie hatte einen schrecklichen Autounfall. Es tut mir so leid, Schatz, aber sie hat es nicht geschafft.«

Die Sicht verschwimmt vor meinen Augen. »Nicht … nicht geschafft?«

Meine Mutter schluckt. »Sie ist noch an der Unfallstelle verstorben.«

Meine Knie geben nach. Ich sacke auf dem Boden zusammen, nehme es nicht einmal wirklich wahr. Ich falle und falle und höre nicht mehr damit auf. Meine Brust zerreißt, ein Schrei entringt sich meiner Kehle.

Sara ist tot.

Dabei habe ich vor der Prüfung noch mit ihr per Video telefoniert. Sie hat mir viel Glück gewünscht, ich habe sie lachen gehört und es bis tief in meinem Herzen gespürt. Habe ihre Augen blitzen sehen vor Vorfreude, weil sie bald nach Hause kommen würde. Weil wir uns endlich wiedersehen würden. Ich habe es kaum erwarten können, meine Arme um sie zu legen, sie fest an mich zu ziehen und die Nase in ihrem schwarzen Haar zu vergraben.

Ich falle immer noch, stehe in Flammen. Es hört nicht auf zu brennen. Ich höre nicht auf zu brennen. Nie wieder werde ich Sara umarmen können. Ihr nie sagen können, was ich für sie empfinde.

Nein, nein, nein. Es kann nicht wahr sein. Das hier ist nur ein Albtraum. Jeden Augenblick werde ich aufwachen. Die Augen aufreißen, mit heftig pochendem Herzen im Bett hochfahren und erleichtert erkennen, dass Sara quicklebendig auf Corvina Castle studiert.

Sie kann nicht tot sein. Vor wenigen Stunden war noch alles gut. Sie war wie immer. Sie …

Auf einmal kann ich nicht mehr aufhören, ihr Gesicht vor meinem inneren Auge zu sehen. Die tiefen Schatten darunter, die Wangen, die noch blasser waren als sonst, die Hektik hinter ihrem Lachen. Das, was danach folgte.

Wie in Dauerschleife spielt sich das Videotelefonat in meinem Kopf ab, während ich weiter und weiter falle. Ich warte darauf, dass ich auf dem Boden aufschlage und in tausend Teile zerbreche. Aber nichts passiert. Stattdessen erinnere ich mich an große Rehaugen und ein knalliges Türkis; beides hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt.

Ein weiterer Donnerschlag kracht in der Ferne, und ich weiß, die Welt geht tatsächlich unter.

Und ich mit ihr. Aber nicht allein, das schwöre ich. Nein, ich werde sie mit mir in den Abgrund reißen. Weil sie mir die einzige Frau genommen hat, die ich je geliebt habe.

Kapitel 2

Sieben Monate später

Simona

Verdammt, ich bin viel zu spät dran!

Ich hetze über den Campus, drängle mich auf dem Weg zum Hauptgebäude an anderen Studierenden vorbei. Die Professorin, mit der ich einen Termin habe, wartet sicher schon. Hoffentlich wirkt sich das nicht auf die enorme Chance aus, die wir besprechen wollen. Allein beim Gedanken daran schlägt mein Herz schneller, obwohl es schon wie wild Blut durch meine Venen pumpt, weil ich fast jogge. Ausgerechnet ich. Bei Bauch-Beine-Po-Workouts bin ich dabei, aber Joggen ist mir zuwider. Ich hechle wie ein Hund, spüre, wie mir Schweiß den Nacken herunterläuft. Doch ich will nicht riskieren, den Termin zu verpatzen.

In Gedanken schelte ich mich selbst dafür, bei meinem Me-Time-Programm die Zeit vergessen zu haben. Gerade heute wäre es wichtig gewesen, pünktlich zu sein. Immerhin habe ich jetzt eine Gesichtshaut wie ein Babypopo. Großartig.

Nach den turbulenten letzten Wochen hatte ich die Zeit für mich bitter nötig. Ich bin froh, dass jetzt wieder Ruhe eingekehrt ist und sich die Sache um Sara und Fabian geklärt hat.

Mein Handy vibriert in meiner Tasche. Ich ignoriere es. Dafür habe ich jetzt keine Zeit.

Ich bin derart in Eile, dass es mir fast nicht auffällt. Ein Student dreht sich nach mir um, wirft mir einen merkwürdigen Blick zu. Ich passiere eine Gruppe Frauen, die mich ebenfalls mustern, bevor sie tuschelnd ihre Köpfe zusammenstecken und sich über ein Handy beugen. Das bin ich gewohnt, mit meinen türkisblauen Haaren falle ich auf. Aber es hört nicht auf. Immer mehr Studierende drehen sich nach mir um, immer mehr skeptische Blicke, hochgezogene Brauen und Tuscheleien umgeben mich.

Was ist hier los? Habe ich etwa noch Reste der Algenmaske im Gesicht?

Zum Glück erreiche ich im nächsten Moment das Hauptgebäude, eile die schmalen Stufen hinauf und an den beiden Wolfstatuen vorbei, die den Eingang flankieren. Kann ich es mir leisten, einen Abstecher zur Toilette zu machen, um mein Gesicht zu prüfen?

Mein Handy vibriert erneut. Ich ziehe es heraus, ein Anruf meiner Mitbewohnerin Elora. Nachdem mir die Uhrzeit ins Auge springt, drücke ich sie fluchend weg und stelle das Handy stumm. Definitiv kein Abstecher mehr.

Ich haste weiter, ignoriere die Blicke, die mich zu verfolgen scheinen. Vor dem Büro der Professorin bleibe ich stehen. Ich streiche mein weißes Kostüm glatt, wische mir über die Wangen und ordne meine Haare. Dann klopfe ich an.

»Entschuldigen Sie meine Verspätung, Professorin Weber«, begrüße ich die Frau mittleren Alters, sobald ich eintrete. Ihre braunen Haare sind streng zurückgekämmt, die Brille sitzt zu tief auf der Nase.

»Kein Problem, nehmen Sie bitte Platz.« Sie deutet auf den Sessel vor ihrem Schreibtisch. Ein großes, kirschbraunes Ungetüm, auf dem sich neben einem iMac unzählige Bücher stapeln.

Ich komme ihrer Aufforderung nach und schlage die Beine übereinander. Mein Puls beruhigt sich, langsam setzt die Freude über diesen Termin ein.

»Wie Sie meiner E-Mail bereits entnommen haben, ist Ihre Bewerbung beim SIP, dem Schweizer Innenarchitektur Preis, auf großen Anklang gestoßen. Ich darf Ihnen nun offiziell verkünden, dass Sie in der Kategorie ›innovative Entwürfe‹ nominiert wurden.«

Mein Herz macht einen Satz, ich hätte beinahe einen Freudenschrei ausgestoßen. Ich reiße mich zusammen, gebe mich professionell. Aber das strahlende Lächeln auf meinen Lippen kann ich nicht unterdrücken. »Ich freue mich riesig«, sage ich. Schon immer haben mich die Eigenarten von Räumen, die verschiedenen Stimmungen, die man durch Gestaltung erzeugen kann, fasziniert. Aus diesem Grund habe ich mich für ein Innenarchitekturstudium entschieden. Erst währenddessen habe ich meine Leidenschaft dafür entdeckt, neue, unkonventionelle und außergewöhnliche Einrichtungen zu erschaffen.

»Für Ihre berufliche Zukunft ist das eine enorme Chance. Wenn Sie gewinnen, wird Ihre Arbeit in mehreren Fachzeitschriften und auf einer Ausstellung in Zürich präsentiert.«

»Wie geht es jetzt weiter? Nach welchen Kriterien wird der SIP vergeben?«

»Zunächst einmal …« Professorin Weber wird durch das Klingeln des Telefons auf ihrem Schreibtisch unterbrochen. Sie streckt eine Hand aus, sicher, um den Anruf abzulehnen, erstarrt jedoch mitten in der Bewegung über dem Gerät. »Entschuldigen Sie, Frau von Wylbach, aber da muss ich rangehen.«

Ich nicke. »Soll ich kurz rausgehen?«

»Nein, bleiben Sie ruhig, es ist mein Kontakt vom SIP.«

Sie nimmt ab. »Professorin Weber hier, guten Tag.« Einige Sekunden lang vergehen in Schweigen, dann wirft sie mir einen prüfenden Blick zu. Etwas daran lässt mich nervös werden, und ich knete fahrig meine Hände.

»Was meinen Sie damit? Kompromittierendes Material?«, fragt meine Professorin in den Hörer. Wieder schaut sie mich so merkwürdig an. Was ist hier los?

»Ah, ich verstehe«, sagt sie. »Vielen Dank für Ihren Anruf.«

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, während sie auflegt und die Hände vor sich auf dem Tisch faltet. Die Sekunden dehnen sich, sie sieht mich einfach nur an. Dann räuspert sie sich. »Es tut mir leid, Frau von Wylbach, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass der SIP Ihre Nominierung soeben zurückgezogen hat.«

»Wie bitte?«, platzt es aus mir heraus. »Warum? Sie haben sie mir doch gerade eben erst verkündet? Gab es einen Fehler?«

Konnte ich mit meinem außergewöhnlichen Entwurf doch nicht überzeugen? War er ihnen zu viel, wie immer alles an mir zu viel ist? Zu laut, zu aufgedreht, zu extrovertiert, zu auffällig, zu forsch. Tränen treten mir in die Augen, aber ich reiße mich zusammen und vertreibe die Gedanken schnell.

»Es ist wohl vor Kurzem kompromittierendes Material über Sie öffentlich geworden. Wissen Sie etwas darüber?«

Was, zur Hölle? »Nein, ich verstehe nicht. Was soll das heißen?«

»Mir wurde nichts Genaueres gesagt, aber ich denke, Sie sollten jetzt gehen. Ich kümmere mich darum, spreche noch einmal mit dem SIP und versuche, die Angelegenheit zu klären.«

Das muss ein schlechter Scherz sein. Bin ich eingeschlafen? Geradewegs in einem Albtraum gelandet? Wie in Trance erhebe ich mich, bedanke mich bei Professorin Weber und stolpere aus dem Raum.

Kompromittierendes Material? Was soll das sein?

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, auf dem Display wird ein Anruf von Elora angezeigt. Schon wieder? Oder … probiert sie es immer noch?

Ich gehe ran, warte die Begrüßung gar nicht erst ab. »Habe ich was verpasst? Hat meine Mutter irgendeine Pressemitteilung aus ihrem verfluchten Schloss geschickt? Oder hat mein Bruder mal wieder einen Skandal angezettelt?«

»Komm bitte sofort in die Wohneinheit«, erwidert sie ernst und ignoriert meine Fragen. »Wo bist du gerade?«

»Noch im Hauptgebäude, aber was ist denn überhaupt …« Ich werde angerempelt. Empört wirble ich herum. »Hey, was sollte das?«

Ein Student mit braunen Haaren funkelt mich wütend an. »Mörderin!«, zischt er und rauscht an mir vorbei.

Mein Inneres verkrampft. Hat er gerade …?! Fassungslos blicke ich mich nach ihm um, kann mir keinen Reim darauf machen.

»Elora, was ist hier los?« Meine Stimme zittert. »Warum hast du angerufen?«

»Du solltest ganz schnell zurück nach Ash Hall kommen. Auf direktem Wege. Sprich mit niemanden, schau nicht auf dein Handy und öffne erst recht keine Nachrichten. Hörst du? Falls dir irgendwer was schicken sollte, sieh es dir nicht an!«

Ihr eindringlicher Tonfall sorgt dafür, dass ich es mit der Angst zu tun bekomme.

»Bitte, versprich mir das, Simona.«

»Okay, ja«, stammle ich.

»Bis gleich. Beeil dich.«

Sie legt auf, und ich bleibe verwirrt im Gang mit den Büros der Lehrkräfte zurück. Kurz überlege ich, Eloras Anweisungen zu ignorieren, aber ich kann mich nicht überwinden. Vielleicht ist es mein Selbsterhaltungstrieb, vielleicht diese miese Vorahnung, die meinen Magen in einen krampfenden Klumpen verwandelt.

Ich verlasse den Gang, laufe in die Eingangshalle, die mich durch die hellen Sandsteintöne und die marmornen Säulen immer ein bisschen an den Bankettsaal auf Schloss Wylbach erinnert. Während der Boden dort aus Holz ist, gibt es hier wunderschöne, gemusterte Bodenfliesen, die ein beruhigendes Klackergeräusch beim Laufen hinterlassen. Wenn ich denn mal eine der seltenen Gelegenheiten erwische, die Halle leer zu erleben. Die meiste Zeit – wie auch jetzt – ist sie mit Studierenden verstopft, die auf dem Weg zur Vorlesung oder zurück zu ihren Wohnheimen sind. Ich komme keine drei Schritte weit, bevor ich erstarre. Mich treffen hasserfüllte Mienen, Studierende schlagen einen Bogen um mich, ich höre Getuschel, sehe immer wieder Blicke auf Handys.

In meinen Ohren rauscht es, meine Sicht verschwimmt. Die hellen Töne der Halle wirken auf einmal erdrückend. Die Säulen, die mich sonst faszinieren, scheinen sich auszudehnen, noch mehr Platz zu schlucken. Ich will mich gerade wieder in Bewegung setzen, werde aber erneut angerempelt.

»Wie kannst du dich selbst noch im Spiegel ansehen?«, schreit mich eine Studentin an, mit der ich noch nie ein Wort gewechselt habe.

Ich weiche zurück, pralle gegen jemand anderen. Meine Atmung beschleunigt sich. Ich muss hier weg. Raus aus diesem Gebäude, das für mich immer ein sicherer Hafen war, aber jetzt wie ein Schussfeld wirkt. Weg von all diesen Leuten. Mein Verstand gaukelt mir vor, sie würden immer näher kommen, mich einkesseln. Ich bekomme Panik, sehe plötzlich keinen freien Weg mehr, um aus der Eingangshalle zu gelangen. Selbst das offene Treppenhaus mit dem schwarzen, mit filigranen Ornamenten verzierten Geländer, an dem ich so gerne mit den Fingern entlangstreiche, ist verstopft. Daher mache ich das Einzige, was mir einfällt, drehe mich wieder um und flüchte zurück in den Bereich für Lehrkräfte.

Ich renne den Gang entlang, höre hinter mir Schritte. Ängstlich werfe ich einen Blick über die Schulter, aber niemand folgt mir. Die Schritte sind nur Echos meiner eigenen, die von den Wänden zurückgeworfen werden.

Am Ende des Ganges stoppe ich, suche Halt an der Feuerschutztür, die in ein weiteres, kaum benutztes Treppenhaus führt. Meine Knie sind weich, ich fühle Übelkeit in mir aufsteigen. Die Vorahnung, dass gerade etwas Schreckliches vor sich geht, wird immer stärker.

Ich weiß, ich muss zurück ins Wohnheim. Aber der Gedanke, mich umzudrehen und durch die Studierenden zu quetschen, lässt die Übelkeit beinahe unerträglich werden. Wenn ich es durch die Eingangshalle geschafft habe, folgt anschließend der zehnminütige Weg nach Ash Hall. Wie viele Menschen werden mich bis dorthin noch als Mörderin bezeichnen?

Panik packt mich, und ich zittere. Obwohl ich mich immer für mutig und furchtlos gehalten habe, kann ich mich unmöglich länger den Blicken und Vorwürfen der anderen aussetzen. Nein, das schaffe ich nicht.

Fieberhaft denke ich nach, starre dabei Löcher in die mit weißem Stuck verzierten Wände. Bis mir die Notfalllösung einfällt. Eigentlich habe ich mir vorgenommen, sie nie in Anspruch zu nehmen. Aber das hier ist eine Ausnahmesituation!

Ich gebe mir einen Ruck, öffne die Feuerschutztür und betrete das Treppenhaus. Die Beleuchtung ist schummrig, das Geländer schmucklos. Kein Wunder, dass ich es zuvor nie benutzt habe. Ich sende ein Stoßgebet zur Decke, dass mir niemand begegnet, während ich bis in den Keller hinuntersteige.

Hier unten ist es düster, das Licht muss manuell eingeschaltet werden. Zielstrebig suche ich nach dem Raum, der von der Kunstfakultät als Abstellkammer benutzt wird. Meine Schritte hallen unnatürlich laut von den Wänden wider. Die Deckenbeleuchtung surrt, als würde sie jeden Augenblick den Geist aufgeben. Gänsehaut breitet sich auf meinen Unterarmen aus. Immerhin ist niemand außer mir hier.

Ich schaue mir die Beschriftungen der Räume an, habe mir die Nummer genau gemerkt. Fünf Minuten später habe ich die Kammer endlich gefunden. Um Zutritt zu erlangen, muss ich meinen persönlichen Token scannen. Zum Glück trage ich ihn immer bei mir.

Der Raum ist düster. Überall stapeln sich Leinwände, zu meiner Rechten steht ein Industrieregal, das mit Farbtuben, Pinseln und Eimern vollgestopft ist. An der gegenüberliegenden Wand lagern Skulpturen und daneben ein ganzer Haufen Stative. In der Mitte des Raums thront ein großer Tisch, auf dem sich Zeichenpapier türmt. Ebenjenes, das ich auch für meine Skizzen benutze. Aber dafür bin ich nicht hier.

Stattdessen schaue ich mich an den Wänden um. Bete, dass die Notfalllösung, die ich suche, sich nicht hinter diesem schweren Industrieregal verbirgt. Ich trete näher heran, betrachte die Malereien, die sich über alle vier Wände ziehen. Wenn meine Großmutter mir nicht verraten hätte, wofür dieser Raum früher verwendet wurde, hätte ich sicher angenommen, die Motive seien ein vergangenes Kunstprojekt gewesen, um die Abstellkammer schöner zu gestalten.

Die Wahrheit ist, hinter diesem Raum verbirgt sich die ehemalige Geheime Gesellschaftskammer von Fortuna, der Studentenverbindung der Universität. Sie wurde in den 1920er-Jahren, kurz nach der Gründung der Verbindung, für Rituale genutzt. Ungefähr zur selben Zeit wurde Dark Hall gebaut, das Wohngebäude von Fortuna. Um beides miteinander zu verbinden, wurde ein unterirdischer Geheimgang errichtet. Dieser besitzt auch Zugänge zu den anderen Wohnheimen. Als ich mich nach dem Grund dafür erkundigt habe, hat meine Großmutter geheimnisvoll gelächelt und gefragt, warum sie als Frau, die früher noch keine Verbindungsmitglieder werden durften, wohl weiß, wie man sich heimlich in das Wohnheim der begehrtesten Junggesellen schleicht. Damit meinte sie ganz eindeutig meinen Großvater.

Ich verziehe das Gesicht und konzentriere mich wieder auf die Suche. Ich muss den Wolf finden, von dem meine Großmutter mir erzählt hat. Denn diese gerissene Frau, von der ich meine Neugier für außergewöhnliche Nischen, Korridore und Verstecke geerbt habe, hat die Gänge nicht nur für Rendezvous genutzt. Sie hat sie komplett erkundet und mir stolz und verschwörerisch bis ins kleinste Detail davon berichtet.

Noch nie war ich ihr so dankbar dafür wie jetzt.

Ich finde dunkelgrüne Tannen, zerklüftete Berge, Kerzen und von Kapuzenmänteln verhüllte Gestalten auf den Malereien an den Wänden. Wo ist dieser verdammte Wolf?

Da! Ich entdecke ihn hinter den Stativen, versteckt zwischen einer Reihe Tannen. Seine gelben Augen sind verblasst, seine Schnauze ist zu einem Heulen aufgerissen. Meine Großmutter meinte, ich müsse nur seine Iriden drücken, um den Eingang zu öffnen. Klar, total easy.

Ich räume schnell die Stative beiseite, bevor ich tief Luft hole und jeweils eine Hand auf eines der Augen des Wolfs lege. Nichts passiert. Verdammt. War es doch ein anderes Tier? Oder wurde der Geheimgang längst versiegelt? Ich spüre erneut Panik in mir aufwallen und mahne mich zur Ruhe. Wieder drücke ich gegen die Wolfsaugen. Fester diesmal. Endlich gibt der Stein unter meinen Händen nach. Ein Klicken ertönt, und die Wand schwingt nach innen. Nur ein kleines Stück, deshalb stemme ich mich mit aller Kraft dagegen. Ächzend und schwitzend schaffe ich es, sie aufzuschieben.

Dahinter offenbart sich ein schwarzes Loch. Ein modriger Geruch strömt mir entgegen. Dennoch atme ich tief durch und trete ein. Bevor ich den Eingang wieder verschließe, räume ich die Stative zurück an ihren Platz. Ich hoffe, niemandem fällt auf, dass sie jetzt anders liegen. Sollte mich jemand fragen, warum ich als Innenarchitekturstudentin in der Abstellkammer der Kunstfakultät war, werde ich mir eine Ausrede überlegen müssen. Aber das ist ein Problem für Zukunfts-Simona.

Wieder muss ich mich mit meinem gesamten Gewicht gegen die Wand stemmen, damit der Mechanismus zurückspringt. Sobald der Eingang verschlossen ist, umhüllen mich Dunkelheit und ein furchtbarer Gestank. Eine Mischung aus altem Stein, abgestandener Feuchtigkeit und … Verwesung?

Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche, um die Taschenlampenfunktion einzuschalten. Der Lichtkegel erhellt den Gang vor mir.

Mein Herz setzt einen Schlag aus, und ich schreie auf.

Kapitel 3

Simona

Was ist das?

Mein ganzer Körper ist in Alarmbereitschaft, mein Puls rast. Ich trete näher an das Gebilde heran, das direkt vor mir von der Decke hängt. Im ersten Moment wirkte es, als würde jemand im Gang stehen. Aber es ist nur eine gigantische, graue Spinnwebe. Leider ist sie derart ausgeufert, dass sie den Durchgang versperrt. Ich beiße die Zähne zusammen und wische sie weg. Das klebrige Ding hängt an meinem Arm, ich schüttle es ab und versuche, dabei nicht in Panik zu geraten oder mir vorzustellen, wie groß die Spinne sein muss, die diese Webe erschaffen hat.

Endlich fällt sie ab und schwebt zu Boden. Ich schaudere. Wird das jetzt die ganze Zeit so weitergehen? Vermutlich ist das hier trotzdem die bessere Wahl, denn die Alternative ist eine Schar Studierender, die mich, warum auch immer, als Mörderin beschimpft.

Mein Handylicht wirft gespenstische Schatten in den Gang. Ich erkenne kahle, unverputzte Wände, die bröckelig und grob aus dem Stein gehauen sind. Der Boden ist von Staub und Steinchen bedeckt. Sie knirschen unter meinen Loafern, als ich mich vorsichtig in Bewegung setze.

Die Macht, die diesem Gang innewohnt, ist gewaltig und tröstet mich über den Geruch hinweg. Das Wissen um seine Existenz wurde gut geschützt, selbst früher waren nur wenige ausgewählte Personen eingeweiht. Ob außer mir überhaupt noch jemand auf dem Campus diesen Gang kennt?

Ich hoffe nicht. Denn ich will mir nicht ausmalen, was passiert, wenn ich hier drin jemandem begegne. Schon die Spinnwebe hat mich fast zu Tode erschreckt. Wahrscheinlich würde ich auf der Stelle einen Herzinfarkt bekommen, falls tatsächlich jemand vor mir stehen würde.

Immer tiefer laufe ich in den Gang hinein. Es ist eisig kalt hier unten, und der beißende, süßliche Gestank nimmt zu, bis er langsam unerträglich wird. Ich würge und presse mir eine Hand gegen Mund und Nase. Ein paar Meter weiter macht der Gang eine Biegung nach rechts.

Der Lichtschein meiner Taschenlampe huscht über etwas am Boden. Ich zucke zurück, mache den Fehler, meine Hand sinken zu lassen. Der Verwesungsgeruch der toten Ratte schlägt mir mit voller Wucht entgegen. Ich muss erneut würgen und laufe eilig an dem Kadaver vorbei, ohne zu genau hinzusehen.

Von da an führt der Gang nur noch geradeaus. Je länger ich gehe, desto lauter wird das Gedankenchaos in meinem Kopf. Wie tief bin ich unter der Erde? Wie weit muss ich laufen? Kann ich mich verlaufen? Hier unten würde mich nie jemand finden, und ich habe auch keinen Empfang, um Elora anzurufen. Ich würde genauso kläglich verenden und anfangen zu stinken wie diese Ratte.

Ich fröstle.

Nein. Nicht darüber nachdenken, einfach weiterlaufen. Ich muss mich darauf konzentrieren, auf keinen Fall eine Abzweigung zu verpassen. Von meiner Großmutter weiß ich, dass es vier gibt. Eine für jedes Wohngebäude. Ash Hall ist aus meiner Richtung die dritte Abzweigung.

Auf meinem Handydisplay leuchtet die Meldung auf, dass der Akku so gut wie leer ist. Mein Magen verkrampft sich. Ohne Licht bin ich hier unten aufgeschmissen! Ich laufe schneller, bete, dass der Akku durchhält, nur noch ein paar Minuten länger, bis ich endlich da bin. Weit kann es nicht mehr sein. Habe ich die Abzweigungen verpasst?

Panik breitet sich in mir aus. Warum bin ich nicht einfach über den Campus gelaufen? Als Mörderin beschimpft zu werden, ist immer noch besser, als hier unten qualvoll zu verenden. Ich schüttle mich, frage mich erneut, welche Gerüchte über mich im Umlauf sein könnten und welches Material plötzlich aufgetaucht sein soll. Wenn ich hier unten Empfang hätte, würde ich trotz meines Versprechens an Elora nachsehen. Offenbar lässt es einige meiner Kommilitonen davon ausgehen, ich hätte jemanden umgebracht. Ich! Die noch nicht einmal eine Spinne oder Fliege töten kann. Das muss alles ein großes Missverständnis sein und …

Da! Rechts von mir öffnet sich der Gang und offenbart eine Abzweigung. Als ich hineinleuchte, ist kein Ende zu sehen. Hier muss es nach Creek Hall gehen, dem ersten Wohngebäude.

Schnell laufe ich weiter, es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis mein Akku den Geist aufgibt. Dennoch flutet mich Hoffnung und sie schafft es, die Kälte des Ganges zu vertreiben. Ich werde nicht wie diese Ratte enden!

Ich passiere die zweite Abzweigung und biege wenig später in die dritte ein. Das Licht wird schwächer, weil mein Handy offenbar beschlossen hat, seine letzten Kraftreserven zu regulieren. Ich sehe kaum, wohin ich trete.

Plötzlich endet der Gang.

Ich leuchte über den Stein, doch der Schein ist so schwach, ich kann keinen Mechanismus erkennen. Ist das überhaupt der Zugang nach Ash Hall? Oder eine Sackgasse? Meine Nackenhaare stellen sich auf.

Nein, das ist sicher der Ausgang, ich muss nur herausfinden, wie ich ihn öffnen kann. Ich taste die gesamte Wand ab. Suche nach Unebenheiten oder Steinen, die sich schieben lassen. Doch ich finde nichts.

Meine Bewegungen werden fahriger. Ich spüre, wie die Steine mir die Finger aufreißen, aber es ist mir egal. Ich will hier einfach nur raus.

Das Licht erlischt.

»Nein!«, stoße ich aus, drücke verzweifelt den Knopf an der Seite meines Handys. Aber natürlich lässt es sich nicht wieder einschalten. Verdammter Mist!

Ich blinzle, um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Vielleicht auch ein bisschen, um die Tränen zu vertreiben, die darin aufsteigen wollen. Ich versuche, einen kühlen Kopf zu bewahren, selbst wenn die Angst sich mit aller Macht in meine Brust zu fressen droht.

Erneut taste ich die Wand ab. Blind diesmal, aber dafür achtsamer. Irgendwo muss es einen Mechanismus geben, irgendetwas, das mich aus diesem Gang befreit. Entschlossen beiße ich die Zähne zusammen.

Plötzlich ertaste ich eine Kuhle am oberen Rand der Wand. Hoffnung erfüllt mich, weil sie sich eindrücken lässt. Aber nichts passiert. Ich probiere es erneut und stemme mich dabei mit aller Kraft gegen die Wand.

Im nächsten Moment schwingt sie nach außen auf, und ich stolpere hinaus. Mit dem Gesicht voran falle ich in einen Stoffvorhang, bevor ich hart auf dem Boden aufschlage. Ich bin viel zu überrascht, um zu schreien.

Wie ein nasser Sack bleibe ich liegen. Bis mir plötzlich wieder einfällt, dass niemand von dem Geheimgang wissen darf. Meine Großmutter würde mich umbringen, sollte ich durch meine Unachtsamkeit irgendwem davon verraten.

Hastig rapple ich mich auf und sehe mich um. Erleichtert stelle ich fest, ich bin allein. Der helle Sandstein, die runden Wände, die Wendeltreppe. Ich weiß sofort, ich muss mich im Keller des Treppenhauses eines Wohngebäudes befinden. Hoffentlich Ash Hall!

Aus Sorge, mich könnte doch jemand gehört haben, mache ich mich hastig daran, den Eingang wieder zu verschließen und den Wandteppich so darüber zu drapieren, dass er komplett verdeckt ist. Zum Glück ist der Stoff nicht gerissen. Kurz halte ich inne, schaue mir die schaurige Jagdszene darauf an. Fliehende Rehe, blutbeflecktes Gras, ein Schütze mit Gewehr und einem fest an der Leine ziehenden Hund. Der Wandteppich wirkt in diesem Keller seltsam fehl am Platz. Hat sich noch nie jemand gefragt, warum er hier hängt? Andererseits ist der Eingang gut versteckt, selbst wenn man den Stoff zurückzieht, würde man ihn ohne das Wissen um seine Existenz nicht entdecken.

Meine Ellbogen pochen schmerzhaft und ich reibe mir über die gerötete Haut. Ich klopfe mir, so gut es geht, den Staub von der Kleidung, bevor ich die Treppe betrete und hinauf ins Erdgeschoss steige.

Erleichtert atme ich auf. Ich bin tatsächlich in Ash Hall. Rechts von mir breitet sich der Loungebereich mit eleganten, beigefarbenen Sesseln und niedrigen Beistelltischen aus. Darüber hängt eine imposante Lichtinstallation aus unzähligen stabförmigen, warmgelben Leuchten und einem großen goldenen Ring rundherum. Die Wand gegenüber dem Treppenhaus ziert eine Sammlung historischer und zeitgenössischer Fotografien, welche die Entwicklung des Campus und des studentischen Lebens seit der Universitätsgründung 1486 darstellen.

Ich beeile mich, auf das zweite Stockwerk und endlich zu Elora zu kommen. Jetzt, da ich den Geheimgang hinter mir gelassen habe, kehrt meine Angst vor dem, was mich auf unserem Zimmer erwarten wird, mit voller Wucht zurück.

Vielleicht hätte ich doch der Ratte Gesellschaft leisten und mich für immer in diesem Gang verstecken sollen. Denn eine miese Vorahnung sagt mir, dass ich gar nicht wissen will, was passiert ist.

Kapitel 4

Simona

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich öffne die Tür zu der Wohneinheit, die ich mir mit Elora teile. Sobald sie mich hört, springt sie vom Sofa auf und kommt auf mich zugelaufen.

»Wo, zur Hölle, warst du so lange?«, ruft sie. Direkt vor mir bleibt sie stehen, mustert mein weißes Kostüm, das im Geheimgang ziemlich gelitten hat. »Wie siehst du überhaupt aus?«

»Es gab einige … Komplikationen auf dem Weg hierher.«

Ich laufe an ihr vorbei und lasse mich auf das Sofa fallen, weil ich das Gefühl habe, keinen Schritt weiter gehen zu können. Elora setzt sich neben mich, zieht ihr Handy aus der Tasche. Das sollte ich auch machen und das Gerät ans nächste Ladekabel stecken, aber ich kann mich nicht dazu durchringen.

Ich atme tief durch. Das Ganze muss ich wie ein Pflaster handhaben. Schnell abreißen, damit es nicht mehr schmerzt als notwendig. »Also, was ist los?«

Elora beißt sich nervös auf die Unterlippe. Sie wirkt blasser als sonst, zögert. Dann gibt sie sich einen Ruck, holt tief Luft. »Es ist ein Video von dir aufgetaucht.«

»Was für ein Video?«

»Zusammen mit Sara.«

Mein Magen macht einen Satz. Sara ist seit sieben Monaten tot. Sie war meine Freundin. Sie war eine Lügnerin. Sie war meine Verbindungsschwester. Sie ist der Grund, warum die Beziehung, von der ich dachte, sie würde für immer halten, kaputtgegangen ist. Warum ich seit Monaten nicht mehr ruhig schlafen kann. Warum mein Leben sich in einen Albtraum verwandelt hat.

»Zeig es mir«, fordere ich und erkenne meine Stimme kaum wieder. Sie spiegelt die Kälte, die sich ich in meinem Inneren ausbreitet.

Elora rutscht näher an mich heran, ihr hoher Zopf, der ihre braunen Haare bändigt, wippt dabei hin und her. Sie zeigt mir ihr Display und spielt das Video ab. In diesem Augenblick wird mir bewusst, ich habe mich geirrt. Mein Leben war bisher noch kein Albtraum.

Aber jetzt ist es definitiv einer.

»Du hast das nicht wirklich gesagt, oder?!«

»Das ist nicht dein Ernst, Simona!«

»Was hast du dir nur dabei gedacht?«

Die Vorwürfe meiner Freunde prasseln auf mich ein. Sie sind alle hier, alle bei mir. Eloras Freund Gabriel, ihre Stiefschwester Lucia und deren Freund Ben. Sie sind Zeugen davon, wie mein Leben in sich zusammenbricht, als wäre es ein Kartenhaus. Mit jeder neuen Frage fällt eine weitere Karte um. Flapp. Flapp. Flapp. Das ist es, wozu ich geworden bin: ein Haufen Papierkarten auf dem Fußboden einer Wohneinheit.

»Simona?« Elora rüttelt an meiner Schulter. »Ist das wahr?«

»Ja, es ist wahr«, antworte ich. Meine Stimme klingt dumpf, wie weit entfernt. »Das Video ist kein Fake, nicht animiert. Ich habe das gesagt. Ich habe Sara an den Kopf geworfen, ich würde sie lieber tot sehen, als ihr mit ihrer Schwangerschaft zu helfen. Keine Stunde später ist sie verunglückt.«

Jetzt ist es raus, ist endlich ausgesprochen, was mich seit sieben Monaten quält. Dass ich häufig erst rede und dann nachdenke, hat mich schon oft in Schwierigkeiten gebracht. Wie sehr ich es auch versuche, ich kann es nicht abstellen, nicht verhindern. Es passiert einfach. Wie damals bei Sara. Ich bin aufgebracht, reagiere über und meine Wut äußert sich durch gemeine Worte, die ich eigentlich gar nicht so meine. Seit Saras Unfall kann ich manchmal nachts nicht schlafen, weil ich mich frage, ob ich mit meiner Aussage das Universum beeinflusst habe. Nicht, dass ich an so etwas glauben würde, aber meine Großmutter schon. Sie schwört darauf, und ich sehe sie seitdem ständig vor meinem inneren Auge. Ihr bebrilltes Faltengesicht, die grauen Haare und den erhobenen Zeigefinger. Sie hat mich stets davor gewarnt, dass durch meine große Klappe irgendwann etwas Schlimmes passieren würde. Aber ich war naiv, habe sie dafür nur belächelt.

Meine Kehle schnürt sich zusammen, mich überkommt ein plötzlicher, heftiger Hass auf mich selbst. Auf diese beschissene große Klappe, die mich in diese Lage gebracht hat. Die Nominierung für den SIP habe ich verloren, auf dem Campus werde ich beschimpft, und was ich zu Sara gesagt habe, wird immer an mir haften. Am liebsten würde ich meinen Frust hinausschreien. Ich wünschte wirklich, ich wäre anders, besser.

»Dir ist schon klar, wie das aussieht, oder?«, fragt Lucia. In ihrer Hand hält sie noch immer das Handy, das mein Leben in einen Kartenhaufen verwandelt hat.

Meine Sicht verschwimmt, weil neue Tränen nachkommen. Als hätten die unzähligen Tränen, die ich in den letzten Minuten vergossen habe, noch nicht ausgereicht. Ich wische sie mit dem Handrücken fort, hastig, wütend. »Sehe ich so aus, als wäre mir das nicht klar?«, fauche ich Lucia an. Es tut mir nicht einmal leid, obwohl sie nichts dafür kann. »Jemand hat ein verdammtes Video davon gemacht, wie ich Sara kurz vor ihrem Unfall den Tod wünsche und es dann öffentlich ins Netz gestellt. Wenige Tage nachdem herausgekommen ist, dass ihr Unfall vermutlich keiner war und die Polizei die Ermittlungen wiederaufgenommen hat. Also ja, mir ist durchaus bewusst, wie das aussieht. Aber ich habe nichts damit zu tun. Und wer auch immer das mit dem Video war, hat nicht alles gezeigt.«

»Wie meinst du das?«, fragt Gabriel. Sein Arm liegt um Eloras Schultern, als müsse er sich an ihr festhalten. Ich wünschte, ich könnte das auch. An jemandem Halt finden. Aber im Gegensatz zu den beiden Pärchen im Raum wurde mir meine Liebe genommen. Von Sara. Nur deshalb gab es den Streit, bei dem mir diese hässlichen Worte herausgerutscht sind.

»Ihr wisst ja, dass Fabian mich vor ungefähr sieben Monaten mit Sara betrogen hat. Das Video stammt von dem Tag, an dem ich es erfahren habe. Sara und ich waren Freundinnen. Wir hatten uns zwar auseinandergelebt, aber wir haben uns bei Fortuna immer noch regelmäßig gesehen.« Ich atme tief durch, versuche mich präzise an damals zu erinnern und den Schmerz über den Verrat der beiden für mich wichtigen Menschen an mir auszublenden. »Der Streit mit Sara ging noch weiter. Das Ende des Videos war nicht das Ende unseres Gesprächs. Sie hat geweint und mich gefragt, ob ich das ernst meine. Ich war so schrecklich wütend auf sie, aber sie war nun mal meine Freundin und meine Verbindungsschwester. Sie so gebrochen zu sehen, hat mich zur Vernunft kommen lassen. Deshalb habe ich gesagt, dass ich ein bisschen Zeit brauche, um damit klarzukommen, und aus dem Grund zu meiner Familie fahren werde. Aber ich habe ihr angeboten, ihr dabei zu helfen, eine Abtreibungsklinik zu finden, sobald ich wieder auf Corvina Castle bin, wenn es das ist, was sie will. Danach bin ich auf mein Zimmer gegangen, um zu packen.«

Meine Freunde schweigen eine Weile, und ich werde immer nervöser. Das hier läuft nicht gut für mich, das ist mir bewusst. Der Zeitpunkt für das Auftauchen dieses Videos könnte mieser nicht sein, und es lässt mich schuldig aussehen.

»Ich bin nicht in Saras Unfall verwickelt, das schwöre ich.«

»Wir glauben dir«, sagt Elora und tätschelt mir beruhigend die Schulter.

»Ich denke, die Polizei wird dich dennoch befragen«, sagt Ben.

Er und Lucia haben erst vor einer Woche die Ermittlungen der Polizei wieder ins Rollen gebracht. Fabian wollte Saras Tagebuch von Lucia erpressen, hat sie dabei gewürgt und wurde von der Uni suspendiert. Zudem steht nun der Verdacht im Raum, der Unfallwagen könnte absichtlich manipuliert worden sein. Bisher konnte jedoch nichts Belastendes gefunden werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Akte wieder geschlossen wird. Zumindest war es das …

Bis zu diesem Video.

Ich greife nach Lucias Handy und schaue es mir erneut an. Achte diesmal auf den Hintergrund, nicht auf Sara und mich. Ich kann ihr Bett mit der roten Tagesdecke erkennen und die Kommode, in der sie ihre Kleidung verstaut hat. In meinem Zimmer steht an dieser Stelle der Schreibtisch, aber ich erinnere mich, dass er bei Sara direkt neben der Tür stand.

»Jemand will dir etwas anhängen«, vermutet Gabriel. »Der Zeitpunkt ist zu auffällig. Erst findet Lucia heraus, dass Saras Unfall vermutlich durch Fremdeinwirkung verursacht wurde. Dann wird Fabian suspendiert. Und plötzlich postet jemand dieses Video von dir?«

»Bei dem Streit waren nur Sara und ich im Raum. Wenig später kam Fabian zu mir, um mich um Verzeihung zu bitten. Er muss mir schon vorher gefolgt sein und von der Tür aus gefilmt haben.«

Ben schüttelt mit dem Kopf. »Schaut euch mal das Datum und die Uhrzeit an. Es ist vorhin von einem anonymen Account hochgeladen worden, und ich weiß ganz sicher, dass Fabian da gerade eine weitere Aussage auf der Polizeistation gemacht hat.«

»Vielleicht hat er es vorgeplant?«, wirft Lucia ein.

»Warum sollte er das tun? Was hätte er davon?«

»Wer war es dann?«

So geht es weiter und weiter. Ich sage nichts mehr. Lasse die wilden Spekulationen über mich ergehen. Höre ihnen zu und frage mich dabei unentwegt, wie lange es dauern wird, bis die Polizei hier aufkreuzt.

Wer könnte das Video auf dem anonymen Instagram-Account gepostet haben? Fabian? Er muss es gewesen sein. Alles andere ergibt keinen Sinn. Hat er mir nicht schon genug wehgetan? Seit er mich mit Sara betrogen hat, habe ich ihn nicht mehr wiedererkannt. Er wirkte fahrig, stand neben sich. Ich habe jedes Mal einen großen Bogen um ihn gemacht, wenn wir uns bei Fortuna-Veranstaltungen sehen mussten.

Er ist mir mittlerweile so fremd geworden, dass ich nicht mehr weiß, zu was dieser Mann noch alles fähig ist. Falls er wirklich Schuld an Saras Tod hat, wie weit würde er gehen, um es zu vertuschen? Würde er versuchen, es mir anzuhängen, um selbst aus der Schusslinie zu geraten?

Eine Erinnerung blitzt in meinen Gedanken auf. Willst du so enden wie sie?

Gänsehaut breitet sich auf meinen Unterarmen aus. Nicht zum ersten Mal hege ich die Vermutung, dass Fabian nicht allein in der Sache drinsteckt. Nein, jemand hilft ihm. Bisher war es nur das, eine Vermutung. Aber jetzt, nach dem Video?

Unter meinen Freunden ist mittlerweile eine hitzige Diskussion ausgebrochen. Ich sitze zwischen ihnen, ein Pärchen rechts von mir, das andere links, und komme mir unsichtbar vor. Sie spekulieren über meinen Kopf hinweg, aber keiner von ihnen stellt mir die alles entscheidende Frage. Jene, die mich zwingen würde, sie anzulügen.

Nein, niemand fragt mich, wie viel ich weiß, über Fabian oder den Unfall. Über die Geschehnisse, die zu jener Zeit in Dark Hall vor sich gegangen sind. Über das, was ich herausgefunden habe, und die Kette aus Ereignissen, die es nach sich zog. Ich darf meinen Freunden nichts davon sagen. Ich kann nicht.

Sie dürfen nicht wissen, dass ich seit Monaten schweige.

Seit kurz vor Saras Tod.

Kapitel 5

Simona

Ich liege auf dem weichen Teppich vor meinem Bett und starre an die Zimmerdecke. Auf dem Boden zu liegen hat mir schon immer beim Nachdenken geholfen. Sofort habe ich die tadelnde Stimme meiner Mutter im Ohr. Muss das sein? Du bist doch keine Bauerntochter!

Schnell vertreibe ich sie aus meinem Kopf. Meine Eltern dulden vieles, wie meine türkisblauen Haare oder meinen Wunsch, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich bin dankbar dafür, weil mir bewusst ist, es ist nicht selbstverständlich. Die meisten Adelsfamilien sind traditionell. Die Töchter werden in arrangierte Ehen verheiratet, die Söhne gehen zum Militär. Meine Eltern lassen mich und meine beiden Geschwister selbst entscheiden. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie mich nicht streng erzogen oder ständig etwas an meinem Verhalten auszusetzen hätten. Insbesondere vor meiner Mutter habe ich großen Respekt. Der Gedanke, sie könne das Video bereits gesehen haben, sorgt bei mir für Übelkeit.

Es ist jetzt fast vierundzwanzig Stunden her, seit es gepostet wurde. Ich hatte gehofft, der Aufruhr würde sich über Nacht legen. Deshalb bin ich heute Morgen ganz normal zur Uni gegangen. Ich habe es zumindest versucht. Aber ich musste schnell einsehen, dass dieser Irrsinn noch größere Ausmaße angenommen hat. Dass mich hinter jeder Ecke Blicke, Tuscheleien, Beleidigungen und Skepsis erwarten.

Vor einer Woche war es Fabian, auf den sich alle gestürzt haben. Jetzt heißt es überall, ich sei ebenfalls Schuld und wir hätten unter einer Decke gesteckt. Seit Neuestem sind wir das »Mörderpärchen«.

Großartig.

Wem auch immer dieser grandiose Name eingefallen ist, dem gehört ein Orden verliehen. Für den größten Bullshit, der mir dieses Jahr zu Ohren gekommen ist.

Ja, ich war wütend auf Sara und habe es an ihr ausgelassen. Ich habe Dinge gesagt, die ich zutiefst bereue, wodurch ich in gewissem Maß auch schuld bin. Bevor sie an diesem Tag ins Auto gestiegen ist, hat sie sich erst mit Fabian, dann mit mir gestritten. Sie muss komplett außer sich gewesen sein. Mittlerweile ist mir klar, dass ich mich besser im Griff hätte haben müssen und für sie da hätte sein sollen. Doch die Reue bringt nichts. Ich kann meine Worte nicht zurücknehmen, kann mich nie mehr bei ihr entschuldigen. Aber ermordet habe ich sie nicht.

Nur glaubt mir das niemand. Alle sehen bloß das Video, hören, was ich zu Sara gesagt habe, und dichten sich eine dramatische Geschichte zusammen.

Mein Handy klingelt. Ich spiele mit dem Gedanken, es zu ignorieren, einfach nicht ranzugehen und die Welt noch etwas länger auszusperren. Aber dann rufe ich mich selbst zur Vernunft. Was soll das bringen? Früher oder später muss ich mich dem Chaos stellen. Darüberstehen. Irgendwann werden die Leute aufhören, über mich zu tratschen. Schließlich bin ich unschuldig. Es bringt nichts, hier herumzuliegen. Ich muss die Vorwürfe so schnell wie möglich aus dem Weg räumen, allen beweisen, dass ich nichts zu verbergen habe, und weitermachen. Damit ich meine Nominierung wiederbekomme. Diesen Preis gewinne und mir einen Namen aufbaue, um in zwei Jahren die Penthouses der oberen Zehntausend zu designen.

Entschlossen stemme ich mich vom Teppich hoch und greife nach dem Handy auf meinem Schreibtisch. Mein Puls beschleunigt sich, doch ich atme tief durch und werfe einen Blick auf das Display.

Puh, nicht meine Mutter. Ich nehme ab.

»Hey, Bruderherz«, begrüße ich Leo.

»Du hast mir meinen Job gestohlen«, gibt er mit seiner tiefen Stimme zurück.

Ich lasse mich auf den Schreibtischstuhl sinken und seufze. »Dann hast du bereits davon gehört.«

»Wundert dich das, Piccola? Mir entgeht nichts, das weißt du doch. Was hast du da schon wieder angestellt?«

»Weiß Mutter davon?«, übergehe ich seine Frage.

»Natürlich.«

Oh, verdammt. Ich hatte gehofft, noch etwas mehr Schonfrist zu bekommen.

»Sie will, dass du unverzüglich nach Hause kommst, und hat von Zürich aus einen Charterflug für dich gebucht. Ein Chauffeur ist bereits unterwegs, um dich in einer Stunde aus Corvina Castle abzuholen und zum Flughafen zu bringen. Du sollst mit niemandem sprechen, schon gar nicht mit der Polizei. Unser Anwalt ist eingeschaltet und auf dem Weg nach Schloss Wylbach.«

»Bist du jetzt Mutters Bote?«, ätze ich.

»Das ist nicht witzig, Simona.« Daran, dass er meinen Namen und nicht seinen italienischen Spitznamen für mich benutzt, erkenne ich, dass die Anspannung zu Hause enorm sein muss. »Du steckst gewaltig in der Klemme.«

»Ich habe nichts getan!«, verteidige ich mich.

»Du weißt genauso gut wie ich, dass wir in der Öffentlichkeit stehen und oft schon ein falsches Wort ausreicht, um einen Skandal auszulösen. Du hast dich nicht deinem Titel entsprechend verhalten. Im Grunde wäre das auch egal. Aber jetzt, wo es einen Videobeweis davon gibt? Und eine Tote? Du bist ziemlich am Arsch.«

»Ausgerechnet du willst mir jetzt eine Lektion erteilen? Das ist normalerweise Carinas Job.«

Er schweigt kurz. »Ich weiß, ich bin nicht in der Position, den Moralapostel zu spielen. Ich warte immer noch auf den Moment, in dem Mutter mich enterbt und endgültig vor die Tür setzt.« Er lacht auf, dabei wissen wir beide, dahinter steckt auch ein Funken Wahrheit. Leo hat bereits unzählige Skandale angezettelt, und Mutter sagt ihm jedes Mal aufs Neue, dies sei der letzte Fehltritt, den sie für ihn ausbügeln würde. Bis jetzt war das nicht mehr als eine Drohung, doch irgendwann wird etwas das Fass zum Überlaufen bringen. »Ich mache mir Sorgen um dich. Pack ein paar Sachen zusammen, ja? Wir sehen uns zu Hause.«

»Leo!«, rufe ich hastig, bevor er auflegen kann.

»Ja, Piccola?«

»Ich weiß nicht, was ich machen soll. Das muss so schnell wie möglich aufgeklärt werden. Ich wollte das alles nicht, ich habe doch gerade erst erfahren, dass einer meiner Entwürfe für einen renommierten Preis nominiert wurde! Ich kann mir dieses ganze Drama nicht leisten. Zumal ich unschuldig bin!«

Er seufzt. »Das weiß ich, Piccola. Doch das Video lässt dich nicht gut dastehen. Aber keine Sorge, Mutter wird nicht zulassen, dass es weiterhin für alle Welt zugänglich bleibt. Beeil dich mit dem Packen, und komm nach Hause, damit wir das alles so schnell wie möglich bereinigen können.«

Meine Mutter wird mir die Hölle heißmachen, während mein Vater stumm danebensitzt und seine klugen Augen Bände sprechen. Aber immerhin hat Leo recht, sie wird das alles so schnell wie möglich unter den Teppich kehren. Durch die vielen Skandale, die mein Bruder bereits angezettelt hat, hat sie Übung darin. Nur waren es bei ihm stets Alkohol oder eine Prügelei in einem miesen Stadtviertel. Nicht mal eine echte Straftat musste ausgebügelt werden. Und jetzt stehe ich unter Verdacht, Mitschuld an einem Mord zu haben? Wird das Team meiner Eltern das überhaupt aus der Welt schaffen können?

Ein Schauer jagt mir den Rücken hinunter. Scheiße, ich bin am Arsch! Das ist echt keine Kleinigkeit und … Nein, ich muss mich beruhigen. Mich zusammenreißen. Meine Sachen packen und in diesen verdammten Jet nach Lugano steigen. Darauf vertrauen, dass mir nichts passiert, eben weil ich unschuldig bin.

Aber wie viel wird zerstört werden, bis das bewiesen ist? Was außer der Nominierung und meinem Ruf werde ich noch verlieren?

Leo und ich verabschieden uns voneinander. Nachdem ich aufgelegt habe, starre ich für einige Minuten ins Leere und frage mich, wie ich in diese Situation geraten konnte.

Der Streit war vor Monaten, warum wurde das Video ausgerechnet jetzt veröffentlicht? Weil sich die Schlinge um Fabians Hals unaufhaltsam zuzieht? Ben behauptet, er kann es nicht gewesen sein. Aber was, wenn er es doch war, und ihm jemand geholfen hat? Jemand, bei dem Fabian noch etwas guthatte? Was, wenn er es war?

Der Gedanke ist mir gestern bereits gekommen, doch ich habe ihn wieder fallen gelassen. Schließlich schweige ich seit sieben Monaten. Für ihn. Würde er mir das wirklich danken, indem er mir etwas anhängt?

Ich habe keine Ahnung, aber ich hoffe, die Polizei geht dem Video bald nach, damit so schnell wie möglich die Aufmerksamkeit von mir abgewendet wird. Damit mein Leben wieder so wird wie vorher und der wahre Schuldige seine gerechte Strafe bekommt.

Ein letztes Mal atme ich tief durch, spüre der Enttäuschung und Sorge in meinem Inneren nach, bevor ich sie loslasse. Dann straffe ich die Schultern, raffe mich auf und packe ein paar Sachen zusammen.

Aber egal, wie sehr ich versuche, mich abzulenken, der Gedanke, er könnte das Video gepostet haben, um Fabians Hals aus der Schlinge zu ziehen, verschwindet nicht. Der Zeitpunkt ist zu auffällig. Ich kann die Uni nicht verlassen, ohne ihn zu konfrontieren. Ich habe aus Gutherzigkeit über das geschwiegen, was er getan hat. Weil ich ihn verstehen kann und Mitleid mit ihm habe. Aber das hier geht zu weit. Das lasse ich mir nicht gefallen.

Wut lodert in mir auf, ich lasse vom Koffer ab. Ich muss nach Dark Hall. Selbst wenn ich dafür die Anweisung meiner Mutter, mit niemandem zu sprechen, übergehe.

Kapitel 6

Simona

Ich steige erneut in den Geheimgang. Besonders scharf darauf, in den kalten, muffigen Gang zu müssen, bin ich nicht. Doch für meine Zwecke ist er ideal. Keiner kann mich hier unten sehen, und ich werde nicht angepöbelt. Das blüht mir nachher noch genug, wenn ich mit meinem Koffer zum Parkplatz laufen muss. Macht mich das nicht noch verdächtiger? Wirkt das nicht so, als würde ich fliehen?

Im Grunde ist es genau das, was ich mache. Was meine Mutter von mir verlangt. Ich kann nicht ablehnen. Will das alles nicht noch weiter hinauszögern. Falls er das mit dem Video war, ist der Schaden bereits angerichtet. Aber meine Eltern haben die Mittel, ihn zu bereinigen.

Auf dem Weg durch das Treppenhaus begegnet mir niemand. Vorsichtshalber renne ich fast und halte den Kopf gesenkt. Den Eingang hinter dem Wandteppich finde ich sofort. Ich hole tief Luft, bevor ich in die Dunkelheit schlüpfe. Diesmal ist es leichter, den Gang zu benutzen. Ich weiß, was mich erwartet, und muss mich außerdem beeilen. An der Abzweigung zum Hauptgang biege ich nach rechts ab, Richtung Dark Hall. Ich habe keine Ahnung, wo mich der Gang im Verbindungshaus ausspucken wird, ich kann nur hoffen, dass ich unentdeckt bleibe. Der Geheimgang ist ein Vorteil, den ich mit niemandem teilen will. Denn eine leise Vorahnung in mir sagt mir, ich werde ihn heute nicht zum letzten Mal benutzen.

Am Ausgang angekommen, lege ich mein Ohr an den Stein und lausche. Aber ich höre nichts, die Wand ist massiv, ich werde auf gut Glück handeln müssen. Ich atme tief durch, betätige den Mechanismus und …

Die Wand schwingt nach außen auf. Aber nicht nur das, sie ist Teil eines Bücherregals. Verwirrt blicke ich mich um. Überall stehen Regale, die vollgestopft sind mit alten Büchern, Kisten und Aktenordnern. Was ist das für ein Raum? Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals hier gewesen zu sein. Mein Magen macht einen Satz. Bin ich überhaupt in Dark Hall?

Ich drücke das Bücherregal zurück an seinen Platz. Es klickt, und ich bin erstaunt, wie nahtlos es sich einfügt. Man kann nicht mehr erkennen, dass es einen beweglichen Teil gibt. Kurz fahre ich mit den Fingern über die unbeschrifteten Aktenordner im Regal, überlege, wie sich der Zugang von dieser Seite aus öffnen lässt. Ein versteckter Hebel hinter den Ordnern? Oder ein Knopf am Regalboden? Meine Großmutter hat mir den Mechanismus nur für die Geheime Gesellschaftskammer erklärt. Ich habe nicht nachgehakt, wie es bei den anderen Eingängen aussieht. Warum auch? Schließlich muss ich mich heutzutage nicht durch Geheimgänge zu meinen Lovern schleichen. Aber jetzt wünschte ich, ich hätte jede noch so kleine Information in Erfahrung gebracht.

Dann werde ich es selbst herausfinden müssen. Nachher. Denn meine Abreise rückt unaufhaltsam näher, und ich muss vorher diese Sache erledigen.

Ich atme tief durch und gehe auf die Tür rechts von mir zu. Daneben befindet sich ein Regal mit unterschiedlich großen Schließfächern. Ich erinnere mich, dass Nico den Fortuna-Kelch nach Zeremonien im Archiv wegschließt. Ob ich dort bin? Wenn ja, sollte mich hinter dieser Tür der Gemeinschaftsraum erwarten. Dort finden einmal wöchentlich Tutorenkurse statt, bei denen ältere Verbindungsmitglieder jüngeren beim Unistoff helfen. Ansonsten ist der Raum unbenutzt, was mir in die Karten spielen würde. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie ich erklären soll, dass ich hier drin bin. Aber ich habe keine andere Wahl. Bevor ich nach Lugano fliege, muss ich mit ihm sprechen.

Ich öffne die Tür und finde mich tatsächlich im Gemeinschaftsraum wieder. Die lange Tafel ist verlassen, und erleichtert atme ich auf.

Ich wende mich ab, schließe die Tür und drehe mich wieder um. Plötzlich stehe ich Nico gegenüber, dem Vorsitzenden der Fortuna-Verbindung. Ich zucke zusammen. Wo ist er auf einmal hergekommen?

»Simona«, sagt er kühl und betrachtet mich skeptisch. »Warum warst du im Fortuna-Archiv?«

»Ich habe dich gesucht«, platze ich mit dem Erstbesten heraus, was mir in den Sinn kommt.

»Ach ja?«

»Wir müssen reden.«

»Nicht hier«, sagt er nur und streicht sich durch den dunklen Anchor-Bart. Er wirkt nachdenklich, gleichzeitig aber auch wachsam. Seine schmächtige Gestalt und das unscheinbare Äußere täuschen und bringt die Leute dazu, ihn leicht zu unterschätzen. Doch hinter diesen tiefbraunen Augen stecken Gerissenheit und Machtgier. »Folge mir in mein Büro.«

Er wartet meine Antwort gar nicht erst ab, sondern verlässt den Raum. Ich beeile mich, ihm in den schmalen Flur zu folgen. Dieser führt nicht nur an seinem Büro und dem Ritualraum vorbei, sondern auch in das Wohnzimmer, in dem Sofas zum Verweilen einladen und meistens unsere Versammlungen sowie Partys stattfinden. Die Tür steht offen, ich kann meinen Verbindungsbruder Beat auf einem der Sofas lümmeln sehen. Schnell husche ich aus seinem Sichtfeld und trete hinter Nico in sein Büro, damit Beat nicht auf die Idee kommt, mich zu fragen, wie ich unbemerkt an ihm vorbeikommen konnte. Denn nur durch das Wohnzimmer gelangt man von der Haustür aus in den Gemeinschaftsraum.

»Setz dich«, fordert Nico mich auf und schließt die Tür. Ich schaudere. Sein Büro hat etwas Düsteres an sich. Es ist mit dunklem Holz verkleidet, der Schreibtisch wuchtig, die Regale mit Ornamenten verziert. Es würde mich nicht wundern, wenn gleich Nebel aus den Ecken aufsteigen oder hinter den schwarzen Vorhängen am Fenster ein Gespenst hervorhuschen würde. Durch das Hirschgeweih über der Tür, das dunkle Ledersofa in der Ecke und die Aktenschränke aus Massivholz wirkt die Einrichtung wie einer anderen Zeit entsprungen. Nico passt perfekt hierher, mit seinem klassischen Anzug sowie der Zigarre und dem Schachbrett auf dem Tisch. Aber ich mit meinen türkisblauen Haaren und der engen Jeans? Ich komme mir fehl am Platz vor.

Am liebsten würde ich aufstehen und flüchten. Ich hasse es, mich unterlegen zu fühlen, und würde dieser Konfrontation am liebsten aus dem Weg gehen. Aber ich kann nicht. Ich muss das Gespräch hinter mich bringen.

»Ich werde dich nicht länger decken«, stelle ich klar. »Nicht nach diesem verdammten Video, mit dem du und Fabian jetzt mir den Unfall anhängen wollt!«

Er blinzelt nicht einmal. »Das ist eine schwere Anschuldigung.«

»Erst vor ein paar Wochen bin ich zu dir gekommen und habe dich zur Rede gestellt, ob du mehr weißt über Saras Unfall. Ob du Fabian deckst.«

Das war direkt nachdem Lucia angefangen hat, Fragen zu stellen. Sie war entschlossen, hat mich nach einem Alibi gefragt und nicht mehr lockergelassen. Als Elora dann auch noch anfing, mich über Fabian auszuhorchen, wusste ich, dass Lucia ihn verdächtigte – und bin selbst unruhig geworden. »Du hast es geleugnet und mir sogar gedroht, dass ich Ruhe geben soll, wenn ich nicht will, dass es mir wie Sara ergeht. Hast du damit die Ablehnung ihr gegenüber gemeint? Die gemeinen Gerüchte, die plötzlich rumgegangen sind? Denn ja, genau das tut ihr mir gerade an.« Ich lache kalt auf. »Du hast mir eiskalt ins Gesicht gelogen, oder? Ich war mir nicht sicher, ob Fabian Schuld hat. Aber mittlerweile? Natürlich hilfst du ihm beim Vertuschen, als Gegenleistung für sein Schweigen. Jetzt, da er gerade echt am Arsch ist, versucht ihr, mir das Ganze anzuhängen! Warum? Weil ich nachgehakt habe?«

»Du solltest dich beruhigen, meine Liebe. Bevor du Anschuldigungen machst, die du später noch bereust.«

»Hör auf mit diesem hochtrabenden Verhalten! Du kannst vielleicht den anderen Mitgliedern vorspielen, wie ehrenwert du bist, doch ich weiß es besser. Ich verstehe, warum du es getan hast, wirklich. Es tut mir leid, dass du in dieser Situation bist. Aber das hier geht zu weit. Also lass den Schwachsinn, und sag mir, was du von mir willst, bevor ich auspacke. Mir ist scheißegal, ob ich untergehen werde, nach diesem Video gehst du mit mir unter, das schwöre ich dir!«

Er starrt mich einige Sekunden lang an. Sein Blick ist durchdringend, seine Haltung aufrecht. Er zeigt mir seine Überlegenheit und gibt mir das Gefühl, nicht mehr als eine Spielfigur in seiner Hand zu sein. Wie die Figuren auf dem Schachbrett neben ihm. Ein weißer Bauer. Austauschbar.

Als hätte er meinen Gedanken gelauscht, greift er nach ebenjener Figur und dreht sie betont gleichgültig zwischen seinen Fingern. Doch ich weiß es besser. Nichts, was er macht, ist ohne Zweck. Jede Handlung, jede Bewegung ist genaustens kalkuliert.

»Spar dir deine lächerlichen Drohungen«, sagt Nico ruhig. »Ich habe das Video nicht gepostet.«

»Wer war es dann?«

»Woher soll ich das wissen? Ich habe nichts damit zu tun.«

Eine Lüge? Oder kann ich ihm glauben? Zweifel machen sich in mir breit, die ich hastig abschüttle. Verdammt. So habe ich mir den Verlauf unseres Gesprächs nicht vorgestellt.

Nico stellt die Spielfigur ab und blickt mir direkt in die Augen. Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter. »Einige Mitglieder fordern eine Abstimmung darüber, ob du Fortuna wie Fabian aufgrund der Ereignisse verlassen solltest. Sie wollen nicht, dass durch dich ein schlechtes Licht auf die Verbindung geworfen wird.«

»Wie bitte?« Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Ich soll Fortuna verlieren? Das geht nicht. Die Verbindung ist wie eine zweite Familie für mich. Ein Zuhause, eine Gemeinschaft, Unterstützung. Hier werde ich so akzeptiert, wie ich bin. Außerdem gibt mir die Dark Elite ein Stück weit Macht und wertvolle Kontakte zur nächsten Generation. Beides brauche ich dringend, um diese festgefahrenen, antiquierten Adelsstrukturen nach und nach aufbrechen zu können. Um mehr zu sein als altes Geld und überholte Traditionen. Mein Titel ist mir egal, aber mein Ruf nicht. Dieser wird endgültig ruiniert sein, sollte ich Fortuna verwiesen werden. Dann werde ich nach Abschluss meines Studiums nie Aufträge aus der High Society bekommen, was weniger Budget und damit geringeren kreativen Handlungsspielraum bedeutet.

»Nein«, entfährt es mir. »Du musst die Sache klären. Ich habe sieben Monate lang für dich geschwiegen. Sieh es als Gegenleistung.«