Dark Heir - C.S. Pacat - E-Book

Dark Heir E-Book

C.S. Pacat

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Beschreibung

»In einer Vergangenheit, an die du dich nicht erinnern kannst, gehörtest du mir.«

Der magische Krieg gegen die Dunklen Kräfte ist noch nicht vorüber: Eine neue Gefahr erhebt sich, doch nur eine Handvoll Kämpfer:innen des Lichts sind übrig. Will Kempen und seine Vertrauten müssen ins Herz der Alten Welt reisen, neue Bündnisse schließen und Rätsel der Vergangenheit entschlüsseln, um die Rückkehr des Dunklen Königs aufzuhalten. Doch Will selbst trägt ein Geheimnis in sich - die Wahrheit darüber, wer er wirklich ist. Jede wache Sekunde ringt er mit der Dunkelheit, die in ihm schlummert, und auch die Anziehung zu dem verführerischen, aber gefährlichen James St. Clair macht es ihm nicht leichter, gegen das Schicksal anzukämpfen, das ihm prophezeit wurde ...

»DARK RISE nimmt dich an die Hand und entführt dich in eine gefährliche, mächtige Welt. Du wirst dich nicht entziehen können.« CHLOE GONG

Zweiter Band der DARK-RISE-Trilogie


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Seitenzahl: 768

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Dramatis Personae

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

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9

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Danksagungen

Autor:innenvita

Die Romane von C. S. Pacat bei LYX

Impressum

C. S. PACAT

Dark Heir

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

ZU DIESEM BUCH

Der magische Krieg zwischen dem Licht und der Dunkelheit ist noch nicht vorbei. Denn obwohl der Orden der Stewards von den Truppen des Dunklen Königs hart getroffen wurde, geben eine Handvoll Kämpfer:innen des Lichts nicht auf. Solange der Auserwählte Will Kempen an ihrer Seite steht, sind sie bereit, alles zu tun, um die Menschheit zu schützen. Verfolgt und auf der Flucht müssen Will und seine Vertrauten bis ins Herz der Alten Welt reisen, neue Bündnisse schmieden und Rätsel aus der Vergangenheit entschlüsseln. Von Freund:innen umgeben könnte Will sich das erste Mal in seinem Leben akzeptiert und geborgen fühlen. Doch was die anderen nicht wissen: Will selbst verbirgt etwas vor ihnen – die Wahrheit darüber, wer er wirklich ist. Jede wache Sekunde ringt er mit der Dunkelheit, die in ihm schlummert, und mit der Angst vor den Reaktionen der anderen, sollte sie jemals die Oberhand über ihn gewinnen.

Nur der verführerische, aber gefährliche James St. Clair kennt Wills Geheimnis – und die Anziehung zu James, macht es Will nicht leichter, gegen das Schicksal anzukämpfen, das ihm prophezeit wurde …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für Johnny Boy

Du hast dich an mich herangeschlichen

und mein Leben verändert.

Ich werde dich vermissen.

DRAMATIS PERSONAE

In London

DIE WIEDERGEBORENEN

WILL KEMPEN

Der wiedergeborene Dunkle König

JAMES ST. CLAIR

In dem Glauben aufwachsend, ein Steward zu sein, wurde James’ wahre Identität im Alter von elf Jahren entdeckt: Er war die Wiedergeburt des tödlichsten Generals des Dunklen Königs, Anharion. James floh aus der Halle der Stewards, um Sinclair bei seinem Unterfangen zu dienen, den Dunklen König wieder zum Leben zu erwecken. Dort erfuhr James, dass Anharion einst ein Krieger des Lichts gewesen war, den der Dunkle König mithilfe eines magischen Halsbands zu seinem Sklaven gemacht hatte. Nachdem Will Simon getötet und James das Halsband zurückgebracht hatte, schwor James, Will zu folgen.

NACHFAHREN

Das Blut der Löwen

VIOLET BALLARD

Als Tochter von John Ballard und seiner indischen Geliebten wurde Violet von ihrem Vater nach London gebracht. Nachdem sie gemeinsam mit Will von Simons Schiff entkommen war, erfuhr sie, dass sie über das Blut der Löwen verfügte. Ihr Vater zog sie groß, damit ihr Halbbruder Tom sie in einem Ritual töten könnte, um seine ›wahre Macht‹ zu erlangen, indem er einen anderen Löwen besiegt. Violet hat geschworen, dass sie im Gegensatz zu ihren Löwenvorfahren nicht dem Dunklen König dienen wird.

TOM BALLARD

Violets älterer Halbbruder, der während ihrer Kindheit als ihr Mentor und Beschützer fungierte. Tom dient Sinclair und ließ sich mit dem S brandmarken, um seine Loyalität zu beweisen. Er hat eine enge Beziehung zu einem weiteren Mitglied von Sinclairs Pseudohofstaat: Devon, das letzte Einhorn.

JOHN BALLARD

John Ballard ist Violets und Toms Vater und arbeitet für Sinclair.

Das Blut der Stewards

CYPRIAN

Cyprian war ein behüteter Novize, der nur wenige Wochen davon entfernt war, seine Prüfung zu absolvieren und ein Steward zu werden, als sein Bruder Marcus in Schattengestalt die Halle angriff und ihre Bewohner massakrierte. Cyprian ist nun der Letzte der Stewards, hat jedoch nie aus dem Kelch getrunken.

MARCUS

Cyprians Bruder Marcus befand sich mit seinem Schildgefährten Justice auf einer Mission, als er von Sinclair gefangen genommen wurde. Sinclair hielt Marcus in einem Käfig am Leben, bis ihn sein Schatten überwältigte, woraufhin er ihn auf die Halle der Stewards losließ.

JUSTICE

Als größter Kämpfer und Held der Stewards rettete Justice Violet und Will von Simons Schiff, der Sealgair, und brachte sie beide in die Halle. Als Justice’ Schildgefährte Marcus zu einem Schatten wurde und die Halle angriff, starb Justice im Kampf gegen ihn.

EUPHEMIA, DIE ÄLTESTE STEWARD

Die Älteste Steward versuchte, Will beizubringen, dem Licht zu folgen, starb jedoch, bevor seine Ausbildung beendet war. Sie besiegte Marcus während seines Angriffs auf die Halle und bat dann Cyprian, sie zu töten, bevor ihr Schatten die Kontrolle über sie ergreifen konnte.

JANNICK, DER HOHE JANITSCHAR

James’ Vater und Cyprians und Marcus’ Adoptivvater. Als Oberhaupt der Janitscharen – der nichtmilitärischen Seite der Stewards – war Jannick ein Mann von großem Wissen, der allerdings auch strenge Prinzipien vertrat. Jannick wurde während des Massakers in der Halle von Marcus getötet.

GRACE

Grace war eine der einzigen beiden Überlebenden von Marcus’ Angriff. Grace’ Rolle als Janitscharin der Ältesten Steward verleiht ihr einzigartiges Wissen und Einblicke in die Geheimnisse der Halle.

SARAH

Sarah war die zweite Überlebende von Marcus’ Angriff. Sie war eine Janitscharin, deren Aufgabe darin bestand, sich um die Pflanzen in der Halle zu kümmern.

Das Blut der Dame

KATHERINE KENT

Da ihre Familie sie drängte, eine vorteilhafte Ehe einzugehen, verlobte sich Katherine mit Simon Creen, dem Sohn des Earl of Sinclair. Als sie herausfand, dass Simon Frauen tötete, floh Katherine zusammen mit ihrer Schwester Elizabeth in die Halle der Stewards. Katherine starb in Bowhill, nachdem sie erfahren hatte, dass Will der Dunkle König ist, und Ekthalion zog, um sich ihm entgegenzustellen.

ELIZABETH KENT

Die zehnjährige Elizabeth wurde von ihrer Schwester Katherine in die Halle der Stewards gebracht. Dort erfuhr sie, dass sie über das Blut der Dame verfügt, als sie während des Angriffs des Schattenkönigs auf die Halle den Baumstein berührte.

ELEANOR KEMPEN

Katherines und Elizabeths Mutter, die sie aufgab, um sie vor Sinclair zu verstecken. Sie zog Will als ihren Sohn auf, obwohl sie wusste, dass er der Dunkle König ist, versuchte vor ihrem Tod aber, ihn umzubringen.

Das Blut des Dunklen Königs

EDMUND CREEN, DER EARL OF SINCLAIR

Einer der reichsten Männer Englands mit einem Handelsimperium, das sich über die ganze Welt erstreckt. Sinclair ist das Oberhaupt eines ›Pseudohofstaats‹ aus Nachfahren mit Kräften aus der alten Welt.

SIMON CREEN, LORD CRENSHAW

Als Sohn und Erbe des Earl of Sinclair plante Simon, den Dunklen König von den Toten auferstehen zu lassen, indem er die Nachfahren der Dame tötete, darunter auch Wills Mutter. Simon wurde in Bowhill von Will getötet.

PHILLIP CREEN, LORD CRENSHAW

Als zweiter Sohn des Earl of Sinclair erbte Phillip nach dem Tod seines Bruders Simon den Titel des Lord Crenshaw.

In der alten Welt

SARCEAN, DER DUNKLE KÖNIG

Als Dunkler König und Anführer der Schattenarmeen schwor Sarcean, nach seinem Tod in die Welt zurückzukehren, und befahl, dass seine Gefolgsleute getötet werden sollten, um mit ihm wiedergeboren zu werden.

ANHARION, DER VERRÄTER

Als größter Kämpfer des Lichts änderte Anharion den Verlauf des Krieges, als er die Seiten wechselte, um für den Dunklen König zu kämpfen. Er war als der Verräter bekannt, war aber durch ein magisches Halsband verzaubert worden.

DIE DAME

Legenden zufolge liebte sie den Dunklen König und tötete ihn. Als der Dunkle König starb und schwor zurückzukehren, bekam sie ein Kind, damit ihre Blutlinie überleben würde, um ihn bei seiner Wiedergeburt zu bekämpfen.

DEVON

Das letzte Einhorn. Als die Menschen Einhörner beinahe bis zur Ausrottung jagten, wurde Devon gefangen. Man schnitt ihm seinen Schwanz und sein Horn ab. Um zu überleben, verwandelte sich Devon in einen Jungen. Tausende Jahre später ist er ein Mitglied von Sinclairs Pseudohofstaat.

VISANDER

Ein Held der alten Welt

PROLOG

Visander wachte mit dem Gefühl auf zu ersticken. Seine Brust war wie zugeschnürt. Er bekam keine Luft. Er hustete und versuchte, Atem zu holen. Wo war er?

Er öffnete die Augen. Doch es war, als wäre er blind, denn er sah nichts. Ob er seine Lider offen oder geschlossen hielt, machte keinen Unterschied. Panisch hob er die Arme und versuchte, sich hochzustemmen. Doch sofort schlug er mit dem Kopf gegen Holz, das sich eine Handbreit oberhalb seines Gesichts befand. Er konnte sich nicht aufsetzen. Er konnte nicht atmen. Der kalte, schwere Geruch von Erde verstopfte seine Nase.

Instinktiv tastete er nach seinem Schwert, Ekthalion, doch er konnte es nicht finden. Ekthalion. Wo ist Ekthalion? Seine tauben, verkrampften Finger stießen zu allen vier Seiten nur auf Holz. Seine flache Atmung wurde noch gepresster. Er lag gefangen in einer kleinen Holzkiste.

Einem Sarg.

Kalte Angst überkam ihn bei dem Gedanken. »Lasst mich frei!« Die Worte wurden von der Kiste aufgesogen, als würde sie sie verschlucken. Gleich darauf kam ihm der kranke, schreckliche Gedanke in den Sinn: Dies war nicht bloß ein Sarg. Es war ein Grab. Man hatte ihn vergraben, und die Erde um ihn herum erstickte seine Rufe.

»Lasst mich frei!«

Die Panik erreichte ihren Höhepunkt. War es das? Sein Erwachen? In einem dunklen, geräuschlosen Loch, während niemand über der Erde wusste, dass er lebte? Er versuchte, sich an die Augenblicke vor seinem Erwachen zu erinnern, an unzusammenhängende Bruchstücke: Ein Ritt auf seinem treuen Ross Indeviel; der Blick aus kühlen blauen Augen der Königin auf ihm, während er seinen Schwur leistete; der scharfe Schmerz, als sie ihm das Schwert in die Brust stieß. Duwirstzurückkehren,Visander.

Hatte sie ihm das hier angetan? Das konnte nicht sein, oder? Er konnte nicht in einem Sarg zurückgekehrt sein, um tief unter der Erde vergraben aufzuwachen, nicht wahr?

Er musste nachdenken. Wenn er begraben war, würde erst Holz und dann Erde über ihm sein. Er musste das Holz durchbrechen und dann graben. Und er musste es jetzt tun, solange er noch Luft und Kraft hatte. Er wusste nicht, wie viel Luft ihm noch blieb.

Er trat gegen das Dach seines Gefängnisses, und entsetzlicher Schmerz schoss durch seinen Fuß. Der zweite Tritt war deutlich panischer. Ein scharfes Knacken bedeutete, dass er das Holz zersplittert hatte. Er konnte seine eigenen keuchenden Atemzüge hören, während er das einsog, was von der dünnen Luft noch übrig war.

Ein weiteres Knacken ertönte und dann noch eins. Erde ergoss sich in den Sarg wie Wasser, das durch ein Leck brach. Für einen Augenblick verspürte er eine Welle des Erfolgs. Dann wurde das Leck schlagartig größer, und alles stürzte in sich zusammen. Kalte Erde strömte in den Sarg und füllte ihn aus. Verzweifelte Panik brach in ihm aus. Er hob hastig die Hände, um seinen Kopf zu bedecken, da er befürchtete, unter den Erdmassen zu ersticken. Er hustete. Die Staubpartikel waren so dicht, dass sie ihm den Atem raubten. Als sich der Staub gelegt hatte, hatte der Erdrutsch seinen Platz im Sarg um die Hälfte reduziert.

Er lag in der kleinen lichtlosen Mulde, die ihm geblieben war. Sein Herz hämmerte schmerzhaft. Er erinnerte sich an den Augenblick, in dem er auf die Knie gegangen war und seinen Schwur geleistet hatte. Ich werde Euer Rückkehrer sein. Die Königin hatte seinen Kopf berührt, während er gekniet hatte. Du wirst zurückkehren, Visander. Aber zuerst musst du sterben. War es fehlgeschlagen? Hatte man ihn versehentlich begraben, weil ihn jene um ihn herum wahrhaftig für tot gehalten hatten? Oder hatte ihn der Dunkle König entdeckt? Hatte er ihn zur Strafe begraben lassen, wohl wissend, dass er zurückkehren würde, nur um dann im Sarg gefangen aufzuwachen?

Er stellte sich die Freude des Dunklen Königs angesichts seiner erstickenden Panik vor. Der Gedanke daran, dass Visander lebendig begraben war, sein Entsetzen unbemerkt, seine Rufe ungehört, würde diesen verdrehten Verstand erfreuen. Der Funken des Hasses in Visander entflammte und brannte hell in der Dunkelheit. Er trieb ihn an, sein Bedürfnis, den Dunklen König zu töten, stärker als sein Bedürfnis zu leben. Er musste sich befreien.

Er griff nach unten an die vordere Seite seines Gewands und riss an etwas, das sich wie Seide anfühlte. Er band sich den Stoff ums Gesicht, um seinen Mund und seine Nase vor der Erde zu schützen, die herabsinken würde, um ihn zu bedecken. Dann atmete er tief ein, sammelte alle Luft, die er bekommen konnte, und schlug dieses Mal mit seiner ganzen verbliebenen Kraft gegen das gesplitterte Holz über ihm.

Erde ergoss sich über ihn und füllte den verbliebenen Raum aus. Er zwang sich dazu, sich nach oben in sie hineinzuschieben, und versuchte, sich durch den Dreck zu graben. Es funktionierte nicht. Er durchbrach die Oberfläche nicht, und nun befand sich überall um ihn herum Erde. Es gab keine Luft mehr, nur noch den erstickenden Druck des Bodens, der einen fauligen Regengeruch absonderte und drohte, sich seine Kehle hinabzuzwingen.

Nach oben. Er musste nach oben gelangen. Doch er war vollkommen desorientiert. Umgeben von pechschwarzer Erde hatte er jegliches Gefühl für oben und unten verloren. Er grub, aber in welche Richtung? Entsetzen überkam ihn. Würde er hier sterben wie ein blinder Wurm, der sich in der Dunkelheit in die falsche Richtung bewegte? Schmerz stach in seine Lunge, und ihm schwirrte der Kopf, als hätte er Dämpfe eingeatmet.

Graben. Er musste graben oder sterben. Er musste an seine Bestimmung denken, das Einzige, was ihn antrieb, das ihn die Panik überwinden ließ und die Tatsache, dass sich seine Gedanken immer stärker verfinsterten, als wären sie in einem Tunnel gefangen, der sich langsam schloss …

Und dann durchstieß seine tastende, greifende Hand die Oberfläche und gelangte ins Freie. Seine Lunge schrie, als er sich verzweifelt in diese Richtung stemmte und schließlich in einer grotesken Wiedergeburt den schlammigen Grund durchbrach. Er presste erst sein Gesicht, dann seinen Oberköper nach draußen und zog sich schließlich aus der Erde.

Er schnappte nach Luft – Luft! – und nahm große, keuchende Atemzüge, die ihn husten und eine schwarze Substanz auswürgen ließen – die Erde, die ihren Weg in seinen Mund und seine Kehle hinunter gefunden hatte. Es dauerte sehr lange, bis das Würgen endlich aufhörte. Sein ganzer Körper verkrampfte sich immer wieder und bebte. Ihm war vage bewusst, dass Nacht war, dass sich unter seinen Fingern Rasen befand und über seinem Kopf die kahlen Äste von Bäumen aufragten. Er lag ausgestreckt auf dem Boden, der ihn eben noch gefangen gehalten hatte, und vergewisserte sich, dass sich die Erde wirklich unter ihm befand. Diese Gewissheit vermittelte ihm eine Freude, die er zuvor nie zu schätzen gewusst hatte. Er hob seinen Unterarm, um sich den Mund abzuwischen, sah die zerrissene Seide, die ihn bedeckte, und verspürte ein seltsames Gefühl der Falschheit.

Als er auf seine Hände hinunterschaute, waren sie nicht nur aufgerissen und blutig, sie waren nicht … seine Hände …

Alles um ihn herum drehte sich schwindelerregend. Er trug ein fremdartiges Gewand, dichte Röcke, die schwer an seinem Körper hingen. Er konnte sich selbst im Mondlicht sehen – diese aufgerissenen, dreckverschmierten Hände waren nicht seine eigenen. Diese Brüste und diese langen blonden Locken gehörten nicht ihm. Dies war nicht sein Körper. Es war der einer jungen Frau, deren Gliedmaßen er kaum kontrollieren konnte. Ein Versuch aufzustehen endete damit, dass er taumelnd zurück auf den Boden fiel.

Licht blitzte auf, und zuerst riss er die Arme hoch, um sich vor der Helligkeit abzuschirmen. Seine Augen waren an nichts gewöhnt, was heller als das schwache Mondlicht war.

Dann schaute er ins Licht auf.

Vor ihm stand ein grauhaariger älterer Mann, der eine Laterne hochhielt. Er starrte ihn an, als hätte er ein Phantom gesehen. Als hätte er jemanden sterben sehen, um ihn dann wiederzutreffen, nachdem der Totgeglaubte sich seinen Weg aus der Erde an die Oberfläche gegraben hatte.

»Katherine?«, fragte der Mann.

1

Will erklomm das Ufer der Lea und spürte, wie ihm sein Magen vor lauter Grauen in die Kniekehlen rutschte.

Er schaute auf die Sumpflandschaft hinaus und konnte nur Ödnis entdecken. Das duftende, feuchte Grün des Mooses und der wogenden Gräser war verschwunden. An seiner Stelle klaffte nun ein Krater aus verbrannter Erde, in dessen Mitte der zerbrochene Torbogen aufragte wie ein Tor zu den Toten.

Kam er zu spät? Waren all seine Freunde tot?

James kam neben ihm zum Stehen. Er saß auf dem schneeweißen Steward-Pferd, das Katherine zurückgelassen hatte. Will konnte nicht umhin, einen Blick zur Seite zu werfen, um James’ Reaktion zu sehen. Nun, da sein blonder Haarschopf unter der Kapuze eines weißen Umhangs verborgen lag, hätte James wie ein Steward aus der alten Zeit aussehen können, der durch die uralten Lande ritt. Doch er war jung, und unter dem Umhang trug er die neueste Londoner Mode. Seine Miene verriet nichts, nicht einmal, als er den Blick auf die Zerstörung richtete, die einst die Halle gewesen war.

Will durfte nicht darüber nachdenken, was er mit James an seiner Seite hier machte. Er hätte nicht zurückkommen sollen. Er hätte James nicht mitbringen sollen. Das wusste er. Er hatte es trotzdem getan. Die Falschheit dieser Entscheidung nahm mit jedem Schritt zu. Er zwang seinen Blick nach vorne und konzentrierte seine Gedanken auf seine Freunde.

Am Rand der verbrannten Erde scheuten die Pferde. Wills schwarzer Wallach Valdithar bewegte den Kopf ruckartig auf und ab, blähte die Nüstern, spürte offenbar verdorbene Magie. Neben ihm versuchte James, sein weißes Steward-Ross zum Weitergehen zu zwingen, während sein Pferd aus London, das er am Zügel hinter sich herführte, stieg und bockte und versuchte, sich loszureißen. Die verschreckten, widerwilligen Pferde waren die einzigen lebendigen Wesen, die über den verkohlten Boden liefen, der von schwach glimmender Asche bedeckt war. Tiefe Stille umgab sie, weil es hier weder lebendige Vögel noch Insekten gab.

Aber der schlimmste Anblick von allen war das Tor.

Die Halle der Stewards sollte durch Magie vor der Welt verborgen sein. Ein Vorübergehender würde lediglich einen einsamen alten Steinbogen sehen, der auf der feuchten Erde langsam verfiel. Man könnte an ihm vorbeigehen oder sogar hindurchgehen und den Sumpf niemals verlassen. Nur jene, durch deren Adern Steward-Blut floss, konnten den Torbogen durchschreiten und sich in den uralten luftigen Gängen der Halle wiederfinden.

Doch nun war der steinerne Torbogen eine klaffende Wunde in der Welt. Nach allen Seiten hin befand sich der leere Sumpf, doch wenn man hindurchschaute … Will konnte die Halle klar und deutlich erkennen.

Sie sah falsch aus, wie eine Verletzung, wie ein Riss.

Es war, als würde man seine Finger gedankenlos in eine Wunde drücken. Er stellte sich vor, wie ein Wanderer im Sumpf seinen Kopf hindurchsteckte und dann Männer aus London herbrachte, um im Inneren herumzuschnüffeln.

»Die Schutzzauber wirken nicht mehr«, sagte James.

Unter der Kapuze seines weißen Umhangs verriet James’ Gesicht nach wie vor nichts, aber die Anspannung seines Körpers übertrug sich auf sein Pferd.

Will umfasste die Zügel fester. Die Wirkung der Schutzzauber war nicht bloß aufgehoben, sie waren von derselben zerstörerischen Macht zerfetzt worden, die auch den Sumpf aufgerissen hatte.

Es gab nur ein Wesen, das so etwas hätte bewerkstelligen können.

Hatte der Schattenkönig, der in Bowhill befreit worden war, die Schutzzauber eingerissen? Hatte er die Halle eingenommen? Hatte er jeden, den Will kannte, getötet?

Und dann folgte ein noch düstererer Gedanke, eine tiefere Angst, die sich in ihm emporwand:

Saß dieses Wesen jetzt in finsterer Boshaftigkeit auf seinem Thron und wartete darauf, ihn willkommen zu heißen?

»Sollen wir?«, fragte James.

Dass sie in der Lage waren, einfach hineinzureiten, fühlte sich so falsch an, dass sich ihm die Haare sträubten. Die Halle sollte nicht so offen und der Außenwelt dermaßen schutzlos ausgeliefert sein. Will wollte, dass ein Steward aus der Düsternis marschierte, und rief: »Halt! Zurück!«

Doch es kam keiner.

»Der einzige Ort, den der Dunkle König nicht erobern konnte«, sagte James. »Und nun könnte er einfach hineinspazieren.«

Will konnte sich nicht davon abhalten, James einen weiteren Seitenblick zuzuwerfen. Doch James hatte seine blauen Augen vollkommen ahnungslos auf den Innenhof gerichtet. Wills eigene Gedanken, eine verworrene Mischung aus Angst und bösen Ahnungen, die er verborgen hielt, waren derweil mit düsteren Fragen beschäftigt. Erfüllte er sich seinen Traum, indem er hier hineinritt, ohne Widerstand zu erfahren? Sein dunkles Verlangen, den letzten Zufluchtsort des Lichts zu erobern?

Es war eine unheimliche Form der Eroberung – ohne die Armeen der Dunkelheit in seinem Rücken, die die Zitadelle in rauchende Trümmer verwandeln und ihre Bewohner mit Gewalt unterwerfen würden. Stattdessen ritten er und James allein durch die offenen Tore. Von den Schlachten der Vergangenheit war nur noch leere Stille übrig, in der das Hufgeklapper ihrer Pferde erschreckend laut widerhallte.

Er sah die Überreste des gewaltigen, verlassenen Innenhofs. Die von enormen Mauern umgebene Zitadelle, die die Stewards als ihre Halle bezeichnet hatten, wurde auf den Schutzwällen nicht länger von Wachen in schimmernden weißen Gewändern patrouilliert. Auch die sanften Klänge der süßen Gesänge und Glocken waren verstummt. Zurück blieben nur Dunkelheit und Leere.

Die Halle gehört jetzt dir – ruiniert und zerstört. Beinahe wütend schleuderte er diesen Gedanken dem Dunklen König entgegen – seinem früheren Ich. War es das, was du wolltest?

Neben ihm trug James eine ausdruckslose Miene zur Schau. James war hier aufgewachsen und hatte dann Jahre mit dem Versuch zugebracht, die Schutzwälle einzureißen. Bewegte ihn, was er sah? Löste es Gleichgültigkeit aus? Zufriedenheit? Angst?

Du kannst doch nicht ernsthaft vorhaben, mich dorthin zurückzubringen. Das hatte James gesagt, während er sich auf dem schmalen Bett des Gasthauses gerekelt hatte. Er sah wie ein teurer Besitz aus und sprach auch wie einer. Aber er hatte so getan, als wäre er Simons Besitz, während er die ganze Zeit über gegen ihn gearbeitet hatte. Und trotz seiner unbekümmerten Haltung hatte die Einladung ihre Grenzen: Anschauen, aber nicht anfassen. Als Will nachgehakt hatte: Du sagtest, du würdest mir folgen, nicht wahr?, hatte James mit gehässiger Belustigung gelächelt. Das wird deinen kleinen Freunden nicht gefallen.

Seine Freunde könnten alle tot sein. Er und James könnten die Einzigen sein, die noch übrig waren, und das war der dunkelste Gedanke von allen. Seine Freunde, die ihn als Will kannten, die dafür sorgten, dass er Will bleiben konnte, weil sie nicht wussten, was er in Bowhill erfahren hatte, als der Boden um ihn herum verrottet war: dass er der Dunkle König war.

Das plötzliche Schlagen einer Glocke zerriss die Stille. James zuckte in Richtung der Mauer.

»Hier ist noch jemand«, sagte Will. Er schwang sich von seinem Pferd, während das Geräusch der Glocke verklang. Aber es fühlte sich wie eine geisterhafte Warnung für eine tote Stadt an, weil die Halle so still und unbewohnt war. Stille sank in seine Knochen und löste in ihm ein kaltes, tiefsitzendes Grauen aus.

»Will!« Er drehte sich um, als sich die große doppelflügelige Tür öffnete, und sah sie die Stufen hinunterlaufen.

Erleichterung. Mit ihrem kurzen lockigen Haar, ihren Sommersprossen und der Kleidung eines Londoner Jungen sah sie genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte.

»Violet!«, rief er, als sie die letzten Stufen der Haupttreppe hinter sich brachte, indem sie zwei auf einmal nahm.

Sie umarmten sich, und er drückte sie fest an sich. Am Leben, du bist am Leben. Es war nicht wie in Bowhill. Sein Versagen auf dem Dark Peak hatte sie nicht getötet, so wie es Katherine getötet hatte.

Doch es war noch mehr als das. In ihren warmen Armen fühlte er sich in dieser Welt verankert, mit Will verankert, nachdem er mit James tagelang durch die geisterhaften Schemen der Vergangenheit geritten war. Es war eine Illusion, an die er so sehr glauben wollte, dass er sie länger festhielt, als er sollte.

Er zwang sich dazu, sie loszulassen, weil sie ihn nicht umarmen würde, wenn sie wüsste, wer er war. Hinter ihr sah er Cyprian, der erleichtert und erfreut wirkte, als er die Treppe herunterkam. In seiner Novizenkleidung war Cyprian ein Musterbeispiel seines Ordens. Sein langes braunes Haar fiel ihm im traditionellen Stil der Stewards locker über den Rücken, und sein gut aussehendes Gesicht erinnerte in seiner Unnahbarkeit an das einer Statue.

In diesem Augenblick sah er so sehr wie ein Krieger des Lichts aus, dass Will für einen Moment dachte, Cyprian würde ihn zweifellos durchschauen. Dass er ihn einfach nur anschauen müsste und es wissen würde, es den anderen verkünden würde: Will ist der Dunkle König. Doch Cyprians grüne Augen waren warm.

»Will!« Violet versetzte ihm auf die für sie typische Art einen Schlag auf die Schulter und sorgte damit dafür, dass Will seine ganze Aufmerksamkeit auf sie richtete. Sie war so stark, dass es ordentlich wehtat, und dass ihn das froh stimmte, fühlte sich wie schmerzhaftes Heimweh an. »Warum bist du weggelaufen? Idiot.«

»Ich werde alles erklären …«, begann Will.

»Und du«, sagte Violet mit freundschaftlicher, entnervter Vertrautheit zu James. »Deine Schwester hat sich große Sorgen gemacht. Sie wird so froh sein, dich wieder bei uns zu haben. Wir sind alle …«

»Ich denke, dass du mich mit jemandem verwechselst«, sagte James und schob die Kapuze seines Umhangs zurück.

Und der anmutige Körper mit dem blonden Haar auf dem weißen Pferd verwandelte sich in den tödlichen, vorzüglichen Jungen, den sie bei ihrer letzten Begegnung noch bekämpft hatten. Er verzog die Lippen in seinem edlen Gesicht ganz leicht, als er sich aus dem Sattel schwang, um sich ihnen entgegenzustellen.

Cyprians Schwert fuhr singend aus der Scheide. Sein Blick war tödlich.

»Du.«

Will war darauf vorbereitet gewesen, dass James es mit einem feindseligen Empfang zu tun bekommen würde. Natürlich hatte er gewusst, dass es den anderen nicht gefallen würde. James hatte den Tod jedes einzelnen Stewards in der Halle verursacht. Will hatte vorgehabt, Widerstand zu leisten. Er hatte sich darauf vorbereitet, ihnen Halbwahrheiten über sich selbst zu erzählen und sich mit ruhigen Worten für James einzusetzen, der hier war, um ihnen zu helfen, Sinclair aufzuhalten.

Doch im hektischen Durcheinander der letzten paar Tage hatte Will nicht darüber nachgedacht, was James’ Anblick in Cyprian auslösen würde.

Nun stand Cyprian dem Mörder seines Bruders gegenüber. Sein Gesicht war blutleer, doch seine Hände waren ruhig, weil Stewards täglich mehrere Stunden trainierten, damit ihre Schwerthand niemals zitterte.

»Cyprian …«, sagte Will.

Cyprian hielt den Blick reglos auf James gerichtet. »Wie kannst du es wagen, hierher zurückzukommen?«

»Bekomme ich etwa keinen warmen Empfang?«, fragte James.

»Du willst einen Empfang?«

Cyprians Schwert bewegte sich bereits in einem tödlichen Bogen, dazu gedacht, James in zwei Hälften zu schneiden. »Nein!«, rief Will, als James’ Macht aufflammte und Cyprian zurückschleuderte.

Cyprian prallte gegen die Mauer. Sein Gesicht war verzerrt, sein Schwert fiel scheppernd zu Boden. Die Luft knisterte aufgeladen, während Cyprian heftig gegen die unsichtbare Kraft von James’ Macht ankämpfte, die ihn an Ort und Stelle hielt.

»Also wirklich«, sagte James mit funkelnden Augen. »Das ist wohl kaum gastfreundlich, kleiner Bruder.«

»Nimm deine schmutzige Magie von mir, du Missgeburt«, verlangte Cyprian.

»Hört auf.« Zwischen sie zu treten war, als würde man in einen Wirbelsturm treten. Die Macht tobte in der Luft um ihn herum. »Ich sagte: Aufhören.« Will zwang sich vorwärts. Er legte eine Hand auf James’ Brust und umfasste mit der anderen seinen Hals. Er war nur ein paar Zentimeter größer als James. Doch es reichte aus, um ihn dazu zu bringen, zu Will hochzuschauen.

»Lass deine Magie ruhen«, befahl er.

»Ruf deinen dressierten Steward zurück«, erwiderte James und ließ den Blick auf Will gerichtet.

Will zögerte nicht. Er behielt James fest im Griff und schaute ihm unverwandt in die Augen, deren Pupillen durch die Magie geweitet waren. »Violet, halte ihn zurück.«

Hinter sich hörte Will Cyprian fluchen und wusste, dass Violet seiner Aufforderung nachkam. Eine Sekunde später verschwand das statische Knistern aus der Luft. Will ließ James nicht los, auch dann nicht, als er Violets Stimme hinter sich vernahm.

Sie klang ernst. »Will, was macht er hier?«

Er zwang sich dazu, sich daran zurückzuerinnern, wie James im Gasthaus geschworen hatte, ihm zu folgen. »Er ist hier, um uns zu helfen.«

»Dieses Ding wird uns nicht helfen«, sagte Cyprian.

»Wobei soll er uns helfen?«, wollte Violet wissen.

Schließlich ließ Will James los und drehte sich herum, um festzustellen, dass Violet Cyprian immer noch gegen die Steinmauer am Fuß der Treppe drückte.

»Am Leben zu bleiben«, sagte James. »Wenn Sinclair hier auftaucht.«

»Sinclair?« Violet klang misstrauisch und verwirrt. »Nicht Simon?«

Er musste ihr so viel erzählen. Er konnte immer noch den beißenden Gestank der verbrannten Erde riechen und die schwarze Klinge sehen, die aus ihrer Scheide glitt, wann immer er die Augen schloss.

»Simon ist tot.« Mehr sagte Will nicht. »Sein Vater ist derjenige, gegen den wir kämpfen.« Sinclair, der das alles geplant hatte. Sinclair, der James als Jungen aufgenommen und ihn dazu erzogen hatte, Stewards zu töten. Sinclair, der den Befehl gegeben hatte, Wills Mutter zu töten.

»Tot?«, fragte Violet. Als hätten die Stewards Will nicht genau dafür ausgebildet. Als hätte seine Begegnung mit Simon auf irgendeine andere Weise ausgehen können. Als stünde er nun lebend hier vor ihnen, wenn es so gewesen wäre. »Dann …«

»Ich habe ihn getötet.«

Die Worte waren tonlos. Sie beschrieben nicht, was an diesem Berghang passiert war. Nicht die Vögel, die vom Himmel fielen, nicht das Blut, das aus Simons Brust sprudelte. Auch nicht den Moment, in dem Will aufgeschaut und Simon in die Augen gestarrt und gewusst hatte …

»Ich tötete die drei Relikte, dann tötete ich ihn.«

Er wusste, dass er anders klang. Er konnte nicht derselbe sein – nicht nachdem er Simon auf dem verfluchten Stück Erde, auf dem seine Mutter vor Jahren verblutet war, das Schwert in die Brust gerammt hatte. Die Schattenkönige hatten wie Zeugen über ihnen gehangen.

»Aber … wie?«, wollte Violet wissen.

Was konnte er ihr erzählen? Dass Simon Ekthalion gezogen und Will den Angriff überlebt hatte, weil er der Meister der Waffe war?

Oder dass Simon am Ende überrascht gewirkt hatte, dass seine Augen weit aufgerissen gewesen waren, als er gestorben war, weil er, selbst als das Leben aus ihm herausströmte, nicht begriffen hatte, wer ihn getötet hatte?

Du bist er. Das waren Katherines letzte Worte gewesen. Der Dunkle König.

»Er ist vom Blut der Dame.« James’ gedehnte Stimme durchschnitt die Stille. »Dafür habt ihr ihn ausgebildet, oder etwa nicht? Um Leute zu töten.«

James wusste es auch nicht. James glaubte, dass er ein Held war, obwohl in Wahrheit Katherine vom Blut der Dame gewesen war. Und sie war nun tot, ihr Gesicht wie zu weißem Marmor erstarrt.

»Ich werde euch alles erzählen«, sagte Will. »Sobald wir drinnen sind.«

Doch das würde er nicht tun. Er hatte von Katherine erfahren, dass er es nicht konnte. Sie war in Bowhill gestorben, weil sie herausgefunden hatte, was er war, und ein Schwert zog, um ihn zu töten.

Darunter lag eine ursprünglichere Erinnerung: Die Hände seiner Mutter um seine Kehle, sein verzweifeltes Ringen nach Luft, seine verschwimmende Sicht.

Mutter, ich bin’s! Mutter, bitte! Mutter …

»Er wird keinen Fuß in die Halle setzen.« Cyprian hatte den Blick fest auf James gerichtet.

»Wir brauchen ihn.« Will hielt seine Stimme ruhig.

»Er tötete uns«, beharrte Cyprian. »Er tötete uns alle. Er ist der Grund, aus dem die Halle ungeschützt ist …«

»Wir brauchen ihn, um Sinclair aufzuhalten.«

Genau das hatte er immer sagen wollen. Weil er wusste, dass es bei Cyprian funktionieren würde, der stets seine Pflicht tat.

Aber nun, da er an Cyprians Augen erkannte, wie aufgebracht er war, und Violet ihn in dem Versuch, es zu verstehen, anstarrte, war es anders.

»Er ist Sinclairs Auftragsmörder«, sagte Cyprian. »Ein Verräter ohne Gefühle oder Reue. Er tötete meinen Vater, seinen eigenen Vater, riss ihn in Stücke und benutzte meinen Bruder, um es zu tun …«

»Schau dich um«, sagte Will. »Denkst du ernsthaft, dass Sinclair sich nun, da die Halle ungeschützt ist, nicht auf sie stürzen wird? Die Letzte Flamme? Den Unsterblichen Stern? Jeder kann hier einfach reinspazieren.« Er verletzte sie, indem er James herbrachte. Das wusste er. Doch seine eigene Anwesenheit war noch schlimmer. Damit spuckte er der Halle förmlich ins Gesicht. »Du willst Sinclair aufhalten? Mit James kannst du es.«

In Cyprians grünen Augen blitzte wütende Machtlosigkeit auf. Makellos in seinem silbernen Novizengewand sah er wie der Inbegriff eines Stewards aus.

Aber die Zeit der Stewards war vorbei. Ohne James konnten sie nicht gegen Sinclair bestehen. Das musste Will im Vordergrund seines Verstands behalten.

»Du glaubst wirklich an ihn?«, fragte ihn Violet.

»Das tue ich.«

Nach einem langen Moment holte Violet tief Luft und wandte sich an Cyprian. »James war Sinclairs engster Verbündeter. Wenn er sich gegen seinen Herrn gewandt hat, sollten wir das nutzen. Will hat recht. Sinclair hat es auf die Halle abgesehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er hier auftaucht. Wir brauchen jeden Vorteil, den wir bekommen können.«

»Das genügt also?«, hakte Cyprian nach. »Du vertraust ihm einfach?«

»Nein«, sagte Violet. »Ich vertraue ihm kein bisschen. Und wenn er versucht, irgendwem von uns zu schaden, werde ich ihn umbringen.«

»Entzückend«, kommentierte James.

»Sie macht dich nur darauf aufmerksam, damit du gewarnt bist«, sagte eine Stimme vom oberen Ende der Treppe aus. »Das ist mehr, als man von dir behaupten kann, denn du hast uns nie gewarnt.«

Grace stand in ihrem blauen Janitscharinnengewand in der offenen Tür. Sie war eine der zwei Janitscharinnen, die den ersten Angriff auf die Halle überlebt hatten. Die andere, Sarah, musste diejenige gewesen sein, die die Glocke geläutet hatte, dachte Will. Im Gegensatz zu den anderen hieß Grace Will nicht wieder bei ihnen willkommen. Sie begrüßte ihn nicht einmal mit Namen.

»Wenn ihr mit euren Zankereien fertig seid, gibt es da etwas, das ihr euch ansehen müsst«, sagte Grace.

»Hast du Angst davor, dich dem zu stellen, was du angerichtet hast?«, fragte Cyprian.

Sie standen vor dem klaffenden Maul des Haupteingangs, wo die ersten der zerfallenden hohen Türme aufragten. Einst war die Zitadelle ein endloses Gewirr aus gewaltigen Bögen, gewölbeartigen Kammern und steinernen Gebäuden gewesen. Nun war sie ein dunkles, makabres Labyrinth. Will und die anderen hatten es seit dem Massaker vermieden, in irgendeins ihrer Gebäude zu gehen. Stattdessen waren sie in der Torfestung an der äußeren Mauer geblieben, um sich von den inneren Durchgängen fernzuhalten, in denen sich ihnen sofort der Magen umdrehte. Nachdem sie sie nach dem Gemetzel gesehen hatten, wollte diese Wege keiner mehr beschreiten.

James betrachtete den Eingang. Er schien mehr ein Teil dieses alten Ortes zu sein als jeder andere. Seine Schönheit war wie eins der verlorenen Wunder dieser Umgebung. Doch er verzog angewidert die Lippen.

»Als sie mich aus der Halle vertrieben, schwor ich ihnen, dass ich zurückkehren würde, um über ihre Gräber zu laufen.«

»Dann wird dein Wunsch wahr werden«, sagte Grace und verschwand in der Finsternis jenseits der Türen.

Ein Schritt ins Innere genügte, um Will würgen zu lassen, und er hob einen Arm, um Mund und Nase zu bedecken. Sie hatten die Leichen fortgebracht, aber hier drinnen stank es immer noch nach altem Blut und Verfall. Nach den Überresten, zu deren Entfernung sie sich nicht hatten durchringen können.

Grace wartete auf ihn. In ihrem Blick lag grimmiger Pragmatismus. Für sie war es schlimmer, dachte er. Dies war ihr Zuhause gewesen, ihr ganzes Leben. Für ihn war es lediglich …

Eine Person, die er niemals sein konnte, ein Zuhause, das er niemals haben konnte.

Sogar James hielt inne, als sie die große Halle erreichten. Die Leichen waren fort, doch die Zerstörung war geblieben: die zerrissenen Banner, die zerborstenen Möbel, die hastig errichtete Barrikade, die die Stewards nicht geschützt hatte. Cyprian verzog das Gesicht und starrte James an.

»Bewunderst du dein Werk?«, fragte er.

»Du meinst Marcus’ Werk.«

James hob den Blick ruhig zu Cyprian, und Will musste erneut einschreiten. Während er sie auseinanderhielt, hatte er das Gefühl, James abzuschirmen, obwohl James eigentlich eine Art Schild für ihn war. Als Gefolgsmann des Dunklen Königs war James derjenige, der ihren Hass auf den Dunklen König zu spüren bekam.

»Hier entlang.« Grace hatte eine Fackel aus einer der Wandhalterungen genommen. Sie hielt sie hoch, während sie sprach, und drang tiefer durch den Wald aus weißen Säulen in die große Halle vor.

Am hinteren Ende ragten die Throne der vier Könige auf. Jeder war mit einer Schnitzerei versehen, die das Symbol des jeweiligen Königreichs darstellte. Die leeren Throne starrten mit verlorener Erhabenheit auf sie herab. Sie waren für Persönlichkeiten erschaffen worden, die sehr viel bedeutender waren als irgendwelche Könige oder Königinnen der Menschen. Die Sonne, die Rose, die Schlange und der Turm.

In einer unbehaglichen Prozession schritten sie auf sie zu.

»Der Dunkle König wollte diese vier Throne mehr als alles andere«, sagte James.

»Nein«, widersprach Will. Als sich die anderen überrascht zu ihm umdrehten, hörte er sich sagen: »In seiner Welt würde es keine vier Throne geben. Es würde nur einen geben.«

Ein bleicher Thron, der aufragte, um die Welt auszulöschen. Er sah ihn vor seinem geistigen Auge. Er war Teil der Vision, die ihm die Schattenkönige gezeigt hatten, und gleichzeitig ein Überbleibsel seiner eigenen halb vergessenen Träume.

Sie blieben am Rand eines großen Risses stehen, eines unermesslich tiefen Lochs im Boden. Erst als Grace die Fackel darüberhielt, erkannte Will, dass es kein Abgrund war. Es war der Überrest eines Schattenkönigs, dessen entsetzliche Gestalt sich in den Marmor eingebrannt hatte und nun aussah wie eine Grube, in die sie alle fallen könnten. Die Hand des Schattenkönigs war in Richtung seines Throns ausgestreckt, als würde er danach greifen wollen.

Will schaute zu Violet. Sie umklammerte ihren Schild so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Als sie zu ihm aufsah, waren ihre Augen voller Schatten.

Für einen Moment teilten sie eine wortlose Erkenntnis. Während er die Schattenkönige auf dem Hügel bekämpft hatte, hatte sie einen Schattenkönig im Herzen der Halle bekämpft. Er verspürte die gleiche Verbindung zu ihr, wie damals, als sie ihm das Leben gerettet hatte, indem sie ihn von einem sinkenden Schiff gezerrt hatte.

Er wollte ihr erneut mitteilen, wie froh er war, sie zu sehen, dass sie sein Stern in der Nacht war. Dass er als Kind nie wirklich Freunde gehabt hatte und so froh war, dass sie seine erste Freundin war. Dass er nicht vorgehabt hatte, diese Freundschaft in Verrat zu verwandeln. Dass es ihm leidtat, dass der Junge, mit dem sie befreundet gewesen war, nicht echt war.

»Als er kam, wurde der Himmel schwarz«, sagte Grace. »Es war so dunkel, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Wir zündeten Lampen an, damit wir die Pferde satteln konnten, aber selbst sie konnten die Dunkelheit kaum durchbrechen. Wir konnten ihn hören, Kreischen und Schreie, die aus der großen Halle kamen. Violet kam her, um ihn zu bekämpfen und uns Zeit zu verschaffen.«

Natürlich hatte Violet das getan. Violet hätte auf jeden Fall gekämpft, selbst wenn sie wusste, dass der Kampf hoffnungslos war. Will erinnerte sich an die entsetzliche Macht der Schattenkönige und versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, sich einem von ihnen nur mit einem Schwert bewaffnet zu stellen.

»Wir stiegen gerade auf die Pferde, als ein Schrei ertönte, so laut, dass sämtliche Fenster der Halle zersplitterten. Die Dunkelheit verflüchtigte sich, als wäre plötzlich der Morgen angebrochen. Wir unterbrachen unsere Flucht und kamen her, in die große Halle. Wir sahen, was ihr jetzt seht: den gefallenen Schattenkönig, dessen Körper sich in den Boden eingebrannt hat.«

»Du hast einen Schattenkönig aufgehalten?« Trotz all seiner Macht wirkte James aufrichtig schockiert. »Wie?«

»Genauso wie ich dich aufhalten werde, falls du aus der Reihe tanzt.«

Violet starrte ihn an, ohne zu blinzeln. James öffnete den Mund, doch Grace kam ihm zuvor.

»Dies ist nicht unser Ziel, sondern nur eine Zwischenstation«, sagte sie. »Kommt.«

Will erkannte schnell, wohin Grace sie führte.

Es fühlte sich wie eine kranke Parodie seines ersten Morgens hier an, als ihn Grace durch genau diese Gänge geführt hatte, damit er die Älteste Steward treffen konnte. Die Architektur der Halle wurde älter, das Gestein dicker. Er wollte jetzt nicht dorthin zurückkehren, in das tote Herz einer toten Halle. Die schwarzen, toten Äste des Baumsteins hatten ihn stets verstört. Sie hatten ihn an sein Versagen erinnert, ihre Verästelungen waren …

… wie die schwarzen Adern gewesen, die sich auf Katherines Körper ausgebreitet hatten, auf ihrem kreidebleichen Gesicht und in ihren starren steinschwarzen Augen …

Und dann bogen sie um die Ecke, und er sah den Baum des Lichts.

Wiedergeboren, erneuert, als würde die Luft selbst vor Leben glühen. Äste, an denen schwebende, glühende Fäden leuchteten wie Sternenlicht, verströmten eine wundersame Fülle an Helligkeit.

Der Baum war das Symbol der Dame, Leben in der Dunkelheit, eine Verkündung ihrer Macht.

Er konnte nicht anders. Er wurde regelrecht davon angezogen. Es war, als würde er die ersten grünen Triebe in einer verlassenen Ödnis sehen, und noch mehr als das: ein Versprechen von Hoffnung und Erneuerung.

»Du hast den Baum zum Leuchten gebracht«, sagte James mit ehrfurchtsvoller Stimme.

»Nein«, widersprach Will. »Das war ich nicht.«

Er dachte an all die Male zurück, die er es versucht hatte. Das Licht befand sich nicht im Stein. Es befand sich in ihr, hatte die Älteste Steward gesagt.

Es hatte sich nie in ihm befunden.

Es war so schön. Er streckte die Hand danach aus, weil er einfach nicht anders konnte, und legte sie an den Stamm. Halb rechnete er damit, dass das Licht schwinden würde, so wie die Dunkelheit die Sonne verfinsterte – oder dass er Schmerzen empfinden würde, dass ihm das Licht das Fleisch von den Knochen brennen würde. Stattdessen spürte er, wie sich seine Wärme pochend in seinem Körper ausbreitete. Es fühlte sich wie ein Traum an, wie ein längst vergessener Trost. Er schloss die Augen und ließ das Licht in sich hineinströmen. Die sanfte Freude des Friedens, der Zuneigung und der Akzeptanz, und er sehnte sich danach, wie sich ein verlorener Junge nach seinem Zuhause sehnt.

Dann erklang die Stimme eines Mädchens. »Was haben Sie mit meiner Schwester gemacht?«

2

Will erschrak und wich schuldbewusst von dem Baum zurück.

Elizabeth hatte die Füße fest in den Boden gestemmt und die Hände zu Fäusten geballt. Sie starrte ihn wutentbrannt an.

Sie hatte ihrer Schwester nie geähnelt. Katherine war schön gewesen mit den goldenen Ringellocken und großen blauen Augen einer Porzellanpuppe. Elizabeth hatte schlaffes mattbraunes Haar. Ihre Augenbrauen waren dunkel und in schrecklicher Missbilligung verzogen. Unter ihrem wütenden Blick lag angespanntes Grauen, als hätte sie schon fast erraten, was passiert war.

Er musste ihr mitteilen, dass ihre Schwester tot war. Er konnte die Erinnerung an Katherines kreidebleiches Gesicht, das von schwarzen Adern durchzogen war, nicht aus seinem Kopf verbannen. Immer noch spürte er ihren steinkalten Körper unter seinen Händen und vernahm den überwältigenden torfigen Geruch der aufgerissenen Erde, als blutete das Land. Will, ich habe Angst.

Er versuchte zu überlegen, was er von ihr hätte hören wollen, wenn er sich in ihrer Lage befunden hätte. Er wusste es nicht. Er hatte nicht viel Erfahrung mit Trost. Er wusste, dass Elizabeth viel Wert auf die Wahrheit legte. Also gab er sie ihr.

»Sie ist tot«, sagte Will. »Sie starb im Kampf gegen den Dunklen König.«

Der Baum leuchtete immer noch strahlend hell, während er sprach. Es fühlte sich an, als sollte es auf jeden Fall flackern. Katherine wäre von diesem Ort entzückt gewesen. Sie hatte schöne Dinge geliebt. Aber sie hatte nie die Gelegenheit gehabt, ihn zu sehen. Die Halle, in die er sie gebracht hatte, war dunkel und tot gewesen.

»Sie lügen.«

Das stimmte nicht. Er hatte ihr die Wahrheit gesagt, wenn auch nicht über seine Rolle in der ganzen Sache. Ihm war bewusst, dass ihn die anderen im Raum beobachteten. Sie hörten diese Geschichte zum ersten Mal. Er musste vorsichtig sein, sehr vorsichtig.

»Sie erahnte, wohin ich unterwegs war«, sagte Will. »Und sie folgte mir aus der Halle. Sie fand mich in Bowhill.«

Sie hatte ihn mit Simons Blut an den Händen in einem Krater aus verbrannter Erde gefunden. Er hatte nicht klar denken können. Wäre er dazu in der Lage gewesen, hätte er vielleicht …

»Sie war tapfer. Sie versuchte, das Richtige zu tun. Sie zog die Klinge, um den Dunklen König zu bekämpfen. Doch die Klinge tötete sie. Nichts kann überleben, sobald die Klinge gezogen wurde«, schloss er.

Es gab so vieles, was er ihr nicht erzählen konnte. Er konnte ihr nicht erzählen, dass ihre Schwester die Klinge gezogen hatte, um sie gegen ihn zu richten. Du bist er.Der Dunkle König. Er konnte ihr nicht erzählen, dass ihre Schwester voller Schmerzen und Angst gestorben war.

Ich versuchte, sie aufzuhalten, und konnte es nicht. Sie glaubte mir nicht, als ich sie anflehte, das Schwert nicht zu ziehen.

»Ich legte ihren Leichnam in das Bauernhaus meiner Mutter und schickte nach eurem Onkel. Er kam mit eurer Tante, um sie zu beerdigen.«

Er hatte zusammen mit James in dem Gasthaus in Castleton gewartet, bis Katherines Familie eingetroffen war. Ihr Onkel und zwei Männer, die Will nicht erkannte, waren aus einer gemieteten Kutsche gestiegen. Er hatte sie aus einiger Entfernung beobachtet und darauf geachtet, dass sie ihn nicht sehen konnten. Sie waren ins Haus seiner Mutter gegangen und hatten Katherine wie in einer Beerdigungsprozession nach draußen unter den grauen Himmel getragen.

Es hatte sich wie das Ende eines weiteren Lebens angefühlt. Seit er sie das erste Mal in der Bond Street gesehen hatte, wo sie nach einer Kutsche Ausschau gehalten hatte, war sie Teil des Traums gewesen, was hätte sein können – des Traums von Wärme und Hoffnung und Familie. Und auf diesem zerstörten Hügel hatte er gedacht, dass dies ein Traum war, den er nie wieder haben würde.

»Warum haben Sie überlebt?«, fragte Elizabeth. Ihre Augen waren gerötet, und sie hatte die Hände zu noch festeren Fäusten geballt.

Die feinen Härchen auf seinen Armen stellten sich auf. »Was?«

»Warum haben Sie überlebt? Wenn nichts überleben kann, sobald die Klinge gezogen wurde?«

Ihre erbarmungslose kindliche Logik traf ihn bis ins Mark. Sie hatte das Gesicht zu einer sturen Miene verzogen. Er erinnerte sich daran, dass sie ihn in jener Nacht ebenfalls durchschaut hatte. Ich wusste, dass Sie sich davonschleichen würden. Sie sind ein unehrlicher Schuft. Er sprach mit Bedacht.

»Ich kann es berühren«, sagte Will. »Ich hatte es zuvor schon einmal berührt. Auf einem Schiff.« Er konnte ihr nicht den Grund dafür nennen. Die anderen waren im Raum und hörten zu.

»Sie lügen«, beharrte sie. »Sie haben irgendwas gemacht.«

»Elizabeth«, sagte Violet sanft und trat vor. »Will hat dir erzählt, was passiert ist. Er hätte es verhindert, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Das hätte jeder von uns getan.«

»Sie haben sie in London ausfindig gemacht.« Elizabeths Fäuste wurden immer fester. »Sie haben ihr nachgestellt.«

»Es ist nicht seine Schuld«, sagte Violet.

»Doch, es ist seine Schuld«, sagte Elizabeth an ihn gewandt, am ganzen Körper bebend. »Es ist seine Schuld – wenn er nicht gewesen wäre, wäre sie nicht hergekommen. Sie bedeutete ihm nichts, er schlich nur heimlich herum und versuchte, an Simon heranzukommen! Er brachte sie dazu herzukommen. Er brachte sie dazu, ihm zu folgen!« Sie verzog das Gesicht und schleuderte ihm ihre Worte entgegen. »Wäre sie Ihnen niemals begegnet, wäre sie jetzt nicht tot!«

Die Hände in ihren Röcken vergraben, rannte sie aus dem Raum.

»Elizabeth …«, rief Will und wollte ihr nachlaufen, doch Grace hielt ihn zurück. Sarah folgte Elizabeth bereits schnell nach draußen.

»Lass sie gehen«, sagte Grace. »Es gibt nichts, was du ihr sagen könntest. Sie hat ihre Schwester verloren.«

Katherine war auch seine Schwester gewesen, oder zumindest war sie für ihn das gewesen, was einer Schwester am nächsten kam. Aber das waren Worte, die er nicht sagen konnte. Er schloss kurz die Augen.

»Ich wollte nur …« Er war in jenen Tagen nach dem Tod seiner Mutter so einsam gewesen, ohne eine Ahnung, was er tun sollte. Er erinnerte sich an jene erste Nacht, die er zusammengekauert in einem hohlen Baumstumpf verbracht, während er seine blutende Hand umklammert hatte. »Sie sollte nicht allein sein.«

»Sarah wird bei ihr sein«, sagte Grace. Weitere Worte hingen unausgesprochen in der Luft: Sie sollte nicht bei jemandem sein, den sie für den Mörder ihrer Schwester hält.

Das wusste er. Er wusste, dass er nicht derjenige sein sollte, der ihr hinterherlief. Er spürte, wie falsch das war. Aber die Kent-Schwestern waren die Töchter seiner Mutter … ihre wahren Töchter. Er spürte den schmerzhaften Keil, der sich in die Stelle bohrte, an der Familie hätte sein sollen, während er zum Licht des Baums hinaufschaute.

»Elizabeth brachte den Baum zum Leuchten, nicht wahr?«

Violet nickte. »Es geschah, als wir hierherflohen, zufällig. Sie stolperte und berührte ihn mit ihrer Hand, und er fing an zu leuchten.«

»Das Mädchen hat das bewerkstelligt?«, entfuhr es James.

Cyprian und Violet wechselten einen Blick voller Unbehagen über James’ Anwesenheit. Sie wollten nicht, dass er ihre Geheimnisse erfuhr. Will ignorierte sie. Er erzählte James ganz bewusst die Wahrheit.

»Sie ist vom Blut der Dame«, sagte Will. »Wie Katherine.«

»Wie du«, fügte Grace hinzu.

Sie verstand es immer noch nicht. Keiner von ihnen verstand es. Vielleicht war es so schrecklich, dass sie sich nicht vorstellen konnten, Will könnte der Kuckuck im Nest sein.

Er konnte die Hände seiner Mutter um seine Kehle spüren. Tu meinen Mädchen nichts an.

»Wenn Elizabeth vom Blut der Dame ist, könnte sie zu deiner Familie gehören. Vielleicht ist sie deine Cousine oder deine Schwester«, sagte Grace. »Erwähnte deine Mutter je ein weiteres Kind?«

Das kam der Wahrheit zu nah. »Sie erwähnte nie etwas dergleichen.«

Er erfuhr es erst kurz vor ihrem Ende. Will zwang sich dazu, sich von dem Baum abzuwenden. Er ballte die Faust um die Narbe in seiner Handfläche und kehrte dem Licht den Rücken zu. »Wir haben gesehen, was du mir zeigen wolltest.«

Er machte einen Schritt auf die Tür zu, wurde dann aber von einer Hand auf seiner Schulter aufgehalten.

»Nein«, sagte Grace und hielt ihn erneut zurück. »Der Baum des Lichts ist nicht der Grund, warum ich dich hergebracht habe. Da ist noch etwas anderes.«

Etwas anderes?

Violet und Cyprian, die neben Grace standen, sahen so überrascht aus, wie Will sich fühlte. Doch Grace klärte sie nicht auf. Sie wartete einfach ab und schaute ihn erwartungsvoll an. Dann fuhr sie endlich nach langem Schweigen fort.

»Will«, sagte sie. »Was ich dir nun zeigen muss, ist eine der privatesten Angelegenheiten der Halle.«

Grace führte das nicht weiter aus. Sie schaute James nicht an, aber er war eindeutig der Grund dafür, dass sie sich zurückhielt. Der Geliebte des Dunklen Königs lungerte in der Nähe der Tür herum.

»Damit meinst du wohl, dass ich verschwinden soll?«, fragte James höflich und bleckte die Zähne.

»Nein. Wir stecken da zusammen drin«, sagte Will. James’ Augen blitzten überrascht auf. »Wir alle.«

Cyprian und Violet wechselten erneut einen Blick. Will starrte seine Freunde herausfordernd an.

»Also gut«, war alles, was Grace dazu sagte.

Sie ging zur hinteren Wand, hob die Hände und legte sie auf das Gestein. Sie fügten sich in glatte Andrücke ein, als hätten vor ihr schon viele Hände genau diese Stelle berührt und das Gestein so mit der Zeit abgenutzt.

»Das hier wollte ich euch zeigen«, sagte Grace. »Nicht den Baum. Sondern das, was darunter liegt.«

»Darunter?«, hakte Will nach.

Grace drückte gegen die Wand, und mit dem knirschenden Geräusch alter Mechanik teilten sich die Steine unter ihren Füßen, bis sie am oberen Ende einer schmalen Steintreppe stand, die scheinbar endlos weit nach unten führte.

»Ich habe noch nie davon gehört, dass sich unter diesem Raum noch ein weiterer befindet.« Cyprian war einen Schritt zurückgewichen.

»Nur die Älteste Steward und ihre Janitscharinnen wissen davon«, erklärte Grace und bedeutete Will, die Treppe hinunterzusteigen. »Das ist eines der letzten Geheimnisse des Lichts. Eine Erinnerung daran, dass das, was wir sehen, nur ein kleiner Teil dessen ist, was vorhanden ist.«

Will ging als Erster die Stufen hinunter. Auf halbem Weg nach unten hielt er angesichts dessen, was er sah, ehrfürchtig inne.

Ein durchscheinendes Licht durchtränkte die Wände, die Gewölbedecke, sogar die Luft, während sich die sanft glühenden Wurzeln des Baums verschlungen nach unten wanden und den Raum mit ihren tausend schimmernden Strängen in Helligkeit tauchten. Ein sanfter, warmer Frieden durchwirkte die Luft, als könnte das wundersame Licht nähren und wiederherstellen und alles heilen, was es berührte.

»Ich dachte, dass ich alles über die Halle wüsste«, hauchte Cyprian mit schockierter Andacht hinter ihm.

»Tatsächlich?«, meinte Grace. »Aber das Licht hat immer noch seine Wunder, selbst nach all dieser Zeit.«

In der Mitte des Raums befand sich ein einfacher Sockel, in den Worte in der alten Sprache eingemeißelt waren. Darüber hingen die Wurzeln des Baums herunter wie glühende Stalaktiten. Will trat vor und strich mit den Fingerspitzen über die Worte.

»Die Vergangenheit schreit auf«, las er leise, »doch die Gegenwart kann nichts hören.« Sofort überkam ihn ein Schauer.

Auf dem Sockel stand eine kleine steinerne Schatulle. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit darauf. Die Steinschatulle war so unauffällig und der Baum darüber so gewaltig.

»Was ist dadrin?«, fragte er.

»Der Ältestenstein«, sagte Grace.

Er bekam kaum mit, wie die anderen hinter ihm die Treppe herunterstiegen. Er konnte die Heiligkeit dieses Ortes spüren. Es war ein Ort von großer Macht, und doch konnte er den Blick nicht von der Schatulle lösen.

Er machte einen Schritt darauf zu. »Was bewirkt er?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen.« Grace sagte es ganz sachlich.

Er starrte sie schockiert an. »Du hast ihn noch nie gesehen?«

»Er ist das bedeutendste Relikt der Halle und wird von einer Ältesten Steward zur nächsten weitergegeben«, sagte Grace. »Abgesehen von den Ältesten Stewards hat noch nie jemand die Schatulle geöffnet.«

Die Luft, die sie umgab, hatte ihren ganz eigenen Geschmack, ihr ganz eigenes Aroma, was selbst in all dem summenden Licht der Wurzeln des Baums auffiel. Violet und Cyprian schienen es nicht zu bemerken. Sogar Grace wirkte ahnungslos. Könnt ihr es nicht spüren?, fragte er beinahe. Nur James reagierte so wie er auf die Steinschatulle. Er hatte die Augen fest auf sie gerichtet und atmete flach.

»Das ist Magie«, sagte James. Will fragte sich, ob sich Magie immer so anfühlte, wie ein Schauer unter der Haut, ganz kribbelig und belebend.

Grace deutete auf die Schatulle. »Sie bat mich, ihn dir zu geben.

»Mir?«, fragte Will.

»Sobald der Baum des Lichts zu leuchten beginnen würde.«

Natürlich. Die Älteste Steward hatte geglaubt, dass er vom Blut der Dame war. Sie hatte den Ältestenstein für die Person hinterlassen, die den Baum zum Leuchten gebracht hatte. Und er würde ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen an sich nehmen, so wie er sich auch alles andere genommen hatte.

Er konnte sehen, wie die anderen auf seine Reaktion warteten. Violet stand am nächsten an der Treppe, Cyprian war dicht neben ihr, und James befand sich einen Schritt weiter im Inneren des Raums. Sie alle schauten ihn mit unterschiedlich stark ausgeprägten Mischungen aus Vertrauen und Erwartung an.

Er streckte eine Hand aus und klappte den Deckel der Schatulle auf.

Der Ältestenstein lag darin. Es handelte sich um ein mattweißes Stück Quarz, das in etwa die Größe einer kleinen Geldmünze hatte. Der Stein schien nichts Besonderes zu sein. Doch dann begann er zu leuchten.

Lichtteilchen schienen von der Oberfläche des Steins aus nach oben zu schweben, und Will verspürte ein schmerzliches Staunen, als sie sich verbanden und eine Gestalt bildeten, die er kannte. Vor ihm erschien eine Person in einem weißen Gewand und mit langem weißen Haar. Sie war durchscheinend, aber sichtbar und verströmte helles Licht.

Neben ihm schnappte Grace nach Luft, und Cyprian gab ebenfalls einen Laut von sich. Sie beide standen dem Oberhaupt ihres Ordens gegenüber, das sie für tot gehalten hatten. Ihr Körper war auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und die Funken waren in die Nacht aufgestiegen.

Die Älteste Steward.

Sie trug das freundliche Lächeln zur Schau, das er so gut kannte, und das Gefühl in ihm nahm immer weiter zu, bis es regelrecht schmerzte.

»Will«, sagte sie. »Wenn Grace dich zum Ältestenstein gebracht hat, bedeutet das, dass der Baum des Lichts zu leuchten begonnen hat.«

Sie wusste es nicht. Er kämpfte gegen das Verlangen an, es ihr zu erzählen, sie um Vergebung anzuflehen, vor ihr auf die Knie zu fallen und den Kopf zu senken, damit sie ihre Hand auf sein Haar legen und ihm sagen konnte …

Was? Dass sie akzeptierte, was er war? Dass sie ihm vergab? Das war dumm, so dumm. Er wusste, wie gefährlich es war, sich Akzeptanz von einer Mutter zu wünschen.

Das Mädchen brachte den Baum zum Leuchten. Er wusste, dass er es sagen sollte. Sein Herz hämmerte.

»Älteste Steward«, sprach er sie an und zwang die schmerzhafte Sehnsucht hinunter, die er verspürte. »Seid Ihr es wirklich?«

Sie schüttelte sanft den Kopf. »Was du siehst, ist nur das, was von mir im Ältestenstein verblieben ist«, sagte sie. »So wie du jetzt mit mir sprichst, habe ich mit Stewards aus alten Zeiten gesprochen … Ihre Stimmen führten meine Hand.«

»Ihr habt mit den Stewards der alten Welt gesprochen?«, hakte Will nach.

»In Zeiten größter Not ist der Ältestenstein eine Quelle großer Weisheit«, bestätigte die Älteste Steward. »Aber wie viele magische Gegenstände wird auch er mit der Zeit schwächer und schwindet, je öfter man ihn benutzt. Einst war er ein Monolith so groß wie dieser Raum. Nun ist dieses kleine Stück, das du vor dir siehst, alles, was noch davon übrig ist.«

Will schaute hinab und sah zu seinem Entsetzen, dass jedes Lichtteilchen, das nach oben schwebte, um das Abbild der Ältesten Steward zu formen, ein Stück des Steins mit sich nahm. Der Ältestenstein verschwand mit jeder Sekunde ein bisschen mehr. Schon bald würde er vollständig aufgebraucht sein …

»Ja«, bestätigte sie mit einem traurigen Lächeln. »Wir haben nicht viel Zeit.«

Er verdrängte all die Worte, die er sagen wollte – das Bedürfnis nach ihrer Führung, die Angst, dass er nicht wusste, was er ohne sie werden würde, den Schmerz, der in seiner Kehle aufstieg.

»Ich tat, was Ihr verlangtet.« Wie es sich anfühlte, jemandem ein Schwert in die Brust zu rammen, behielt er für sich. »Sinclair kann den Dunklen König nicht wiedererwecken. Ich bin … Ich habe dafür gesorgt.«

Doch die Älteste Steward schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Sinclair ist eine größere Bedrohung, als du ahnst.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Will.

Die Älteste Steward strahlte so hell. Das Licht durchströmte sie und war überall um sie herum. Doch ihr Blick, der fest auf ihn gerichtet war, war todernst.

»Du musst in die Valnerina reisen«, sagte die Älteste Steward. »In das Schwarze Tal in den umbrischen Bergen. In einer Stadt namens Scheggino wirst du einen Mann namens Ettore Fasciale finden. Nur mit Ettore kannst du das, was kommen wird, aufhalten.«

»Welche Bedrohung könnte denn größer sein als die, dass Sinclair den Dunklen König wiedererweckt?«, fragte Will.

Die Älteste Steward schüttelte den Kopf. Ihre Augen schimmerten besorgt. Zum ersten Mal, seit Will sie kannte, schlich sich Frustration in ihre Stimme, als müsste sie um Beherrschung ringen.

»Ich habe geschworen, niemals von dem zu sprechen, was im Schwarzen Tal liegt. Aber eines kann ich dir sagen. Du musst Ettore finden. Wenn es dir nicht gelingt, wird alles, dem du dich bislang gestellt hast, im Vergleich zu der bevorstehenden großen Schlacht wie harmloses Geplänkel wirken.«

Die Valnerina. Das Schwarze Tal. Der Name ließ ihn erschaudern. Er stellte sich vor, wie der Dunkle König reinen Schrecken und Zerstörung entfesselte. Er sah sich selbst auf einem Berg aus Toten stehen – oder war das Sinclair, der einen Thron bestieg und auf die zerstörten Überreste eines einst grünen Landes hinausschaute?

»Sinclairs Truppen bewegen sich bereits auf euch zu«, sagte die Älteste Steward. »Und ohne die Schutzzauber könnt ihr ihn nicht von der Halle fernhalten. Ihr dürft nicht hier sein, wenn er eintrifft.«

»Ihr meint … wir sollen die Halle verlassen?«

»Sinclair darf keinen Einzigen von euch gefangen nehmen. Denn ihr alle habt eine Rolle zu erfüllen, und es steht einfach zu viel auf dem Spiel, als dass ihr versagen dürft.«

Sie schien auf ihn herabzulächeln.

»Der Baum des Lichts scheint für dich, Will. Fürchte dich nicht.«

Das war zu viel, sogar für ihn. »Ich bin nicht derjenige, der …«

Grace legte ihre Hände auf seine und klappte die Schatulle zu.

»Nein …!«, entfuhr es Will, als die Älteste Steward verschwand. Sein heftig pochendes Herz war das einzige Anzeichen dafür, dass sie je da gewesen war.

Er hatte das Gefühl, dass sie ihm weggeschnappt worden war. Er wandte sich an Grace und sah, dass ihr Tränen übers Gesicht liefen, obwohl sie ihn mit unbeugsamem Pragmatismus anstarrte.

»Verschwende nicht die letzten Überreste des Steins«, sagte Grace. »Sie hat dir gesagt, was du tun musst.«

Cyprians Miene spiegelte Grace’ Gesichtsausdruck, die Augen weit aufgerissen und zitternd, als hätte er soeben eine religiöse Erscheinung erfahren. Violet wirkte ausgehöhlt. Ihre Hand ruhte auf dem Griff ihres Schwerts. Sogar James wirkte erschüttert, seine normalerweise unbekümmerte Miene war von Schock durchzogen.