Das Band der Seelen - Schicksalswege - Alexandra Bogott-Vilimovsky - E-Book

Das Band der Seelen - Schicksalswege E-Book

Alexandra Bogott-Vilimovsky

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Beschreibung

Als Kind fürchtete sie sich vor ihrem Bruder. Mit zwanzig floh sie in ein fernes Land und ließ ihre Eltern hinter sich. Jetzt muss Thira, die frisch vermählte Frau des Gargoyle-Gestaltwandlers Torin und Seelenverwandte des Gargoyles Roan, erneut zurück nach Amerika, weil ihr Vater schwer erkrankt ist. Roan verträgt das ungewohnte Klima nicht und Thiras Bruder Henry sieht ihn. Besessen von dem Wesen und dem Drang, seiner Schwester erneut wehzutun, will er den Gargoyle unbedingt haben. Thira und Torin müssen fliehen. Panther und Kate sind in der Zwischenzeit nach einem schweren Schicksalsschlag auf dem Weg nach Norden. Da erfahren sie von dem Anwalt, der Thira und Torin zur Flucht verholfen hat, von deren misslicher Lage. Werden sie es schaffen, Henry und seinen Söldnern zuvorzukommen und Thira und ihren geliebten Gargoyle-Ehemann in Sicherheit bringen?

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Bisher von A. Bogott-Vilimovsky erschienen:

Das Band der Seelen – Mythen und Märchen ISBN 978-3-7494-2890-8

Der Weihnachtsvampir ISBN 978-3-8334-6861-2 Der Weihnachtsvampir, Band 2: Alicia ISBN 978-3-7481-0036-2

Weitere Romane sind in Vorbereitung.

DANKSAGUNG

Mein besonderer Dank gilt Michael und Peter für die zahlreichen Diskussionen zu Geschichten, Ideen, Figuren und auch für die wertvollen Feedbacks, ohne die das Buch nicht diese Form erreicht hätte!

Danken möchte ich auch meinem Mann Frank. Vor allem für das Titelbild, aber auch für die Geduld, wenn ich mal wieder meine Geschichten laut erzähle, oder in Gedanken weit weg bin ...

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Anhang

Namensverzeichnis

Ortsverzeichnis

Verwendete Begriffe

Prolog

Lakselv/Nord-Norwegen, 22. Juni 2000

Drystan saß in einer Bar und blickte verdrießlich in sein Bier. Der Ruf seines Meisters hatte ihn im ungünstigsten Augenblick erreicht. Er war gerade in Amerika gewesen, als ihn der Hilferuf seines alten Clans erreichte. Ein Gargoyle hatte auf dem Anwesen der Killians gewütet und die Mitglieder aufgeschreckt. Drystan fühlte sich seinem Clan zwar nicht mehr verbunden, dennoch war er ein Killian. Also hatte er ein paar Fäden gezogen und Verbindungen spielen lassen. Einige Killians hatten es so nach Amerika und Kanada geschafft und tauchten dort nun unter. Drystan wusste sehr wohl, dass er die Beziehungen brauchen konnte, doch er verabscheute manche Mitglieder des Clans zutiefst.

„Magst du noch eines?“, fragte der Barkeeper in seine Gedanken hinein und Drystan nickte. Auch wenn das Bier in Norwegen teuer war, war es immer noch besser als gar nichts. Die Aktion mit den Killians hatte seine Pläne gestört, die Kopfgeldjäger in New York auszumerzen. Er war ihnen gerade so nahe gekommen, um herauszufinden, dass der große Boss offenbar in Wien war. Doch als er seinen Kontakt in Wien angerufen hatte, hatte er damit auch den Druiden wieder auf seine Spur gebracht.

Und der Ruf des Druiden war Gesetz ...

Drystan hatte sich daraufhin auf einem Fischkutter versteckt, der Richtung Europa unterwegs war. Ausgerechnet über Grönland nach Norwegen. Und jetzt saß er in dieser Bar und wartete darauf, dass es dunkel wurde.

„Du bist nicht von hier, hm?“, fragte eine angenehme Stimme neben ihm. Drystan wandte den Kopf und blickte in die dunkelbraunen Augen eines Mannes, dessen Alter unmöglich zu erraten war. Seine schwarzen Locken hingen bis auf die Schultern herab und er hatte ein recht ansehnliches Äußeres. Und er sprach Englisch mit einem italienischen Akzent.

„Ist das so offensichtlich?“, fragte Drystan gelangweilt.

„Nicht unbedingt“, sagte der Fremde lachend. „Wenn man nach dem Fischgeruch geht, den du verströmst, könnte man dich glatt für einen Fischer halten!“

„Hnf!“, knurrte Drystan und wandte sich ab.

Der Fremde neben ihm lachte leise und nippte an seinem Bier. Drystan verspürte Hunger und noch etwas anderes und beides hatte mit dem Mann neben ihm zu tun.

„Hey, nichts für ungut!“, sagte der Mann und reichte seine Hand hinüber. „Mein Name ist Angelo Voceto-Fioli“, stellte er sich vor.

„Angelo ...“ Drystan ließ den Namen nachdenklich über seine Zunge rollen. Dann wandte er sich um und seine Augen leuchteten silbern auf. „Es freut mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen, Angelo“, säuselte er und griff nach der dargebotenen Hand. „Mein Name ist Adriaan van Doorn.“

Angelo lächelte ihn verträumt an. „Ich liebe deine Augen“, hauchte er und Drystans Lächeln wurde breiter. Er zahlte und ging mit Angelo in Richtung Toilette. Niemand hielt ihn auf und niemand achtete auf sie beide.

1

Thiras Reise, 22. Juni 2000

Thira blickte aus dem Fenster hinunter auf die Wolken. Die Reise von Schottland nach Amerika war durch das ständige Umsteigen zermürbend. In London war sie in den Sitz in der ersten Klasse gesunken und hatte unwillkürlich an ihren Mann denken müssen. Sie kuschelte sich in das weiche Leder und versuchte sich vorzustellen, es wären seine Schwingen.

Das Leben war schon seltsam.

Den einen geliebten Mann hatte sie geheiratet und den anderen beinahe verloren ...

Mehr als alles andere wünschte sie sich, dass ihr Vater Torin noch kennenlernen konnte. Den Mann, der sein geliebtes, kleines Mädchen geheiratet hatte. Es war nicht einfach gewesen in ein fremdes Land zu gehen, ohne die Menschen, die sie liebte bei sich zu haben. Mit Torin war das Leben wieder zu ihr zurückgekehrt.

Als sie jetzt, auf diesem langen, einsamen Atlantikflug darüber nachdachte, wurde sie sich mit erschreckender Klarheit bewusst, dass sie ihn vom ersten Moment an geliebt hatte und er sie. In diesen Gedanken gehüllt schlief sie ein und erwachte kurz vor New York.

Der Flug nach Phoenix dauerte nicht lange, dennoch brach bereits die Nacht an, als die Maschine landete.

Heiße, trockene Luft schlug ihr entgegen, als sie aus dem Flughafengebäude in die Nacht der Wüste Arizonas hinaustrat. Sie winkte einem Taxi und nannte die Adresse ihres Elternhauses, die sich jetzt so fremd anhörte nach all den Jahren.

Phoenix/Arizona/USA, 23. Juni 2000

Das Haus hatte sich nicht verändert. Es war in Ziegelbauweise errichtet, eher untypisch für diese Gegend. Das einstöckige Gebäude bedeckte eine große Fläche des Grundstückes, da alle Räume auf einer Ebene angeordnet waren. Das Dach wies nur einen leichten Giebel auf und bildete einen umlaufenden, schattenspenden Überstand über der Veranda, die um das gesamte Gebäude lief.

Thira bezahlte das Taxi und stieg aus. Der Mond war über der Wüste aufgegangen und versilberte den Kiesweg, der zur Haustür hinabführte. Eine einsame Kerze flackerte auf der Veranda. Eine Gestalt erhob sich jetzt aus dem Dunkel und trat hinaus in das bleiche Mondlicht. Thira ging langsam auf ihre Mutter zu und blieb vor ihr stehen. Ihre Mutter war alt geworden. Thira musterte das sonnengebräunte, faltige Gesicht, mit den wachen, braunen Augen. Die Haare waren kurz geschnitten und grau. Sie war schlanker, als Thira sie in Erinnerung hatte. Das lag vermutlich an der Sorge um ihren Mann ...

„Hallo, Mom.“

„Hallo, Thira, bist du also doch zurückgekehrt.“

„Wie hätte ich nicht können?“

Ihre Mutter breitete die Arme aus, Thira trat hinein und drückte sich an sie.

„Komm ins Haus, Kind, damit ich dich anschauen kann“, sagte ihre Mutter, nachdem sie sich von ihrer Tochter gelöst hatte. Und so gingen die beiden Frauen nebeneinander ins Haus. Sie betraten die Küche und Angela reichte ihrer Tochter ein Glas Limonade.

„Du bist so dünn, bekommst du nichts zu essen?“

Thira lachte. „Ich habe irgendwann damit aufgehört ständig zu essen, Mom und es gefällt mir, wie ich jetzt bin. Ich fühle mich wohl. Aber jetzt erzähl’ mir: Wie geht es Dad?“

„Deinem Vater geht es den Umständen entsprechend, er liegt immer noch im Koma, aber die Ärzte sagen, er könnte alles verstehen und so habe ich ihm erzählt, dass ich mit dir gesprochen habe. Ich glaube, er hat gelächelt.“ Sie sah ihre Tochter an. „Es ist so lange her.“

„Und wie geht es dir?“

„Ich versuche, ohne ihn auszukommen, soweit es geht. Aber jeden Nachmittag bin ich bei ihm und erzähle ihm, was sich alles ereignet hat. Es ist schwer und ich bin dir sehr dankbar, dass du hier bist.“

Thira griff nach ihren Händen. „Ich werde bleiben, solange du mich brauchst“, sagte sie und ihre Mutter lächelte.

„Dein Bruder ist auch in der Stadt, aber er hat es vorgezogen, mit seiner Frau in einem Hotel zu wohnen.“ Ihre Augen richteten sich auf Thira. „Wirst du hier im Haus bleiben?“

„Gibt es denn mein altes Zimmer noch?“

„Aber ja, wir konnten es doch nicht einfach ausräumen.“

Thira lächelte. „Ich bleibe gerne hier, Mom“, sagte sie, dann wechselte sie das Thema: „Henry hat geheiratet?“

„Ja richtig, da warst du ja schon weg. Er wollte nicht, dass wir es dir sagen. Er hat Ellen geheiratet, erinnerst du dich noch an sie?“

„Aber ja, natürlich. Mit der war er doch schon seit dem Studium zusammen, nicht wahr?“

„Ja, genau.“

Eine Weile versanken die beiden in Schweigen, dann sah Thira auf die Uhr. „Kann ich kurz ein Ferngespräch führen, Mom? Ich muss jemandem Bescheid sagen, dass ich gut angekommen bin.“

„Natürlich, das Telefon steht im Vorzimmer.“

Thira erhob sich. „Danke.“

Als sie wählte, überschlug sie kurz, wie spät es jetzt in Schottland war, etwa zwei Uhr früh. Es klingelte nur einmal, dann hörte sie seine klare, tiefe Stimme. Er hatte also nicht geschlafen.

„Ja?“

„Torin, ich bin’s.“

„Thira! Wie geht es dir?“

„Ich bin etwas erschöpft, aber sonst geht’s mir gut.“

„Wie sieht’s aus?“

„Dad liegt noch im Koma, ich werde morgen mit Mom ins Krankenhaus gehen und nach ihm sehen.“ Etwas leiser fügte sie hinzu: „Du fehlst mir, Geliebter.“

„Und du mir, Geliebte. Geh jetzt schlafen, du hörst dich müde an.“

„Du auch, gute Nacht.“

Damit legte sie auf und kehrte in die Küche zu ihrer Mutter zurück. Die sah sie lächelnd an.

„Werde ich mehr über ihn erfahren?“

„Später“, sagte Thira und gähnte hinter vorgehaltener Hand. „Ich würde jetzt gern schlafen gehen, der Flug war doch sehr anstrengend.“

Angela merkte wohl, dass ihre Tochter ihr auswich, doch sie nickte. „Schlaf gut, du weißt ja noch, wo dein Zimmer ist, oder?“

Thira nickte, wünschte ihrer Mutter eine gute Nacht, erhob sich und ging mit der Reisetasche in der Hand in ihr altes Zimmer.

Das Bett war frisch bezogen worden, aber sonst hatte sich nichts verändert. Alle ihre Bücher standen noch in dem Regal über ihrem Schreibtisch. Sie ließ sich müde auf das Bett sinken. Erinnerungen an glückliche Zeiten strömten in ihr Herz und erwärmten es. Ihr Vater hatte dieses Haus mit eigenen Händen gebaut und jetzt fühlte sie sich von seiner Wärme und Liebe umfangen.

Die Liebe eines Vaters war etwas, das kein Geliebter ersetzen konnte. Sie war kostbar und einzigartig.

Highlands/Scotland/UK, 23. Juni 2000

Torin fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Dass er seine Frau bei ihrer Mutter und in Sicherheit wusste, erleichterte die Sache auch nicht wirklich.

Torin?, fragte Roan in seine Gedanken hinein.

Ja?

Ich ..., begann Roan.

Was denn?

Meine Schwingen sind wirklich etwas eingerostet und ich befürchte, dass wir beide jetzt ohnehin nicht schlafen können, also dachte ich daran, ein bisschen zu üben.

Was denn üben?

Aus dem Stand zu starten, erklärte Roan, als wäre es das Normalste überhaupt.

Torin erstarrte. Bitte was?

Du hast schon richtig gehört, ich kann aus dem Stand starten. Roan überlegte kurz. Ich konnte es zumindest früher mal.

Und du meinst, du kannst es jetzt noch immer?, wollte Torin wissen.

Jetzt wieder, betonte Roan.

Also ich konnte das früher jedenfalls nicht, fing Torin an, dann richtete er sich mit einem Ruck auf. Moment ... Er sprach den Satz nicht zu ende.

Ja, jetzt, wo die Transformation endgültig abgeschlossen ist, bin ich ein vollständiger, reiner Gargoyle. Roan machte eine kurze Pause. Nur halt in deinem Körper.

Und was heißt das jetzt für unsere Verbindung?

Na aus deinem Körper kann ich nicht raus, also müssen wir üben.

Okay, gehen wir! Torin schwang sich aus dem Bett und Roan trat auf die Terrasse hinaus, federte auf das Geländer und ließ sich, einem Fallschirmspringer gleich, in den Garten hinunterfallen. Seine leichte Hose flatterte um seine Beine und das feuchte Gras war angenehm kühl unter seinen nackten Füssen. Er lief noch ein Stück weit weg vom Haus, dann sammelte er sich und bewegte die Schwingen.

Die ersten Versuche missglückten, doch Roan gab nicht auf. Er grub in seinem Gedächtnis nach dem Wissen, das er so lange Zeit nicht hatte benutzen können. Immer wieder sprang er unter kräftigen Schwingenschlägen hoch und stürzte wieder zu Boden. Aber die Zeit in der Luft wurde zunehmend länger.

Als er erneut zu Boden fiel, sagte Torin leise: Mach Schluss für heute.

Roan schüttelte den Kopf. Nein, einmal versuche ich es noch!

Er sprang hoch und diesmal trugen ihn die Schwingen höher. Er fühlte die Thermenströmung und begann einen leichten Gleitflug, der ihn in einem weiten Bogen auf die Terrasse zurücktrug. Dort angekommen sank er schwer atmend auf allen vieren zusammen.

Laut sagte er: „Na bitte, geht doch!“

Er lächelte in die Nacht und wünschte sich plötzlich, Thira wäre hier und könnte seinen Erfolg mit ihm feiern.

Wir werden bald wieder vereint sein, flüsterte Torin in seine Gedanken. Aber für heute sollten wir es gut sein lassen.

Roan atmete tief ein und nickte. Du hast recht! Er zog sich zurück. Torin blieb auf dem Boden kauernd noch einen Moment knien und versuchte wieder zu Atem zu kommen.

Kurz vor Karasjok/Norwegen, 23. Juni 2000, nachts

Drystan blickte sich um. Immer noch hatte er das Gefühl, dass er verfolgt wurde. Er war offenbar nicht vorsichtig genug gewesen, aber sein Hunger hatte ihn den Italiener verführen lassen. Irgendjemand musste ihn wohl doch gesehen haben. Er wandte sich wieder um. Die Scheinwerfer eines Autos leuchteten kurz auf und zeigten ihm an, dass er immer noch parallel zur Straße unterwegs war. Drystan war gern zu Fuß unterwegs und er hatte keine Eile, zu dem Druiden zu kommen.

Der Angriff kam so plötzlich und unerwartet, dass Drystan nur noch reagieren konnte. Das geflügelte Etwas warf sich brüllend und mit gefletschten Zähnen auf ihn. Drystan keuchte im Kampf auf Leben und Tod. Die Augen seines Gegners leuchteten in einem gefährlichen Blau. Wie das Blau einer tiefen Gletscherspalte. Die grauweiße Haut ließ das Wesen immer wieder mit der Nacht verschmelzen. Drystan bot all seine Kräfte auf.

„Jetzt stirbst du, Vampir!“, fauchte das Wesen und griff erneut an. Drystan warf sich herum, doch seine Kräfte reichten nicht aus, um ihn in Sicherheit zu bringen. Scharfe Klauen gruben sich in seinen Körper und er schrie vor Schmerz auf. Der Blutverlust machte ihn langsam und das war lebensgefährlich.

„Bitte ...“, flehte er.

„Es gibt keine Gnade für Euresgleichen!“, brüllte der Riese und hieb Drystan erneut die Krallen ins Fleisch. Drystan blieb liegen, stellte sich tot und wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde und sein langes Leben wäre zu Ende. Er drehte sich mühsam herum. Der geflügelte Koloss blickte mit glühenden Augen auf ihn hinab.

„Mein Name ist Ansgar Cinnock und dein Leben endet hier!“, knurrte er, dann hob er den Fuß. Drystan riss die Augen auf. Gleich würde sein Schädel zermalmt werden. Nichts konnte diesen Schaden wieder reparieren.

Ein helles Sirren durchschnitt die Luft und ein Pfeil bohrte sich mit einem hässlichen Geräusch direkt in Ansgars Brust. Er brüllte auf, griff nach dem Pfeil und torkelte nach hinten, weg von Drystan. Ein zweiter Pfeil bohrte sich in das Auge des Wesens und es fiel zu Boden. Drystan nahm den Sturz des Riesen benommen wahr und wandte den Blick. Ein Mann ging mit einer kleinen Armbrust zu dem gefällten Monster.

„Mein Name ist Angelo Voceto-Fioli und dein Leben endet hier!“, sagte er gelassen. Er zielte auf den Kopf des Wesens und drückte ab. Das blaue Licht in den Augen erlosch. Angelo nickte. „Einer weniger!“, murmelte er, dann wandte er sich zu der Gestalt am Boden um. Er steckte die Waffe in das Holster am Oberschenkel und beugte sich über den Mann.

„Hallo, Adriaan!“, sagte er und lächelte kalt. „Ich werde dir helfen, aber dafür musst du etwas für mich tun!“

„Was?“, krächzte Drystan, zu mehr war er nicht mehr fähig.

„Du musst mir ein Leben als Vampir geben, denn ich habe noch eine Menge vor!“

„Einverstanden!“, flüsterte Drystan. Angelo nickte, griff nach dem Vampir und schleifte ihn zu einem Auto. Auf dem Rücksitz lag der Fahrer. Er war gefesselt und geknebelt und blickte mit angstgeweiteten Augen auf den Mann. Angelo ließ Drystan aus und der landete unsanft auf dem Boden. Kurz darauf landete der gefesselte Mann direkt daneben. Angelo ging um die beiden herum.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte er sanft und Drystan nickte schwach. Angelo hob ihn so an, dass er bequem den Hals des Mannes erreichen konnte, der jetzt verzweifelt versuchte, von den beiden weg zu robben. Kaum hatte Angelo den Vampir in Position gebracht, da griff er mit eiserner Kraft nach dem Mann und presste die beiden zusammen. Der Mann schrie, als der Vampir zubiss und das Blut aus ihm heraus saugte.

Phoenix/Arizona/USA, 24. Juni 2000

Thira verabscheute Krankenhäuser. Nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst so lange Zeit darin verbracht hatte. Es war ein wunderschöner, sonniger Tag, so wie sie in der Wüste eben ständig vorkamen. Die warmen Sonnenstrahlen schafften es nicht, in den Raum einzudringen in dem ihr Vater lag. Man hatte die Jalousien heruntergelassen und so lag das Zimmer im Halbdunkel.

Thira betrachtete ihren Vater. Er lag reglos auf dem Bett. Einzig die Bewegung seiner Brust zeigte, dass er noch lebte. Zahlreiche Schläuche und Kabel führten von seinem Körper zu diversen Geräten, die unaufhörlich piepten und blinkten. Ein großer Blasebalg in einem Glaszylinder hatte das Atmen übernommen und der Herzmonitor zeigte eine beruhigend gleichmäßige Linie.

Der Mann im Bett hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem Mann, an den sie sich erinnerte: Ihr Vater war eine stattliche Erscheinung gewesen. Groß, breitschultrig, mit schwarzen Haaren und blauen Augen. Wann immer die Sonne auf ihn gestrahlt hatte, war ein deutlicher, rötlicher Schimmer in seinen Haaren sichtbar gewesen. Vermutlich der Grund für Thiras Haarfarbe.

Doch jetzt war er grauhaarig und alt. Seine Wangen waren hohl und er hatte die Augen geschlossen. Thiras Mutter stand neben dem Bett und beugte sich zu dem friedlichen Gesicht ihres Mannes hinunter.

„Thira ist hier, Richard.“ Sie blickte zu ihrer Tochter und winkte sie heran. „Rede mit ihm, er kann dich hören, da bin ich mir ganz sicher.“

Thira nickte und trat näher an das Bett heran. „Hallo Daddy, ich bin hier.“ Tränen liefen über ihre Wangen, sein Gesicht wirkte seltsam durchscheinend im grünen Schimmer der Monitore. „Dein kleines Mädchen ist wieder hier, Daddy und ich geh auch nicht weg, bis du wieder aufwachst. Ich hab' dir so viel zu erzählen, weißt du?“ Sie griff behutsam nach seiner Hand. „Daddy, ich hab' einen Mann kennengelernt. Er ist wundervoll und er wird dir gefallen, du wirst sehen. Bitte werd’ wieder gesund.“ Sie zitterte und für einen Moment hatte sie den Eindruck, dass er lächelte. Thira sah ihre Mutter an und die nickte.

„Ja, manchmal sieht es tatsächlich so aus, als würde er lächeln.“ Sie legte den Arm um die Schultern ihrer Tochter und die beiden Frauen blieben in einträchtigem Schweigen nebeneinander stehen.

An diesem Abend saßen sie lange auf der Veranda und genossen die Stille der Nacht um sich herum. Thira wurde sich bewusst, dass sie begann die Laute der Wüste mit jenen der Highlands zu vergleichen. Der warme Wind strich sanft über ihre Wangen und Haare, sie dachte an Torin und musste lächeln.

„Er muss wirklich etwas Besonderes sein“, sagte ihre Mutter, der das Lächeln auf dem Gesicht ihrer Tochter nicht entgangen war.

„Ja, das ist er“, sagte sie und fügte mit einem Grinsen hinzu: „Aber wahrscheinlich bin ich da etwas voreingenommen.“

„Und, willst du mir von ihm erzählen?“

Thira schüttelte den Kopf. „Noch nicht“, sagte sie leise, stand auf, küsste ihre Mutter auf die Stirn und ging schlafen.

Highlands/Scotland/UK, 26. Juni 2000

Roan sprang in die Luft und seine Schwingen trugen ihn mit mächtigen Schlägen bis weit hinauf. Er flog eine Runde über dem nachtschwarzen Garten und landete direkt auf der großen Wiese. Torin ging mit einem Lächeln zum Haus hinauf und hatte die Tür schon fast erreicht, als sich eine Gestalt aus den Schatten löste.

„Torin?“, fragte Thomas leise. „Kann ich dich kurz sprechen?“ Torin zuckte leicht zusammen und Roan fluchte verhalten. Er war so auf seine Übungen konzentriert gewesen, dass er nicht mehr auf die Umgebung geachtet hatte.

„Ja gerne“, sagte Torin und folgte seinem Sohn ins Haus. Im Kaminzimmer setzten sie sich und Thomas musterte ihn nachdenklich.

„Woher kannst du das?“, fragte er lauernd.

„Was denn?“, wollte Torin unschuldig wissen.

„So starten und fliegen und diese Verwandlung im Gehen!“

Torin seufzte, dann atmete er tief ein und beugte sich vor. „Thomas, was ich dir jetzt sage, muss unbedingt unter uns bleiben!“ Thomas nickte ernst und Torin richtete sich wieder auf. „Roan ist ein reiner Gargoyle, das weißt du ja ...“ Er blickte hoch und Thomas nickte erneut. „Ein reiner Gargoyle kann jederzeit wegfliegen und er braucht dazu auch keinen erhöhten Punkt.“

„Aber du ...“, begann Thomas, doch Torin schüttelte den Kopf.

„Ich hab'‘ keine Ahnung, wie die Magie in diesem Band tatsächlich funktioniert, aber so, wie es aussieht, hat der Gargoyle letztendlich auch meinen Körper verändert.“

„Wie verändert?“

„Ich bin stärker geworden, meine Reflexe sind besser und meine Sinne sind schärfer denn je. Aber das Wichtigste ist, dass Roan sich wieder so bewegt, wie er es vor so langer Zeit als Gargoyle gemacht hat. Und wir können jederzeit wechseln, auch mitten in der Bewegung.“

„Jederzeit?“

„Ja.“

„Unabhängig von der Tageszeit?“

„Ja.“

„Das klingt absolut fantastisch!“, entfuhr es Thomas und Torin lächelte schwach.

„Ja, so ist das halt mit der Magie.“

Thomas sah seinen Vater lange Zeit an, dann atmete er tief ein. „Mein Gargoyle ...“, begann er, doch Torin schüttelte bedauernd den Kopf.

„Er wird nie so sein, wie Roan, denn er ist du nur in einer anderen Form.“

„Zu schade, ich hätte Mary auch gerne mal auf einen Rundflug mitgenommen“, gestand er lächelnd.

Torin lachte leise. „Also wenn ihr von der Terrasse aus startet, dann geht das auch. Dafür bist du stark genug!“

Thomas lächelte seinen Vater an. „Na, vielleicht mache ich das an unserem nächsten Hochzeitstag!“

Beide lachten, dann wurde Thomas ernst und beugte sich vor. „Ich werde euer Geheimnis mit ins Grab nehmen, aber auch ihr müsst sehr vorsichtig sein!“

„Ich weiß, Thomas, wenn jemand um die Grausamkeit der Menschen Bescheid weiß, dann ich.“

Thomas stand auf, goss zwei Gläser Whisky ein und reichte eines seinem Vater. „Magie ...“, sinnierte er nachdenklich. „Wo ist eigentlich das Halsband?“

„Gut und sicher verwahrt“, sagte Torin. „Wir haben es praktisch immer mit. Momentan ist es bei mir.“

„Habt ihr schon mal daran gedacht, das Band zu vernichten?“

„Ja ...“, sagte Torin gedehnt. „Aber das ist nicht so einfach.“

„Wegen der Magie?“

„Auch, aber vor allem, weil wir keine Ahnung haben, wie sich das Fehlen der Magie auf Roan und mich auswirkt.“

„Und wenn Thira es tragen würde?“, hakte Thomas nach und sah seinem Gegenüber in die Augen.

„Ich weiß nicht, was es mit ihr machen würde“, gestand Torin und blickte auf sein Glas. „Und ich hoffe, dass wir diese Entscheidung nie treffen müssen.“

Thomas nickte. Die Beiden saßen noch eine Weile beisammen, tranken aus und gingen schließlich auf ihre Zimmer. Torin hatte bereits alles für den Flug nach Amerika gepackt und legte sich ins Bett. Er rollte sich auf die Seite und umarmte Thiras Kissen, in dem immer noch ihr Geruch hing. In wenigen Stunden würde er sie endlich wieder in den Armen halten können.

Am nächsten Morgen verabschiedete er sich von seiner Familie und Thomas brachte ihn zum Flughafen.

„Danke für alles, Thomas!“, sagte Torin und umarmte seinen Sohn, der klopfte ihm auf die Schulter.

„Gern geschehen!“ Er löste sich von Torin und sah ihn an. „Passt auf euch auf! Ich kümmre mich um euren Besitz, so lange ihr nicht da seid.“ Sie drückten sich noch einmal die Hand, dann wandte Torin sich um und begann mit dem langen Flug zu seiner Frau.

2

Phoenix/Arizona/USA, 27. Juni 2000

Henry und Ellen waren zum Abendessen vorbeigekommen und nun saßen sie im Schatten vor dem Haus und unterhielten sich. Zwischen Thira und ihrem Bruder herrschte nach wie vor ein gespanntes Verhältnis. Er hatte ihr von Kindheit an das Leben zur Hölle gemacht. Zuletzt hatte er ihr vorgeworfen, sie hätte den Unfall selbst verschuldet und zudem auch noch ihre Eltern verletzt, als sie einfach so gegangen war. Dass auch er gegangen war, um in San Francisco zu arbeiten, vergaß er dabei natürlich. Jetzt sah er auf die Hand seiner Schwester und deutete auf den schweren, weißgoldenen Ring an ihrem Finger.

„Wo hast du den denn her?“

Thira blickte auf ihre Hand. „Von einem Freund.“

Mehr wollte sie nicht sagen, doch er bohrte weiter: „Wer schenkt dir denn einen Ring, auf dem ein Drache ist?“

Ellen beugte sich interessiert vor, um das Schmuckstück begutachten zu können.

„Henry, das ist kein Drache, das ist eine Fledermaus“, korrigierte sie ihren Mann.

„Drache, Fledermaus, ist doch egal, so was schenkt man doch nicht her!“

Er funkelte seine Frau an und Ellen zog sich in ihr Schneckenhaus zurück. Thira bedeckte den Ring mit der anderen Hand. Er war ihr das Liebste, das sie hatte. Die Verbindung zu ihrem Ehemann, das äußere Merkmal, das sie mit ihm und Roan verband. Und sie wollte keinen Streit vom Zaun brechen. Allein am Blick ihrer Mutter konnte sie sehen, wie unglücklich sie damit war, dass ihr Sohn immer noch diese Aggressivität an den Tag legte.

Henry wandte sich wieder zu seiner Schwester und wollte gerade nachhaken, als Ellen plötzlich aufsah.

„Wer ist denn das?“, fragte sie entgeistert und alle sahen hinauf zur Straße. Der große, breitschultrige Mann stand mit dem Rücken zu ihnen und bezahlte gerade das Taxi, mit dem er gekommen war. Der Wind fuhr in seine langen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen, braunen Haare und ließ die vereinzelten Goldfäden in der untergehenden Sonne aufblitzen.

Thira sprang auf. „Das“, stieß sie atemlos hervor, „ist mein Mann.“

Ohne auf die überraschten Blicke der anderen zu achten, lief sie den Weg entlang auf ihn zu. Er hatte sich umgewandt und wollte eben nach seiner Tasche greifen, als er sie kommen sah. Thira sprang in seine Arme und er hob sie hoch. Dann wirbelte er sie durch die Luft, während sie die Beine um seine Hüften schlang und sich fest an ihn presste. Er hörte auf, sich zu drehen, und küsste sie lange und leidenschaftlich.

„Mein Herz, du hast mir gefehlt“, flüsterte er atemlos in ihr wehendes Haar.

„Du mir auch!“ Sie blickte auf ihn hinab, seine jadegrünen Augen waren mit Goldsplittern durchzogen. Thira strich mit ihren Händen über seine Wangen, dann küsste sie ihn wieder und wieder, bis er schließlich leise zu lachen begann.

„Ich glaube, wir erregen gerade etwas Aufsehen.“

„Ist mir egal!“ Ihre Hände wühlten sich durch sein dichtes Haar und lösten den Zopf. „Ich würde dich am liebsten nie mehr loslassen.“

„Ich weiß, Kleines, nichts wäre mir lieber, aber glaube mir, die Straße ist ein denkbar ungeeigneter Ort dafür.“ Er sah sie an. „Komm, Thira, lass mich los.“ Sie glitt langsam von seiner Taille hinab und blickte zu ihm auf.

Diese letzten Tage ohne ihn waren ihr wie eine Ewigkeit erschienen. Aber jetzt war es, als wären sie nie getrennt gewesen. Torin löste die Arme von ihr, bückte sich nach seiner Tasche und ergriff ihre Hand. Seine langen, schlanken Finger verflochten sich mit ihren und so gingen sie zum Haus zurück, wo sie von drei erstaunt blickenden Menschen erwartet wurden.

Thira sah ihre Familie an, dann wandte sie sich zu ihrem Mann. „Torin, das sind meine Mutter Angela, Henry, mein Bruder und Ellen, seine Frau.“ Als die Angesprochenen nickten, fügte sie hinzu: „Und das ist mein Ehemann Torin Stevenson.“ Thira hoffte inständig, dass Torin sich nicht mit Henry anlegen würde. Nicht jetzt und hoffentlich nicht, so lange sie hier waren. Auch wenn sie ihm nie erzählt hatte, wie sehr ihr Bruder sie gequält hatte, wusste sie doch, dass sowohl Torin, als auch Roan ziemlich sauer auf Henry waren.

Thiras Mutter war die erste, die sich von dem Schock erholte: „Seit wann bist du denn verheiratet?“

„Seit dem 16. Juni.“

„Thira, du bist seit einer Woche hier, soll das heißen, du bist gleich nach deiner Hochzeit hierher geflogen?“, fragte ihre Mutter entgeistert.

„Ja“, sagte Thira und setzte sich hin. Torin ließ sich neben ihr auf einen Stuhl sinken und griff wieder nach ihrer Hand. Henry fiel auf, dass dieser Mann den gleichen Ring trug, wie seine Schwester. Eigenartige Eheringe waren das.

„Aber warum hast du denn nichts gesagt?“, fragte Angela.

„Mom, ich musste herkommen um bei dir und Daddy zu sein, Torin hatte noch etwas zu erledigen, deshalb konnte er nicht mitkommen.“

Henry musterte den großen Mann, der ihm gegenübersaß. „Und, was machst du so?“, fragte er herausfordernd. Torin beobachtete ihn seinerseits.

„Ich bin in der Landwirtschaft tätig.“

„Er ist ein Bauer?“ Henry sah seine Schwester mit hochgezogenen Brauen an.

Das ist also Thiras Bruder, knurrte Roan.

Ja. Torin betrachtete den Mann vor sich. Er war eindeutig kleiner als er selbst. Und er war nicht besonders trainiert, zumindest spannte das Hemd über dem Bauch. Auch das Gesicht war eher rundlich und die kleinen, hellblauen Augen blickten unter schweren Lidern hervor. Die kurzen, dunkelbraunen Haare waren sorgfältig geschnitten und im Nacken rasiert. Seine Gesichtsfarbe war durch die Temperaturen, die in der Wüste herrschten nahezu rot.

Ich mag ihn nicht!, stieß Roan aus und Torin pflichtete ihm in Gedanken bei: Ich auch nicht. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt ihm die Meinung zu sagen.

Nein, da hast du wohl recht.

Thira lachte. „So kann man das nicht sagen.“

Torin blickte Henry in die Augen. „Wir besitzen ein kleines Gut in Schottland, das Thira und ich erst kurz vor unserer Hochzeit erstanden haben. Ich musste noch ein paar Verträge unterzeichnen und dafür sorgen, dass ein Verwalter eingesetzt wird, der während unserer Abwesenheit nach dem Rechten sieht. Deshalb bin ich erst jetzt hergekommen.“

„Ein kleines Gut, hm?“ Henry sah seine Schwester an. „Wie bist du denn an einen Engländer gekommen? Ich dachte, du wohnst in Österreich?“

Torin verzog das Gesicht. „Ich bin kein Sassenach!“

„Was?“ Henry war verwirrt und sah Thira an. „Was hat er gesagt?“

„Er sagte, er ist kein Engländer, Henry. Wir sind Schotten.“

Tiefe Stille folgte dieser Aussage, die Dunkelheit hatte sich über die Wüste gesenkt und eine kühle Brise wehte über die Veranda. Angela beobachtete ihre beiden Kinder, die sich über den Tisch hinweg anfunkelten.

„Kinder, bitte, hört auf euch zu streiten. Ich bin froh, dass ihr alle hier seid und ich bin froh, dass du hier bist!“ Damit sah sie Torin an. „Es freut mich, dass meine Tochter in Europa nicht allein war.“

Henry sah demonstrativ auf die Uhr. „Ellen, es ist spät, lass uns aufbrechen.“ Er stand auf, ohne eine Erwiderung seiner Frau abzuwarten, und beugte sich zu seiner Mutter, um sie auf die Wange zu küssen. „Nacht, Ma! Ruf mich an, wenn du was Neues von Pa hörst, ja?“

„Ja, mache ich, fahrt vorsichtig.“

Ellen, eine hübsche kleine und schlanke Frau mit sorgfältig frisierten, kurzen, dunkelblonden Haaren und braunen Augen, schaute verschreckt wie ein Reh zu ihnen, winkte noch einmal kurz und folgte ihrem Mann mit gesenktem Kopf.

Torin und Thira sahen zu, wie die beiden ins Auto stiegen und davonfuhren. Thira konnte am Griff seiner Hand merken, wie sehr ihm das Verhalten ihres Bruders missfiel. Sie strich beruhigend mit dem Daumen über seine Finger und er entspannte sich langsam wieder.

„Er wird sich nie ändern, nicht wahr, Mom?“ Thira blickte traurig zu ihrer Mutter. „Und er macht mir immer noch Vorwürfe, dass ich gegangen bin.“

„Ach, Thira, er ist nicht glücklich mit seiner Ehe“, seufzte Angela.

„Aber, wieso hat er geheiratet, wenn er nicht glücklich damit ist?“, fragte Torin leise.

Angela sah ihn an. „Ihre Eltern wollten es so, sie meinten, es wäre an der Zeit, da sie schon so lange zusammen wohnten und sie ihre Tochter abgesichert wissen wollten.“

Torin wandte sich an Thira. „Hast du nicht mal gesagt, es werden keine Ehen mehr arrangiert?“

Thira zuckte mit den Schultern. „Ich hatte nicht erwartet, dass mein Bruder sich dazu zwingen lassen würde.“

„Oh, gezwungen hat ihn keiner“, warf ihre Mutter ein. „Ellen hat eine große Mitgift bekommen und du weißt ja, wie dein Bruder immer hinter Geld her ist. Er und Ellen waren schon so lange zusammen, es erschien ihm nicht als besondere Last, sie zu heiraten. Aber jetzt Schluss damit, erzählt mir, wie ihr euch kennengelernt habt.“ Sie lehnte sich zurück und sah die beiden erwartungsvoll an.

„Na ja, wir haben uns angesehen und da hat es eben gefunkt.“ Thira sah ihren Mann an und Angela konnte die Liebe in diesem Blick sehen. Dieser große, fremde Mann liebte ihre Tochter und sie ihn, daran gab es keinen Zweifel.

„Wie lange kennt ihr euch denn schon?“, wollte sie jetzt wissen.

Torin sah sie an. „Ein Jahr, Mrs. Darson.“

Angela nickte. „Torin, da du jetzt mein Schwiegersohn bist, würde es dir etwas ausmachen Angela zu mir zu sagen? Und lassen wir doch bitte die förmliche Anrede weg, ja?“

Er lachte leise. „Aber gerne, Angela.“

„Na bitte, es geht doch!“ Angela sah die beiden an. „Ich hoffe doch, ihr bleibt hier im Haus, solange ihr in Amerika seid?“ Sie bemerkte den Blick, den Thira Torin zuwarf und fuhr schnell fort: „Ich wäre froh einen Mann im Haus zu haben und außerdem habe ich dich so lange nicht bei mir gehabt, Thira.“ Sie sah die beiden an. „Dieses Haus hat massive Wände, wenn euch das Sorgen bereitet“, fügte sie lächelnd hinzu und registrierte erstaunt, dass Torin errötete.

Gerade als er etwas sagen wollte, erwiderte Thira: „Wir bleiben gerne, Mom.“ Sie drückte sanft Torins Hand und er nickte zustimmend.

Angela erhob sich. „Nun dann, ich wünsche euch eine gute Nacht.“

Thira sah sie an und lächelte. „Gute Nacht, Mom!“

Torin sagte: „Oidhche mhath, màthair ann an lagh.“

Angela sah ihn verwirrt an. „Wie bitte?“

Torin lächelte. „Ich sagte: ‘Gute Nacht, Schwiegermutter’“.

„Oh, was ist das für eine Sprache?“

„Schottisch-Gälisch.“

„Aha.“ Angela sah ihre Tochter an. „Was kann er sonst noch?“

„Du wärst erstaunt, Mom, aber sei unbesorgt, wir bleiben lange genug hier, damit du ihn kennenlernen kannst.“

„Gut, das wird sicher sehr interessant werden.“ Sie lächelte wehmütig und ihre Augen verschleierten sich. „Ich wünsche mir, dass dein Vater noch die Chance hat, ihn kennenzulernen. Er war immer so besorgt, dass du in Europa einsam sein könntest, aber er wollte dich nicht bitten zurückzukommen.“

Thira stand auf und umarmte ihre Mutter. „Er wird ihn kennenlernen, Mom, da bin ich ganz sicher.“ Sie küsste ihre Mutter auf die Wange und drückte sie an sich. Angela nickte kurz und ging ins Haus.

Torin trat hinter seine Frau und legte die Arme um sie. „Es wird alles gut werden, Liebes“, flüsterte er in ihr Haar.

Sie zitterte leicht und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Das hoffe ich, ich hoffe es sehr.“

Eine Weile standen sie aneinandergeschmiegt da. Der Mond begann den Himmel zu erklimmen und Thira drehte sich schließlich zu ihm um.

„Komm, lass uns hineingehen.“

Er nickte, griff nach seiner Reisetasche und folgte ihr ins Haus. Sie führte ihn in das kleine Zimmer, das sie in ihrer Kindheit bewohnt hatte. Er sah sich in dem einfachen Raum um. Bücherregale, ein Schreibtisch, ein Wandschrank und ein bequemes, französisches Bett bildeten die gesamte Einrichtung. Dieses Zimmer war angefüllt mit Erinnerungen an ihr Leben. Das Leben, das sie vor dem Unfall geführt hatte. Thira beobachtete, wie er interessiert die Bücher betrachtete, eines aus dem Regal zog und sie anlächelte.

„Wasserspeier des Mittelalters“, sagte er leise lachend. „Steinfiguren sind wirklich eine Passion von dir, hm?“

„Tja, jeder braucht ein Hobby. Mein Bruder hat mich immer damit aufgezogen.“

„War nicht leicht mit ihm, oder?“ Es klang vorsichtig. Das Thema Henry hatte er seit Wien nicht mehr angesprochen.

„Nein. Dass wir die Zimmer hier nebeneinander hatten und uns das Bad teilen mussten, hat es auch nicht unbedingt einfacher gemacht.“

„Kann ich mir vorstellen.“ Torin war näher an sie herangetreten und ragte über ihr auf. „Aber wir werden jetzt nicht weiter darüber sprechen!“, entschied er. Thira sah zu ihm hoch und konnte den goldenen Glanz in seinen Augen sehen.

„Die letzten Tage ohne dich waren die reinste Hölle!“, flüsterte er rau. „Versprich mir, dass wir nie wieder so lange getrennt sein werden!“ Er griff nach ihrer Taille und zog sie an sich, dann beugte er sich hinab und schmiegte seine Lippen an ihren Hals.

„Und lass mich nie wieder mit einem liebeskranken Gargoyle allein, hörst du!“, raunte er dicht an ihrem Ohr. Lachend blickte sie in seine dunklen Augen und hauchte: „Nie wieder!“ Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und er zog sie fest an sich und in einen leidenschaftlichen Kuss. Seine Lippen pressten sich hart und fordernd auf ihre und fanden ihre uneingeschränkte Erwiderung.

Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie aus ihren Kleidern gekommen waren, er hatte sie wild und heftig geliebt. Jetzt lag er hinter ihr, sein starker Körper schmiegte sich an sie. Sie genoss die Wärme seiner Umarmung, den Herzschlag, den sie an ihrem Rücken fühlte und seinen Atem im Nacken. Er schlief schon eine ganze Weile. Sie seufzte leise, kuschelte sich tiefer in seine Umarmung und schloss die Augen.

Kouvola/Finnland, 27. Juni 2000

Drystan erwachte durch das Geräusch eines vorbeifahrenden Zuges. Er öffnete die Augen und sah sich um. Es war dunkel und selbst seine Nachtsichtaugen konnten in der Schwärze nichts erkennen. Mühsam setzte er sich auf und tastete an seinem nackten Körper hinab. Seine Wunden waren verschwunden und er fühlte sich auch angenehm gesättigt. Eine Tür öffnete sich quietschend und im Licht, das von draußen hereinfiel, konnte er einen Mann erkennen.

„Ah, gut, du bist wach!“

Drystan kannte die Stimme. „Angelo?“, fragte er leise und räusperte sich.

„Ja, mein Lieber. Du warst ziemlich lange weggetreten. Ich war mir nicht sicher, ob drei Blutspender reichen würden.“

„Drei?“, fragte Drystan erschrocken.

„Drei, ja! Er hat dich ganz schön aufgeschlitzt!“

„Was war das?“

„Das war ein Gargoyle.“ Angelo setzte sich neben ihn und zündete eine Kerze an. Im warmen Licht der Flamme war der Italiener jetzt gut zu erkennen.

„Ein Gargoyle?“, fragte Drystan entgeistert. „Der sah eher aus wie ein Yeti!“

„Ein Yeti hat keine Schwingen!“ Angelo betrachtete den Vampir nachdenklich. „Woher kennst du die Gargoyles?“

„Ist eine lange Geschichte“, versuchte Drystan auszuweichen.

„Ich hab' Zeit!“, sagte Angelo leise. Etwas im Tonfall des Italieners ließ Drystan aufhorchen. Da war eine Kälte, die er nur von sich selbst kannte. Die meisten Vampire waren so: eiskalte Killer.

„Wieso hast du ihn gejagt?“, wollte Drystan wissen. Noch war er nicht bereit, seine gesamte Lebensgeschichte auszubreiten. Bis auf einen heißen Quickie mit Imbiss war Angelo ihm völlig fremd.

Der Italiener lachte und schüttelte den Kopf. „Na gut! Wenn du es mir nicht erzählen willst, dann ist das in Ordnung. Aber um deine Frage zu beantworten: Ich jage Gargoyles und diese Mischwesen, die sich Lairds nennen.“

„Okay. Das erklärt noch immer nicht, warum du sie jagst.“

„Einer von diesen Bastarden hat meine Schwester vergewaltigt. Sie starb bei der Geburt des Kindes. Er hat den Jungen einfach mitgenommen, ohne sich nur einmal umzudrehen.“

„Verstehe ...“

Angelo stand auf und ging in den hinteren Teil des fensterlosen Raums. Als er zurückkam, hielt er Kleidungsstücke in der Hand, die er Drystan in den Schoß fallen ließ.

„Zieh dich an! Es wird gleich dunkel und dann müssen wir nach Helsinki. Dort wartet ein Schiff auf uns.“

Erneut ratterte ein Zug vorbei. „Wo sind wir eigentlich?“, fragte Drystan und zog sich an.

„Wir sind in Kouvola auf dem Güterbahnhof in einem alten Waggon.“

„Ah“, machte Drystan, der Ort sagte ihm überhaupt nichts, und stand auf. Seine Stiefel standen neben der Kerze und er griff danach. Angelo reichte ihm auch noch einen bodenlangen Mantel und betrachtete Drystan eingehend.

Jetzt sah der Vampir wieder genau so aus, wie vor ein paar Tagen. Er war ihm sofort aufgefallen. Von Statur und Größe her glichen sie einander. Doch der Vampir war eindeutig älter. Lange dunkle Haare, ein hageres, kantiges Gesicht, hellgraue Augen und schmale Lippen rundeten das Bild ab. Angelo mochte die hageren Männer. Er hatte sich sofort zu diesem hingezogen gefühlt. Noch bevor er wusste, dass er einen Vampir vor sich hatte.

Als er den Zwang zuließ, den ihm der Vampir auferlegte, um ihn zu verführen und sich zu nähren, wusste er, dass er den Richtigen gefunden hatte. Den Gargoyle so umzulenken, dass er die Witterung des Vampirs aufnahm, war einfach gewesen. Es so aussehen zu lassen, als käme er gerade noch rechtzeitig, auch. Der Vampir war sehr vorsichtig, doch Angelo war schon seit seiner Kindheit ein Jäger. Ihm entkam niemand. Er nickte, als er den Vampir vor sich musterte, dann sprangen die Männer aus dem Waggon und machten sich auf den Weg nach Helsinki.

Phoenix/Arizona/USA, 28. Juni 2000

Thira erwachte langsam und überlegte, was sie geweckt hatte. Irgendetwas war anders. Torin! Sie fuhr hoch und warf ihn dabei ab, er hatte sich im Schlaf an ihre Schulter geschmiegt. Lachend richtete er sich auf.

„Willst du mich so schnell schon wieder loswerden, Frau?“ Sie streckte die Hand aus, berührte ihn und zog ihn dann heftig an sich.

„Du bist wirklich da!“, flüsterte sie glücklich. „Ich dachte, ich hätte das nur geträumt.“ Sie küsste ihn und er lachte wieder leise.

„Habe ich gestern Nacht einen so schwachen Eindruck hinterlassen, dass du mich für ein Hirngespinst gehalten hast?“

„Eigentlich nicht“, sagte sie grinsend, „aber vielleicht könntest du noch einmal versuchen, mich von deiner Gegenwart zu überzeugen ...“

Er zog sie näher heran. „Was immer du möchtest, Geliebte“, sagte er rau und küsste sie leidenschaftlich. Goldene Funken tanzten in seinen Augen, als er sich über sie beugte und sie auf das Bett legte.

Thira strich durch seine Haare, er lag schwer auf ihr und sein Herz schlug heftig gegen ihre Rippen. Keuchend richtete er sich auf und die zweifarbigen Augen blickten belustigt auf sie hinab.

„Habe ich Euch jetzt von meiner Gegenwart überzeugt, Mylady?“

„Ja“, hauchte sie und zog die Linie seines Kinns mit dem Zeigefinger nach. Der große Ring blitzte kurz auf. Torin griff nach ihrer Hand, küsste den Ring und dann sie. Sie ließ ihre Hände über seine starken Schultern gleiten und zog ihn zu sich herab.

Er schnaubte an ihrem Hals. „Nicht schon wieder, bitte!“, murrte er leise. Thira lachte und hielt ihn fest, dann schloss sie die Augen und genoss das Gefühl seines Körpers auf ihrem, mit ihrem verbunden. Lange Zeit blieben sie einfach so liegen, dann stemmte er sich wieder hoch und legte sich neben sie.

„Wir sollten uns vielleicht zum Frühstück zeigen, sonst kommt deine Mutter noch nachschauen.“

Thira lachte. „Das würde sie nie tun!“

„Bist du sicher?“ Er blickte sie skeptisch an und sie nickte.

„Aber vielleicht sollten wir doch frühstücken gehen, du siehst aus, als wärst du am Verhungern“, meinte sie lachend.

„Mpf, ich könnte ja versuchen, mich von dir zu ernähren“, flüsterte er und knabberte versuchsweise an ihren Lippen.

Sie wand sich lachend. „Ich schmecke nicht gut!“

„Doch tust du!“, sagte er kichernd und hielt sie fest. „Ich glaube, ich kann es verantworten, wenn wir uns erst zum Mittagessen wieder bei deiner Mutter melden“, meinte er und seine Augen blitzten fröhlich, dann hob er sie über sich und küsste sie leidenschaftlich.

Angela grinste die beiden an, als sie lachend aus dem Zimmer kamen und sich mit nassen Haaren zu ihr auf die Terrasse setzten.

„Na, ausgeschlafen?“, fragte sie lächelnd und die beiden nickten. „Wir können gleich Mittagessen, wenn ihr wollt“, sagte Angela jetzt und Thira lachte los. Torin hatte das genau richtig getroffen und sah sie jetzt böse an. Angela schüttelte den Kopf, Verliebte waren immer ein bisschen kindisch, aber sie missgönnte es ihrer Tochter nicht. Thira hatte in ihrem Leben schon viel durchgemacht.

Sie aßen in einträchtigem Schweigen und Angela beobachtete ihren Schwiegersohn. Sein Blick streichelte Thira immer wieder, aber sonst berührte er sie nicht. Irgendetwas an seinen Augen irritierte sie. Sie passten einfach nicht zu dem jungen Gesicht, schienen einem wesentlich älteren, weiseren Menschen zu gehören. Und die Augenfarbe war auch mehr als exotisch. Thira stand auf und räumte den Tisch ab, Torin ging ihr wie selbstverständlich zur Hand und Angela musterte ihn überrascht.

Thira bemerkte den Blick ihrer Mutter. „Er kann auch kochen“, sagte sie grinsend.

„Tatsächlich?“ Angela wirkte skeptisch.

Torin kam aus der Küche zurück und blickte die beiden Frauen an. „Was ist?“

„Ich habe meiner Mutter gerade gesagt, dass du auch kochen kannst, aber sie glaubt mir nicht.“

Torin sah Angela an. „Natürlich kann ich kochen!“, sagte er jetzt irritiert. „Warum sollte ich nicht?“

„Entschuldige, aber ich lerne nicht oft Männer kennen, die im Haushalt mithelfen“, sagte Angela und blickte ihn nachdenklich an. Die Augen waren seltsam, ja.

Torin verstand die ganze Aufregung immer noch nicht. „Soll ich damit aufhören?“, fragte er jetzt leicht verunsichert und Thira lachte.

„Bloß nicht, wer holt denn sonst die Sachen aus den obersten Kästen?“

Angela schüttelte grinsend den Kopf und stand auf. „Ich werde jetzt ins Krankenhaus fahren“, sagte sie und Thira wandte sich um.

„Sollen wir mitfahren?“

„Nein, bleibt ruhig hier.“ Sie legte ihrer Tochter eine Hand auf die Schulter und sagte verschwörerisch. „Damit habt ihr das Haus einmal für ein paar Stunden allein!“ Laut setzte sie hinzu: „Wenn sie ihn aufwecken, dann solltet ihr beide mitfahren. Dein Vater will deinen Mann sicher kennenlernen.“

Thira stand auf der vertrockneten Wiese und sah auf die Wüste hinter dem Gartenzaun. Torin kam über das trockene Gras auf sie zu und küsste sie zärtlich. Die Luft war heiß und flirrte über dem Boden.

„Meinst du, wir können ihr Roan zeigen?“, fragte er jetzt vorsichtig. Thira blickte zu ihm hoch. Sie trugen beide nur Badegewand und trotzdem war die Hitze kaum auszuhalten.

„Wir werden es müssen, sonst erschrickt sie eines Nachts noch, wenn sie ihm plötzlich gegenübersteht.“

„Du hast doch gesagt, dass sie nie dein Zimmer betreten würde“, meinte er und Thira zeigte auf die Tür hinter sich.

„Ist dir schon aufgefallen, dass eine Wand dieses Zimmers aus Glas ist, Liebster?“

Torin sah hin und wurde rot. „Nein“, hauchte er und sie lachte leise.

„Keine Sorge, so taktlos ist sie nicht und sie hat ja gewusst, dass wir praktisch noch in den Flitterwochen sind.“

Torin sah seine Frau ärgerlich an. „Du hättest mich wenigstens warnen können.“

Sie lachte. „Als wenn das etwas gebracht hätte! Die Vorhänge sind nämlich auch durchsichtig!“

Torin knurrte etwas und sprang auf sie zu, Thira wich ihm lachend aus und er landete im Wasser. Kurz darauf sprang auch sie hinein und er zog sie an sich und küsste sie wild. Das Wasser war kühl und erfrischend, Thira löste sich von ihm und schwamm eine kurze Runde. Torin fing sie wieder ein, zog sie in seine Arme und küsste sie erneut hungrig und mit wachsendem Verlangen.

„Wann wird deine Mutter wieder da sein?“, hauchte er an ihren Lippen.

„Das dauert noch!“, flüsterte sie und biss ihn zärtlich in die Unterlippe. Er knurrte leise und sie quietschte auf, als er ihr einfach die Bikinihose auszog. Seine Hose folgte gleich darauf. Er hob sie hoch und küsste sie leidenschaftlich. Sie vergrub ihre Hände in seinen Haaren und stieß ihre Zunge heftig in seinen Mund. Er keuchte, dann griff er nach unten, hielt ihre Hüften fest und schob sich in sie. Sie schlang die Beine um ihn und ihre Augen glitzerten schwach im Sonnenlicht, als sie ihn ansah.

„Lass mich jetzt bloß nicht untergehen“, flüsterte sie rau und er lachte kehlig.

„Keine Sorge, mit einer Wasserleiche macht´s keinen Spaß!“

Thira beugte sich zu ihm und küsste ihn leidenschaftlich, dann bog sie sich zurück und bewegte sich heftig auf ihm. Sie standen mitten im Pool und ihr Körper tauchte immer wieder ins Wasser, als er ihre Hüften stärker umfasste. Irgendwie schaffte er es, sie an den Beckenrand zu dirigieren, dort zog er sie an sich und presste sie gegen die Wand. Sie kratzte mit den Nägeln über seine Schultern und wühlte sich durch seine Haare. Er biss sie in die Schulter und stieß sich heftig und drängend in sie. Eigentlich hatte er sanft sein wollen, aber so wie die Dinge lagen, stand ihr nicht der Sinn danach. Sie stemmte sich mit den Beinen an der Wand ab und kam jedem seiner Stöße entgegen.

Das Ende kam so heftig, das er sich an sie klammerte und laut in ihren Haaren aufstöhnte. Zitternd hielt er sich sowohl an ihr, als auch am Beckenrand fest. Thira klammerte sich an ihn, auch sie zitterte. Ihre Reaktion auf ihn erschütterte sie, so wild und animalisch hatten sie sich noch nie geliebt. Wenn das nach einer Woche Trennung so ausartete, dann wollte sie lieber nie mehr von ihm getrennt sein!

Lange Zeit standen sie aneinander gelehnt, und unfähig sich zu bewegen. Schließlich hob er sie von sich herunter und küsste sie lange und mit rauer Zärtlichkeit. Irgendwann schafften sie es dann, sich voneinander zu lösen. Torin stieg schnell aus dem Becken und holte ihre Hosen zurück, während Thira bereits ihr Oberteil zurechtrückte. Kichernd zogen sie sich an und küssten sich noch einmal.

Torin löste sich gewaltsam von ihr. „Vorsicht!“, keuchte er. „Sonst geht’s gleich weiter!“ Thira lachte atemlos und nickte.

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie im kühlen Pool und ließen es sich gut gehen.

Als es dämmerte, kehrte Angela zurück und fand die beiden auf der Treppe, halb im Wasser sitzend vor. Sie lehnten aneinander und betrachteten den Sonnenuntergang.

Torin hörte sie und blickte hoch. „Wie geht es ihm?“

Angela ging am Beckenrand in die Hocke. „Sie werden ihn nach dem Wochenende aufwecken“, sagte sie leise und ihre Stimme klang unsicher. „Sie können nicht sagen, ob sein Herz sich soweit erholt hat, dass es allein arbeitet.“ Sie seufzte. „Wenn es das nicht tut, müssen sie ihn operieren, aber dazu ist er momentan zu schwach.“ Sie blickte auf die Beiden hinab. „Ich bin froh, dass ihr da seid.“ Torin stand auf und kam zum Beckenrand, dann griff er nach ihrem Arm.

„Wir werden bleiben, solange du uns brauchst, Angela.“ Sie nickte dankbar. Ihre Tochter hatte einen wunderbaren Mann geheiratet. Eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf fragte allerdings immer noch nach dem Haken, der mit wunderbaren Männern für gewöhnlich verbunden war. Sie wünschte sich sehr, dass sich ihre innere Stimme dieses eine Mal irren würde.

Phoenix/Arizona/USA, 30. Juni 2000

Torin hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, seine Kochkünste zu demonstrieren, und Thira freute sich über den überraschten Gesichtsausdruck ihrer Mutter, als diese davon kostete und dann genießerisch die Augen schloss. Sie taten das, um Angela abzulenken. Sie machte sich Sorgen, wegen ihres Mannes. Und Thira und Torin wollten ihr auch schnellstmöglich Roan zeigen. Roans goldene Augen grinsten Thira an und sie schüttelte den Kopf, der Goldschimmer verschwand wieder.

Nach dem Abendessen sah Thira ihre Mutter an. „Mom, es gibt da etwas, das du über Torin wissen solltest“, begann sie und Angela dachte daran, wie sehr sie es haßte immer recht zu behalten. Jetzt also würde der Haken kommen.

Thira fuhr fort: „Es ist etwas schwer, zu erklären ...“ Sie unterbrach sich und blickte kurz zu ihrem Mann. „Torin ist ein Gargoyle-Laird“, sagte sie schließlich und ihre Mutter sah sie verständnislos an.

„Ein was?“

„Ein Gargoyle-Laird, das ist eine Art Gestaltwandler“, erklärte ihre Tochter jetzt.

Angela sah die beiden an. „Ist das schlimm?“, fragte sie leise, da sie immer noch keine Ahnung hatte, wovon ihre Tochter sprach.

„Eigentlich nicht“, sagte Thira lächelnd, „er sieht nur ein bisschen furchterregend aus, wenn er ein Gargoyle ist. Deshalb wollten wir es dir zeigen, damit du nicht erschrickst.“

Angela sah die beiden an, das Wort furchterregend machte ihr Angst.

„Mom“, sagte Thira und griff nach den Händen ihrer Mutter, „es ist wichtig, dass du niemandem davon erzählst. Auch nicht Daddy. Bitte versprich uns das, unser beider Leben hängt davon ab, dass so wenig Menschen wie möglich davon wissen“, sagte sie jetzt eindringlich und Angela blickte von Thira zu Torin.

„Haben deine seltsamen Augen auch damit zu tun?“, fragte sie jetzt und er nickte schwach.

Angela griff nach seiner Hand und hielt mit der anderen die Hand ihrer Tochter fest.

„Ich würde nie etwas sagen oder tun, das einen von euch beiden verletzen könnte“, sagte sie jetzt. Dann sah sie die beiden eindringlich an, „aber was immer es ist, lasst es Henry nicht wissen, er handelt mit allem, wovon er sich hohe Profite verspricht.“

Thiras Augen weiteten sich entsetzt. „Danke für die Warnung, Mom!“

„So und nun raus damit, was ist ein, wie hast du das genannt?“, fragte Angela ihre Tochter.

„Ein Gargoyle-Laird.“ Thira lächelte schwach. „Du kannst dich doch noch an die Bücher mit den Steinfiguren erinnern, die ich immer so gerne gelesen habe?“

„Ja, die sind noch in deinem Zimmer. Moment!“ Sie sah erst ihre Tochter und dann deren Mann an. „Die heißen doch Gargoyle, richtig?“

„Richtig, Mom.“

„Und Torin kann sich in eine Steinfigur verwandeln?“, fragte Angela verwirrt. Thira und Torin begannen zu lachen.

„Nein, Mom“, sagte Thira kichernd, „glaube mir, das Wesen, in das er sich verwandelt ist sehr lebendig.“

„Na, dann zeigt es schon endlich her, ich kann mir jetzt wirklich nichts mehr vorstellen“, sagte Angela ungeduldig.

Torin, der immer noch seine Shorts trug, setzte sich rittlings auf den Sessel und senkte den Kopf auf die Arme, die auf der Lehne lagen. Die Verwandlung tat nicht mehr weh, weil sie nicht mehr erzwungen wurde, wie zu Beginn. Aber es war doch unangenehm, wenn die riesigen Schwingen, so wie jetzt, langsam erschienen. Normalerweise beschleunigte Roan den Vorgang, sodass die Veränderung in Sekundenbruchteilen erfolgte. Heute wollten sie Angela jedoch die Möglichkeit geben, alles genau zu erkennen. Angelas Augen wurden immer größer und sie drückte die Hand ihrer Tochter, unfähig den Blick von diesem seltsamen Wesen zu nehmen, das ihr Schwiegersohn war.

Goldene Schwingen streckten sich in den dunklen Nachthimmel und Roan richtete sich auf. Seine goldenen Augen glühten im Licht der Kerze, die auf dem Tisch stand. Dann faltete er die Schwingen um seine Schultern und stützte sich lässig auf die Lehne.

„Mom“, sagte Thira leise, „das ist Roan, der Gargoyle.“

Angela starrte immer noch das Wesen vor sich an und Roan ließ ihr zeit, ihn in Augenschein zu nehmen. Thira hatte ihn gebeten, sitzen zu bleiben, er war so schon groß genug.

„Allmächtiger!“, hauchte Angela jetzt fassungslos. „Wo hast du den denn gefunden?“, fragte sie und sah ihre Tochter an.

Thira grinste und warf Roan einen liebevollen Blick zu. „Man könnte sagen, er ist mir direkt vor die Füße gefallen, aber das ist eine von den Geschichten, die ich dir leider nicht erzählen kann.“

Roan spreizte die Schwingen wieder ab und versuchte den kühlen Lufthauch einzufangen. „Ist es hier immer so heiß?“, fragte er leise und Angela fuhr herum. Das war nicht Torins Stimme!

„Das ist doch nicht Torin!“, sagte sie leise und stockend, dann sah sie wieder zu ihrer Tochter.

„Ja und nein, die beiden sind miteinander verbunden, Mom. Sie sind immer beide da, nur auf verschiedenen Ebenen. Ist der Gargoyle da, tritt der Mensch in den Hintergrund und umgekehrt.“

Angela sah den Gargoyle an. „Wo ist Torin jetzt?“

„Er sitzt hier“, sagte Roan und breitete die Arme aus, dann war der Gargoyle plötzlich weg und Torin lächelte sie beruhigend an. Dann schnippte er mit den Fingern und die geflügelte Gestalt war zurück.

Angela schüttelte den Kopf. „Mit der Nummer könnt ihr im Zirkus auftreten!“