Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieses eBook: "Das Beste Von Jules Verne: Reise um die Erde in 80 Tagen + Die Reise zum Mittelpunkt der Erde + Von der Erde zum Mond + Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. - Reise um die Erde in 80 Tagen (auch In 80 Tagen um die Welt, In achtzig Tagen um die Erde, Die Rettung der Maharani, Die Wette des Phileas Fogg oder Der Wettlauf des Phileas Fogg) ist ein Roman des französischen Autors Jules Verne. Der Roman wurde erstmals am 30. Januar 1873 unter dem französischen Titel Le Tour du monde en quatre-vingts jours von dem Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht. Der Roman beruht auf der Weltreise des Amerikaners George Francis Train, der 1870 jene Reise unternahm und 1890 und 1892 noch zwei weitere Weltreisen unternahm. - Die Reise zum Mittelpunkt der Erde (Voyage au centre de la terre) ist einer der bekanntesten Romane des französischen Schriftstellers Jules Verne. Das Buch wurde erstmals 1864 von dem Verleger Pierre-Jules Hetzel unter dem französischen Titel Voyage au centre de la terre veröffentlicht. Die erste deutschsprachige Ausgabe erschien 1873 unter dem Titel Reise nach dem Mittelpunkt der Erde. Der englische Titel des Romans lautet A Journey to the Center of the Earth. - Von der Erde zum Mond wurde erstmals 1865 unter dem französischen Titel De la Terre à la Lune von dem Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht. Es handelt sich um ein frühes Werk des Science-Fiction-Genres, das die Mondfahrt um etwa hundert Jahre vorwegnimmt. - 20.000 Meilen unter dem Meer (auch 20.000 Meilen unter den Meeren, Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer oder Zwanzigtausend Meilen unter Meer) ist ein Roman des französischen Autors Jules Verne. Der Roman wurde erstmals 1869-1870 in zwei Bänden unter dem französischen Titel Vingt mille lieues sous les mers von dem Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 1474
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Im Jahre 1872 wohnte in dem Hause Nummer 7, Saville-Row, Burlington Gardens, – worin Sheridan im Jahre 1814 starb, – Phileas Fogg, Sq., eines der ausgezeichnetsten und hervorragendsten Mitglieder des Reformclubs zu London, der jedoch dem Anschein nach beflissen war nichts zu thun, was Aufsehen erregen konnte.
Dieser Phileas Fogg, also Nachfolger eines der größten Redner, welche Englands Zierde sind, war ein rätselhafter Mann, von dem man nichts weiter wußte, als daß er ein recht braver Mann und einer der schönsten Gentlemen der vornehmen Gesellschaft sei.
Man sagte, er gleiche Byron – sein Kopf, denn seine Füße waren tadellos, – aber ein Byron mit Schnurr-und Backenbart, ein Byron mit leidenschaftslosen Zügen, der tausend Jahre alt werden konnte, ohne zu altern.
Ein echter Engländer unstreitig, war Phileas Fogg vielleicht kein Londoner. Man sah ihn nie auf der Börse, noch auf der Bank, noch auf irgend einem Comtoir der City. Nie sah man in den Bassins und Doggs zu London ein Schiff, dessen Eigner Phileas Fogg gewesen wäre. In keinem Comité der Verwaltung hatte dieser Gentleman einen Platz; nie hörte man seinen Namen in einem Advocaten-Colleg, oder im Temple, in Lincoln’s-Inn oder Gray’s-Inn. Er plaidirte niemals, weder beim Obergerichtshof noch bei der Kingsbench, beim Schatzkammergericht oder einem geistlichen Hof. Er war weder ein Industrieller, noch ein Großhändler, noch Kaufmann oder Landbauer. Er gehörte weder dem Königlichen Institut, noch dem Institut von London, noch sonst irgend einer Anstalt der Kunst, Wissenschaft oder Gewerbe an; noch endlich einer der zahlreichen Gesellschaften, wovon die Hauptstadt Englands wimmelt, von der Harmonie bis zur entomologischen Gesellschaft, welche hauptsächlich den Zweck verfolgt, die schädlichen Insecten zu vertilgen.
Phileas Fogg war Mitglied des Reformclubs, nichts weiter.
Wundert man sich, daß ein so mysteriöser Gentleman unter den Gliedern dieser ehrenwerthen Gesellschaft zählte, so dient zur Antwort, daß er auf Empfehlung des Hauses Gebr. Baring, wo er sein Geld angelegt hatte, Aufnahme fand. Daher ein gewisses Ansehen, welches er dem Umstand verdankte, daß von dem Soll seines Conto-Corrents seine Wechsel bei Sicht pünktlich gezahlt wurden.
War dieser Phileas Fogg reich? Unstreitig. Aber wie er sich dies Vermögen gemacht, konnten die Bestunterrichteten nicht sagen, und Herr Fogg war der Letzte, an den man sich wenden durfte, um es zu erfahren. Jedenfalls war er nicht verschwenderisch, aber auch nicht geizig; denn überall, wo es für eine edle, nützliche oder großmüthige Sache an einem Betrag mangelte, schoß er ihn im Stillen bei, und selbst anonym.
Im Allgemeinen war dieser Gentleman sehr wenig mittheilsam. Er sprach so wenig wie möglich, und schien um so geheimnisvoller, als er schweigsam war. Doch lag seine Lebensweise Jedem vor Augen, aber was er that, war so mathematisch stets eins und dasselbe, daß die unbefriedigte Einbildungskraft weiter hinaus forschte.
Hatte er Reisen gemacht? Vermutlich, denn kein Mensch war besser wie er in aller Welt auf der Karte bekannt. Auch von dem entlegensten Ort schien er genaue Kenntniß zu haben. Manchmal wußte er, doch in wenigen, kurzen und klaren Worten, die tausend Aeußerungen, welche im Club über verlorene oder verirrte Reisende circulirten, zu berichtigen, und seine Worte schienen oft wie von einem zweiten Gesicht eingegeben, denn jedes Ereignis rechtfertigte sie schließlich. Es war ein Mann, der überall hin – im Geiste wenigstens, gereist sein mußte.
Zuverlässig jedoch war Phileas Fogg seit vielen Jahren nicht aus London hinaus gekommen. Wer ihn etwas näher zu kennen die Ehre hatte, bezeugte, daß kein Mensch ihn je wo anders gesehen, als auf dem geraden Wege von seinem Hause zum Club, den er tagtäglich machte. Sein einziger Zeitvertreib bestand im Lesen der Journale und im Whistspiel. Bei diesem schweigsamen Spiel, welches so sehr seiner Natur angemessen war, gewann er oft, aber seine Gewinnste flossen nie in seine eigene Börse, sondern bildeten einen erheblichen Posten auf seinem Barmherzigkeits-Conto. Uebrigens ist wohl zu merken Herr Fogg spielte offenbar um des Spieles willen, nicht um zu gewinnen. Das Spiel war ihm ein Ringen mit einer Schwierigkeit, das jedoch keine Bewegung, keine Platzveränderung, keine Ermüdung kostete, und das paßte zu seinem Charakter.
Man wußte bei Phileas Fogg nichts von Weib oder Kind – was den honnettesten Menschen passiren kann – noch von Verwandten oder Freunden, was allerdings seltener ist. Phileas Fogg war der einzige Bewohner seines Hauses Saville-Row, und kein Mensch sonst kam in dasselbe hinein, einen einzigen Diener ausgenommen, der ihm genügte. Was im Innern desselben vorging, davon war niemals die Rede. Er frühstückte und speiste zu Mittag im Club, zu chronometrisch bestimmten Stunden, in demselben Saal, an demselben Tische, tractirte niemals einen Collegen, lud nie einen auswärts ein, und kehrte nur zum Schlafen, Punkt zwölf Uhr Nachts, nach Hause, ohne jemals von den wohnlichen Gemächern Gebrauch zu machen, welche der Reformclub für seine Mitglieder zur Verfügung hält. Von vierundzwanzig Stunden brachte er zehn in seiner Wohnung zu, theils zum Schlafen, theils zur Beschäftigung mit seiner Toilette. Spazieren ging er unabänderlich, mit gleich gemessenem Schritt in dem mit eingelegter Arbeit parquettirten Eingangssaal oder auf dem Rundgang, über welchem ein blaues Glasgewölbe auf zwanzig jonischen Säulen von rothem Porphyr ruhte. Bei der Mahlzeit oder dem Frühstück lieferten die Küche und Speisekammer, die Conditorei, der Fischbehälter und die Milchstube ihre besten Gerichte; die Clubdiener, gesetzte Leute in schwarzer Kleidung und mit Multonschuhen, bedienten ihn auf besonderem Porcellan und Tafelweißzeug von kostbarer sächsischer Leinwand; seinen Sherry oder Porto, seinen mit feinstem Zimmt und Frauenhaar gemischten Claret trank er aus dem seltensten Krystall des Clubs; und das Eis, welches der Club mit schweren Kosten aus den Seeen Amerika’s bezog, erhielt seinen Trunk in erquicklicher Frische.
Wenn man ein Leben in solchen Verhältnissen excentrisch nennt, so muß man zugeben, daß Excentricität etwas Gutes enthält!
Das nicht eben prachtvolle Haus in Saville-Row empfahl sich durch größte Bequemlichkeit. Uebrigens beschränkte sich, bei den unabänderlichen Gewohnheiten des Miethers, seine Bedienung auf geringe Anforderungen. Doch verlangte Phileas Fogg von seinem einzigen Diener eine außerordentliche Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit. An diesem Tage, 2. October, hatte Phileas Fogg seinen Burschen James Forster entlassen, weil er ihm zum Rasiren Wasser gebracht hatte, das vierundachtzig anstatt sechsundachtzig Grad Fahrenheit heiß war, und er erwartete den Nachfolger desselben, welcher sich zwischen elf und halb zwölf Uhr ihm vorstellen sollte.
Phileas Fogg saß breit in seinem Fauteuil, beide Füße bei einander, wie ein Soldat auf der Parade, die Hände auf die Kniee gestützt, den Leib gerade, den Kopf aufrecht, und sah auf die Pendeluhr, welche Stunden, Minuten, Secunden, Tag und Datum anzeigte. Nach seiner Gewohnheit sollte Herr Fogg Schlag halb zwölf Uhr sich aus dem Hause auf den Reformclub begeben.
In diesem Augenblicke klopfte es an die Thüre des kleinen Salons, worin sich Phileas Fogg aufhielt.
Der verabschiedete Diener trat ein.
»Der neue Diener«, sagte er.
Ein Bursche von etwa dreißig Jahren trat ein und grüßte.
»Sie sind Franzose und heißen John?« fragte Phileas Fogg.
– Jean, belieben mein Herr, erwiderte der neue Diener, Jean Passepartout, ein Beiname, der mein natürliches Geschick, mich aus Verlegenheiten zu ziehen, bezeichnet. Ich glaube ein braver Bursche zu sein, mein Herr, doch, offen gesagt, ich habe schon mehrere Geschäfte getrieben. Ich war Bänkelsänger, Bereiter in einem Circus, voltigirte wie Leotard, und tanzte auf dem Seile gleich Blondin; darauf bin ich Lehrer der Gymnastik geworden, um meine Talente nützlicher zu machen, und zuletzt Sergeant bei den Pompiers zu Paris. Ich habe merkwürdige Brände auf meiner Liste. Nun aber habe ich bereits seit fünf Jahren Frankreich verlassen, und bin, um das Familienleben zu genießen, Kammerdiener in England. Da ich jetzt ohne Stelle bin, und vernommen habe, Herr Phileas Fogg sei der pünktlichste und eingezogenste Mann im Vereinigten Königreiche, so habe ich mich dem Herrn vorgestellt, in Hoffnung, bei demselben ruhig zu leben, und selbst den Namen Passepartout zu vergessen …
– Passepartout ist ganz passend für mich, erwiderte der Gentleman. Sie sind mir empfohlen. Man hat mir gute Auskunft über Sie gegeben. Sie wissen meine Bedingungen?
– Ja, mein Herr.
– Gut. Wieviel Uhr haben Sie?
– Elf Uhr zweiundzwanzig Minuten, erwiderte Passepartout, indem er eine große silberne Uhr aus seiner Hosentasche hervorzog.
– Sie sind in der Zeit zurück, sagte Herr Fogg.
– Verzeihen Sie, mein Herr, aber es ist nicht möglich.
– Um vier Minuten sind Sie zurück. Gleichviel. Merken wir uns nur die Abweichung. Also, von diesem Augenblicke an, elf Uhr neunundzwanzig Minuten Vormittags, Mittwochs, 2. October 1872, sind Sie in meinem Dienst.«
Hierauf stand Phileas Fogg auf, nahm seinen Hut in die Linke, setzte ihn mit einer automatischen Bewegung auf und verschwand ohne ein Wort weiter.
Passepartout hörte wie die Hausthüre einmal sich schloß: sein neuer Herr ging hinaus; dann zum zweiten Mal: sein Vorgänger, James Forster, ging ebenfalls fort.
Passepartout befand sich allein im Hause der Saville-Row.
»Meiner Treu, sagte sich Passepartout, der anfangs etwas verdutzt war, ich finde, daß die Hampelmännchen bei Madame Tussaud ebenso lebendig sind, als mein neuer Herr!«
Die Hampelmännchen der Madame Tussaud sind nämlich Wachsfiguren, die in London sehr gerne gesehen wurden, und bei denen man in der That nur vermißte, daß sie nicht reden konnten.
Während der wenigen Augenblicke, wo er mit Phileas Fogg zusammen gewesen, hatte Passepartout seinen künftigen Herrn rasch, aber doch genau gemustert. Der Mann von edler und schöner Gestalt, hohem Wuchs, dem einige Wohlbeleibtheit nicht übel stand, mochte etwa vierzig Jahre alt sein, hatte blondes Haar und Bart, eine glatte Stirn ohne auch nur einen Schein von Runzeln an den Schläfen, ein mehr bleiches als geröthetes Angesicht, prachtvolle Zähne. Er schien in hohem Grade zu besitzen, was die Physiognomisten »Ruhe in der Thätigkeit« nennen, eine Eigenschaft, die allen denen gemein ist, welche mit wenig Geräusch ihre Arbeit treiben. Mit Seelenruhe und Phlegma begabt, reinem Auge und unbeweglichen Wimpern, war er der vollendete Typus jener kaltblütigen Engländer, wie man sie im Vereinigten Königreiche ziemlich häufig antrifft, und deren etwas akademische Haltung Angelika Kaufmann’s Pinsel zum Staunen treffend dargestellt hat. Sah man diesen Gentleman in seinen verschiedenen Thätigkeiten, so gab er die Idee eines Geschöpfes, dessen sämmtliche Theile wohl im Gleichgewicht standen und richtig abgewogen waren, so vollkommen, wie ein Chronometer von Leroy oder Earnshaw. Und in der That war Phileas Fogg die personificirte Genauigkeit, was man deutlich an »dem Ausdruck seiner Füße und Hände« sah; denn beim Menschen, wie bei den Thieren, sind die Glieder selbst ausdrucksvolle Organe der Leidenschaften.
Phileas Fogg gehörte zu den mathematisch exacten Menschen, welche niemals eilig und stets fertig, mit ihren Schritten und Bewegungen sparsam sind. Er hob sein Bein nicht, ohne daß es nöthig war, und ging stets den kürzesten Weg. Kein Blick nach der Decke war bei ihm vergeblich, keine Handbewegung überflüssig. Man sah ihn nie in Gemüthsbewegung oder Unruhe. Kein Mensch auf der Welt war weniger hastig, und doch kam er stets zu rechter Zeit. Man wird jedoch begreiflich finden, daß dieser Mann einsam lebte, und so zu sagen außer aller gesellschaftlichen Beziehung. Er wußte, daß es im Leben unvermeidlich Reibungen giebt, und da die Reibungen hemmen, so rieb er sich an Niemand.
Was nun Jean, genannt Passepartout, betrifft, so war er ein echter Pariser aus Paris, und hatte seit den fünf Jahren, wo er in England wohnte und zu London den Kammerdiener machte, vergeblich einen Herrn gesucht, an den er sich fest anschließen konnte.
Passepartout gehörte nicht zu denen, die sich in die Brust werfen, mit kecker Nase, zuversichtlichem Blick, trockenem Auge doch nur unverschämte Tölpel sind. Nein, Passepartout war ein braver Bursche mit freundlichem Gesicht, etwas vorstehenden Lippen, ein sanfter und geschmeidiger Charakter, mit so einem gutwilligen, runden Kopf, wie man ihn gerne auf den Schultern eines Freundes sieht. Er hatte blaue Augen, belebten Teint, ein Gesicht, das voll genug war, um selbst die Wölbung seiner Wangen wahrzunehmen; breite Brust, starke Taille, einen Muskelbau von herculischer Kraft, welche durch die Uebungen seiner Jugendzeit erstaunlich entwickelt war. Seine braunen Haare spielten etwas in’s Röthliche. Kannten die Bildhauer des Alterthums achtzehn verschiedene Arten, das Haupthaar der Minerva zu ordnen, so wußte Passepartout für das seinige nur eine: drei Strich mit dem Scheitelkamm und der Hauptschmuck war fertig.
Ob der mittheilsame Charakter dieses Burschen zu dem des Phileas Fogg passen würde, war der einfachsten Voraussicht nicht möglich zu sagen. Sollte wohl Passepartout der so gründlich exacte Diener sein, welchen sein Herr bedurfte? Das ließe sich nur aus der Erfahrung abnehmen. Nachdem er, wie wir wissen, eine ziemlich vagabundirende Jugend gehabt, trachtete er nach einem ruhigen Leben. Da man ihm die regelmäßige Pünktlichkeit und sprüchwörtliche Kälte der Gentlemen gepriesen hatte, so versuchte er in England sein Glück. Aber bisher hatte der Zufall ihm schlecht gedient; er hatte nirgends Wurzel fassen können, und schon zehnmal den Herrn gewechselt. Ueberall war man phantastisch, ungleich, abenteuerlich, von Land zu Land schweifend, – was für Passepartout nicht mehr passen konnte. Sein letzter Herr, der junge Lord Longsferry, Parlamentsmitglied, kam oft, wenn er seine Nacht in den »Austernstuben« Haymarkets verbracht, auf den Schultern der Polizeileute nach Hause. Passepartout, der vor allen Dingen seines Herrn Ehre wahren wollte, wagte einige respectvolle Bemerkungen, die üble Aufnahme fanden, und er verließ den Dienst. Darauf hörte er, Phileas Fogg, Sq., suche einen Diener, und erkundigte sich über ihn. Ein Mann von so geregeltem Leben, der nicht auswärts schlief, keine Reisen machte, niemals auch nur einen Tag abwesend war, konnte ihm nur angenehm sein. Er stellte sich vor und wurde, wie wir wissen, angenommen.
Passepartout befand sich also, nachdem halb zwölf vorüber war, allein im Hause der Saville-Row. Sogleich machte er sich daran, es vom Keller bis zum Speicher zu besichtigen. Dieses reinliche, geordnete, strenge, puritanische, wohl für den Dienst eingerichtete Haus gefiel ihm. Es machte auf ihn den Eindruck eines schönen Schneckenhauses, das jedoch mit Gas erleuchtet und geheizt war, denn der kohlenstoffhaltige Wasserstoff war darin hinreichend für alle Bedürfnisse der Beleuchtung und Erwärmung. Passepartout fand leicht im zweiten Stock das für ihn bestimmte Zimmer, und es gefiel ihm. Durch elektrische Glocken und Hörrohre stand es mit den Gemächern des Zwischenstocks und der ersten Etage in Verbindung! Auf dem Kamin stand eine elektrische Uhr, welche mit der Uhr im Schlafzimmer von Phileas Fogg übereinstimmte, und beide schlugen in demselben Augenblick dieselbe Secunde.
»Das steht mir an, das gefällt mir!« sagte Passepartout.
Er bemerkte auch in seinem Zimmer über der Standuhr ein Merkblatt angeheftet, mit der Vorschrift des täglichen Dienstes. Dasselbe enthielt – von acht Uhr Vormittags, der regelmäßigen Zeit, wo Phileas Fogg aufstand, bis zu halb zwölf, da er zum Frühstücken sich auf den Reformclub begab – alle Einzelheiten des Dienstes: Thee und geröstete Brodschnitten um acht Uhr dreiundzwanzig Minuten; Wasser zum Rasiren, um neun Uhr siebenunddreißig; Frisiren um neun Uhr vierzig, u.s.w. Nachher von halb zwölf Vormittags bis zu zwölf Uhr Nachts, wo der methodische Gentleman zu Bette ging, war alles aufgezeichnet, vorgesehen, geregelt. Passepartout machte sich eine Freude daraus, dies Programm zu studieren und dessen verschiedene Artikel seinem Geist einzuprägen.
Die Garderobe des Herrn war sehr gut ausgestattet und merkwürdig gehaltreich. Jede Hose, jeder Rock oder Weste war mit einer Ordnungsnummer versehen, die in einem Register eingetragen war, worauf das Datum stand, wann, der Jahreszeit nach, diese Stücke angezogen werden sollten. Gleiche regelmäßige Anordnung auch für die Fußbekleidung.
Im Allgemeinen war dieses Haus der Saville-Row, – welches zur Zeit des berühmten, aber zerstreuten Sheridan ein Tempel der Unordnung gewesen sein muß – bequem möblirt, einer hübschen Gemächlichkeit entsprechend.
Keine Bibliothek, keine Bücher, welche für Herrn Fogg unnütz gewesen wären, weil der Reformclub zwei Bibliotheken, eine für Literatur, die andere für Recht und Politik, ihm zur Verfügung stellte. In dem Schlafzimmer ein Kassenschrank mittlerer Größe, der gegen Feuersgefahr und Diebstahl sicherte. Keine Waffe im Hause, nichts von Jagd-oder Kriegsgeräthe. Aus Allem sah man nur die friedlichsten Gewohnheiten.
Nachdem Passepartout diese Wohnung im Detail gemustert hatte, rieb er sich die Hände, sein breites Gesicht ward heiter, und er sagte wiederholt freudigen Herzens:
»Das steht mir an! Hier ist mein Platz! Herr Fogg und ich, wir verstehen uns vollkommen. Das ist ein geregelter Mann, ein Zimmerhüter! Eine wahre Maschine! Nun, ich bin’s ganz zufrieden, eine Maschine zu bedienen!«
Phileas Fogg hatte um halb zwölf Uhr sein Haus in Saville-Row verlassen, und langte, nachdem er fünfhundertfünfundsiebenzigmal seinen rechten Fuß vor den linken, und fünfhundertsechsundsiebenzigmal seinen linken Fuß vor den rechten gesetzt hatte, im Reformclub an, einem ungeheuern Gebäude in Pall-Mall, welches nicht weniger als drei Millionen zu bauen gekostet hat.
Phileas Fogg begab sich sogleich in den Speisesaal, dessen neun Fenster die Aussicht auf einen Garten boten, mit Bäumen, die bereits im herbstlichen Goldschmuck prangten. Er setzte sich dort an die gewöhnliche Tafel, wo sein Gedeck auf ihn wartete. Sein Frühstück bestand aus einem Nebengericht, gesottenem Fisch in einer vorzüglichen »reading sauce« – einem scharlachrothen Rostbeaf mit »musheron« gewürzt, einem Kuchen mit Füllsel von Rhabarberstengeln und grünen Stachelbeeren, einem Stückchen Chester, – alles mit einigen Tassen von dem vortrefflichen Thee, welcher ganz besonders für die Küche des Reformclubs gesammelt wurde.
Um zwölf Uhr siebenundvierzig Minuten stand dieser Gentleman auf und begab sich in den großen Salon, der prachtvoll mit Gemälden in reichen Rahmen verziert war. Hier stellte ihm ein Diener die noch nicht aufgeschnittene »Times« zu, welche Phileas Fogg mit einer Sicherheit der Hand auseinander faltete, welche eine große Uebung in dieser schwierigen Operation bekundete. Mit dem Lesen dieses Journals war Phileas Fogg bis drei Uhr fünfundvierzig Minuten beschäftigt; sodann mit der Lectüre des »Standard« bis zum Diner. Diese Mahlzeit fand in gleicher Weise statt, wie das Frühstück, nur daß noch die »royal british sauce« hinzukam.
Um fünf Uhr vierzig Minuten erschien der Gentleman wieder in dem großen Salon und vertiefte sich in der Lectüre des »Morning Chronicle.«
Eine halbe Stunde später kamen verschiedene Mitglieder des Reformclubs herein und näherten sich dem Kamin, wo ein Kohlenfeuer brannte. Es waren die gewöhnlichen Spielgenossen des Herrn Phileas Fogg, gleich ihm leidenschaftliche Whistspieler: der Ingenieur Andrew Stuart, die Banquiers John Sullivan und Samuel Fallentin, der Brauer Thomas Flanagan, Walther Ralph, einer der Administratoren der Bank von England, – reiche und angesehene Männer, selbst in diesem Club, welcher die hervorragendsten Glieder der Industrie und Finanzwelt in seiner Mitte zählt.
»Nun Ralph, fragte Thomas Flanagan, wie steht’s mit dem Diebstahl?
– Nun, erwiderte Andrew Stuart, die Bank wird um ihr Geld kommen.
– Ich hoffe im Gegentheil, sagte Walther Ralph, daß wir den Dieb in die Hand bekommen werden. Es sind sehr geschickte Polizeileute nach Amerika und Europa in alle hauptsächlichen Landungs-und Einschiffungshäfen abgeschickt worden, denen wird jener Herr wohl schwerlich entrinnen.
– Man hat das Signalement des Diebes? fragte Andrew Stuart.
– Vor allem, es ist kein Dieb, erwiderte ernsthaft Walther Ralph.
– Wie, dieses Individuum, welches fünfundfünfzigtausend Pfund in Banknoten (2.100,000 Mark) entwendet hat, ist nicht ein Dieb zu nennen?
– Nein, versetzte Walther Ralph.
– Also ein Industrieller? sagte John Sullivan.
– Das »Morning Chronicle« versichert, es sei ein Gentleman.«
Der Mann, welcher diese Aeußerung machte, war Niemand anders, als Phileas Fogg, dessen Kopf damals aus der um ihn herum aufgethürmten Fluth von Papieren auftauchte. Zugleich grüßte Phileas Fogg seine Collegen, welche seinen Gruß erwiderten.
Der fragliche Vorfall, welchen die verschiedenen Journale des Vereinigten Königreichs eifrig besprachen, hatte sich drei Tage zuvor, am 29. September, begeben. Ein Packet Banknoten, hundertfünftausend Pfund enthaltend, war aus dem Fach des Hauptcassirers der Bank von England verschwunden.
Wunderte man sich, daß ein solcher Diebstahl so leicht vorfallen konnte, so antwortete der UnterGouverneur Walther Ralph nur, daß der Cassirer eben damit beschäftigt war, einen Einnahmeposten von drei Schilling sechs Pence einzutragen, und man könne nicht seine Augen überall zugleich haben.
Aber es ist hier zu bemerken – was die Thatsache erklärlicher macht – daß dieses staunenswerthe Institut der Bank von England äußerst besorgt für die Würde des Publicums ist. Keine Wachen, keine Invaliden, keine Gitter! Das Gold, Silber, die Noten liegen da ganz frei, so zu sagen dem Belieben des ersten Besten Preis gegeben. Es fällt Einem nicht ein, gegen die Ehrenhaftigkeit irgend eines Vorübergehenden Verdacht zu hegen. Einer der besten Beobachter englischer Gebräuche erzählt sogar Folgendes: In einem der Säle der Bank, wo er sich eines Tages befand, war er so neugierig, eine sieben bis acht Pfund schwere Goldbarre näher zu besehen; er nahm dieselbe, betrachtete sie, übergab sie seinem Nachbar, dieser einem anderen, und so wanderte die Barre von Hand zu Hand bis in einen dunkeln Gang hinein, und kam erst nach einer halben Stunde an ihren Platz zurück, ohne daß der Cassirer nur den Kopf darnach hob.
Aber am 29. September ging’s nicht ganz eben so. Der Pack Banknoten kam nicht wieder zurück, und als die prachtvolle Uhr, welche über dem Geschäftssaal angebracht war, um fünf Uhr den Schluß der Bureaux anläutete, blieb der Bank von England nichts übrig, als hundertundfünftausend Pfund auf das Verlustconto zu setzen.
Als der Diebstahl gehörig festgestellt war, wurden auserwählte Agenten, »Detectivs«, in die bedeutendsten Häfen zu Liverpool, Glasgow, Havre, Suez, Brindisi, New-York etc., abgeschickt, und eine Prämie von zweitausend Pfund nebst fünf Procent der wieder gefundenen Summe für die Entdeckung ausgesetzt. Während sie die Auskünfte abwarteten, welche die unverzüglich eingeleitete Untersuchung zu liefern versprach, hatten diese Agenten den Auftrag, sorgfältig alle ankommenden und abreisenden Passagiere zu beobachten.
Nun hatte man Grund, gerade wie das »Morning Chronicle« sich aussprach, anzunehmen, daß der Thäter keiner der organisirten Diebesgesellschaften Englands angehöre. Man hatte im Laufe des 29. September einen wohlgekleideten Gentleman von guten Manieren und vornehmer Miene in dem Zahlungssaale, wo der Diebstahl vorfiel, ab und zu gehen gesehen. Die Untersuchung hatte es möglich gemacht, ziemlich genau das Signalement dieses Gentleman herzustellen, welches dann augenblicklich an alle Detectivs des Vereinigten Königreiches und des Continentes abgeschickt wurde. Manche gute Köpfe, – worunter auch Walther Ralph – glaubten daher Grund zur Hoffnung zu haben; der Dieb werde nicht entrinnen.
Man kann sich denken, daß dieser Vorfall zu London und in ganz England das Tagesgespräch bildete. Man stritt leidenschaftlich für und wider die Wahrscheinlichkeit des Erfolges der Polizei in der Hauptstadt. Kein Wunder also, daß die Mitglieder des Reformclubs den nämlichen Gegenstand besprachen, um so mehr, als einer der Untergouverneure der Bank sich unter ihnen befand.
Der ehrenwerthe Walther Ralph wollte am Erfolg der Nachforschungen nicht zweifeln, indem er meinte, die ausgesetzte Prämie müsse den Eifer und die Spürkraft der Agenten ausnehmend schärfen. Aber sein College, Andrew Stuart, theilte bei weitem nicht diese Zuversicht. Der Wortstreit dauerte also unter den Gentlemen fort, die an einem Spieltische Platz genommen hatten, Stuart gegenüber Flanagan, Fallentin gegen Phileas Fogg. Während des Spieles schwiegen die Spieler, aber zwischen den Robbers wurde die unterbrochene Unterhaltung um so lebhafter fortgesetzt.
»Ich behaupte, sagte Andrew Stuart, daß der Dieb unfehlbar ein gewandter Mensch ist, welcher alle Aussicht hat, zu entkommen.
– Ei doch! erwiderte Ralph, es giebt ja nicht ein einziges Land mehr, wo er Zuflucht fände.
– Das wäre!
– Wo meinen Sie denn, daß er hingehen soll?
– Das weiß ich nicht, versetzte Andrew Stuart, aber trotz allem ist doch auf der Erde viel Raum.
– Das war ehedem der Fall …« sagte Phileas Fogg halblaut. Darauf: »Sie müssen abheben, mein Herr«, und reichte Thomas Flanagan die Karten.
Der Disput ruhte während der Robber. Aber bald fing er wieder an, als Andrew Stuart sagte:
»Wie so? ehedem! Ist die Erde etwa kleiner geworden?
– Allerdings, versetzte Walther Ralph. Ich bin der Meinung des Herrn Fogg. Die Erde hat an Umfang verloren, weil man jetzt zehnmal rascher wie vor hundert Jahren um sie herum reisen kann. Und deshalb werden auch in unserm gegebenen Falle die Nachforschungen weit rascher angestellt.
– Und auch die Flucht des Diebes wird dadurch leichter!
– An Ihnen ist die Reihe, Herr Stuart!« sagte Phileas Fogg.
Aber der ungläubige Stuart war nicht überzeugt, und als die Partie fertig war, versetzte er:
»Man muß gestehen, Herr Ralph, Sie haben da einen scherzhaften Einfall gehabt, indem Sie sagten, die Erde sei kleiner geworden! Also weil man jetzt in drei Monaten um dieselbe herum reist….
– In achtzig Tagen nur, sagte Phileas Fogg.
– Wirklich, meine Herren, setzte John Sullivan hinzu, achtzig Tage, seitdem auf der großen Indischen Eisenbahn die Strecke zwischen Rothel und Allahabad eröffnet worden ist, wie das »Morning Chronicle« die Route berechnet, nämlich:
Von London nach Suez über den Mont-Cenis und Brindisi, Eisenbahn und Packetboot7TageVon Suez nach Bombay, Packetboot13“Von Bombay nach Calcutta, Eisenbahn3“Von Calcutta nach Hongkong, Packetboot13“Von Hongkong nach Yokohama in Japan, Packetboot6“Von Yokohama n. San Francisco, Packetb.22“Von San Francisco n. New-York, Eisenb.7“V. New-York n. London, Packetb. u. Eisenb.9“Sa.80Tage.– Ja! achtzig Tage, rief Andrew Stuart, der aus Unachtsamkeit eine schlechte Karte abhob, aber die schlechte Witterung, widrige Winde, Schiffbruch, Entgleisungen etc. nicht gerechnet.
– Alles einbegriffen, erwiderte Phileas Fogg, und fuhr fort zu spielen; denn diesmal nahm das Gespräch keine Rücksicht auf das Spiel.
– Selbst auch, wenn die Hindus oder die Indianer die Schienen aufheben! rief Andrew Stuart, wenn sie die Züge aufhalten, um die Gepäckwagen zu plündern und die Passagiere zu scalpiren!
– Alles inbegriffen«, erwiderte Phileas Fogg, der sein Spiel hinwarf, mit den Worten: »Zwei Haupttrümpfe!«
Andrew Stuart, an welchem die Reihe war zu geben, nahm die Karten wieder zusammen und sprach:
»Theoretisch haben Sie Recht, Herr Fogg, aber in der Praxis …
– In der Praxis auch, Herr Stuart.
– Ich wünschte Sie dabei zu sehen.
– Das hängt nur von Ihnen ab. Machen wir die Reise mit einander.
– Der Himmel behüte mich! rief Stuart, aber ich würde schon um viertausend Pfund wetten, daß eine solche Reise, unter solchen Bedingungen, unmöglich ist.
– Sehr möglich, vielmehr, erwiderte Herr Fogg.
– Nun, so machen Sie die Reise!
– Die Reise um die Welt in achtzig Tagen?
– Ja.
– Ich bin’s zufrieden.
– Wann?
– Augenblicklich. Nur will ich Ihnen bemerken, auf Ihre Kosten will ich sie machen.
– ‘s ist Narrheit! rief Andrew Stuart, dem das Drängen seines Spielgenossen lästig ward. Spielen wir lieber.
– So geben Sie die Karten nochmals, erwiderte Phileas Fogg, denn sie sind vergeben.«
Andrew Stuart nahm die Karten wieder in die zitternde Hand; dann legte er sie plötzlich wieder auf den Tisch und sprach:
– Nun ja! Herr Fogg, ja, ich wette um viertausend Pfund! …
– Lieber Stuart, sagte Fallentin, werden Sie ruhig. Das ist nicht ernstlich gemeint.
– Wenn ich sage: ich wette, versetzte Andrew Stuart, ist’s immer ernstlich gemeint.
– Ich schlage ein!« sagte Herr Fogg. Dann zu seinen Collegen gewendet:
– Ich habe zwanzigtausend Pfund bei Gebr. Baring stehen. Die setze ich gerne daran. …
– Zwanzigtausend Pfund! rief John Sullivan. Zwanzigtausend Pfund, die Sie durch eine unvorausgesehene Verspätung verlieren können!
– Es giebt nichts Unvorhergesehenes, erwiderte Phileas Fogg einfach.
– Aber, Herr Fogg, dieser Zeitraum von achtzig Tagen ist nur als ein mindestes Maß gemeint!
– Wenn man ein Mindestes gut verwendet, reicht’s immer hin.
– Aber um es nicht zn überschreiten, muß man mathematisch genau aus den Eisenbahnen in die Packetboote, und aus den Packetbooten in die Eisenbahnen springen!
– Ich will den Sprung mathematisch genau vornehmen.
– ‘s ist nur Spaß!
– Ein guter Engländer macht nie Spaß, wenn sich’s um eine so ernste Sache, wie eine Wette handelt, erwiderte Phileas Fogg. Ich wette mit Jedem, der Lust dazu hat, um zwanzigtausend Pfund, daß ich die Reise um den Erdball in längstens achtzig Tagen machen werde, d.h. in neunzehnhundertundzwanzig Stunden, oder hundertfünfzehntausendzweihundert Minuten. Sind Sie es zufrieden?
– Wir nehmen die Wette an, erwiderten, nachdem sie sich unter einander verständigt, die Herren Stuart, Fallentin, Sullivan, Flanagan und Ralph.
– Gut, sagte Herr Fogg. Der Zug nach Dover geht um acht Uhr fünfundvierzig Minuten ab. Mit dem reise ich.
– Heute Abend? fragte Stuart.
– Heute Abend, versetzte Phileas Fogg. Also, fuhr er fort, indem er einen Kalender aus der Tasche zog und nachsah, weil heute Mittwoch, der 2. October, so muß ich Samstags, den 21. December um acht Uhr fünfundvierzig Minuten Abends wieder in London sein, hier in diesem Salon des Reformclubs, sonst sollen die zwanzigtausend Pfund, welche eben für mich bei den Gebr. Baring stehen, mit Recht und Fug Ihnen, meine Herren, angehören. – Hier ist eine Anweisung von gleichem Betrage.«
Es wurde ein Protokoll über die Wette aufgenommen und auf der Stelle von den sechs Betheiligten unterzeichnet. Phileas Fogg war kaltblütig geblieben. Er hatte die Wette sicherlich nicht gemacht, um zu gewinnen, und hatte diese zwanzigtausend Pfund – die Hälfte seines Vermögens – nur deshalb daran gesetzt, weil er voraus sah, er könne die andere Hälfte zu brauchen haben, um das schwierige, um nicht zu sagen unausführbare Project gut auszuführen. Dagegen schienen seine Gegner in Aufregung, nicht wegen des hohen Einsatzes, sondern weil sie sich einigermaßen ein Gewissen daraus machten, unter solchen Bedingungen eine Wette einzugehen.
Damals war es Schlag sieben. Man forderte Herrn Fogg auf, sein Spiel zu unterbrechen, um seine Reisevorbereitungen zu treffen.
»Ich bin stets reisefertig!« erwiderte dieser leidenschaftslose Gentleman, gab seine Karten und sprach:
»Ich schlage Eckstein um, Sie spielen aus, Herr Stuart.«
Um sieben Uhr fünfundzwanzig Minuten nahm Phileas Fogg, nachdem er beim Whist zwanzig Guineen gewonnen, von seinen ehrenwerthen Collegen Abschied und verließ den Reformclub. Um sieben Uhr fünfzig öffnete er seine Hausthüre und trat in sein Haus.
Passepartout, welcher sein Programm gewissenhaft einstudiert hatte, war sehr überrascht, als er Herrn Fogg so ungenau sah, daß er zu dieser ungewöhnlichen Stunde erschien. Nach der Vorschrift sollte der Bewohner von Saville-Row erst zu Mitternacht heim kommen.
Phileas Fogg begab sich zuerst auf sein Zimmer, dann rief er:
»Passepartout!«
Passepartout gab keine Antwort. Dieses Anrufen konnte nicht ihm gelten. Es war ja nicht die Stunde.
»Passepartout«, rief Herr Fogg wiederholt, doch ohne Steigerung des Tones.
Passepartout stellte sich.
»Ich habe Sie zweimal rufen müssen, sagte Herr Fogg.
– Aber es ist noch nicht Mitternacht, erwiderte Passepartout, die Uhr in der Hand.
– Ich weiß es, versetzte Phileas Fogg, und mache Ihnen keinen Vorwurf. In zehn Minuten reisen wir nach Dover und Calais.«
Das runde Angesicht des Franzosen verzog sich unwillkürlich. Offenbar hatte er nicht recht verstanden.
»Der Herr will eine Reise machen? fragte er.
– Ja, erwiderte Phileas Fogg. Wir wollen eine Reise um die Erde vornehmen.«
Da staunte Passepartout über die Maßen. Er riß die Augen weit auf, spannte die Wimpern und Brauen, streckte die Hände aus – Symptome förmlicher Bestürzung.
»Reise um die Erde! brummte er.
– In achtzig Tagen, erwiderte Herr Fogg. Also, wir haben keinen Augenblick Zeit zu verlieren.
– Aber die Koffer? … sagte Passepartout mit unwillkürlichem Kopfschütteln.
– Keine Koffer. Nur eines Reisesackes bedarf’s, mit zwei wollenen Hemden darin, und drei Paar Strümpfen; ebensoviel für Sie. Weiteres kaufen wir unterwegs. Holen Sie meinen Makintosh und meine Reisedecke, und nehmen Sie gute Fußbekleidung. Uebrigens gehen wir wenig oder nicht zu Fuße. Jetzt, rasch!
Passepartout hätte gern geantwortet, konnte aber nicht. Er verließ Herrn Fogg’s Zimmer, begab sich auf das seinige, sank auf einen Stuhl nieder, und sagte mit einem in seiner Heimat üblichen Ausdruck:
»Ei! Das ist stark! Und ich wollte ruhig leben! …«
Er machte mechanisch seine Vorbereitungen zur Reise. Eine Reise um die Erde in achtzig Tagen! Hatte er’s mit einem Narren zu thun? Nein … War’s ein Scherz? Die Reise ging nach Dover, gut. Nach Calais, laß ich gelten. Uebrigens konnte das dem wackern Jungen nicht sehr zuwider sein, da er seit fünf Jahren den heimatlichen Boden nicht betreten hatte. Vielleicht auch ging die Reise bis Paris, und wahrhaftig, es hätte ihm Vergnügen gemacht, die große Hauptstadt wieder zu sehen. Aber sicherlich würde ein Gentleman, der keinen unnöthigen Schritt that, es dabei bewenden lassen … Ja, ganz gewiß, aber es war doch die volle Wahrheit, daß dieser Gentleman, sonst so ein Haushüter, auf Reisen ging!
Um acht Uhr hatte Passepartout den bescheidenen Sack mit seiner und seines Herrn Garderobe zurecht gemacht; darauf verließ er, noch ganz verstörten Geistes, sein Zimmer, verschloß sorgfältig die Thüre desselben, und begab sich wieder zu Herrn Fogg.
Herr Fogg war reisefertig. Unter’m Arm trug er »Bradshaw’s Continents-Eisenbahn- und Dampfboot-Reiseführer«, woraus er alle für seine Reise erforderlichen Notizen schöpfen konnte. Er nahm Passepartout den Reisesack aus der Hand, öffnete ihn und schob ein starkes Bündel von den schönen Banknoten hinein, welche in aller Welt Cours haben.
»Haben Sie nichts vergessen? fragte er.
– Nichts, mein Herr.
– Mein Makintosh und meine Decke?
– Hier.
– Gut, nehmen Sie den Sack.«
Herr Fogg stellte Passepartout den Sack wieder zu.
»Und haben Sie wohl Acht darauf, fügte er bei. Es sind zwanzigtausend Pfund drinnen.«
Beinahe wäre der Sack Passepartout aus den Händen gefallen, als wären die zwanzigtausend Pfund in schwerem Gold darinnen.
Herr und Diener stiegen darauf hinab, und die Hausthüre wurde doppelt verschlossen.
Am Ende der Straße Saville-Row fand sich eine Fuhrwerkstation. Phileas Fogg und sein Diener stiegen in ein Cab, welches rasch nach dem Bahnhof Charing-Croß zufuhr, wo ein Zweig der Süd-Ostbahn mündet.
Um acht Uhr zwanzig Minuten hielt das Cab vor dem Gitterthore des Bahnhofes. Passepartout sprang herab, sein Herr folgte nach und bezahlte den Kutscher.
In diesem Augenblicke trat eine arme Bettlerin mit einem Kinde an der Hand, barfuß im Koth, zerrissenem Hut mit jämmerlich herabhängender Feder, zerfetztem Shawl über dem Lumpenkleid, zu Herrn Fogg heran und bat um ein Almosen.
Herr Fogg zog die zwanzig Guineen, welche er beim Whist gewonnen hatte, aus der Tasche und überreichte sie der Bettlerin mit den Worten:
»Hier nehmen Sie, brave Frau, es ist mir lieb, daß ich Sie getroffen habe!«
Dann ging er weiter.
Passepartout fühlte sein Auge naß. Sein Herr hatte einen Schritt in sein Herz gethan.
Herr Fogg trat mit ihm sogleich in den großen Bahnhofsaal und gab ihm Auftrag, zwei Billets erster Klasse nach Paris zu nehmen. Als er sich hierauf umdrehte, sah er sich von seinen fünf Collegen des Reformclubs umgeben.
»Meine Herren, sprach er, jetzt reise ich ab, und die Visa’s auf meinem Paß werden Ihnen bei meiner Rückkehr den Nachweis meiner Reiseroute geben.
– O! Herr Fogg, erwiderte höflich Walther Ralph, das ist nicht nöthig. Wir verlassen uns auf Ihr Wort als Gentleman!
– So ist’s besser, sagte Herr Fogg.
– Sie vergessen nicht, daß Sie wieder hier sein müssen? … bemerkte Andrew Stuart …
– Binnen achtzig Tagen, erwiderte Herr Fogg, Samstags, den 21. December 1872, um acht Uhr fünfundvierzig Minuten Abends. Auf Wiedersehen, meine Herren.«
Um acht Uhr vierzig Minuten setzten sich Phileas Fogg und sein Diener in dieselbe Waggon-Abtheilung. Um acht Uhr fünfundvierzig hörte man pfeifen und der Zug ging ab.
Es war finstere Nacht, und ein feiner Regen fiel. Phileas Fogg drückte sich stille in eine Ecke. Passepartout, noch ganz verdutzt, drückte den Sack mit den Banknoten maschinenmäßig an sich.
Aber der Zug war noch nicht über Sydenham hinaus, als Passepartout in wahrer Verzweiflung aufschrie!
»Was fehlt Ihnen? fragte Herr Fogg.
– Ich habe … in der Eile … meiner Bestürzung … vergessen …
– Was?
– Den Gashahn in meinem Zimmer zuzudrehen!
– Nun, mein lieber Junge, erwiderte Herr Fogg kaltblütig, so brennt das Gas auf Ihre Kosten!«
Phileas Fogg vermuthete wohl bei seiner Abreise von London nicht, welch’ großes Aufsehen sein Vorhaben erregen würde. Die Neuigkeit von der Wette verbreitete sich zuerst im Reformclub und erregte unter den Mitgliedern dieser ehrenwerthen Gesellschaft eine arge Aufregung, welche sich durch die Berichterstatter von da in die Journale verbreitete und durch diese das Publicum von London und im ganzen Vereinigten Königreiche durchdrang.
Diese Frage der Reise um die Erde wurde mit ebensoviel Leidenschaft und Hitze erläutert, besprochen, zergliedert, als handle sich’s um eine neue Alabama-Frage. Die einen ergriffen Partei für Phileas Fogg, die anderen – und sie bildeten bald eine ansehnliche Majorität – sprachen sich gegen ihn aus. Diese Reise um die Erde, innerhalb der geringen Frist, mit den jetzt im Gebrauch befindlichen Verkehrsmitteln anders als in der Theorie und auf dem Papier fertig zu bringen, war nicht allein unmöglich, sondern unsinnig!
»Times«, »Standard«, »Evening-Star«, »Morning Chronicle« und zwanzig andere Journale ersten Ranges erklärten sich gegen Fogg. Nur »Daily Telegraph« unterstützte ihn einigermaßen. Im Allgemeinen behandelte man Phileas Fogg als Wahnsinnigen, als Narren; und seine Collegen vom Reformclub wurden getadelt, daß sie sich auf so eine Wette eingelassen, welche eine Geistesschwäche ihres Urhebers beurkunde.
Es erschienen äußerst leidenschaftliche, aber logisch scharfe Artikel über die Frage. Bekanntlich hat man in England viel Interesse an allem, was Geographie betrifft. Darum gab’s auch keinen einzigen Leser, zu welcher Klasse er auch gehörte, der nicht die Phileas Fogg gewidmeten Spalten verschlang.
Während der ersten Tage waren einige kühne Geister – besonders Frauen – auf seiner Seite, zumal als »Illustrated London News« sein Portrait nach seiner im Archiv des Reformclubs niedergelegten Photographie publicirte. Manche Gentlemen sagten dreist: »Ei! ei! Warum nicht gar? Man hat außerordentlichere Dinge gesehen!« Es waren besonders Leser des »Daily Telegraph«. Aber man merkte bald, daß dies Journal selbst anfing seine Zuversicht zu verlieren.
Wirklich erschien am 7. October im Bulletin der königlichen Geographischen Gesellschaft ein langer Artikel, welcher die Frage von allen Gesichtspunkten aus betrachtete und das Unsinnige des Unternehmens klar auseinander setzte. Nach diesem Artikel war Alles dem Reisenden entgegen, Hindernisse, die in der Person und in der Natur begründet waren. Sollte das Project gelingen, mußte ein wunderbares Zusammenstimmen der Ankunft-und Abfahrtsstunden stattfinden; aber dieses Zusammenstimmen existirte nicht, konnte nicht statthaben. Strenge genommen kann man in Europa, wo verhältnißmäßig kleine Bahnstrecken vorhanden sind, auf die Ankunft der Züge zu fest bestimmter Zeit rechnen; aber wenn sie in drei Tagen quer durch Indien zu fahren haben, sieben Tage durch die Vereinigten Staaten: konnte man wohl die Elemente eines solchen Problems auf ihre Genauigkeit gründen? Und sprachen nicht die Unfälle der Maschine, Entgleisungen, Zusammenstöße, üble Witterung, Schneeanhäufung – sprach nicht dies alles gegen Phileas Fogg? War er nicht auf den Packetbooten während der Winterzeit den Windstößen oder Nebeln preisgegeben? Ist’s denn so selten, daß die besten Segler der überseeischen Fahrtlinien um zwei bis drei Tage sich verspäten? Nun konnte schon eine Verspätung, eine einzige, hinreichen, um die Kette der Verbindungen unverbesserlich zu zerreißen. Wenn Phileas Fogg auch nur um einige Stunden für die Abfahrt eines Packetbootes zu spät kam, mußte er das nächstabgehende abwarten, und durch diesen einzigen Umstand gerieth seine Reise unwiderruflich in Gefahr.
Der Artikel erregte großes Aufsehen. Fast alle Journale druckten ihn ab, und die Actien Phileas Fogg’s sanken außerordentlich.
Während der ersten Tage nach der Abreise des Gentleman wurden über das Wagniß seines Unternehmens bedeutende Wetten veranstaltet. Bekanntlich spielen die Wetter in England eine bedeutende Rolle: Wetter sind gescheitere und angesehenere Leute als die Spieler. Wetten liegt den Engländern im Blute. So stellten auch nicht allein die verschiedenen Glieder des Reformclubs bedeutende Wetten für oder wider Phileas Fogg an, sondern auch die Masse des Publicums wurde von der Bewegung fortgerissen. Phileas Fogg wurde gleich einem Renner in eine Art studbook eingetragen. Man machte auch ein Börsenpapier daraus, und es ward sogleich auf den Platz London eingetragen. Man verlangte, man offerirte »Phileas Fogg«, fest oder auf Prämie, und es wurden enorme Geschäfte gemacht. Aber fünf Tage nach seiner Abreise, nach dem Artikel im Bulletin der Geographischen Gesellschaft, fingen die Angebote an häufiger zu werden. Phileas Fogg sank. Man bot Packetweise. Nahm man’s anfangs zu fünf, später zu zehn, so nahm man’s jetzt schon nur noch um zwanzig, um fünfzig, um hundert.
Ein einziger Anhänger blieb ihm treu, der alte, gichtbrüchige Lord Albermale. Der ehrenwerthe Gentleman, der an seinen Fauteuil gefesselt war, hätte sein Vermögen hingegeben, um die Reise um die Erde machen zu können, sei’s auch in zehn Jahren! und er wettete fünftausend Pfund zu Gunsten des Phileas Fogg. Und wenn man ihm, zugleich mit der Thorheit des Projects, dessen Unnützlichkeit nachwies, beschränkte er sich gewöhnlich auf die Antwort: »Ist die Sache ausführbar, so ist’s gut, daß ein Engländer sie zuerst unternommen hat!«
Nun war es dahin gekommen, daß die Anhänger des Phileas Fogg immer seltener wurden; Jedermann trat, und nicht ohne Grund, seinen Gegnern bei; man nahm das Papier nur noch um hundertundfünfzig, um zweihundert gegen eins, als sieben Tage nach seiner Abreise ein völlig unerwartetes Ereigniß zur Folge hatte, daß man’s gar nicht mehr nahm.
An diesem Tage, um neun Uhr Abends, erhielt der Polizeidirector der Hauptstadt folgende telegraphische Depesche:
»Suez nach London.«
»Rowan, Polizeidirector, Centralverwaltung, Schottlandplatz.«
Ich bin dem Bankdieb Phileas Fogg auf der Ferse. Schicken Sie unverzüglich Verhaftbefehl nach Bombay.
»Fix, geh. Agent.«
Diese Depesche wirkte unverzüglich. Der ehrenwerthe Gentleman trat von der Bühne, und an seine Stelle ein Bankdieb. Seine in dem Reformclub bewahrte Photographie wurde untersucht. Sie entsprach Zug für Zug dem gerichtlich aufgenommenen Signalement. Man brachte die geheimnißvolle Existenz des Phileas Fogg, sein abgesondertes Leben, seine plötzliche Abreise in Anschlag, und es schien offenbar, daß dieser Mann unter dem Vorwand einer Reise um die Erde und gestützt auf eine unsinnige Wette keinen andern Zweck verfolgte, als den Agenten der englischen Polizei zu entwischen.
Jene Depesche in Betreff des Phileas Fogg wurde unter folgenden Umständen verbreitet:
Am Mittwoch, den 9. October, wurde zu Suez für elf Uhr Vormittags das Packetboot Mongolia erwartet, welches der Company peninsular and oriental gehörte, ein eiserner Schraubendampfer mit Verdeck, von zweitausendachthundert Tonnen Gehalt und fünfhundert Pferdekraft. Er machte regelmäßig die Fahrten von Brindisi nach Bombay durch den Suez-Canal, und war einer der schnellsten Segler der Compagnie, der die vorschriftsmäßige Schnelligkeit von zehn Meilen in der Stunde zwischen Brindisi und Suez, und von neun Meilen und dreiundfünfzig Hunderttheilen zwischen Suez und Bombay fast immer übertraf.
In Erwartung der Ankunft des Mongolia sah man am Quai ein Gedränge Einheimischer und Fremder, welche in dieser Stadt zusammenströmen, die kürzlich noch ein Flecken war, nun durch des Herrn von Lesseps großes Werk einer bedeutenden Zukunft sicher ist, – zwei Männer auf-und abgehen. Der Eine derselben war der zu Suez angestellte Consularagent des Vereinigten Königreiches, welcher – trotz der ungünstigen Vorausvermuthungen der britischen Regierung und der schlimmen Prophezeihungen des Ingenieurs Stephenson – nun täglich englische Schiffe diesen Canal passiren sah, welche so die bisherige Fahrt Englands nach Indien um’s Cap der guten Hoffnung zur Hälfte abkürzte.
Der Andere war ein kleiner, magerer Mann, mit ziemlich gescheitem Gesicht und reizbar, der in auffallender Weise beständig mit den Augenbrauen-Muskeln zuckte. Unter seinen langen Wimpern glänzte ein sehr lebhaftes Auge, dessen Feuer er jedoch nach Belieben zu löschen verstand. In diesem Augenblicke gab er Zeichen von Ungeduld zu erkennen, lief hin und her, konnte nicht ruhig an der Stelle bleiben.
Dieser Mann hieß Fix, und war einer jener »Detectives« oder geheimen Agenten, welche die englische Polizei nach dem Diebstahl auf der Bank in die verschiedenen Häfen abgeschickt hatte. Sein Auftrag war, mit größter Sorgfalt alle Reisenden, die über Suez kamen, zu überwachen, und wenn ihm einer verdächtig vorkomme, ihm in Erwartung eines Verhaftsbefehls im Stillen nachzureisen.
Eben, vor zwei Tagen, hatte Fix vom Director der Londoner Polizei das Signalement des vermuthlichen Diebes erhalten, nämlich das des vornehmen und wohl gekleideten Mannes, welchen man im Zahlungssaal beobachtet hatte.
Der Detective, offenbar durch die für einen glücklichen Fang ausgesetzte ansehnliche Prämie gespornt, wartete also mit leicht begreiflicher Ungeduld auf die Ankunft des Mongolia.
»Und Sie sagten, Herr Consul, fragte er zum zehnten Mal, das Dampfboot müsse bald ankommen?
– Ja wohl, mein Herr, erwiderte der Consul. Es ist gestern auf hoher See bei Port-Said signalisirt worden, und die hundertsechzig Kilometer des Canals kommen bei einem solchen Segler nicht in Anschlag. Ich sage Ihnen nochmals, daß der Mongolia stets die Prämie von fünfundzwanzig Pfund gewonnen hat, welche die Regierung für jeden Vorsprung um vierundzwanzig Stunden vor der reglementaren Zeit ausgesetzt hat.
– Dies Packetboot kommt geradeswegs von Brindisi? fragte Fix.
– Gerade von Brindisi, wo es die Indische Briefpost aufgenommen hat, und am Samstag um fünf Uhr Abends abgefahren ist. Also haben Sie Geduld, es muß bald anlangen. Aber ich weiß wirklich nicht, wie es Ihnen möglich ist, nach dem Signalement, welches man Ihnen zugestellt hat, Ihren Mann, wenn er an Bord des Mongolia ist, zu erkennen.
– Herr Consul, erwiderte Fix, solche Leute wittert man vielmehr, als daß man sie erkennt. Man muß Spürkraft besitzen, die ist gleichsam ein besonderer Sinn, bei welchem Gehör, Gesicht und Geruch zusammen wirken. Ich habe in meinem Leben mehr wie einen solchen Gentleman verhaftet, und wofern nur mein Bankdieb an Bord ist, stehe ich Ihnen dafür, er wird mir nicht aus den Händen gleiten.
– Ich wünsche es, Herr Fix, denn es handelt sich um einen bedeutenden Diebstahl.
– Ein prachtvoller Diebstahl, versetzte der Agent voll Begeisterung. Fünfundfünfzigtausend Pfund! So ein Fund kommt einem nicht oft in den Weg! Die Diebe werden knauserig! Die Race der Sheppard wird selten! Jetzt bringt man sich um einige Schilling an den Galgen!
– Herr Fix, versetzte der Consul, Sie sprachen in einer Weise, daß ich lebhaft wünsche, Sie mögen Glück haben; aber, sag’ ich nochmals, in der Lage, worin Sie sich befinden, fürchte ich, es möge schwierig sein. Wissen Sie, nach dem Signalement, welches Sie empfingen, gleicht dieser Dieb durchaus einem ehrlichen Manne.
– Herr Consul, erwiderte dogmatisch der Polizei-Agent, die großen Diebe sehen immer honnetten Leuten gleich. Sie begreifen wohl, daß die, welche wie Schurken aussehen, keine andere Wahl haben, als rechtschaffen zu bleiben, sonst würden sie ihre Verhaftung veranlassen. Ehrliche Gesichter muß man vor allen Dingen in’s Auge fassen. Das ist, geb’ ich zu, ein schwer Stück Arbeit, das nicht mehr eine Sache des Gewerbes ist, sondern der Kunst.«
Man sieht, es fehlte dem Fix nicht an einer gewissen Dosis Eigenliebe.
Inzwischen wurde der Quai allmälig belebter. Seeleute verschiedener Nationalitäten, Handelsleute, Makler, Packträger, Fellah’s strömten da zusammen. Die Ankunft des Packetbootes war offenbar nahe bevorstehend.
Es war ziemlich schönes Wetter, aber in Folge des Ostwindes kalte Luft. Ueber der Stadt erhoben sich im blassen Sonnenschein einige Minarets. Südwärts zog sich ein zwei Meilen langer Damm wie ein Arm vor der Rhede von Suez. Auf der Fläche des Rothen Meeres schaukelten einige Fischerbarken oder Küstenfahrzeuge, von denen manche in ihren Formen noch das elegante Muster der antiken Galeere bewahrt haben.
Mitten in diesem Volksgewühl bewegte sich Fix nach Gewohnheit seines Berufes, und faßte die Vorübergehenden mit raschem Blick in’s Auge.
Es war damals halb elf Uhr.
»Aber das Packetboot bleibt aus! rief er, als er die Hafenuhr schlagen hörte.
– Es kann nicht mehr ferne sein, erwiderte der Consul.
– Wie lange wird’s in Suez verweilen? fragte Fix.
– Vier Stunden; so lange als nöthig, um Kohlen einzunehmen. Von Suez nach Aden, am Ende des Rothen Meeres rechnet man dreizehnhundertundzehn Meilen, und es muß sich mit Brennmaterial versehen.
– Und von Suez fährt das Boot direct nach Bombay? fragte Fix.
– Direct, ohne umzuladen.
– Nun denn, sagte Fix, wenn der Dieb diesen Weg eingeschlagen ist, und auf diesem Boot sich befindet, muß es in seinem Plan liegen, zu Suez an’s Land zu gehen, und auf anderm Wege in die holländischen oder französischen Besitzungen in Asien zu gelangen. Er muß wohl wissen, daß er in Indien nicht sicher wäre, weil es englisches Gebiet ist.
– Sofern es nicht ein sehr starker Mann ist, erwiderte der Consul. Sie wissen, ein englischer Verbrecher ist stets in London leichter geborgen, als auswärts.«
Nach dieser Bemerkung, welche dem Agenten viel Bedenken erregte, begab sich der Consul wieder auf seine Bureaux, die nicht weit davon waren. Der Polizei-Agent blieb allein, voll nervöser Ungeduld und auffallendem Ahnungsgefühl, sein Dieb müsse sich an Bord des Mongolia befinden, – und in Wahrheit, wenn der Schurke in Absicht die Neue Welt aufzusuchen England verlassen hatte, so mußte er den Weg nach Indien vorziehen, da dieser weniger überwacht oder schwerer zu überwachen ist, als der über das Atlantische Meer.
Fix blieb nicht lange in seine Gedanken vertieft, als gellendes Pfeifen die Ankunft des Packetbootes meldete. Der ganze Schwarm der Packträger und Bauern stürzte auf den Quai mit einem Tumult, der für die Passagiere und ihre Kleider beunruhigend war. Zehn Nachen stießen vom Ufer ab und fuhren dem Mongolia entgegen.
Nicht lange, so sah man das riesenmäßige Schiff zwischen den Canalufern fahren, und Schlag elf Uhr warf der Dampfer auf der Rhede Anker, während sein Dampf mit großem Getöse durch die Rauchfänge entströmte.
Es waren sehr viele Passagiere an Bord. Manche blieben auf dem Verdeck, um das malerische Panorama der Stadt zu betrachten; aber die meisten begaben sich in den Nachen, welche herangekommen waren, an’s Land.
Fix beobachtete auf’s Genaueste Alle, welche an’s Land setzten.
In dem Augenblicke kam Einer, nachdem er die mit ihren Dienstanerbietungen zudringlichen Fellahs kräftig zurückgedrängt hatte, zu ihm heran und fragte ihn sehr höflich nach dem Bureau des englischen Consularagenten. Und zugleich hielt dieser Passagier einen Paß hin, worauf er ohne Zweifel das englische Visa einholen wollte.
Fix nahm den Paß instinctmäßig und überlief mit raschem Blick das Signalement.
Eine unwillkürliche Bewegung erfaßte ihn, das Blatt zitterte in seiner Hand. Das auf dem Paß befindliche Signalement war gleichlautend mit dem, welches er vom Polizeidirector der Hauptstadt erhalten hatte.
»Es ist nicht Ihr eigener Paß? sagte er zu dem Passagier.
– Nein, erwiderte dieser, er gehört meinem Herrn.
– Und Ihr Herr?
– Ist an Bord geblieben.
– Aber, versetzte der Agent, er muß sich persönlich auf dem Consularbureau einfinden, um seine Identität festzustellen.
– Wie? Das ist nöthig?
– Unerläßlich.
– Und wo sind diese Bureaux?
– Dort an der Ecke des Platzes, erwiderte der Polizei-Agent, und wies auf ein zweihundert Schritte entferntes Haus.
– Dann will ich meinen Herrn holen, dem es übrigens nicht angenehm sein wird, gestört zu werden!«
Darauf empfahl sich der Passagier und kehrte an Bord des Dampfers zurück.
Der Polizei-Agent begab sich wieder auf den Quai und unverzüglich in’s Bureau des Consuls. Auf dringendes Verlangen erhielt er sogleich bei diesem Beamten Zutritt.
»Herr Consul, sagte er ohneweiters, ich habe starke Vermuthungsgründe zu glauben, daß unser Mann sich als Passagier an Bord des Mongolia befindet.«
Und Fix erzählte, was sich mit dem Bedienten in Beziehung auf den Paß begeben hatte.
»Gut, Herr Fix, erwiderte der Consul, es würde mir lieb sein, diesem Schurken in’s Gesicht zu sehen. Aber vielleicht wird er nicht auf mein Bureau kommen, wenn er ist, was Sie vermuthen. Ein Dieb läßt nicht leicht eine Spur von sich zurück, und übrigens ist Niemand mehr an die Formalität des Passes gebunden.
– Herr Consul, erwiderte der Agent, wenn’s ein starker Mann ist, wie man annehmen muß, wird er kommen!
– Um seinen Paß visiren zu lassen?
– Ja. Die Pässe dienen nur noch, die ehrlichen Leute zu geniren und den Schurken zur Flucht förderlich zu sein. Ich versichere Sie, dieser wird in der Ordnung sein, aber ich hoffe, Sie werden ihn nicht visiren …
– Und warum nicht? Wenn dieser Paß in Ordnung ist, hab’ ich nicht das Recht, mein Visa zu verweigern.
– Doch, Herr Consul, muß ich wohl diesen Menschen hier zurückhalten, bis ich von London einen Verhaftsbefehl erhalten habe.
– Ei! Herr Fix, das ist Ihre Sache, erwiderte der Consul, aber ich kann nicht …«
Der Consul hatte noch nicht ausgeredet, als man anklopfte, und der Bureaudiener zwei Fremde hereinführte, wovon der eine derselbe Diener war, welcher sich mit dem Detective unterhalten hatte.
Es waren wirklich der Herr und sein Diener. Der erstere überreichte seinen Paß und bat mit kurzen Worten den Consul, sein Visa beizufügen.
Dieser nahm den Paß und las ihn achtsam, während Fix in einer Ecke des Zimmers den Fremden betrachtete, oder vielmehr mit den Augen verschlang.
Als der Consul den Paß durchgelesen hatte, fragte er: »Sie sind Phileas Fogg, Sq.?
– Ja, mein Herr, erwiderte der Gentleman.
– Und dieser Mensch ist Ihr Diener?
– Ja, ein Franzose, Passepartout mit Namen.
– Sie kommen aus London?
– Ja.
– Und gehen?
– Nach Bombay.
– Gut, mein Herr. Sie wissen, daß diese Förmlichkeit des Visa unnütz ist, und wir verlangen die Ueberreichung des Passes nicht mehr?
– Ich weiß es, mein Herr, erwiderte Phileas Fogg, aber ich wünsche durch Ihr Visa meine Anwesenheit in Suez zu erweisen.
– Meinetwegen, mein Herr.«
Und der Consul unterzeichnete den Paß, datirte ihn und fügte seinen Stempel bei. Herr Fogg bezahlte die Gebühren, grüßte kalt und ging mit seinem Diener hinaus.
– Nun? fragte der Polizei-Agent.
– Nun, erwiderte der Consul, er sieht wie ein ganz ehrlicher Mann aus!
– Möglich, erwiderte Fix, aber darum handelt sich’s nicht. Finden Sie, Herr Consul, daß dieser phlegmatische Gentleman Zug für Zug dem Diebe gleicht, dessen Signalement mir zugestellt worden ist?
– Ich geb’s zu, aber Sie wissen, alle Signalements …
– Ich werde die Sache heraus bekommen, erwiderte Fix. Der Diener scheint mir nicht so verschlossen, wie der Herr. Zudem ist’s ein Franzose, der das Reden nicht lassen kann. Auf baldiges Wiedersehen, Herr Consul.«
Nach diesen Worten ging der Agent fort und suchte Passepartout auf.
Inzwischen hatte sich Herr Fogg von dem Consulargebäude hinweg nach dem Quai begeben. Hier gab er seinem Diener einige Aufträge, fuhr dann in einem Nachen wieder an Bord des Mongolia, und begab sich in seine Cabine. Hierauf nahm er sein Notizbuch, worin er Folgendes eingetragen hatte:
»Abgefahren aus London, Mittwoch den 2. October, 8 Uhr 45 Min. Abends.
»Ankunft zu Paris, Donnerstag den 3. October, 7 Uhr 20 Min. Vorm.
»Abfahrt aus Paris, Donnerstag, 8 Uhr 40 Min. Vorm.
»Ankunft, durch den Mont-Cenis, zu Turin, Freitag den 4. October, 6 Uhr 35 Minuten Vorm.
»Abfahrt aus Turin, Freitag, 7 Uhr 20 Min. Vorm.
»Angekommen zu Brindisi, Samstag den 5. October, 4 Uhr Nachm.
»Eingeschifft auf dem Mongolia, Samstag, 5 Uhr Nachm.
»Angekommen zu Suez, Mittwoch den 9. October, 11 Uhr Vorm.
»Summa der Stunden: 158½, macht 6½ Tage.«
Herr Fogg schrieb diese Daten auf ein in Spalten eingetheiltes Reisenotizbüchlein, welches vom 2. October bis zum 21. December angegeben enthielt den Monat, Tag und Datum, die vorgeschriebene Ankunftszeit und die wirkliche Ankunft an jedem der Hauptorte: Paris, Brindisi, Suez, Bombay, Calcutta, Francisco, New-York, Liverpool, London, so daß man an jedem Orte, wohin man kam, den gewonnenen Vorsprung oder die Einbuße beziffern konnte.
Dieses methodische Büchlein gab also stets Rechenschaft, und Herr Fogg wußte immer, ob er einen Vorsprung hatte oder zurückgeblieben war.
Er trug also an diesem Tage, Mittwoch den 9. October, seine Ankunft zu Suez ein, welche mit der vorgeschriebenen Ankunftszeit verglichen weder einen Gewinn noch Verlust nachwies.
Darauf ließ er sich in seiner Cabine ein Frühstück auftragen. Die Stadt zu besehen, fiel ihm nicht ein, denn er gehörte zu der Sorte von Engländern, welche die Länder, durch welche sie reisen, von ihren Bedienten besehen lassen.
Fix hatte in wenig Augenblicken Passepartout am Quai eingeholt, der da schlenderte und schaute, denn er glaubte nicht, daß er verbunden sei, nichts zu sehen.
»Nun, Freund, redete Fix ihn an, ist Ihr Paß visirt?
– Ah! Sie sind’s; mein Herr, erwiderte der Franzose. Sehr verbunden. Wir sind völlig im Reinen.
– Und Sie besehen sich das Land?
– Ja, aber wir reisen so rasch, daß mir’s vorkommt, als reise ich im Traum. Z.B. Wir sind hier in Suez?
– Suez.
– In Aegypten?
– Aegypten, ganz recht.
– Und in Afrika?
– In Afrika.
– In Afrika! wiederholte Passepartout. Ich kann’s gar nicht glauben. Denken Sie sich, mein Herr, ich meinte, wir gingen nicht weiter als Paris, und diese berühmte Hauptstadt sah ich eben nur von sieben Uhr zwanzig bis acht Uhr vierzig Minuten Vormittags, zwischen dem Nordbahnhof und dem Lyoner, durch die Scheiben eines Fiaker, während eines Platzregens! Das war mir leid! Gerne hätte ich den Père La Chaise und den Circus in den Champs Elysées besucht!
– Sie haben demnach sehr Eile? fragte der Polizei-Agent.
– Ich nicht, aber mein Herr. Apropos, ich muß ja Strümpfe und Hemden kaufen! Wir sind ohne Koffer abgereist, nur mit einem Reisesack.
– Ich will Sie in einen Bazar führen, wo Sie Alles finden, was Sie brauchen.
– Mein Herr, erwiderte Passepartout, Sie sind wirklich sehr gefällig!« …
Und sie gingen mit einander. Passepartout schwatzte beständig.
»Vor Allem, sagte er, muß ich mich hüten, das Boot nicht zu verfehlen!
– Sie haben Zeit, versetzte Fix, es ist erst zwölf Uhr!«
Passepartout zog seine große Uhr heraus. »Zwölf Uhr, sagte er. Nicht doch! es ist neun Uhr zweiundfünfzig Minuten!
– Ihre Uhr geht nach, erwiderte Fix.
– Meine Uhr! Das alte Familienstück von meinem Urgroßvater her! Sie weicht nicht fünf Minuten im Jahre ab. Es ist ein wahrer Chronometer!
– Ich sehe, woran’s hängt. Sie haben noch die Londoner Zeit, welche um zwei Stunden etwa von der zu Suez abweicht. Sie müssen darauf bedacht sein, Ihre Uhr nach der Mittagszeit jedes Landes zu stellen.
– Ich! an meine Uhr rühren! rief Passepartout, niemals!
– Ah, dann stimmt sie nicht mehr mit der Sonne.
– Um so schlimmer für die Sonne, mein Herr! Sie ist im Irrthum.«
Und der wackere Bursche steckte seine Uhr mit stolzer Geberde wieder in seine Tasche.
Nach einer kleinen Weile sprach Fix:
»Also Sie haben London in Eile verlassen?
– Das mein’ ich! Letzten Mittwoch um acht Uhr Abends kam Herr Fogg gegen alle Gewohnheit früh aus seiner Gesellschaft, und schon dreiviertel Stunden nachher waren wir unterwegs.
– Aber wo reist Ihr Herr denn hin?
– Immer gerade aus, um die ganze Erde herum!
– Um die Erde herum? rief Fix.
– Ja, in achtzig Tagen! Eine Wette, sagte er, aber, unter uns, ich glaub’s nicht. Das wäre Unsinn. Es steckt was anderes dahinter.
– Ei! Der Herr Fogg ist ein Original.
– Das glaub’ ich.
– Ist er denn reich?
– Ganz gewiß, er hat eine hübsche Summe bei sich, in ganz neuen Banknoten! Und er spart unterwegs nicht! Denken Sie, er hat dem Maschinisten des Mongolia eine stattliche Prämie versprochen, wenn wir bei der Ankunft in Bombay einen hübschen Vorsprung haben!
– Und Sie kennen Ihren Herrn von lange her?
– Ich! erwiderte Passepartout, erst am Tage unserer Abreise bin ich bei ihm in Dienst getreten!«
Man kann sich leicht denken, was diese Antworten auf den schon überspannten Kopf des Polizei-Agenten für eine Wirkung haben mußten.
Diese eilige Abreise von London, kurz nachdem der Diebstahl vorgefallen war, die große Summe, welche er bei sich hatte, diese hastige Eile, um in ferne Länder zu kommen, dieser Vorwand einer unsinnigen Wette, – Alles bestärkte Fix, und mußte ihn auch wohl in seinem Argwohn bestärken. Er ließ den Franzosen noch weiter plaudern, und bekam die Gewißheit, daß dieser Bursche seinen Herrn gar nicht kannte, daß dieser zu London vereinsamt lebte, daß man ihn reich nannte, ohne zu wissen, woher sein Vermögen komme, daß es ein verschlossener Mann sei, etc. Aber zugleich konnte Fix sich überzeugt halten, daß Phileas Fogg zu Suez nicht das Boot verlasse, und daß er wirklich nach Bombay gehe.
»Ist’s weit nach Bombay? fragte Passepartout.
– Sehr weit, erwiderte der Agent. Sie müssen dafür noch weitere zehn Tage auf der See fahren.
– Und wo liegt dies Bombay?
– In Indien.
– In Asien?
– Natürlich.
– Teufel! Das wollt’ ich schon sagen … es beunruhigt mich etwas … Mein Hahn!
– Was für ein Hahn?