Das Brave-Tochter-Syndrom - Beate Scherrmann-Gerstetter - E-Book

Das Brave-Tochter-Syndrom E-Book

Beate Scherrmann-Gerstetter

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Beschreibung

Brave Töchter gibt es in allen Altersstufen. Sie sind stark, engagiert und kümmern sich liebevoll um andere. Irgendwann im Leben kommen viele an einen Punkt, an dem sie sich überlastet, eingeengt und unzufrieden fühlen. Dieses Buch klärt auf, wodurch Brave Töchter geprägt wurden: Sie haben in ihrer Herkunftsfamilie zu früh Verantwortung getragen und nicht ganz Kind sein dürfen. Anhand vieler Beispiele eröffnen die Autoren verblüffende Aha-Effekte und bieten betroffenen Frauen Ansatzpunkte, wie sie neue Wege beschreiten können. Ein erlösendes Buch, das Lust und Mut macht, mehr eigenes Leben zu wagen!

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Seitenzahl: 222

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Das Buch

Wenn sie gebraucht werden, sind sie da. Den Freunden und der Familie fehlt es an nichts und auch im Beruf sind Brave Töchter sehr engagiert. Sie denken immer ein bisschen zu viel an andere und ein bisschen zu wenig an sich selbst – bis sie in die unausweichliche Krise geraten. Erschöpfung und Unzufriedenheit stellen sich ein und die Brave Tochter kann zum »bösen Mädchen« werden. Dann ist es Zeit, sich der eigenen Prägungen bewusst zu werden, wozu dieses Buch einlädt. Es ermutigt betroffene Frauen, sich abzugrenzen, nein zu sagen und zu spüren, was sie selbst wollen. Anhand vieler Beispiele erfahren die Leserinnen, wo das »Brave-Tochter-Syndrom« herkommt und wie Veränderung möglich ist. Ein befreiendes Buch, das Mut macht, selbstbewusst für die eigenen Bedürfnisse einzustehen.

Die Autoren

Manfred Scherrmann, Paar- und Familientherapeut mit Schwerpunkt Systemische Beratung und Therapie, verstorben 2017.

Beate Scherrmann-Gerstetter, Diplompädagogin und Theologin; Ausbildung in Einzel- und Paarberatung (DAJEB).

©Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

(erste Ausgabe 2006)

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Sabine Hanel, München

Umschlagmotiv: © praetorianphoto / Gettyimages

Satz: Arnold & Domnick, Leipzig

E-Book-Konvertierung: Newgen publishing

ISBN Print: 978-3-451-03375-9

ISBN E-Book: 978-3-451-82776-1

Inhalt

Vorwort

Manfred Scherrmann

Teil 1: Das erfüllte Leben Braver Töchter

Beate Scherrmann-Gerstetter

„Ich mach das schon“ – im Dauereinsatz für die Familie

„Wo kann ich helfen?“ – immer aktiv für andere

„Maria und Martha“ – Brave Töchter im kirchlichen Umfeld

„Auf mich ist Verlass“ – Brave Töchter im Beruf

„Natürlich habe ich Zeit für dich“ – die Brave Tochter als Freundin

„Wenn ich dich nicht hätte“ – eine Würdigung

Teil 2: Die Kehrseite

Beate Scherrmann-Gerstetter

„Eigentlich habe ich ja keine Zeit“ – immer in Aktion

„Alles im Blick“ – das innere Parallelprogramm

„Ich will nun mal alles perfekt machen“ – Pannen und andere Katastrophen

„Ich weiß, was für euch gut ist“ – Konflikte im Alltag

„Ich will’s doch recht machen“ – bei Kritik wird’s kritisch

„Wie ich dir, so du mir“ – unausgesprochene Erwartungen

„Eigentlich bin ich ganz anders“ – die verborgene schwache Seite

„Warum bin ich auf einmal so unzufrieden?“ – eine Fallgeschichte

„So kann das nicht mehr weitergehen!“ – Veränderung tut Not

Teil 3: Die Hintergründe

Manfred Scherrmann

„Ich konnte nie richtig Kind sein“ – die Kindheit braver Töchter

„Mama war so allein“ – Töchter, die ihre Mutter stützen

„Papa hat mir so Leid getan“ – besondere Vatertöchter

„Es war so schon schwer genug“ – ja nicht zur Last fallen

„Was ist nur los mit mir?“ – der Blick auf das Symptom

„Ich mach das für dich“ – Ordnungen der Liebe

Teil 4: Die Brave Tochter als Ehefrau und Mutter

Beate Scherrmann-Gerstetter

„Bettina und ihre Männer“ – ein modernes Märchen

„Sei stark, aber auch schwach“ – zur Partnerwahl Braver Töchter

„Das kriegen wir schon hin“ – Allmachtsphantasien

„Ich will alles für dich sein, und du sollst alles für mich sein“ – das Konzept von Liebe

„So habe ich mir das nicht vorgestellt“ – Ernüchterung im Ehealltag

„Hauptsache, es geht dir gut“ – auch im Bett

„Das Paar im Gespräch“– oder auch nicht

„Mama, du nervst!“ – wenn Kinder in die Pubertät kommen

„Mutter bleibt man ein Leben lang“ – von der Schwierigkeit, die Kinder loszulassen

Teil 5: Selbsthilfe

Beate Scherrmann-Gerstetter

„Es muss sich einiges ändern! Oder besser doch nicht?“ – die Motivation klären

„Veränderungen fangen im Kopf an“ – persönliche Fallen analysieren

„Wie alt fühle ich mich gerade?“ – die Fallen erspüren

„So habe ich das noch nie gesehen“– der konstruktive Umgang mit Verschiedenheit

„Männer sind anders. Frauen auch“ – es hat auch Vorteile…

„Ich bin nicht perfekt, und das ist gut so“– vom Umgang mit menschlicher Unvollkommenheit

„Es gibt so vieles, dessen ich nicht bedarf“ – was brauche ich wirklich?

„Ich habe doch gar nichts gesagt!“ „Aber wie!“ – Botschaften ohne Worte

„Wie geht es dir eigentlich mit mir, wenn ich…?“– in die Schuhe des anderen schlüpfen

„Ich nehme, was du gibst“ – wie Beziehungen gelingen

„Ich mag mich ganz und gar“ – und andere nützliche Feststellungen

„Und was tue ich jetzt?“ – was sonst noch von Interesse für Sie sein könnte

Teil 6: Hilfe von außen

Manfred Scherrmann

„Allein schaffe ich das nicht“ – wenn Hilfe von außen gesucht wird

„Was alles ist in meiner Herkunftsfamilie passiert?“– der Blick auf die eigenen Wurzeln

„Es war Krieg“ – alle gehören mit ihren Schicksalen dazu

„Es darf gut weitergehen“ – wie uns das Schwere frei gibt

„Jetzt sehe ich, was ihr tragt“ – vom Achten und Würdigen

„Ich bin nur das Kind“ – vom Nehmen der Eltern

„Ich kann es auch nicht besser als du“ – vom Gesundschrumpfen

„Bitte willige ein, wenn ich es mir gut gehen lasse“ – die Arbeit mit Sätzen

„Bitte schaut freundlich auf mich“ – vom Lassen der Eltern

„Ich bin nur deine Frau“ – von der Liebe, die schwach macht, zur Liebe, die stark macht

„Ich bin frei für mein Eigenes“ – das Ziel aller therapeutischen Arbeit

Literaturhinweise

Sie war eine „gute Tochter“,

die den Erwartungen der Eltern entsprach

und vieles von dem ausglich,

was zwischen ihnen nicht stattfand.

Sie war der Trost der Mutter

und der Stolz des Vaters.

Sie war immer da,

wenn sie gebraucht wurde,

und sie brauchten sie ständig.

Früh schon lernte sie,

dass es gut war,

die Gefühle der Eltern zu fühlen,

ihre Gedanken zu denken,

ihr Wollen wichtiger zu nehmen

als das eigene Wünschen,

sich so handlich zu machen,

wie es nur irgend ging.

Sie war eine „gute Tochter“,

aber sie hat nie ihr Leben gelebt,

und niemand weiß,

wer sie eigentlich war.

Antje Sabine Naegeli

Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus: Antje Sabine Naegeli, Viele Türen hat das Leben © 1997 Johannis bei SCM Hänssler, D-71088 Holzgerlingen, www.scm-haenssler.de

Vorwort

Brave Töchter gibt es in allen Altersstufen. Manche sehen sich selbst als Brave Tochter. Manche würden nie auf die Idee kommen, sie seien ein Brave Tochter, und doch gehören sie zu dieser weit verbreiteten „Spezies“. Manche von ihnen sind innerlich und oft auch äußerlich schon weite Wege gegangen und sind im Kern dennoch Brave Töchter geblieben. Auch wenn es deutliche Unterschiede gibt: Etwas Gemeinsames hat ihr Leben in starkem Maße geprägt. Was da im Hintergrund wirkt, ist Thema dieses Buches. Außerdem wird es um die Frage gehen, wie gegen alle Widerstände Veränderung möglich ist.

Seit vielen Jahren leiten wir Wochenendseminare mit Familienaufstellungen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind meist Frauen und Männer, die mitten im Leben stehen, nur in Ausnahmefällen ernsthaft krank oder psychisch extrem belastet. Viele kommen mit Anliegen bezüglich ihrer Partnerschaft, haben Probleme mit Kindern, oder sie möchten mit ihrem Vater oder ihrer Mutter etwas in Ordnung bringen, was nicht gut ist.

Im Laufe unserer Arbeit an diesen „normalen“ Themen sind wir immer wieder auf eine ganz besondere Dynamik gestoßen, für die wir den Begriff „Brave-Tochter-Syndrom“ geprägt haben. Den Begriff „Syndrom“ haben wir ganz bewusst gewählt: Bei dieser Dynamik handelt es sich um ein sehr komplexes Phänomen, dessen Wurzeln nicht auf den ersten und oft auch nicht auf den zweiten Blick erkennbar sind; es ist auch nicht so leicht, die belastenden Symptome los zu werden. Viele Brave Töchter stehen so unter Leidensdruck, dass sie sich als krank erleben. Ihnen gelingt es oft nicht, trotz vieler Bemühungen, ihre Probleme ohne professionelle Hilfe „in den Griff“ zu bekommen. Andererseits gibt es auch viele „leichtere Fälle“; manchen Braven Töchtern geht es sogar ihr Leben lang gut.

Auch außerhalb unserer Seminare begegnet uns diese Thematik häufig: mir in meiner Praxis für systemische Lösungen, meiner Frau in ihrem Beruf als Ehe-, Familien- und Lebensberaterin in einer Beratungsstelle. Zu uns kommen Frauen jeden Alters, berufstätig oder „Nur“-Hausfrauen, allein stehend oder verheiratet, mit Kindern oder ohne Kinder, die an einem Punkt angekommen sind, an dem es für sie nicht mehr so weitergehen kann wie bisher. Sie fühlen sich überfordert, belastet, niedergeschlagen, eingeengt, unzufrieden. Manchmal gibt es einen klar erkennbaren Auslöser dafür, dass sie Hilfe suchen, etwa wenn der Ehemann sich in eine andere Frau verliebt hat. Oft aber ist ihre Lebenssituation unspektakulär. Deshalb verstehen weder die Frauen selber noch ihre Umgebung, warum sie das Gefühl haben, sich in einer Sackgasse zu befinden.

Wenn von uns bei der Betrachtung ihrer Lebensgeschichte dann der Begriff des Brave-Tochter-Syndroms eingeführt wird, so ist das für sie oft wie eine Erleuchtung. Sie sind froh, endlich einen Namen für das zu haben, was sie so belastet. Und – was noch wichtiger ist – damit bekommen sie auch eine Vorstellung von dem, was sie tun können, um ihr Syndrom zu überwinden und frei zu werden für mehr Eigenes. Denn dass es darum im Grunde geht, leuchtet den meisten Frauen unmittelbar ein.

Das Eigene kann gelingen, wenn wir das Nicht-Eigene dort lassen können, wo es hingehört, vor allem zur Mutter und zum Vater. Das ist nicht immer leicht. Viele gehen in eine harte Lebensschule, und Umwege und Sackgassen gehören dazu. Was das Leben mit uns macht, ist unserem Verstehen nur beschränkt zugänglich. Hinter den Zaun zu schauen, könnte neue Perspektiven ermöglichen. Die Kunst, das eigene Leben neu sehen zu lernen, weg zu kommen von einer sich immer wiederholenden, einengenden Wirklichkeitskonstruktion, bringt uns in Bewegung, innen und außen.

In unseren Seminaren und in unserer beraterischen und therapeutischen Arbeit haben wir viele einzelne Facetten des Brave-Tochter-Syndroms wahrgenommen, und auch die eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen ergänzten das Bild: Meine Frau ist eine Brave Tochter. Daher konnten wir auch privat häufig Erfahrungen mit dieser Dynamik machen, und viele Gespräche darüber haben uns bereichert.

Für Männer kann dieses Buch ebenfalls von Interesse sein, besonders für Ehemänner, die mit einer Braven Tochter verheiratet sind. Sie werden ihre Frau besser verstehen, und möglicherweise können sie auch ihren Teil dazu beitragen, dass Spannungen im Zusammenleben weniger werden. Zudem gibt es auch das Brave-Sohn-Syndrom. Doch manches ist bei Männern anders, bedingt durch die geschlechtsspezifischen Erziehungsziele und Rollenerwartungen.

Meiner Frau bin ich sehr dankbar für ihre Bereitschaft, dieses Buch im Interesse der vielen fragenden und suchenden Frauen zusammen mit mir zu schreiben – es gibt noch nichts Vergleichbares zu diesem Thema. Uns gemeinsam dieser Aufgabe zu stellen, war für uns spannend, anregend, herausfordernd und voller Entdeckungen. Die Teile 3 und 6 stammen von mir, alle anderen Teile von meiner Frau. Nur sie konnte als Brave Tochter die Innensicht kompetent darstellen.

Unser Dank gilt besonders den vielen Braven Töchtern unter unseren Klientinnen und Seminarteilnehmerinnen, die uns gelehrt haben, sie besser zu verstehen. Durch die Arbeit mit ihnen hat sich unser Verständnis für ihre besondere Thematik erweitert und vertieft. Sie haben als Brave Töchter Erfahrungen gesammelt, ohne die dieses Buch nicht hätte geschrieben werden können. Soweit ihre Erfahrungen in unsere vielen Beispiele eingeflossen sind, wurden diese so verfremdet, dass die Privatsphäre geschützt bleibt.

Wir wünschen allen unseren Leserinnen und Lesern, allen persönlich Betroffenen und allen beruflich mit Braven Töchtern Befassten eine anregende Lektüre mit vielen Aha-Erlebnissen. Wenn das Buch dazu beiträgt, Neues auszuprobieren und Altes zu lassen, dann hat es seinen Zweck erfüllt.

Teil 1:Das erfüllte Leben Braver Töchter

Wenn Sie zu diesem Buch gegriffen haben, ist Ihnen das Thema „Brave Tochter“ vermutlich in irgendeiner Form vertraut. Vielleicht haben Sie spontan an jemand aus Ihrer Familie oder Ihrem Bekanntenkreis gedacht; vielleicht gehören Sie auch selbst zu jenen Frauen, die allen gerecht werden wollen, immer für andere Menschen da sind und dabei nicht so richtig zu ihrem Eigenen kommen. Wahrscheinlich ist Ihnen schon klar, dass es dabei um eine innere Haltung geht, die in allen Lebensbereichen zum Ausdruck kommt, und wahrscheinlich haben Sie auch eine ungefähre Vorstellung davon, was Brave Töchter von Nicht-Braven Töchtern unterscheidet.

Ein genaueres, möglichst farbiges Bild vom Leben Braver Töchter in Familie, Freizeit und Beruf zu zeichnen, darum wird es in diesem ersten Teil gehen. Ich möchte dabei das herausstellen, was typisch für Brave Töchter ist – die großen individuellen Unterschiede zwischen ihnen sollen durch den Blick auf das Typische natürlich nicht verwischt oder gar aufgehoben werden.

„Ich mach das schon“ – im Dauereinsatz für die Familie

Für Brave Töchter, die eine Familie haben, stehen Mann und Kinder im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Sie sind als Ehefrau und Mutter ausgesprochen fürsorglich. Ihre eigenen Bedürfnisse sind ihnen nicht so wichtig – sie sind zufrieden, wenn ihre Familie zufrieden ist. Natürlich möchten sie schon, dass Mann und Kinder im Haushalt mithelfen und dass bestimmte Regeln gelten, etwa dass die Kinder ihre Zimmer in Ordnung halten. Doch sie haben viel Verständnis für die berufliche Belastung ihres Mannes und versuchen, ihm den Rücken frei zu halten, und sie sehen auch, dass die Schule die Kinder bisweilen ordentlich fordert. Und so sind Brave Töchter auch immer wieder bereit, Ausnahmen bei der häuslichen Lastenverteilung zu machen und vieles dann doch selber zu erledigen: „Lass nur, ich mach das schon ...“ Eine Szene wie die folgende kommt Ihnen vielleicht bekannt vor:

Herr H. kommt um 19 Uhr nach einem 10-stündigen Arbeitstag ziemlich erledigt nach Hause. Eigentlich hatte er zugesagt, auf dem Heimweg noch Sprudel einzukaufen. „Natürlich“ hat er doch nicht daran gedacht, und Frau H. setzt sich ins Auto, um noch vor Ladenschluss selber Nachschub zu holen. Und der Einfachheit halber bringt sie den Kasten dann auch gleich selber hoch in den 3. Stock – vielleicht hat sich ihr Mann ja etwas hingelegt, und der 17-jährige Sohn sitzt noch an einem Referat; ihn wegen einem Getränkekasten zu stören, das findet sie übertrieben. Sie selbst würde ja auch mal einen Kräutertee zum Abendessen trinken, aber da ihre „Männer“ nun mal ihren Sprudel brauchen, ist es klar, dass sie ihn noch besorgt.

Der Blick einer Braven Tochter ist also erst einmal auf andere gerichtet – nicht nur der „brave Mann denkt an sich selbst zuletzt“, sondern auch die Brave Tochter. Was andere brauchen oder auch nur brauchen könnten, steht im Zentrum ihres Fühlens, Denkens und Handelns, und das umso mehr, je wichtiger eine Person für sie ist. Bisweilen treibt diese Ausrichtung auf andere seltsame Blüten. Dazu ein Beispiel aus unserem Ehealltag:

Vor Jahren schenkte mir eine Bekannte einmal eine Sammlung mit köstlichen Rezepten zur Verwertung von Quitten. Außer Quittenmarmelade, die schon vorher zu meinem Repertoire gehörte, machte ich ein paar Jahre lang Quitten in Rotwein und Quitten-Chutney, der mir besonders gut schmeckte. Mein Mann hingegen war von dem süß-sauren Chutney nicht begeistert; die Quitten in Rotwein fand er aber immer toll. Die Folge war, dass ich mit schöner Regelmäßigkeit Quitten in Rotwein und Quittenmarmelade machte, aber keinen Chutney mehr – mein Lieblingsrezept hatte ich schlichtweg vergessen…

Eine besondere Herausforderung für die Fürsorglichkeit Braver Töchter bilden Situationen und Zeiten, in denen ihre Lieben ihrer direkten Obhut entzogen sind:

Herr Q. muss beruflich immer wieder für ein paar Tage von Stuttgart nach München. Er ist mit dem Auto drei Stunden unterwegs. Seine Frau richtet ihm nicht nur eine Box mit Apfelstücken, sondern stellt auch liebevoll eine Art Studentenfutter zusammen und besorgt früh morgens natürlich noch zwei frische Brezeln, die sie dick mit Butter bestreicht. Außerdem kocht sie ihm eine Thermoskanne voll Kaffee und packt alles zusammen mit einer Flasche Sprudel und einer Packung Schoko-Crossies in einen Korb.

Frauen wie Frau Q. nehmen in Kauf, dass vielleicht die Hälfte der eingepackten Dinge wieder mit heim gebracht wird, etwa auch von einem Schulausflug. Für sie selbst fühlt es sich einfach besser an, wenn sie für alle Fälle vorgesorgt haben – man kann ja nie wissen, und schaden tut’s ja nicht, und außerdem ist es ein Ausdruck dafür, wie wichtig ihnen ihre Familie ist. Übrigens richte ich selber meinem Mann „natürlich“ auch reichlich Reiseproviant, wenn er eine Autofahrt von ein paar Stunden vor sich hat, auch wenn er meint, das sei nicht nötig, er sei ja nicht lange unterwegs…

„Wo kann ich helfen?“ – immer aktiv für andere

Frauen, die andere Menschen immer im Blick haben, sind ständig beschäftigt. Langeweile ist für sie ein Fremdwort. Gelegenheiten, sich nützlich zu machen und zu helfen, sind zahlreich und vielfältig, und Brave Töchter haben den Blick dafür: „Es gibt viel zu tun – packen wir’s an!“ Ihr Engagement endet nicht an der eigenen Wohnungstüre – auch Verwandte, Bekannte, Nachbarn und Menschen in Not profitieren von ihrer Umsicht, Hilfsbereitschaft und Einsatzfreude, wie die folgenden Beispiele anschaulich zeigen:

Frau O., Mutter von vier Kindern, noch im Erziehungsurlaub, hat nachmittags oft noch Freunde und Freundinnen ihrer Sprösslinge im Haus. Deren Mütter sind ganz froh, dass sie ihre Kinder eine Weile los sind. Frau O. freut sich, dass sie die anderen, zum Teil berufstätigen Frauen entlasten kann. Auf den Gedanken, die Lasten etwas gleichmäßiger zu verteilen, kommt sie nicht, obwohl sie abends recht erschöpft ist.

Frau A., Altenpflegerin mit Familie, mit 50 % in einem Pflegeheim tätig, schaut seit einem Jahr mehrmals in der Woche noch privat bei einer allein stehenden alten Dame in der Nachbarschaft vorbei, die sich mit Händen und Füßen gegen eine Übersiedlung ins Altersheim wehrt, obwohl sie alleine nicht mehr zurecht kommt. Frau A. ist es manchmal schon etwas viel, aber „sie hat doch sonst niemand…“

Sicher fallen Ihnen selber auf Anhieb weitere Beispiele von Frauen ein, die immer mitbekommen, wenn es etwas zu tun gibt, und dann gleich zur Stelle sind. Die Arbeit von gemeinnützigen Organisationen und von Vereinen verschiedenster Art ist ohne Brave Töchter schwer vorstellbar – hier sind sie diejenigen, auf die zu 100 % Verlass ist und die in Notsituationen einspringen, wie Frau U. im folgenden Beispiel:

Frau U., verheiratet, Mutter von drei halbwüchsigen Kindern, arbeitet ehrenamtlich im Eine-Welt-Laden mit. Wenn jemand, der zum Verkauf eingeteilt ist, kurzfristig ausfällt, springt sie in aller Regel ein – Anruf genügt. Der Gedanke, dass der Laden sonst geschlossen bleiben müsste, geht ihr so gegen den Strich, dass sie es praktisch immer möglich macht zu kommen, auch wenn sie eigentlich etwas anderes vorhatte.

Brave Töchter bieten ihre Hilfe oft so überzeugend an, dass es schwer fällt, das Angebot abzulehnen. Sie helfen wirklich gerne, es ist ihnen ein inneres Bedürfnis, sich nützlich zu machen. Manchmal scheint es geradezu schwierig für sie, wenn die von ihnen angebotene Hilfe nicht in Anspruch genommen wird. Und besonders schlimm kann es für eine Brave Tochter sein, wenn nicht sie, sondern jemand anderes um Hilfe gebeten wird…

„Maria und Martha“ – Brave Töchter im kirchlichen Umfeld

Brave Töchter gab es zu allen Zeiten. In der bekannten Geschichte von Maria und Martha, die bei Lukas im Neuen Testament steht, geht es darum, dass Jesus als Gast ins Haus der beiden Schwestern kommt. Während Maria sich zu seinen Füßen setzt, um ihm zuzuhören, sorgt Martha für sein leibliches Wohl, wie es sich ihrer Meinung nach für eine gute Gastgeberin gehört. Martha war, so sieht es aus, eine Brave Tochter.

In unseren Kirchengemeinden gibt es viele Marthas – in der Jugend-, Alten- und Frauenarbeit, im Besuchsdienst, in der Kinderkirche, als Helferinnen und Kuchenbäckerinnen bei Gemeindefesten oder im Kirchenchor, um nur die klassischen Betätigungsfelder zu nennen. Meist haben sie – so der Titel eines mir bekannten Gemeindebriefes – „Freude am Dienst“ und fühlen sich auch „immer im Dienst“. Ihr Einsatz geschieht aus christlicher Nächstenliebe und ist Ausdruck ihres christlichen Glaubens. Manchmal würden sie sich vielleicht etwas mehr Engagement auch bei anderen Gemeindemitgliedern wünschen, doch im Großen und Ganzen geht es ihnen gut mit den übernommenen Aufgaben.

Ihre Grundhaltung ist, unter Zurückstellung ihrer eigenen Bedürfnisse und Interessen für andere da zu sein. Nach ihrem Verständnis erfüllen sie damit das zentrale christliche Gebot, den Nächsten so wie sich selbst zu lieben. Es scheint sogar, dass sie dieses Gebot für sich noch etwas zuspitzen: „Liebe deinen Nächsten mehr als dich selbst!“ Oder aber sie hören nur den ersten Teil: „Liebe deinen Nächsten!“ Ich denke da beispielsweise an Frau G. und Frau W.:

Frau G., pensionierte Finanzbeamtin, wollte im lang ersehnten Ruhestand eigentlich viele längere Auslandsreisen machen. Es kam jedoch anders: Unversehens fand sie sich im Leitungsteam des kirchlichen Altentreffs wieder. Außerdem übernahm sie das Amt der Kirchenpflegerin, als der bisherige Kirchenpfleger plötzlich schwer erkrankte – mit Geldsachen kannte sie sich ja aus. Ihre Reisepläne legte sie für die nächsten Jahre weitgehend auf Eis.

Frau W., Mitte 40, hatte jahrelang ihre Mutter gepflegt. Nachdem diese gestorben war, entschloss sie sich zu einer Kur, die nach einigem Hin und Her auch bewilligt wurde. Aus der Kur kam sie mit dem festen Vorsatz zurück, jetzt endlich mal mehr nach sich selber zu schauen. Wie sie sagte, wollte sie sich sehr gerne bei der Frauenakademie einschreiben, was bisher aus Zeitgründen nie möglich war. Als ich sie ein paar Wochen später wieder traf, berichtete sie, die Frauenakademie habe sie doch wieder gestrichen. Der Pfarrer habe sie angesprochen, ob sie mit ihrer Erfahrung in der Pflege nicht beim Aufbau der geplanten Hospizgruppe mitwirken wolle, und das halte sie nun doch für so wichtig, dass die Frauenakademie warten müsse.

Mit dieser Auffassung, dass eigene Interessen und Bedürfnisse weniger wichtig sind als das, was andere brauchen, sind Brave Töchter in christlichen Gemeinden in guter Gesellschaft. Ihr Einsatz wird gewürdigt, und oft wird er sogar erwartet. Die Aufforderung zur Mitarbeit mit dem Hinweis auf private Interessen abzulehnen, ist schwierig. Sich selbst wichtig zu nehmen, das ist – darin sind sich die Engagierten einig – nicht Aufgabe von Christen und Christinnen. Und der Gedanke, sich selber genauso zu lieben wie andere, ist für sie ziemlich gewöhnungsbedürftig. Leichter ist es, nicht weiter darüber nachzudenken, sondern wie gewohnt einen Kuchen für den Gemeindenachmittag zu backen…

„Auf mich ist Verlass“ – Brave Töchter im Beruf

Brave Töchter finden sich besonders zahlreich in sozialen Berufen. Sie sind tätig als Krankenschwestern, Erzieherinnen, als Heilerziehungs- oder Altenpflegerinnen, als Sozialarbeiterinnen, Therapeutinnen oder Beraterinnen. Manche hätten auch gerne einen solchen Beruf, konnten aber aus irgendwelchen Gründen keine entsprechende Ausbildung machen; oder sie haben sich nach der Ausbildung oder einigen Jahren Berufstätigkeit bewusst für ein Leben als Hausfrau und Mutter entschieden, als sie das erste Kind erwarteten.

Für andere da zu sein, das ist im sozialen Bereich keine Zugabe zur eigentlichen Tätigkeit, sondern gehört dem Wesen nach dazu. Dass Brave Töchter eine Vorliebe für soziale Berufe haben, ist daher einleuchtend. Natürlich sind sie auch in anderen Berufsfeldern zu finden. Sie sind in einem Betrieb oder Team dann diejenigen, die die Kollegen und Kolleginnen in besonderer Weise im Blick haben und automatisch eigene Interessen zurückstellen, wie die Frauen in folgenden Beispielen:

Frau V., Reinigungsfachkraft in einem Altenheim, schiebt einen wachsenden Berg von Überstunden vor sich her, denn wenn eine Vertretung gebraucht wird, muss man sich nur an sie wenden. Sie kann einfach nicht Nein sagen.

Frau F., Teilzeit-Mitarbeiterin beim Ordnungsamt, sorgt zuverlässig für Kaffee und Tee, leert den Reißwolf, wenn er voll ist, und kümmert sich um die Zimmerpflanzen im Flur: „Irgendjemand muss das ja schließlich machen!“ Manchmal allerdings wäre es ihr schon recht, wenn nicht alles an ihr hängen bliebe – sie hat auch nicht weniger zu tun als ihre beiden Kolleginnen!

Frau Ä., Verkäuferin in einem Schuhgeschäft, bietet angesichts der vom Chef verfügten ganztägigen Öffnung des Geschäfts von sich aus an, ihre Arbeitszeit entsprechend anzupassen, obwohl ihr ihre geregelte Mittagspause bisher immer sehr wichtig war. Warum sie das tut, versteht sie eigentlich selber nicht so ganz. Sie vermutet, dass sie keinen Konflikt mit ihren Kolleginnen will.

Ihre Hilfsbereitschaft, Umsicht und Kollegialität sind für alle, die mit Braven Töchtern zusammenarbeiten, recht bequem. Manche fragen sich allerdings im Stillen, warum ihre Kollegin das wohl so macht – sie selbst wären nicht bereit dazu.

„Natürlich hab ich Zeit für dich“ – die Brave Tochter als Freundin

Eine Brave Tochter zur Freundin zu haben, ist etwas sehr Schönes. Sie hat immer Zeit und ein offenes Ohr, nichts ist ihr zuviel, und im Falle eines Falles ist sie zuverlässig zur Stelle. Sie weiß oft Rat bei Problemen, macht gut durchdachte Lösungsvorschläge und packt tatkräftig mit an. Sie strahlt Stärke aus und scheint in aller Regel alleine klar zu kommen. Dass sie selbst einmal Hilfe brauchen könnte, ist fast nicht vorstellbar – nicht für andere, und für sie selbst meist auch nicht.

Frau J. sitzt Abende lang bei ihrer alten Schulfreundin, deren Mann vor sechs Monaten ausgezogen ist und die Scheidung eingereicht hat. Sie nimmt sich immer wieder vor, auch mal Nein zu sagen, wenn ihre Freundin anruft und fragt, ob sie kommen kann, vor allem, weil ihr eigener Mann zunehmend sauer auf ihre häufige Abwesenheit reagiert. Meist siegt jedoch wieder ihr „gutes Herz“ – sie kann ihre Freundin in dieser Krise einfach nicht alleine lassen.

Frau St. wohnt mit ihrer Familie in einem Siedlungsgebiet, wo vor Jahren viele junge Familien etwa zur gleichen Zeit gebaut hatten. Freundschaften entstanden nicht nur zwischen den Kindern, sondern auch zwischen den Müttern. Bei Frau St. geht es oft zu wie in einem Taubenhaus – es vergeht kaum ein Morgen, an dem nicht diese oder jene Freundin „nur so“ vorbeischaut und erzählt, wie schwierig der Jüngste gerade ist, dass sie ihren Mann kaum zu sehen bekommt, dass sie immer noch von Rückenschmerzen geplagt ist und dass die Oma allmählich wirklich nicht mehr allein in ihrer Wohnung leben kann. Frau St. hört geduldig zu, muntert auf, tröstet und macht Vorschläge. Es bleibt zwar vieles liegen, was sie eigentlich hätte erledigen wollen und sollen, aber das muss eben warten, ein gutes Gespräch unter Freundinnen geht vor.

Kommen Ihnen solche Szenen bekannt vor? Ist Ihnen das Verhalten dieser Frauen vertraut? Es ist typisch für Brave Töchter, wie auch die folgenden Verhaltensweisen: Es gibt Tage, an denen eine Brave Tochter kaum vom Telefon wegkommt. Entweder greift sie selber mehrfach zum Hörer, weil sie weiß, die eine oder andere Freundin wartet auf ihren Anruf. Oder sie bekommt Anrufe von Freundinnen, die sie als verständnisvolle Zuhörerin und Beraterin brauchen. Diese fragen wohl schon, wie es ihr geht, aber es geschieht höchst selten, dass eine Brave Tochter dann ausführlich über sich selber spricht. Die jeweilige Gesprächspartnerin thematisiert meist sehr schnell ihre eigenen Probleme, und einer Braven Tochter ist das im Grunde auch recht.

Auch Brave Töchter fühlen sich natürlich nicht jeden Tag gleich fit und belastbar, doch geht es ihnen sofort viel besser, wenn sie von einer Freundin gebraucht werden. Bisweilen mobilisieren sie sogar ungeahnte Kräfte, etwa wenn sie trotz einer dicken Erkältung mit starken Kopfschmerzen ein Telefonat von einer Stunde Dauer führen und dann noch versprechen, am Nachmittag auf eine Tasse Kaffee vorbeizukommen, weil es der Freundin nach dem morgendlichen heftigen Ehekrach so schlecht geht. Ihr eigener Ehemann kann sich nur wundern, was seine Frau alles bewältigt, obwohl sie sich morgens richtig krank fühlte und eigentlich im Bett bleiben wollte.