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Eine faszinierende Saga über Liebe, Gefahr und Magie
Ich bin Morgan. Ich bin kein normales sechzehnjähriges Mädchen. Ich bin eine Hexe. Die sechzehnjährige Morgan Rowlands ist ein ganz normaler Teenager – bis Cal in ihr Leben tritt. Der atemberaubend attraktive Junge scheint sich ausgerechnet für Morgan zu interessieren, die bisher im Schatten ihrer schönen Freundin Bree stand. Morgan ist sofort fasziniert, denn ein dunkles Geheimnis umgibt Cal: Er ist Gründer eines Hexenzirkels. Bald ist Morgan regelmäßig mit Cal zusammen, entdeckt ihre magischen Kräfte, verliebt sich rettungslos. Doch ihre beste Freundin Bree will Cal für sich – um jeden Preis ...
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Seitenzahl: 269
Cate Tiernan wuchs in New Orleans auf und studierte russische Literatur an der New York University. Sie arbeitete zunächst in einem renommierten Verlag, bevor sie mit dem Schreiben begann. Ihre Serie »Das Buch der Schatten« wurde ein großer Erfolg und in mehrere Länder verkauft. Heute lebt Cate Tiernan mit ihrem Mann, zwei Töchtern und zwei Stiefsöhnen, einem Pudel und vielen Katzen in Durham.
Von Cate Tiernan ist bei cbt bereits erschienen:
Das Buch der Schatten – Magische Glut
Mit Liebe für meine ÜberlebenshelferChristine und Marielle
»Hüte dich vor dem Magier und wünsche ihm wohl, denn er besitzt Kräfte, die dein Fassungsvermögen weit übersteigen.«
HEXEN, ZAUBERER UND MAGIER Altus Polydarmus, 1618
Irgendwann in vielen Jahren werde ich zurückblicken und mich an den heutigen Tag als den Tag erinnern, an dem ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Ich werde zurückblicken und mich exakt an den Augenblick erinnern, an dem er in mein Leben trat. Daran werde ich mich immer erinnern.
Ich trug ein grünes Knüpfbatik-T-Shirt und Jeans. Meine beste Freundin, Bree Warren, kam in einer weißen Bauernbluse und einem langen schwarzen Rock, der ihr bis zu den violetten Zehennägeln reichte, auf mich zu. Sie sah schön und stilvoll aus.
»Hey«, rief sie mir entgegen.
»Wir sehen uns in Mathe«, sagte ich zu Janice Yutoh und ging Bree ein paar Stufen entgegen. Sie umarmte mich zur Begrüßung, obwohl wir uns erst am Tag zuvor gesehen hatten. »Hey«, grüßte ich sie zurück. »Es ist heiß. Am ersten Schultag sollte es eigentlich frisch sein.« Es war nicht mal halb neun, doch die frühe Septembersonne brannte weiß vom Himmel und es regte sich kein Windchen in der dumpfen Luft. Trotz des Wetters war ich aufgeregt, erwartungsvoll: Ein neues Schuljahr begann und wir waren endlich in der vorletzten Klasse.
»Vielleicht in der Gegend um den Yukon«, meinte Bree. »Du siehst toll aus.«
»Danke«, sagte ich, froh über ihr diplomatisches Geschick. »Du aber auch.«
Bree sah aus wie ein Model. Sie war groß – eins fünfundachtzig – und hatte eine Figur, für die sich die meisten Mädchen zu Tode hungern würden. Doch Bree aß alles und fand, Diäten seien etwas für Lemminge. Sie hatte nerzfarbenes langes Haar, das sie sich normalerweise in Manhattan schneiden ließ, und zwar so, dass es ihr in perfekt verwuschelten Locken auf die Schultern fiel. Wohin wir auch gingen, überall drehten sich die Leute nach ihr um.
Bree wusste, dass sie toll aussah, und sie genoss es. Weder tat sie Komplimente mit einem Achselzucken ab noch jammerte sie über ihr Aussehen, und sie tat auch nicht so, als wüsste sie nicht, wovon die Leute redeten. Aber sie war auch nicht eingebildet. Sie akzeptierte einfach nur, wie sie aussah, und fand es cool.
Sie warf einen Blick über meine Schulter auf die Widow’s Vale High. Die ziegelsteinroten Mauern und die hohen palladianischen Fenster verrieten die frühere Funktion unserer Schule als Gerichtsgebäude der Stadt. »Sie haben die Balken nicht frisch gestrichen«, sagte sie. »Wieder mal.«
»Nein. – O mein Gott, sieh dir Raven Meltzer an«, sagte ich. »Sie hat ein Tattoo.«
Raven, die im Abschlussjahrgang war, war das wildeste Mädchen auf unserer Schule. Sie hatte schwarz gefärbtes Haar und sieben Körperpiercings (jedenfalls, soweit ich sie sehen konnte) und trug nun um den Bauchnabel eine Tätowierung in Form eines Flammenkreises. Sie war ein toller Anblick, fand ich zumindest – wogegen ich ein ganz normales Mädchen war, mit meinen langen, auf eine Länge geschnittenen mittelbraunen Haaren. Ich hatte dunkle Augen und eine Nase, die man schmeichelnd als »stark« bezeichnen könnte.
Im letzten Jahr war ich zehn Zentimeter gewachsen und maß jetzt eins achtundsechzig. Ich hatte breite Schultern, keine Hüften und auf die Brust-Fee wartete ich immer noch vergeblich.
Raven eilte in Richtung Cafeteria-Gebäude, wo die Kiffer rumhingen.
»Ihre Mutter muss unglaublich stolz auf sie sein«, sagte ich gehässig, doch innerlich bewunderte ich ihren Mut. Wie es sich wohl anfühlte, wenn einem total egal war, was die Leute von einem dachten?
»Ich wüsste mal gern, was mit ihrem Nasenstecker passiert, wenn sie niesen muss«, meinte Bree, und ich kicherte.
Raven nickte Ethan Sharp zu, der schon am frühen Morgen total fertig aussah. Chip Newton, der in Mathe der absolute Crack war, viel besser als ich, und der zuverlässigste Dealer an unserer Schule, schüttelte Raven kräftig die Hand. Robbie Gurevitch, nach Bree mein bester Freund, schaute auf und lächelte sie an.
»Gott, wie merkwürdig, Mary K. hier zu sehen«, meinte Bree, sah sich um und fuhr sich mit den Fingern durch ihr windzerzaustes Haar.
»Ja, sie passt hier gut rein«, sagte ich. Meine jüngere Schwester, Mary Kathleen, ging mit ein paar Freundinnen lachend auf das Hauptgebäude zu. Neben den meisten Neulingen wirkte Mary K. reif und ausgeglichen, mit erwachsenen Kurven. Bei meiner Schwester passte alles zusammen – ihre hippen, aber nicht zu hippen Klamotten, ihr natürlich hübsches Gesicht, ihre guten, aber nicht unbedingt perfekten Noten, ihr großer Freundeskreis. Sie war ein durch und durch netter Mensch und jeder mochte sie, sogar ich. Bei Mary K. konnte man nicht anders.
»Hey, Baby«, rief Chris Holly laut und trat zu Bree. »Hey, Morgan«, sagte er zu mir. Chris wandte sich wieder zu Bree und gab ihr einen flüchtigen Kuss, den sie mit den Lippen abfing.
»Hey, Chris«, sagte ich. »Bereit für die Schule?«
»Jetzt schon«, sagte er und schenkte Bree ein lüsternes Lächeln.
»Bree! Chris!« Sharon Goodfine winkte und ihre goldenen Armreife klimperten an ihrem Handgelenk.
Chris nahm Brees Hand und zog sie zu Sharon und den anderen üblichen Verdächtigen: Jenna Ruiz, Matt Adler, Justin Bartlett.
»Kommst du?«, fragte Bree und drehte sich zu mir um.
Ich schnitt eine Grimasse. »Nein, danke.«
»Morgan, die finden dich in Ordnung«, sagte Bree leise, meine Gedanken lesend, wie sie es so oft tat. Sie ließ Chris’ Hand los und wartete auf mich, während er weiterging.
»Schon okay. Ich wollte sowieso noch mit Tamara reden.« Bree wusste, dass ich mich in ihrer Clique nicht so richtig wohl fühlte.
Sie zögerte noch einen Augenblick. »Okay, dann sehen wir uns in der ersten Stunde.«
»Bis dann.«
Bree wandte sich ab. Doch dann hielt sie mitten in der Bewegung inne, und ihr Mund klappte auf wie bei jemandem, der in der Theater-AG »sprachlos vor Erstaunen« spielt. Um ihrem Blick zu folgen, drehte ich mich um und sah einen Jungen die Stufen unserer Schule heraufkommen.
Es war wie in einem Film, in dem alles mit Weichzeichnern gedreht wurde, wodurch alle verstummen und die Handlung in Zeitlupe ablief, während man noch zu begreifen versuchte, was man da eigentlich sah. Genauso war es, als Cal Blaire die breiten, abgetretenen Stufen der Widow’s Vale High heraufkam.
Da wusste ich natürlich noch nicht, dass er Cal Blaire hieß.
Bree drehte sich mit weit aufgerissenen Augen wieder zu mir um. »Wer ist denn das?«, fragte sie stumm.
Ich schüttelte den Kopf. Ohne zu überlegen, legte ich mir die flache Hand auf die Brust, um meinen Herzschlag zu beruhigen.
Der Typ kam mit so einer Lässigkeit und einem Selbstvertrauen auf uns zu, dass ich neidisch wurde.
Ich bemerkte, dass sich einige nach ihm umdrehten. Er lächelte uns an. Es war, als käme die Sonne zwischen den Wolken hervor. »Geht’s hier zum Büro des Direktors? «, fragte er.
Ich habe schon andere gut aussehende Typen gesehen. Brees Freund, Chris, zum Beispiel sieht wirklich gut aus. Aber der hier war … atemberaubend. Struppiges schwarzbraunes Haar, das aussah, als hätte er selbst dran rumgeschnippelt, perfekte Nase, schöne olivbraune Haut und fesselnde, alterslose goldbraune Augen. Ich brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass er uns angesprochen hatte.
Ich glotzte ihn wie benommen an, doch Bree sprühte. »Gleich da durch und dann nach links«, sagte sie und zeigte auf die nächste Tür. »Ungewöhnlich, im letzten Jahr die Schule zu wechseln, oder?«, fragte sie und studierte das Blatt, das er ihr hinhielt.
»Ja«, sagte er mit einem angedeuteten Lächeln. »Ich bin Cal. Cal Blaire. Meine Mutter und ich sind gerade hergezogen.«
»Ich bin Bree Warren.« Bree zeigte auf mich. »Und das ist Morgan Rowlands.«
Ich rührte mich nicht. Ich blinzelte zweimal und versuchte zu lächeln. »Hi«, sagte ich schließlich, fast flüsternd, und kam mir vor wie eine Fünfjährige. Ich war Jungs gegenüber immer ein bisschen befangen, doch diesmal war ich dermaßen überwältigt, dass ich überhaupt nicht funktionierte. Ich kam mir vor, als versuchte ich, in einem Sturm aufrecht zu stehen.
»Seid ihr auch im letzten Jahr?«, fragte Cal.
»Im vorletzten«, antwortete Bree.
»Schade«, sagte Cal. »Dann haben wir keine Kurse zusammen.«
»Also, könnte sein, dass du einige mit Morgan zusammen hast«, sagte Bree mit einem süßen, selbstironischen Lächeln. »Sie ist in den Mathe- und Physikkursen der letzten Klasse.«
»Cool«, sagte Cal und schenkte mir ein Lächeln. »Ich geh mal besser rein. Hat mich gefreut, euch kennenzulernen. Und danke für die Hilfe.« Er wandte sich um und ging zur Tür.
»Tschüs!«, sagte Bree strahlend.
Sobald Cal im Schulgebäude verschwunden war, packte Bree mich am Arm. »Morgan, der Typ ist ein Gott!«, kreischte sie. »Er geht hier auf die Schule! Er wird das ganze Jahr hier sein!«
Im nächsten Augenblick waren wir von Brees Freunden umringt.
»Wer ist das?«, fragte Sharon gespannt, deren dunkles Haar über ihre Schultern fiel. Suzanne Herbert schubste sie, um näher zu Bree zu kommen.
»Geht er hier auf die Schule?«, wollte Nell Norton wissen.
»Ist er hetero?«, fragte Justin Bartlett laut. Justin hatte in der siebten Klasse sein Coming-out gehabt.
Ich schaute zu Chris. Er runzelte die Stirn. Während Brees Freunde noch die mageren Informationen besprachen, trat ich aus der Menge. Ich ging zur Eingangstür, wo ich die Hand auf den schweren Messinggriff legte, und ich hätte schwören können, dass ich die Wärme von Cals Berührung noch spürte.
Eine Woche verging. Wie schon die letzten Tage verspürte ich auch heute wieder ein Kribbeln in der Brust, als ich den Physiksaal betrat und Cal dort sah. Er kam mir immer noch wie ein Wunder vor, das an einem ramponierten Holztisch saß. Ein Gott an einem Ort der Sterblichen. Heute hatte er seinen strahlenden Blick auf Alessandra Spotford gerichtet. »So wie ein Erntedankfest? Oben in Kinderhook?«, hörte ich ihn fragen.
Alessandra lächelte nervös. »Es ist erst im Oktober«, erklärte sie. »Wir kaufen da jedes Jahr unsere Kürbisse. « Sie schob sich eine Locke hinters Ohr.
Ich setzte mich und schlug mein Buch auf. In einer Woche war Cal zum beliebtesten Jungen an der Schule avanciert. Ach was, beliebt, er war eine Berühmtheit. Selbst viele von den Jungen mochten ihn. Chris Holly und die anderen Typen, deren Freundinnen bei Cals Anblick glänzende Augen bekamen, natürlich nicht, aber die meisten anderen schon.
»Was ist mit dir, Morgan?«, fragte Cal und wandte sich mir zu. »Warst du schon mal bei dem Erntedankfest? «
Als er meinen Namen sagte, überkam mich ein leichtes Schwindelgefühl. Betont lässig schlug ich das aktuelle Kapitel in unserem Physikbuch auf und nickte. »Da gehen fast alle hin. Hier gibt’s nicht viel, was man unternehmen kann, außer man fährt runter nach New York City, und das dauert zwei Stunden.«
Cal hatte mich in den letzten Tagen mehrmals angesprochen, und jedes Mal war es mir ein wenig leichter gefallen, ihm zu antworten. Wir hatten jeden Tag Physik und Mathe zusammen.
Er drehte sich nun so, dass er mich ganz ansehen konnte, und ich erlaubte mir einen raschen Blick auf ihn. Das traute ich mich nicht immer. Vor allem dann nicht, wenn ich wollte, dass meine Stimmbänder funktionieren. Meine Kehle schnürte sich wie erwartet zu.
Was hatte Cal an sich, dass ich mich so fühlte? Also, er sah unglaublich gut aus, das war nicht zu übersehen. Aber da war noch mehr. Er war anders als die anderen Jungen, die ich kannte. Wenn er mich ansah, sah er mich wirklich an. Er blickte sich nicht im Zimmer um, suchte seine Freunde oder hübschere Mädchen oder warf heimlich einen kurzen Blick auf meine Brüste – nicht dass ich welche hätte. Er war überhaupt nicht befangen und achtete auch nicht penibel darauf, mit wem er Umgang pflegte und mit wem nicht, wie es alle anderen taten. Er schien mir oder Tamara, die ebenfalls die Kurse der letzten Klasse besuchte, mit derselben offenen Intensität und demselben Interesse zu begegnen, mit dem er Alessandra, Bree oder eine der anderen örtlichen Göttinnen anschaute.
»Und was macht ihr sonst?«, fragte er mich.
Ich senkte den Blick wieder auf mein Physikbuch. Das war ich nicht gewohnt. Gut aussehende Typen redeten normalerweise nur mit mir, wenn sie die Hausaufgaben abschreiben wollten.
»Ich weiß nicht«, sagte ich leise. »Rumhängen. Mit Freuden quatschen. Ins Kino gehen.«
»Was für Filme magst du?« Er beugte sich vor, als wäre ich der interessanteste Mensch auf der ganzen Welt und als würde er sich mit niemandem lieber unterhalten. Sein Blick war unverwandt auf mein Gesicht gerichtet.
Ich zögerte, fühlte mich unbehaglich und verkrampft. »Alles. Ich mag alle möglichen Filme.«
»Ehrlich? Ich auch. Du musst mir sagen, in welche Kinos man hier gehen kann. Ich bin immer noch dabei, alles kennenzulernen.«
Bevor ich zustimmen oder ablehnen konnte, lächelte er mich an und drehte sich nach vorn, denn Dr. Gonzalez war reingekommen, warf nun seine schwere Aktentasche mit einem Rums auf den Tisch und fing an, unsere Namen aufzurufen.
Ich war nicht die Einzige, die von Cal bezaubert war. Er schien alle zu mögen. Er unterhielt sich mit allen, setzte sich zu den verschiedensten Leuten, bevorzugte niemanden. Ich wusste, dass mindestens vier von Brees Freundinnen ganz wild darauf waren, mit ihm auszugehen, doch bislang war mir noch nicht zu Ohren gekommen, dass es einer gelungen war. Ich wusste nur, dass Justin Bartlett einen Vorstoß gewagt hatte.
»Hüte dich vor der Hexe, denn sie wird dich mit schwarzer Magie blenden, und du wirst dein Heim vergessen, deine Lieben, ja, sogar dein eigenes Gesicht.«
WORTE DER VERNUNFT Terrance Hope, 1723
»Du musst aber zugeben, dass er unglaublich gut aussieht«, sagte Bree mit Nachdruck und lehnte sich bei mir zu Hause gegen die Küchenarbeitsplatte.
»Klar gebe ich das zu. Ich bin ja nicht blind«, sagte ich und öffnete emsig Dosen. Ich war heute mit dem Abendessen dran. Das gewaschene, zerteilte Hühnchen lag nackt in einer großen Auflaufform aus Glas. Ich fügte den Inhalt einer Dose Artischockencremesuppe, einer Dose Selleriecremesuppe und eines Glases marinierter Artischockenherzen hinzu. Voilà: das Abendessen.
»Aber er kommt mir irgendwie vor wie ein Spieler«, fuhr ich verhalten fort. »Ich meine, mit wie vielen Mädchen ist er in den letzten zwei Wochen ausgegangen? «
»Drei«, sagte Tamara Pritchett und schob ihren langen, mageren Körper auf die Bank in unserer Frühstücksecke. Es war Montagnachmittag, die dritte Woche nach den Ferien. Ich konnte mit Bestimmtheit sagen, dass Cal Blaires Ankunft in der verschlafenen Stadt Widow’s Vale das Aufregendste war, das seit dem Brand des Millhouse Theatre vor zwei Jahren passiert war. »Morgan, was ist das?«
»Hühnchen à la Morgan«, sagte ich. »Köstlich und nahrhaft.« Ich holte eine Cola light aus dem Kühlschrank und öffnete sie. Ahhh.
»Wirf mir auch eine rüber«, sagte Robbie, und ich holte ihm eine heraus. »Wie kommt es, dass ein Typ, der mit verschiedenen Mädchen ausgeht, als Spieler bezeichnet wird, ein Mädchen dagegen als wählerisch? «
»Das stimmt nicht«, protestierte Bree.
»Hallo, Mädels und Robbie«, sagte mein Vater, als er die Küche betrat. Die braunen Augen hinter seiner Brille wirkten ein wenig verschwommen. Er trug seine gewohnte Kluft: Khakihose, Hemd mit Button-down-Kragen, kurzärmelig wegen der Hitze, darunter ein weißes T-Shirt. Im Winter trug er dasselbe, außer dass das Hemd dann langärmelig war und er darüber noch eine Strickweste anzog.
»Hey, Mr R.«, sagte Robbie.
»Hi, Mr Rowlands«, sagte Tamara, und Bree winkte.
Dad sah sich abwesend um, als wollte er sich vergewissern, dass er tatsächlich in der Küche war. Er schenkte uns ein Lächeln und spazierte wieder hinaus. Bree und ich grinsten uns an. Wir wussten, dass ihm bald wieder einfallen würde, warum er reingekommen war, und er dann zurückkam, um es zu holen. Er arbeitete bei IBM in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung und sie hielten ihn für ein Genie. Zu Hause war er eher wie ein langsames Kindergartenkind. Er kriegte es nicht hin, dass seine Schuhe immer geschnürt waren, und hatte überhaupt kein Zeitgefühl.
Ich rührte die Mischung in der Auflaufform um und deckte sie mit Alufolie zu. Dann holte ich vier Kartoffeln und schälte sie in der Spüle.
»Ich bin froh, dass meine Mutter kocht«, sagte Tamara. »Egal, Cal ist mit Suzanne Herbert, mit Raven Meltzer und mit Janice ausgegangen.« Sie zählte die Namen an ihren Fingern ab.
»Janice Yutoh?«, kreischte ich und schob die Auflaufform in den Ofen. »Sie hat mir gar nichts erzählt!« Ich runzelte die Stirn und tat auch die Kartoffeln in den Ofen. »Er hat also keinen bestimmten Typ, oder? Es war sozusagen eine aus Spalte A, eine aus Spalte B und eine aus Spalte C.«
»Der Hund«, sagte Robbie und schob seine Brille die Nase hoch.
Robbie war ein so guter Freund, dass es mir kaum noch auffiel, aber er hatte schreckliche Akne. Bis zur siebten Klasse war er total süß gewesen, was es für ihn nur umso schwerer machte.
Bree runzelte die Stirn. »Das mit Janice Yutoh kapiere ich einfach nicht. Es sei denn, sie hat ihm bei den Hausaufgaben geholfen.«
»Janice ist eigentlich ziemlich hübsch«, sagte ich. »Sie ist nur so schüchtern, dass es einem gar nicht auffällt. Ich kapiere das mit Suzanne Herbert nicht.«
Bree verschluckte sich beinahe. »Suzanne ist toll! Sie hat letztes Jahr für Hawaiian Tropic gemodelt!«
Ich lächelte Bree an. »Sie sieht aus wie Malibu Barbie und sie hat das entsprechende Gehirn.« Ich duckte mich, als Bree mit einer Weintraube auf mich zielte.
»Nicht jede kann eine Begabtenstipendiatin sein«, versetzte sie schnippisch, unterbrach sich und fuhr dann fort: »Ich schätze, was Raven angeht, wundert sich keiner von uns. Sie verbraucht die Typen wie Kleenex.«
»Oh, du wohl nicht«, neckte ich sie, was sie mir mit einer weiteren Weintraube dankte, die mich am Arm traf.
»Hey, Chris und ich sind inzwischen seit drei Monaten zusammen«, sagte Bree.
»Und?«, wollte Robbie wissen.
In ihrer Miene spiegelte sich eine Mischung aus Selbstgerechtigkeit und reuiger Verlegenheit wider. »Er nervt mich ein bisschen«, räumte sie ein.
Tam und ich lachten, und Robbie schnaubte.
»Ich glaube, du bist nur wählerisch«, meinte Robbie.
Mein Vater kam zurück in die Küche, holte sich einen Stift aus dem Stiftebecher und verließ uns wieder.
»Okay«, meinte Bree und öffnete die Hintertür. »Ich gehe besser nach Hause, bevor Chris ausflippt.« Sie verzog das Gesicht. »Wo warst du?«, äffte sie ihn mit tiefer Stimme nach, verdrehte die Augen und ging. Kurz darauf hörten wir ihren temperamentvollen BMW, genannt Breezy, anfahren und die Straße hinunterbrettern.
»Armer Chris«, befand Tamara. Ihr lockiges braunes Haar löste sich aus ihrem Stirnband und sie schob es geschickt wieder darunter.
»Ich glaube, seine Tage sind gezählt«, sagte Robbie und trank einen Schluck Cola.
Ich holte eine Tüte Salat heraus und riss sie mit den Zähnen auf. »Also, er hat sich länger gehalten als die meisten.«
Tam nickte. »Könnte ein Rekord sein.«
Die Hintertür flog auf, und meine Mutter wankte herein, die Arme voller Akten, Broschüren und Immobilienschilder. Ihre Jacke war zerknittert und hatte auf der Tasche einen Kaffeefleck. Ich nahm ihr das Zeug aus den Händen und lud es auf dem Küchentisch ab.
»Maria, Mutter Gottes«, murmelte meine Mutter. »Was für ein Tag. Hi, Tamara, Liebes. Hey, Robbie. Wie geht’s euch? Wie läuft’s in der Schule?«
»Gut, danke, Mrs Rowlands«, antwortete Robbie.
»Und bei Ihnen?«, fragte Tamara. »Sie sehen aus, als hätten Sie einen harten Tag gehabt.«
»Das kannst du laut sagen«, erwiderte meine Mutter mit einem Seufzen. Sie hängte ihre Jacke an einen Haken bei der Tür und ging zum Schrank, um sich aus einer Flasche einen fertig gemixten Whiskey Sour einzuschenken.
»Wir verziehen uns dann mal«, verkündete Tamara und nahm ihren Rucksack. Sie trat behutsam gegen Robbies Turnschuh. »Komm, ich nehm dich mit. Hat mich gefreut, Sie zu sehen, Mrs Rowlands.«
»Bis dann«, sagte Robbie.
»Tschüs«, sagte meine Mutter, und die Hintertür fiel ins Schloss. »Gütiger Himmel, Robbie wird richtig groß.« Sie kam herüber und umarmte mich. »Hi, Schatz. Es duftet gut hier drin. Hühnchen à la Morgan?«
»Ja. Mit Backofenkartoffeln und Tiefkühlerbsen.«
ENDE DER LESEPROBE
cbt ist der Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House
1. Auflage
Erstmals als cbt Taschenbuch Mai 2011
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
© 2001 17th Street Productions, an Alloy company, and Gabrielle Charbonnet
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Sweep – Book of Shadows« bei Penguin US, New York.
© 2011 cbt Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Übersetzung: Elvira Willems kg · Herstellung: AnG Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
eISBN 978-3-641-06451-8
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