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Ohne Wurm, kein Leben – warum wir Regenwürmer schätzen sollten – eine Hommage an das am meisten unterschätzte Tier der Erde Im Garten begegnen sie einem täglich, doch die meisten von uns wissen nur sehr wenig über Regenwürmer. Dabei würden wir ohne sie nicht überleben. Unsere Felder und Böden würden unfruchtbar. Durch ihr unermüdliches Wühlen lockern und belüften sie die Erde und helfen dem Regen zu versickern, sie kompostieren Laub und produzieren so den besten Dünger: Wurmhumus. Allein 47 Regenwurmarten gibt es in Deutschland, viele davon sind gefährdet. Zeit, ihnen endlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken: Wie sie leben, lieben und uns nutzen. Kurzweilig und faktenreich bringt uns Sally Coulthard die kleinen Helden unserer Erde näher. Das perfekte Geschenk für alle Hobbygärtner und Naturliebhaber »Großes Wissen über "winzige Helden" und darüber, warum wir sie brauchen.« Galore »Ein Buch für alle, die sich für die Natur in ihren erstaunlichen Erscheinungsformen begeistern können.« Deutschlandfunk Kultur
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Seitenzahl: 95
Die englische Originalausgabe erschien 2021 unter dem TitelThe Book of the Earthworm bei Head of Zeus, London.
Deutsche Erstausgabe © 2022 by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg An Apollo book first published in the UK in 2021 by Head of Zeus Ltd © Sally Coulthard, 2021 Illustrationen Innenteil: © nach der englischen Originalausgabe Covergestaltung von Rothfos & Gabler, Hamburg Coverabbildung von Morphart Creation / Shutterstock E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck ISBN E-Book 9783365000137www.harpercollins.de
Die Liebe zu allen Lebewesen ist die edelste Eigenschaft des Menschen.
Charles Darwin,Die Abstammung des Menschen (1871)
Als Charles Darwin entscheiden sollte, welches das wichtigste Tier auf Erden sei, plädierte er weder für den Affen aufgrund seiner Intelligenz noch für das Schaf aufgrund seiner Nützlichkeit und auch nicht für das Schnabeltier, weil es so merkwürdig aussieht. Er wählte den scheinbar so unbedeutenden Regenwurm.
Darwin bezeichnete ihn als »Pflug der Natur« und krönte ihn zum wichtigsten Wesen des Planeten. »Man kann wohl bezweifeln, ob es noch viele andere Tiere gibt, welche eine so bedeutungsvolle Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben, wie diese niedrig organisierten Geschöpfe«, war seine Begründung. Zweitausend Jahre früher hatte bereits der griechische Philosoph Aristoteles Regenwürmer als die »Eingeweide der Erde« geadelt. 1
Und doch wissen die meisten Menschen so gut wie nichts über diese Baumeister des Bodens. Wir halten sie für selbstverständlich, doch ohne Regenwürmer gäbe es kein Leben. Die Oberfläche unseres Planeten wäre unfruchtbar, Landwirtschaft unmöglich, unsere Felder und Gärten könnten nichts Essbares hervorbringen und die Pflanzen und Tiere, die wir zu unserem Überleben brauchen, nicht ernähren. Regenwürmer versorgen den Boden nicht nur mit Nährstoffen, indem sie verrottende Pflanzen recyceln, sondern sie ermöglichen durch ihr unermüdliches Graben und Kriechen auch, dass er Regen aufnehmen und Nahrung für die unterschiedlichsten Wildtiere vom Fuchs bis zum Frosch hervorbringen kann. Neueste Forschungen gehen sogar davon aus, dass Regenwürmer dazu beitragen, verseuchte Böden zu sanieren und wieder fruchtbar zu machen.
Insofern sind Regenwürmer winzige Helden. Viele unserer ökologischen Probleme scheinen kaum mehr bewältigbar zu sein, doch interessanterweise könnte die Lösung ausgerechnet in einem der kleinsten und am meisten unterschätzten Wesen der Natur liegen. Lange haben wir das endlose Rackern der Regenwürmer einfach so hingenommen, ohne zu wissen, wofür diese ganze Mühe eigentlich gut ist, gemäß dem berühmten Ausspruch Leonardo da Vincis: »Wir wissen mehr über die Bewegung der Himmelskörper als über den Boden unter unseren Füßen.« Dabei sollten alle wissen, was in der Erde ihres Gärtchens eigentlich los ist. Dort werden nämlich wahre Wunder vollbracht.
Die Tulpe und der Schmetterling
sind schöner gewandet als ich es bin,
mit feinstem Putz ist nichts vollbracht,
gegen Fliegen, Würmer und Blumenpracht.
Isaac Watts, Divine Songs (1715)
Es ist schon bemerkenswert, wie wenig wir angesichts ihrer Relevanz tatsächlich über Regenwürmer wissen. Lange wurden diese außergewöhnlichen Lebewesen komplett ignoriert. Bis vor etwa dreißig Jahren haben nur wenige engagierte Wissenschaftler: innen sich mit ihnen beschäftigt, während in letzter Zeit immer mehr Menschen bewusst wird, welch entscheidende Rolle diese Organismen in unserem gesamten Ökosystem spielen. Insbesondere ist man der Frage nachgegangen, wie sich Regenwürmer für nachhaltige Landwirtschaft nutzbar machen lassen, beispielsweise indem sie in sogenannten Wurmfarmen organische Abfälle kompostieren und in wertvollen Dünger verwandeln, oder – noch erstaunlicher – ob sie uns nicht als Proteinquelle dienen könnten (vgl. »Kann man Regenwürmer essen?«).
In weiteren Studien versuchte man, verseuchte oder ausgelaugte Ackerflächen mithilfe von Regenwürmern wiederherzustellen oder die Tiere im Umweltmonitoring einzusetzen. Regenwürmer werden also, ob es ihnen gefällt oder nicht, inzwischen ins Rampenlicht gezerrt, und erst dadurch beginnen wir zu begreifen, wie wertvoll sie wirklich sind.
Zuallererst muss man sich klarmachen, dass es nicht den Regenwurm gibt, sondern weltweit mindestens 3000 verschiedene Arten. Da man sie bisher so wenig erforscht hat, wird allerdings vermutet, dass sich noch Tausende weitere Arten geschickt vor uns verstecken und erst entdeckt werden müssen.
Regenwürmer können auch ganz unterschiedlich lang sein, von einem Zentimeter bis zu gigantischen drei Metern. Ebenso bieten sie eine große Bandbreite an Farben, von den Braun- und Rosatönen, die wir aus unseren Gärten kennen, bis hin zu Grün, roten Streifen und einem entzückenden Violett.
In der biologischen Systematik ordnet man die Regenwürmer (Lumbricidae) der Ordnung der Wenigborster (Oligochaeta) zu. Wenigborster gehören innerhalb des Stammes der Ringelwürmer (auch Gliederwürmer, Annelida) zur Klasse der Gürtelwürmer (Clitellata).
Wer ehrt den Regenwurm,
den Ackersmann tief unter dem Gras im Erdreich.
Er hält den Boden in Verwandlung.
Er arbeitet, ganz mit Erde gefüllt,
stumm von Erde und blind.
Harry Edmund Martinson,Der Regenwurm2
Trotz ihrer großen Vielfalt ist es hilfreich, die Regenwürmer in drei Gruppen einzuteilen, je nachdem, wo sie leben, wovon sie sich ernähren und wie sie graben. Von oben nach unten finden sich:
Die Streuschichtbewohner: Diese leben nicht im Erdreich, sondern epigäisch, also in der Streuschicht aus feuchtwarmen verrottenden Blättern und anderem organischen Material. Davon und von den Pilzen und Bakterien, die diese Stoffe zersetzen, ernähren sich diese Wurmarten. Sie sind klein (drei bis vier Zentimeter lang), graben sich nicht in den Boden und sind meist rot oder rotbraun gefärbt.
Zu dieser Kategorie gehören die hübsch gestreiften Kompostwürmer (Eisenia fetida, auch Mistwürmer oder Stinkwürmer), die vor allem in Komposthaufen vorkommen. Auf landwirtschaftlichen Flächen, wo eine dauerhafte Streuschicht aus Blättern und Ähnlichem fehlt, findet man sie selten, sie bevorzugen Wiesen und Wälder.
Die Flachgräber (auch Oberboden- oder Mineralbodenbewohner): Diese zweite Gruppe lebt endogäisch, also im Boden, aber in der Regel nur in der oberen Schicht bis zu dreißig Zentimetern Tiefe. Sie ernähren sich von den dort befindlichen abgestorbenen Blättern, Pilzen und Kleinstlebewesen. Endogäisch lebende Würmer graben auch horizontal, wodurch ein verzweigtes Tunnelsystem entsteht. Sie sind mittelgroß (etwa acht bis vierzehn Zentimeter lang) und eher blass gefärbt (rosa, grünlich, blaugrau).
Die Tiefgräber (auch Vertikalbohrer): Die anektischen oder anözischen Arten sind am längsten und graben sich bis zu drei Meter tief ins Erdreich – und zwar in senkrechten Röhren, vergleichbar einem Aufzugschacht. Nachts kommen sie an die Oberfläche, um Pflanzenmaterial in diese Röhren zu ziehen. Auch sie sind rot oder braun, haben aber meist einen dunkleren Kopf und einen helleren Schwanz. Es ist diese Gruppe von Regenwürmern, die kleine Ansammlungen erdigen Kots, die Wurmhäufchen, auf dem Rasen hinterlassen.
Von allen Tiefgräbern ist der Gemeine Regenwurm (Lumbricus terrestris), auch Tauwurm oder Aalwurm genannt, am bekanntesten. Der Freund aller Gärtner: innen ist in fast ganz Europa der größte natürlich vorkommende Regenwurm: Er wird neun bis dreißig Zentimeter lang. Sein Körper kann so dick wie ein Bleistift sein, sein Schwanz ist etwas abgeflacht und hat die Form eines Paddels (das hilft ihm, an den Wänden seiner Bauten zu haften).
Tatsächlich ist die Natur nie so übersichtlich sortiert. Die beschriebenen drei Kategorien helfen zwar bei der Einordnung, doch da draußen im Freien überschneiden sie sich. So werden die Kompostwürmer (Eisenia fetida) häufig einer eigenen Gruppe zugeordnet und von anderen epigäisch lebenden Regenwürmern unterschieden. Andere Fachleute teilen die Flachgräber in drei Untergruppen, je nachdem, in welcher Tiefe sie leben und was sie fressen. Eine saubere Abgrenzung ist vielleicht im Labor sinnvoll, doch letztlich verhalten sich Regenwürmer nicht immer berechenbar, sondern passen sich bis zu einem gewissen Grad ihrer Umwelt an. Die sogenannte phänotypische Plastizität sorgt dafür, dass die gleiche Art in unterschiedlicher Umgebung ein anderes Verhalten oder andere Merkmale zeigt. Auf der Nordhalbkugel lebt der weitverbreitete Grauwurm (Aporrectodea caliginosa) beispielsweise epigäisch, also im Oberboden, wo er kurze horizontale Gänge gräbt. Auf der Südhalbkugel sind seine Gänge dagegen lang und vertikal, wie die des Gemeinen Regenwurms (Lumbricus terrestris), und er verhält sich eher wie ein Tiefgräber.
Der Lebensraum Boden ist höchst komplex, und ganz allgemein gilt, dass im Boden mehr Tierarten leben als an der Erdoberfläche. Was Regenwürmer betrifft, ist bisher wenig untersucht, in welchem genauen Mengenverhältnis die einzelnen Arten zueinander existieren. In Deutschland sind laut WWF insgesamt 46 verschiedene Regenwurmarten verbreitet, die Hälfte davon kommt relativ häufig vor – in Ackerböden allerdings nur zwischen null und zehn Arten. 3
Die Artenvielfalt der Regenwürmer nimmt nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa von Norden nach Süden zu. Als sich nach dem Ende der letzten Eiszeit vor 11700 Jahren die Gletscher zurückzogen, breiteten sich die Würmer vom Süden her wieder aus. Es gibt in Deutschland vierzehn Arten, die nur in den südlichen Bundesländern anzutreffen sind. 4
In fast allen Böden, auch den landwirtschaftlich genutzten, ist der Kleine Wiesenwurm (Allolobophora caliginosa) vertreten, der auch extreme Bedingungen verträgt. Dieser Flachgräber ist grau bis blassgelb und misst fünf bis sechzehn Zentimeter.
Ebenfalls häufig ist der bereits beschriebene Gemeine Regenwurm (Lumbricus terrestris). Er gehört zu den Tiefgräbern, sein Lebensraum sind Acker-, Wiesen- oder Waldböden. Er ist braunrot, am Körperende blasser. 5
Zu den seltenen Regenwürmern in Deutschland gehört der Smaragdwurm (Aporrectodea smaragdina). Er lebt in den bayerischen Alpen in der Streuschicht aus Laub und moderndem Totholz. Auf der roten Liste bedrohter Arten ist er als »extrem selten« eingestuft. 6
Der größte in Deutschland heimische Regenwurm ist der Badische Riesenregenwurm (Lumbricus badensis). Er kann sich auf bis zu 60 Zentimeter ausstrecken, im Ruhezustand misst er immerhin gut 30 Zentimeter. Er kommt ausschließlich in einem begrenzten Gebiet im Südschwarzwald in den eher sauren Böden unter Fichtenwäldern vor.
Niemand kann so genau sagen, wie viele Regenwürmer im Erdreich leben. Aktuelle Schätzungen gehen in Monokulturböden mit hohem Pestizideinsatz von nur 30 Tieren pro Quadratmeter aus, ein durchschnittlicher Boden enthält rund 120, in ökologisch bewirtschafteten, regenwurmfreundlichen Böden wurden dagegen bis zu 450 Würmer pro Quadratmeter gefunden. 7
Diese Würmer scheinen im nur leicht geackerten Boden häufiger als im gründlich durchgepflügten; im brachliegenden Boden jedoch sind sie offenbar zahlreicher als irgendwo sonst …
The Commercial Agriculture and Manufacturer’s Magazine, Band 6 (1802)
Der größte je in Großbritannien registrierte Tauwurm (Lumbricus terrestris) erreichte eine Rekordlänge von 40 Zentimetern und wog das Fünffache des Durchschnitts. »Regenwurm Dave« wurde in einem englischen Gemüsebeet gefunden und wird inzwischen im Natural History Museum in London für die Nachwelt aufbewahrt.
Er war jedoch ein Winzling im Vergleich zu den weltweit größten Arten wie zum Beispiel dem Megascolides australis. Dieser sanfte Riese, den man bisher nur im Bass River Valley im Südosten des australischen Bundesstaats Victoria gefunden hat, wird durchschnittlich einen Meter lang und hat den beachtlichen Durchmesser von zwei Zentimetern. Er kann fünf Jahre und älter werden und gräbt sich durch die nassen Lehmböden an Flüssen. Je länger er lebt, desto größer wird er. Es wurden bereits ältere Exemplare von drei Metern Länge entdeckt.
Den Längenrekord weltweit hält jedoch eine Art namens Microchaetus rappi. Im Jahr 1967 tauchte ein riesiges Exemplar davon auf einer Straße zwischen Alice und King William’s Town in Südafrika auf, das bei einem Durchmesser von 2 Zentimetern 6,7 Meter lang war – so hoch sind in der Regel Giraffen. Die Durchschnittslänge des Microchaetus rappi beträgt etwa 1,8 Meter.
Regenwürmer scheinen in ungestörten Böden größer zu werden. Eine neuere Studie fand einen hohen Anteil richtig fetter Würmer auf der schottischen Insel Rum. 8