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Das Buch ist deine einzige Chance zu überleben
Ein brutaler Serienkiller, der von der Presse der "Puppenmörder" genannt wird, entführt die junge Krimiautorin Kara Bender. Die Polizei geht davon aus, dass sie das nächste Opfer des Killers ist - doch Kara lebt! Der Puppenmörder hält sie in einem düsteren Keller gefangen und zwingt sie, ein Buch über sein Leben zu schreiben. Für Kara, die unter Klaustrophobie leidet, beginnt ein Albtraum. Doch das Buch ist ihre einzige Chance zu überleben.
Der neue packende Thriller von Patricia Walter - schlaflose Nächte und Spannung von der ersten bis zur letzten Seite!
"Große Klasse und definitiv eine absolute Leseempfehlung!" Blogger-Empfehlung von "Blutroter Schatten" in der BRIGITTE
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
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Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Woche 1
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Woche 2
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Woche 3
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Woche 4
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Woche 5
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Woche 6
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Woche 7
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Kapitel 93
Kapitel 94
Kapitel 95
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Das Buch ist deine einzige Chance zu überleben
Ein brutaler Serienkiller, der von der Presse der »Puppenmörder« genannt wird, entführt die junge Krimiautorin Kara Bender. Die Polizei geht davon aus, dass sie das nächste Opfer des Killers ist – doch Kara lebt! Der Puppenmörder hält sie in einem düsteren Keller gefangen und zwingt sie, ein Buch über sein Leben zu schreiben. Für Kara, die unter Klaustrophobie leidet, beginnt ein Albtraum. Doch das Buch ist ihre einzige Chance zu überleben.
Der neue packende Thriller von Patricia Walter – schlaflose Nächte und Spannung von der ersten bis zur letzten Seite!
eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung!
Patricia Walter
Schreib um dein Leben!
Thriller
Für Kai
Geduckt lauerte er hinter dem knorrigen Stamm eines Kirschbaums, dessen ausladende kahle Äste mit der Dunkelheit verschmolzen. Es war so still, dass er glaubte, den rieselnden Schnee hören zu können, der den gefrorenen Boden unter einer weißen Schicht bedeckte. Er würde deutliche Spuren im Garten und draußen auf der Straße hinterlassen. Zu Hause musste er deshalb unbedingt seine Schuhe entsorgen.
Er bewegte die Finger, die in schwarzen Latexhandschuhen steckten und allmählich klamm wurden, und rückte das Nachtsichtgerät über seiner Sturmhaube zurecht.
Er war dieses Jahr früher dran als sonst. Morgen lag die wichtigste Aufgabe seines Lebens vor ihm, und er würde für Wochen, wahrscheinlich sogar Monate gebunden sein. Kurz hatte er überlegt, ob er seine jährliche Routine unterbrechen sollte, doch der Drang zu töten war übermächtig. Er musste es einfach tun, oder die Finsternis in ihm würde die Oberhand gewinnen.
Der Druck, der auf ihm lastete, war groß. Wenn sein Vorhaben scheiterte, wäre nicht nur sein Leben umsonst gewesen, sondern auch ihres.
Bei dem Gedanken an sie wurde er wehmütig. Wie jedes Jahr um diese Zeit. Mehr denn je brauchte er das Gefühl von Glück und Macht, und genau das würde er sich jetzt holen.
Er lief durch den Garten und presste sich an die Mauer des Einfamilienhauses. Ein Blick nach allen Seiten, bevor er das Brecheisen aus dem Rucksack holte. Er schob es in den Spalt der Terrassentür und drückte kräftig. Es gab ein Knacken, nicht lauter, als würde ein Ast brechen. Rasch trat er ein und schloss die Tür hinter sich.
Für einige Atemzüge verharrte er und lauschte in die Stille. Dann durchquerte er das Wohnzimmer und schlich in den ersten Stock hinauf. Das Schlafzimmer lag am Ende des Flurs. Er wusste es, weil er sein Opfer über eine Woche lang beobachtet hatte und in dem Raum abends zuletzt das Licht ausging.
Er stellte den Rucksack auf dem Boden ab und griff nach dem Lappen und der Flasche mit Chloroform in seiner Jackentasche. Aufregung erfasste ihn, und er spürte, wie die Traurigkeit in ihm langsam zurückgedrängt wurde.
Seine Vorfreude wuchs ins Unermessliche, als er vorsichtig die Klinke hinunterdrückte und die Tür öffnete. Dank des Nachtsichtgeräts konnte er sein Opfer trotz der Dunkelheit gut erkennen. Ein alleinstehender älterer Mann, der im Bett lag und schlief.
Am liebsten wäre er auf ihn zugestürmt, doch er wollte ihn im Schlaf überraschen, und so setzte er behutsam einen Fuß vor den anderen. Neben dem Bett blieb er stehen und blickte lächelnd auf sein Opfer hinab. Für eine Weile gab er sich der Vorstellung hin, was er gleich mit ihm vorhatte. Er malte sich aus, wie der Mann reagierte, und konnte es kaum erwarten, bis ihn das Gefühl, nach dem er sich so sehr sehnte, endlich wieder durchströmte.
Der Mann bewegte sich im Schlaf. Er verlor keine weitere Zeit. Mit der einen Hand packte er den Kopf seines Opfers und drückte ihm gleichzeitig mit der anderen den chloroformgetränkten Lappen aufs Gesicht. Der Mann riss die Augen auf und war für einen Moment orientierungslos, ehe er in Panik geriet und wild um sich schlug.
Er blieb ruhig. Zu oft hatte er diese Situation erlebt. Es dauerte nicht lange, bis der Mann erschlaffte.
Er wartete einige Sekunden, nahm den Stofffetzen weg und steckte ihn zurück in die Jackentasche. Bevor er das Licht anschaltete, setzte er das Nachtsichtgerät ab. Mit einem Messer zerschnitt er den Schlafanzug des Mannes. Er entkleidete ihn, fesselte Hände und Füße mit Kabelbinder und strich ihm ein silberfarbenes Klebeband über den Mund. Anschließend packte er ihn unter den Achseln und schleifte ihn die Treppe hinunter in die Küche, wo er den Rollladen runterließ. Erst jetzt betätigte er den Lichtschalter.
Der Raum war groß, mit einem Esstisch, einer dunkelbraunen Küchenzeile und Hängeschränken in derselben Farbe. Er musste nicht lange suchen, bis er das Fach mit den Gläsern gefunden hatte. Eines nach dem anderen ließ er auf die Fliesen fallen, bis unzählige Scherben den Boden bedeckten, in denen sich das kaltweiße Deckenlicht spiegelte.
Die Erregung überkam ihn so stark, dass seine Traurigkeit schlagartig verschwand. Der Mann lag bewusstlos auf der Türschwelle und wachte hoffentlich bald auf.
Er holte seinen Rucksack aus dem ersten Stock und zog eine Puppe heraus. Sie trug ein zitronengelbes Kleid mit roten Rüschen, die blonden Haare waren zu Zöpfen gebunden. Ihre schneeweiße Haut stand in starkem Kontrast zu den dunkelrot geschminkten Lippen und rosa Wangen.
Zärtlich betrachtete er sie. Ein Gefühl wohliger Wärme breitete sich in ihm aus und erfüllte ihn mit purem Glück.
Er war so weit. Und wenn er hier fertig war, würde er auch für die morgige Aufgabe bereit sein, von der sein Leben abhing.
Mit der behandschuhten Hand streichelte er über die Puppe und lächelte.
Sie wäre so stolz auf ihn.
Bereits von Weitem sah Kriminalhauptkommissarin Nadine Herfurth die zuckenden Blaulichter, die den trüben Freitagmorgen durchbrachen. Sie zeigte dem diensthabenden Beamten, der die Einfahrt zur Grüntenstraße im Westend absperrte, ihren Ausweis durchs Seitenfenster und stellte den schwarzen 5er-BMW zwanzig Meter weiter am Straßenrand ab. Ein kühler Wind blies ihr ins Gesicht, als sie aus dem Wagen stieg. Einfamilienhäuser, vermutlich aus den Fünfziger- oder Sechzigerjahren, säumten die Straße. Die Vorgärten waren mit einer Schneeschicht bedeckt, die großzügigen Grundstücke von Zäunen und hohen Hecken umgeben.
Wie immer wenn sie an einen Tatort kam, registrierte sie die Anwohner hinter den Fenstern der umliegenden Häuser, die ihre Neugierde zu befriedigen versuchten, schenkte ihnen aber keine Aufmerksamkeit. In ihren siebzehn Dienstjahren hatte sie mit genügend Gaffern zu tun gehabt, um sich darüber noch aufzuregen.
Sie wollte gerade auf das Haus zugehen, vor dessen Eingang der weiße Van der Kriminaltechnik und ein Krankenwagen parkten, als ihr Blick auf das gegenüberliegende Gebäude fiel. Das Fenster im ersten Stock war geöffnet, dahinter stand ein Mann, der ein Mikrofon in der Hand hielt und von einem Kameramann gefilmt wurde.
Nadine musste zweimal hinschauen, um die Situation zu erfassen.
Das darf doch nicht wahr sein!, dachte sie und überquerte die Straße.
»Herr Kehl!«, brüllte sie in den ersten Stock hinauf.
Der Mann zuckte zusammen und verschwand aus ihrem Sichtfeld.
Nadine verdrehte die Augen. »Das nützt Ihnen nichts, Herr Kehl. Ich habe Sie gesehen.«
Es dauerte ein paar Sekunden, dann beugte sich der Mann aus dem Fenster. Er war Anfang vierzig und hatte kurzes hellbraunes Haar.
»Frau Kriminalhauptkommissarin Herfurth«, sagte er mit süßholzraspelnder Stimme. »Wie schön, Sie zu treffen.«
»Was ich nicht behaupten kann. Kommen Sie sofort runter. Ihr Kollege ebenfalls.«
»Wir sind hier zu Besuch«, entgegnete er.
»Das Märchen können Sie Ihrer Großmutter erzählen. Ich wette, Sie wissen nicht einmal den Nachnamen der Bewohner.«
Der wütende Blick aus seinen stahlblauen Augen durchbohrte sie förmlich.
»Los jetzt. Kommen Sie raus, oder ich schicke ein paar Beamte zu Ihnen hoch.«
Kehl zögerte, ehe er sich vom Fenster entfernte.
Nadine stemmte die Hände in die Hüften und wartete.
Christian Kehl war Reporter bei der Boulevardzeitung Blitz, und Nadine hatte in der Vergangenheit mehrfach mit ihm zu tun gehabt. Er hatte das Talent – oder vielmehr einen bezahlten Informanten, wie sie vermutete –, immer als einer der Ersten am Tatort zu sein und Polizeiabsperrungen zu überwinden. Seine Sensationsgier und sein rücksichtsloses Verhalten hatten schon öfter ihre Ermittlungen gefährdet, und Nadine verdankte ihm eine Schusswunde über dem linken Schlüsselbein.
Vor vier Jahren hatte Kehl einen Polizeieinsatz behindert, in dessen Verlauf es zu einer Schießerei gekommen war. Nadine erlitt einen glatten Durchschuss, während ihr Partner im Bauch getroffen wurde. Nadine erschoss den Täter. Während sie, selbst stark blutend, ihre Jacke auf die Wunde des Kollegen presste und ihm damit das Leben rettete, filmte Kehl alles mit seinem Handy und stellte ihr Fragen. Er war deswegen später zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Vor neun Monaten hatte er vor Gericht eine weitere Strafe kassiert, seitdem war Nadine ihm nicht mehr begegnet.
Sie hatte gehofft, ihn endgültig losgeworden zu sein.
Kurz darauf wurde die Haustür geöffnet, und Kehl trat, gefolgt von einem jungen Mann, ins Freie.
»Sie sehen noch viel besser aus, seit wir uns zuletzt getroffen haben«, sagte er.
Nadine warf ihm einen gelangweilten Blick zu. »Sie sollten allmählich wissen, dass das bei mir nicht zieht.«
Er hatte die Angewohnheit, ihr jedes Mal, wenn sie ihn in der Nähe eines Tatorts erwischte, ein Kompliment zu machen. Zu ihren modisch kurz geschnittenen braunen Haaren, ihrer schnellen Karriere bei der Mordkommission und bevorzugt zu ihren mandelförmigen Augen, die sie von ihrer Mutter, einer Thailänderin, geerbt hatte – im Gegensatz zu ihren vier älteren Brüdern, die mehr nach ihrem deutschen Vater kamen.
»Wo ist das Diktiergerät, das Sie sonst sofort jedem unter die Nase halten?«, wollte sie wissen.
»Das brauche ich nicht mehr«, antwortete er mit einem arroganten Lächeln. »Ich bin nicht mehr beim Blitz, sondern beim Fernsehen. Meine Beiträge werden zur Primetime auf Tele1 gesendet.«
Nadine zog die Brauen hoch.
Tele1? Dieser niveaulose Sender, den sie in ihrem TV-Gerät zu Hause nicht einmal eingespeichert hatte?
»Wollen Sie mir ein Interview geben?«, fragte Kehl. »Ich kann Sie im Fernsehen groß rausbringen.«
Augenblicklich schulterte der junge Mann seine Kamera.
»Wagen Sie es ja nicht, oder ich lass Ihre Ausrüstung konfiszieren«, sagte Nadine.
»Das ist ein Eingriff in die Pressefreiheit«, erwiderte Kehl.
»Irrtum. Das ist unbefugtes Betreten eines Tatorts. Und wenn Sie nicht sofort verschwinden, werde ich dafür sorgen, dass Sie höchstens noch Beiträge für den Micky-Maus-Klub machen.«
Kehls Augen verengten sich zu Schlitzen. Er beugte sich zu ihr vor und sagte mit gesenkter Stimme: »Sie haben mir damals fast die Karriere versaut, aber ich habe es trotzdem geschafft. Wenn Sie nicht wollen, dass ich ...«
»Wollen Sie mir drohen?«, unterbrach sie ihn und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Nicht doch. Ich will Ihnen lediglich ein Angebot machen, das Ihre Laufbahn bei der Kripo beschleunigen kann.«
»Kein Interesse.«
Kehl war nicht bereit, so schnell aufzugeben. »Hat der Puppenmörder wieder zugeschlagen? Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf die Wahrheit.«
»Und die wird sie auch bekommen – von der Pressestelle der Polizei.« Nadine winkte zwei Beamte zu sich, die vor einem Streifenwagen standen. »Schaffen Sie unseren Fernsehstar und Peter-Kloeppel-Nachfolger fort, und sorgen Sie dafür, dass er sich hier nicht mehr herumtreibt.«
Während die beiden Polizisten den lautstark protestierenden Kehl und seinen Kameramann hinter die Absperrung trieben, lief Nadine zu dem Zelt, das vor dem Haus aufgebaut worden war. Dort wies sie sich erneut aus und trug sich in die Liste ein. Anschließend zog sie einen Ganzkörperschutzanzug an und streifte sich Überziehschuhe und Nitril-Einweghandschuhe über.
Sie atmete einmal tief durch, um sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Dann durchquerte sie den Vorgarten und ging ins Haus.
Die Mitarbeiter der Kriminaltechnik waren im Flur beschäftigt. Ekhard Stollberg, der Leiter der Einheit, hob den Kopf. Er hasste es, wenn sie bei der Arbeit gestört wurden und die Kripo einen Tatort betrat, den sie noch nicht vollständig abgearbeitet hatten.
»Die Leiche liegt in der Küche«, sagte er mit einem missbilligenden Unterton. »Du bleibst bitte an der Türschwelle stehen. Wir waren noch nicht drin, weil Diesel darauf bestanden hat, dass du dir zuerst ein Bild machst. Pass also auf, wo du hintrittst.«
»Geht klar«, erwiderte Nadine.
Wo die Küche war, musste sie nicht fragen, denn ihr Kollege wartete bereits dort. Auch wenn sein Gesicht hinter einer Maske verborgen war, erkannte sie ihn sofort.
Kriminalkommissar René Henning, der von allen nur Diesel genannt wurde, war ein Hüne von Mann. Wenn er durch eine Tür wollte, musste er den Kopf einziehen. Seine Kollegen hatten ihm den Spitznamen in Anlehnung an den Schauspieler Vin Diesel verpasst. Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Wer ihm auf der Straße begegnete, wich bereitwillig aus. Dabei war der zweifache Familienvater im Gegensatz zu dem Actionhelden aus dem Kino ein ruhiger und besonnener Mensch.
»War er es?«, fragte Nadine. Auf dem beigebraunen Teppich, der den Flur bedeckte, bemerkte sie einige dunkle Flecke. Vermutlich Blut.
Diesel nickte.
Nadine stoppte an der Türschwelle und sog scharf die Luft ein.
»Du liebe Güte«, presste sie hervor und musste das Bild, das sich ihr bot, erst einmal verdauen.
Ein nackter, gefesselter und geknebelter Mann lag inmitten einer riesigen Blutlache, die sich fast über den gesamten Küchenboden ausgebreitet hatte und mit Schlieren durchzogen war. Der Körper war mit Glassplittern gespickt, weitere Scherben verteilten sich um ihn herum auf den Fliesen. Es gab nur wenige Stellen an seinem Rumpf, an denen die rosige Farbe seiner Haut zu sehen war, der Rest war mit Blut bedeckt. Der Kopf war zur Seite gedreht, in den weit aufgerissenen Augen stand blanke Angst geschrieben.
»Ziemlich grausige Art zu sterben«, sagte Diesel mit belegter Stimme. »Natürlich muss der Rechtsmediziner die genaue Todesursache feststellen, aber wenn du mich fragst, hat der Täter sein Opfer in den Glassplittern gewälzt, sodass es verblutet ist. Selbst von hier aus kann man erkennen, dass einige Scherben tief in seinem Körper stecken und stark blutende Wunden hinterlassen haben.«
»Wer ist er?«
»Sein Name ist Hermann Bach, siebenundsechzig Jahre alt, Witwer und Diabetiker. Nachdem sein Sohn ihn heute früh telefonisch nicht erreichen konnte, hat er sich Sorgen gemacht und nachgeschaut. Er hat einen Schock erlitten und ist vorhin ins Krankenhaus gebracht worden.«
Nadine nickte verständnisvoll. Ein Gewaltverbrechen war schlimm genug, aber wenn ein Angehöriger die grausam zugerichtete Leiche fand, erhielt das Ganze noch einmal eine andere Dimension.
Auf einem der vier Stühle am Esstisch saß eine Puppe mit ungewöhnlich weißer Haut und stark geschminkten Lippen, die Nadine aus großen runden blauen Augen anstarrte. Die blonden Haare waren zu zwei seitlichen Zöpfen geflochten, das zitronengelbe Kleid mit roten Rüschen verziert. Die Puppe hatte etwas Unheimliches an sich und wirkte in der grotesken Szenerie des blutigen Tatorts Furcht einflößend.
Nadine ließ den Blick weiter durch die Küche schweifen und blieb an der rechten Wandseite hängen. Dort stand, mit Blut geschrieben, das Wort Bald.
»Bald?«, meinte sie. »Das ist neu. Was hat das zu bedeuten?«
Diesel zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Sie sah wieder zu der Leiche. Es war das zehnte Opfer des Puppenmörders und das zweite, seit sie vor einem Jahr die Leitung der Soko »Puppe« übernommen hatte. Der Täter tötete grausam, immer auf eine andere Art und Weise, und hinterließ jeweils eine Puppe am Tatort – sein Markenzeichen, weshalb die Presse ihn den Puppenmörder genannt hatte.
Vor zwölf Jahren war die erste Leiche gefunden worden. Ein vierzigjähriger Mann, der in seiner Wohnung mit Spiritus übergossen und angezündet worden war. Mit einem Feuerlöscher hatte der Täter verhindert, dass die Flammen auf die Wohnung übersprangen. Inmitten des Löschschaums saß die Puppe. Es sah aus, als hätte sie dem Opfer beim Verbrennen zugesehen. Nach einem weiteren Mord zwei Jahre später – der Puppenmörder hatte einem zweiundzwanzigjährigen Studenten mit einem Hammer den Schädel zertrümmert – hatten sie die Befürchtung gehabt, es mit einem Serientäter zu tun zu haben. Erneut zwei Jahre später wurde ihre Befürchtung wahr, als sie das dritte Opfer fanden, diesmal eine ältere Frau, die er stranguliert hatte.
»Wie ist er ins Haus gelangt?«, wollte Nadine wissen.
»Er hat die Terrassentür aufgehebelt. Die KT hat im Garten Spuren im Schnee gefunden, die höchstwahrscheinlich vom Täter stammen. Er hat zwar versucht, sie zu verwischen, doch sie konnten ein paar gute Abdrücke nehmen.«
Dann hatten sie zumindest seine Schuhgröße. Zusammen mit einer übereinstimmenden DNA von sieben Tatorten. Und trotzdem jagten sie seit mehr als einem Jahrzehnt einem Phantom hinterher. Die DNA hatte bis jetzt zu keinem Treffer in der Datenbank geführt.
»Läuft die Befragung der Nachbarn schon?«
Diesel bejahte. »Vielleicht ist endlich mal ein brauchbarer Hinweis dabei.«
»Schön wär's.« Sie drehte sich um. »Lass uns gehen, bevor Ekhard wegen uns noch einen Herzinfarkt erleidet.«
»Das hab ich gehört«, sagte Stollberg, während er Klebeband über den Teppich strich, wieder abzog und in einem Beweismittelbeutel verstaute.
Nadine warf einen letzten Blick in die Küche. Die Puppe starrte sie weiterhin aus ihren leblosen, kalten blauen Augen an.
Nadine schauderte.
Kara Bender hatte das Gefühl, dass ihr gleich die Hand abfiel. Sie konnte den Stift kaum mehr halten, dennoch war es für sie einer der schönsten Momente vor einer Veröffentlichung.
Sie griff nach dem letzten Exemplar von Dunkle Rache, öffnete es auf Seite drei und setzte ihr Autogramm unter den Titel. Lächelnd legte sie es zu den anderen vierhundertneunundneunzig Büchern, die sie seit zweieinhalb Stunden in einem Büro einer Buchhandlung in der Münchner Innenstadt signierte. Sie bewegte die Finger der Rechten, um den Krampf loszuwerden, und freute sich auf die Lesereise, die in einer Woche begann. Die Bücher heute hatte sie für eine Promotionaktion zum Verkaufsstart in drei Tagen unterschrieben. Doch wenn ihre Leser real vor ihr standen, sie ein paar Worte mit ihnen wechseln konnte und die Bücher mit einer persönlichen Widmung versah, war ihr Glücksgefühl noch größer.
»Und jetzt ein Foto von Ihnen mit den Büchern«, sagte die Buchhändlerin und gab dem Fotografen ein Zeichen.
Kara stellte sich hinter den Tisch und hielt einen ihrer Romane in die Kamera. Sie musste kein gezwungenes Lächeln aufsetzen, sie strahlte aus tiefstem Herzen. Fast ein Jahr hatte sie an ihrem neuesten Krimi gearbeitet und zuerst alles im Detail ausgearbeitet, bevor sie mit dem Schreiben begonnen hatte – für sie der schönste Teil eines Buchprojekts.
Hoffentlich gefällt er meinen Lesern, dachte sie.
Der Fotograf nahm die Kamera hinunter und veränderte ein paar Einstellungen.
Und wenn ihnen die Entwicklung meiner Hauptfigur nicht gefällt?
Dunkle Rache war der fünfte Band ihrer Reihe um Kriminalhauptkommissar Lars Beck. Sie hatte eine dramatische Wendung eingebaut, um ihrer Figur frischen Wind zu verpassen und die Spannung zu erhöhen. Auch wenn sie es noch nicht in die Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste geschafft hatte, erfreuten sich ihre Kriminalromane großer Beliebtheit. Trotzdem war sie vor jeder Veröffentlichung nervös, diesmal sogar mehr als bei ihrer ersten.
Kara konzentrierte sich wieder auf den Fotografen, der ihr Anweisungen für eine andere Positionierung gab. Nach ein paar Minuten beendete er das Shooting.
»Wollen Sie mal sehen?«, fragte er.
Kara nickte. Er hielt ihr das Kameradisplay hin.
Ihre Augen, die den gleichen dunklen Braunton wie ihre kurz geschnittenen Haare hatten, strahlten vor Freude, und sie hielt das Buch so fest in den Händen, als wollte sie es nie wieder loslassen. Es war ihr Werk, und es war deutlich zu erkennen, dass sie verdammt stolz darauf war.
Sie musste bei ihrem Anblick grinsen.
Der Fotograf scrollte durch einige Fotos, und sie reckte den Daumen. Er hatte sie wirklich gut getroffen.
»Ich danke Ihnen.« Sie warf ihm ein Lächeln zu, das er mit einem Augenzwinkern erwiderte.
Während er seine Ausrüstung einpackte, griff Kara nach dem Glas Wasser, das für sie bereitstand, und trank es in einem Zug leer. Ihre Agentin Tanja Gerritzen, eine Frau Anfang vierzig mit langen brünetten Haaren, hatte sich beim Fotoshooting dezent im Hintergrund gehalten und unterhielt sich nun mit der Buchhändlerin. Als Kara vor sieben Jahren das Manuskript für den ersten Teil ihrer Krimireihe an sie geschickt hatte, hätte sie sich nie träumen lassen, dass aus der geschäftlichen Beziehung schnell eine Freundschaft entstehen würde. Sie hatte sich sofort mit Tanja verstanden, die ihr nicht nur in Bezug auf ihre Romane zur Seite stand, sondern ihr ebenfalls half, sich als Autorin und generell in ihrer Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Tanja Gerritzen hatte die Gabe, einen Raum zu betreten und ihn augenblicklich für sich einzunehmen. Sie konnte auf einer Party erscheinen, auf der sie niemanden kannte, und es dauerte keine zwei Minuten, bis ihr jemand einen Drink brachte und sie in ein Gespräch verwickelte. Die Mischung aus Fröhlichkeit, Selbstvertrauen und Weiblichkeit, die sie ausstrahlte, hatte auf Kara abgefärbt. War sie zu Beginn ihrer Autorenkarriere noch zurückhaltend und oftmals unsicher gewesen, hatte sie ihre Scheu mittlerweile abgelegt.
Das Gelächter der beiden Frauen riss Kara aus ihren Gedanken, und sie gesellte sich zu ihnen.
»Ich habe Frau Krafft gerade von dem Malheur bei deinem dritten Band erzählt«, sagte Tanja.
»O Gott!« Kara lachte und schlug die Hände vors Gesicht.
Damals war dem Verlag ein Missgeschick passiert und in der Buchvorschau statt des Covers ihres düsteren Krimis das eines Erotikromans hochgeladen worden. Der Fehler wurde am nächsten Tag korrigiert, dennoch war Kara kurzzeitig in Schweiß ausgebrochen. Heute war es eine lustige Anekdote auf ihren Lesungen. Ausgerechnet Erotik! Sie bewunderte jeden Autor und jede Autorin dieses Genres, bei ihr wären spätestens nach fünf Seiten alle tot.
»Diesmal ist zum Glück alles gut gegangen«, meinte Anika Krafft. »Mir hat Dunkle Rache ausgesprochen gut gefallen, und ich bin mir sicher, Ihre Leser werden ebenfalls begeistert sein.«
»Danke, das freut mich.« Kara versah ein weiteres Buch mit einer persönlichen Widmung für die Buchhändlerin, dann verabschiedete sie sich von ihr.
In vier Wochen würden sie sich wiedersehen, wenn Kara eine Lesung hier hielt.
Zusammen mit Tanja fuhr sie die Rolltreppe ins Erdgeschoss hinunter, das voll mit Büchertischen und -regalen war, und warf ihrer Agentin einen vielsagenden Blick zu. Die rollte theatralisch mit den Augen.
»Wie hoch ist dein SuB?«, wollte Tanja wissen.
Der Stapel ungelesener Bücher. Karas Bücherregal zu Hause platzte aus allen Nähten, andererseits konnte man nie genug Lesestoff haben.
»Auch nicht größer als deiner«, sagte Kara, und sie verschwanden in der Nische mit den Krimis und Thrillern.
Wenig später verließen sie mit jeweils drei Büchern in ihren Handtaschen die Buchhandlung und traten auf den Vorplatz des Stachus. Schräg gegenüber war der große, im Winter abgestellte Brunnen, auf dessen Steinblöcken rundherum ein paar Jugendliche saßen und Burger aus dem nebenan gelegenen McDonald's verspeisten. In dicke Winterjacken gehüllt, eilten Passanten von der Neuhauser Straße kommend an ihnen vorbei zur U-Bahn. Weihnachten war drei Wochen her und die Geschäfte immer noch so voll wie vor den Festtagen.
Kara sah über die Schulter zurück zur Buchhandlung.
Hoffentlich legte Dunkle Rache am Montag einen guten Start hin.
»Keine Sorge«, meinte Tanja, die ihre Gedanken zu erraten schien. »Es wird gut ankommen.«
»Hat der Verlag an die Aufsteller für die Buchhandlungen gedacht?«
»Ja.«
»Und was ist mit den geplanten Werbeanzeigen in den sozialen Netzwerken?«
»Kara, entspann dich. Du hast deinen Teil erledigt, jetzt ist der Verlag an der Reihe.«
»Aber es ist ein neuer.«
»Ja, und sie haben alles im Griff.« Tanja zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu. »Du hast mir übrigens immer noch nicht verraten, warum du darauf bestanden hast, den Verlag zu wechseln. Die Zusammenarbeit mit dem vorherigen ist doch sehr gut gewesen.«
Schlagartig breitete sich eine eisige Kälte in ihrem Inneren aus.
»Ich hatte meine Gründe«, antwortete Kara ausweichend.
Es war früher Abend, als Kara das Golden Phoenix betrat. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und sie wischte die weißen Flocken von ihrer Jacke. Wie immer war sie vor dem vereinbarten Zeitpunkt da.
Das Restaurant mit der breiten Fensterfront und einer modern ausgestatteten Bar zählte zu den angesagtesten Asiaten in München. An den mit Bambusmatten verkleideten Wänden hingen abstrakte Kunstwerke, und hüfthohe Farne standen zwischen den Esstischen mit rot und schwarz bezogenen Lederstühlen. Es herrschte eine ausgelassene Atmosphäre, lautes Stimmengewirr vermischte sich mit der Popmusik, die aus den Lautsprechern von der Decke schallte.
Der Kellner führte Kara zu ihrem reservierten Tisch im hinteren Bereich. Sie bestellte eine stille Apfelsaftschorle. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie zwei junge Frauen, die ein paar Tische weiter saßen und sie anstarrten. Als sie den Kopf in ihre Richtung drehte, wandten sie sich rasch ab.
Der Kellner brachte ihr Getränk, und während sie auf ihre Verabredung wartete, zog Kara das Handy aus der Hosentasche und öffnete die Spiegel-App. Sie las gerne Nachrichten, denn nichts inspirierte sie mehr als die Realität.
Gleich bei der ersten Überschrift blieb sie hängen.
Das zehnte Opfer des Puppenmörders!
Kara überflog den Artikel, der ein gefundenes Fressen für sie als Autorin war. Sie überlegte, welches Motiv der Serienkiller wohl hatte. Was trieb ihn an?
Es waren die üblichen Fragen, die sie den Figuren in ihren Romanen stellte. Ihre Bösewichte töteten nicht einfach um des Mordens willen, sondern Kara stattete sie jeweils mit einer psychologisch fein ausgearbeiteten Hintergrundgeschichte aus. Es war das Erfolgsrezept ihrer Bücher.
Sie verfolgte das Treiben des Puppenmörders seit geraumer Zeit und spielte mit dem Gedanken, ihn als Vorbild für einen ihrer nächsten Krimis zu nehmen. Dass er an den Tatorten eine Puppe hinterließ, fand sie gruselig. Daraus könnte sie einiges machen.
»Ich hoffe, dein Gesichtsausdruck bedeutet, dass du eine neue Buchidee hast. Ich brauche nämlich dringend Nachschub.«
Kara sah auf und blickte in das erwartungsvolle Gesicht ihrer Freundin Jessica Fuchs.
»Du kennst mich ja.« Sie grinste und begrüßte Jessica mit einer herzlichen Umarmung.
Seit sie in der dritten Klasse nebeneinandergesessen hatten, waren sie unzertrennlich. Jessie hatte lange schwarze Haare und markante Wangenknochen, die sie durch ein dezentes Make-up betonte. Die Kette mit dem Herzanhänger, den Kara ihr zum dreizehnten Geburtstag geschenkt hatte, trug sie jeden Tag. Er war ihr persönlicher Glücksbringer.
Jessie war Karas erste Testleserin gewesen, seit sie mit zwanzig zu schreiben begonnen hatte, und ihre Freundin hatte nicht mit Kritik gespart. Nicht weil sie die Geschichte als langweilig empfand – ganz im Gegenteil, in ihren Augen war Kara sehr talentiert –, sondern sie wollte, dass sie noch besser wurde. Kara hatte die Verbesserungsvorschläge dankbar angenommen, und nach einigen Jahren, die sie für die Schublade geschrieben hatte, schließlich ein Manuskript an Tanja Gerritzen geschickt. Der Beginn ihrer Karriere als Autorin. Mittlerweile hatte sie zwei weitere Testleser, doch Jessie war ihre Cheftestleserin. Ein Titel, auf den ihre Freundin bestand.
Immer wenn ein neues Buch von ihr erschien, lud Kara ihre Testleser als Dankeschön zum Essen ein, weshalb sie heute mit Jessie im Golden Phoenix verabredet war.
Der Kellner erschien, und sie gaben ihre Bestellung auf. Im Gegensatz zu Kara, die jedes Mal ewig für ihre Entscheidung brauchte, warf Jessie nur einen kurzen Blick in die Speisekarte.
»Und? Wie hoch ist deine Nervosität auf einer Skala von eins bis zehn?«, wollte sie wissen, nachdem der Kellner gegangen war.
Kara schnitt eine Grimasse. »Zwanzig?«
»Also wie immer.«
»Was ist, wenn niemand die Geschichte mag?«
»Und was, wenn morgen ein Meteorit auf der Erde einschlägt? Oder eine Zombie-Apokalypse ausbricht?« Jessie neigte den Kopf. »Chill mal ein bisschen. Es ist dein bestes Buch bisher.«
»Ja, schon. Aber ...«
»Nichts aber. Warum willst du immer alles kontrollieren? Du hast das Manuskript abgegeben. Also lass los und mach dich lieber an die Arbeit für den nächsten Band. Ich will wieder was Spannendes lesen.«
Kara senkte den Blick und nahm die schwarze Serviette, die, zu einem Fächer gefaltet, neben dem Besteck lag. Mit leicht zitternden Fingern strich sie den Stoff glatt.
»Hätte ich die Kontrolle über mich behalten, wäre Yvonne nicht tot.«
»Kara!« Jessie starrte sie entgeistert an. »Das war nicht deine Schuld.«
»Natürlich war es das.«
»Wie lange willst du dir das noch vorwerfen? Das Ganze ist achtzehn Jahre her.«
»Ja, und es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht daran denke«, murmelte sie und zerknüllte die Serviette.
Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen zwischen ihnen.
Dann legte Jessie ihr die Hand auf den Arm und sah sie warmherzig an. »Ich hatte keine Ahnung, dass du noch nicht darüber hinweg bist. Warum hast du nichts gesagt?«
»Weil ...«
Kara stockte, da sie ihre Freundin nicht damit belasten wollte. Nicht schon wieder. Ohne Jessie wäre sie damals mit Sicherheit zerbrochen. Jessie war immer die Stärkere von ihnen gewesen. Und hätte Kara mit dem Schreiben nicht ein Ventil gefunden, ihre Gefühle zu kanalisieren und auszudrücken, sie wüsste nicht, wie ihr Leben verlaufen wäre. Wahrscheinlich hätten die Dämonen sie zerstört.
Sie seufzte tief. »Tut mir leid, manchmal kommt es wieder hoch.«
»Du musst dich nicht dafür entschuldigen. So etwas vergisst man eben nicht so einfach.«
Nicht so einfach?, dachte Kara. Das vergisst man nie.
Der Kellner brachte Jessies Litschischorle, und Kara, froh über die Unterbrechung, hob ihr Glas.
»Auf dich«, sagte sie. »Danke für deine Unterstützung.«
»Jederzeit wieder.«
Sie stießen miteinander an und erneut bemerkte Kara, dass die zwei Frauen ein paar Tische weiter zu ihr sahen.
»Kennst du die?«, fragte Jessie, der die beiden auch aufgefallen waren.
»Nein.«
Trotzdem nickte sie ihnen freundlich zu, woraufhin die Frau mit den roten Haaren etwas zu der anderen sagte. Die stand auf und kam langsam auf Kara zu. Oder vielmehr wurde sie von ihrer Freundin geschoben.
»Hallo«, sagte Kara, nachdem sie ihren Tisch erreicht hatten.
»Hi.«
Die Rothaarige gab ihr einen Schubs.
»Sind Sie Kara Bender? Die Schriftstellerin?«
Kara lächelte. »Ja, die bin ich.«
»O mein Gott!« Sie wirbelte zu ihrer Freundin herum. »Hab ich's dir nicht gesagt?« Und wieder an Kara gewandt: »Ich kann nicht glauben, dass ich Sie hier treffe. Ich bin ein Riesenfan von Ihnen und kann es kaum erwarten, bis am Montag Ihr neues Buch erscheint. Vorbestellt habe ich es schon, ich werde es gleich nach der Arbeit abholen. Ach verdammt, warum hab ich nicht ein anderes von Ihnen dabei? Dann hätten Sie es mir signieren können.«
Sie redete ohne Unterbrechung, Kara musste schmunzeln.
»Du kannst mich gerne duzen«, sagte sie, woraufhin die junge Frau noch mehr strahlte. Kara griff in ihre Handtasche und holte eine Autogrammkarte hervor. Sie hatte immer ein paar davon dabei. »Kann ich dir die anbieten?«
»O Mann, das wäre der Wahnsinn. Können Sie ... kannst du es bitte für mich signieren? Laura.«
Kara zückte ihren Stift, unterschrieb die Autogrammkarte und reichte sie Laura.
»Kann ich auch noch ein gemeinsames Foto haben?«
»Klar.« Kara stand auf.
Laura drückte der Rothaarigen das Smartphone in die Hand und stellte sich neben Kara.
»Das ist so cool«, sagte sie und bedankte sich mehrmals, ehe sie mit ihrer Freundin zu ihrem Tisch zurückkehrte.
»Passiert dir so was öfter?«, wollte Jessie wissen, nachdem die beiden außer Hörweite waren.
»Hin und wieder.«
»Ist das nicht unheimlich, wenn man in der Öffentlichkeit erkannt wird?«
»Ach, solange niemand an meiner Wohnungstür klingelt und nach einem Autogramm fragt, ist es okay. Es ist doch schön, wenn man jemandem eine Freude machen kann. Sieh nur, wie glücklich sie ist.«
Sie beobachteten Laura, die ihrer Freundin die Fotos und die Autogrammkarte zeigte und übers ganze Gesicht strahlte.
»Da hast du recht«, meinte Jessie.
Zweieinhalb Stunden und drei Gänge später verabschiedeten sie sich voneinander, und Kara fuhr mit der U-Bahn nach Hause. Wie immer ging sie die vier Stockwerke zu ihrer Wohnung zu Fuß, auch wenn es ihr heute mit vollem Magen schwerfiel. Doch selbst mit zwei gebrochenen Beinen würde sie niemals in die klaustrophobische Enge eines Aufzugs steigen.
Sie war vier gewesen, als sie darauf bestanden hatte, allein mit dem Lift zu fahren.
»Ich bin schon groß«, sagte sie zu ihrer Mutter, die den Knopf für den dritten Stock drücken musste, da sie ihn selbst nicht erreichen konnte. Auf halber Höhe blieb der Aufzug plötzlich stecken, weil der Strom in ihrem Stadtviertel ausfiel. Über eine Stunde lang war sie in der beengten Kabine ohne Licht gefangen gewesen, bis die Feuerwehr sie endlich befreien konnte. Seitdem hatte sie nie wieder einen Aufzug benutzt und hasste geschlossene Türen.
Kara betrat ihre Wohnung und durchquerte den geräumigen Flur, der in einer offenen Wohnküche mündete. Die Fenster boten einen weitläufigen Blick über die nächtliche Siedlung im Münchner Norden und reichten bis zum Boden, der mit hellem Parkett ausgelegt war. Die Türen zum Arbeits- und Schlafzimmer waren offen. Auch heute, fast zweiunddreißig Jahre nach diesem Vorfall, bevorzugte sie es, bei offener Tür zu schlafen.
Sie hängte die Jacke an den Garderobenhaken und stellte die Schuhe in den Schrank, als sie auf einmal Beklemmung verspürte. Sie konnte nicht sagen, warum, sie hatte nur ein komisches Gefühl.
Angespannt verharrte sie und lauschte in die Stille, die in der Wohnung herrschte.
Jetzt mach dich nicht verrückt, sagte sie zu sich selbst. Du bist nervös wegen Montag und hast zu viel gegessen.
Kara beschloss, zur Entspannung noch ein wenig fernzusehen, bevor sie ins Bett ging. Sie schaltete das Licht im Wohnzimmer an und erstarrte.
Mit zusammengekniffenen Augen stierte sie auf die gegenüberliegende Wandseite, auf der mit großen roten Buchstaben das Wort Bald geschrieben stand.
Dann bemerkte sie die Puppe in dem blauen Kleid und den zu einem Pferdeschwanz gebunden Haaren, die auf der Couch davor saß und sie mit leblosen Augen ansah.
Was, zum Teufel ...?
Ihr Herz begann zu rasen.
Sie stolperte rückwärts, bis sie gegen jemanden prallte.
»Ich habe schon auf Sie gewartet«, sagte eine männliche Stimme.
Im nächsten Moment drückte der Mann ihr ein Tuch aufs Gesicht, und sie nahm einen süßlichen Geruch wahr. Ihr wurde schwindelig.
Mit beiden Händen griff sie nach dem Stofffetzen und versuchte verzweifelt, ihn von Mund und Nase zu zerren.
Ihre Muskeln erschlafften, und Kara verlor das Bewusstsein.
Kara kam nur langsam zu sich. Stöhnend öffnete sie die Augen, woraufhin sich alles drehte, und sie schloss sie wieder. Ihr war speiübel.
Was ... was ist passiert?, dachte sie und blinzelte.
Verschwommen nahm sie eine Zimmerdecke wahr. Sie wandte den Kopf ab, nur wenige Zentimeter, woraufhin der pochende Schmerz in ihren Schläfen explodierte.
Sie wimmerte.
Es dauerte eine Weile, bis der Schwindel nachließ, und die Konturen allmählich klare Formen annahmen.
Das war nicht ihre Wohnung.
Ruckartig wollte sie sich aufrichten, doch etwas an ihrem Arm hielt sie zurück. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie in einem Bett mit Metallgestell lag. Ihr linkes Gelenk war mit einer Handschelle an eine der Längsstreben am Kopfende gefesselt.
Was ...?
Kara geriet in Panik.
Sie wälzte sich herum und schob dabei die ordentlich zusammengelegte Bettdecke von der Matratze. Mühsam schaffte sie es auf die Knie und zerrte wie ein Berserker an der Fessel, die sich tief in ihr Fleisch schnitt.
O Gott, nein!
Sie ergriff mit beiden Händen die massive Metallstange und rüttelte daran. Sie bewegte sich keinen Millimeter. Verzweifelt stieß sie mit dem Fuß dagegen.
Beruhig dich. Du musst dich beruhigen!
Keuchend hielt sie inne, um Puls und Atmung zu normalisieren. Es kam einem Kraftakt gleich, doch irgendwie gelang es ihr.
Wo war sie?
Ihr Blick wanderte durch den etwa fünfundzwanzig Quadratmeter großen Raum mit den kahlen, schmutzig weißen Wänden, der durch zwei Deckenlampen nur mäßig beleuchtet wurde. Das breite Bett stand in der linken Hälfte, direkt gegenüber einer grauen Stahltür. An der schmalen Wandseite befand sich ein kleines Regal mit sechs leeren Fächern neben einer Heizung. In der rechten Raumhälfte entdeckte sie einen Tisch mit zwei Holzstühlen sowie eine weitere Tür und an der angrenzenden Wand ein Fenster. Kara beugte sich so weit zur Seite, wie es die Handschelle zuließ, um etwas zu erkennen. Hinter der Scheibe war es dunkel. Alles, was sie sah, war ihr eigenes Spiegelbild.
Oben in der Wand zwischen den beiden Türen war ein Lüfter eingelassen, der ein leises Summen von sich gab. Der braune Teppichboden wirkte, als wäre er mehrere Jahrzehnte alt, und sein Geruch vermischte sich mit dem eigenartigen Aroma, das im Raum hing und Kara an den muffigen dunklen Keller ihrer Oma erinnerte. Er hatte als Abstell- und Vorratskammer gedient, in der sich Staubsauger, Werkzeug und Konserven neben diversen Kisten mit alter Kleidung und Decken in den Regalen reihten. Kara hatte es gehasst, wenn ihre Großmutter sie als Kind dort hinuntergeschickt hatte, um irgendetwas zu holen. Die Enge des Kellers war für sie schon schlimm genug gewesen, der spezielle Geruch hatte ihr jedoch das Gefühl gegeben zu ersticken.
Wie war sie überhaupt hierhergekommen?
Kara erinnerte sich daran, dass sie sich mit Jessie zum Abendessen getroffen hatte und anschließend nach Hause gefahren war. Ihr fiel der Schriftzug Bald an der Wand ein, dass plötzlich jemand hinter ihr gestanden hatte und ...
»Die Puppe«, murmelte sie.
Sie benötigte einen Moment, bis sie die Zusammenhänge begriff, dann rollte die Panik wie eine Lawine über sie hinweg. Ein schriller Schrei entfuhr ihr. Sie riss an der Fessel.
Das war unmöglich!
Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Die Angst hatte sie so fest im Griff, dass sie glaubte durchzudrehen. Schweiß lief ihr über Stirn und Rücken, das T-Shirt klebte auf ihrer Haut.
Der Schmerz in ihrem wunden Handgelenk ließ sie zur Besinnung kommen. Erschöpft lehnte sie sich rücklings gegen die Metallverstrebung, ihr Atem ging stoßweise. Sie schloss die Augen, um wieder die Kontrolle über sich zu erlangen.
In der nächsten Sekunde vernahm sie ein Geräusch. Sie richtete sich auf. Die schwere Stahltür öffnete sich wie in Zeitlupe, und ein Mann betrat den Raum. Kara hielt die Luft an.
»Guten Abend, Kara«, sagte er.
Die Tür schloss sich hinter ihm.
Kara versteifte sich am ganzen Körper. Reglos saß sie da und starrte ihn voller Angst an.
Er war ein paar Jahre älter als sie, um die vierzig, schätzte sie, und hatte ein gepflegtes Erscheinungsbild. Kurze dunkelbraune Haare, die er locker zurückgekämmt trug, ein markantes Gesicht mit dicken Brauen und einem Dreitagebart. Unter seinem schwarzen Hemd zeichnete sich eine athletische Figur ab.
Er musterte sie mit seinen blaugrauen Augen, die Kara einen Schauer über den Rücken jagten. Sie hatten etwas Kaltes, Raubtierhaftes an sich, das sie nicht einordnen konnte und das so gar nicht zu seinem Äußeren passte.
»Wer sind Sie? Und wo bin ich?«
Er kam auf sie zu und blieb vor dem Bett stehen. Kara zog die Knie gegen die Brust und drückte sich noch enger gegen das metallene Kopfgestell.
»Mein Name ist Rafael Dorn, und Sie sind Gast in meinem Haus. Genauer gesagt, in meinem Keller.«
Im Keller? Ihre Angst wuchs.
»Sind Sie ... sind Sie der Puppenmörder?«, presste sie mühsam hervor. Sie musste Klarheit haben.
»Ja, der bin ich.«
Er sagte es mit einer solchen Emotionslosigkeit, als hätte er eine Frage nach dem Wetter beantwortet. Obwohl Kara es geahnt hatte, trafen sie seine Worte bis ins Mark. Sie begann, am ganzen Körper zu zittern. Aus der Zeitung wusste sie, wie grausam er mordete, und sie wollte nicht sein nächstes Opfer sein.
Dorn lächelte. »Es spricht für Sie, dass Sie die Zusammenhänge so schnell erkennen. Und für mich, dass ich Sie ausgewählt habe.«
Sie runzelte die Stirn.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte sie, obwohl es offensichtlich war. Er wollte sie töten.
»Ihnen ein Angebot unterbreiten.«
»Ein Angebot?«
»Ich möchte, dass Sie ein Buch für mich schreiben. Ein Buch über mich und mein Leben.«
Er wollte was?
»Ich ... ich verstehe nicht«, stammelte sie.
»Sie schreiben fiktive Romane. Jetzt sollen Sie einen realen über mich schreiben.«
Vollkommen überrumpelt und zitternd versuchte Kara, die Situation zu begreifen.
»Sie sind verrückt«, sagte sie. Sie hatte nicht vorgehabt, es laut auszusprechen, die Worte rutschten ihr einfach heraus.
Schlagartig verfinsterte sich seine Miene, und er machte einen Schritt auf sie zu.
»Nennen Sie mich noch einmal verrückt, und ich zeige Ihnen, wozu ich in der Lage bin!«, schrie er.
Kara zuckte zusammen. Seine Augen strahlten eine solche Kälte aus, dass sie auf dem Bett ein Stück zur Seite rutschte. Sie bemerkte seine zu Fäusten geballten Hände und hob beschwichtigend die Rechte.
»Schon ... schon gut«, stotterte sie. »Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
Sein Brustkorb hob und senkte sich im schnellen Rhythmus, seine Kiefer mahlten. In Gedanken sah sie, wie er auf sie losging, sie verprügelte und würgte, ohne dass sie den Hauch einer Chance gegen ihn gehabt hätte.
Der Schweiß lief ihr aus allen Poren. Das Pochen in ihren Schläfen wurde unerträglich.
Sie musste die Situation sofort entschärfen.
»Okay«, sagte sie. »Angenommen, ich schreibe das Buch. Was passiert dann mit mir?«
»Dann lasse ich Sie frei.« Er entspannte sich augenblicklich.
»Und wenn ich mich weigere?«
»Werde ich Sie töten.«
Erneut lächelte er, und Kara entging nicht, dass es aufgesetzt wirkte. Sein Blick sprach Bände.
Ihre Gedanken rasten, als sie ihre Optionen abwog. Egal, wie sie sich entschied, er würde sie mit Sicherheit töten. Warum sollte er sie freilassen? Sie kannte seinen Namen und wusste, wie er aussah. Ihm musste klar sein, dass sie sofort zur Polizei gehen würde.
Noch immer hatte sie Probleme, sein Angebot zu verstehen. Ein Buch über einen zehnfachen Serienmörder zu schreiben. Was für eine irre Idee!
Sie schüttelte im Geiste den Kopf.
Wie stellte er sich das vor? Dass sie wochenlang im Keller eingesperrt war, er ihr sein Leben in allen grausamen Details ausbreitete und sie eine True-Crime-Story daraus machte? Allein bei der Vorstellung daran schauderte sie.
Andererseits, was war die Alternative? Dass er sie an Ort und Stelle tötete. Vermutlich mit Genuss und garantiert nicht schnell.
Ihre Kehle schnürte sich zu.
»Warum ich?«, krächzte sie.
»Also, wenn Sie meinen, dass ich Ihr größter Fan bin, muss ich Sie enttäuschen«, antwortete er. »Ich lese nicht einmal gerne.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe im Vorfeld ein paar deutsche Krimiautorinnen als potenzielle Kandidatinnen ausgewählt und jeweils ein Buch von ihnen gelesen. Von Ihnen war es Blutiger Schwur. Die Entscheidung fiel mir leicht. Sie haben einen tollen Schreibstil, und mir gefällt, dass der Fokus Ihrer Romane nicht auf möglichst abartigen Morden liegt. Die Charaktere Ihrer Täter sind gut ausgearbeitet, sie haben einen Grund, warum sie tun, was sie tun müssen. Sie geben ihnen eine Vergangenheit, und das ist genau das, was ich gesucht habe.«
Kara saß mit offenem Mund da. Was er von ihr verlangte, war absurd.
»Ich kann das nicht«, sagte sie.
Er stieß einen Seufzer aus. »Hören Sie, Kara, ich habe kein Problem damit, Sie zu töten. Zwar sind Sie meine favorisierte Autorin, aber wenn Sie sich weigern sollten, muss ich eben auf die zweitbeste Kandidatin zurückgreifen.«
Kara ließ sich gegen das Metallgestell zurückfallen und starrte mit leerem Blick zur Decke. Sie würde hier nicht lebend rauskommen. Die einzige Wahl, die sie hatte, war, jetzt gleich zu sterben oder erst, wenn sie seine Geschichte beendet hatte.
»Ich weiß, dass ich Sie mit der ganzen Situation überrumpelt habe«, sagte er. »Ich möchte, dass Sie sich mein Angebot in Ruhe durch den Kopf gehen lassen, denn ich lege Wert darauf, dass Sie voll und ganz hinter Ihrer Entscheidung stehen. Entweder Sie schreiben das beste Buch Ihres Lebens, oder Sie lassen es bleiben. Ich werde keine halben Sachen dulden. Es ist mein Leben, meine Geschichte, die die Welt erfahren soll, und dafür will ich die beste Autorin haben.«
Kara stutzte. Er wollte die Story nicht für sich, sondern sie veröffentlichen?
Er war noch verrückter, als sie gedacht hatte.
Dorn griff in die Hosentasche und holte einen Handschellenschlüssel hervor.
»Ich gebe Ihnen bis morgen Vormittag Zeit, dann will ich eine Antwort.«
Er warf ihr den Schlüssel aufs Bett, drehte sich um und verließ wortlos den Keller.
Kaum war die schwere Stahltür ins Schloss gefallen, sackte Kara in sich zusammen. Sie bebte am ganzen Körper, konnte das alles nicht begreifen.
Es musste ein Albtraum sein.
Sie kniff sich in den Arm, der Schmerz war real.
Ihr Blick fiel auf den Handschellenschlüssel am Bettende. Sie griff danach, aber so sehr sie sich auch streckte, sie erreichte ihn nicht.
Fluchend legte sie sich hin und zog mit der Fußspitze den Schlüssel zu sich heran. Sie packte ihn und wollte ihn ins Schloss der Handschelle stecken. Ihre Finger zitterten so stark, dass er sich an der Kante verhakte und hinunterfiel. Fast wäre er von der Matratze gerutscht, sie bekam ihn gerade noch zu fassen.
Kara hielt den Schlüssel fest in der Faust umklammert und atmete mehrmals tief durch, um sich zu beruhigen. Dann schloss sie die Fessel auf und rieb ihr wundes Handgelenk, bevor sie aus dem Bett sprang und zur Tür rannte.
Sie musste hier raus!
In der nächsten Sekunde stutzte sie.
Wo war die Klinke? Wo war die verdammte Türklinke?
Entsetzt fuhr sie über den glatten Stahl, als müsste sie sich haptisch davon überzeugen, dass ihre Augen ihr keinen Streich spielten. Der Griff fehlte.
Sie spürte Beklemmung, ihr Brustkorb zog sich zusammen.
Dorn war vorhin hinausgegangen, irgendwie musste er die Tür geöffnet haben.
Erst jetzt fiel ihr das Kästchen an der Wand rechts vom Eingang auf. Es bestand aus einem Display und einem Nummernblock.
Ein Codeschloss?
Kara tippte irgendwelche Zahlen ein und drückte OK. Ein rotes Lämpchen blinkte, und auf dem Display erschien Falsche Eingabe. Sie probierte es erneut, ehe nach dem dritten Versuch die rote Lampe dauerhaft leuchtete. Sie las Tastatur gesperrt, ein Countdown über zehn Minuten setzte ein.
Ungläubig verfolgte sie die Sekunden, die langsam runterzählten.
Kara sah zu der zweiten Tür, die weiß beschichtet war und eine Klinke hatte. Sie rannte darauf zu und drückte sie auf, nur um enttäuscht festzustellen, dass sie in ein Bad führte. Sie tastete nach dem Schalter, und kaltes Licht flutete den fensterlosen Raum, der im Gegensatz zu dem Kellerabteil neu wirkte. Moderne weiße Fließen mit einem filigranen Muster zierten die Wände und den Boden, und ein flauschiger hellblauer Teppich lag vor der Toilette und der Duschkabine, deren Glaswände streifenfrei geputzt waren. An der Wand daneben befand sich ein Waschbecken, über dem ein Spiegel hing.
Kara wirbelte herum und lief zum Fenster auf der rechten Seite des Kellers. Ihre letzte Chance. Entsetzt realisierte sie, dass auch hier der Griff fehlte.
Das konnte nicht wahr sein!
Sie lugte durch die Scheibe. Das Fenster führte zu einem Lichtschacht, der voller Spinnweben, Steine und verwelkter Blätter war. Das Gitter am Schachtende war mit einer Kette an der Wand befestigt und mit irgendetwas bedeckt, möglicherweise mit einem Teppich.
Sie musste es trotzdem probieren. Es war ihre einzige Fluchtmöglichkeit.
Kurzerhand schnappte sie sich einen der beiden Holzstühle, der schwerer war, als er wirkte, und schlug ihn mit voller Wucht gegen die Scheibe. Das Glas hielt stand. Es vibrierte nicht einmal unter dem Aufprall. Kara versetzte ihm zwei weitere Schläge, doch es bildete sich kein noch so kleiner Riss.
Es muss eine Panzerglasscheibe sein, stellte sie frustriert fest und ließ den Stuhl fallen.
Keuchend stützte sie sich auf dem Tisch ab. Sie hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Als würde jemand ihren Brustkorb umklammern und zudrücken. Ihr Herz raste, Angstschweiß lief ihr über die Stirn, und Schwindel erfasste sie. Die Konturen des Kellers verschwammen vor ihren Augen. Die Wände bewegten sich auf sie zu, bis der Raum zu einer kleinen Kabine zusammengeschrumpft war. Kara war vier Jahre alt, und sie schaffte es nicht, mit der Hand den Knopf für die dritte Etage zu erreichen. In der nächsten Sekunde gab es einen Ruck, und der Aufzug blieb stecken. Das Licht flackerte, bis es ganz erlosch und sich Kara in bedrohlicher Dunkelheit wiederfand.
»Mami!«, schrie sie.
Kara schüttelte den Kopf, um wieder klar sehen zu können. Sie war noch immer im Keller.
Ich möchte, dass Sie ein Buch für mich schreiben. Ein Buch über mich und mein Leben.
Seine Stimme dröhnte in ihrem Kopf.
Entweder Sie schreiben das beste Buch Ihres Lebens, oder Sie lassen es bleiben. Ich werde keine halben Sachen dulden. Es ist mein Leben, meine Geschichte, die die Welt erfahren soll, und dafür will ich die beste Autorin haben.
Sie würde wochenlang hier eingesperrt sein. In einem Raum, wo die Tür keine Klinke und das Fenster keinen Griff hatte.
Die Luft schien noch stickiger geworden zu sein. Als saugte jemand den Sauerstoff aus dem Keller.
Kara torkelte zur Tür.
»Ich will hier raus!«, brüllte sie und hämmerte gegen den Stahl. »Machen Sie die Tür auf!«
Doch sie wurde nicht geöffnet. Und draußen stand auch nicht ihre Mutter, die beruhigend auf sie einsprach, während sie wie von Sinnen mit ihren kleinen Fäusten gegen die Aufzugwand schlug und sich die Seele aus dem Leib schrie.
Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie drehte sich um und lehnte sich gegen die Tür. Ihre Knie wurden weich. Kraftlos sank sie zu Boden, wo sie verzweifelt den Kopf in ihren Händen vergrub und schluchzte.
Der Raum pulsierte. Die Luft war erfüllt von Schweiß und einer knisternden, fast schon sexuellen Energie. Rhythmisch bewegte sich die Menge zu den Klängen von In the Shadows, während das Stroboskop bunte Lichtblitze über ihre Köpfe schickte. Der Boden vibrierte.
Kara warf ihre Haare in den Nacken und tanzte ausgelassen inmitten des Pulks. Marc war nicht weit von ihr entfernt und lächelte ihr zu. Eine Mischung aus Alkohol und Glückshormonen berauschte ihren Verstand, sie fühlte sich grenzenlos frei.
Die Nebelmaschine zischte und tauchte die Tanzfläche in gespenstische Schemen. Kara lachte und streckte die Arme in die Luft, ihre Bewegungen waren in völligem Einklang zur Musik. Sie schloss die Augen und gab sich ganz ihren Gefühlen hin.
Als sie die Lider öffnete, waren die bunten Stroboskopblitze verschwunden, und der Raum stattdessen von einem diffusen Licht erfüllt. Kara nahm die Menschen um sich herum nur verschwommen wahr. Die pulsierende Energie war etwas Schwerem und Drückendem gewichen, die Nebelschwaden wirkten wie die Vorboten eines Geisterheers aus der Unterwelt.
Kara verlangsamte ihre Bewegungen, konnte kaum mehr den Takt fühlen. Die Musik klang grotesk verzerrt. Ein bleiernes Gefühl überfiel sie, und sie hielt inne. Die Menge tanzte weiter, schwerfällig und träge. Ihr Stampfen hallte dumpf durch den Klub.
Eine junge Frau schälte sich aus dem Nebel. Sie war barfuß. Ihre schulterlangen blonden Haare waren zerzaust und standen in alle Richtungen ab. Blut lief ihr über das Gesicht mit den kajalverschmierten Augen. Die nietenbesetzte schwarze Lederjacke war löchrig, der Minirock zerrissen. Wie in Zeitlupe streckte sie die Arme nach Kara aus und öffnete den Mund.
»Hilf mir, Kara«, sagte sie, wobei die Worte unendlich lang gezogen klangen. »Hilf mir!«
Kara schrie.
Sie fuhr senkrecht in die Höhe und saß schweißgebadet und zitternd da, während die Fragmente ihres Albtraums langsam verblassten. Es dauerte einen Moment, bis sie die Orientierung wiedergefunden hatte.
Sie war noch immer in dem Keller. Das Licht brannte. Und mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zurück.
Erschöpft lehnte sich Kara gegen das metallene Kopfgestell, an dessen Längsstange die Handschelle hing. Sie versuchte sich zu beruhigen.
Es war lange her, seit sie diesen Traum gehabt hatte. Damals war sie jede Nacht davon aufgeschreckt, bis sie mit dem Schreiben begonnen und dadurch ein Ventil für ihre Gefühle gefunden hatte. Danach waren die Träume weniger geworden und hatten schließlich ganz aufgehört. Ihre langen Haare hatte sie abgeschnitten, um ein optisches Zeichen für einen Neuanfang zu setzen. Ein Neuanfang, der ihr bis heute nicht geglückt war.
Sie atmete tief durch.
Kara konnte nicht sagen, wie lange sie gestern vor der Stahltür am Boden gekauert hatte. Irgendwann war sie so müde gewesen, dass sie sich ins Bett gelegt und die Decke über sich gezogen hatte. Als könnte sie sich so vor den Gefahren schützen, die hier unten im Keller und jenseits der Tür auf sie lauerten. Sie hatte nicht gewagt, das Licht auszuschalten.
Wie lange hatte sie geschlafen?
Sie bemerkte den matten Schein hinter dem Fenster.
Sofort sprang sie aus dem Bett und lief auf die andere Seite des Raums. Sie presste die Stirn gegen die kalte Scheibe. Der Schacht war oben mit einem Teppich abgedeckt – genau wie sie gestern vermutet hatte. Er bedeckte das Gitter nicht komplett, sondern ließ einen schmalen Streifen auf der linken Seite frei. Kara konnte einen grauen Himmel erkennen. Demnach musste die Sonne bereits aufgegangen sein.
Der Himmel, dachte sie und blickte sehnsüchtig nach oben.
Obwohl er für sie unerreichbar war, weckte er einen Funken Hoffnung in ihr, denn er durchbrach die bedrückende Enge des dunklen Kellers.
Eine Weile genoss sie das natürliche Tageslicht.
Dann spürte sie ihre volle Blase. Widerwillig löste sie sich von der Scheibe und ging ins Bad. Sie schloss die Tür hinter sich und wollte absperren, doch es gab keine Verriegelung.
Nicht das auch noch!
Unsicher verharrte sie.
Was, wenn Dorn hereinkam, während sie auf der Toilette saß?
Irgendwann hielt sie es nicht länger aus und erleichterte sich. Noch nie war sie sich dabei so ungeschützt und verletzlich vorgekommen. Sie wusch sich die Hände und trank ein paar Schlucke aus der hohlen Hand.
Sie sah ihr Spiegelbild und erschrak. Ihre Augen waren rot und verquollen, die Wangen eingefallen.
Ich möchte, dass Sie ein Buch für mich schreiben. Ein Buch über mich und mein Leben.
Auf das Waschbecken gestützt, vernahm sie Dorns Worte in ihrem Kopf.
Ich gebe Ihnen bis morgen Vormittag Zeit, dann will ich eine Antwort.
Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber vermutlich würde er bald auftauchen.
Noch immer haderte sie mit sich. Die Vorstellung, wochen- oder sogar monatelang eingesperrt zu sein, versetzte sie in lähmendes Entsetzen. An die Grausamkeiten, die er ihr vermutlich schildern würde, wagte sie erst gar nicht zu denken.
Angenommen, ich schreibe das Buch. Was passiert dann mit mir?
Dann lasse ich Sie frei.
Und wenn ich mich weigere?
Werde ich Sie töten.
Er würde sie nicht freilassen, egal, wie sie sich entschied, dessen war sie sich sicher. Wenn sie sein Buch schrieb, gewann sie zumindest Zeit.
Irgendwann würde ihr Verschwinden bemerkt werden. Spätestens wenn sie nicht auf Jessies SMS antwortete, würde ihre Freundin misstrauisch werden und nach ihr sehen. Sie hatte einen Schlüssel für Karas Wohnung. Dann würde sie die Puppe und den Schriftzug an der Wand entdecken und die Polizei alarmieren. Und die würde sie suchen und finden, wenn sie nur lange genug am Leben blieb.
Er hat bereits zehn Menschen getötet, entgegnete ihre innere Stimme. Und er mordet seit zwölf Jahren unerkannt. Warum sollte er ausgerechnet jetzt erwischt werden?
Sie wollte nicht sterben!
Bei der Erinnerung daran, wie grausam er tötete, schnürte sich ihr Brustkorb zusammen, und sie musste ihre ganze Kraft aufbringen, um nicht in Panik zu verfallen.
Sie hatte noch so viel vor. Übermorgen erschien ihr neuer Krimi. Im Sommer würde sie sich einen Kindheitstraum erfüllen und mit Jessie in die Südsee fliegen. Sie wollte schon immer ein Haustier haben, am liebsten einen Hund, mit dem sie lange Spaziergänge unternehmen und dabei über ihre Bücher nachdenken konnte. Warum war sie nie ins Tierheim gefahren und hatte sich einen geholt? Und in zwei Wochen war der fünfundsechzigste Geburtstag ihrer Mutter, den sie groß feiern wollte. Kara musste unbedingt noch ein Geschenk für sie besorgen.
Ihr fielen so viele Sachen ein, dass sie mit jedem Gedanken niedergeschlagener wurde. Sie drehte den Wasserhahn auf und schaufelte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um wieder klar denken zu können.
So wie es aussah, gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie weigerte sich und Dorn tötete sie noch heute, oder er brachte sie erst dann um, wenn sie seine Geschichte fertiggeschrieben hatte. In letzterem Fall bestand zumindest die winzige Chance, dass die Polizei sie aufspürte und befreite.
Doch wie sollte sie bis dahin die Zeit im Keller überstehen?
Ich muss wissen, wie Dunkle Rache bei meinen Lesern ankommt, schoss es ihr durch den Kopf. Ich will zu Mamas Geburtstagsfeier. Und ich will diesen verdammten Cocktail in der Strandbar im Südpazifik schlürfen und dabei den Sonnenuntergang genießen!
Kara richtete sich auf und traf eine Entscheidung.
Sie würde das Buch schreiben.
Kara saß auf einem der beiden Stühle am Tisch, als Dorn in den Keller kam. Sie hatte sich vorgenommen, gefasst zu wirken, wenn er sie aufsuchte, dennoch zuckte sie unwillkürlich zusammen, als sich die Stahltür öffnete.
Dorn blieb am Eingang stehen und verschränkte die Arme.
»Haben Sie sich entschieden?«, wollte er wissen.