Das Butterbrezelmassaker - Maria Stich - E-Book

Das Butterbrezelmassaker E-Book

Maria Stich

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Beschreibung

Emilia Roth, Hauptkommissarin im Ruhestand, ist auf der Flucht vor der Rache des Casali Clans. Gemeinsam mit Waldemar Stein, ihrem selbst ernannten Bodyguard, mietet sie sich in einer alten Ölmühle im Hinterland des Bodensees ein. Inmitten idyllischer Apfelplantagen schlitterte sie in die skurrilsten Situationen. Sie hat eine Begegnung mit einem ein naschhaften Känguru, einem fliegenden Maulwurfskuchen und gerät bei einer Geiselnahme in Todesgefahr. Sogar der Kauf einer Butterbrezel wird zu einem gefährlichen Abenteuer. Und, die Mafia ist ihr dicht auf den Fersen. Wird es Emilia gelingen, dem Machetenmann zu entkommen? Ein absolut lesenswertes Buch mit Schmunzelgarantie und Gänsehauteffekt.

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Inhalt

Freitag, 6.10. Die Ankunft

Samstag, 7.10. Das Butterbrezelmassaker

Sonntag, 8.10. Der Quarkbällchenklau

Montag, 9.10. Die Browniedämmerung

Dienstag, 10.10. Die Bienenstichschießerei

Mittwoch, 11.10. Das Hühnervoodoo

Donnerstag, 12.10. Das Cappuccinogefunkel

Freitag, 13.10. Henriette sucht

Freitag, 13.10. Emilia findet

Samstag, 14.10. Das Maulwurfkuchengeschoss

Sonntag, 15.10. Die Eierlikörbeichte

Die Nacht von Sonntag auf Montag 15./16.10. Der Überfall

Immer noch die Nacht vom 15./16.10. Der Machetenmann

Montag, 16.10./11.00 Uhr Cannoli Siciliani

Freitag, 6.10. Die Ankunft

Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet und es goss wie aus Kübeln. Welch ein Glück! Bei diesem Sauwetter würde es keine Zeugen für unsere Ankunft geben. Das Navi hatte uns auf einen holprig gepflasterten Hof, direkt vor ein idyllisches Fachwerkhaus, gelotst. Die Scheibenwischer des silberfarbenen Mercedes A-Klasse arbeiteten auf Hochtouren. Ich beugte mich auf dem Beifahrersitz zur Windschutzscheibe vor und presste die Nase ans kalte Glas, um das verblichene Schild an dem Gebäude zu entziffern.

Das Straßenschild war unter einer altmodischen Laterne, direkt neben der Dachrinne befestigt.

»Ölmühlenweg 1, wir sind richtig!«, verkündete ich mit erhobener Stimme.

»Emilia Roth, hat ihr Ziel erreicht!«

»Waldemar Stein, Fahrer und Bodyguard steht immer zu Diensten!«, frotzelte mein Liebster und lachte kurz auf. Auch er hatte sein angepeiltes Ziel noch immer erreicht.

Die alte Ölmühle war bis hinauf zum Dach mit wildem Wein bewachsen. Die blauen Fensterläden und die Blumenkästen mit den roten Geranien bildeten bunte Farbtupfer im Regengrau.

Das Anwesen lag am Rand eines verschlafenen Teilortes von Markdorf, einem Städtchen am Fuße des Gehrenbergs in der Nähe des Bodensees.

»Gut ausgewählt, Waldi!«, stellte ich fest. Liebevoll fuhr ich ihm mit der Hand über die Glatze. Seine markante Nase stand nach einem Boxunfall etwas schief. Das gab seinem Gesicht etwas Abenteuerliches, was im Gegensatz zu seinen sanften, braunen Augen stand. Die konnten direkt in meine Seele blicken. Obwohl Waldemar nur Jeans und ein schwarzes Poloshirt trug, wirkte er wie ein Gentleman von Welt.

Hach, was für ein Mann! Er war das genaue Gegenteil von meinem Ex Udo, der sich weigerte etwas anderes als ausgebeulte Kordhosen und Karohemden zu tragen.

»Für dich tu ich doch alles, Schneckle«, antwortete der drahtige Endfünfziger. Dabei tätschelte er meine graue Wollhose an der Stelle, wo er mein Knie vermutete. Diese Machogesten musste ich ihm noch abgewöhnen! Ich zog den Reißverschluss meiner anthrazitgrauen Weste bis unters Kinn. Hoffentlich färbte mein düsterer Look nicht auf meine Stimmung ab. Da ich hier auf keinen Fall auffallen wollte, hatte ich außerdem meinem farbenfrohen Modegeschmack abgeschworen. Ich würde in graubrauner Unauffälligkeit praktisch mit meiner Umgebung verschmelzen, obwohl ich jedes Kleidungsstück mit italienischer Grandezza zu tragen wusste. Das lag an den Genen meiner sizilianischen Nonna, Emilia Lombardo, die mir auch ihren Vornamen vererbt hatte. 1928 hatte der Ausbruch des Ätna ihr Heimatdorf Marscali auf Sizilien ausgelöscht. Notgedrungen wanderte sie mit ihrem Mann Rosario ins kalte Deutschland aus.

Waldemar und ich hatten die Mühle bei ›Idyllic Places‹ im Internet entdeckt und uns als Ehepaar Stein angemeldet. Als ›Romantisches Liebesnest für Nostalgiker‹ hatte es die Vermieterin inseriert. Das ›naturnahe Häuschen mit Mühlrad am Bach‹ hatte schon etwas Patina angesetzt und die Scheune wirkte leicht baufällig.

Das war also die erste Station am Beginn meines Ruhestandes! Hiking auf dem Wild Atlantic Way in Irland oder Inselhopping auf den Äolische Inseln hatte mir vorgeschwebt. Pustekuchen! Wenn mir mein Leben lieb war, musste ich fix und unkompliziert von der Bildfläche verschwinden. So war ich in der Apfelbaumidylle Oberschwabens gelandet.

»Hier findet uns garantiert niemand«, verkündet ich, krampfhaft um Zuversicht bemüht.

Unser Unterschlupf versteckte sich hinter hohen Tujahecken und war von dem Dorfsträßchen kaum einsehbar.

»Da müsste man uns schon nachgeschwommen sein«, witzelte mein Liebster. Er tätschelte weiter mein Knie. Ich schob seine Hand beiseite. Etwas enttäuscht stellte er den Motor ab.

»Zur Feier des Tages köpfen wir die Flasche Barolo aus meinem Geschenkkorb. Und jetzt, auf, auf, keine Müdigkeit vortäuschen!«, versuchte ich die getrübte Stimmung etwas aufzuhellen.

Die Mitarbeiter der Abteilung Betrug im Polizeipräsidium Tübingen hatten mir zur Verabschiedung in den Ruhestand einen üppigen Geschenkkorb von Feinkost Müller geschenkt.

Wenn das eine Anspielung auf meine wohlproportionierten Rundungen war, hatte ich die Andeutung geflissentlich übersehen.

Vom Rücksitz angelte ich mir die alte olivgrüne Regenjacke. Die hatte Udo früher getragen, wenn er zum Angeln ging. Ich schlüpft in das übergroße Ding, zog die Kapuze tief ins Gesicht und stieß die Beifahrertür auf. Mit eingezogenem Kopf hastete ich die paar Schritte unter das Vordach über dem Eingang. Rechts neben einer dunklen Holztür mit Milchglaseinsatz hing ein schmiedeeiserner Briefkasten an der Wand. Das Türchen war nur angelehnt und quietschte leise, als ich es aufschob. In einem dicken, braunen Kuvert befanden sich feuchte Hochglanzprospekte mit Ausflugstipps und ein Hausschlüssel mit einem Plastikanhänger in Apfelform.

»Schlüssel gefunden!«, stellte ich lautstark fest und schloss die Haustür auf.

Waldi zögerte noch und blickte skeptisch in den Dauerregen. Dass ihre Ankunft bei diesem Sauwetter stattfand, schien ihm kein gutes Omen.

»Schneckle, ich komme!«, rief er bemüht optimistisch. Es gelang ihm beim Aussteigen tatsächlich seinen Taschenschirm zu öffnen. Ein Windstoß stülpte das Ding sofort zu einem blauen Stoffknäuel hoch. Gleichzeitig trat Waldi in eine Pfütze. Fluchend, mit verdreckten weißen Sneakern, stapfte er hinter mir in den dunklen Flur.

»Heiland Sack, hier stinkt´s nach Mottenkugeln!«, beschwerte er sich. Ich schnüffelte und fand, dass es gemütlich nach altem Haus und Sicherheit roch.

In der ersten Nacht schlief ich denkbar schlecht, obwohl das Doppelbett bequem und das Schlafzimmer im ersten Stock geräumig und gut gelüftet war.

Meine Tübinger Wohnung lag nahe an einer Bahnlinie. Ich war an das Geräusch von vorbeifahrenden Zügen gewöhnt und an nächtliche Straßenbeleuchtung. Hier auf dem Land war es erschreckend ruhig und dunkel. Nur das Nachtlicht in der Steckdose neben der Tür schimmerte grünlich. Ich lag auf dem Rücken, hatte die Bettdecke bis unters Kinn gezogen und fühlte mich plötzlich sehr verloren und einsam. Neben mir atmete Waldi gleichmäßig. Er war nach dem Abendessen sofort in Tiefschlaf gefallen.

Die zweite Flasche Wein und der Grappa nach den Spaghetti à la Miracoli hatten sicher einen großen Anteil daran gehabt. Jetzt rüttelte eine Windböe an den Fensterläden. Ich begann mich unruhig hin und her zu wälzen. Die zweite Portion Nudeln lag mir schwer im Magen. Schließlich stand ich auf, tappte ins Bad und ging erst mal aufs Klo. Vielleicht sollte ich nach unten gehen und mir eine Tasse Kräutertee kochen? Ich verwarf diesen Gedanken wieder, ging ins Schlafzimmer zurück und drehte den Thermostat am Heizkörper höher. In die Bettdecke gehüllt, tastete ich mich zum Fenster vor und fiel in den Kordsamtsessel neben dem Heizkörper.

In der Finsternis der Nacht konnte ich ehrlich zu mir sein. Die Magenschmerzen kamen nicht nur vom Abendessen. Nein, die Erinnerungen an den Fall Casali waren es, die mir doch mehr zu schaffen machten, als sich die taffe Hauptkommissarin Emilia Roth eingestehen wollte.

Ich schloss die Augen. Bilder der Causa Casali liefen wie ein Film vor meinem inneren Auge ab.

Mit Fleiß und Ausdauer, nebenbei bemerkt, Emilia bedeutete die Fleißige, hatte ich mich jahrelang mit den skrupellosen Machenschaften des Casali Clans beschäftigt. Ich hatte nächtelang im Internet recherchiert, Aktengebirge durchgeackert und auch erzeugt. Das raffinierte Betrugsgebäude des Clans war nach und nach abgebröckelt, der Dschungel aus falschen Fährten und Scheinfirmen wurde zumindest teilweise aufgedeckt. Ich konnte jedoch mit meinem Team nicht alle Machenschaften aus Drogenhandel, Prostitution, Geldwäsche und Morden entwirren. Zu groß war das Netzwerk, zu stark war die Hilfe und Angst der Mitglieder. Doch zumindest für dreizehn Millionen Euro Steuerhinterziehung konnte Anklage erhoben werden.

Im Laufe der Jahre hatte ich bei den Ermittlungen einige Mitarbeiter verschlissen. Merle Kaufmann war in Elternzeit gegangen und nicht mehr in meine Abteilung zurückgekehrt. Oliver Pfaller hatten die Drogenleute abgeworben und Natascha Körberlein suchte eine neue Herausforderung bei der Bundespolizei. Der altgediente Raimund Renner hatte sich genauso wie ich in dem Fall Casali festgebissen und würde erst mal ein Sabbatjahr nehmen.

Schließlich wurden Mariangela Casali und Luigi Casali in ihrem Unterschlupf, einem Weingut in der Steiermark gefasst, und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Und ich war ausgelaugt und bereit für den verdienten Ruhestand. Aber zu früh gefreut!

Schon vor dem Urteil gegen die führenden Köpfe im Casali Clan bekam ich anonyme Morddrohungen. Kurz danach ging mein Dienstwagen vor dem Präsidium in Flammen auf. Genau da hatten auch meine Magenschmerzen und Schlafprobleme begonnen. Auf den dringenden Rat von Staatsanwältin Christine Gurkenbichler entschloss ich mich, erst einmal von der Bildfläche zu verschwinden. Dass ich in Rente war, vereinfachte die Sache natürlich.

Hier, in dem badischen Dörfchen zwischen Apfelplantagen, Pferdekoppeln und Einfamilienhäuschen würde mich sicher niemand suchen und finden. Ich weigerte mich einfach, zu akzeptieren, dass mein Traum vom unbekümmerten Ruhestand zum Albtraum werden könnte.

Staatsanwalt Leonhard Badener hatte mir zum Abschied eingebläut: »Frau Roth, wenn Sie sich weigern mit neuer Identität ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, kann ich für Ihre Sicherheit nicht garantieren. Es ist äußerste Vorsicht angesagt. Diese Leute sind brandgefährlich!«

Das bin ich auch, hätte ich am liebsten geantwortet, statt dessen nur wissend genickt.

»Überlegen Sie es sich nochmal«, fügte er hinzu und sah mich streng an. Dann rauschte er aus meinem Büro.

Ich musste Tübingen schnellst möglich den Rücken kehren. Außer dem Dartclub in Riccis Bar würde ich nichts vermissen. Das Hinterland des Bodensees war mein spontanes Ziel. Auf dem See war ich vor Urzeiten mit meinem Ex gesegelt.

Nach der Trennung hatte ich meine spärlichen Urlaubstage häufig in Concarneau in der Bretagne verbracht. Also würde mich hier am Bodensee bestimmt kein Mafiakiller suchen. Mein iPhone wollte ich nicht benutzen, so der Plan. Nicht einmal meine Tochter Jetti kannte meinen Aufenthaltsort.

Doch nicht alles an meinem neuen Lebensabschnitt war schlecht. Das Schicksal hatte für mich, die nach der Scheidung von Udo ein glückliches Single Leben geführt hatte, eine Überraschung bereit.

Am Parkplatz hinter dem Polizeipräsidium nahm mein Liebesglück seinen Anfang. Ein Mercedes streifte meinen Renault beim Ausparken. Waldemar Stein, so hieß der flotte Fahrer, war zu tiefst zerknirscht und entschuldigte sich für seine Unachtsamkeit. Wir besprachen die Versicherungsmodalitäten im Stadtcafé. Der Funke zwischen uns sprang sofort über. Schon beim zweiten Date in der ›Alten Wurstküche‹ in Tübingen kannten wir unsere Lebensgeschichten.

Er erzählte mir, dass er einen hartnäckigen Tinnitus und Burnout hätte und deshalb seine Firma ›XXL-Security‹ in Stuttgart verkauft habe. Wir wurden ein Paar.

Waldi versprach mir mich zu unterstützen von der Bildfläche zu verschwinden.

Im ›Hair Point‹ in Tübingen trennte ich mich von meiner Lockenmähne. Die Kurzhaarfrisur war pflegeleicht und betonte mein rundes Gesicht. Zusammen mit der randlosen Brille verwandelten ich mich in eine graue Maus. Das rote Brillengestell der Frau Hauptkommissarin samt farbenfroher Kleidung und goldenen Ohrringen blieb in meinem alten Leben zurück.

So kamen wir als Ehepaar Stein bei Starkregen mit Minimalgepäck im Ölmühlenweg 1 an. In letzter Minute hatte ich noch meine Dartscheibe und mein Etui mit den Pfeilen eingepackt.

Mich fröstelte. Wahrscheinlich war die Heizung auf Nachtabsenkung eingestellt.

Ich beugte mich vor und massierte meine kalten Zehen. Waldi tat einen lauten Schnarcher und drehte sich auf die Seite. Ich lächelte in die Dunkelheit. Was hatte ich doch für ein Glück gehabt, dass ich diesem Goldstück von einem Mann begegnet war! Neben ihm würde ich jetzt ruhig und sicher schlafen können.

Vorsichtig tastete ich mich ins Bett zurück, streichelte Waldi über die Glatze und fiel sofort in Tiefschlaf.

Den nächsten Tag verbrachten wir mit der Erkundung der Umgebung. Das Wetter hatte sich beruhigt, die Regenwolken sich verzogen und eine freundliche Herbstsonne schien vom Himmel. Hand in Hand marschierten wir los. Bei unseren Nachbarn auf der anderen Straßenseite gackerte und scharrte eine bunt gemischte Hühnerschar neben einem Hühnermobil auf einer eingezäunten Wiese. Der ehemalige Bauernhof war nur noch Wohnhaus und der Stall wurde als Garage genutzt.

Wir schlenderten weiter an Apfelplantagen entlang, wo grüne Erntecontainer auf die Früchte warteten. In den Gärten der Siedlung blühten die Dahlien und Stockrosen.

Leider gab es auch Grundstücke mit grauen Geröllgärten und monoton gepflasterten Einfahrten.

An der zentralen Dorfkreuzung war die Bedarfshaltestelle für den Rufbus und neben einem sanft plätschernden Brunnen stand eine rote Bank. Gleich gegenüber war eine Autowerkstatt. Sie sah nach Einmannbetrieb aus. Der Hof stand voller museumsreifer Wohnmobile und ausgeschlachteter Pkws.

Wir spazierten die Straße entlang, die in die Bundesstraße mündete. Dort bogen wir rechts ab und standen vor ›Hausmann´s Bäck zur Letze‹. Das Untergeschoss des ehemaligen Landgasthofs war zu einem modernen Laden mit Café umgebaut worden. Das stand auf einer Tafel im Laden, wie ich später feststellte. Der Rest des einstöckigen Baues mit dem schmutzig grünen Verputz stand anscheinend leer. Auf der Vorderseite des Hauses konnte man noch, in verblichenen Lettern, ›Gasthof zur Letzte‹ erkennen.

Interessiert blieb ich vor der Fensterfront der Bäckerei stehen.

Ui, da musste ich sofort rein, Kuchen- und Brotduft schnuppern und ein süßes Teilchen kaufen!

»Schneckle, komm weiter! Wir haben vorhin erst Kaffee getrunken«, mahnte Waldi und zog mich mit sanfter Gewalt von der Glastür weg. Er wusste, dass Bäckereien eine magische Anziehungskraft auf mich ausübten.

Ich hatte einen sizilianischen Migrationshintergrund und war praktisch in der ›Paneficion de Lorenzo‹, der italienischen Bäckerei meines Vaters, groß geworden war. Mein Vater buk nach den Originalrezepten von Nonno Rosario, meinem sizilianischem Opa, die weltbeste Focaccia, Bruschetta und superleckere Panini. Die Cannoli Siciliani meiner Nonna waren eine Legende.

»Komm ja schon«, maulte ich. Ob es meinem Bodyguard Waldi gefiel oder nicht, mein baldiger Einkauf in der Bäckerei stand fest. Allerdings alleine!

Am Rückweg zur Mühle blieb ich vor dem bunten Holzschild am Gartentor unserer Nachbarn stehen.

»Hier leben, lieben und streiten sich Barbara, Valentin, Fabian und Oreo Eisenbieger«, las ich vor.

»Schau mal, da heißt einer aus der Familie wie ein Keks!«, rief ich aus.

Waldi war ungeduldig. »Schneckle, ich will noch eine Runde joggen, bevor es dunkel wird«, moserte er. Da schoss ein schwarzweißer Riesenhund aus der Einfahrt der Eisenbiegers.

Ich schrie auf, zuckte zurück und warf dabei fast meinen Begleiter um.

»Bei Fuß, Oreo!«, rief ein schlaksiger Junge. Er schob ein mit Schlamm bespritztes Mountainbike aus der Garage. Der Hund blieb abrupt stehen, wedelte mit dem Schwanz und bellte kehlig.

»Der tut nichts! Landseer sind nette Hunde«, meinte der Halbwüchsige grinsend, nahm den Hund an die Leine und radelte pfeifend davon.

»Ja, der will sicher nur spielen«, ergänzte Waldemar und legte seinen Arm um meine Schulter.

»Schau mal, die haben auch schwarzweiße Hühner«, meinte ich mit einem Blick auf die stattliche Hühnerschar, »Ein Hahn ist auch dabei!«

Das schien eine Familie mit großer Vorliebe für schwarze Kekse mit weißer Füllung zu sein. Auch Hund und Hühner trugen diese zwei Farben. Ich musste innerlich grinsen.

»Ja, sehr romantisch, aber auf sein Kikeriki morgens um fünf kann ich verzichten«, moserte Waldemar und zog mich weiter, »Außerdem stinkt es hier nach Hühnerkacke.«

Notiz im Tübinger Tagblatt

Tübingen regional

Hauptkommissarin Emilia Roth in den Ruhestand verabschiedet

In einem Festakt wurde die Leiterin der Abteilung Betrug im Polizeipräsidium Tübingen, Emilia Roth, in den Ruhestand verabschiedet. Über Jahre hinweg hatte sie die betrügerischen Machenschaften des Casali Clans verfolgt und konnte erfolgreich Steuerbetrug in Millionenhöhe beweisen. Mariangela Casali und Luigi Casali wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Die Nachfolge von Emilia Roth übernimmt zunächst kommissarisch der Leiter der Abteilung Mord, Wotan Wilde, bis die Stelle neu besetzt wird.

Samstag, 7.10. Das Butterbrezelmassaker

Um fünf Uhr verkündete der Hahn der Eisenbiegers mit lautem Kikeriki den neuen Tag. Waldemar murmelte Unverständliches, drehte sich im Bett um und schlief weiter.

Ich war bereits seit einer Stunde hellwach und meine Gedanken kreisten.

Christine Gurkenbichler und Leonhard Badener hätte es nicht gepasst, dass ich Waldi in meine Pläne, erst mal unterzutauchen, eingeweiht hatte. Natürlich unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit.

»Schneckle, ich bin dann dein privater Bodyguard und bewache dich rund um die Uhr«, hatte Waldi versprochen. Seitdem klebte er wie eine Klette an mir. Das war manchmal ganz schön lästig.

Ich, als passionierte Frühaufsteherin, wäre zu gerne auch laut krähend in den Tag gestartet.

Jetzt blieb ich aber noch liegen und verfiel in einen unruhigen Halbschlaf. Als mich im Traum ein Hahn mit einem Messer im Schnabel verfolgte, wachte ich schweißgebadet auf.

Morgenspaziergang zum Bäcker, schrie mein Körper mir zu. So schlug ich kurz nach sechs die Bettdecke zurück. Die Matratze quietschte leise, wenn ich mich bewegte. Hoffentlich weckte das nicht meinen Schatz auf.

Aber ich würde mich jetzt wie eine Profieinbrecherin aus dem Haus stehlen, um diesem wunderbaren Bäckerladen einen Besuch abzustatten. Liebevoll warf ich einen letzten Blick auf den schlafenden Waldi, wuchtete mich aus dem Bett und schlich die Treppe hinunter. Ein Teppichläufer dämpfte meine Schritte.

Ein schwacher Modergeruch hing in der Luft. Ich mochte das. Es erinnerte mich an das alte Haus meiner Nonna und gab mir ein wohliges Gefühl der Geborgenheit. Durch das Fenster in der Haustür fiel ein fahler Lichtschein in den Flur. Ich horchte noch oben. Aus dem Schlafzimmer war nichts zu hören. Super, meinem Geheimausflug stand nichts mehr im Wege.

Im Wohnzimmer knipste ich die Stehleuchte an. Auf dem Sofa lagen Pulli und Jogginghose. Beides zog ich über den Schlafanzug. Das Thermometer mit Außenfühler, das auf dem Fensterbrett zwischen zwei Blumentöpfen mit üppig blühenden weißen Plastikorchideen stand, zeigte fünf Grad. Mich fröstelte schon, bevor ich das Haus verlassen hatte. Ich sollte mich warm einpacken.