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Wenn eine Idee zum Wahn wird – und die Welt, wie wir sie kennen, verändert: „Das dunkle Lied der Tiefe“ von Hanna Riis jetzt als eBook bei dotbooks. In den Weltmeeren wütet eine rätselhafte Krankheit. Selbst die sanftesten Meeresgeschöpfe entwickeln plötzlich ungeahntes Aggressionspotenzial, das alle in Gefahr bringt. Für die Meeresbiologen Susan und Tom beginnt eine fieberhafte Suche nach den Ursprüngen der merkwürdigen Phänomene. Alle Spuren führen zu einem mysteriösen Forschungsinstitut für Meeresbiologie. Doch wieso ist das Gelände abgeriegelt wie ein Militärfort? Susan und Tom müssen schnell handeln – und legen sich dabei mit einer skrupellosen Organisation an, für die Mord zum täglichen Geschäft gehört. Ein packender Öko-Thriller mit internationalen Schauplätzen und einer brisanten Mischung aus Facts und Fiction, die einen erschreckenden Blick in die Zukunft erlauben – und die ist gar nicht so fern. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Das dunkle Lied der Tiefe“ von Hanna Riis. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag
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Seitenzahl: 617
Über dieses Buch:
In den Weltmeeren wütet eine rätselhafte Krankheit. Selbst die sanftesten Meeresgeschöpfe entwickeln plötzlich ungeahntes Aggressionspotenzial, das alle in Gefahr bringt. Für die Meeresbiologen Susan und Tom beginnt eine fieberhafte Suche nach den Ursprüngen der merkwürdigen Phänomene. Alle Spuren führen zu einem mysteriösen Forschungsinstitut für Meeresbiologie. Doch wieso ist das Gelände abgeriegelt wie ein Militärfort? Susan und Tom müssen schnell handeln – und legen sich dabei mit einer skrupellosen Organisation an, für die Mord zum täglichen Geschäft gehört.
Ein packender Öko-Thriller mit internationalen Schauplätzen und einer brisanten Mischung aus Facts und Fiction, die einen erschreckenden Blick in die Zukunft erlauben – und die ist gar nicht so fern.
Über die Autorin:
Hinter Hanna Riis verbirgt sich die erfolgreiche Autorin Lena Johannson, Jahrgang 1967. Nach einer kaufmännischen Ausbildung widmete sie sich dem Schauspielstudium und führte Regie am Theater. Als Journalistin lernte sie viel von der Welt kennen, auch die Schattenseiten. Seither engagiert sie sich in aktuellen politischen Aktionen, gleichzeitig verarbeitet sie ihre Erlebnisse in packenden Thrillern – diese erscheinen unter dem Pseudonym Hanna Riis.
Die Website des Autors: www.lena-johannson.de
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Aktualisierte eBook-Neuausgabe September 2015
Copyright © der Originalausgabe 2005 by Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co KG, München
Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Maria Seidel
Titelbildabbildung: Thinkstockphoto/Hemera/istock
ISBN 978-3-95520-848-6
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Hanna Riis
Das dunkle Lied der Tiefe
Roman
dotbooks.
Für meine liebevollen Eltern und meine wunderbare Schwester, für den Mann meines Lebens und für Huschchen und Nono, deren Meinungen ich gerne gehört hätte
»Anscheinend haben wir die Wahl: Wir können eine mit Milliarden Menschen übervölkerte Welt schaffen, auf der es außer uns noch Ratten und Kakerlaken gibt und sonst kaum etwas. Oder wir können diese Welt mit Liebe, Behutsamkeit und Umsicht in all ihrer herrlichen Vielfalt bewahren.«
Fred Bruemmer, Robbenforscher
Die Personen und Geschehnisse dieses Buchs sind frei erfunden. Die meisten erwähnten Beispiele aus Wissenschaft und Forschung sind es nicht. Wissenschaftler sind bereits in der Lage, das umzusetzen, was Sie in dieser Geschichte lesen werden. Zum Teil tun sie es längst. Was uns wie ferne Zukunftsmusik erscheint, ist heute schon Realität.
Susan Bowls schloss die schwere grüne Eisentür mit der Aufschrift Nur für Mitarbeiter hinter sich. Sie fühlte sich müde und erschöpft. Und dass sie auch so aussah, hatten ihr die mitleidigen Blicke ihrer Kollegen überdeutlich klar gemacht. Sie atmete tief durch. Zwei Wochen in einem anderen Klima, abgelenkt von ihrem Freund Brian, würden ihr gut tun. Brian! Während Susan durch die menschenleeren Gänge des Aquariums ging, dachte sie – wie in fast jeder freien Minute – an ihren Freund. Oder sollte sie besser Exfreund sagen? Sie rieb sich matt die Schläfe. Sie wollte und konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass alles vorbei sein sollte. Und doch vermochte sie sich nicht vorzustellen, länger mit ihm zusammen zu sein. Nicht unter diesen Umständen.
Sie strich sich eine Strähne ihrer kinnlangen braunen Haare aus dem Gesicht und blieb einen Moment vor der großen sauber geputzten Glasscheibe stehen, hinter der sich die Robben tummelten. Übermütig kamen sie auf sie zu, drehten kurz vor dem Glas ab und verschwanden in den nicht einsehbaren Teil des Bassins, um gleich darauf mit erneutem Schwung auf sie zuzupreschen. Wenn Susan an Brian dachte, drehten sich ihre Gedanken im Kreis. Warum?, hämmerte es wieder und wieder in ihrem Schädel. Wie hatte er ihr das antun können? Sie brauchte wirklich dringend Ablenkung. Mit schnellen Schritten ging sie über den dunkelgrauen Nadelfilz, der täglich die Füße Hunderter Besucher, überwiegend Touristen, aushalten musste, den Gang entlang zu den Quallen und anderen Wirbellosen. Sie hatte keinen Blick für die seltsamen Meeresbewohner, die mit ihren prachtvollen Farben und skurrilen Formen die Menschen in ihren Bann zogen.
Susan öffnete eine Tür, die genau wie die Wand zwischen den vielen kleinen Aquarien tapeziert war und dadurch kaum auffiel. Dahinter befanden sich Labors, ein Kühlhaus und die Pflegestation für Robben. Susan musste noch ein paar Sachen zusammenpacken und wollte unbedingt noch einmal nach Chap sehen. Cuba, der einzige Schwarze im Team und gleichzeitig der Mann mit den dicksten, muskelbepacktesten Oberarmen, die Susan jemals zu Gesicht bekommen hatte, und Pete hatten den etwa drei Monate alten Seebär vor einer Woche aus dem Hafenbecken gefischt. Immer häufiger waren in letzter Zeit Robben mit ungewöhnlichen Verletzungen oder unerklärlichen Krankheitssymptomen an dem Kai aufgetaucht, von dem die Touristen alle zwei Stunden nach Robben Island aufbrachen. Mit einer Behutsamkeit, die man Cuba nur zutraute, wenn man ihn länger kannte, hatte er das Tier in das Becken gelegt, das für kranke Robben oder sehr junge Tiere bestimmt und von den Blicken der Besucher abgeschirmt war.
»Wir haben schon wieder einen gefunden, Susan. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, er leidet unter Depressionen oder allgemeinen Erschöpfungszuständen. Aber er ist ein Seebär!« Cubas riesige Kulleraugen hatten in seinem schwarzen Gesicht geleuchtet. Er hielt schon bei zweibeinigen Lebewesen nichts von all dem »Psycho-Schnickschnack«, wie er es nannte. Dass ein Tier aber unter seelischen Verstimmungen leiden sollte, war für ihn vollkommen undenkbar. Susan holte den kleinen gelben Plastikeimer aus dem Kühlraum und angelte einen Hering heraus.
»Komm her, Chap. Ich habe etwas Feines für dich. Nun komm schon, mein Kleiner, hol ihn dir.« Sie wedelte mit dem Fisch am Rand des kleinen Wasserbeckens herum, aber Chap rührte sich nicht. Aus matten schwarzen Augen sah er Susan an und ließ sich weiter durch das trübe Wasser treiben.
»Jetzt stell dich doch nicht so an! Nur diesen einen winzigen Hering. Mir zuliebe.« Susan seufzte. Sie hatte es an diesem Tag und an den Tagen zuvor wieder und wieder versucht, aber der kleine Seebär weigerte sich standhaft, etwas zu fressen. Jeden Morgen musste er deshalb aus seinem Bassin geholt und mit einem Schlauch gefüttert werden. Auch wenn Chap deutlich zu verstehen gab, dass ihm diese Prozedur überhaupt nicht gefiel, schluckte er immerhin den mit Vitaminen und Mineralien angereicherten Brei aus Fisch und Trockenpflanzenmilch.
Susan atmete hörbar aus, stand auf und warf den Hering zurück in den Eimer, wo er klatschend auf anderen Heringen und Fischschwänzen landete.
»Schön, wie du willst. Wenn ich nur wüsste, was mit dir los ist. Dabei weiß ich ja nicht einmal, was mit mir selbst los ist.« Sie hockte sich auf den türkis gefliesten Boden und versuchte Blickkontakt zu Chap herzustellen.
»Du bist einsam, stimmt's? Bist du etwa auch betrogen worden, so wie ich?« Die Robbe reagierte nicht auf sie. Nur ab und zu blickte das Tier sie an, überließ sich dann aber weiter der seichten Bewegung, die vom ständig ein- und ausströmenden Wasser verursacht wurde.
»Ich kann dich gut verstehen, mein Kleiner. Das kannst du mir glauben. Ich habe auch keinen Appetit, seit Brian sich mit diesem Mädchen vergnügt hat.« Sie stand auf und brachte den Futtereimer zurück in den Kühlraum. Anschließend kniete sie sich noch einmal vor dem Becken hin und beobachtete den glänzenden, grauen Leib des Seebärs, der kraftlos vor sich hin dümpelte.
»Wir dürfen uns nicht gehen lassen, hörst du? Das Leben geht weiter. Das ist es jedenfalls, was mir alle sagen: Das Leben geht weiter. Und dass ich selbst Schuld habe, weil ich nicht genug Zeit für Brian hatte, dass es ja mal so kommen musste und dass es nichts zu bedeuten hat.« Susan erhob sich und verschränkte die Arme.
»Nichts zu bedeuten«, sagte sie bissig. »Aber zumindest damit haben sie Recht: Die Welt geht nicht unter, nur weil mein Freund mit einer anderen im Bett war. Und sie geht nicht unter, weil du dich vielleicht alleine fühlst. Also gib dir einen Ruck, Chap. Wenn ich in zwei Wochen wieder da bin, möchte ich, dass du mit den anderen Robben im großen Becken herumtobst und Cuba und Pete die Haare vom Kopf frisst.« Damit ging sie rüber ins Labor, packte ein paar Unterlagen in ihre Aktentasche, griff sich das Notebook , das sie in ständigem Kontakt zu Kapstadt halten würde, während sie in Europa war, und begab sich durch die Besuchergänge in Richtung Ausgang.
Sie war gerade an den beiden Schautafeln vorbei, die die Eigenarten von Indischem und Atlantischem Ozean erklärten, ihre Unterschiede aufzeigten und die besondere Situation der südafrikanischen Küste verdeutlichten, vor deren Spitze sich das kalte und warme Wasser beider Weltmeere traf. Susan fand die Einteilung in Indischen und Atlantischen Ozean unsinnig. Sie war in ihren Augen ein völlig willkürliches Konstrukt der Menschen, die Stück für Stück die Erde entdeckt hatten. Der moderne Mensch müsste ihrer Meinung nach einen wesentlich umfassenderen Blick gewonnen haben und begreifen, dass Wasser keine Grenzen kennt. Natürlich konnte man von unterschiedlichen Strömungen sprechen. Das wäre zeitgemäß. Aber de facto handelte es sich doch um ein Meer. Das machten schon die übergreifenden Auswirkungen von Umweltkatastrophen deutlich. Selbst wenn eine Ölpest, die von einem havarierten Tanker ausgelöst wurde, nur einen bestimmten Umkreis direkt verseuchte, waren die Folgen doch weitreichender. Fisch, der anderen Meeresbewohnern als Nahrung diente, konnte verseucht sein und die Vergiftung übertragen oder starb in so großen Mengen, dass er als Glied in der Nahrungskette fehlte. Nein, für Susan gab es nur ein einziges Weltmeer, das es unter allen Umständen zu schützen galt. Deshalb fand sie den Namen Two Oceans Aquarium unpassend und ärgerlich. Aber sie wusste, dass sie mit ihrer Sichtweise, wenn ihr auch jeder die Notwendigkeit des Meeresschutzes bestätigte, selbst unter Kollegen ziemlich allein dastand.
Sie hatte Tom Kipling nicht bemerkt, der fast lautlos aus seinem Büro, das von der großen Eingangshalle abging, auf den Flur getreten war. Jetzt stand er unvermittelt vor ihr.
»Susan! Wie schön, dass ich Sie noch treffe, bevor Sie nach Europa verschwinden.«
Die Freude ist nicht auf meiner Seite, schoss es Susan durch den Kopf. Im Grunde hatte sie nichts gegen ihren Kollegen. Er war intelligent, kompetent, attraktiv und meistens recht guter Laune. Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sich ständig um sie bemühte. Mal lag ein Zeitungsausschnitt aus der Fachpresse auf ihrem Schreibtisch, auf den er sie aufmerksam machen wollte. Dann wieder bot er ihr an, etwas aus dem nahe gelegenen Einkaufszentrum für sie mitzubringen, wenn sie es mal wieder nicht schaffte, Mittagspause zu machen. Vor allem seit bekannt war, dass sie mit Brian Krach hatte, legte sich Tom mächtig ins Zeug. Immer wieder hatte er sie gefragt, ob sie nicht etwas mit ihm essen wolle. Sie konnte nicht fassen, dass er nicht endlich aufgab.
»Ich bin etwas in Eile ...«
»Oh, natürlich, Sie müssen bestimmt noch packen.« Tom wippte kurz auf den Zehenspitzen, machte aber keine Anstalten zu gehen. Susan bemerkte, wie gut er aussah. Er trug die weißen Bermudashorts und das dunkelblaue T-Shirt des Aquariums. Arme und Beine waren von der Sonne Südafrikas gebräunt. In seinen schwarzen Haaren schimmerte dezent Gel.
»Sie sind wirklich zu beneiden«, seufzte er. »Mir würde ein Urlaub auch mal wieder gut tun.«
»Ich würde lieber bleiben«, erwiderte Susan kühl. Sie dachte mit Grauen daran, dass sich Brian nach ihrer Abreise vermutlich sofort wieder mit diesem Mädchen treffen würde.
»Aber es ist wohl vernünftiger, wenn ich hier mal rauskomme.« Sie starrte auf ihre Schuhspitzen und hasste diese Situation. Wahrscheinlich sah er sie jetzt mit diesem machohaften Beschützerblick an und bedauerte sie von Herzen. Sie konnte sich förmlich vorstellen, wie gerne er sie trösten würde. Susan gab sich einen Ruck und schaute ihm in die Augen. Sie hatte sich getäuscht. Toms Blick war ruhig und ernst. Seine braunen Augen sahen erwartungsvoll aus, fast ein wenig ungeduldig.
»Tja, ich will Sie auch gar nicht aufhalten. Ich wollte nur hören, was Chap macht. Sie waren doch sicher noch mal bei ihm.«
»Ja, war ich.« Susan war es peinlich, dass sie so unfair über ihn gedacht hatte. Eigentlich gab es doch nichts, was an diesem Kollegen nicht in Ordnung war. Nur weil Brian sie betrogen hatte, waren nicht alle Männer abgrundtief schlecht. Und was seine Bemühungen um sie betraf, so bildete sie sich vermutlich ohnehin nur etwas ein.
»Sein Zustand ist leider unverändert. Er hat noch immer nicht alleine gefressen.«
Tom schüttelte nachdenklich den Kopf. Susan nahm den herben Duft seines Rasierwassers wahr.
»Er ist schon der Dritte in dieser Woche, nicht?«
»Ja. Nur waren die anderen beiden erheblich jünger. Da ist es normal, dass sie noch nicht alleine jagen oder wenigstens den Fisch verspeisen, den wir ihnen servieren. Aber Chap ist schon etwa drei Monate alt. Er müsste sich selbst ernähren.«
»Ich hoffe, dass Sie bald rausfinden, was mit den Tieren los ist, Susan.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, darum können sich nun wirklich Pete und Cuba kümmern. Sie haben ja erst einmal Urlaub. Erholen Sie sich gründlich. Eigentlich ist es nicht gut, dass Sie in Schottland auch wieder mit Robben zu tun haben werden, finde ich. Wenn Sie mich fragen, sollten Sie in den zwei Wochen gar nicht an Ihre Arbeit und an Kapstadt erinnert werden.«
»Ich habe Sie aber nicht gefragt.« Susan merkte selbst, wie zickig sie geklungen hatte. Und sie konnte ihm ansehen, dass er verärgert war. »Bitte entschuldigen Sie. Sie müssen mich ja für eine Zicke halten.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Keine Sorge, ich kenne Sie ja schon ein bisschen länger. Ich weiß, dass Sie auch ganz nett sein können.« Er lächelte ein wenig spöttisch. »Jedenfalls wollte ich Ihnen einen erlebnisreichen Urlaub und gute Erholung wünschen.« Er streckte ihr die Hand hin und sah ihr in die Augen. Susan schämte sich. Dieser Mann schaffte es, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Sie hätte alle Männer dieser Welt verfluchen können. Irgendwie schafften sie es immer, dass sie als Frau das Gefühl hatte, einen Fehler gemacht zu haben. Dabei hatte er sich schließlich in ihre Angelegenheiten gemischt. Da musste er damit rechnen, dass sie nicht gerade den nettesten Ton am Leib hatte. Statt einen Fluch über die Männer im Allgemeinen und Tom im Speziellen zu verhängen, nahm sie zögernd seine Hand und drückte sie.
»Ich bin wirklich sehr gespannt, was mich in Europa erwartet. Und ich verspreche, ich werde an meine Erholung denken.« Sie brachte ein Lächeln zustande. Tom hielt ihre Hand länger, als sie es nötig gefunden hätte. Dann ließ er abrupt los, drehte sich auf dem Absatz um und rief, während er schon wieder in Richtung seines Büros verschwand: »Also dann, auf Wiedersehen!«
***
Es war kalt, als Susan an diesem windigen Junitag das Aquarium verließ. Sie zog ihre Jacke fester um sich. Schon seit Tagen blies der Cape Doctor kräftig über die Stadt. Man sagte ihm nach, dass er die Luft über der Metropole reinige. Daher hatte er seinen Namen. Eigentlich mochte sie ihn, denn sie empfand es als wohltuend, wenn die Abgase und der Dreck der Straße weggepustet wurden. Sie liebte Wind, mochte es, wenn er in ihren Haaren spielte. Aber an diesem Abend fegte der Sturm wirklich unerbittlich. Unschlüssig trat Susan von einem Fuß auf den anderen. Sie dachte darüber nach, ob sie schnell etwas essen gehen sollte, bevor sie sich auf den Heimweg machte. Appetit hatte sie keinen. Aber sie musste an Chap denken. Was hatte sie dem kleinen Kerl gepredigt? Wenn der Seebär nichts zu sich nahm, würde es mit ihm schnell bergab gehen. Wie konnte sie sich einbilden, dass es bei ihr anders war? Also gab sie sich einen Ruck und ging Richtung Victoria & Alfred Waterfront, jenem luxuriösen Einkaufs- und Gastronomietempel, den man aus den alten ausgedienten Docks hatte entstehen lassen. Neben Supermärkten, Boutiquen, Musikgeschäften und natürlich den unzähligen Souvenirshops, in denen das verkauft wurde, was Touristen für typisch afrikanisch hielten, gab es dort Restaurants für jeden Geschmack. Ob Fischliebhaber oder Steakfan, jeder kam auf seine Kosten. Wie oft hatte Susan mit ihren Kollegen darüber gesprochen, wie unpassend ein solches Zentrum in einem Land wie diesem war. Man musste nicht weit gehen, um Armut und Elend zu finden. Aber dafür war hier kein Platz. In der Waterfront tummelten sich in erster Linie Touristen, die genug Geld in der Tasche hatten, um es sich gut gehen zu lassen. Und natürlich gab es hier weiße Afrikaner und Menschen aller Nationen, die in Kapstadt hängen geblieben waren. Die Schwarzen, die man sah, waren überwiegend Kassierer in den Supermärkten oder Reinigungskräfte. Susan hatte Schwierigkeiten, sich mit den Gegensätzen zwischen Arm und Reich abzufinden. Beides war ihr in Südafrika zu extrem. Sie fühlte sich schuldig bei dem Gedanken, dass sie, wenn sie sich auch nicht als reich bezeichnet hätte, zu denen gehörte, die sich keine Sorgen um die Zukunft machen mussten. Jedenfalls nicht in finanzieller Hinsicht.
Inzwischen war sie an dem riesigen Einkaufszentrum angekommen. Noch immer hatte sie keinen Hunger, obwohl sie zu Mittag nur ein halbes Sandwich gegessen hatte. Sie zwang sich, sich nach einem Platz in einem der Restaurants umzusehen. Wenn sie jetzt umdrehte und nach Hause ging, würde sie sich wieder nichts zu essen machen, das wusste sie. Sie stieg eine der breiten Holztreppen hoch, die auf eine Art Galerie führten, von der man außen um das Zentrum herumgehen konnte. Von dort hatte man auch einen guten Blick in viele der Lokale und konnte sehen, ob es Platz gab oder ob alles hoffnungslos überfüllt war. Im Sport’s Café war nicht besonders viel los. Überhaupt merkte man deutlich, dass Winter war. Von Juni bis August waren weit weniger Urlauber in der Stadt als in den übrigen Monaten. Susan ging hinein. Sie fröstelte. Ein kleiner Tisch in einer etwas abgelegenen Ecke war frei. Sie zog ihre Jacke aus und setzte sich. Ihr fiel auf, wie laut es hier trotz der wenigen Gäste war. Aus Fernsehgeräten, die verteilt im Raum hingen, dröhnte eine Football-Übertragung. Susan fragte sich, wie es Brian und ihr hier nur so gut hatte gefallen können. Nein, warum es ihm hier gefallen hatte, war keine Frage. Er war vermutlich froh gewesen, sich nicht mit ihr unterhalten zu müssen. Und er konnte mit ihr essen gehen, ohne ein wichtiges Spiel zu verpassen. Aber wie hatte sie es nur ausgehalten?
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Wahrscheinlich ging Brian längst mit einer anderen aus. Oder überhaupt gleich mit mehreren. Es kam ihr in den Sinn, dass er womöglich auch heute Abend mit irgendeiner Frau hier auftauchen könnte. Mit einem Mal erschien es ihr unmöglich, auch nur einen Bissen hinunterzubringen. Sie sprang auf und wollte das Lokal verlassen. Dabei prallte sie gegen eine kleine blonde Kellnerin, die an ihren Tisch getreten war, um die Bestellung aufzunehmen.
»Oh, es ... ich wollte ...« Sie brach verwirrt ab und ordnete ihre Gedanken. »Entschuldigung. Ich habe es mir gerade anders überlegt. Ich möchte doch nicht essen. Tut mir leid.«
»Okay, kein Problem.« Die Kellnerin machte auf dem Absatz kehrt und rempelte dabei ihrerseits gegen Tom, der, von Susan unbemerkt, dazugekommen war.
»O doch, das ist ein Problem.«
Susan war mindestens ebenso irritiert wie die Bedienung. Die fand ihre Fassung allerdings schneller wieder.
»Okay, Leute, ihr könnt es euch ja noch überlegen, ob ihr nun essen wollt oder nicht. Ich komme gleich noch mal wieder.« Und während sie sich verzog, murmelte sie: »Wenn ihr dann noch da seid.«
Susan starrte ihren Kollegen fassungslos an.
»Wo kommen Sie denn her?«
»Direkt aus dem Two Oceans.«
»Ich verstehe nicht ...«
»Das ist Ihnen anzusehen. Ich bin Ihr Kollege, wissen Sie noch?« Tom schenkte ihr sein umwerfendstes Lächeln, das ihr gefallen hätte, wenn sie nicht so wütend gewesen wäre.
»Setzen Sie sich doch wieder, Mrs. Bowls«, sagte er freundlich.
Susan gehorchte. Sie hatte nicht die Kraft, ihm zu widersprechen, und ließ sich auf die kleine Bank fallen. Tom nahm wie selbstverständlich ihr gegenüber Platz.
»Ich habe einen Bärenhunger. Bin heute wieder nicht zum Essen gekommen.« Er griff nach der Speisekarte, sah kurz auf und fragte: »Haben Sie sich schon entschieden?« Als sie nicht reagierte, sagte er: »Ach nein, Sie sind ja im Hungerstreik. Das hatte ich fast vergessen. Wenn Sie mich fragen, ich finde es albern, dass Frauen dauernd Kalorien zählen, auf ihre Figur achten und zaghaft an einem Salatblättchen knabbern. Das könnte mir nicht passieren.« Mit einer schnellen Handbewegung fuhr er sich durch die Haare. Dann studierte er die Karte.
Susan fühlte sich unbehaglich. Sie wollte weg. Sie wollte allein sein. Wie konnte dieser Kerl nur so unglaublich aufdringlich sein? Merkte er denn nicht, dass er unerwünscht war? Und dann dieses Gerede von Diäten. Männer bildeten sich immer ein, dass sie Frauen durchschauen. Was für ein Unsinn!
Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, schaute Tom von der Karte auf. Seine dunklen Augen trafen ihren Blick, und schon wieder fühlte sie sich unbehaglich. Was hatte dieser Kerl bloß an sich?
»Oh, ich weiß genau, was Sie jetzt denken.« Tom sah sie siegessicher an.
»Ach ja? Na, da bin ich ja mal gespannt, Mr. Kipling.« Susan reckte feindselig das Kinn.
»Sie ärgern sich, dass ich Sie mit allen anderen Frauen in einen Topf werfe. Wegen der Diäten, meine ich. Wenn ich ehrlich bin, habe ich eine Zeit lang wirklich geglaubt, Sie seien anders. Sie machen Modetrends und all den weiblichen Quatsch nicht mit. In den letzten Tagen habe ich meine Meinung geändert. Wollen Sie noch eine Modelkarriere starten, oder warum hungern Sie sich noch dünner, als Sie schon sind? Also, ich finde das nicht schön ...«
Susan unterbrach ihn grob: »Es ist mir völlig egal, ob Sie mich schön finden. Außerdem geht es Sie gar nichts an, wenn ich zurzeit nun einmal keinen Appetit habe.« Sie merkte, wie sich ein dicker Kloß in ihren Hals schob. Jetzt bloß nicht heulen! Nicht vor ihrem Kollegen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Tom mit einer samtweichen Stimme, die alles noch schlimmer machte.
»Mir geht es prima«, log sie hilflos.
»Klar, das sieht man. Ihre Gesichtsfarbe kann in letzter Zeit mit den Heringen konkurrieren, die Sie in dem kleinen Plastikeimer für die Robben liegen haben. Allerdings mit denen, die schon ein paar Tage alt sind und ganz langsam grün werden.« Es war Tom deutlich anzumerken, dass er sie aufheitern wollte.
»Haben Sie jetzt gewählt?« Die Kellnerin war wieder da.
»Ich nehme ein Holzfällersteak mit Ofenkartoffel. Und dazu bitte einen Salat. Und bringen Sie mir ein großes Bier.« Er strahlte die Kellnerin an. Sie lächelte breit zurück.
Susan wendete ihren Blick ab. Sie konnte dieses geschmacklose Herumturteln nicht ertragen.
»Wollen Sie auch etwas essen?«, fragte die Bedienung ungeduldig.
»Nein, ich glaube ...«, begann Susan.
»Ja, natürlich will sie«, sagte Tom selbstverständlich. »Wie wäre es mit den Knoblauchnudeln? Da haben Sie morgen im Flugzeug wenigstens Platz.«
»Nein, ich nehme einen Salat mit Putenstreifen.«
»Auch gut. Hauptsache, Sie essen etwas.« Tom lehnte sich zufrieden zurück.
Einen Augenblick schwiegen sie beide. Susan verfluchte sich dafür, etwas bestellt zu haben. Nun musste sie mindestens eine Stunde mit ihrem Kollegen zusammensitzen. Sie würde sich jede dieser sechzig Minuten unwohl fühlen. Warum hatte sie sich nur von ihm überrumpeln lassen?
»Sie denken, ich bin Ihnen hinterhergelaufen, oder?«
Susan war überrascht von der unvermittelt im Raum stehenden Frage. Sie zögerte.
»Sie denken, Tom Kipling will etwas von Ihnen. Und er hält die Gelegenheit für günstig. Aber da täuschen Sie sich, meine liebe Mrs. Bowls.«
Normalerweise nannte Tom Susan beim Vornamen. So wie sie es umgekehrt auch tat und wie es unter den Kollegen im Two Oceans Aquarium gang und gäbe war. Wahrscheinlich wollte er damit, dass er ihren Nachnamen benutzte, künstlich eine Distanz herstellen.
»Ich habe, als Sie gegangen sind, bemerkt, wie spät es schon ist. Und da ich mal wieder keine Mittagspause gemacht habe, dachte ich, ich könnte endlich Feierabend machen und in Ruhe essen gehen. Ich bin Ihnen nicht nachgelaufen. Aber ich habe Sie hier sitzen sehen wie ein Häufchen Elend. Da habe ich gedacht, ein wenig Gesellschaft könnte Ihnen gut tun.«
Susan starrte auf die dunkel gemaserte Tischplatte, deren Beschichtung mit echtem Holz so wenig zu tun hatte wie billiger Fusel mit gutem Wein. Sie traute sich nicht, etwas zu sagen. Sie hatte Angst, ihre Stimme würde brüchig klingen oder komplett versagen. Und eins wollte sie nun wirklich nicht – den Beschützerinstinkt in diesem Macho wecken.
»Meine Güte, was ist denn nur mit Ihnen los, Susan?« Sein Ton war fast ein wenig aggressiv.
Susan wurde wütend. Das gab ihr die Kraft und den Mut, endlich den Mund aufzumachen: »Als ob Sie das nicht wüssten!« Sie funkelte ihn wütend an. »Meine Beziehung ist den Bach runtergegangen. Und ich gehöre nun einmal nicht zu den Frauen, die das auf die leichte Schulter nehmen. Okay, dann such ich mir eben einen neuen Kerl. Das ist nicht meine Art. Das ist los, Mr. Kipling!«
»Ich habe davon gehört«, erwiderte Tom ruhig, ohne auf ihren Ausbruch zu reagieren.
»Warum fragen Sie dann so scheinheilig?« Sie war noch immer zornig.
»Vielleicht, um Sie einfach zum Sprechen zu bringen. Ihre Beziehungskrise geht mich nichts an. Aber ich habe das Gefühl, Sie können den privaten Kummer nicht aus Ihrem Arbeitsleben ausklammern. Meinen Sie, ich sehe nicht, dass Pete und Cuba Ihre Arbeit mitmachen müssen? Eine Zeit lang ist das in Ordnung. Aber auf Dauer geht das nicht. Gerade jetzt nicht, wo es so viele kranke Robben da draußen gibt, die Ihre Hilfe brauchen.«
Misstrauisch sah Susan ihn an. Vielleicht wollte er wirklich nichts von ihr. Vielleicht wollte er tatsächlich nur im Interesse des Aquariums und der Kollegen erreichen, dass sie wieder engagiert und konzentriert arbeitete.
Tom faltete die Hände und sah sie über den Tisch hinweg an. »Auch wenn ich nicht direkt in Ihrer Abteilung bin, haben wir doch häufig miteinander zu tun. Und wenn Sie nach dem Urlaub noch immer so offensichtlich mit Ihren Gedanken ganz woanders sind, fern von Ihrem Aufgabenbereich, dann, das schwöre ich Ihnen, werde ich mit Mr. Greaves ein offenes Wort reden.«
Sie starrte ihn fassungslos an. Er zog es tatsächlich in Erwägung, sie beim Chef anzuschwärzen. Unglaublich! Bevor Susan ihm dazu ihre Meinung sagen konnte, brachte die Kellnerin das Essen.
Tom wünschte ihr einen guten Appetit und stürzte sich hungrig auf sein Steak. Kauend sagte er: »Hören Sie, liebe Kollegin, spielen wir doch mit offenen Karten. Ich mag Sie tatsächlich sehr. Und ich gebe auch zu, dass ich mich um Sie bemüht habe. Sie sind eine attraktive Frau. Jedenfalls, wenn Sie nicht noch dünner werden. Außerdem halte ich Sie für intelligent, engagiert, unternehmungslustig und witzig. Eine Mischung, die nicht so oft zu finden ist. Sie müssen es einem Mann schon verzeihen, wenn er sich ein solches Exemplar, sagen wir mal, unter den Nagel reißen will.« Er stopfte sich ein großes Stück Kartoffel mit einer ordentlichen Portion Sour Cream in den Mund und sprach ungeniert weiter: »Als ich gehört habe, dass mir ein anderer zuvorgekommen ist, habe ich mich zurückgehalten. Ich lege keinen Wert auf aussichtslose Kämpfe. Und jetzt ... Als Lückenbüßer für Ihren Freund, über den Sie sich gerade ärgern, bin ich mir nun wirklich zu schade.«
Susan stocherte lustlos in ihrem Salat. Ihr gefiel seine Offenheit. »Hören Sie, Tom ...« Sie suchte angestrengt nach den richtigen Worten. Sie wollte ihm ein Stückchen entgegenkommen, aber sie wollte nicht zu viel preisgeben. »Es ist nett, dass Sie sich Gedanken machen. Tut mir leid, wenn ich so grob zu Ihnen war. Jedenfalls bin ich sicher, dass ich wieder ganz bei der Sache bin und meine Arbeit ordentlich erledigen kann, wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme.«
»Zwei Wochen sind nicht viel, Susan. Schon gar nicht, wenn man wegläuft, ohne über das Problem gesprochen zu haben. Ohne einen Lösungsansatz stehen Sie wieder da, wo Sie jetzt sind, wenn Sie aus Schottland zurückkommen.« Er nahm einen Schluck Bier und sah sie an. »Wollen Sie mir nicht einfach erzählen, was passiert ist? Ich verspreche Ihnen, dass ich mit niemandem im Two Oceans darüber reden werde. Und Sie brauchen auch keine Angst zu haben, dass ich Sie tröstend in die Arme nehme und nicht mehr loslasse, bevor Sie splitternackt in meinem Bett gelandet sind.«
Sie musste lächeln. Es gibt sicher Schlimmeres, als in Toms Armen zu landen, schoss es ihr durch den Kopf.
»Ich hätte Ihnen niemals unterstellt, dass Sie die Situation ausnutzen oder etwas herumtratschen würden.« Sie atmete tief ein. »Vielleicht ist es wirklich nicht schlecht, wenn ... Also gut, ich habe erlebt, wovor mir immer am meisten gegraut hat. Ich habe meinen Freund Brian mit einer anderen im Bett erwischt«
Tom stieß hörbar die Luft aus.
»Und wissen Sie, was er gesagt hat? Er sagte, er könne ja nicht ahnen, dass ich so früh nach Hause komme! Er hat mir Vorwürfe gemacht, weil ich so viele Stunden im Aquarium verbringe. Ich würde mich selbst in meiner Freizeit so viel um die Robben und andere Viecher kümmern, dass er sich eben auch eine Beschäftigung gesucht hätte. Er fühle sich vernachlässigt, weil alles wichtiger sei als er.«
»Sie arbeiten wirklich sehr viel. Und Ihr Engagement für die Robben ist auch groß. Ich finde das toll. Wenn Ihr Freund allerdings kein Interesse daran hat, bleibt Ihnen beiden wohl tatsächlich nicht sehr viel gemeinsame Zeit.«
»Ich weiß, Tom. Aber er hätte sich doch auch bemühen können, Interesse für meine Aktivitäten zu entwickeln. Ich habe mir die knappe Freizeit abgezwackt und ihn zum Football begleitet. Es hat mir auch Spaß gemacht. Aber manchmal, wenn wir in Ruhe essen gehen wollten und hier gelandet sind, damit er im Fernsehen ein Spiel verfolgen kann, war es mir zu viel. Ich wollte ihn doch einbeziehen in die Dinge, die mich beschäftigen, mit denen ich mich beschäftige. Aber er hatte nur seine eigene Welt.« Sie dachte nach. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie und Brian vermutlich einfach nicht zusammenpassten.
»Ich glaube, er brauchte mich nur, damit ihn jemand bewundert. Er wollte jemanden an seiner Seite haben, mit dem er etwas unternehmen kann, dem er erzählen und zeigen kann, was ihn interessiert. Das war’s. Er wollte gar nicht an den Dingen teilhaben, die ich in unsere Beziehung brachte.«
Tom hatte ihr aufmerksam zugehört. »Wenn es wirklich so ist, Susan, und Sie jetzt nicht alles zu schwarz sehen, dann hätten Sie sich vermutlich ohnehin bald getrennt. Was Sie schildern, ist ein bisschen wenig für eine Partnerschaft.«
Sie spürte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Wenn sie an das Kennenlernen und die erste Zeit ihrer Beziehung dachte, kam ihr alles so wunderbar vor. Wenn sie mit Brian nicht glücklich werden konnte, gab es dann überhaupt einen Mann, mit dem sie es auf Dauer aushalten würde?
»Wenn Sie mich fragen, hätte Ihr Freund allerdings mit Ihnen reden sollen, bevor er sich mit einer anderen Frau einlässt. Auch wenn er sich noch so vereinsamt gefühlt hat, ist das kein Grund für einen Seitensprung. Und sich dann auch noch erwischen lassen ...« Tom schüttelte den Kopf.
»Vielleicht war es ganz gut so. Sonst hätten wir diese Beziehung noch länger geführt, ohne über unsere Probleme zu reden. Ich werde mir in Schottland überlegen, ob ich Brian noch eine Chance geben soll. Das heißt, ich werde überlegen, ob wir beide noch eine Chance haben, ob diese Beziehung es wert ist, dafür zu kämpfen.« Mit Mühe beherrschte sie sich und holte tief Luft. »Sie hatten Recht, es hat gut getan, mal mit jemandem zu reden. Danke.«
»Gern geschehen. Es war mir ein Vergnügen.« Er strahlte sie an und fügte hinzu: »Es war mir wirklich ein Vergnügen. Vor allem, dass sie etwas gegessen haben, hat mich gefreut. Cuba hat mich schon darauf angesprochen, was er mit Ihnen machen soll, wenn Sie aus den Schuhen kippen.«
»Tatsächlich?« Susan musste lächeln.
»Ja, wirklich. Dabei hätte der Muskelprotz bestimmt keine Schwierigkeiten, Sie Fliegengewicht einfach über die Schulter zu werfen.«
Sie lachten beide.
»Nach dem Urlaub wird alles besser, ganz bestimmt. Ich habe ja selbst gemerkt, dass es so nicht weitergeht. Aber ich habe mich irgendwie nicht wieder auf die Reihe gekriegt.« Susan fühlte sich plötzlich viel besser. In Schottland würde sie die nötige Distanz und Ruhe haben, eine Entscheidung für ihre Zukunft zu treffen. Wenn sie nach Hause kam, konnte sie diese Entscheidung in die Tat umsetzen. Sie würde neu anfangen. Mit Brian oder ohne ihn. »Kann schon mal passieren. Ich hoffe wirklich, dass Sie in Europa auf andere Gedanken kommen. Pete hat mir ja abenteuerliche Geschichten von dieser Frau in Schottland erzählt. Stimmt es, dass sie mit ihrem Geigenspiel Robben anlockt?«
Froh, das Thema wechseln zu können, lehnte sich Susan etwas entspannter zurück.
»Ja, das behauptet sie wenigstens.«
»Glauben Sie das wirklich? Ich meine, für mich klingt das ziemlich geheimnisvoll, um es vorsichtig auszudrücken.«
»Kann man wohl sagen. Ich habe in einer der Fachzeitschriften von ihr gelesen. Klang alles sehr unglaubwürdig. Aber irgendwie konnte ich die Geschichte nicht vergessen und habe Kontakt mit Mrs. Brighton aufgenommen. Und sie hat mich prompt eingeladen. Ich bin gespannt, das gebe ich zu. Allerdings erwarte ich nicht viel. In erster Linie will ich mich schon erholen. Waren Sie jemals in Schottland?«
»Nein.«
»Die Landschaft scheint großartig zu sein. Ich werde ein paar Bücher mitnehmen und lesen und mich mal wieder gründlich ausschlafen.«
Susan gefiel der Gedanke, in Schottland nur in Gesellschaft dieser Frau zu sein. Gut, es gab auch einen Mr. Brighton, aber mit dem würde sie wenig zu tun haben. Zwei Wochen nur diese geheimnisvolle Frau und die Tiere. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief ein. Dann erzählte sie Tom noch ein wenig von Elizabeth Brighton. Sie schilderte ihrem Kollegen, der fest davon überzeugt war, sie würde in Schottland eine Schwindlerin entlarven, was sie von ihr gehört hatte.
Die Kellnerin trat an den Tisch. »Okay, guys, last order! Kann ich euch noch etwas bringen, oder wollt ihr jetzt die Rechnung haben?«
Susan war perplex. Sie schaute auf ihre Uhr. »Was, so spät schon? Die Rechnung, bitte!« Sie wandte sich an Tom: »Tut mir Leid, dass ich den Abend so abrupt abbreche, aber ich habe völlig die Zeit vergessen, und ich muss ja noch packen.«
»Kein Problem«, sagte er. »Ist doch ein gutes Zeichen, dass Sie sich mal wieder so haben ablenken lassen.«
Er hatte Recht. Es war lange her, dass sie einen so entspannten und netten Abend verbracht hatte. Wer hätte das gedacht? Die Kellnerin kam zurück und legte Tom die Rechnung hin.
»Ich mach das.« Susan wollte nach der Rechnung greifen, aber Tom hielt schnell die Hand darauf. Dabei berührten sich ihre Fingerspitzen.
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte er bestimmt. »Sie haben mich nicht eingeladen, hier Platz zu nehmen. Ich habe mich Ihnen aufgedrängt, da ist es ja wohl das Mindeste, dass ich die Rechnung bezahle.«
Susan seufzte. Sie unternahm einen letzten Versuch zu widersprechen.
Doch da schaltete sich die Kellnerin noch einmal ein: »Könntet ihr euch wegen der Rechnung vielleicht einigen?«
Tom bezahlte, und gemeinsam verließen sie das Restaurant, das Susan so widerwillig betreten hatte. Eine kräftige Böe griff nach ihrem Haar und wirbelte es durcheinander. Sie fröstelte. Es hatte sich noch mal kräftig abgekühlt. Krampfhaft versuchte sie, ihre Haare zu bändigen, um Tom zum Abschied ansehen zu können. Sie streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich bedanke mich für das wunderbare Essen«, sagte sie artig.
»Gern geschehen, wirklich. Wann starten Sie morgen?« Er hielt ihre Hand noch immer fest. Diesmal war es ihr nicht unangenehm. Sie spürte ein wohliges Kribbeln, das durch ihren Körper lief.
»Mein Flieger geht um neun.«
»Na, dann aber los!«, rief er, entzog ihr seine Hand und versuchte, in der Dunkelheit die Uhrzeit zu erkennen. »Sie haben noch nicht gepackt. Da bekommen Sie ja kaum noch Schlaf. Sie müssten längst zu Hause sein.«
Susan lachte. »Jetzt klingen Sie wie mein Vater.«
»Wahrscheinlich meint der es auch gut mit Ihnen«, sagte Tom und hatte plötzlich so viel Wärme in seinem Blick, dass Susan sich ganz wohlig und geborgen fühlte.
»Also, Susan, nochmals einen schönen Urlaub und gute Erholung«, rief er gegen den Wind, der laut über die Galerie der Victoria & Alfred Waterfront blies. »Schicken Sie uns eine Karte ins Aquarium. Oder nein, denken Sie lieber keine Sekunde an uns. Das ist besser.«
»Ich werde ganz sicher an Sie denken. An das Aquarium. Schlafen Sie gut, und grüßen Sie Pete und vor allem Cuba von mir!«
»Das mache ich. Auf Wiedersehen.« Tom drehte sich um und verschwand in der Schwärze der Nacht. Einen kurzen Augenblick sah Susan noch seine Silhouette, die sich gegen den erleuchteten Tafelberg abhob, dann war ihr Kollege in der Dunkelheit verschwunden.
»Gang oder Fensterplatz?«
»Fensterplatz, bitte.«
Die junge Frau am Schalter tippte routiniert Daten in ihren Computer. Susan fragte sich, wie man mit so langen Fingernägeln überhaupt irgendetwas tun konnte. Dann reichte sie ihr die Bordkarten.
»Sie haben noch ein wenig Zeit. Letzte Boarding-Time ist halb neun an Gate B 12. In Frankfurt haben Sie eine Stunde Aufenthalt. Ihr Anschlussflug startet von Gate D 5.«
Sie zeigte ihr, während sie sprach, wo auf den Bordkarten die Zeiten und Flugsteige vermerkt waren. Das Lächeln, die Handbewegungen zu dem immer gleichen Text – Susan fühlte sich, als hätte sie es mit einem ferngesteuerten Wesen zu tun, das nur aussah wie ein Mensch. Genau diese Empfindung hatte sie jedes Mal, wenn die Stewardessen in der Maschine den Gebrauch der Schwimmwesten und die Lage der Notausgänge erklärten.
Sie schlenderte an den Geschäften des Flughafens vorbei, die gerade ihre Türen öffneten. Einen Moment überlegte sie, ob sie sich ein kleines Kissen für den Nacken oder vielleicht eine Zeitschrift kaufen sollte. Aber sie hatte genug zu lesen und würde sicher auch ohne Kissen schlafen können. Die letzte Nacht war schließlich nicht gerade lang gewesen. Trotzdem fühlte Susan sich erstaunlich munter an diesem Morgen. Sie hatte, nachdem sie sich von Tom verabschiedet hatte und dann zwanzig Minuten nach Hause gelaufen war, ihren Koffer gepackt, einen Brief an Brian geschrieben und ihn sofort wieder zerrissen. Dann hatte sie ein wenig ferngesehen, um zur Ruhe zu kommen, und anschließend einen weiteren Brief geschrieben. Diesmal an Tom. Noch ganz aufgekratzt von dem überraschenden Verlauf des Abends, hatte sie ihm für die Ablenkung und fürs Zuhören gedankt. Außerdem hatte sie ihm geschrieben, dass ihr eigentlich jetzt erst bewusst geworden war, was für ein ausgesprochen netter Kollege und Mann er war. Dann war sie endlich ins Bett gegangen. Schon vier Stunden später hatte ihr Wecker geklingelt. Sofort war sie aus dem Bett gesprungen. Sie hatte kein Problem damit, früh aufzustehen. Sie war es gewohnt. Schon seit Jahren musste sie in ihrem Beruf sehr zeitig anfangen. Hungrige Robben warten nicht, bis die Menschen ausgeschlafen haben. Es machte ihr nichts aus, mit wenig Schlaf auszukommen. Auch daran hatte sie sich gewöhnt.
Susan marschierte durch die Kontrolle in den kleinen Warteraum. Sie nahm sich einen Tee aus dem Automaten und setzte sich. Bevor am Morgen das Taxi gekommen war, hatte sie den Brief an Tom eingeworfen. Jetzt zweifelte sie sehr daran, ob sie das Richtige getan hatte. Man sollte keine Briefe schreiben, wenn man in einer besonderen Stimmung war, weder, wenn man todtraurig war, noch in totaler Euphorie. Und wenn man sich schon dazu hinreißen ließ, sollte man sie auf keinen Fall abschicken. Vermutlich war ihr das unterbewusst auch schon klar gewesen, als sie die Zeilen aufs Papier brachte. Warum sonst hatte sie den Umschlag wohl sofort zugeklebt und sich damit jede Möglichkeit genommen, den Brief nochmals zu lesen, bevor sie ihn einwarf. Nun war es passiert. Susan versuchte sich vorzustellen, wie Tom reagieren würde. Hoffentlich fasste er ihre Worte nicht falsch auf und machte sich jetzt irgendwelche Hoffnungen. Oder womöglich fühlte er sich ausgenutzt, weil er glaubte, sie wolle sich mit ihm als eine Art Übergangsmann trösten. Das wäre furchtbar. So oder so war es absolut peinlich, dass sie diesen blöden Brief eingeworfen hatte. Allerdings würden zwei Wochen vergehen, bis sie sich wieder gegenübertreten mussten. Vielleicht würde Tom einfach so tun, als hätte er diesen Brief niemals bekommen. Und Susan würde ihn sicher nicht darauf ansprechen.
Sie schlürfte ihren Tee und sah hinaus auf das Rollfeld. In der Luft zeigten sich die Scheinwerfer einer Maschine, die zur Landung ansetzte. Susan flog nicht gern. Auch wenn sie die Technik, die hinter der Fliegerei stand, faszinierte, hatte sie doch lieber festen Boden unter den Füßen. Aber es war eben ein notwendiges Übel, um sich in der wenigen Zeit, die man zur Verfügung hatte, von einem Punkt zum anderen zu bewegen. Es war ihr nicht geheuer, dass sie die nächsten Stunden eingesperrt in einer Stahlzigarre hoch über der Erde schwebend verbringen musste. Wenn man in Kapstadt wohnte, waren die Ziele, die man ohne ein Flugzeug bequem erreichen konnte, allerdings stark begrenzt.
Um sich abzulenken, nahm sie die Unterlagen über Elizabeth Brighton zur Hand. Zum x-ten Mal las sie die Seiten, die sie über die Engländerin zusammengetragen hatte. Eine Violinistin, die ihre Karriere den Robben geopfert hatte. Nein, das war nicht ganz richtig. Sie hatte ihre Karriere bereits gehabt. Dann hatte sie sich entschieden, mit ihrem Mann nach Schottland zu gehen. Susan wurde wehmütig, als sie weiterlas. Elizabeth und Gregory Brighton hatten sich ein großes Grundstück mit einem Haus an der Küste gekauft. Sie haben eine Tochter bekommen. Und irgendwann haben sie die Sache mit den Robben entdeckt.
»Flugnummer BA 2720 ist jetzt fertig zum Einsteigen. Um den Vorgang zu erleichtern, werden zunächst nur die Passagiere mit Sitzplatznummern der Reihen eins bis zwölf gebeten, zum Ausgang zu kommen. Ihre Sitzreihe entnehmen Sie bitte der Bordkarte.«
Susan hatte einen Platz in der fünften Reihe. Sie steckte ihre Unterlagen weg, nahm die Bordkarte zur Hand und reihte sich in die Schlange der Fluggäste ein. Im Bus, der die Passagiere zur Maschine brachte, telefonierten zwei Männer und eine Frau. Susan hoffte inständig, dass keiner von ihnen vergessen würde, sein Handy auszuschalten. Immer wieder hörte man, dass Mobiltelefone die Instrumente im Cockpit durcheinander bringen können. Fliegen war schon gefährlich genug. Aber abzustürzen oder schon beim Start einen Unfall zu haben, nur weil Kommunikation zu jeder Zeit und an jedem Ort zur Sucht geworden war, das war für Susan eine schauderhafte Vorstellung. Sie stieg aus dem Bus aus und ging die Stufen der Gangway hinauf. Wie immer, wenn sie fliegen musste, legte sie verstohlen eine Hand auf den metallenen Leib des Flugzeugs, bevor sie in seinem Inneren verschwand. Es war für sie ein Ritual, so etwas wie eine stumme Kontaktaufnahme. Als ob sie mit dem Jet eine geheime Absprache treffen würde, in der sie mit ihm ausmachte, dass sie beide heil wieder runterkommen wollten. Eine Stewardess und ein Steward standen im Eingang und begrüßten die Passagiere. Beide lächelten freundlich und unverbindlich. Susan würde nie verstehen, wie man einen solchen Beruf ergreifen konnte. Während sie ihre Jacke auszog und in dem Fach über ihrem Sitzplatz verstaute, dachte sie daran, dass ihr Vater sich immer gewünscht hatte, sie würde eine politische Karriere anstreben.
»Mit einem Ministerposten könntest du deine Umweltideen wirklich umsetzen«, pflegte ihr alter Herr gern zu sagen. »Meine Tochter die erste Umweltministerin Südafrikas, das wäre etwas!« Susan rutschte auf ihren Platz am Fenster durch und sah hinaus. Vielleicht hatte ihr Vater gar nicht so unrecht gehabt. Vielleicht hätte sie in der Politik tatsächlich mehr für den Lebensraum der Robben und selbstverständlich auch anderer Tiere tun können. Und lukrativ wäre so ein Ministersessel sicher auch. Aber jedes Mal sagte sie sich wieder, dass die Politiker entweder verlogen oder hilflos waren. Sie bezweifelte, dass es eine echte Chance gab, auf dieser Ebene für seine Überzeugung einzutreten. Zu viele Aspekte spielten bei Gesetzgebung und Entscheidungsfindung eine Rolle. Die meisten davon waren leider von den wirklichen Machthabern, den Wirtschaftsgrößen, bestimmt und hatten mit Überzeugung und Idealen herzlich wenig zu tun. Nein, Susan glaubte nicht an die Kraft der Politik. Außerdem war sie nun einmal keine Theoretikerin. Sie musste mitten im Geschehen sein, direkt anpacken können. Wie oft hatte sie mit Brian darüber diskutiert.
»Du kommst nach Hause und stinkst nach Fisch. Glaubst du vielleicht, das macht mich an? Warum kannst du nicht am Schreibtisch sitzen wie einige deiner Kollegen?«
Am Anfang hatte Susan noch versucht, Brian zu erklären, was so besonders daran war, mit lebenden Wesen zu arbeiten. Sie wollte, dass er begriff, wie sehr sie ihre Arbeit liebte. Sie wünschte sich Verständnis und Unterstützung von ihm. Später hatte sie es aufgegeben, mit ihm darüber zu streiten. Sie hatte sich einfach angewöhnt, schon im Aquarium zu duschen und nicht erst zu Hause. So kam es nur noch zu Reibereien, wenn sie außerhalb der Dienstzeit in das Two Oceans oder an einen Strand gerufen wurde, um sich um ein Tier zu kümmern. Mit schöner Regelmäßigkeit machte Brian ihr dann Vorwürfe und hielt ihr vor, dass ihre »Schreibtisch-Kollegen« nicht in ihrer Freizeit behelligt wurden.
Inzwischen hatte das Flugzeug seine Startposition erreicht. Das Bordpersonal hatte die Sicherheitsinstruktionen erteilt, den Gebrauch der Schwimmwesten und der Sauerstoffmasken erklärt. Jetzt gaben die Triebwerke Schub. Susan wurde in den Sitz gedrückt. Sie legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Die Maschine donnerte über die Startbahn. Es hatte zu regnen begonnen. Die winzigen Rinnsale wurden von dem enormen Luftzug über die Scheibe gedrückt wie die Tropfen auf einem Auto, das in der Waschanlage getrocknet wurde. Die Nase des Jumbos hob sich, dann lösten sich auch die Räder vom Boden, und die Maschine schwebte und gewann schnell an Höhe. Der Platz neben Susan war frei geblieben. Am Gang saß ein Mann, der etwa fünfzig Jahre alt sein mochte. Er hatte kurz gegrüßt und sich dann sofort hinter einer Zeitung versteckt.
Umso besser, dachte Susan, muss ich mich wenigstens nicht unterhalten. Ohne sich recht darauf zu konzentrieren, blätterte sie das Bordmagazin durch. Dabei merkte sie, dass ihr die Augen fast zufielen. Die letzten Tage hatten Spuren hinterlassen. Susan steckte das Magazin zurück und schlief ein.
Nach fast dreizehn Flugstunden, Wartezeiten, die ihr endlos vorgekommen waren, und einer Zugfahrt von Aberdeen in Richtung Westküste war Susan völlig erledigt. Ihre Nase war von der künstlichen Luft in den verschiedenen Flugzeugen, Flughafengebäuden und Bahnhöfen vollkommen ausgetrocknet. Der Morgen graute bereits, als sie zum Ausgang der kleinen schottischen Bahnstation ging, die mitten im Niemandsland zu liegen schien. Während der Fahrt war es Susan kaum gelungen, die Augen offen zu halten, wenn sie sich auch noch so sehr bemüht hatte, etwas von dem Land zu sehen, in dem sie die nächsten zwei Wochen verbringen würde. Es war ohnehin noch zu dunkel gewesen. Nach dem Nickerchen an Bord der Maschine war Susan die ganze Zeit wach geblieben, hatte gegessen, gelesen und sich das Filmprogramm angesehen. Nun war es fast einundzwanzig Stunden her, dass sie ihr Haus in Kapstadt verlassen und den Brief an Tom eingeworfen hatte. Sie sehnte sich nur noch nach einem Bett. Der Gedanke, sich jetzt mit fremden Leuten beschäftigen zu müssen, erschien ihr alles andere als verlockend.
Ihr Gepäck stand neben ihr auf dem kleinen Platz vor dem Bahnhof. In der Dämmerung konnte sie erkennen, dass die Landschaft karg und bergig war. Es pustete ein kräftiger Wind, der Susans Laune nicht gerade besser machte. Erschöpft kniff sie die Augen zusammen, damit die feinen Sandkörner, die in der Luft tanzten, sich nicht auf ihren Pupillen niederlassen konnten. Für einen kurzen Moment verfluchte sie die Idee, hierher zu kommen. Warum konnte sie nicht wie viele ihrer Freundinnen ihren Urlaub auf einer karibischen Insel verbringen, Cocktails schlürfen und im lauwarmen Wasser dümpeln, bis ihre Haut ganz schrumplig war?! Sie schnaubte verärgert. Von Pünktlichkeit schien dieser Gregory Brighton nichts zu halten. Gemäß ihrer Verabredung hätte er seit einer Viertelstunde hier sein sollen, um sie abzuholen. Aber weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Nach weiteren zehn Minuten, Susan wollte gerade die Telefonnummer der Brightons heraussuchen und fragen, ob man sie vergessen habe, kam ein Wagen die Straße entlang. Sie blickte angestrengt in die Richtung und schirmte ihre Augen mit einer Hand vor dem Sand ab, der kräftig durch die Luft gepeitscht wurde. Ein blauer Ford Pick-up hielt auf den Bahnhof zu. Das konnte Gregory Brighton sein. Einen Augenblick später hielt der Wagen vor ihr an. Ein Mann mit dichtem schwarzem Haar und einem schwarzen Vollbart sprang heraus und kam auf sie zu.
»Guten Morgen und willkommen in Schottland!« Gregory strahlte sie an und streckte ihr die Hand hin.
Susan hatte schlagartig schlechte Laune. Typisch Mann! Kein Wort der Entschuldigung, kein Gedanke daran, dass sie nach der langen Reise auf ihn hatte warten müssen. »Guten Morgen«, knurrte sie leise und drückte seine fleischige Hand.
»Sie sind sicher müde. Keine Sorge, von hier ist es nicht weit bis nach Hause.« Er nahm Susans schweren Koffer und warf ihn mühelos, als wäre das Gepäckstück leer, in den Wagen. Dann verstaute er auch die kleine Reisetasche. Die Bordtasche mit dem Notebook nahm Susan an sich. Sie fürchtete, Mr. Brighton würde ihren Computer ebenfalls mit einer solchen Wucht durch die Gegend werfen.
»Bitte steigen Sie doch ein!« Gregory wirkte putzmunter und fröhlich. Man hatte den Eindruck, dass er jeden Morgen um sechs Uhr auf den Beinen war. Susan, die fremden Menschen gegenüber sonst sehr aufgeschlossen war, wünschte sich inständig, nicht reden zu müssen. Ihr fiel kein Thema ein, und sie fühlte sich zu leer, um höflich Konversation zu machen. Sie wollte einfach nur mit ihren Gedanken alleine sein.
»Sie haben einen wirklich weiten Weg auf sich genommen, um uns zu besuchen. Meine Güte, Südafrika!« Gregory lachte laut. Er war groß und breitschultrig. Seine Augen funkelten. »Das ist wirklich weit weg.«
Susan hatte selbst oft das Gefühl, mit Kapstadt die Randlage des Globus erwischt zu haben. Es lag so weit südlich, dass nur Reisen in die an Südafrika grenzenden Staaten relativ komfortabel waren. Aber selbst dabei musste man eben von der südlichsten Spitze gen Norden reisen. Der Trip hierher übertraf tatsächlich alles, was sie bisher gemacht hatte. Es schien, als hätte sie sich von einem zum anderen Ende der Welt begeben. Sie hoffte sehr, dass sich diese Strapaze lohnen würde. Die Landschaft, die am Fenster vorbeizog, wirkte steinig und ein wenig öde.
»Besonders gesprächig sind Sie ja nicht.« Susan sah zu Gregory hinüber, der sie anscheinend schon eine Weile beobachtete. Sie wünschte, ihr Gastgeber würde lieber auf die Straße sehen, obwohl kaum Verkehr war, auf den er achten musste.
»Es tut mir leid. Ich bin einfach nur müde«, sagte sie und versuchte nicht einmal zu lächeln.
»Na, das kann ich mir denken.«
Sie hielten an einem kleinen verlassenen Anleger, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Die Sonne schien auf eine einfache Bretterbude, deren Fenster von einem leicht schief hängenden Laden verschlossen war. Neben der Mole lagen ein paar Motorboote unterschiedlicher Größe und zwei Fischerboote. Gregory parkte seinen Wagen auf einem nummerierten Parkplatz. Susan sah sich fragend um. Weit und breit war nichts außer den Booten, der Hütte und Wasser. Kein Wohnhaus war zu sehen. Dann fiel ihr ein, dass Elizabeth Brighton auf einer Insel lebte. Mull gehörte zu den Hebriden. Natürlich, sie mussten mit dem Boot rüberfahren.
Wie in Trance stieg sie aus dem Wagen. Es roch nach Salz und nach Fisch. Eine vertraute Mischung. Susan sog die kühle Morgenluft tief in die Lungen. Sie machte keine Anstalten, ihr Gepäck selbst zu tragen. Nur ihre Bordtasche, die sie während der Fahrt auf dem Schoß gehalten hatte, gab sie nicht her. Den Rest überließ sie Gregory, der sich wie selbstverständlich darum kümmerte. Normalerweise konnte Susan es nicht leiden, wenn Männer etwas für sie trugen oder ihr eine Arbeit abnahmen, für die sie in den Augen dieser Herren zu schwach und zerbrechlich war. Sie war zwar zierlich, aber gewiss nicht schwach. Und sie legte Wert darauf, möglichst viel im Leben selbst zu erledigen. Das bedeutete Unabhängigkeit. Sie wollte nicht auf die Hilfsbereitschaft anderer Menschen angewiesen sein. Diesmal allerdings trabte sie hinter Gregory her und war froh, ihren Koffer nicht tragen zu müssen. Sie sah zu, wie er erst die Tasche, dann den Koffer in das überdachte Führerhaus eines Bootes brachte. Unschlüssig blieb sie auf einem schmalen, etwas wackligen Holzsteg stehen. Ihr Kopf hatte jegliche überflüssige Denkarbeit eingestellt. Sie starrte vor sich hin und wartete darauf, dass alles von alleine geschah.
»Wollen Sie da Wurzeln schlagen?«, fragte Gregory amüsiert. »Kommen Sie schon.«
»Entschuldigung, ich bin sonst nicht so unbeholfen«, murmelte Susan, die mechanisch aufs Boot gesprungen war und Gregory dabei angerempelt hatte. Plötzlich musste sie an Tom denken, der so plötzlich im Sport’s Café aufgetaucht war und die Kellnerin angerempelt hatte. Sie lächelte bei der Erinnerung. Gregory schüttelte ein wenig verständnislos den Kopf, dann startete er den Motor. Das Boot entfernte sich langsam von der Mole.
Susan saß auf einer Plastikbank im Freien auf einem alten Sitzkissen, aus dem unter dem zerschlissenen Bezug krümeliger Schaumstoff hervorlugte. Sie musste an das Gespräch mit Tom denken. Wie weit das alles plötzlich weg zu sein schien. Dabei war es noch gar nicht so lange her. Fasziniert blickte sie auf die unzähligen kleinen und größeren Inseln, die wie in eine Pfütze geworfene Steine dalagen. Die meisten von ihnen waren dunkelgrün bewachsen. Es sah aus, als wären sie in Moosbezüge gehüllte Kopfkissen. Die Sonne zauberte ein Funkeln und Glitzern auf die Wasseroberfläche und ließ das allgegenwärtige Grün strahlen, als wäre es von innen beleuchtet.
»Wunderschön«, murmelte Susan. Ihr Herz machte einen Hüpfer vor Freude. Zum ersten Mal, seit sie sich auf den Weg gemacht hatte, war sie sicher, dass sie ihre Entscheidung nicht bereuen würde. Sie war überzeugt davon, zwei ebenso aufregende wie entspannende Wochen vor sich zu haben. Wenn sie nur Brian zeigen könnte, wie schön es an diesem Fleck der Erde war. Brian hatte sich einfach in ihren Kopf geschlichen. Sie schloss die Augen und dachte an den Mann, den sie so geliebt hatte. Sofort war das Bild wieder da, das sie seit Wochen quälte: Brian mit vor Erregung glänzenden Augen und verschwitztem Haar, seine Hände tief in die Locken einer mandeläugigen Schönheit vergraben, die hingebungsvoll seinen Bauch küsste. Susan fragte sich, ob es ihr gelingen würde, diesen Anblick jemals aus ihrem Kopf zu verbannen. Angestrengt lauschte sie auf das Singen der Vögel, die hier zu Tausenden lebten, und sog die salzig-würzige Luft ein. Sie würde sich ablenken. Sie wollte es unbedingt.
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Gregory, der aus seiner Kabine gekommen war. »Wenn wir an dem Hügel da vorn vorbei sind, können Sie Mull schon sehen. Und ein paar Minuten später werden Sie Beth sehen können.«
»Sie ist so früh schon draußen?«
»Ja, was denken Sie denn? Haben Sie geglaubt, meine Frau ist eine Künstlerin, die erst zu Mittag aufsteht, dann ein wenig Geige spielt und sich für ihren Schönheitsschlaf gleich wieder zurückzieht?«
»Nein, nein, das dachte ich nicht.« Susan fühlte sich unbehaglich. Bisher hatte sie Gregory Brighton gegenüber vermutlich noch nicht den besten Eindruck gemacht. Allerdings war er auch ziemlich empfindlich, wie sie fand, beneidete Elizabeth Brighton aber gleichzeitig darum, dass sie einen Mann hatte, der sie offenbar schon bei dem geringsten Angriff in Schutz nahm.
»Beth steht meistens um sechs Uhr auf und geht runter ans Ufer zum Spielen. Manchmal ist sie noch früher unten, weil sie den Sonnenaufgang sehen will. Sie spielt eine Stunde oder zwei und kommt dann nach Hause zurück. Wir frühstücken und beginnen mit unserer Arbeit«
»Ich verstehe.«
»Ist Ihnen nicht gut? Sie sehen blass aus. Sie werden doch nicht noch seekrank auf dem letzten Stück!«
»Nein, alles in Ordnung. Mir ist nur etwas kalt. Das macht wohl die Müdigkeit«
»Kommen Sie, setzen Sie sich rein, da sind Sie vor dem Wind geschützt.« Während Gregory sprach, packte er Susan auch schon am Arm und schob sie in die winzige Kabine. Neben dem Steuer war ein Sitz, auf dem Susan Platz nahm. Es roch nach Treibstoff.
»Sehen Sie, das ist Mull«, sagte Gregory nach ein paar Minuten und deutete mit dem Zeigefinger seiner fleischigen Hand geradeaus.
Susan blickte in die Richtung. Vor ihren Augen erhob sich majestätisch eine dunkelgrüne Insel mit schroffen Steilküsten. Auf einer Seite waren ein paar Häuser zu erkennen. Als sie näher herankamen, sah sie die Silhouette einer Frau, die dort, wo die Küste sanft ins Meer abfiel, am Ufer stand. Man konnte sehen, dass ihr Rock im Wind flatterte. Auch ihre Haare wehten ungebändigt um ihren Kopf. Der Wind hob sie hoch, warf sie durcheinander und ließ sie wie unzählige Flammen tänzeln und züngeln.
»Das ist Beth, meine Frau«, sagte Gregory mit unüberhörbarem Stolz und Ehrfurcht.
Susan sah Gregory an, der ihr bis zu diesem Moment grobschlächtig und derb vorgekommen war. Doch jetzt war sein Blick weich und so voller Liebe, dass es sie anrührte. Was dieser Mann für seine Frau empfand, musste genau die Art von unerschütterlicher Liebe und Bewunderung sein, die sich jeder Mensch tief in seinem Herzen wünschte. Susan verließ die kleine Kabine und trat wieder hinaus in die frische Morgenluft. Sie musste sich festhalten, um von dem Seegang nicht von einer Seite des Bootes auf die andere geschleudert zu werden. Trotzdem setzte sie sich nicht wieder hin. Sie klammerte sich an einem der Holzgriffe fest und starrte wie gebannt auf die Frauengestalt, die mit jeder Sekunde deutlicher zu sehen war. Ihre roten Haare reflektierten das Licht so sehr, dass Susan kaum hinschauen konnte. Die ganze Frau schien in Flammen zu stehen. Der Wind trug leise, nur leicht hörbar, die Laute ihrer Violine herüber. Noch nie zuvor hatte Susan solche Töne vernommen. Sie trafen sie direkt ins Herz. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Es waren keine Tränen der Trauer oder des Schmerzes. Es gab überhaupt keinen Grund zu weinen. Susan schluckte. Sie registrierte, in welcher emotionalen Verfassung sie plötzlich war, und nannte sich innerlich eine Idiotin. Der Fahrtwind und die blendende Sonne hatten ihr vermutlich die Tränen in die Augen getrieben. Außerdem war sie einfach so übermüdet, dass ihre Nerven blank lagen. Trotzdem konnte sie ihre Sinne nicht vom Anblick und dem Klang losreißen.
Das Boot drehte ab. Während Gregory es in einen kleinen Hafen lenkte, verlor sich das Bild von Elizabeth hinter einem vorgelagerten Felsblock. Er schaltete den Motor aus, kurz bevor sie an der Anlegestelle ankamen. Die letzten Meter trieb das kleine Schiff sanft und angenehm leise an sein Ziel. Wieder war es Gregory, der das Gepäck schleppte. Susan trottete hinterdrein. Sie sah sich um und fühlte sich wie in die Vergangenheit zurückversetzt. Kapstadt war eine durch und durch moderne Metropole mit all ihren Glasfassaden und den Bauten in den erstaunlichsten Farben und Formen. Am Hafen gab es Restaurants und Bars. Hier jedoch standen nur zwei Zapfsäulen am Kai, wo die Boote betankt werden konnten. Eine Lagerhalle und ein paar Geschäfte, in denen Ersatzteile für Motoren angeboten wurden, Läden mit Anglerbedarf, ein Fischgeschäft, das die Ware offenbar fangfrisch verkaufte, und ein Pub lagen wie Perlen an einer Kette nebeneinander aufgereiht. Das war alles.
Gregory stopfte den großen Koffer mühsam in den Mini. »Normalerweise kann man das kleine Stück bis zu uns nach Hause zu Fuß gehen. Aber wenn wir Gäste bekommen, holen wir sie immer mit dem Auto ab. Die meisten schleppen ja so viel Gepäck mit sich herum wie Sie.«