Das eigene Familiensystem verstehen - Elaine Carney Gibson - E-Book

Das eigene Familiensystem verstehen E-Book

Elaine Carney Gibson

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Beschreibung

Ganz gleich, wie die Beziehung zur eigenen Familie heute aussieht, die Familiendynamik hat einen enormen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen, wie wir uns der Welt gegenüber präsentieren und wie wir mit anderen umgehen. Von Mythen, Geschichten und Geheimnissen in der Familie über unausgesprochene Regeln, Rollen und Muster: Wenn uns die Dynamiken und familiären Rollen nicht bewusst sind, bleiben wir meist an sie gebunden und werden eventuell durch sie belastet. Wenn wir die Dynamiken jedoch an die Oberfläche bringen, können wir dieses Wissen nutzen, um uns zu verändern, zu wachsen und ein erfülltes Leben zu führen. Dieser leicht verständliche Leitfaden verhilft anhand von Beispielen aus der Therapeutenpraxis, aufschlussreichen Übungen und Reflexionsfragen dazu, sowohl sich selbst als auch die eigene Herkunftsfamilie besser verstehen zu können. Dieses Buch bietet darüber hinaus kraftvolle Wege, die Wunden der eigenen Vergangenheit zu heilen und gleichzeitig die eigenen Stärken zu wertschätzen.

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Seitenzahl: 252

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Buch

Ganz gleich, wie die Beziehung zu der eigenen Familie aktuell aussieht, die Familiendynamik hat einen enormen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen, wie wir uns der Welt gegenüber präsentieren und wie wir mit anderen umgehen. Von Mythen, Geschichten und Geheimnissen in der Familie über unausgesprochene Regeln, Rollen und Muster: Wenn uns die Dynamiken und familiären Rollen nicht bewusst sind, bleiben wir meist an sie gebunden und werden eventuell durch sie belastet.

Wenn wir die Dynamiken jedoch an die Oberfläche bringen, können wir dieses Wissen nutzen, um uns zu verändern, zu wachsen und ein erfülltes Leben zu führen. Dieser leicht verständliche Leitfaden unterstützt anhand von Beispielen aus der Therapeutenpraxis, aufschlussreichen Übungen und Reflexionsfragen dabei, sowohl sich selbst als auch die eigene Herkunftsfamilie besser zu verstehen. Die Autorin zeigt darüber hinaus kraftvolle Wege auf, wie wir Wunden der eigenen Vergangenheit heilen und gleichzeitig unsere eigenen Stärken wertschätzen können.

Autorin

Elaine Carney Gibson ist seit mehr als vier Jahrzehnten praktizierende Psychotherapeutin. Ihre Klienten sind Einzelpersonen, Paare und Familien. Darüber hinaus unterrichtete sie viele Jahre lang Ehe- und Familientherapeuten und ist Direktorin des Ausbildungsinstituts für Ehe- und Familientherapie des Link Counseling Center in Atlanta, Georgia.

Elaine Carney Gibson

Ein Leitfaden zur Entschlüsselung von Mustern und Dynamiken für ein selbstbestimmtes Leben

Aus dem Englischen von Carl Freytag

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Your Family Revealed. A Guide to Decoding the Patterns, Stories, and Belief Systems in Your Family bei Sounds True,Inc., Boulder, Colorado.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe Januar 2024

Copyright © 2022 der Originalausgabe: Elaine Carney Gibson

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Übersetzungsrechte vermittelt durch die Agence Schweiger

Umschlag: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Innenteilgestaltung: Meredith Jarrett

Redaktion: Martha Wilhelm

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

KF ∙ IH

ISBN 978-3-641-31113-1V001

www.goldmann-verlag.de

Dieses Buch widme ich meiner Familie, insbesondere meinen Eltern, Bobba und Großvater, Tante Helen und Onkel Tom, meinen Geschwistern und den Cousinen und Cousins, meinen drei Söhnen und meinen Enkelinnen und Enkeln Chessel, Spencer, Stella und Hyde. Ihr seid alle immer in meinem Herzen und in meiner Seele.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Das Labyrinth unseres Lebens

Kapitel 1: Warum ist das alles so wichtig?

»Erkenne dich selbst«

Familienwerte, Familienkrisen

»Am schönsten ist es zu Hause.«

Verletzungen und Heilung

Familientherapie und Feedbackschleife

Die wichtigsten Hypothesen der Familiensystemtheorie

Überlegungen zu Ihrer Herkunftsfamilie

Kapitel 2: Wer hat das Sagen?

Darstellung der Familie im Genogramm

Hierarchie in der Eltern-Kind-Beziehung

Veränderungen der Hierarchie

Wie funktionieren Familien?

Grenzen und Subsysteme

Der Weg zu klaren Grenzen

Verwandlung ungesunder starrer Grenzen

Grenzen der Familie zur Außenwelt

Änderungen in den Subsystemen

Überfunktionieren – unterfunktionieren

Rollen und Regeln

Wie sieht Ihre Familienstruktur aus?

Struktur und Hierarchie

Überinvolviert oder unterinvolviert?

Funktionsweisen

Kapitel 3: Ist es gut, zu sagen, was man meint, und zu meinen, was man sagt?

Wie kommt man zu einer gesunden Kommunikation in der Familie?

Destruktive Kommunikationsformen

Streitfragen oder Probleme?

Gesunde Kommunikationsformen

Praktiken zum Fördern einer gesunden Kommunikation

Welche Rollen und Regeln gelten in Ihrer Familie?

Kapitel 4: Wie viel Nähe?

Nähe und Distanz im Verlauf der Entwicklung

Nähe und Distanz in der erweiterten Familie

Autonomie und Individuation

Emotionale Reaktionsfähigkeit

Zu nah: erstickende Nähe

Zu distanziert: erschreckende Ferne

Das Gleichgewicht von Nähe und Distanz

Das Aufwachsen in Ihrer Familie

Überlegungen zum gegenwärtigen Stand

Kapitel 5: Stühle mit drei Beinen

Dreiecke mit Kindern

Das Kind als Tröster, Friedensstifter oder Retter

Das Kind als Vater oder Mutter

Das Kind als Zentrum der Aufmerksamkeit

Dreiecke mit der erweiterten Familie

Ineinandergreifende Dreiecke

Triangulierung jenseits der Familiengrenze

Geschwisterposition – Geburtenfolge

Familiendreiecke

Kapitel 6: Soll und Haben der Familie – das Kontobuch

Loyalität

Erbe und Tradition

Selbstmord: ein verheerendes Erbe

Trauerrituale

Trauerprozesse

Was hat das alles mit Geld zu tun?

Was steckt in einem Namen?

Unbewusste Loyalität

Das Kontobuch der Familie

Dreiecke mit der Schwiegerfamilie

Das Dreieck mit dem idealisierten Vater

Das Dreieck mit der Mutter als bester Freundin

Das Dreieck mit Schwiegervater oder Schwiegermutter

Wer schuldet wem was?

Familienloyalität

Familienerbe

Familienkonto

Namen

Kapitel 7: Familiengeheimnisse enthüllen oder bewahren?

Geheimnisse und Privatsphäre

Sich selbst schützen oder andere?

Destruktive Geheimnisse

Geheimnisse und Schamgefühle

Scham und Schuld

Süße Geheimnisse und notwendige Geheimnisse

Überlegungen

Kapitel 8: Die Macht der Geschichten, Mythen und Rituale

Mythos 1: Die Großmutter starb mit 54 …

Mythos 2: Wirklich oder nur eingebildet?

Die Macht des Erbes

Mythos 3: Carneys Laden

Familienmottos

Familientraditionen und -rituale

Traditionen und Rituale um Sterben und Tod

Bedeutungen

Fragen zu Geschichten, Mythen und Ritualen

Epilog

Danksagung

Glossar

Literatur

Register

Einleitung

Unsere Familie kann eine Quelle größter Freuden sein – und eine Quelle der heftigsten Kämpfe. Dieses Buch will Ihnen helfen, Ihre Familie zu »entschlüsseln«, sodass Sie besser verstehen, wie das Familiensystem und seine Dynamik funktionieren. Das wird Ihnen erlauben, sich selbst besser kennenzulernen – und auch alle, mit denen Sie Beziehungen pflegen.

Die Familienstrukturen haben sich im 21. Jahrhundert signifikant verändert. Unsere Gesellschaft ist mehr und mehr bereit, multikulturelle und multiethnische Familien ebenso zu akzeptieren wie Familien mit nur einem Elternteil, Patchworkfamilien und Paare mit gleichem Geschlecht. Dazu kommt, dass anders als bei den Familien früherer Generationen, deren Mitglieder nah beieinander lebten, heute die Entfernungen voneinander oft groß sind. Das verändert natürlich die Möglichkeiten, Zeit miteinander zu verbringen, was großen Einfluss auf alle Beteiligten und ihre Beziehungen ausübt. Der große Abstand kann den psychologischen Einfluss verändern, den einzelne Familienmitglieder auf andere haben.

Aber wie immer sich Familien auch generell verändert haben: Sie üben immer noch einen gewaltigen Einfluss auf unser Leben aus. Es sind die Beziehungen in der Familie, die formen, wer wir sind, welche Gefühle wir uns selbst gegenüber haben und wie wir uns an andere binden und uns auf sie beziehen.

Liebe Leserinnen und Leser! Dieses Buch ist ein leicht verständlicher Ratgeber, der erklärt, wie eine Familie ihre Mitglieder auf vielfache Weise tief beeinflusst. Das betrifft unter anderem

die Wertvorstellungen und Überzeugungen jedes Einzelnen,das Selbstbewusstsein und Identitätsgefühl jedes Einzelnen unddas Erlernen von Beziehungstechniken und emotionalen wie auch rationalen Reaktionen.

Je besser Sie diese Einflüsse erkennen und ihre Funktion verstehen, umso mehr Macht haben Sie, um zu entscheiden, wer und wie Sie sein wollen und wie Ihre Beziehungen zu anderen aussehen sollen.

*****

Als ich 1973 meine Ausbildung in Counseling Psychology, also psychologischer Beratung, abschloss, wurde ich in eine neue Art zu denken eingeführt. Bis in die 1950er Jahre war die Psychologie vor allem auf das Individuum konzentriert. In meiner Zeit an der Universität tauchte dann in der Szene für »mentale Gesundheit« eine neue Therapie auf: die Familien- oder Beziehungstherapie, die aus der Familiensystemtheorie hervorging. Ich war von dieser neuen Denkweise begeistert und blieb das auch über die Jahre.

Ich hatte das Glück, als eine der Ersten praktisch auf diesem neuen Feld der Ehe-, Paar-, Familien-, Beziehungs- und Familienstrukturtherapie zu arbeiten. Heute, viele Jahre später und nachdem ich Hunderte Einzelpersonen, Paare und Familien als Klientinnen und Klienten hatte und selbst Ausbildungskurse gebe, bin ich immer noch von diesen Therapieformen fasziniert.

Ich werde in diesem Buch einige der grundlegenden Konzepte der Familiensystemtheorie erklären. Meine Absicht ist, Sie zu ermutigen, die hier vorgestellten Konzepte zu verwenden, um besser zu verstehen, wie Ihre »Herkunftsfamilie« funktioniert, wie deren Verhaltensmuster und Prozessabläufe Sie in Ihrer Vergangenheit beeinflusst haben und Sie auch heute noch beeinflussen und wie darüber hinaus die Herkunftsfamilie mit dem erweiterten Familiensystem verbunden ist.

Wie das Inhaltsverzeichnis zeigt, erklärt jedes Kapitel des Buches ein einschlägiges Konzept der Familiensystemtheorie. Am Ende jedes Kapitels folgt ein Fragenkatalog, über den Sie nachdenken sollten. Es ist vielleicht hilfreich, ein Heft anzulegen und Ihre Antworten auf die Fragen zu notieren. Ich möchte Sie auch ermutigen, einige dieser Fragen, Ihre Gedanken und Anliegen mit den anderen Familienmitgliedern zu diskutieren.

Das Labyrinth unseres Lebens

Jeder von uns sucht einen Weg durch das Labyrinth, das Lebengenannt wird. Ich stelle mir vor, dass wir alle im Zentrum dieses Labyrinths mit unserer Mutter und dann unserer Familie beginnen. Dann schiffen wir uns für unsere Lebensreise ein und fahren von unserer Familie hinaus in die Welt.

Wenn wir den Gang durch das Labyrinth des Lebens ganz bewusst antreten, um uns selbst wirklich kennenzulernen und zu verstehen, entdecken wir, wie wichtig es ist, gelegentlich an den eigenen Ursprung zurückzufinden. Dieser Gang durch das Labyrinth ist in erster Linie eine psychologische Wanderung. Bei der Rückkehr zu unseren ersten Erfahrungen mit unserer Familie sehen wir, wie sich in den verschiedenen Stadien unseres Lebens unsere Auffassungen verändert haben und wie unser Verständnis an Tiefe gewonnen hat. Eine 20-Jährige hat ein tieferes und umfassenderes Verständnis ihrer Erfahrungen mit der Familie, als sie es im Alter von zehn Jahren hatte. Und wenn sie 40 ist, kann sie ihre Familie sogar noch weit besser verstehen, insbesondere wenn sie sich entschließt, immer wieder zum Zentrum des Labyrinths zurückzukehren.

Hat jemand das Zentrum des Labyrinths niemals wirklich verlassen, fehlt ihm die Perspektive, um die Dynamik seiner Familie zu verstehen. Wer sich hinaustragen lässt, aber nicht gelegentlich zurückkommt, um das eigene Verständnis zu reflektieren und zu vertiefen, hat andererseits oft das Gefühl, abgeschnitten zu sein – nicht nur von der Familie, sondern auch von sich selbst. Damit wir wirklich verstehen können, wer wir sind, müssen wir das Familienlabyrinth immer wieder durchqueren – hineingehen, hinausgehen, zum Zentrum zurückkehren und es wieder verlassen …

Um es ganz klar zu sagen: Ich rate nicht, in der Vergangenheit zu leben. Ich glaube mit ganzem Herzen, dass uns nur das Leben in der Gegenwart erlaubt, ganz lebendig zu sein und in Kontakt mit unseren inneren Kräften zu stehen. Die Vergangenheit hat aber einen gewaltigen Einfluss auf unsere Gegenwart. Ich rate daher, ganz bewusst die Vergangenheit zu durchforschen – mit dem Ziel, aus ihr für die Gegenwart Wissen und Kraft zu gewinnen. Auch wenn wir diese bewusste Durchforschung versäumen, wird uns die Vergangenheitweiter beeinflussen – wir sind uns dann dessen nur nicht bewusst und nehmen es nicht wahr. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass ein bewusstes Leben vorzuziehen ist.

Die meisten von uns wurden durch die Familie sowohl positiv wie negativ beeinflusst. Das scheint ein fester Bestandteil der menschlichen Erfahrung zu sein.

Für einige war und ist die Familie vor allem eine positive Erfahrung. Zu ihr physisch und/oder emotional/mental zurückzukehren, ist dann wie die Rückkehr zu einem kostbaren Prüfstein, der uns mit neuer Stärke und Liebe erfüllt. Für andere war und ist die Familie vor allem eine negative Erfahrung. Zu ihr physisch und/oder emotional/mental zurückzukehren, ist in diesem Fall wie ein Sprung in den Abgrund. Wohl alle von uns ziehen es vor, Erfahrungen mit dem Abgrund zu vermeiden. So manche klugen Geister haben aber erkannt, dass der einzige Weg zur wahren Heilung darin besteht, in die Finsternis des Abgrunds zu springen und sich auf die Suche nach dem Licht zu machen.

Nehmen Sie die Einladung an, und verwenden Sie das Buch als Ihren Reiseführer!

Kapitel 1

Warum ist das alles so wichtig?

Warum muss man verstehen, wie das Familiensystem funktioniert?

»Jeder Mensch ist ein Zitat aller seiner Vorfahren.«

Ralph Waldo Emerson

»Wer andere kennt, ist klug. Wer sich selbst kennt, ist erleuchtet.«

Laotse

»Erkenne dich selbst«

Vielleicht war es nur ein Traum, aber ich erinnere mich an einen Mann, der von der Kanzel predigte und mit dröhnender Stimme verkündete: »Das größte Geschenk, das man Gott machen kann, ist, sich selbst zu erkennen.«1

Als neugierige und philosophisch interessierte Neunjährige machte ich mir viele Gedanken über diesen Satz. Ich bin mir sicher, dass es gerade diese Art zu denken war,die mich zur Psychotherapie und ganz besonders zum Gebiet der Ehe- und Familientherapie brachte.

Meine Großmutter »Bobba«, die Mutter meines Vaters, schickte mich auf die Entdeckungsreise zu mir selbst. Sie erzählte ganz begeistert Familiengeschichten. Ich brauchte nicht lange, um zu verstehen, dass es wirklich unsere Geschichten und die Botschaften in jenen wirklichen oder erfundenen Erzählungen sind, die bestimmen, wie wir über uns, unser Leben und das der anderen denken.

Sich selbst zu »kennen« oder zu »erkennen«, ist ein großes Geschenk, das man sich, der Partnerin oder dem Partner und den Kindern machen kann. Wir können unmöglich wissen, wer wir sind, ohne etwas über unsere Herkunft, also unsere Herkunftsfamilie zu wissen. Und es ist ganz klar, dass die Ereignisse und vor allem die Beziehungen in der Kinderzeit fortdauern und bestimmen, wie wir als Erwachsene sein werden. Die Gedanken, die wir heute haben, werden von unseren Erfahrungen in der Vergangenheit beeinflusst.

Familienwerte, Familienkrisen

Der Begriff Familienwerte wird derzeit in der sozialen und politischen Szene gern benutzt – und missbraucht. Wenn ich über Familienwerte schreibe, beziehe ich mich auf die Absichten, Erwartungen und Ziele der Familie: Wie unterstützt die Familie ihre Mitglieder? Wie reagiert die Familie auf Entwicklungsaufgaben, die oft Verwirrung und Streit zwischen den Familienmitgliedern stiften, und wie erfüllt sie diese?

Die »alten« Geschichten helfen uns, die Werte zu verstehen, die unsere Familie prägen. Sie helfen uns, zu erkennen, wer und was wichtig ist. Sie helfen uns, zu definieren, wer wir sind und was unser Platz in der Welt ist. Dabei prägen uns nicht nur die Geschichten, in denen uns erzählt wird, wer wir sind, sondern auch die Geschichten, die wir uns selbst erzählen. Schließlich reden wir viel mehr mit uns selbst als mit anderen. Und: Natürlich werden wir auch von dem »programmiert«, was wir außerhalb der Familie sehen, hören und erleben.

Die Mitglieder einer Familie teilen nicht nur eine Geschichte, sondern auch Annahmen und Überzeugungen, die sie von sich selbst, den anderen und vom Funktionieren der Welt haben. Wir lernen in unseren Familien, wie wir einander begegnen, indem wir uns umeinander sorgen, Essen und Trinken bereitstellen und uns auf unseren Wegen unterstützen – aber auch, indem wir uns verletzend und zerstörerisch verhalten und einander schaden.

Für mich ist eine »gesunde« Familie nicht eine Familie ohne Probleme, sondern eine Familie, die belastbar ist und ihre Ressourcen nutzt, um über Krisen und Zeiten voller Schwierigkeiten hinwegzukommen. Solche Krisen entstehen oft bei einem vorhersagbaren Ereignis in der Familiengeschichte, wie etwa einer Hochzeit, Adoption oder Geburt, der Pubertät der Kinder, ihrem Auszug, einem Umzug oder dem erwarteten Tod eines älteren Familienmitglieds.

Dann gibt es noch Familienkrisen, die weder vorhergesagtnoch erwartet werden, etwa der frühe Tod eines Kindes, von Geschwistern oder der Eltern. Andere Ereignisse, die Familienkrisen verursachen, sind: Konkurs, Klinikaufenthalt, Geldprobleme, Untreue, Scheidung, Sorgerechtsstreit, Wiederverheiratung, Bildung einer Patchworkfamilie, Trennung durch Wehrdienst oder die Arbeit, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, Missbrauch, Fragen der sexuellen Identität oder Selbstmord.

»Am schönsten ist es zu Hause«

Die Familiensystemtheorie, von der dieses Buch handelt, ist ein auf Beziehungen fokussiertes Modell zum Verstehen der menschlichen Psyche. Anders als in der traditionellen psychoanalytischen Theorie steht in der Familiensystemtheorie vor allem die Dynamik zwischen Familienmitgliedern im Mittelpunkt und nicht so sehr die Psyche jedes Einzelnen. Diese Dynamik aus Zug und Druck, um in Beziehungen Nähe und Distanz zu erhalten, zählt zu den Hauptfaktoren, die dem menschlichen Verhalten zugrunde liegen.

Die Familiensystemtheorie berücksichtigt nicht nur die Personen, die zusammen in einem Haushalt leben, sondern die gesamte Familie über die Zeiten und Generationen hinweg. Zu dieser »erweiterten« Familie oder Großfamilie gehören neben der Kernfamilie aus Eltern und Kindern die Großeltern, Tanten, Onkel, Geschwister, Cousins und Cousinen. Die meisten Familientherapeuten glauben, dass es wichtig ist, das Familiensystem über mindestens drei Generationen zu betrachten, unabhängig davon, ob die Personen noch leben oder schon tot sind, und unabhängig davon, ob sie in der Nähe oder weit entfernt wohnen.

Die Therapeutinnen und Therapeuten glauben, dass die Kraft und der Einfluss von Beziehungen, die wir mit anderen Familienmitgliedern haben, über das Grab hinausreichen. Weder der räumliche Abstand noch der Tod befreien uns vom Einfluss unserer Familie. Entscheidend für unser Wohlergehen ist, wie wir mit diesem Einfluss umgehen.

Dorothy Gale behauptet im Zauberer von Oz: »Am schönsten ist es zu Hause.« Das stimmt. Für manche. Vielleicht sind Sie in einer Sicherheit und Geborgenheit bietenden Familie voller Liebe aufgewachsen, was mit sehnsuchtsvollen und zärtlichen Erinnerungen verbunden ist. Vielleicht sind Sie aber auch in einer chaotischen Familie aufgewachsen, die keine Sicherheit bot. An das »Zuhause« zu denken, kann dann traurige, schmerzvolle oder sogar traumatische Gefühle wecken.

Verletzungen und Heilung

Wir alle wurden schon mal verletzt. Ich habe bis jetzt niemanden getroffen, der nicht irgendeine Erfahrung in seinem Leben gemacht hat, unter der er emotional gelitten hat. Vielleicht haben wir jemanden verloren, den wir gernhatten, oder ein geliebtes Haustier ist gestorben. Vielleicht sind wir irgendwann tyrannisiert worden oder wir hatten das Gefühl, ungerecht bestraft zu werden. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Freundin in meiner Kindheit, die immer einen Monat lang Hausarrest bekam, wenn sie von der Schule keine Eins mitbrachte.

Die Glücklicheren unter uns sind nur selten traumatisiert worden – und dann nicht allzu schwer. Die Unglücklicheren haben dagegen schwere emotionale und psychische Verletzungen erlitten, die sie langfristig beeinflussen. Sie sind mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert worden, die sie emotional überwältigt haben. Sie wurden davon betäubt, zutiefst verängstigt und oft ohne Verbindung zu sich selbst oder anderen zurückgelassen.

Leider haben viele Menschen schwersten emotionalen, physischen und verbalen Missbrauch durch Familienmitglieder erlitten. Missbrauch in der Familie ist meiner Ansicht nach die tiefgreifendste, finsterste und verheerendste Form von Verrat.

Wer eine solche Erfahrung überstanden und überlebt hat, wird oft von Schuld- und Schamgefühlen verfolgt – gleichgültig, ob die Traumatisierung von wiederholten Verletzungen in der Kindheit stammt oder auf ein einmaliges traumatisches Erlebnis als Erwachsener zurückgeht. Wer ein Trauma überlebt hat, neigt zu Depressionen, Angstzuständen und einer geringen Selbstachtung und berichtet oft von Schwierigkeiten in persönlichen Beziehungen, insbesondere mit den Personen, die ihm am nächsten stehen.

Für die Traumatisierten besteht aber durchaus die Möglichkeit, von den Wunden an Körper, Seele und Geist zu genesen. Das Heilen dieser Wunden braucht Zeit und viel Mühe. Catherine McCall hat in ihren inspirierenden Erinnerungen Never Tell. A True Story of Overcoming a Terrifying Childhood über ihre Heilung und die Heilungsmöglichkeiten für Überlebende von sexuellem Missbrauch und deren Partner berichtet.

Die Heilung traumatischer Verletzungen ist eine Entwicklungsreise, die Körper, Seele und Geist umfasst. Es geht um die Heilung des traumatisierten Gehirns und der Wunden, die Beziehungen so schwierig machen. So soll ein ausgewogeneres und positiveres Gefühl von sich selbst und gegenüber anderen entstehen. Weiß man mehr über die eigene Familiendynamik, hilft das sicher dabei, neue Entscheidungen zu treffen und auf gesündere, produktivere Weise mit der Gegenwart umzugehen.

Familientherapie und Feedbackschleife

Die Familiensystemtheorie begann ihre Entwicklung in den 1940er und 1950er Jahren. Während des Zweiten Weltkriegs konstruierten Mathematiker und Ingenieure Maschinen, die nach dem Prinzip von Feedback- oder Rückkopplungsschleifen funktionierten. Die Idee war, dass aus einem System gewonnene Informationen wieder in das System eingegeben werden und es darauf reagiert.

Abb. 1.1: Feedbackschleife

Wie hat diese neue theoretische Idee die psychotherapeutische Praxis beeinflusst?

Die Familientherapie basiert auf einer systemischen Sichtweise. Das heißt, dass die Familie als ein Ganzes gesehen wird, als ein System, in dem alle Mitglieder einander beeinflussen. Zuvor arbeiteten Therapeuten nach dem Prinzip des linearen Denkens, bei dem im Zentrum der Untersuchung der Probleme einer Person Ursache und Wirkung stehen. Nun ging es darum, wie Familienmitglieder in einem zirkulären Prozess oder einer Feedbackschleife aufeinander reagieren.

Den Unterschied zwischen linearer und zirkulärer Kausalität zeigt das folgende Beispiel: Eine Mutter bringt ihren 15-jährigen Sohn zur Therapie. Er hat die Schule geschwänzt und nimmt Drogen. Die Therapeutin erfährt, dass der Vater kürzlich seinen Job verloren hat. Der Sohn sagt, er ärgere sich über seinen Vater, weil der »nur auf der Couch rumsitzt« und nichts unternehme, um wieder Arbeit zu finden. Die Therapeutin stellt die Hypothese auf, dass der Sohn seinen Ärger über den Vater ausdrückt, indem er über die Stränge schlägt und sich schlecht benimmt. Das ist eine lineare Kausalität: Das Verhalten des Vaters verursacht das Verhalten des Sohns. Vater➪Sohn oder A ➪ B.

Eine Systemtherapeutin würde diese Hypothese nicht verwerfen, sie würde aber das akute Problem des 15-jährigen Sohns untersuchen, indem sie die Zusammenhänge aller Beziehungen in der Familie zu verstehen versucht. Sie würde berücksichtigen, wie alle Familienmitglieder einander beeinflussen.

Der Sohn wurde von der Familie als »identifizierter Patient« (IP) vorgestellt, als das Familienmitglied, das krank ist und therapiert werden soll. Ein Familientherapeut sieht dagegen das Familiensystem als »Patient«. Wäre ich die Therapeutin, würde ich bei der ersten Sitzung gern die ganze Familie sehen. Ich weiß, dass ich auf diese Weise der Familie wahrscheinlich besser helfen könnte, die ungesunden oder zerstörerischen Beziehungsmuster zu identifizieren, die den einzelnen Familienmitgliedern Leid bereiten. Ich könnte dabei helfen, gesündere und produktivere Beziehungsmuster aufzubauen, die letzten Endes der Familie helfen würden, auch das aktuelle Problem des Sohns zu lösen: sein Fehlverhalten.

Ich beginne eine Therapie immer mit der gründlichen Erforschung der Familiengeschichte, zuerst die der Kernfamilie. In diesem Fall wären das der Vater, die Mutter, der Sohn, der als »Patient« identifiziert ist, und die 13-jährige Tochter. Dabei interessieren mich immer mindestens drei Generationen.

Ich finde in diesem Fall heraus, dass der Vater nicht nur seinen Job verloren hat, sondern dass kürzlich auch seine Mutter bei einem Verkehrsunfall gestorben ist. Die Tochter erzählt, dass die Mutter immer mehr trinkt und öfter Wutausbrüche hat. Die Tochter berichtet auch, dass sie mehr Zeit in ihrem Zimmer verbringt, statt etwas mit ihren Freundinnen und Freunden zu unternehmen. Der Sohn ist übel gelaunt, berichtet aber ohne Umschweife von seinem Ärger über beide Eltern.

Meine Hypothese ist, dass der Vater nicht nur wegen des Jobverlusts und des Todes seiner Mutter bedrückt ist, sondern auch wegen des zunehmenden Alkoholkonsums seiner Frau und wegen der Art und Weise, wie sein Sohn seine Probleme auslebt. Die Mutter ist deprimiert und ärgert sich über ihren Mann und ihren Sohn. Sie macht sich auch Sorgen wegen der finanziellen Situation der Familie. Der Sohn, der anfängt, sich von der Familie abzulösen – ein ganz normaler Schritt in dieser Entwicklungsphase –, ist wütend und voller Angst. Die Tochter ist so besorgt über das Wohlergehen des Vaters, dass sie Angst hat, die Wohnung zu verlassen. Sie fürchtet, dass die Familie »in die Binsen geht«.

An die Stelle der linearen Struktur des Problems (Vater ➪ Sohn) tritt eine zirkuläre Struktur, wie sie das folgende Diagramm zeigt:

Abb. 1.2: Zirkuläre Kausalität

Sieht man die Familie als System, führt das dazu, dass die auftauchenden Probleme auf neue Weise erklärt, verstanden und gelöst werden können. Dabei ist es nicht so wichtig, herauszufinden, was ein Problem ausgelöst hat. Wichtiger ist, die unproduktiven und zerstörerischen Zusammenhänge zu identifizieren, die zu den ungesunden Beziehungsmustern geführt haben, und sie durch gesündere, produktivere zu ersetzen.

Wie im eben diskutierten Fall der Tod der Großmutter zeigt, beeinflusst auch die erweiterte Familie mit allen lebenden und toten Mitgliedern, was mit jedem Einzelnen passiert.

Der Jobverlust des Vaters wiederum zeigt, dass man das Familiensystem auch in einem größeren Kontext und im übergreifenden System der Gesellschaft sehen muss, deren kultureller und sozialer Einfluss auf eine Familie gewaltig ist. Gender, Klasse, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion und ökonomischer Status beeinflussen die Werte und Überzeugungen der Familienmitglieder. Nach meiner Erfahrung werden die Familie und ihre Mitglieder mehr beeinflusst, wenn sich das größere System in einem Übergang oder in einer Krise befindet, statt von Frieden und Ruhe bestimmt zu sein. Befindet sich beispielsweise ein Land im Krieg, spüren jede Familie und jeder Einzelne die Auswirkungen – einige mehr, andere weniger.

Abb. 1.3: Die Familie in einem größeren Kontext

Während all meiner Jahre der Arbeit mit Einzelnen, Paaren und Familien haben mir noch nie so viele meiner Klientinnen und Klienten während der Therapiestunden erzählt, wie stark sie von den Ereignissen und Diskussionen beeinflusst werden, die unser Land derzeit bestimmen. Der Schwerpunkt dieses Buches liegt aber nicht auf dem Staat, der Gesellschaft oder den Ereignissen in der Welt, sondern auf der Kernfamilie (also den Eltern – gleich, ob sie zusammenleben oder getrennt – und deren Nachkommen) und auf der erweiterten Familie.

Die wichtigsten Hypothesen der Familiensystemtheorie

Ich fasse noch einmal zusammen: Die Familiensystemtheorie ist die Philosophie einer psychotherapeutischen Behandlung und lässt sich auf Einzelne, Paare oder Familien anwenden.

Jede Person wird als Teil eines Systems wahrgenommen, dessen Beziehungen ineinandergreifen, das sich ständig weiterentwickelt und das mehr ist als die Summe seiner Teile. Die Mitglieder des Familiensystems können nicht isoliert gesehen werden, da sie in ein Netz von Beziehungen eingebettet sind.

Daher gilt:

Das Verhalten eines Einzelnen ist mit den Interaktionen innerhalb der Familie ebenso verknüpft wie mit seinen eigenen mentalen Prozessen oder emotionalen Problemen.Veränderungen bei einem Familienmitglied berühren auch alle anderen und die Familie als Ganzes.

Familien haben eine Reihe bestimmter Merkmale. Dazu gehören

ein Katalog von Regeln,zugewiesene und zugeschriebene Rollen für jedes Familienmitglied,eine Organisationsstruktur,komplizierte offene und verdeckte Kommunikationsformen undbestimmte Wege, Probleme auszuhandeln und zu lösen.

Familien sind organisierte soziale Systeme, deren Mitglieder

eine gemeinsame Geschichte bewahren,ein Verständnis teilen, was es heißt, eine »Familie« zu sein,Auffassungen teilen, was die Identität der Familie betrifft, undAnsichten über die Welt teilen.

Unsere Familien, ihre Muster, ihre Verbindungen und ihre Geschichten zu verstehen, ist befreiend. Der Zweck dieses Verstehens ist nicht, jemanden anzuklagen und Fehler zu finden. Es geht vielmehr darum, unsere Kenntnisse, Wahrnehmungen und unseren Verstand zu benutzen, um bewusste Entscheidungen zu treffen, wie wir in der Welt existieren wollen: Wie wollen wir fühlen, denken und uns verhalten?

Bewusstes Wahrnehmen und Begreifen bedeutet Kraft – die Kraft, uns für neue Wege zu entscheiden. Die Kraft, neu zu denken, zu fühlen und uns zu verhalten, ermöglicht uns, nicht nur im »Autopilot-Modus« zu existieren, sondern aufzublühen. Welches Ausmaß an Traumata wir auch erlitten haben: Wahrnehmen, Begreifen und Wissen versorgen uns mit der Kraft, die wir brauchen, um uns für Heilung zu entscheiden.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich für diese Heilung entscheiden! Mögen Sie die Hilfe und Unterstützung annehmen, die Sie dazu brauchen. Mögen Sie das Wissen in diesem Buch benutzen, um die Kraft zu finden, sich und Ihr Leben zu heilen und neu zu erschaffen. Ich glaube an Francis Bacons Aussage in seinen Meditationes Sacrae von 1597: »Wissen ist Macht.«2

Überlegungen zu Ihrer Herkunftsfamilie

Um es noch einmal zu sagen: Das Buch erklärt einige Grundkonzepte der Familiensystemtheorie. Die Absicht ist, Sie, die Leserinnen und Leser, zu ermutigen, die vorgestellten Konzepte zu verwenden, um besser zu verstehen, wie die Funktionsweise, die Muster und die Abläufe in Ihrer Familie Sie in der Vergangenheit beeinflusst haben – und im Hier und Jetzt beeinflussen.

Die folgenden Fragen zur Familie, in der Sie groß geworden sind, mögen Ihnen dabei helfen:

Welche Annahmen und Überzeugungen haben die Mitglieder Ihrer Familie, was die Familienidentität betrifft? (Denken Sie darüber nach, wie das aus dem Blickwinkel jedes Familienmitglieds ist.)Halten Sie einige Annahmen über die Welt fest, die Ihnen in Ihrer Familie vermittelt wurden. Teilen Sie die Annahmen über das Funktionieren der Welt, die Ihnen in der Familie vermittelt wurden?Was haben Sie in Ihrer Familie darüber gelernt, was es heißt, eine Familie zu sein? Teilen Sie diese Definition von »Familie« oder haben Sie jetzt eine andere?

1 Das glaubte man schon in der Antike. Berühmt wurde die Inschrift am Apollotempel in Delphi: »Γνωθι σεαυτόν«, »erkenne dich selbst« (Anm. d. Übersetzers).

2 Bacon bezieht sich auf die Sprüche Salomos 24,5: »Ein weiser Mann ist stark.« (Anm. d. Ü.)

Kapitel 2

Wer hat das Sagen?

Wie sich Familien gut oder schlecht organisieren

»Die ganze Welt ist eine Bühne, und all die Männer und Frauen nur Spieler; sie haben ihre Abgänge, ihre Auftritte und einer spielt im Leben viele Rollen …«

Shakespeare3

»Zu viele Eltern erschweren das Leben ihrer Kinder, indem sie zu eifrig versuchen, es ihnen leicht zu machen.«

Goethe4

Es gibt viele Möglichkeiten, über ein Familiensystem nachzudenken. Eine ist, zu analysieren, wie sich eine Familie selbststrukturiert,um zu »funktionieren«. Jede Familie verfügt über eine bestimmte hierarchische Struktur, die die Regeln und Muster der Interaktionen festlegt und die Rollen aller Familienmitglieder bestimmt. Die Familienstruktur ändert sich im Verlauf der Zeit, weil die Familienmitglieder älter werden und sich die Erfahrungen, die die Familie macht, mit den Entwicklungsstadien der Einzelnen und des Systems als Ganzem verändern.

Das Familiensystem ist aus Subsystemen zusammengesetzt: Es kann ein Ehe- oder Partnersubsystem geben, ein Elternsystem, ein Großelternsystem und ein Geschwistersystem. Jedes Subsystem hat seine eigene Identität und verfügt über ganz besondere Funktionen und Muster, die von den Beziehungen der Subsysteme untereinander bestimmt werden.

Darstellung der Familie im Genogramm

Murray Bowen, einer der Begründer der Familiensystemtheorie, hielt es für hilfreich, die Subsysteme einer Familie in der Art eines Familienstammbaums darzustellen. Diese bildliche Darstellung einer Familie ist als Genogramm bekannt. Genogramme wurden im klinischen Bereich von Monica McGoldrick und Randy Gerson entwickelt und durch ihr Buch Genogramme in der Familienberatung populär gemacht. Die Therapeuten konstruieren ein Genogramm, damit sie aus der bildlichen Darstellung der Familienstruktur wichtige Informationen über das Familiensystem erhalten, ohne zuvor Seiten voller Notizen über die Familiengeschichte lesen zu müssen.

McGoldrick und Gerson entwickelten Symbole für Geschlecht und Beziehungsmuster sowie für generationenübergreifende, wiederholt auftretende Verhaltensmuster und Vererbungstendenzen. Ihre Version eines Genogramms umfasst auch kritische Ereignisse wie Geburten und Todesfälle sowie die medizinische und psychologische Krankengeschichte.5

In seiner Grundform umfasst ein Genogramm mindestens drei Generationen. Kommt eine Familie zur Therapie, die aus einem Elternpaar (beispielsweise einem Mann und einer Frau) mit zwei Kindern (beispielsweise einem Sohn und einer Tochter) besteht, würde ich als Therapeutin so vorgehen: Ich würde von den Großeltern, die die erste Generation darstellen, die oben genannten persönlichen Details und andere wichtige Informationen abfragen. Die Eltern wären die zweite Generation, die Kinder die dritte. Das Genogramm würde dann so aussehen:

Abb. 2.1: Einfaches Genogramm über drei Generationen mit markiertem Geschlecht