Das Flüstern des Blutes - Christine Feehan - E-Book

Das Flüstern des Blutes E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Nur eine unendliche Liebe kann die Schatten der Vergangenheit überwinden ...

Nach Jahrhunderten der Gefangenschaft ist Karpatianerin Tatijana endlich frei. Nie wieder will sie sich einschränken lassen. Doch als sie einem Mann mit eisblauen Augen begegnet, ändert sich alles. Kann sie den Fesseln der Leidenschaft entkommen? Will sie es überhaupt?
Fenris ist jahrhundertelang allein gewesen. Er ist ein Ausgestoßener, gehasst und gejagt. Erst als er eine Frau mit Haaren wie Feuer trifft, endet seine Einsamkeit. Doch darf er sie lieben, wenn seine bloße Anwesenheit ihr Leben in Gefahr bringt?

Dunkel, gefährlich und extrem heiß - Das Flüstern des Blutes ist der 24. Band der umfangreichen NEW YORK TIMES und SPIEGEL-Bestsellerserie Die Karpatianer.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Danksagungen

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Nach Jahrhunderten der Gefangenschaft ist Karpatianerin Tatijana endlich frei. Nie wieder will sie sich einschränken lassen. Doch als sie einem Mann mit eisblauen Augen begegnet, ändert sich alles. Kann sie den Fesseln der Leidenschaft entkommen? Will sie es überhaupt?Fenris ist jahrhundertelang allein gewesen. Er ist ein Ausgestoßener, gehasst und gejagt. Erst als er eine Frau mit Haaren wie Feuer trifft, endet seine Einsamkeit. Doch darf er sie lieben, wenn seine bloße Anwesenheit ihr Leben in Gefahr bringt?

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CHRISTINE FEEHAN

Das Flüsterndes Blutes

Aus dem amerikanischen Englischvon Ulrike Moreno

Für Misty Valverde

Wir hoffen, dass deine Reisen sicher und gefahrlos warenund du gesund und munter bist.Du hast große Träume und genießt das Leben.Wir haben dich vermisst bei FAN!

Kapitel 1

Nebelschleier umwaberten die Bäume. Der noch nicht ganz volle Mond hatte einen gelben Hof, der matt und dennoch leuchtend war. Dieser Mondzyklus war eine gefährliche Zeit, besonders, wenn der Nebel dicht und dunkel war, etwa fußhoch über dem Boden stand und sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelte wie etwas sehr Lebendiges. Der Nebel dämpfte die Geräusche, trübte die Sinne und bevorteilte die schattenhaften Gestalten, die den Unachtsamen auflauerten.

Tatijana aus dem Clan der Drachensucher erwachte unter der Erde, von vielen Schichten heilkräftigen schwarzen Lehms umgeben und bedeckt. Dieses an lebenswichtigen Nährstoffen und Mineralien reiche Erdreich hüllte sie von allen Seiten ein. Lange Zeit lag sie in Furcht und Panik da, lauschte ihrem eigenen Herzschlag und fühlte sich zu leicht, zu eingeengt und zu wehrlos unter all der Erde. Und ihr war heiß. Sehr heiß. An der Erdoberfläche über ihr spürte sie die Gegenwart der Wächter. Sie beschützten sie, hatten sie gesagt, was wahrscheinlich sogar stimmte, aber sie war so lange eine Gefangene gewesen – war sogar schon in Gefangenschaft zur Welt gekommen –, dass sie niemand anderem vertraute als Branislava, ihrer Schwester. Und Bronnie, ihr einziger Trost, lag friedlich schlafend neben ihr.

Tatijanas Herzschlag wurde lauter, bis er wie Donner in ihren Ohren war. Sie ertrug es nicht, in der Erde eingeschlossen zu sein. Sie musste hinaus, um Freiheit zu finden. Um sich frei zu fühlen. Wie das wohl war? Sie wusste nichts von der Welt. Und wie auch? Ihr ganzes Leben hatte sie unter der Erde, tief in den Eishöhlen, verbracht, ohne irgendjemand anderen zu sehen oder zu sprechen als die, die sie quälten und in Angst und Schrecken hielten. Sie kannte kein anderes Leben, doch das hatte sich nun geändert – oder nicht?

Hatten Bronnie und sie ein kaltes, Furcht erregendes Gefängnis gegen einen goldenen Käfig eingetauscht? Wenn ja, hatten ihre Gefängniswärter einen Riesenfehler gemacht, als sie sie zur Genesung in der Erde untergebracht hatten. Tatijana wusste kaum, wie es war, in ihrer wahren Gestalt zu sein. Sie hatte Jahrhunderte in Drachengestalt verbracht, und Drachen konnten sich ziemlich leicht durch die Erde fortbewegen.

Bronnie, flüsterte sie ihrer Schwester über ihre telepathische Verbindung zu. Ich weiß, dass du deinen Schlaf brauchst. Aber ich werde weiter unsere neue Welt erforschen und in der Morgendämmerung mit weiteren Informationen zurückkehren.

Branislava regte sich im Geiste, als wollte sie protestieren, wie sie es immer tat, wenn Tatijana ihr sagte, dass sie ging.

Ich muss es tun.

Ich komme mit, antwortete Bronnie mit weit entfernt klingender Stimme, obwohl sie im Bewusstsein ihrer Schwester war.

Tatijana wusste, dass Branislava sich zwingen würde zu erwachen, obwohl sie tief im Innersten, wo sie es beide brauchten, noch nicht wirklich geheilt war. Sie hatten immer alles zusammen unternommen und das Schlimmste miteinander durchgemacht. Bronnie und sie waren nie wirklich getrennt gewesen, nicht einmal, als sie beide in Eis eingeschlossen waren und sich nur ansehen konnten. Selbst in dieser Lage hatten sie noch ihre telepathische Verbindung aufrechterhalten.

Diesmal nicht, Bronnie. Heute muss ich das für mich tun, flüsterte sie wie jedes Mal, wenn sie erwachte, um ihre neue Welt zu erforschen. Und sie versprach Bronnie auch stets, vorsichtig zu sein.

Keiner würde sie jemals wieder einsperren, weder sie noch ihre Schwester, schwor Tatijana sich bei jedem Erwachen in der Abenddämmerung. Und von Nacht zu Nacht wurde sie stärker. Kraft und Energie durchströmten ihren Körper, und mit ihnen stellte sich auch Selbstvertrauen ein. Sie war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass Bronnie und sie bald auf eigenen Füßen stehen und niemandem verpflichtet sein würden.

Tatijana wusste allerdings nicht, wie sie ihrer Schwester beibringen sollte, dass sie nicht nach den Regeln anderer leben wollte. Sie waren Karpatianerinnen und entstammten dazu noch der Linie der Drachensucher. Das bedeutete etwas für den Prinzen der Karpatianer und all die anderen. Die Männer standen buchstäblich Schlange, weil sie hofften, entweder Bronnie oder sie für sich beanspruchen zu können. Aber Tatijana konnte nicht unter der Herrschaft eines anderen leben. Sie war einfach nicht dazu imstande. Sie wollte nie wieder erleben, dass ihr jemand sagte, was sie zu tun hatte, nicht einmal, wenn es zu ihrem eigenen Besten war. Sie erhob sich, wann sie wollte, und erforschte ihre neue Welt nach ihren eigenen Regeln.

Tatijana war fest entschlossen, ihren eigenen Weg zu finden, sich ihre eigenen Kenntnisse anzueignen und ihre eigenen Fehler zu machen. Bronnie war stets die Stimme der Vernunft. Sie beschützte Tatijana vor ihrer impulsiven Natur, aber nicht mehr. So sehr sie Branislava auch liebte, war dies doch etwas, was Tatijana brauchte.

Sie übermittelte ihrer Schwester Liebe, Wärme und das Versprechen, im Morgengrauen zurückzukehren. Die Gestalt eines blauen Drachen anzunehmen war ein Kinderspiel – Tatijana hatte Jahrhunderte in dieser Gestalt gelebt, deren Struktur und Form sich vertrauter für sie anfühlten als ihr eigener Körper.

Statt sich aus der Erde zu erheben, wo ihre Wachen sie sehen würden, grub sie sich noch tiefer in sie hinein. Da sie bereits einen Tunnel angelegt hatte, kam sie in der ziemlich festen Erde schnell voran. Sie hatte beschlossen, erst mehrere Kilometer entfernt von ihrem Ruheplatz die Erde zu verlassen, um Branislavas Sicherheit zu gewährleisten und die Wachen nicht darauf aufmerksam zu machen, wie früh sie aufgestanden war. In Gestalt ihres blauen Drachen bewegte sie sich durch den Tunnel wie ein Maulwurf, buddelte, falls nötig, und drückte die teilweise eingestürzte Erde wieder fest, während sie kontinuierlich auf ihr Ziel zueilte.

In einem dichten Wald kam sie hervor. Natürlich hatte sie vorher sorgfältig die Erde über ihr durchleuchtet, bevor sie den keilförmigen Kopf ihres Drachen aus dem verborgenen Tunneleingang steckte. Sie tauchte mitten in einem dichten grauen Nebel auf, in dem die Bäume wie riesige, missgestaltete Vogelscheuchen mit ausgestreckten Armen aussahen und gerade genug schwankten, um ihnen das Aussehen von Ungeheuern zu verleihen.

Doch Tatijana, die viele echte Ungeheuer gekannt hatte, schreckte der in grauen Dunst gehüllte Wald nicht im Geringsten. Freiheit war etwas Erstaunliches. Ihre Augen waren zwar noch sehr empfindlich, aber abgesehen davon fühlte sich die Welt so an, als gehörte sie ihr, und des trüben Nebels wegen brannten ihre Augen nicht einmal.

Nachdem sie die Gestalt gewechselt hatte, legte sie moderne Kleidung an, eine Hose aus einem weichen Baumwollstoff, die ihr Bewegungsfreiheit gab, und eine Bluse, die sie ein paar Nächte zuvor an einer Frau im Dorf gesehen hatte. Sie war der Frau gefolgt und hatte sich ihren Kleidungsstil genauestens angesehen, um ihn jederzeit aus dem Gedächtnis nachbilden zu können. Alles erschien Tatijana fremd und eigenartig, doch das gehörte nun mal zu der Aufregung ihrer Entdeckungen. Sie wollte durch eigene Erfahrung lernen und nicht nur einem anderen Geist Informationen entnehmen.

Sie genoss es, wie der Nebel sich um ihre Beine legte und ihr das Gefühl gab, als ginge sie durch Wolken, während sie den Wald durchquerte. Im letzten Moment erinnerte sie sich daran, auch ihre Kleidung durch Schuhe zu ergänzen, obwohl sie sie noch immer als sehr unbequem empfand. Tatijana hatte das Gefühl, als zögen sie sie herunter, und sie fühlten sich sehr fremd an ihrem Körper an.

Der Wind, der durch die Bäume pfiff, wirbelte Laub auf und trieb Nebelschwaden um die Stämme. Der Nebel begann, vom Boden aufzusteigen, als sie auf das einzige Licht am Waldrand zuging, das sie sehen konnte. Musik strömte aus dem Gebäude und rief und lockte sie, doch diesmal wusste sie ohnehin schon, dass sie sich diese schönen Melodien nicht nur von Weitem anhören würde. Normalerweise wählte sie jede Nacht einen anderen Ort, um Informationen zusammenzutragen, die sie dann mit ihrer Schwester teilte. Aber heute …

Seit ein paar Tagen zog dieses kleine Haus am Waldrand sie bei jedem Aufstehen wie magisch an. Das Gefühl war so stark, dass es schon beinahe zwanghaft war. Ein paar Tage hatte sie widerstanden, doch eine weitere Nacht würde ihr das nicht gelingen. Langsam näherte sie sich dem Gebäude. Wie immer verbreiteten die Fenster ein gelbes Leuchten, als starrten sie zwei Augen durch den dichten Nebel an. Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken, aber sie ging beharrlich weiter darauf zu.

Die Taverne Wilder Eber lag direkt am Waldrand und war auf drei Seiten von dichtem Gesträuch und Bäumen umgeben, die jedem reichlich Deckung boten, der sich schnell verstecken musste. Neben Zuflucht, Kameradschaft und ausgezeichneten Fluchtmöglichkeiten, sollte die Polizei einmal zu nahe herankommen, bot das Wirtshaus seinen Stammgästen auch die Behaglichkeit eines Kaminfeuers, warmes Essen und reichlich alkoholische Getränke. Die Gäste waren raue Burschen; dies hier war kein Ort für Schüchterne, und selbst die Polizei mied dieses Lokal normalerweise. Niemand stellte Fragen, und jeder war bemüht, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern und nur ja nichts anderes zu bemerken.

Fenris Dalka ging fast jeden Abend in das Wirtshaus, warum also kam er sich dann heute so lächerlich dabei vor, als er, wie so oft, mit einem Bier vor sich an der Bar saß und vorgab, es zu trinken? Verärgert stieß er den Atem aus und hielt den Blick nach vorn gerichtet, auf den Spiegel hinter dem Tresen, um die Eingangstür im Auge zu behalten. Von seinem günstigen Blickwinkel aus konnte er nicht nur die Tür, sondern auch jede Ecke der Schenke sehen. Er hatte diesen perfekten Sitzplatz schon vor einiger Zeit entdeckt, und wann immer er jetzt hereinkam und dort jemand saß, baute er sich einfach vor ihm auf und starrte ihn an, bis der andere aufstand und eilig den Platz freimachte.

Fen wusste, wie einschüchternd er wirkte, und machte sich sein verwegenes, gefährliches Aussehen auch zunutze. Er war groß, aber es waren vor allem seine breiten Schultern und die mächtige Brust, seine muskulösen Arme, die dunklen Bartstoppeln und seine durchdringenden, kalten blauen Augen, mit denen er anderen bis in die Seele blickte, was den Leuten Angst einflößte. Er brauchte nur selten etwas zu sagen, und so wollte er es auch haben. Die Stammgäste kannten ihn und wussten, dass man ihn besser in Ruhe ließ.

Im Hintergrund spielte Musik, und hin und wieder lachte jemand, doch meistens unterhielten sich die Gäste nur flüsternd miteinander. Nur der Barkeeper sprach Fen an, wenn er hereinkam. Ein paar der Stammgäste hoben eine Hand oder nickten ihm zu, aber die meisten vermieden es sogar, ihn anzusehen. Er sah fast so gefährlich aus, wie er war. Ein Mann ohne Freunde, der nur seinem Bruder Dimitri vertraute und immer auf der Jagd oder auf der Suche war. Fenris Dalka war sogar noch schonungsloser und brutaler, als die Gerüchte über ihn besagten.

Sein Haar war lang, sehr dicht, gewellt und silbergrau mit schwarzen Strähnen, und es fiel ihm bis weit über den Rücken. Meistens band er es im Nacken mit einem Lederriemen zusammen. Er hatte große Hände mit vernarbten Fingerknöcheln. Auch sein Gesicht wies Narben auf, eine in der Nähe seines Auges und noch eine weitere, die von seinem Auge bis zur Mitte seines Gesichts verlief. Weitaus mehr Narben trug er jedoch an seinem Körper. Jahrhunderte des Kampfes und der Verteidigung, jede Schlacht und jeder Sieg waren buchstäblich in seine Knochen eingestanzt.

Selbst geflüsterte Gespräche konnte er mit seinem scharfen Gehör leicht belauschen, und diese Fähigkeit ermöglichte es ihm, eine ungeheure Menge an Informationen zusammenzutragen. Aber heute Abend war das anders. Heute war er nicht der Informationen wegen hier … Irgendetwas völlig anderes hatte ihn hierhergezogen … Eine Art innerer Zwang, dem er sich nicht entziehen konnte, hatte ihn hierhergeführt.

Voller Unbehagen spielte er mit seinem Bierkrug, legte die Finger um den Griff und schloss sie zu einer Faust, bis er sich zwingen musste loszulassen, um das Glas nicht zu zerbrechen. Er war kein Mann, der tat, was ihm von anderen befohlen wurde. Fen misstraute allem, was er nicht verstehen konnte – und dieses dringende Bedürfnis, das ihn Nacht für Nacht hierher zurücktrieb und auf irgendetwas warten ließ, verstand er nicht. Was hatte es nur damit auf sich?

Dies hier war ein Tummelplatz der Gesetzlosen und ein idealer Ort für geheime Treffen. Er und sein Bruder Dimitri hatten die Spelunke gleich nach seiner Rückkehr in die Karpaten entdeckt. Damals hatten sie unbedingt einen sicheren, abgelegenen Ort finden müssen, an dem sie sich aufhalten und reden konnten, ohne von irgendjemandem gesehen zu werden, der beide oder einen von ihnen kennen könnte. Fen wollte absolut sichergehen, dass Dimitri nicht in Gefahr geriet. Niemand durfte wissen, dass sie Brüder waren. Man durfte sie nicht einmal miteinander in Verbindung bringen, weil er sonst Dimitris Leben gefährden würde – und dazu war er nicht bereit. Es waren so viele Jahre vergangen, dass die Leute ihn vergessen hatten oder ihn für tot hielten, und um der Sicherheit seines Bruders willen durfte dieser Irrtum nicht berichtigt werden.

Fen kannte jedes Gesicht in der Schenke. Die meisten kamen sogar schon länger her als er. Der neueste Gast war der verdächtigste. Er war erst vor ein paar Wochen in der Gegend eingetroffen und hatte die untersetzte Statur eines Jägers oder Försters, kleidete sich aber distinguierter. Er war jemand, den man nicht unterschätzen sollte. An seiner Art, sich zu bewegen, konnte jeder sehen, dass er ein guter Kämpfer sein musste. Und er war zweifellos bewaffnet. Er nannte sich Zev und war offensichtlich neu in dieser Gegend. Was er hier zu tun hatte, verriet er nicht, doch Fen würde seinen letzten Dollar darauf verwetten, dass er auf der Jagd nach irgendjemandem war. Er sah nicht so aus, als wäre er von der Polizei, aber er war definitiv jemandem auf der Spur. Fen hoffte, dass nicht er es war. Sicherheitshalber nutzte er jede Gelegenheit, um diesen Zev zu beobachten und sich einzuprägen, wie er sich bewegte, welche Hand er bevorzugt benutzte und wo er seine Waffen trug.

Wie Fens war auch Zevs Haar länger, als es üblich war. Es war von einem dunklen Kastanienbraun und so dicht, dass es an einen kostbaren Pelz erinnerte. Seine Augen waren grau und wachsam, immer in Bewegung, immer ruhelos, während sein Körper stets ganz still und reglos blieb. Fen fand es sehr bezeichnend, dass sich in der Bar bisher noch keiner mit ihm angelegt hatte.

Der Wind frischte auf, fuhr rauschend durch die Bäume, launisch und verspielt, und trieb Äste an die Seitenwand der Schenke, sodass sie ächzten und knackten und Gefahr ankündigten, sofern man die im Wind enthaltene Information verstehen konnte. Fen atmete tief aus und blickte durch das Fenster in den dunklen Wald hinaus.

Nebelschwaden schlängelten sich durch die Bäume, streckten sich wie gierige Finger aus und wanden sich an den Bäumen hinauf, bis sie den Wald in einen dichten Grauschleier gehüllt hatten. Er musste gehen – sofort! Ihm blieben nur noch fünf Tage bis zum Vollmond, was ihm genau zwei Tage gab, um einen sicheren Platz zu finden, an dem er die Gefahr aussitzen konnte. Die drei Tage vor dem Vollmond, der Vollmond selbst und die drei Tage danach waren die gefährlichsten für ihn. Trotzdem rührte er sich nicht von dem Barhocker, nicht einmal, als sein Selbsterhaltungstrieb ihn förmlich anschrie, es zu tun. Jedes Haar an seinem Körper war gesträubt, sowohl vor Schreck als auch als Fühler, um selbst die kleinsten Einzelheiten zu erfassen.

Während er mit der Fingerspitze Muster auf den beschlagenen Bierkrug malte, wurde sein Blick wieder zu dem Spiegel hingezogen. Fen konnte nicht die ganze Bandbreite des Farbspektrums ausmachen, doch je schwächer das Licht war, desto mehr Grauschattierungen konnte er sehen. Er konnte keinen Unterschied zwischen Gelb, Grün oder Orange wahrnehmen, für ihn sahen diese Farben gleich aus – wie ein trüber, gelblich grauer Ton. Rot wirkte wie bräunliches Grau oder Schwarz, Blau jedoch konnte er erkennen. Aber auch wenn er nicht über die Fähigkeit verfügte, Farben zu unterscheiden, machten sein scharfes Gehör, sein hervorragender Geruchssinn und seine weit reichende Sehkraft diesen Mangel mehr als wieder wett.

Ihr Duft erreichte ihn, sowie sie zur Tür hereinkam. Eine Frau. Die Frau. War sie der Köder, um ihn zu fassen? Wenn ja, dann hatte er angebissen. Ihr Duft – nach frischer Erde, Wald und wildem Honig, nach geheimen dunklen Stellen und der Nacht an sich – zog ihn in seinen Bann, wie kein noch so teures Parfum es könnte. In der vergangenen Woche war sie hin und wieder im Wilden Eber erschienen. Drei Mal nur, um genau zu sein, und doch war er schon wie behext von ihr. Sie hatte ihn völlig mühelos erobert, einfach indem sie durch die Tür hereingekommen war. Noch nie hatte er eine so schöne, betörende Frau gesehen. Sie brachte jedes Gespräch zum Verstummen, wenn sie eintrat, was sie jedoch nicht einmal zu bemerken schien. Und genau das war das Problem. Sie wirkte viel zu jung und arglos, um ohne Begleitung einen Ort wie diesen aufzusuchen.

Fen hatte das Getuschel einiger der Männer gehört und wusste daher, dass sie hier nicht sicher war. Die beiden Bardamen warfen ihr böse Blicke zu, weil das Interesse der Männer von dem Moment an, in dem sie hereinkam, nicht mehr ihnen galt. Aber auch dessen schien die Frau sich nicht bewusst zu sein. Sie hatte ein selbstsicheres Auftreten und schien den Raubtieren, die sie umgaben, keinerlei Beachtung beizumessen – und Raubtiere waren sie. Der einzige Grund, warum sie bisher noch nicht belästigt worden war, war der, dass Fen sehr deutlich gemacht hatte, dass sie unter seinem Schutz stand. Als einer der Männer begonnen hatte, sie anzumachen, war Fen augenblicklich aufgestanden. Das war alles. Er hatte sich einfach nur erhoben.

Der andere Mann hatte augenblicklich aufgegeben, und niemand hatte einen weiteren Versuch gewagt, aber es war nur eine Frage der Zeit, wie lange das so bleiben würde. Nach einer geflüsterten Unterhaltung, die Fen belauscht hatte, hatten drei Männer den Plan gefasst, ihr zu folgen, wenn sie das Lokal verließ und Fen einmal nicht da sein würde, um sie zu beschützen. Nein, das stimmte so nicht ganz, berichtigte er sich selbst. Unter den drei Männern waren nur zwei Verschwörer, und der dritte war ein Freund von ihnen, der sie zur Vernunft zu bringen versuchte. Fen hätte ihnen sagen können, dass es besser wäre, nicht auf das Gelingen dieses Plans zu wetten und auf ihren Freund zu hören, doch damit hielt er sich nicht auf. Stattdessen ließ er nur die Schultern rollen, ballte die Fäuste und entspannte sie wieder, streckte die Finger und senkte den Blick auf seine Hände, die solche tödliche Waffen sein konnten.

Dann beobachtete er die Frau im Spiegel. Er hatte gesehen, wie sie bei jedem Besuch in der Bar einen neuen Drink probierte, den sie offensichtlich jemand anderen trinken sah, und jedes Mal verzog sie das Gesicht, spuckte den Alkohol ins Glas zurück und ging von der Bar zu dem kleinen Bereich hinüber, wo sie tanzen konnte. Wieder schien sie allem anderen gegenüber völlig gleichgültig zu sein und sich ganz und gar in der Musik zu verlieren. Fen war sich sicher, dass sie nur des Tanzens wegen die Bar aufsuchte.

Sie sprach nie, nicht einmal mit dem Barmann, was Fen allmählich zu der Frage brachte, ob sie überhaupt sprechen konnte oder vielleicht stumm war. Ihre Haut war weiß wie Porzellan, als sähe sie nie die Sonne, ihr Haar schön und so lang, dass es ihr bis über die Taille fiel, als wäre es in ihrem Leben noch nicht oft geschnitten worden. Wahrscheinlich könnte sie sogar darauf sitzen. Wie immer trug sie es zu einem Zopf geflochten, der so dick war wie sein Handgelenk, seidig schimmerte und eine Farbe hatte, die er nicht bestimmen konnte. Wenn das Licht darauf fiel, schien sich der Farbton sogar zu verändern, was allerdings auch nur an seiner eigenen Wahrnehmung von Farben liegen könnte.

Und plötzlich ertappte sie ihn dabei, wie er sie anstarrte. Fen konnte nicht damit aufhören, und als sie beim Tanzen unvermittelt aufschaute, begegneten ihre Blicke sich im Spiegel. Im ersten Moment blieb ihm fast das Herz stehen, und dann begann es, wild zu pochen. Normalerweise hatten Frauen keine solche Wirkung auf ihn. Sein Mund wurde nicht trocken, seine Kehle schmerzte nicht, und seine Eckzähne verschärften sich nicht. Er hatte sich immer – immer – unter Kontrolle. Und doch … Als er Donner in seinen Ohren grollen hörte, atmete er tief durch und rief Jahrhunderte der Disziplin zu Hilfe.

Emotionen stumpften ab und verschwanden mit der Zeit. Die wenigen, die ihm geblieben waren, verspürte er, wenn er der andere war, aber nicht in dieser Gestalt. Manchmal vergaß er, wie es war, sich in seiner derzeitigen Gestalt zu befinden. Doch trotz seiner enormen Selbstkontrolle merkte er, als er der Frau in die Augen schaute, dass er nicht mehr wegsehen konnte. Sie verzauberte ihn. Fesselte ihn. Aber er traute ihr nicht – weder ihr noch seiner ungewohnten, sehr seltsamen Reaktion auf sie.

Ein heftiger Windstoß traf die Schenke, fuhr durch den Kamin herunter und ließ Funken aus dem Feuer aufsprühen. Ein Scheit fiel von dem Rost und rollte auf die Öffnung zu, wo es abrupt zum Halten kam, aber Flammen loderten empor und tanzten hoch in den Kamin hinein, während die Spalten in dem Scheit hell glühten. Fen blickte sich zum Fenster um. Der dichte Nebel, der aus dem Wald herankroch, legte sich um das Wirtshaus und schloss das ganze Gebäude wie in einem riesigen glitzernden Spinnengewebe ein.

Die Frau hörte auf zu tanzen und zog Fens Aufmerksamkeit wieder auf sich, als sie in das Feuer starrte, anscheinend genauso fasziniert davon wie er von ihr. Sie trat näher, und er ertappte sich dabei, dass er die Stirn runzelte und die Frau durch den Spiegel noch genauer beobachtete. In ihren Augen spiegelten sich die aufzüngelnden Flammen wider; die Linsen schienen so facettenreich zu sein, dass sie an geschliffene Diamanten erinnerten. Sie trat näher an den Kamin heran. Zu nahe. Es war ein offener, mit Bergen von glühender Asche und hungrig aufschlagenden Flammen gefüllter Kamin. Fen glitt von seinem Barhocker.

Langsam streckte sie eine Hand nach dem Feuer aus. Wenn sie so weitermachte, würde ihre Handfläche direkt über den Flammen landen. Mit blitzartiger Geschwindigkeit tauchte Fen hinter ihr auf, griff um sie herum nach ihrem Handgelenk und zog es zurück, bevor die Flammen ihre zarte Haut versengen konnten.

Für einen Moment versteifte sie sich, als wollte sie sich wehren, und er spürte eine hauchzarte, kaum wahrnehmbare geistige Berührung, die ihn zutiefst erschreckte. Wer war sie? Was war sie? Er hielt seine Barrieren jedoch mühelos aufrecht und achtete darauf, die Frau nur ganz behutsam zu berühren, um ihr kein Gefühl der Bedrohung zu vermitteln. Sie entspannte sich langsam wieder, und er atmete tief ihren Duft ein, da ihr Kopf seiner Schulter so nahe war, dass der dicke, seidige Zopf seine Haut streifte. Fen sog ihren Duft tief in seine Lugen. Sie roch wie die Sünde. Wie das Paradies und alles, was er nicht hatte – und niemals haben würde.

»Es ist heiß, das Feuer. Es wird Sie verbrennen«, sagte er leise, um von niemand anderem in der Bar gehört zu werden.

Sie war intelligent, das spürte er, aber irgendetwas war mit ihr geschehen, und offensichtlich gab es Dinge, die sie nie erfahren oder von denen sie keine Kenntnis hatte. Amnesie? Trauma? Eine andere Erklärung gab es nicht. Jeder kannte sich mit Feuer aus, und ihr mangelndes Wissen darüber machte sie umso verletzlicher.

»Sie werden sich die Haut verbrennen«, erklärte er ihr geduldig. »Und das wäre äußerst schmerzhaft für Sie.«

Sie fuhr fort, ihn mit großen, verwirrten Augen anzusehen. Er versuchte, die Warnung in mehreren anderen Sprachen zu wiederholen. Sie schaute ihn jedoch nur weiter an, und sie erregten langsam zu viel Aufmerksamkeit. Bei jeder ihrer Bewegungen zog sie die Blicke aller Anwesenden auf sich, und Fen wollte nicht, dass irgendjemand sie für eine leichte Beute hielt, weil sie sich offenbar nicht einmal mit den grundlegendsten Dingen wie Feuer auskannte. Am Ende sah er keine andere Möglichkeit, als um sie herumzutreten und seine eigene Hand, mit der Handfläche nach unten, in das Feuer zu halten.

Die Fremde schaute zu, und ihre Augen wurden immer größer, als seine Haut Blasen zu werfen begann und der Geruch von verbranntem Fleisch aufstieg. Dann ergriff sie plötzlich seinen Arm und riss seine Hand aus dem Kamin zurück.

»Verstehen Sie jetzt?«, fragte er und zeigte ihr die Verletzungen.

Wortlos drehte sie seine Hand um, sodass ihre Handfläche seine bedeckte, ohne die verbrannten Stellen zu berühren, und dennoch spürte er ihre Energie in seine Haut eindringen. Eine angenehme Kühle durchflutete die Blasen. Dann hob sie seine Hand an ihren Mund, und Fen stockte der Atem. Er konnte sich weder bewegen noch sprechen, als sie ihren Kopf auf seine Hand senkte. Ihre Zunge berührte die Blasen, ganz leicht, kaum spürbar nur, und trotzdem begann er zu zittern, und seine Knie wurden ein bisschen weich. Schlimmer noch – sein Körper reagierte mit einer Woge machtvoller Gefühle, die ihm das Blut in die Lenden trieb und ein fast schmerzhaftes Ziehen dort auslöste.

Nur langsam, ja fast widerstrebend gab sie seine Hand wieder frei. Fen hob sie an, um sie zu untersuchen, weil er noch immer diese angenehme Kühle darauf spürte, als hätte sie ein heilendes Gel auf die mit Blasen bedeckte Haut gegeben. Aber die Blasen waren verschwunden, das Brennen hatte aufgehört, und seine Hand war nicht einmal mehr gerötet.

Fen sog scharf den Atem ein. Nun wusste er, was sie war. Keine andere Spezies konnte so mühelos mit ihrem Speichel heilen. Sie konnte nur Karpatianerin sein – eine Rasse von Wesen, die in den Karpaten heimisch war. Nur wenigen war ihre Existenz bekannt. Fen runzelte die Stirn, als er versuchte, sich einen Reim auf all das zu machen, denn eigentlich ergab es keinen Sinn. Er bezweifelte, dass eine Karpatianerin allein eine Bar aufsuchen würde, und schon gar nicht solch eine verrufene Spelunke wie den Wilden Eber. Außerdem würde eine Angehörige dieser Spezies sich nicht nur mit Feuer auskennen, sondern auch gut geschult in allen anderen Dingen sein. Niemand lebte so lange wie Karpatianer, ohne im Laufe der Zeit Unmengen von Wissen anzusammeln. Was war ihr widerfahren? Und warum war sie nicht in Begleitung?

Er spürte einen scharfen Blick und sah, dass es Zevs war, als er aufschaute. Der Mann starrte die Frau so neugierig an, dass Fen instinktiv ein wenig die Haltung veränderte, damit sie nicht länger in Zevs Blickfeld war. Erstaunt schaute sie zu Fen auf, warf dann einen schnellen Blick um seinen kräftigen Körper herum zu Zev und trat rasch wieder hinter Fen.

»Sie sind an diesem Ort nicht sicher«, sagte er, obwohl er das nur ungern zugab. »Das ist eine raue Bande, die hier verkehrt.«

Sie lächelte ihn an. Lächelte! Sein Herz machte einen Satz, sein Magen verkrampfte sich, und das Blut rauschte heiß durch seine Adern. Ihre Zähne waren sehr weiß, ihre Lippen so voll und rot wie aus einer Vision. Er holte tief Luft, obwohl er wusste, dass das ein Fehler war, aber dennoch sog er den Duft der Frau in seine Lungen. Sog sie selbst tief in sich hinein und ließ sie dort verweilen und sein Innerstes aufwühlen, bis er wusste, dass er sie wiederfinden konnte – und würde.

Dann hob er sanft ihr Kinn an, um ihren Blick auf seinen Mund zu lenken. »Besonders Zev ist gefährlich«, formte er geräuschlos mit den Lippen, da er befürchtete, dass dieser Fremde das gleiche außergewöhnliche Gehör besaß wie er. »Die anderen auch, aber nicht so wie er. Verstehen Sie?«

Tatijana nickte. Natürlich verstand sie, obwohl die Auswirkung, die seine Berührung auf sie hatte, sie weit mehr beschäftigte als seine Warnung. Sie fühlte sich ganz eindeutig zu ihm hingezogen – zu diesem Mann, der sich in seinen Gedanken Fen nannte. Er erschien ihr menschlich wie alle anderen in dieser Bar, als sie ganz leicht an sein Bewusstsein rührte, und doch verwirrte er sie sehr. Er hatte sich mit blitzartiger Geschwindigkeit bewegt. Mit übernatürlicher Geschwindigkeit. Wie konnte er also menschlich sein und sich trotzdem mit der Schnelligkeit eines Karpatianers bewegen? Und noch etwas: Sie hatte keine Energie gespürt, die seiner Bewegung vorausgegangen war, und das war sehr ungewöhnlich.

Er war auch sehr viel muskulöser als die meisten karpatianischen Männer, obwohl er deren Größe hatte. Seine Augen waren anders, und sie hatte schon mehr als genug Zeit damit verbracht, ihn heimlich zu beobachten, wenn er an der Bar vor seinem Drink gesessen hatte. Er trank nicht wirklich davon, und trotzdem verschwand die gelbe Flüssigkeit nach und nach aus seinem Glas. Tatijana hatte noch nicht herausgefunden, wie er das zustande brachte, wusste jedoch, dass sie es lernen wollte.

Warum hatte er Zev als besonders gefährlich hingestellt? Ihr selbst erschien der Mann wie jeder andere Mensch in diesem Lokal. »Warum Zev?« Sie war sehr geübt darin, von den Lippen abzulesen. Schon vor langer Zeit, als Kind, hatte sie es gelernt, als sie, eingeschlossen in Eis, die Grausamkeit ihres Vaters hatte mitansehen müssen, wenn er Tiere und Menschen gleichermaßen geopfert hatte. Niemand war vor ihm sicher gewesen. Magier, Karpatianer, Jaguare, Lykaner – keine Spezies wurde von ihm verschont. Nicht einmal die Toten waren vor Xavier sicher.

Sie sah Fen an und formte ihre Frage mit den Lippen, um sicherzugehen, dass ihr nicht versehentlich ein Laut entwich, falls er tatsächlich Karpatianer war. Sie fühlte sich unerklärlich stark zu ihm hingezogen, aber da er so geheimnisvoll, ja rätselhaft war, wollte sie nichts riskieren. Tatijana war noch nicht bereit dazu, sich von irgendeinem Mann beanspruchen zu lassen. Sie brauchte Zeit für sich allein, und da man ihr alles über Seelengefährten erzählt hatte, wusste sie, dass ein Mann sich ihr Leben sogar ohne ihre Zustimmung zu eigen machen könnte. Das durfte nicht passieren – nicht ihr. Nicht jetzt, da sie zum ersten Mal in ihrem Dasein ihr Leben tatsächlich genoss. Ihre Entdeckungsreisen waren aufregend und beglückend. Sie fühlte sich ungemein lebendig, und sie wollte nicht, dass irgendetwas oder -jemand ihr das wieder nahm.

Im Grunde war sie nicht einmal ganz sicher, ob sie überhaupt eine Beziehung zu jemandem haben könnte – oder jedenfalls eine gesunde. Denn dazu wäre Vertrauen nötig, und das hatte sie ganz einfach nicht. Nur Branislava, ihrer einzigen Verbündeten, vertraute sie. Sie waren so viel zusammen gewesen, dass die Vorstellung, getrennt zu sein, sehr schwierig war, doch Tatijana wusste auch, dass sie diese Zeit für sich allein ganz dringend brauchte. Wie sollten sie herausfinden, wer sie waren und was sie mochten, wenn sie nie die Zeit hatten, Klarheit über diese Fragen zu erlangen?

»Weil ich es weiß«, antwortete auch Fen nur mit den Lippen. Dann streckte er die Hand aus und strich ihr eine lose Haarsträhne hinter das Ohr.

Tatijana stockte der Atem. Seine Berührung bewirkte etwas Seltsames – und Beunruhigendes – in ihrem Körper. Sie trat zurück, aber sie konnte nicht die Augen von ihm abwenden.

Das Heulen eines Wolfes in einiger Entfernung draußen ließ sie beide gleichzeitig zum Fenster herumfahren. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass auch Zev auf das Geräusch reagiert hatte, und Fen bemerkte seine plötzliche Bewegung ebenfalls. Soweit sie sehen konnte, hatte jedoch niemand sonst das schaurige Geräusch gehört.

Denn dies war kein Wolf, der den Mond anheulte, sondern einer, der andere zur Jagd aufrief. Mindestens drei weitere Wölfe antworteten, aus noch größerer Ferne sogar, aber sie hörten sich nicht wie das Wolfsrudel aus dieser Gegend an. Sie klangen angriffslustig und entschlossen, als hätten sie schon Beute in Sicht. Vor allem jedoch hörte sich der Ruf in Tatijanas Ohren ein wenig unecht an, so als wären die Wölfe … andersartig.

Ihr Blick richtete sich auf Fens Gesicht. Es war wie versteinert, völlig regungslos. Er hatte keine Miene verzogen, und trotzdem spürte sie die Veränderung in ihm. Obwohl er nach außen hin einen entspannten Eindruck machte, fühlte sie seine Anspannung und Kampfbereitschaft.

»Ich muss gehen«, formte sie mit den Lippen und trat einen weiteren Schritt zurück.

Sofort galt seine ganze Aufmerksamkeit wieder ihr. Er runzelte die Stirn und blickte erneut aus dem Fenster. »Ich begleite Sie.« Diesmal sagte er es laut.

Köpfe wandten sich ihnen zu. Zwei der Männer setzten eine finstere Miene auf; es waren die, die flüsternd vereinbart hatten, der schönen Fremden zu folgen. Ihr Freund hatte sie offenbar nicht überzeugen können, obwohl er noch immer auf sie einzureden schien.

Tatijana hatte erwartet, dass es früher oder später geschehen würde, aber sie wusste auch, dass sie sich nur in Nebel aufzulösen brauchte, um zu verschwinden. Deshalb verließ sie sich voll und ganz darauf, dass sie sicher sein würde, was immer auch geschehen mochte.

Ihr war jedoch auch bewusst, dass Fen seine Absicht, sie zu begleiten, laut verkündet hatte, weil er sie vor den Männern in der Schenke beschützen wollte – und vielleicht auch vor dem, was dort draußen wartete, was immer es auch sein mochte. Ihr erster Impuls war, sein Angebot freundlich abzulehnen – aus reinem Selbsterhaltungstrieb heraus, weil sie mit keinem Mann eine nähere Bekanntschaft wünschte. Doch da war auch dieser fast zwanghafte Wunsch in ihr, bei Fen zu sein, auch wenn es keinen erkennbaren Grund dafür gab.

Nur deshalb riskierte sie es, ein weiteres Mal an seinen Geist zu rühren. Er schien ein ganz normaler Mann zu sein … Vielleicht war es ja der faszinierende Widerspruch, den er verkörperte, oder seine ungeheure Anziehungskraft, doch sie nickte ihm zu, um ihn wissen zu lassen, dass sie ein paar Schritte mit ihm gehen würde. Schließlich wusste sie, dass sie auch ihn beschützen konnte, falls es Ärger geben sollte.

Zev entfernte sich von der Bar, knöpfte seinen Mantel zu und verließ die Schenke, ohne auch nur einen Blick in ihre Richtung zu werfen. Als wären Fens Worte ein Signal gewesen, steckten die drei Verschwörer die Köpfe zusammen, tuschelten miteinander und standen auf, um ihre Mäntel und Hüte anzuziehen, bevor auch sie das Lokal verließen. Einer der Männer warf Fen einen etwas nervösen Blick zu, während die anderen beiden lüstern nach Tatijana schielten.

Ihr wurde schwer ums Herz. Offensichtlich brachte sie Fen in Gefahr, wenn sie mit ihm ging. Sie öffnete den Mund, um zu sagen, dass sie doch lieber auf seine Begleitung verzichtete, doch er nahm ihre Hand und zog sie zur Tür. Kaum griff die Wärme seiner Haut auf ihre über, schlug ihr Herz gleich höher, und eine Million Schmetterlinge schienen in ihrem Bauch zu erwachen. Seine Hand war viel größer als ihre, die in seiner geradezu verschwand, und diese Tatsache gab Tatijana das Gefühl, sehr feminin und zu sein – eine brandneue Erfahrung für sie.

Sie wollte nicht, dass dieses unglaubliche Gefühl verging. Außerdem war sie sicher, dass sie Fen beschützen konnte, ohne ihm zu zeigen, was sie war. Wenn nötig, würde sie alle schlechten Erinnerungen in ihm auslöschen. Und zudem brauchte sie Nahrung. Es war also gar nicht so schwer, sich einzureden, dass sie sehr gute Gründe hatte, sich von Fen durch den Wald begleiten zu lassen.

»Wo ist dein Mantel?«, fragte er.

Mantel. Jeder trug hier einen Mantel. Karpatianer konnten ihre Körpertemperatur regulieren, und Tatijana verspürte weder Hitze noch Kälte, was auch der Grund dafür war, dass sie die Flammen nicht gespürt hatte. Aber Karpatianer scheuten auch keine Mühen, um sich in die menschliche Gesellschaft einzufügen, weil niemand etwas von ihrer Existenz erfahren durfte. Das war eine der wichtigsten Regeln innerhalb ihrer Gesellschaft. Bevor sie und Bronnie zur Heilung unter die Erde gebracht worden waren, hatte man ihnen diese Regel eingebläut. Und nun hatte sie doch tatsächlich vergessen, dass die Menschen Mäntel trugen!

Schnell blickte sie zu den Kleiderhaken an der Tür hinüber, an denen viele der Gäste ihre Jacken und Hüte aufhängten. Sofort erschien ein langer Mantel mit Kapuze dort – und Tatijana warf einen raschen Blick in den Spiegel, froh, dass niemand es bemerkt zu haben schien. Dann deutete sie mit dem Kinn auf den Kapuzenmantel. Falls Fen verwundert war, ließ er es sich nicht anmerken. Er nahm einfach nur den langen Mantel von dem Haken und hielt ihn auf.

Tatijana zögerte, nicht ganz sicher, wie sie sich jetzt zu verhalten hatte. Aber Fen trat schon näher, schob einen ihrer Arme in den Ärmel und zog den Mantel über ihren Rücken. Dann wartete er geduldig, während sie in den zweiten Ärmel schlüpfte. Als das erledigt war, drehte er sie um und knöpfte ihr den Mantel zu. Und die ganze Zeit über, während er jeden Knopf in die dafür vorgesehene Öse schob, stand sie mit angehaltenem Atem da und starrte ihm ins Gesicht.

Er war schön. Trotz der Narben in dem harten, eckigen, sehr männlichen Gesicht war er ein schöner Mann. Sie prägte sich seinen Knochenbau, die Form seiner Nase, den Schnitt seines Mundes und sein starkes Kinn genau ein, weil sie sich ihr Leben lang an ihn erinnern wollte – an ihn und diesen Augenblick. Vielleicht würde sie nie wieder einen solchen Moment oder ein solches Gefühl erleben, und dies war ein Augenblick, der ausgekostet werden musste.

Fen griff um sie herum und öffnete die Tür. Ein kalter Windstoß fuhr herein. Tatijana hob das Kinn, um tief die frische Nachtluft einzuatmen und sich vom Wind mit Informationen versorgen zu lassen. Fen trat so dicht vor ihr aus der Tür, dass sein Körper ihren vor den Elementen schützte. Ohne ihre Hand loszulassen, sah er sich wachsam um.

Graue Nebelschleier hüllten die Schenke ein und verdeckten die Aussicht auf den Wald. Die Baumkronen, die sich geisterhaft aus dem Dunst erhoben, sahen aus, als schwebten sie ohne Stämme über den dichten Schwaden.

»Wohin?«, fragte Fen.

Tatijana zeigte nach links in Richtung Wald. Die Wölfe waren verstummt, und sie hoffte, dass sie noch immer weit entfernt von ihnen waren. Fen zog sie an der Hand ein weniger näher an sich heran, bevor sie losgingen. Sie nahm den urwüchsigen, erdhaften Geruch nach altem Wald wahr, der Fen anhaftete. Sie mochte diesen Duft, weil er für sie Freiheit und Unabhängigkeit versinnbildlichte und beides etwas war, das sie sich mehr als alles andere wünschte.

Auch die Nacht selbst roch verführerisch. Es war eine kühle Nacht mit einem mitternachtsblauen, sternenübersäten Himmel und einem hell leuchtenden Mond. Dieser schwer zu beschreibende Duft beschwor alles herauf, was Tatijana in der kurzen Zeit seit ihrer Befreiung aus ihrem Gefängnis zu lieben gelernt hatte. Außerdem wollte sie in Fens Nähe bleiben und ihre Lungen mit ihm und seinem Duft füllen, um ihn so tief in sich aufzunehmen, dass sie ihn nie wieder vergessen würde.

»Verrate mir deinen Namen! Ich bin Fen. Fenris Dalka«, sagte er, während er mit absolutem Selbstvertrauen weiter in den Wald hineinschritt. Er schien ein Mann zu sein, der Furcht nicht kannte.

Sie blickte zu ihm auf, betrachtete ihn ausgiebig und rührte noch einmal prüfend an seinen Geist, um sicher sein zu können, dass sie nicht gefährdet war. Dann öffnete sie den Mund, um ihm ihren Namen zu sagen, musste jedoch feststellen, dass sie es nicht konnte. Irgendetwas hielt sie davon ab. Dieser seltsame Drang, bei ihm zu sein, war viel zu stark. Vielleicht war sie einfach noch zu neu für sie, diese Anziehung zwischen einem Mann und einer Frau. Tatiana hatte so etwas noch nie zuvor erlebt. Sie hatte sich niemals auch nur im Mindesten zu jemand anderem in der Schenke hingezogen gefühlt, nicht einmal ein kleines bisschen. Bei dem Gedanken schüttelte sie den Kopf und lächelte Fen an.

Er erwiderte das Lächeln. »Du weißt offenbar, wie faszinierend geheimnisvolle Frauen sind, nicht wahr? Das reizt mich nur noch mehr. Und übrigens kann ich von den Lippen ablesen«, fügte er hinzu.

Da sie wollte, dass er ihren Namen kannte, formte sie »Tatijana« mit den Lippen und hob jede Silbe hervor, damit es leichter für ihn war. Er verstand den Namen jedoch gleich beim ersten Mal.

»Tatijana ist ein schöner Name. Lebst du hier in der Nähe?«

Sie zuckte mit den Schultern, zufrieden, einfach nur Hand in Hand mit ihm zu gehen. Sie musste jeden Moment mit ihm in ihrem Bewusstsein speichern. Eigentlich müsste sie ihm ihre Hand entziehen, denn schließlich kannte sie ihn nicht einmal. Und sie kannte auch nicht die Verhaltensregeln zwischen Mann und Frau, doch für diesen einen Moment und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich wie eine ganz normale Frau. Normal und sehr real. Sie war keine Karpatianerin und keine Drachensucherin. Sie war auch nicht die Tochter eines Magiers, sondern einfach nur eine Frau, die sich an der Gesellschaft eines Mannes erfreute.

»Ich habe einmal hier gelebt, doch das ist lange her«, erzählte Fen von sich aus. »Und ich bin auch nur zu einem kurzen Besuch zurückgekommen und muss bald wieder fort.« Er ließ den Blick über die dunklen Umrisse der Bäume gleiten, die sich aus dem grauen Dunst erhoben. »Ich hatte vergessen, wie schön es hier ist.«

Tatijana stimmte ihm im Stillen zu. Sie hätte tanzen können in dem dunklen Wald, so glücklich war sie. Etwas so Simples, wie einen nächtlichen Waldspaziergang zu unternehmen, durchflutete sie mit wilder Freude, und Fens Gesellschaft war ein zusätzliches Geschenk. Sie nickte zu seinen Worten und kam sich ein bisschen albern vor, weil sie nicht laut sprach, aber vielleicht dachte er ja, sie könnte es nicht. Es kümmerte sie nicht einmal, ob er sie deswegen vielleicht bemitleidete, obwohl sie nichts dergleichen fand, als sie seine Gedanken durchleuchtete. Was sie fand, war … Hingezogenheit.

»Lebst du schon lange hier?«, fragte er.

Sie blickte ihm prüfend ins Gesicht, doch obwohl sein Ton ihr das Gefühl gab, als wäre sie der wichtigste Mensch auf der Welt für ihn und als wollte er eine Antwort hören, schaute er sie nicht an. Sein Blick war ruhelos und bewegte sich unaufhörlich zwischen den Ästen der Bäume und dem Boden hin und her. Es war, als versuchte er, mit seinem Blick den dichten Nebelschleier zu durchdringen.

War ihr etwas entgangen? Irgendeine Warnung? Auch sie schaute sich prüfend um und sandte ihre Sinne aus, um alles sorgfältig zu durchleuchten und eine mögliche Bedrohung aufzuspüren. Weiter vorn und ein wenig links von ihnen standen versteckt zwischen den Bäumen die drei Männer, die das Lokal nach Zev verlassen hatten. Tatijana seufzte. Natürlich. Sie hatte ja gewusst, dass sie versuchen würden, an sie heranzukommen. Sie hatte sich in eine magische Welt davontragen lassen, in der es keine Gefahren gab. Alles und jeder, der sie hier bedrohen könnte, erschien geradezu belanglos im Vergleich zu Xavier.

Sie berührte Fens Arm. »Ich muss gehen«, formte sie mit den Lippen. »Du kannst jetzt umkehren.«

Sie wollte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen. Tatijana war nicht sicher, dass er menschlich war, doch wenn er es war und es zu einem Kampf käme, wären drei gegen einen nicht fair, und wenn Fen noch so groß war und gefährlich aussah. Sie dagegen konnte sich in Dunst auflösen, und sie würden sie nicht finden, doch Fen musste beschützt werden, wenn nötig auch vor seiner eigenen Ritterlichkeit.

Er verhielt abrupt den Schritt. »Du weißt, dass sie dort sind, nicht?«

Sie nickte widerstrebend, weil sie sich damit verriet. Doch andererseits hatte auch er sich mit dieser Bemerkung verraten. Die drei Männer befanden sich in einer Entfernung, in der sie bei dem dichten Nebel und im Schutz der eng zusammenstehenden Bäume für menschliche Augen unmöglich zu sehen waren.

»Ich kümmere mich um sie, während du verschwindest.«

Tatijana schüttelte den Kopf. Sie hatte schon befürchtet, dass er zu der Art von Mann gehörte, deren Beschützerinstinkt stark ausgeprägt war. Deshalb sandte sie ihm einen kleinen »Impuls« zu, sie allein zu lassen. Als er sie daraufhin finster ansah und die Brauen zusammenzog, wusste Tatijana, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Fen war weit mehr, als er zu sein schien, und dieser kleine »Impuls«, den sie an ihm ausprobiert hatte, war viel zu aufschlussreich für ihn gewesen.

Was war er? Ein Magier? Das glaubte sie nicht. Sie war jahrhundertelang von dem mächtigsten Magier, den die Welt je gekannt hatte, gefangen gehalten worden, und Fen ähnelte ihm ganz und gar nicht, weder körperlich noch geistig, wie sie beim Durchleuchten seiner Gedanken gesehen hatte. War er ein Jaguarmensch? Auch das glaubte sie nicht. Damit blieben nur noch Karpatianer und Lykaner. Wenn er Karpatianer wäre, hätte sein Energiefeld es ihr schon verraten. Lykaner waren die einzige andere Spezies, die nicht dieses für andere sichtbare Energiefeld erzeugte.

Sie beschloss, es darauf ankommen zu lassen. »Ich kann mich sehr gut selbst verteidigen. Du musst gehen. Diese Männer verfolgen mich, nicht dich.«

Kapitel 2

Fen erstarrte förmlich, während die Erde unter seinen Füßen zu erbeben schien und die Bäume um sie herum ins Schwanken gerieten. Er hatte schon fast vergessen, dass er Karpatianer war. Er hatte so lange als Abscheulichkeit gelebt, die als schlimmer erachtet wurde als bösartige Wölfe oder abtrünnige Rudel, die gejagt und getötet werden mussten. Seine Art, der Mischling, konnte in der Lykaner-Welt nicht geduldet werden.

Er war sowohl Karpatianer als auch Lykaner, und diese Mischung machte ihn zu einem Ausgestoßenen. Seit Jahrhunderten hatte er mit der Bedrohung eines über ihn verhängten Todesurteils leben müssen. Deshalb konnte es für ihn keine Seelengefährtin geben, das war unter den gegebenen Umständen völlig ausgeschlossen. Diesen sinnlosen Traum hatte er schon lange aufgegeben. Seine Lungen brannten, und plötzlich merkte er, dass er den Atem anhielt. Tatijana blickte mit ihren erstaunlich grünen Augen zu ihm auf, deren Farbe jetzt von ihrem tiefen Smaragdgrün zu einem faszinierenden, facettenreichen Aquamarin wechselte.

Sie wusste es. Die Anzeichen waren die ganze Zeit für beide da gewesen, aber sie hatten sie ignoriert, sie missverstanden oder schlicht und einfach nicht geglaubt. Auf einer trügerischen, absolut irrealen Ebene hatte er sein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet. Und sie existierte, seine Seelengefährtin! Die eine Frau, die die andere Hälfte seiner Seele in sich trug! Sie war das Licht in seiner Dunkelheit und brachte richtige Farben und wahre Gefühle in sein Leben zurück.

Und das alles fand auf einmal statt, im selben Augenblick. Plötzlich waren die Gefühle wieder da, die Farben. Tatijanas Haar war rotgolden, wie er jetzt sah, auch wenn es im Schatten zu dunkleren, mehr roten als goldenen Tönen wechselte. Für einen Moment ließ er sich einfach nur von seinen Emotionen überfluten. Er wollte irgendwohin gehen, wo nur Liebe sein würde, mit dieser Frau, diesem unglaublichen Wunder, das vor ihm stand und mit großen, erschrockenen Augen zu ihm aufblickte.

Furcht flackerte in ihrem Blick auf, und würde sie auch nur die Hälfte seiner Geschichte kennen, würde sie jetzt um ihr Leben laufen. Fen legte sanft eine Hand an ihre Wange und strich mit dem Daumen über ihre seidenweiche Haut. Sein Herz geriet ins Stottern, und das Blut dröhnte ihm in den Ohren.

»Meine Liebste«, sagte er leise und bedauernd. »Ich würde alles dafür geben, dich an mich zu binden, doch dein Schutz geht vor. Du darfst nicht in meiner Nähe sein. Ich bin zum Tode verurteilt, und jeder, der mir Zuflucht gewährt oder in anderer Weise hilft, wird mit mir sterben. Und falls sie dich finden und erkennen, was du bist, werden sie nichts riskieren, sondern auch dich umbringen.«

Tatijana blickte auf. Fens Erklärung war das Letzte, was sie erwartet hatte. Sie hatte sich für seine Inanspruchnahme gewappnet, für die Worte, von denen sie wusste, dass sie ihre Seelen für alle Zeit verbinden würden. Danach würde es kein Leben mehr ohne ihn geben und keine kostbare Freiheit mehr – gerade das, was sie sich über alles wünschte.

»Warum sollte dich jemand töten wollen?« Sie klang nur ein klein wenig vorwurfsvoll und leicht verstimmt. Dann blickte sie zu den drei Männern hinüber, die sich in der Ferne zwischen den Bäumen verborgen hielten. Sie warteten darauf, das Paar aus dem Hinterhalt zu überfallen, und würden nicht durchs Unterholz kriechen – zumindest nicht, bis sie mehr Mut gesammelt hatten. »Was hast du dir zuschulden kommen lassen?«

Bei ihrem ein wenig anklagenden Tonfall erschien ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht. »Tu nicht so, als wolltest du von mir beansprucht werden! Du hast dich nach Kräften bemüht, mich an der Erkenntnis zu hindern, dass du meine Seelengefährtin bist. Ich glaube nicht, dass weibliche Empörung und Verärgerung die richtige Reaktion sind. Eigentlich müsstest du vor Freude tanzen.«

»Nun, das tue ich aber nicht. Tanzen vor Freude, weil du mein Seelengefährte bist, meine ich. Ich kann im Moment keinen Gefährten haben, weil ich genug mit mir selbst zu tun habe.«

Sein Grinsen verwandelte sich in ein Lächeln, das seine Züge weicher und ihn noch anziehender machte. Seine Augen waren erstaunlich. In der Schenke waren sie von einem hellen, kalten Blau gewesen wie das Eis in den Höhlen, das so lange Tatijanas Zuhause gewesen war. Sie hatte sich wie magisch angezogen gefühlt von seinen Augen. Doch nun waren sie von einem tieferen, intensiveren Blau, das sie an die glitzernden Saphire erinnerte, die sie in Xaviers Versteck für Juwelen und Artefakte gesehen hatte, die er für seine Magie benutzte. Sie hatte absolut nicht das Gefühl, dass es ihre Schuld war, dass sie sich wie ein Dummkopf verhielt – nicht bei einem Mann, der derart blaue Augen hatte.

Sie hob die Hand. »Aber die Sache ist die, Fen: Ich werde meinen Seelengefährten – oder auch jeden anderen Karpatianer – nicht im Stich lassen, wenn er Probleme hat. Weshalb bist du zum Tode verurteilt worden und von wem?«

Er schüttelte den Kopf. »Du weißt, wie man die Dinge kompliziert, nicht wahr?«

Tatijana gefiel der Gedanke, dass sie sein Leben komplizierter machen konnte, er gefiel ihr sogar sehr. Diese Erfahrung hatte sie noch nie gemacht und war daher ziemlich stolz auf ihre Fähigkeiten.

Fen lächelte noch breiter, und erst da wurde ihr bewusst, dass sie nicht darauf geachtet hatte, ihr Bewusstsein vor ihm zu verschließen. Er war dort, bevor sie wusste, wie ihr geschah, durchströmte sie mit Wärme, füllte jede öde, einsame Stelle in ihr aus, verschmolz mit ihrem Geist und verband sie miteinander. Sie erhielt kurze Einblicke in seine Erinnerungen, die sie aber äußerst seltsam fand und die irgendwie überhaupt nicht wie die eines Karpatianers wirkten.

»Es macht dir Spaß, mich auf den Arm zu nehmen«, beschuldigte er sie, doch das Lachen in seiner Stimme und die Wärme in seinen unglaublich blauen Augen bewiesen, dass er keineswegs verärgert war.

Ihres Wissens hatte sie noch nie jemanden »auf den Arm genommen« und brauchte einen Moment, um die unbekannte Redewendung zu übersetzen, aber dann dachte sie, dass er recht hatte und es ihr wirklich Spaß machte, ihn »auf den Arm zu nehmen«. Er bot ihr ja auch so viele neue und aufregende Erfahrungen. »Ja, das stimmt«, gestand sie, doch dann verblasste das Lächeln auf ihrem Gesicht. »Diese drei Männer, die darauf warten, mich zu überfallen, stellen für uns beide keine wirkliche Bedrohung dar, aber du scheinst sehr ernst zu meinen, was du über dieses Todesurteil sagtest. Ist dieser Zev hinter dir her? Hast du deshalb gesagt, gerade er sei sehr gefährlich?«

Fen seufzte und zog ihre Hand an seine Brust. »Du wirst wirklich auf einer Erklärung bestehen, nicht? Falls jemand herausfindet, dass du Bescheid weißt, werden sie auch hinter dir her sein.«

Tatijana schob das Kinn vor. »Ich habe keine Angst, Fen. Ich habe Ungeheuern gegenübergestanden, die du dir nicht einmal vorstellen kannst …« Ihr Blick glitt prüfend über seine harten Züge und die scharfen Linien in seinem Gesicht. »Oder vielleicht ja doch. Aber der Punkt ist, dass ich nicht vor Schwierigkeiten davonlaufe und mich auch nicht verstecken werde. Also sag mir schon, warum man dich töten will!«

»Also gut. Es ist Jahrhunderte her, doch damals war ich auf der Jagd nach einem besonders grausamen Vampir. Einem solch mächtigen und brutalen, wie ich noch nie zuvor einem begegnet war. Er zerstörte ganze Dörfer und tötete all ihre Bewohner, aber aus irgendeinem Grund konnte ich ihn überhaupt nicht spüren, weder seine Energie noch irgendwelche anderen Merkmale, durch die man einen Vampir aufspüren kann. Wenn man Vampire jagt, ist es manchmal das, was nicht da ist, was sie verrät, doch er war mir immer einen Schritt voraus. Mithilfe seiner Verwüstungen konnte ich ihn zwar verfolgen, aber ich schaffte es einfach nicht, ihm je zuvorzukommen.«

Fen hielt inne und blickte sich nach den drei wartenden Männern um, woran Tatijana sofort erkannte, dass er sie die ganze Zeit über belauscht hatte. Karpatianische Jäger besaßen enorme Fähigkeiten und waren sich ihrer Umgebung jederzeit bewusst, selbst wenn sie sich vollkommen auf eine Sache – oder Person – zu konzentrieren schienen.

Sie war ein bisschen enttäuscht, dass sie nicht seine ganze Aufmerksamkeit gehabt hatte, so wie er die ihre. »Weißt du, diese Männer bringen mich jetzt ernsthaft auf die Palme«, sagte sie und wollte auf sie zumarschieren, wobei sie ganz vergaß, dass Fen noch ihre Hand hielt. So schaffte sie zwei Schritte und kam zu einem abrupten Halt. Ärgerlich fuhr sie herum und funkelte ihn an. »Was tust du?«

»Ich frage mich, was du vorhast«, erwiderte er mit erhobener Augenbraue.

Brüsk wandte sie sich wieder den Männern zu. »Ihr widert mich an, ihr drei«, rief sie. »Wenn ihr vorhabt, uns zu überfallen, dann bringt es hinter euch! Ich versuche hier, ein wichtiges Gespräch zu führen, und Fen hat euretwegen Schwierigkeiten, sich darauf zu konzentrieren. Also fasst endlich Mut und kommt ans Licht, wo wir beide euch erledigen werden, oder zieht den Schwanz ein und schleicht euch heim!«

Fen brach in schallendes Gelächter aus. Dieses tiefe, ein wenig heisere Geräusch war so unerwartet und so maskulin, dass es in ihrem Körper nachzuhallen schien und kleine Stromstöße durch ihre Blutbahn sandte.

»Ich habe keine Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren«, sagte er, vielleicht eine Oktave leiser. »Ich nehme jedes Wort von dir zu Kenntnis.«

Sie rümpfte ein wenig ihre hübsche kleine Nase. »Du solltest mir etwas erklären. Wenn der Seelengefährte einer Frau sich weigert, sie zu beanspruchen, sollte es eine vernünftige Erklärung dafür geben.«

»Du willst doch gar nicht, dass ich dich für mich beanspruche«, erinnerte er sie.

»Das hat damit nichts zu tun.«

Fen merkte, dass er grinste. Die drei im Unterholz wartenden Menschen besprachen, wie sie weiter vorgehen sollten, nachdem sie nun nicht mehr auf den Überraschungseffekt bauen konnten. Der eine von ihnen versuchte noch immer, den anderen beiden klarzumachen, dass sie betrunken waren und sich in Schwierigkeiten bringen würden. Er könne nicht zulassen, dass sie einer Frau etwas antaten, beharrte er.

Fen achtete nicht weiter auf das Gerede der Männer; er war aufrichtig fasziniert von der Frau, die ihm schon beinahe auf der Nase herumtanzte. In der Regel waren Karpatianerinnen groß und hatten dunkles Haar, aber Tatijana war eher zierlich und hatte helle, sich ständig verändernde Haare und erstaunlich grüne Augen.

Er war fast geblendet von den lebhaften Farben, die er nach all den Jahrhunderten sah, in denen es für ihn nur fleckige, trübe Töne gegeben hatte. Und obwohl die Intensität seiner Gefühle ihn nahezu überwältigte, war er doch voller Freude über seine neu erwachten Emotionen.

»Ich will eine Erklärung von dir, und als deine Seelengefährtin glaube ich auch, eine zu verdienen.« Sie klang schnippisch und ein wenig von oben herab.

»Und komme, was da wolle, du wirst auf keinen Fall das Vernünftigste tun und mich verlassen?«, versetzte er.

Sie hatte ihn. Das Geheimnisvolle und Faszinierende an ihr zog ihn fast ebenso sehr an wie der Ruf ihrer Seele nach der seinen. Die Anziehung zwischen ihnen war sehr stark, und er war nicht sicher, ob er letztendlich die Kraft haben würde, Tatijana gehen zu lassen.

»Natürlich nicht. Glaubst du, ich bin ein Feigling?« Wie eine störrische Stute warf sie den Kopf zurück und deutete auf die drei Männer, die jetzt mit leiser Stimme und in dem Glauben, sie könnten nicht belauscht werden, miteinander stritten. »Wie sie? Ich bin Karpatianerin. Ich mag zwar keine praktische Kampferfahrung haben, aber ich kann dir garantieren, dass ich alle Arten von Feinden kenne und weiß, wie man sie am besten schlagen kann. Ich werde weder vor einem Kampf davonlaufen, noch werde ich mir von irgendjemand anderem etwas befehlen lassen.«

Sie war … fantastisch. Der Mond war teilweise verdeckt von Nebelschleiern, doch ihr langer Zopf schien geradezu Funken zu sprühen.

»Und woher hast du deine Kenntnisse?«, fragte Fen.

Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist der Name meines Vaters dir bekannt. Er war der mächtigste Magier aller Zeiten und nannte sich Xavier. Er war ein falscher Freund der Karpatianer und brachte sie jahrelang dazu zu glauben, das Bündnis zwischen Magiern und Karpatianern sei ein starkes. Er wollte Unsterblichkeit erlangen, doch die Karpatianer verrieten ihm nicht ihr Geheimnis. Er tötete den Seelengefährten meiner Mutter und hielt sie gefangen, wie es nur der machtvollste Magier konnte. Er zwang sie, Kinder mit ihm zu haben, und sie bekam Drillinge, zwei Mädchen und einen Jungen. Meine Schwester Branislava, meinen Bruder Soren und mich. Er brauchte uns unseres Blutes wegen.«

Fen war schockiert und wusste, dass es ihm anzusehen war. »Ich habe vor Jahrhunderten bei diesem Mann studiert. Wir alle taten es. Und niemand wusste etwas von seiner Niedertracht?«

Tatijana schüttelte den Kopf. »Meine Schwester und ich wurden von Geburt an in seinem Unterschlupf tief unter dem Eis gefangen gehalten, wo er sich von unserem Blut ernährte und uns so immer in geschwächtem Zustand hielt. Unsere Mutter hatte uns vollständig verwandelt, als ihr klar wurde, was Xavier vorhatte, in der Hoffnung, dass wir einen Weg finden würden zu entkommen. Er tötete sie, sobald er merkte, dass wir ihn mit dem Blut versorgen konnten, nach dem es ihn so sehr verlangte.«

Fen war den Karpaten jahrhundertelang ferngeblieben, und sein Bruder Dimitri hatte noch keine Zeit gehabt, ihm viel Neues zu erzählen. Zu erfahren, dass ein solch großartiger Magier wie Xavier sie verraten hatte und derartige Schandtaten an einer Karpatianerin und seinen eigenen Kindern verübt hatte, ließ Fens Blut gefrieren. Er hatte Täuschung und Falschheit in Gestalt von Vampiren erlebt, aber von jemandem, den sein Volk als solch guten Freund und Verbündeten betrachtet hatte – nein, da erschien Xaviers Verrat noch weitaus schlimmer. Sie alle hatten ihm vertraut.

»Wie lange wurdet ihr gefangen gehalten?«

Zum ersten Mal sah er Tatijana zögern. Ihre Hand zitterte, als sie sich eine lose Haarsträhne zurückstrich. Fen bedeckte ihre Hand mit seiner.

»Mein ganzes Leben. Jahrhunderte. Bis vor zwei Jahren hatten wir die Eishöhlen nie verlassen. Und dann waren wir zur Heilung in der Erde«, gab sie zu.

»Und der Prinz erlaubt dir, ganz allein irgendwohin zu gehen? Unbeschützt von seinen Jägern?« Er gab sich keine Mühe, den Ärger oder die Empörung in seiner Stimme zu verbergen.

Tatijana schüttelte schnell den Kopf. »Er hat keine Ahnung, dass ich aufgewacht bin. Keiner von ihnen weiß es. Unsere Beschützer glauben, wir seien in Sicherheit unter der Erde. Aber ich brauchte das Gefühl von Freiheit.« Sie suchte seinen Blick. »Ich brauchte das hier.«