Highway to Love - Christine Feehan - E-Book
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Highway to Love E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Anya ist ihr ganzes Leben lang auf sich allein gestellt und wünscht sich nichts sehnlicher als eine Familie und einen Mann, der bedingungslos hinter ihr steht und dem sie blind vertrauen kann. Das spricht im ersten Augenblick nicht gerade für Reaper, den sie in der Bar des Bikerclubs Torpedo Ink kennen lernt. Denn Reaper ist Biker durch und durch: groß, tätowiert und sehr einschüchternd. Und trotzdem kann Anya sich der Anziehung, die von ihm und seinen blauen Augen ausgeht, nicht erwehren. Zwischen den beiden entflammt eine ungeahnte Leidenschaft. Doch Reapers dunkle Vergangenheit holt ihn immer wieder ein und bedroht ihre Liebe.

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Seitenzahl: 722

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DAS BUCH

Reaper will sich seine Gefühle für Anya nicht eingestehen. Trotzdem sitzt er seit vier Wochen in der Bar, in der sie arbeitet, und lässt sie nicht aus den Augen. Ihr Lachen, ihre Augen und ihr wunderschöner Körper haben ihn vom ersten Augenblick an in ihren Bann gezogen. Doch die Schatten seiner Kindheit, die er in einer »Schule« in Russland verbrachte, wo er zum gefühllosen Killer ausgebildet wurde, hindern ihn daran, Anya alles zu geben, was sie in einer Beziehung mit ihm braucht. Aber Reaper kann Anya, die Gefühle, die sie in ihm weckt, und die heftige Leidenschaft zwischen ihnen nicht mehr loslassen. Anya hilft ihm, so gut sie kann, doch auch sie hat ihre Grenzen. Und als Reaper einen folgenschweren Fehler begeht, ist sie kurz davor, ihn für immer zu verlassen. Die einzige Möglichkeit, die Reaper nun noch hat, um seine große, lebensentscheidende Liebe nicht zu verlieren, ist, Anya alles über die Gräuel seiner Vergangenheit zu erzählen.

DIE AUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt. Sie begann bereits in jungen Jahren zu schreiben und hat seit 1999 mehr als sechzig erfolgreiche Romane veröffentlicht, die in den USA mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und alle auf die New-York-Times-Bestsellerliste gekommen sind. Auch in Deutschland ist sie mit den Drake-Schwestern, der Sea-Haven-Saga, der Schattengänger-Serie und der Leopardenmenschen-Saga äußerst erfolgreich.

Mehr Informationen über die Autorin und ihre Bücher finden sich im Anschluss an diesen Roman und auf ihrer Website www.christinefeehan.com.

CHRISTINE FEEHAN

HIGHWAY

TO

LOVE

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Angela Schumitz

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe JUDGMENT ROAD erschien 2018 bei Jove, Penguin Random House LLC, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2018 by Christine Feehan

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Veröffentlicht in Zusammenarbeit mit

The Berkley Publishing Group,

an Imprint of Penguin Publishing Group,

a Division of Penguin Random House LLC

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Birgit Groll

Umschlaggestaltung: © Nele Schütz Design, München

unter Verwendung von © Shutterstock (Tono Balaguer,

Maciej Bledowski, EsanindyStudio, Volodymyr Tverdokhlib)

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-23752-3V001

www.heyne.de

Für meinen geliebten wilden Enkel Mason Stottsberry.

Ich bin mir sicher, dass du mit einer Harley durch den

Himmel düst, den längsten Kometenschweif surfst

und den Engeln das Tanzen beibringst.

Du wirst immer in unseren Herzen sein.

Wie versprochen widme ich dir dieses Buch!

1. Kapitel

Der Wind blies landeinwärts, als die drei Harleys die letzten scharfen Kurven nahmen, bevor sie auf dem Highway 1 entlang der Küste auf eine Gerade einbogen. Es war schon ziemlich spät, was Savva ›Reaper‹ Pajari sehr wohl wusste. Gleich nach ihrer Ankunft in Caspar würde er sich beim Zar, dem Präsidenten seines Clubs, melden müssen. Doch im Grunde spielte die Uhrzeit keine Rolle. Sollte der Zar bereits in seinem Haus in Sea Haven bei seiner Frau im Bett liegen, würde Reaper eben dorthin fahren, aufs Dach klettern und durchs Schlafzimmerfenster einsteigen. Das wäre nicht das erste Mal.

Reaper lebte für zwei Dinge: Motorradfahren und Kampf. Er musste immer wieder die Kraft und die Muskeln seines Gegners spüren – Fäuste, die auf die Eisschicht einschlugen, die all seine Gefühle überlagerte. Er lebte für den Kick, den die explosive Mischung von Gewalt und süßem Schmerz in ihm hervorrief. So ging das schon seit seinem fünften Lebensjahr. Jetzt musste er bei der idiotischen Richtung, die sein Club eingeschlagen hatte, irgendwie fit bleiben.

Er bretterte über den Highway, rechts und links von seinen Brüdern flankiert. Männer, die er seit über dreißig Jahren kannte. Männer, auf die er sich verlassen konnte. Männer, die er als seine Familie bezeichnete. Er starrte aufs Meer. Wellen versprühten ihre Gischt, rollten über Steine, schmetterten gegen Klippen. Manchmal fühlte er sich wie diese ramponierten Felsen. Die Zeit rieb auch ihn nach und nach auf.

Seine Seele war schon lange verschwunden, sein Körper von oben bis unten mit Narben übersät. Auf dem letzten Trip war eine neue dazugekommen. Außerdem würde Ink ihm drei neue Totenschädel tätowieren müssen, neben all den anderen, die zwischen den Wurzeln des Baumes auf seinem Rücken ruhten.

Viktor Prakenskij, der Mann, den sie ›Zar‹ nannten, war der beste Mann, den er je getroffen hatte. Reapers Job war es, sich vor ihn zu stellen. Diese Aufgabe hatte er sich schon als kleiner Junge aufgetragen, und inzwischen konnte er sich gar kein anderes Leben mehr vorstellen. Allerdings stand er jetzt auch vor all seinen Brüdern und Schwestern – im Torpedo-Ink-Club. Er war stolz auf seine Colors. Er würde für diese Clubfarben sterben. Nach wie vor war ihm jede Mission zuwider, bei der er sie ablegen musste.

Sie bogen vom Highway auf die Caspar Road ab, die zu dem Ort Caspar führte, wo sie ihre Basis errichtet hatten. Sie hatten ihr Lager um das alte Zahlmeistergebäude der Holzfällerfirma herum aufgeschlagen. In den letzten Monaten hatten sie das Gebäude renoviert und in ihr Clubhaus verwandelt. Nun gab es dort diverse Schlafzimmer, eine Bar, ihren Versammlungsraum – die sogenannte Chapel – und eine Küche. Die Bäder wurden von den Bewohnern der am nächsten liegenden Schlafzimmer geteilt. Der Zar hatte außerdem darauf bestanden, dass jeder sich ein Haus in der Nähe kaufte. Er wollte, dass sie sich in diesem Ort ein Zuhause schufen.

Reaper war es völlig egal, wo er schlief. Solange er seinen Club und seinen Präsidenten verteidigen konnte, ging es ihm gut. Doch jetzt brauchte er dringend ein Bett. Er war seit achtundvierzig Stunden auf den Beinen. Die Wunde an seiner Seite hatte er selbst geflickt, allerdings hundsmiserabel. Zum Desinfizieren hatte ein Schuss Whiskey herhalten müssen. Das Ding hatte höllisch gebrannt und tat es immer noch.

Sie fuhren auf das Anwesen ein. Storm und Keys parkten ihre Bikes, während er seine prüfenden Blicke rundum schweifen ließ. Der Zar war entweder zuhause oder in der Bar. Reaper hoffte, dass er ihn in der Bar finden würde, wo er auf einen Bericht wartete. Es wäre ihm nicht recht gewesen, wenn er Blythe, die Frau des Zaren, und ihre vier Adoptivkinder hätte stören müssen. Reaper ließ den Motor laufen und wartete darauf, dass die anderen sich zu ihm umdrehten.

»Ich werde dem Zar noch Bericht erstatten«, verkündete er, auch wenn das nicht nötig gewesen wäre; aber die anderen sahen ihn so an, als ob sie diese Ankündigung erwarteten. Reaper waren Formalitäten, die anderen so wichtig zu sein schienen, im Grunde lästig. Ihm war es auch egal, ob die Leute ihn mochten. Eigentlich war es ihm sogar lieber, wenn sie sich von ihm fernhielten. Nur bei seinen Brüdern war das nicht so. Sie verstanden ihn und brachten deutlich zum Ausdruck, dass sie wenigstens ab und zu ein paar Worte von ihm hören wollten.

»Das kann ich auch machen«, schlug Keys vor. »Du könntest ein bisschen Ruhe gebrauchen.«

Reaper schüttelte den Kopf. »Ich kann sowieso nicht gleich einschlafen, und ich muss nachsehen, wie es ihm geht. Ihr kennt mich ja.«

»Sollen wir dich begleiten?«, fragte Storm.

Er schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Savage wird bei ihm sein, vielleicht auch noch ein paar andere. Geht schlafen. Wir haben es alle verdient.« Savin ›Savage‹ Pajari war sein leiblicher Bruder. Wie Reaper war er Sergeant at Arms, also für die Sicherheit der Clubmitglieder und vor allem die des Zaren verantwortlich. Ob es ihrem Boss gefiel oder nicht, die beiden teilten es sich auf, ihn rund um die Uhr zu beschützen. »Ich hab dem Zar schon vor gut einer Stunde gesimst, dass wir kommen.«

Er war sich sicher, dass der Zar daraufhin in die Bar gefahren war, damit Reaper nicht bei ihm zuhause aufkreuzte. Und so hatte er es schließlich auch haben wollen. Dabei ging es ihm allerdings vor allem um die neue Barfrau. Reaper konnte es nicht leiden, wenn etwas von der Norm abwich. So etwas machte ihn misstrauisch. Und diese Frau wich definitiv von der Norm ab. Code fand bei jedem dunkle Stellen, wenn er danach suchte, doch von ihr hatte er nirgends auch nur die kleinste Spur davon aufgetrieben. Sie arbeitete schwarz, sie trug Designerjeans, fuhr jedoch die letzte Schrottkarre, die vor Rost kaum noch zusammenhielt. Das verdammte Teil stieß schwarzen Rauch aus, wann immer sie es anließ.

Torpedo Ink hatte eine Kfz-Werkstatt eröffnet. Brachte sie ihren Karren etwa dorthin, um ihn richten zu lassen? Von wegen. Jede Nacht fuhr sie davon in dem Glauben, dass niemand wusste, wohin. Und das war die Krux an der Geschichte. Sie fuhr Richtung Fort Bragg, bog auf den Highway 20 ein und dann bei der Egg Taking Station, einem Erholungsgelände mit Campingmöglichkeiten im Jackson Demonstration Forest, wieder davon ab. Warum arbeitete eine Klassefrau wie sie hinter der Bar in einem Bikerclub, fuhr einen heruntergekommenen Honda Civic, der bestimmt älter war als sie selbst, und nächtigte in ihrem Wagen auf einem Freizeitgelände? Reaper war das ein Rätsel. Er hasste Rätsel, und Anya Rafferty war in seinen Augen nicht nur ein Rätsel, sondern ein Riesenproblem.

Reaper hatte sie einen guten Monat lang beobachtet. Fünf Wochen und drei Tage, um genau zu sein. Dabei hatte er festgestellt, dass sie in ihrem Job richtig gut war. Sie hörte den Leuten zu, erinnerte sich an ihre Namen und an ihre Lieblingsgetränke. Sie flirtete gerade so viel, dass sie ein gutes Trinkgeld bekam, aber nicht so viel, dass die Leute sich wegen ihr in die Haare gerieten. Sie war den Kellnerinnen gegenüber sehr großzügig und teilte ihr Trinkgeld mit ihnen, was sie nicht hätte tun müssen. Sie war vorsichtig und zurückhaltend, vermittelte den Leuten jedoch den Eindruck, dass sie sehr offen war. Und sie war freundlich zu Leuten, denen es nicht so gut ging.

Reaper hatte mitbekommen, wie sie einem Penner eine Decke aus ihrem Auto geschenkt hatte, und zweimal hatte sie ihm auch Kaffee und etwas zu essen gebracht. Zweimal hatte sie Geld ausgegeben, das sie mit Sicherheit nicht im Überfluss hatte, um jemanden, der kein Dach über dem Kopf hatte, mit Essen und mit Schuhen zu versorgen. Sie schien sich Obdachlosen irgendwie verbunden zu fühlen. Reaper war sich sicher, dass sie sie alle namentlich kannte. Samstags arbeitete sie vormittags ehrenamtlich in einer Suppenküche, obwohl sie in der Nacht davor bestimmt nicht viel geschlafen hatte.

Mit den Bikern hatte sie keine Probleme, auch wenn es auf der Hand lag, dass sie nicht aus deren Welt stammte und keine Ahnung hatte, wie es im Bikeruniversum zuging. Sie war ein Fremdkörper. Sie hielt sich an den Zar und stellte ihm gelegentlich ein paar Fragen. Bei Reaper hatte sie das noch kein einziges Mal getan, aber manchmal schickte sie ein schüchternes Lächeln in seine Richtung, was er nicht erwiderte. In den fünf Wochen, seit sie da war, hatte er mehr Zeit in dieser Bar verbracht, als jemals in irgendeiner anderen Kneipe.

Reaper sah zur Bar hoch. Aus den Fenstern drang Licht in die Dunkelheit. Sein Herz schlug schneller, sein Schwanz zuckte in seiner Hose. Das war absolut inakzeptabel, und deshalb musste die Frau weg.

Jeder in ihrem Club hatte gelernt, sich und seinen Körper unter jeglichen Umständen zu kontrollieren. Sie waren geschlagen worden, man hatte sie hungern lassen, man hatte sie gefoltert und unsägliche Dinge mit ihnen angestellt, um sie in disziplinierte Tötungsmaschinen zu verwandeln. Reaper konnte sein Gefühlsleben getrost als reduziert bezeichnen, und gegen weibliche Reize war er normalerweise immun. Die Weiber, die sich bei wilden Festen jedem an den Hals warfen, bedeuteten ihm nichts. Rein gar nichts. Oft lief er durch einen Raum halb oder völlig nackter Frauen, ohne dass sein Körper die leiseste Regung zeigte.

Nicht so bei Anya Rafferty, dem Klang ihrer Stimme, ihrem verdammten Lachen, ganz zu schweigen von ihrer Mähne, die ihr Gesicht wie eine dunkle Wolke umrahmte – ein wahrer Wasserfall. Diese Haare hätten locker für zwei Frauen gereicht. Reaper stellte fest, dass er oft an ihre Haare dachte, wenn er eigentlich an den Zar und dessen Sicherheit hätte denken sollen. Er war dafür zuständig, dass seinem Präsidenten nichts passierte. Und auch ihm selbst nicht. Nein, er wollte sich nicht von seinem Schwanz beherrschen lassen. Dieser Teil seines Körpers würde nie die Kontrolle über ihn erlangen. Er vertraute niemandem und erst recht keiner Frau, die es schaffte, dass sein Körper bis in die Haarwurzeln schmerzte.

Seufzend wandte er seine Maschine Richtung Bar. Er hatte dem Zar gesagt, dass Anya gehen müsse. Seinen Präsidenten zu beschützen war seine oberste Priorität, und wenn sie nicht etwas mitteilsamer wurde, musste sie weg. Das redete er sich jedenfalls ein, auch wenn er wusste, dass es nicht stimmte. Er hasste es, wenn jemand Quatsch redete, und am meisten hasste er es, wenn er versuchte, sich selbst irgendeinen Blödsinn weiszumachen. Er konnte noch so viele Gründe finden – die Wahrheit war, dass die Barfrau ihn aus der Ruhe brachte. Sie ging ihm unter die Haut.

Nachdem er seine Maschine geparkt hatte, zwang Reaper sich dazu, sich aufzurichten – beide Füße fest auf den Boden aufzusetzen. Er war so lange auf seinem Bike gesessen, dass er nicht sicher war, ob seine Beine ihn trugen. Er legte seinen Helm auf den Sitz der Harley und blickte über den Parkplatz. Innerhalb von Sekunden nahm er jedes Detail der Autos und Motorräder auf, die hier parkten. Er erkannte mehrere. Zwei Prospects hingen herum und bewachten die Bikes. Er grüßte die beiden Probemitglieder nicht, auch wenn er sie eingehend musterte. Dann holte er die kleine Ledertasche aus einem der Geheimfächer an seinem Bike und machte sich auf den Weg zur Bar, wobei er seine Blicke nach wie vor über den Parkplatz schweifen ließ.

Was er nicht sah, war die alte Rostlaube der Barfrau. An den Eingangsstufen blieb er kurz stehen und atmete tief durch. Er wusste nicht, ob die Abwesenheit dieses Wagens ihn freute oder ob seine Gedanken in eine Richtung abschweiften, die er nicht näher erforschen wollte. Sie war weg. Der Zar hatte getan, worum er ihn gebeten hatte. Die Frau war nicht mehr da. Das sollte ihn eigentlich freuen. Aber er freute sich nicht – er wusste gar nicht, wie das ging. Er hatte es vergessen. Nun, vielleicht war er wenigstens erleichtert. Blöd war nur, dass er jetzt zu dem Zeltplatz fahren musste, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Mist. Leise schimpfend erklomm er die Stufen. Sein Bauch brannte bei jedem Schritt wie Feuer, aber das war nicht halb so schlimm wie der Schmerz in seiner Brust.

Musik schallte ihm entgegen, ein lauter, hämmernder Rhythmus, der das Pochen in seinem Kopf verstärkte. Er ignorierte es und riss die Tür auf. Laute Stimmen und Gelächter mischten sich in das Klirren von Gläsern. Komisch, nachdem sich herumgesprochen hatte, dass es in Caspar eine Biker-Bar gab, war hier fast jeden Abend die Hölle los.

Er trat neben die Tür und sah sich gründlich um, wobei er jede Jacke oder Kutte bemerkte, die mit Patches versehen war. Es waren überwiegend kleinere Clubs oder Wochenendbiker im Raum. Ein paar Straßenkämpfer, drei Möchtegern-Rowdys, denen der Sinn nach Frauen und höchstwahrscheinlich einem Kampf stand. Fünf harte Kerle in einer Ecke mit Demon-Patches. Sie bemerkten ihn, sobald er den Raum betrat. Alle fünf trugen verdeckt Waffen. Sie tranken nicht, oder zumindest nicht so viel, dass man hätte sagen können, dass sie hier waren, um sich zu amüsieren. Ein kurzer Selbstcheck: Ja, er konnte sich, falls nötig, zügig bewegen. Er hatte nichts gegen einen guten Kampf einzuwenden, und höchstwahrscheinlich würde er sich gleich über einen freuen. Sein Blick ruhte ziemlich lange auf den Demons, bevor er sich gestattete, die Bar abzusuchen.

Eine Waffe hatte er im Kreuz in seinem Gürtel stecken. Eine weitere befand sich in seinem Stiefel, neben einem Messer. Eine dritte, am leichtesten zugänglich, ruhte in seiner Jacke. Ein Griff quer über den Oberkörper, und schon war er bereit. Allerdings benutzte er beim Töten selten einen Revolver oder ein Messer. Er bevorzugte lautlose Methoden, doch gelegentlich waren Waffen hilfreich, und er konnte mit allen professionell umgehen.

Er wusste, dass er eigentlich die Barfrau Anya suchte. Er liebte diesen verdammten Namen, der so gut zu ihrem Gesicht passte. Und zu ihrer Stimme. War ihre Rostlaube liegen geblieben und sie war hierher getrampt? Er konnte sie nirgends entdecken, und er ärgerte sich maßlos, dass er überhaupt nach ihr Ausschau hielt. Am schlimmsten war der Druck in seiner Brust, der sich stetig vergrößerte.

Preacher, der heute hinter der Bar stand, wirkte ziemlich geschafft. Er schickte Reaper einen Blick über das Meer der Gäste, grinste kurz zur Begrüßung und suchte ihn nach Verletzungen ab. Einen Moment lang blieb sein Blick an Reapers Oberkörper auf der Höhe seiner Verletzung hängen, dann wanderte er wieder hoch zu seinem Gesicht. Reaper gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass es ihm gut ging. Preacher nickte zurück, dann deutete er mit dem Kinn auf den Raum hinter der Bar.

Links von der Bar gab es eine Tür zum hinteren Bereich, doch Reaper durchquerte den Raum und öffnete die Klappe im Tresen, weil man durch die Bar ebenfalls nach hinten gelangte. Er durchquerte den langen Flur, der direkt ins Büro führte.

Die Bürotür war geschlossen, was auf ein Treffen hinwies. Bei geschlossener Tür hielten sich Bedienungen oder Leute, die nicht zum Club gehörten, fern. Reaper öffnete seine Jacke und trat in der Hoffnung ein, dass Savage ihm nicht eine Kugel in den Kopf jagte, sobald er die Schwelle überschritt. Savage konnte ziemlich unberechenbar sein. Wie Preacher scannte auch sein Bruder ihn mit einem raschen Blick. Der Zar erhob sich und tat das Gleiche, wobei er das Gesicht verzog, als er das Blut bemerkte. Mist, er hatte völlig vergessen, dass sein Shirt blutbesudelt war. Es war nicht nur sein Blut. Savages Blick wanderte wieder zu seinem Gesicht.

»Alles in Ordnung«, sagte Reaper, um Fragen vorzubeugen.

Code war zusammen mit dem Zar über die Abrechnung gebeugt gewesen. Das war ein Witz. Der Zar hasste Zahlen und tat meist nur so, als ob er Code aufmerksam zuhörte. Zwei weitere Clubmitglieder, Absinth und Ice, Storms Zwillingsbruder, saßen am Tisch. Alle starrten ihn und sein blutiges Shirt an. Es musste einen Grund geben, dass sich so viele so spät um diesen Tisch versammelt hatten.

»Was ist passiert?«, knurrte der Zar, bevor ein anderer etwas sagen konnte.

Reaper warf die Ledertasche auf den Tisch. »Die Arschlöcher haben uns ziemlich spät gerufen. Welcher Idiot verzieht sich irgendwohin, nur weil er sich vor Spielschulden drücken will, und lässt seine Frau und sein Kind zurück, was deren sicheren Tod bedeutet? Angeblich ist der Kerl doch der großkotzige Präsident eines Clubs, und jetzt versteckt er sich in einem dunklen Loch, umgeben von seinen Brüdern, und lässt Frau und Kind schutzlos zurück.« Reaper klang zutiefst angewidert, denn so etwas konnte er wirklich nicht nachvollziehen. Wer konnte nach so einer Tat noch in den Spiegel schauen? Wie konnten seine Brüder noch zu ihm aufschauen? »Am liebsten hätte ich ihm die Kehle durchgeschnitten.« Er starrte seinen Präsidenten wütend an. »Schick mich nie mehr auf so eine Mission. Beim nächsten Mal würde ich mich nicht mehr so zurückhalten können.«

Der Zar musterte ihn eingehend, doch Reapers Miene blieb ausdruckslos. Sein Präsident schüttelte den Kopf. »Erzähl mir erst mal, wie das ganze Blut auf dein Shirt gekommen ist. Ist es deines oder das eines anderen? Sag mir bitte, dass es nicht das Blut unseres Kunden ist.«

Reaper zuckte die Schultern. Tja, zum Teil stammte es tatsächlich von diesem feigen Kerl. Er hatte bekommen, was er verdiente. Der Club nannte sich ›Mayhem‹ – Verwüstung. Lächerlich. Ein schlechter Witz. Seiner Meinung nach hatte dieser Arsch von Präsident den Tod verdient. Trotzdem hatte er sich beherrscht. »Vielleicht habe ich mich nicht ganz klar ausgedrückt. Dieser Feigling hat Spielschulden gemacht, und statt sie zu begleichen, hat er seine Jungs aufgefordert, ihn in Sicherheit zu bringen, als die Schlägertypen aufgekreuzt sind, um ihm das Geld abzuknöpfen. Er hat zwei Staaten durchquert, und erst dann ist ihm eingefallen, dass er ja eine Frau und eine Tochter hat.«

»Und er hat uns beauftragt, sie in Sicherheit zu bringen«, erinnerte der Zar ihn milde.

»Nachdem er seinen erbärmlichen Arsch gerettet hat. Zwei Tage später. Zwei verdammte Tage später. Er hat seine Frau nicht mal gewarnt. Als wir dort aufgekreuzt sind, waren die verdammten Geldeintreiber schon da. Geld oder Leben.« Er langte sich an die frische Wunde in seiner Seite. Sie brannte nach wie vor höllisch. »Sie hatten beschlossen, sich erst mal ein bisschen mit ihnen zu vergnügen, bevor sie sie erdolchten. Das Mädchen ist vierzehn!«

»Dann bist du also zwischen das Mädchen und das Messer getreten«, stellte der Zar fest.

Reaper blieb ihm eine Antwort schuldig. Was hätte er schon sagen sollen? Hätte er zuschauen sollen, wie so ein Arschloch eine Vierzehnjährige und ihre Mutter umbrachte? Nein, dafür brauchte er sich wahrhaftig nicht zu entschuldigen.

»Wie groß ist deine Wunde?«, fragte Code.

»Was spielt das denn für eine verdammte Rolle?«

»Da hat aber jemand schlechte Laune«, bemerkte Code. »Fünf Stiche? Mehr?«

»Sechs. Ich brauche keinen Arzt. Hab mich selber drum gekümmert.«

Spottgelächter wurde laut. Reaper zeigte seinen Brüdern den Stinkefinger.

»Das will ich sehen«, sagte Ice. »Wenn es so ähnlich aussieht wie beim letzten Mal, als du dich selbst genäht hast, wirst du bald wie Frankenstein ausschauen.«

»Tut er doch eh schon«, witzelte Code.

Reaper sah Savage an. Er hatte das Gesicht nicht verzogen, und sein Blick wirkte leicht besorgt, aber er blieb stumm.

»Nimmst du ein Antibiotikum?«, fragte der Zar.

»Ich hol mir morgen eines beim Doc.«

»Sag mir, was wirklich passiert ist, Reaper, denn sonst muss ich mir ernsthaft Sorgen um dich machen. Du hättest diese Idioten in wenigen Sekunden töten können. Was zum Teufel hast du gemacht, dass du dir eine Wunde eingefangen hast, die du mit sechs Stichen nähen musstest?«

»Ich bin mit meinem Bericht fertig«, erklärte Reaper verstockt.

»Wir sind fertig, wenn ich das sage.« Die Stimme des Präsidenten war so leise geworden, dass es im ganzen Raum mucksmäuschenstill wurde. So leise, dass Reaper gewarnt war, dass der Zar ihn nicht um etwas gebeten hatte.

Er schüttelte den Kopf. Wenn der Zar so klang, dann erwartete er eine Antwort. »Ich wollte nicht, dass das Mädchen sieht, wie ich ihn töte. Ich lenkte seine Messerhand dorthin, wo ich wusste, dass sie nicht viel Schaden anrichten konnte. Die Kleine ist ein Mongo, die war völlig durchgedreht. Ihr Vater hat sie und ihre Mutter in diese Situation gebracht. Das hat mich echt wütend gemacht. Ich wollte nicht, dass die Kleine noch mehr leiden musste.«

Der Zar seufzte. »Reaper, sie ist die Tochter des Präsidenten einer Biker-Gang. Der Mayhem-Club ist nicht so groß wie die Diamondbacks, aber er ist gewalttätig. Sie hat bestimmt schon das eine oder andere in dieser Richtung mitbekommen.«

»Sie ist total ausgeflippt«, wiederholte Reaper. »Ich hab ihr gesagt, dass sie die Augen zumachen und sich umdrehen soll, und dann hab ich den Mistkerl getötet. Danach hab ich ihr die Augen zugehalten und sie fortgeschafft.«

»Du solltest bei solchen Sachen nicht dein Leben aufs Spiel setzen«, zischte der Zar erbost und knallte die Faust auf den Tisch.

Reaper beugte sich vor und sah ihm in die Augen. »Ich setze mein Leben seit meinem fünften Lebensjahr aufs Spiel. Seitdem habe ich genügend Leute umgebracht. Mit einer Messerwunde werde ich spielend fertig.«

»Es geht aber darum, dass du es nicht hättest tun müssen«, fauchte der Zar.

»Es war mein Auftrag. Ich muss die Entscheidungen treffen. Es wird dich freuen zu hören, dass ich ihren Vater nicht umgebracht habe, als wir die beiden zu ihm gebracht haben. Unsere Gage hat er bereitwillig gezahlt, aber seine Spielschulden wollte er nicht begleichen. Er hat seine Frau und seine Tochter in Lebensgefahr gebracht. Was für ein Kerl tut so etwas?«

»Der Club hat uns dafür bezahlt, dass wir sie da rausholen und zu ihm bringen. Seine Spielschulden sind nicht unser Problem.«

»Wenn die Geldeintreiber ihn erwischen, wird er uns sofort verraten. Das hatte er ohnehin vor. Ich habe die zwei Killer umgebracht. Aber wer sie geschickt hat, wird sich bestimmt dafür rächen wollen.«

»Ihr habt doch Masken und Handschuhe getragen«, erwiderte der Zar. »Er hat eure Gesichter also gar nicht gesehen.«

»Nein, aber der feine Mr. Mayhem-Präsident hat einen Tracker zu dem Geld gelegt«, erklärte Reaper. »Er wollte uns verpfeifen, um seine Schulden loszuwerden. Er wird den Link ins Internet stellen, aber mehr hat er nicht.« Er grinste. »Ich hab das Clubmitglied, das uns verfolgt hat, umgelegt und ihm den Sensor ins Maul gestopft.«

»Code hat gesagt, dass du ihn per SMS beauftragt hast, unsere Online-Operation zu schließen. Das hat er getan. Wir machen sie später wieder auf.«

»Nur damit du Bescheid weißt – ich habe diesen erbärmlichen Feigling von Präsidenten nach Strich und Faden verprügelt. Keine Ahnung, ob er das überlebt hat. Falls doch, dann mit bleibenden Schäden. Er wollte uns verraten, der Sender hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Am liebsten hätte ich ihm an Ort und Stelle ein Messer in den Hals gerammt.«

Der Zar schüttelte den Kopf und schob Code die Tasche mit dem Geld zu. »Zahl das auf unser Konto ein. Wir stehen ganz gut da. Wir haben die meisten Betriebe eröffnet und arbeiten noch an einigen der Häuser. Reaper, wirst du denn je in deines einziehen?«

Reaper zuckte die Schultern. Er hatte keine Ahnung, was zum Teufel er mit einem Haus anfangen sollte. Der Zar hatte darauf bestanden, dass sie alle ein richtiges Haus bekamen. Seines lag am Rand der zerklüfteten Küste. Es gab eine Treppe hinunter zur Bucht und eine Anbindung zu zwei Straßen, die um Caspar herumführten und einen Zugang zu alten Holzfällerwegen boten. Es war ihm sehr recht, dass er gegebenenfalls problemlos würde fliehen können.

»Bald«, erwiderte er nur. Er brauchte eigentlich bloß ein Bett, und das hatte er auch hier auf dem Gelände. Er brauchte kein eigenes Haus. Keines, das auf Schritt und Tritt hallte, weil er es nur äußerst karg möbliert hatte. Eigentlich stand bisher nur ein Bett darin. Vielleicht hatte er Glück, und das Ganze rutschte demnächst ins Meer, dann musste er sich nicht mehr damit herumschlagen.

Er wechselte das Thema. »Draußen sitzen ein paar Schlägertypen an einem Tisch. Die sehen aus, als warteten sie auf jemanden. Haben sie mit dir ein Treffen vereinbart, Zar?«

Der Zar nickte bedächtig. »Sie wollten warten, bis du da bist. Code hat ein paar Dinge über sie herausgefunden. Sie kommen aus dem Norden. Ihr Club heißt ›Demons‹. Sie sind nicht sehr groß, haben aber einen gewissen Ruf. Sie wollen mit unserer Hilfe ihr Einzugsgebiet erweitern.«

»Vermutlich geht es um Drogen«, erklärte Ice. »Wir machen diese Scheiße nicht mehr. Wir sind rehabilitiert.«

Die anderen lachten. »Ja. Drogen bringen wir nicht mehr unters Volk, aber wir bringen Leute um, wenn es sein muss«, bemerkte Absinth.

»Außerdem lungern noch ein paar harte Burschen herum, die sich offenbar für ziemlich cool halten«, fuhr Reaper fort. »Mit denen könnten wir Ärger bekommen. Sie saufen wie die Löcher und grölen herum. Sie haben mich nicht mal bemerkt, als ich hereinkam, im Gegensatz zu den anderen – den Demons. Wir sind als Club noch nicht sehr bekannt und in dieser Gegend nicht mal der größte. Warum wollen die was von uns?«

Der Zar zuckte die Schultern. »Das wissen wir erst, wenn sie mit uns geredet haben.«

»Haben sie gesagt, dass sie durch Codes Website auf uns gestoßen sind?«

Der Zar schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Ich glaube, die interessiert vor allem unsere Lage – hier direkt an der Küste.« Er musterte Reaper noch einmal eingehend. »Ich würde mich in deinem Zustand nicht gerne mit jemandem treffen wollen, der was von uns will.«

Reaper verzog sich in den hinteren Raumbereich, der von der Deckenlampe nicht mehr ausgeleuchtet wurde. Er war müde. Erschöpft. Doch er wusste, dass er nicht gleich einschlafen würde, wenn er jetzt ins Bett ging. Falls doch, dann würde er Albträume kriegen. Sie plagten ihn in letzter Zeit ziemlich oft, doch er hatte keinem, nicht einmal Savage, etwas davon gesagt.

»Schaffst du das jetzt noch?«, fragte der Zar. »Wir können ihnen sagen, dass sie ein andermal kommen sollen.«

»Ich habe dir doch gesagt, dass man erst mal Nachforschungen anstellen und sich vergewissern sollte, dass sie sauber sind. Wir, vor allem du, haben viele Feinde. Es gefällt mir nicht, wenn du so im Vordergrund stehst.« Reaper stützte sich mit dem Rücken an der Wand ab und vergewisserte sich, dass er die Tür genau im Blick hatte. Savage befand sich auf der anderen Seite des Raumes. Die fünf Demons würden von ihnen eingekeilt sein.

»Wenn es nach dir ginge, würdest du eine Mauer um mich herum errichten«, stellte der Zar fest.

»Du hast Blythe und die Kids«, gab Reaper zu bedenken. »Und außerdem bist du der Kopf unserer Truppe.«

Die Züge des Präsidenten wurden weicher. »Ich habe euch alle. Ich mache mir keine Sorgen, weil ich meine Brüder bei mir habe.« Ohne Reaper aus den Augen zu lassen, fuhr er fort: »Ice, hol sie rein. Sie sollen nacheinander eintreten. Du bleibst hinter ihnen. Absinth, du durchsuchst sie und sagst ihnen, dass sie ihre Waffen abgeben sollen.«

Reaper war froh, dass der Zar kein Risiko eingehen wollte. Absinth konnte die Leute mit seiner Stimme beeinflussen. Er konnte einschmeichelnd und sanft klingen, und sobald er den Demons den als Vorschlag verkleideten Befehl in den Kopf gesetzt hatte, würden sie ohne zu zögern ihre Waffen abgeben. Wenn es zu einer Schießerei kommen würde, dann nicht auf dem heimatlichen Terrain der Torpedo Inks.

»Bleibt im linken Bereich des Raumes.« Reaper war ganz bei der Sache. »Savage und ich werden sie wenn nötig im Kreuzfeuer haben, in das keiner von euch geraten will. Wir teilen uns mit, welche wir übernehmen. Ihr tut einfach so, als sei alles in bester Ordnung.« Er war gut darin, einen Mord zu planen. Das hatte er schon Hunderte von Malen getan. Der Zar war ebenso geschickt, vermutlich hatte Reaper es von ihm gelernt, denn der Zar war der Älteste von ihnen. Er hatte sie lebendig aus der Hölle ihrer Kindheit und Jugend herausgeholt.

Der Zar nickte, und Ice verschwand. Die Tür ließ er offen stehen. Reaper lehnte sich entspannt an die Wand. Das war seine Welt, eine Welt, die er ganz genau kannte, und eine Frau wie Anya Rafferty mit ihren langen dunklen Haaren und ihrer mitfühlenden Seele gehörte nicht in diese Welt. Seufzend gestand er sich ein, dass sie sich schon wieder in seine Gedanken eingeschlichen hatte.

Er hätte ihr bis zu dem Ort, an dem sie übernachtete, folgen sollen. Das Gelände war ziemlich weitläufig, wenn er sich recht erinnerte. Dort war ihr Club einmal in einen Schusswechsel verwickelt worden. Ein Massaker. Es gab dort genügend Stellen, an denen sich Verbrecher verstecken konnten. Das hieß, dass Anya nicht so sicher war, wie er es gern gehabt hätte. Er zwang sich, nicht weiter in diese Richtung zu denken. Schließlich wäre jede Frau, die dort allein kampierte, gefährdet gewesen.

Plötzlich richtete er sich auf. Vielleicht kampierte sie dort gar nicht allein? Vielleicht zusammen mit einem Mann? Vielleicht unterstützte sie irgendeinen faulen Loser, der keine Lust hatte zu arbeiten oder sich um seine Frau zu kümmern? Verdammt, er hätte ihr doch bis zu ihrem Lager folgen sollen! Jetzt stand sein Kopf kurz davor zu explodieren und war überhaupt nicht dort, wo er sein sollte. Genau das hatte er befürchtet. Die Frau stiftete nichts als Chaos in seinem Inneren, und er sollte heilfroh sein, dass der Zar sie weggeschickt hatte. Trotzdem musste er sich vergewissern, dass es ihr gut ging – genauso, wie er es bei jeder anderen Frau getan hätte, redete er sich ein.

Seine Alarmglocken für Schwachsinn fingen an zu schrillen, doch er ignorierte sie, denn der erste Mann trat ein. Das war wohl ihr Sergeant at Arms, ihr Vollstrecker, der härteste dieser fünf Kerle. Er erforschte sein Gesicht, während Absinth seine Waffen entgegennahm. Ja, der hatte es in sich. Was tat so ein Bursche in einem kleinen Club? Die Demons hatten wohl mit mehr aufzuwarten, als Code bisher herausgefunden hatte. Der Vollstrecker überreichte wortlos seine Waffen, während er den Raum überflog und wahrnahm, wie sie hier verteilt waren. Dabei wurde ihm wohl auch klar, dass er weder Reaper noch Savage deutlich sehen konnte.

Die beiden verstanden es, ihr Bild verschwimmen zu lassen. Das war nützlich, wenn man andere jagte. Sie hatten schon als Kleinkinder damit angefangen, diese Fertigkeit zu üben, und sie im Lauf der Jahre nahezu perfektioniert. Es hatte viel mit der Wahl des passenden Standortes zu tun und damit, dass man sich bedeckt und vollkommen reglos hielt, sodass die Blicke der anderen gar nicht erst in die fragliche Richtung schweiften.

Die Demons kamen, wie der Zar befohlen hatte, einer nach dem anderen herein. Ice bildete die Nachhut und schloss die Tür. Reaper beobachtete jeden Einzelnen scharf und fand heraus, welcher von ihnen am ehesten Ärger machen würde: Ein Mann, der sich als Tether vorstellte. Er war der Jüngste, der es kaum erwarten konnte, sich zu bewähren. Razor, der als Erster hereingekommen war, war, wie Reaper gleich vermutet hatte, wohl der Gefährlichste. Er würde auch als Erster unschädlich gemacht werden müssen.

»Ich bin Hammer«, sagte ein anderer. »Der Präsident der Demons.« Sein Patch bestätigte dies.

»Zar.« Ihr Präsident schüttelte dem anderen die Hand und deutete auf die Stühle um den ovalen Tisch.

Razor zögerte, denn ihm war klar, dass sie, vor allem ohne ihre Waffen, im Sitzen besonders gefährdet waren. Absinth hatte jeden Mann gründlich durchsucht, nachdem alle seinem leisen, geflüsterten Befehl gefolgt waren, ihre Waffen abzugeben. Da der Zar mit im Raum war, war er besonders gründlich. Sie alle schützten ihren Präsidenten. Dem war das manchmal gar nicht so recht, aber das war den anderen egal. Er musste unter allen Umständen am stärksten gesichert werden. Falls die Sache ausuferte, würde es Codes Aufgabe sein, den Zar mit seinem eigenen Körper zu beschützen, während Reaper, Savage, Ice und Absinth die Demons töteten.

Leises Frauenlachen wehte durch den Flur, und Reaper wäre beinahe zusammengezuckt. Beinahe. Leise fluchend schaffte er es, sich so weit zu beherrschen, dass er sich nicht bewegte. Dieses Lachen klang ganz nach der Barfrau. Er musste jetzt unbedingt bei der Sache bleiben und sich nicht über eine Frau Gedanken machen, die vielleicht sogar beauftragt worden war, den Zar zu töten. Na ja, um ehrlich zu sein, glaubte er das keine Sekunde. Aber er würde später noch einmal darüber nachdenken müssen und auch darüber, dass draußen drei harte Kerle saßen, die auf Weiber scharf waren. Im Moment musste er sich ausschließlich Schritt für Schritt überlegen, wie er die Demons eliminieren und seinen Präsidenten beschützen würde.

Razor musste als Erster unschädlich gemacht werden. Reaper wollte ihm einen Kopfschuss verpassen. Zwei Kugeln, um auf Nummer sicher zu gehen, auch wenn er sein Ziel nie verfehlte. Der Präsident würde der Zweite sein, obwohl auch Code und Absinth sich um ihn kümmern würden. Savage würde die zwei übernehmen, die links und rechts neben ihrem Präsidenten saßen und ihn beschützten. Die beiden hießen Weed und Shaft. Auf ihren Patches stand ihr Road-Name sowie ihr Rang. Es war ungewöhnlich, dass ein Präsident, ein Vollstrecker, ein Sekretär und ein Road Captain gemeinsam auf einem Treffen auftauchten. Es musste also um etwas Größeres gehen.

»Was kann ich für euch tun?«, fragte der Zar.

Einen Moment lang war es still, während Hammer versuchte, ihn einzuschätzen. Razor fühlte sich bei dem Arrangement sichtlich unwohl, hielt jedoch die Klappe. Sein Blick schweifte rastlos durch den Raum auf der Suche nach etwas, was seinen Boss bedrohen könnte.

»Ich komme gleich zur Sache«, sagte Hammer schließlich. »Ich habe viel Gutes über euren Club gehört. Ihr seid nicht groß, aber ihr erledigt, was erledigt werden muss. Wir haben ein kleines Problem. Auch unser Club ist nicht groß – drei Chapter. Gutes Gebiet. Wir halten es so sauber wie möglich. Legen uns nicht mit den Leuten dort an. Ich habe gehört, dass es hier bei euch auch ganz gut läuft.«

Der Zar zuckte die Schultern, blieb jedoch stumm. Sein Blick fixierte das Gesicht seines Gesprächspartners.

Reaper hatte diesen Blick tausend Mal gesehen. Er hatte ihn in der Schule in Russland gelernt, in der eiskalte Kriminelle das Sagen hatten, und wenn man am Leben bleiben wollte, dann machte man keine Fehler, etwa, zur falschen Zeit zu zucken.

»Wir haben eine Route, die von unserem Territorium hierherführt. Dann hört sie abrupt auf und fängt auf dieser Seite von Santa Barbara wieder an.«

Der Zar schüttelte den Kopf. »Das ist das Territorium der Diamondbacks. Wenn ihr etwas durch ihr Territorium schaffen wollt, dann müsst ihr euch an sie wenden und ihnen eine Gebühr bezahlen, und sie werden den Transport übernehmen.«

Hammer schüttelte hastig den Kopf. »Die schlucken jede Pipeline und nutzen sie für ihre eigenen Zwecke. Ein Club wie unserer ist für sie nur ein Spielball. Der Anteil, den sie dafür haben wollen, ist so hoch, dass wir uns das einfach nicht leisten können.«

»Wenn sie euch erwischen, werden sie euch den Krieg erklären und euch auslöschen. Sie haben mehr Chapter als jeder andere Club weltweit. Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel, und schon allein aus Respekt bemühen wir uns, ihnen nicht auf die Füße zu treten, indem wir etwa eine Pipeline schaffen, ohne ihnen einen Anteil zu geben.«

Hammer und Shaft, sein Sekretär, tauschten Blicke aus, die Reaper ziemlich verzweifelt vorkamen.

»Worum handelt es sich denn?«, fragte der Zar.

»Um Falschgeld.«

Dass Hammer ihnen das unverblümt gesagt hatte, wies ebenfalls darauf hin, dass sie verzweifelt waren.

Der Zar beugte sich zu ihm vor. »Ich mag es nicht, wenn mir jemand nicht die ganze Wahrheit sagt. Ich stehe kurz davor, dir eine Kugel in den Kopf zu jagen. Was wollt ihr hier wirklich? Meine Lady wartet auf mich, und ich lasse sie nicht gern warten. Niemals! Also, vergeudet nicht meine verdammte Zeit!«

Statt besorgt zu wirken oder vielleicht sogar erschrocken, wirkte Hammer erleichtert. Er atmete tief durch und rückte mit der Wahrheit heraus. »Mein Club schaut schwach aus, aber das sind wir nicht. Wir haben uns mit einem Club eingelassen, der ein Casino betreibt. Wir helfen ihnen, das Geld zu waschen. Vor Kurzem haben sie von unserem Falschgeldgeschäft Wind bekommen. Wir halten den Ball flach, verteilen nur ab und zu ein paar Scheine auf unserer Ostroute. Sie wollen das Geschäft vergrößern.«

»Wie haben sie von diesem Geschäft erfahren?«, fragte der Zar, der wie immer gleich auf den wichtigsten Punkt zu sprechen kam.

»Einer unserer Prospects hat sich im Glücksspiel versucht und dabei hoch verschuldet. Statt sich an den Club zu wenden, hat er seine Spielschulden mit Information beglichen.« Hammer klang betont neutral.

»Wo steckt er jetzt?«, fragte der Zar, und seine Stimme senkte sich eine Oktave.

Allein sein Tonfall machte alle im Raum nervös. Obgleich Reaper das schon sehr oft erlebt hatte, war er jedes Mal aufs Neue beeindruckt.

»Er hat es nicht überlebt«, erwiderte Hammer.

»Ist sonst noch jemand in eurem Club so redselig?«

»Den Männern in diesem Raum vertraue ich selbstverständlich. Das Gleiche gilt für die Leute in meinem Chapter. Die anderen Chapter tragen unsere Farben, und ich kämpfe für sie und mit ihnen, aber ich kenne sie nicht so gut wie meine Brüder.«

Das war eine ehrliche Antwort. Keiner konnte jeden Mann in jedem Chapter kennen.

»Sind sie alle im Falschgeldgeschäft tätig?«

Hammer nickte. »In der Verteilung. Wir haben die Druckplatten. Die sind ausgezeichnet. Ich habe einen guten Mann, der weiß, was er tut. Wir gehen auf Nummer sicher und werden nicht gierig. Wir sorgen für einen reibungslosen Ablauf und dafür, dass man die Blüten nicht zu uns zurückverfolgen kann. Der andere Club will das Geschäft aber unbedingt ausweiten.«

»Wie groß ist er denn?«, wollte der Zar wissen.

»Das ist das Problem. Sie agieren wie Geister. Und sie nennen sich ›Ghosts‹.«

In dem Moment rührte sich Reaper, was er sonst nie tat. Die Leute wurden auf ihn aufmerksam, der Vollstrecker der Demons wäre beinahe aufgesprungen. Reaper ignorierte ihn. »Kann ich kurz mal mit dir reden, Zar?«

Auch das passierte sonst nie. Die Clubmitglieder überließen dem Zar stets die Gesprächsführung und redeten anschließend darüber.

Dessen Miene verriet nichts, als er aufstand und mit dem Kinn auf die einzige andere Tür im Raum deutete. Reaper wartete, bis er den Raum durchquert hatte, dann trat er hinter ihn, sodass sich sein Körper zwischen seinem Präsidenten und den Demons befand.

Der Zar schloss die Tür hinter ihnen und drehte sich mit erhobenen Brauen besorgt zu Reaper um.

»Diese Mistkerle, die hinter der Frau und dem Kind des Mayhem-Präsidenten her waren, waren Ghosts. Sie trugen keine Farben, aber sie bezeichneten sich als Geister. Das waren die letzten Worte aus dem Mund dieses Bastards, bevor ich ihn erledigt habe. Er sagte was in der Art von ›ich würde seine Freunde nie kommen sehen, weil sie Geister seien‹.«

»Glaubst du, die Demons stellen uns eine Falle?«, fragte der Zar.

Reaper liebte seinen Bruder. Der Zar glaubte an ihn und an seine Fähigkeit, nicht nur ihn, sondern auch seine Familie und die anderen zu beschützen. Er glaubte an Reapers Instinkte, an sein Bauchgefühl. Im Moment sagte ihm sein Bauchgefühl, dass die Demons Ärger mit diesem neuen Ghost-Club hatten.

Reaper schüttelte den Kopf. »Ich habe ein ungutes Gefühl. Sie wollen es nicht zeigen, aber sie haben Angst. Sie haben uns immer noch nicht alles erzählt.«

Der Zar klopfte ihm auf die Schulter. »Glaub keine Sekunde lang, dass ich dich nicht brauche, Reaper. Du und ich, wir haben uns immer aufeinander verlassen. Wir haben in der Hölle gehaust. Das tun wir jetzt nicht mehr, und nun bestimmen wir, wo’s langgeht. Das ist neu. Lass dich davon nicht verwirren.«

Reaper wusste, dass er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Auch der Zar wusste das. Als sein Bruder ihm jetzt in die Augen sah, nickte er nur kurz. Er wollte nicht darüber reden. Es war die verdammte Frau. Die Barfrau. Ihre Haare. Ihr Lachen. Ihre verdammte Haut, die so weich wirkte, dass er tatsächlich versucht gewesen war, sie zu berühren. Aber er berührte niemanden, es sei denn, er wollte ihn umbringen. Keiner berührte ihn, es sei denn, er wollte sterben, und das tat er dann auch. Nur seine Brüder durften ihn berühren, und es hatte lange gedauert, bis er gelernt hatte, es zu ertragen.

»Lass mir den Vortritt«, bat er den Zar. »Halte dich hinter mir. Ich bring dich zu deinem Platz, und dann bring ich mich wieder in Stellung. Verhör ihn erst, wenn ich meinen Platz eingenommen habe.«

Der Zar widersprach ihm nicht, was er sonst gerne tat, wenn es um seine Sicherheit ging. Er hasste es, wenn die anderen ihr Leben für ihn riskierten, aber bei Reaper war jeder Widerspruch zwecklos.

Reaper begleitete ihn zum Tisch, ohne dass es besonders auffiel. Er näherte sich dem Tisch ganz beiläufig, beugte sich sogar vor, um ein paar Erdnüsse aus der Dose zu fischen, die in der Mitte stand. Anschließend schlenderte er zur Wand zurück.

Der Zar wartete, bis Reaper nur noch eine verschwommene Silhouette war. »Dieser Club, den du als ›Ghosts‹ bezeichnest – ist das ein richtiger Motorradclub? Tragen sie Colors?«

Der Präsident der Demons nickte. »Sie haben uns ganz offiziell ihre Aufwartung gemacht. Wir haben keine Ahnung, wie viele es sind. Ihre Basis ist droben an der Grenze zu Oregon. Wir wissen nicht viel von ihnen.« Er rieb sich das Kinn. »Das ist meine Schuld. Ich hätte mich eingehender nach ihnen erkundigen müssen, aber zu der Zeit war meine Lady …« Er schüttelte den Kopf. »Keine Entschuldigungen. Was geschehen ist, ist geschehen. Ich muss meine Ware durch dieses Territorium bringen können. Ihr müsst das für uns übernehmen.«

»Du hast noch nicht gesagt, warum. Wie haben sie euch dazu gebracht, euch an uns zu wenden? Haben sie von uns gesprochen?«

Hammer schüttelte abermals den Kopf. »Nein. Ich weiß nicht, ob sie euch überhaupt auf dem Radar haben. Ich glaube, sie wollen sich in den Diamondback-Club einklinken. Bei einem so großen Club gibt es bestimmt ein paar Spieler. Du und ich, wir wissen beide, dass die Diamondbacks uns schlucken werden, wenn die einen Krieg mit ihnen anfangen.«

»Trotzdem – warum sagst du ihnen nicht einfach, sie sollen sich zum Teufel scheren? Du weißt weder, wie groß sie sind, noch wer sie genau sind. Warum bringt ihr sie nicht einfach um die Ecke?«, fragte der Zar mit milder Stimme.

»Sie haben meine Frau.« Hammer stellte diese Information in die Mitte des Raumes, und die Spannung erhöhte sich sofort um tausend Prozent. Man bekam fast keine Luft mehr.

Der Zar suchte Reapers Blick. Wer zum Teufel trug den Krieg auf dem Rücken von Frauen und Kindern aus? Wer hatte den Nerv, die Frau des Präsidenten der Demons zu entführen und sie festzuhalten, bis der Club tat, was man von ihm wollte?

»Wie lange ist sie schon in ihrer Gewalt?«, fragte der Zar plötzlich ganz geschäftsmäßig. Sein mildes Interesse hatte sich in totale Konzentration verwandelt.

Reaper liebte diesen Mann und seine Denke. Der Zar nahm jedes Detail wahr, absorbierte es, kam auf Ideen und ordnete sie strikt nach Pro und Contra, bis er genau wusste, was zu tun war.

»Sie haben sie vor zwei Nächten verschleppt und mir eine Woche Bedenkzeit gegeben. Ich bin erst mal zu euch gekommen. Ihre Gesundheit …« Er schüttelte den Kopf. »Sie hatte Krebs. Vor Kurzem hat sie ihre letzte Chemo gehabt. Ihr Immunsystem ist am Boden. Sie ist erst sechsundzwanzig. Jung. Verflucht, ich weiß nicht, wo sie steckt, aber sie ist wirklich eine ganz Feine. Sie wird sich zusammenreißen, und sie weiß, dass ich sie da rausholen werde. Ich brauche nur ein bisschen Zeit, um sie aufzustöbern.«

»Diese Leute spielen nicht fair«, sagte der Zar. »Es ist nicht das erste Mal, dass sie die nächsten Angehörigen gegen jemanden verwenden. Vor Kurzem erst hatten sie vor, die Ehefrau und Tochter eines Mannes umzubringen. Ich glaube nicht, dass du sehr viel Zeit hast.«

»Willst du mir helfen?«

2. Kapitel

Der Blick des Torpedo-Ink-Präsidenten glitt über seine Brüder. Ice war der Erste. Er klopfte einen leisen Rhythmus auf den Tisch. Savage klopfte an die Wand, einen kurzen Dreivierteltakt. Die anderen folgten, bis nur noch Reaper übrig blieb. Der Zar wartete geduldig, während Reaper die Folgen abwägte. Er wollte auf jeden Fall die Ghosts aufspüren, sie vernichten und die Frau befreien. Aber wenn sie das zusammen mit den Demons taten, war ihr Club und vor allem ihr Präsident exponiert. In der Welt der Gesetzlosen würde ihr Ruf wachsen. Das brauchten sie nicht wirklich.

Reaper überlegte so gründlich, wie er es in jeder anderen Situation getan hätte. Endlich gab auch er mit einem kurzen Eins-Zwei-Drei-Klopfen sein Einverständnis. Der Zar nickte.

»Eure Pipeline geht mir am Arsch vorbei«, erklärte er Hammer. »Aber bei deiner Frau ist das etwas anderes. Keiner vergreift sich an unseren Familien. Ich brauche sämtliche Informationen, die du über die Ghosts hast. Unser Mann wird gleich heute Abend Nachforschungen anstellen. Wenn sie ein offizieller Club sind, bekommen wir auf der Stelle alle nötigen Informationen. Du solltest sie noch ein bisschen hinhalten und in dem Glauben wiegen, dass du dir das Geschäft noch überlegst. Sag ihnen einfach, dass du einen Termin mit einem Präsidenten vereinbart hast, um ihm eine Partnerschaft bei eurem Falschgeldgeschäft schmackhaft zu machen. Sie werden davon ausgehen, dass es sich um den Präsidenten der Diamondbacks handelt. Ich kümmere mich um die Diamondbacks, falls es da Probleme gibt. Sie schulden mir noch den einen oder anderen Gefallen.«

Reaper hatte zwei der schlimmsten Feinde der Diamondbacks beseitigt, um den Frieden zwischen den beiden Clubs zu erkaufen. Deshalb fand er, dass der eine oder andere Gefallen ruhig auch ein etwas größerer sein konnte. Der Ruf von Torpedo Ink war schneller gewachsen, als ihnen lieb war. Das hatte dafür gesorgt, dass die Diamondbacks sie ein paarmal besucht hatten. Die Lage war angespannt gewesen, doch der Zar hatte sie wie üblich entschärft. Sie vermieden jegliche Konkurrenz mit den Diamondbacks, was ihrem Club überaus recht war, auch wenn die anderen das nicht wussten.

Leises Lachen wehte durch den Spalt unter der Tür in den Raum. Das Geräusch umfing Reaper. Er sah seine Brüder an, doch die schienen nichts zu bemerken. Der Zar stellte Hammer noch etliche Fragen, dann schüttelte er ihm die Hand. Hammer erhob sich zusammen mit seinen Männern, und an der Tür gab Absinth jedem seine Waffe zurück. Er wusste noch ganz genau, welche Waffe wem gehörte.

»Wir holen sie zurück«, versicherte der Zar.

Hammer nickte düster. »Mit diesen Burschen ist nicht zu spaßen.«

Der Zar lächelte, doch in diesem Lächeln lag keine Belustigung. Er sah aus wie das Raubtier, das er war. All sein Charme war verflogen. »Mit uns auch nicht«, stellte er grimmig fest.

Sobald die Demons verschwunden waren, wandte sich der Zar an seine Brüder. »Code, setz dich gleich heute Nacht an den Computer. Wir sind alle müde, aber uns läuft die Zeit davon. Reaper, du schläfst dich erst mal aus, selbst wenn du dafür was einnehmen musst. Du siehst echt geschafft aus, und ich werde dich bei dieser Sache brauchen. Vermutlich dich und Savage.«

Reaper schüttelte den Kopf. »Einer von uns bleibt bei dir.«

»Jedes Mitglied dieses Clubs ist zum Killer ausgebildet worden, Reaper. Alle können mich beschützen.«

»Was passiert, wenn die Ghosts von dir und Blythe Wind bekommen? Den Mädchen, die bereits durch die Hölle gegangen sind? Kenny, bei dem es genauso ist? Ich kann dieses Risiko nicht eingehen. Deine Familie ist auch unsere Familie und steht unter unserem Schutz. Wir …«

»Okay, okay, aber jetzt hau dich erst mal aufs Ohr. Verschwinde.«

Das tat Reaper nur allzu gerne. Er musste noch einiges erledigen, etwa zum Zeltplatz düsen und schauen, ob Anya dort war. Mittlerweile hatte er sich eingeredet, dass dieses Lachen von einer anderen Frau gestammt hatte. Trotzdem hielt er nach ihr Ausschau, sobald er den Flur betrat. In der Mitte des Flurs blieb er abrupt stehen. Von dort aus hatte er nämlich einen Blick auf die Bar.

Sein Herz machte einen Satz. Sie war da. Was zum Teufel? Er setzte für den Club immer wieder sein Leben aufs Spiel und hatte den Zar nur um eines gebeten. Nur um einen einzigen Gefallen!

Sie warf einen Blick über die Schulter und lächelte ihn an. Sein Herz geriet ins Stolpern. Fing an, wie verrückt zu hämmern. Er ignorierte sie. Zwang sich mit aller Macht dazu, nicht ihre Haarpracht zu bewundern. Haare, die ihr selbst in einem Pferdeschwanz fast bis zum Hintern reichten.

Er weigerte sich zu bemerken, wie perfekt ihre Titten waren. Unter dem engen T-Shirt zeichneten sich deutlich ihre üppigen Formen ab. Das Shirt hatte sie in den Hosenbund gestopft. Das betonte, dass sie nicht nur mit fantastischen Brüsten, sondern auch mit ebenso fantastischen Hüften gesegnet war. Ein Biker-Traum. Aber Reaper wollte auf keinen Fall wahrnehmen, wie ihre ausgebleichte Jeans ihren Hintern liebevoll einfasste, und auch nicht, wie ihre Hüften beim Laufen hin und her schaukelten. Und noch weniger wollte er sich eingestehen, dass er unendlich viele schmutzige Fantasien über ihren Hintern und ihre Titten und ihre Haare hatte. Wenn er jemals von einem anderen erfuhr, dass der dieselben Fantasien bezüglich dieser Frau hatte, würde er ihn umlegen.

Er drehte sich um, kehrte zum Sitzungssaal zurück und riss die Tür auf. »Was. Zum. Teufel«, fauchte er den Zar an. »Was zum Teufel hat sie hier noch zu suchen? Ich hab dir doch gesagt, dass du diese Schlampe rauswerfen sollst. Sie gehört nicht hierher, das weißt du ganz genau. Womöglich ist sie eine Schnüfflerin, die auf uns angesetzt wurde. Oder aber eine reiche Tussi, die in den Sumpf abgestiegen ist, weil sie es gern mal mit einem Biker treiben möchte. Egal, wer oder was sie ist, sie ist ein Problem.«

Er wollte nichts fühlen. Er wollte nicht, dass sein Schwanz steinhart wurde, dass ihm die wirrsten Gedanken durch den Kopf schossen, dass sein Herz stolperte, als würde es gleich aufhören zu schlagen. So etwas passierte ihm nicht. Niemals. Solche Dinge hatte er schon als Teenager abgelegt, und er hatte mehr Frauen in seinem Leben gehabt, als er je gewollt hatte. Vor allem in seinen Zwanzigern, als er Aufträge für den Mann erledigen musste, der ihn schon als Kleinkind eingesperrt hatte. Er hatte Männer und Frauen töten müssen, um seinen Brüdern und Schwestern beim Überleben zu helfen. In jenen Jahren hatte er unendlich viel Sex gehabt, und nichts daran war gut gewesen. Er hatte gelernt, seinen Körper zu beherrschen. Er hatte kein Herz, keine Seele. Er konnte es nicht brauchen, dass eine Frau ihm derart unter die Haut ging. Er stand kurz davor, panisch zu werden, und ein panischer Reaper war nicht gut. Das konnte die Leute um ihn herum das Leben kosten.

Der Blick des Zaren schoss an ihm vorbei, und er stand langsam auf. Es wies auf das Ausmaß des Chaos hin, das diese Frau in Reaper verursachte, dass er überhaupt nicht bemerkt hatte, dass sie direkt hinter ihm stand. Normalerweise entging ihm nichts. Das Leben ihres Präsidenten hing davon ab, dass Reaper stets wusste, was um ihn herum vorging. Nun drehte er sich um und starrte sie an.

Ihre Schönheit raubte ihm den Atem. Sie war nicht nur schön, sondern auch wahnsinnig sexy. Schon allein ihre dunkle, wellige Haarpracht. Diese Fülle. Ein Mann würde töten, um dieses Haar auf seinem Körper zu fühlen, zu spüren, wie es seinen Schwanz und seine Oberschenkel streifte, bevor sie ihn in den Mund nahm.

Ihre Augen waren groß und dunkelgrün wie leuchtende Smaragde. Er hatte die wildesten Fantasien von diesen Augen gehabt und wie sie ihn anstarren würden, wenn die Frau in seinen Armen zum Höhepunkt kam. Im Moment funkelten sie ihn jedoch zornig an, zwei vor Wut sprühende Edelsteine.

Reaper brachte kein Wort heraus. Er sprach kaum mit Männern außerhalb seines Clubs und erst recht nicht mit Frauen. Vor allem nicht mit ihr. Sie war alles, was er nicht war. Eine elegante, stilvolle Sexpuppe, die so aussah, als gehörte sie in ein Penthouse und nicht in eine Biker-Bar.

»Ich habe dir nichts getan«, zischte sie. »Rein gar nichts. Ich arbeite hart, und ich brauche diesen Job.« Als er weiter stumm blieb, wuchs die Wut in ihrem Blick und sie rückte ihm von Verzweiflung getrieben näher. Denn auch Verzweiflung lag in ihrem Blick. »Sag was! Du hockst Nacht für Nacht rum und starrst mich an wie ein hässliches Insekt, das du am liebsten zertreten würdest. Und jetzt versuchst du auch noch, mir meinen Job abspenstig zu machen.«

Reaper blieb stumm. Dem Zar war klar, was er wollte. Er hatte es ihm deutlich zu verstehen gegeben.

Plötzlich gab sie ihm einen Schubs. Sie stemmte die Hände auf seine Brust und schubste ihn kräftig. Er rührte sich nicht, doch seine Finger schlossen sich wie Schraubzwingen um ihre Handgelenke, sodass ihre Handflächen an seiner Brust kleben blieben. Seine Brüder standen auf, denn sie wussten, dass niemand es überlebte, wenn er die Hände auf Reapers Brust legte. Doch bei ihr hatte er es zugelassen. Er hätte sie aufhalten können, schnell, wie er war. Auch das wussten seine Brüder.

Tränen schimmerten in ihren Augen, und in ihm zerriss etwas. Er hatte gedacht, dass es die Besessenheit beenden würde, wenn er sich von ihr berühren ließ. Ja, es war die schiere Besessenheit, er fand kein besseres Wort dafür, dass er über einen Monat in der Bar herumgehockt war, kein Wort gesagt hatte, sie nur angestarrt hatte. Ständig darum bemüht, seinen eigensinnigen Schwanz zu bändigen. Er hatte elend versagt.

Nun merkte er, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, sich von ihr berühren zu lassen. Jetzt spürte er ihre Handflächen und die Hitze, die sie in ihm hervorrief. Es war, als würde sie sich durch sein Hemd hindurch einen Weg zu seiner Haut brennen. Dann durch seine Haut zu den Knochen. Er nahm ihren Geruch wahr. Ein leichter Duft – nach Grapefruit? Oder nach Mandarinen? Egal, was es war, es drang direkt durch seine Poren. Dieser Duft wirkte wie ein Aphrodisiakum; sein Körper reagierte prompt, und er wurde so hart, dass es wehtat. Sie musste eine Hexe sein oder eine Frau, die ebenso trainiert worden war wie er, und zwar darin, Männer zu verhexen und dann zu töten.

Er hätte sie wegschubsen müssen. Er hätte sie nicht festhalten und an seinen Körper pressen dürfen, sodass sie den stählernen Schaft in seiner Jeans spürte. Er starrte ihr in die Augen, in diese funkelnden grünen Edelsteine. Langsam wich ihre Wut der Angst. Gut, dass sie Angst hatte. Er hatte keine Ahnung, was er mit ihr anstellen sollte. Er wusste, dass keiner ihn aufhalten würde, wenn er sie in den Nebenraum zerrte und seinen Schwanz in sie rammte. Ihren Körper einforderte. Wie kam er bloß auf solche Gedanken? Seine Brüder würden ihn vielleicht aufhalten, wenn er sie umbrachte. Aber auch nur vielleicht.

Seine Brüder wussten, dass keiner ihn anfassen durfte. Außerdem wussten sie, dass er die Frau daran hätte hindern können, wenn er es gewollt hätte. Das hatte er nicht getan, und nun standen sie herum, beobachteten ihn und fragten sich, was er da eigentlich trieb. Genau diese Frage stellte er sich allerdings auch.

»Anya, du legst deine Hände nicht auf das Bike eines Mannes«, sagte er leise. »Und du solltest sie wahrhaftig nicht unaufgefordert auf einen Mann wie mich legen. Hast du das kapiert?«

Ihre Zungenspitze glitt über ihre Oberlippe, dann biss sie auf ihre pralle Unterlippe und nickte. Reaper musste ein gieriges Stöhnen unterdrücken. Als er ihr ins Gesicht sah, in diese großen Augen – Augen, in die ein Mann den Rest seines Lebens starren könnte –, wusste er, dass er nie mit ihr hätte reden dürfen. Nie ihren Namen sagen dürfen, noch dazu vor allen anderen. Sie kannten ihn viel zu gut, und sie wussten, dass alles, was er gerade tat, völlig untypisch für ihn war.

Er wollte sie nicht loslassen, aber wenn er sie so nah bei sich spürte, geriet sein Hirn in einen Wahn, einen Strudel des Tötens oder des Getötetwerdens. Es war gefährlich. Sie war bei ihm nicht sicher. Deshalb ließ er sie abrupt los und gestand sich ein, dass er ihre Handgelenke nicht so heftig hätte umklammern dürfen. Sie würde vermutlich blaue Flecken bekommen. Er verpasste Frauen keine blauen Flecken. Er war komplett neben der Spur. Er musste sich von Anya Rafferty fernhalten.

Sie schluckte und fragte seinen Präsidenten, wobei sie immer noch Reaper in die Augen schaute: »Hab ich den Job noch, Zar?«

Reaper merkte, dass sie den Atem anhielt. Er tat es ebenfalls. Er wusste nicht, welche Antwort er bevorzugt hätte.

Der Zar blickte auf Reaper. »Es liegt bei dir, Bruder. Wenn du willst, dass sie geht, dann geht sie.«

Mist. Mist. Mist. Sie stand einfach nur da, sah ihn an, in ihren Augen schimmerten Tränen, die Wimpern wurden feucht. Er atmete tief durch. Es gab keine Rettung für sie. »Es ist mir scheißegal«, log er.

»Dann mach dich wieder an die Arbeit, Anya«, befahl der Zar, wobei er Reaper ansah, nicht die Barfrau.

Erleichterung zeigte sich in ihrem Blick, in ihrem Gesicht, ihrem Körper. Kurz senkte sie den Kopf und atmete tief ein, dann straffte sie die Schultern, reckte das Kinn vor und bedachte Reaper mit einem abweisenden Blick. »Danke, Zar. Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass die Bestellung noch aussteht. Heute ist nichts gekommen. Ich habe alles durchsucht. Entweder hat es sich jemand unter den Nagel gerissen, oder die Burschen haben geschwindelt und es noch gar nicht losgeschickt.«

»Wer hat denn die Bestellung unterschrieben?«

»Preacher, glaube ich. Er war gestern Abend da und heute Abend auch. Er hat festgestellt, dass wir Nachschub brauchen, und mich gebeten, es selbst noch mal zu überprüfen. Das habe ich getan, und er hatte recht.«