Das Frauen-KZ Ravensbrück - Lorenz Ingmann - E-Book

Das Frauen-KZ Ravensbrück E-Book

Lorenz Ingmann

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Beschreibung

Ein längst vergessener Stasi-Bericht liefert bisher unveröffentlichte und mitreißende Erkenntnisse über das größte Vernichtungslager für Frauen auf deutschem Boden. Unterstützt durch zahlreiche authentische Fotoaufnahmen und Zeitzeugenberichte - sowohl von Tätern als auch Opfern - bietet diese packend aufbereitete Monographie eine umfassende und lebendige Dokumentation über das gesamte Lagerleben des Konzentrationslagers Ravensbrück und seines Außenlagers Uckermark, das bis in die letzten Kriegswochen als Vernichtungszone geführt wurde.

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Danksagung

Ich bedanke mich bei Frau Jenny Gohr von der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) für die aus führliche Beratung und Bereitstellung sämtlicher Stasi-Akten.

Inhalt

Einführung: »Der Wald von Ravensbrück«

Gedanken des Autors

Methodische Überlegungen

Zeugnisse der Gegenwart: Die Gedenkstätte Ravensbrück

Systematische Verbrechen: Ein Näherungsversuch

Die Anfänge des Konzentrationslagers Ravensbrück

Entwicklung der Personalstruktur des SS-Aufsichtspersonals

Die Entstehung der Gefangenenpopulation

Die Vernichtung und Tötung von Gefangenen im Zuge der Zwangsarbeit

Die Vernichtung von Gefangenen mit medizinischen Experimenten und Vergiftungen bei der ärztlichen Behandlung

Die gezielte Vernichtung von Gefangenen durch unmenschliche Behandlung

Die Massenvernichtung von Gefangenen durch Vergasung

Die Auflösung des Lagers

Berichte über die Todeszone Uckermark - »Nebenlager« Ravensbrück.

Impressionen

Schlussteil

Anhang

Abbildungsverzeichnis

19. Film- und Internetressourcen

Quellenverzeichnis

1. Einführung: »Der Wald von Ravensbrück«

»Hoch ragt der Wald von Ravensbrück.

Sein Atem brachte allen Glück.

Die nach des Tages Lärm und Wühlen

vom Werke kamen, um frei sich zu fühlen.

Aber wenn heute der Wind sich hebt,

[q]uälendes Seufzen den Wald belebt.

Trauernd hinab die Wipfel sich senken,

[s]ehen erschauernd des Todeslenkens.

Schmerzenswald von Ravensbrück,

[g]ib uns dem Leben wieder zurück.

In dumpfer Hitze erntet er

[a]us dem schleichenden Frauenmeer

[e]inst stolze, blühende Kampfgestalten,

[d]ie nun durch Hunger und Schmerz erkalten.

Wir sehen kaum des Blattes Grün,

[d]och trotz’ge Blicke zum Zaune glüh’n.

Dahinter jagt die pfeifende Schlange,

Zeuge des Lebens, so fern – wie lange?

Schmerzenswald von Ravensbrück,

[g]ib uns dem Leben wieder zurück.

Wir fragen die Barackenwand:

Wo sind sie alle, die wir gekannt?

Wann schlägt der Freiheit heil’ge Flamme

[d]ie braunen Henker, die Gott verdamme?!

Wo ist der Kinder warmer Blick?

Wann blüht uns wieder Familienglück?

Wie lange hält in Not und Bangen

[d]ie Furie Krieg das Volk noch gefangen?

Schmerzenswald von Ravensbrück,

[g]ib uns dem Leben wieder zurück.

Ob auch in strenger Bunkerhaft,

[b]ei eisiger Wand das Hirn erschlafft;

[w]enn auch des Todes Augenhöhlen

[i]n langer Nacht entsetzlich quälen;

[s]o sicher wie Schnee und Eis vergeh’n,

[d]ie schlagen aus der Wipfel Höh’n,

[s]o hallen aus diesem Walde wieder

[d]er frohen Jugend Frühlingslieder!

Schmerzenswald von Ravensbrück,

[g]ib uns dem Leben wieder zurück.«1

1 Zitiert aus der SlgBu, Band 25, Bericht 339. Im Oktober 1945 wurde dieses Gedicht in die Sammlung der KZ-Überlebenden Erika Buchmann aufgenommen.

2. Gedanken des Autors

Dieses Gedicht fasst die Empfindungen einer unbekannten, jüdischen Ärztin zusammen, die im Frauen-KZ Ravensbrück ermordet wurde. Diese wenigen Zeilen verdeutlichen, wie KZ-Häftlinge die Situation empfunden haben müssen, aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen zu werden, um daraufhin die wenigen Eindrücke außerhalb der Lagermauern als letzte Verbindung zu dem Altbekannten wahrzunehmen. Der Wald, dessen Baumkronen über die kalte Lagermauer hinausragen und vom Wind geweht werden, steht als Sinnbild für die Freiheit, nach der sich die Gefangenen in Ravensbrück sehnen, bzw. nach dem Leben, das sie einst besaßen.

In der folgenden Aufarbeitung der Geschichte des Frauen-KZ Ravensbrück sollen gerade die Empfindungen der überwiegend weiblichen KZ-Häftlinge herausgearbeitet werden, um die damaligen Verhältnisse innerhalb des Lagers authentisch wieder aufleben zu lassen. Der zunächst als Zwangsarbeitslager gegründete Standort Ravensbrück fungierte in den letzten Kriegsjahren als Durchgangs- und Vernichtungslager. Als Grundlage zur Analyse dienen bisher unentdeckte Stasi-Akten (Ministerium für Staatssicherheit der DDR), die erstmals einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Die Akten enthalten Berichte von einer frühen Tatortbegehung, als beispielsweise fast alle KZ-Fundamente noch erhalten waren. Ergänzt wurden die Berichte um Zeitzeugenberichte, die in einer Zeit aufgenommen wurden, in der die Erinnerungen noch frisch waren und deswegen zahlreiche Details enthalten sind. Das Ministerium für Staatssicherheit ging bei den Ermittlungen aus ideologischen Gründen besonders akribisch vor, da man besonderes Interesse hatte, die Verbrechen des Faschismus aufzudecken. So kam es dazu, dass auch beispielsweise emotionale Empfindungen in Zeitzeugenaussagen sehr detailliert festgehalten und überliefert werden konnten. Der Bericht stellt sich folglich als hervorragende Grundlage für die historisch umfassendste Aufarbeitung des größten Frauen-Vernichtungslagers der NS-Geschichte dar. Denn in keinem anderen Konzentrationslager auf deutschem Boden kamen mehr Frauen durch medizinische Experimente, Injektionen, Vergiftungen, Erschießungen oder durch Vergasung ums Leben als in Ravensbrück. Auch wenn man glaubt, über das Leben in einem Vernichtungslager Bescheid zu wissen, wird man doch noch – anhand der anschaulichen Berichte – von der täglich herrschenden Brutalität und Willkür überrascht sein.

3. Methodische Überlegungen

Dieses Buch, das sich als klassisches Sach- und Quellenbuch versteht, widmet sich dem Lagerkomplex Ravensbrück mit seinem Zustand aus den frühen Nachkriegsjahren, dessen Beschreibung in einem Bericht vom 1. Oktober 1965 von der damaligen »Bezirksverwaltung Rostock« zur Aufklärung festgehalten wurde. Denn im Jahr 1945 war es der SS-Führung des KZ Ravensbrück gelungen, sämtliche schriftlichen Dokumente zu vernichten oder zu verlagern. Darüber hinaus ging das verbleibende Quellenmaterial durch unsachgemäße Behandlung verloren. Aus diesem Grund erschien es sehr aufwendig, die genaue Faktenlage über das Ausmaß der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im KZ Ravensbrück zu enthüllen. Damalige Studien lieferten nur einen relativ eingeschränkten Überblick über diesen Sachverhalt. Deutlich wird dies vor allem daran, dass die massenhafte Vernichtung von weiblichen Gefangenen durch Vergasungen im Jahr 1943 in diesem Lager unentdeckt geblieben war. Man ging also lange davon aus, dass die Gaskammer erst später errichtet worden sei. In früheren Studien wurde diese Art der Vernichtung hauptsächlich im Zusammenhang mit den Evakuierungen Ende 1944 oder Anfang 1945 erwähnt.2 Nach Erkenntnissen der Stasi ist dies aber bereits 1943 geschehen. Dies ist vor allem durch die NS-Prozesse in der SBZ und später in der DDR ans Tageslicht gekommen.

Gerade in diesen Jahren befanden sich zahlreiche Überlebende des Konzentrationslagers immer noch in der Rekonvaleszenz, geprägt von quälenden Erinnerungen, Alpträumen, gesundheitlichen Schäden, Emotionen wie Erleichterung, Trauer, Wut, Hass und so weiter. Das unbeschreibliche Leid blieb den Überlebenden häufig noch allzu gegenwärtig, als ob sie gerade aus dem Lager befreit worden wären. Viele der Peiniger tauchten unter, flohen in den Westen, verschwanden in der Anonymität; wenige konnten vor Gericht gestellt werden. Neben einigen Aufnahmen aus der frühen Tatortbegehung enthält dieses Buch den von mir modifizierten Lagerbericht.3 Dieser basiert im Wesentlichen auf den ersten Erkenntnissen der Ermittlungsakten des »Untersuchungsorgans«4.

Vor der Erstellung dieses Lagerberichts sowie der Fotos vom Tatort stand das »Untersuchungsorgan« vor vielen Fragen, insbesondere wenn es darum ging, die ehemaligen NS-Täter in der DDR zur Rechenschaft zu ziehen. Der Stasi ging es vornehmlich darum, eine vorläufige Arbeitsgrundlage zu schaffen, indem man sich an den wichtigsten Details orientieren wollte.5

Darüber hinaus enthält dieses Buch auch Fotografien, insbesondere historische, sowie ergänzende Zitate, die aus den späten Nachkriegsjahren stammen, um der Dokumentation aus dem von mir modifizierten Stasi-Bericht mehr Ausdruck zu verleihen und bestmöglich zu visualisieren. Zu diesem Thema habe ich in verschiedenen6 Archiven recherchiert und alle relevanten Informationen zusammengestellt. Hier habe ich jedoch besonders darauf geachtet, dass der Kern des

Berichts, das geistige Eigentum der ehemaligen »Bezirksverwaltung Rostock«, nicht verwässert wird.

Dieses Buch ist in zwanzig Abschnitte unterteilt, einschließlich der Einführung, des Schlussteils, des Anhangs und der Auflistung der Quellen. Während die Abschnitte 5 – 13 ausführlich den Lagerkomplex Ravensbrück vom Näherungsversuch bis zur Auflösung aus dem Blickwinkel der Stasi, als Kern dieses Buches, dokumentieren, beschäftigt sich der vierzehnte Abschnitt mit dem umliegenden Lager Uckermark, das in den letzten Kriegsmonaten als »Vernichtungszone« diente. Letzteres stellt jedoch keine Dokumentation des sogenannten »Untersuchungsorgans« dar, sondern entstammt der Sammlung Erika Buchmanns7, die bewusst in den Lagerbericht mit ergänzendem Fotomaterial und zusätzlichen Ausführungen eingebunden wurde. Diese Dokumentation gewährt somit einen tieferen Einblick in das fast vergessene KZ Uckermark. Im Anschluss vermitteln einige Impressionen das Empfinden nach der Befreiung.

Akribische Ermittlungen gegen NS-Täter verliefen immer unter dem Vorbehalt, dass sie ganz besonders als »Staatsfeinde« der DDR galten. Die sogenannten Sympathisanten des »faschistischen Systems«, wie es immer wieder im Fachjargon des »Untersuchungsorgans« hieß, handelten in den Augen der Stasi gegen den »Kommunismus« oder gegen die »Arbeiterklasse« und sollten unbedingt mit aller Strenge des Gesetzes bestraft werden.8 Obwohl diese Sichtweise in Einzelfällen auch umstritten sein dürfte, da solche Verfolgungen wahrscheinlich zu Propagandazwecken9 gegen die »westliche« Welt stattfanden, in der ehemalige Nazi-Täter überwiegend unbehelligt leben konnten, diente sie (mehr unbewusst) dem Zweck, die ersten gewonnenen Erkenntnisse aus der unmittelbaren Nachkriegszeit am originalgetreusten darzulegen.

Während in der Schlussfolgerung unter anderem auf den Vergleich des heutigen Zustandes eingegangen wird, bietet der Anhang abschließend einen Ausschnitt aus dem Tagebuch einer italienischen Gefangenen in Ravensbrück.

Die zitierten Aussagen entsprechen einer alten Rechtschreibung und weisen zum Teil einige Rechtschreibfehler auf. In Übereinstimmung mit den Zitationsregeln wurde an den Texten möglichst nichts geändert. Wörter, die der alten Orthographie entsprechen, wurden von mir mit »[sic!]« versehen, Korrekturen oder Ergänzungen wurden in eckige Klammern gesetzt »[…]« und Auslassungen wurden zum Teil mit »[…]« markiert.

Hervorzuheben ist auch, dass mein Hauptanliegen in meinen Arbeiten darin besteht, in Vergessenheit geratene Primär-Akten in Form eines deskriptiven Sachtextes oder Berichts zu veröffentlichen und somit vor dem Vergessen zu bewahren.

In diesem Buch finden sich auch zum Teil verharmlosende und überwiegend empathielose Aussagen von Tätern im Kontrast zu den schmerzhaften, emotional bewegenden Berichten von ehemaligen Gefangenen. Damit sollen die Stimmen der Gefangenen sozusagen in ihrem ursprünglichen Tonfall wiedergegeben werden, der in den Aussagen über die erlebten Schikanen und Misshandlungen, die Selektionen und die Morde so deutlich zu hören ist.

2 Nach den Informationen der StGB/MGR.

3 Dem Lagerbericht wurden Aufnahmen aus einer anderen »MfS-Akte« (ein Fotoalbum zu Ermittlungszwecken) hinzugefügt, um die beschriebenen Geschehnisse besser zu visualisieren. Außerdem wurden Begrifflichkeiten angepasst, die nicht mehr zeitgemäß erscheinen, da sie in der Sprache der Stasi verwendet wurden. Somit könnte der heutige Leser den Eindruck bekommen, dass dieser Lagerbericht stark ideologisiert dargestellt ist. Der Lagerbericht ohne die vorgenommene Modifizierung könnte man als Versuch der Stasi auffassen, weniger die KZ-Verbrechen zu dokumentieren und aufzuklären, sondern vielmehr Propaganda gegen die »westliche« Welt zu betreiben. Das mag zwar in Teilen sogar stimmen, bedenkt man, welche perfiden Methoden die Stasi anwandte, um beispielsweise um jeden Preis Geständnisse zu erpressen. Allerdings hatte die Stasi aufgrund der eindeutigen Faktenlage kaum Spielraum, manipulativ einzugreifen. Zweck der Modifikation war es, diese Fakten ohne Stasi-Ideologie darzustellen. Deswegen liefert dieser Bericht eine der authentischsten Dokumentationen dieses Verbrechenskomplexes.

4 Die Bezeichnung »Untersuchungsorgan« ist sowjetischen Ursprungs und hat in den frühen 1950er Jahren den traditionellen deutschen Begriff »Ermittlungsbehörde« in der DDR schrittweise abgelöst. Nach der Strafprozessordnung (StPO) der DDR verfügten die »Untersuchungsorgane« über die Befugnisse der polizeilichen Ermittlungsbehörden und standen unter der Aufsicht der Staatsanwaltschaft während der Bearbeitung des Ermittlungsvorgangs. Vgl. BStU, MfS-Lexikon: Untersuchungsorgan.

5 Vgl. BStU, MfS, HA XX, Nr. 4693, Bericht der Abteilung XX, Rostock, 1. Oktober 1965.

6 Verweis auf das Quellenverzeichnis.

7 Erika Buchmann, geboren am 19. November 1902 in München, war eine politische Gefangene im KZ Ravensbrück. Nach Kriegsende trug sie sämtliches Material zusammen, darunter auch Erlebnisberichte, die zur Aufklärung beitrugen. Dabei erfolgte eine enge Zusammenarbeit mit der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes). Sie starb im November 1971 in Ostberlin. Vgl. Ausschnitt der Biographie Erika Buchmann in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück (StGB/MGR).

8 Auf dieses Thema wird hier nur kurz eingegangen, da es sonst den Rahmen dieses Buches sprengen würde.

9 Siehe Fußnote 3.

4. Zeugnisse der Gegenwart: Die Gedenkstätte Ravensbrück

Im Anschluss an die Befreiung nutzte die sowjetische Armee einen Großteil des ehemaligen Konzentrationslagers als Kaserne. Ehemalige Gefangene bemühten sich seit 1948, den Bereich um das Krematorium zu erhalten und in einen Ort der Erinnerung zu verwandeln. Insbesondere die Vereinigung der Verfolgten des

Abb. 1: Umbau zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte. Bauzustand April 1957

Naziregimes (VVN) beteiligte sich an diesem Vorhaben. So fand im September 1948 die erste Gedenkfeier statt. Auf dem Fürstenberger Marktplatz legten die Teilnehmer nach einer Kundgebung in Ravensbrück Kränze an einer provisorischen Gedenkstätte nieder. Solche Gedenkveranstaltungen fanden seitdem jährlich statt. Kurz nach der Befreiung entstanden um das Lager herum drei Gräberfelder. Entlang der späteren »Mauer der Nationen« wurden die an dieser Stelle begrabenen Toten Anfang der 1950er Jahre in ein Massengrab umgebettet. Die gefundenen Aschereste wurden in der Nähe des Krematoriums beigesetzt. Von der Gaskammer existieren weder Bauzeichnungen noch Gebäudereste. Die Erkenntnisse in Bezug auf die Gaskammer stützen sich also lediglich auf Zeugenaussagen.10

Abb. 2: Bauarbeiten: Zustand April 1957

Abb. 3: Monument am See mit der Plastik von W. Lammert im September 1959

Abb. 4: Ehemaliger Erschießungsgang im September 1959

Abb. 5: Ehemaliges Zellengebäude: Blick durch die Gittertür in eine Zelle im September 1965

Im Jahr 1959 entstand im Zellengebäude das erste Lagermuseum. Zahlreiche Überlieferungen und Schenkungen von KZ-Überlebenden flossen in die Gestaltung mit ein. Darunter befanden sich vor allem persönliche Erinnerungsstücke, Zeichnungen, Fotos und Dokumente.

Am 12. September 1959 fand die Eröffnung der »Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück« als eine der drei nationalen KZ-Gedenkstätten der DDR statt. In den Entwurf des sogenannten Kollektivs Buchenwald wurde ein Teil der ehemaligen KZ-Anlagen außerhalb der Lagermauer einbezogen, darunter das Krematorium, der ehemalige Zellenbau sowie einen Teil der Lagermauer, die eine Höhe von vier Metern umfasst.11

Abb. 6: Teil der Lagermauer: Ansicht mit Plastiken von Will Lammert im September 1959

Die Überreste verstorbener Gefangener aus verschiedenen Gräbern wurden in dem 1959 errichteten Massengrab vor der westlichen Lagermauer begraben. Das Herzstück der Erinnerungsstätte stellt die Bronzeskulptur »Die Tragende« von Will Lammert dar, die als Wahrzeichen der Gedenkstätte Ravensbrück gilt.12

Um wirksame Strafverfahren gegen ehemalige NS-Täter einzuleiten, stellte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sämtliches Fotomaterial in einem eigenen Album13 zusammen. Diese Fotos sind das Ergebnis einer umfassenden Tatortbesichtigung in den frühen Nachkriegsjahren. Dieser Ansatz sollte den Verbrechenskomplex direkt am Tatort dokumentieren. Viele Fundamente blieben erhalten, sodass eine bestmögliche Rekonstruktion des Tatorts gewährleistet war. Dabei wurde fast jeder Winkel ausführlich untersucht, um möglichst authentisches Beweismaterial zu sichern. Diese Verfahrensweise erwies sich als absolut vorteilhaft, da sich das Lager auf dem Gebiet der ehemaligen DDR befand, so dass keine nennenswerten Zugangsbeschränkungen vorlagen. So erfolgte die Besichtigung der frühen Gedenkstätte sowohl auf rein sachlicher Ebene als auch aus taktischen Gründen. Das nationale Gedenken rückte in diesem Sinne zunächst in den Hintergrund.

10 Die Überlieferungen kamen nach und nach und beziehen sich an dieser Stelle vielmehr auf die Ausgestaltung der Mahn- und Gedenkstätte. Die KZ-Überlebenden gestalteten den Ausbau insofern mit. Nach den Informationen der StGB/MGR.

11 Die Fundamente sind zum Teil erhalten geblieben, wurden aber auch zum größten Teil restauriert und rekonstruiert. Nach den Informationen der StGB/MGR.

12 Nach den Informationen der StGB/MGR.

13 Vgl. BStU, MfS, HA IX/11 ZUV 2, Bd. 3.

5. Systematische Verbrechen: Ein Näherungsversuch

Seit der Etablierung der faschistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 wurden die politischen Gegner des Naziregimes in Konzentrationslagern interniert. Mit der Verfolgung wurden insbesondere gegen Mitglieder der »Kommunistischen Partei Deutschlands«, fortschrittliche Sozialdemokraten und Intellektuelle vorgegangen, die sich gegen das Naziregime gestellt hatten. Durch den weiteren Anstieg der Häftlingszahlen in den Konzentrationslagern und die fortschreitende Verfestigung der faschistischen Gewaltherrschaft übernahm die SS nach dem Röhm-Putsch 1934 die Konzentrationslager. Als Himmler 1936 neben seiner Funktion als Reichsführer-SS auch die Position eines Leiters der deutschen Polizei erhielt, fielen die Konzentrationslager vollständig in den Wirkungsbereich der SS, allerdings ohne jegliche Beeinflussung durch andere Ämter.14

Abb. 7: Ansichtskarte aus Fürstenberg/Havel in der Nähe des Frauen-KZ Ravensbrück (undatiert)

Abb. 8: Appellplatz des neu errichteten Frauen-KZ Ravensbrück (um 1939)

Die Gefangenen waren in den Männer- und Frauenlagern getrennt untergebracht. 1937 wurde das KZ Lichtenburg bei Torgau in ein Frauen-KZ umgewandelt und bis Mai 1939 in dieser Funktion genutzt. Zur gleichen Zeit entstand das Frauen-KZ Ravensbrück bei Fürstenberg/an der Havel. Durch den steten Ausbau des Lagers mit dem Bau weiterer Baracken stieg der Fassungsraum auf mehr als 30.000 Gefangene.15

Im KZ Ravensbrück und seinen Außenlagern waren nach bisherigen Erkenntnissen insgesamt rund 130.000 bis 150.000 weibliche Gefangene verschiedener Nationalitäten und Weltanschauungen inhaftiert. Zwischen 1940 und April 1945 wurden mehr als zwei Drittel dieser Gefangenen im KZ Ravensbrück ermordet. Nach Schätzungen beträgt die Zahl der Todesopfer etwa 92.000. Im KZ-System Ravensbrück gehörte die Vernichtung von Gefangenen somit zum Alltag. Nach der berüchtigten Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 und der

Abb. 9: Das Barackenlager des Frauen-KZ Ravensbrück: Bei den H-förmig miteinander verbundenen Baracken (vorne links) handelt es sich um den Häftlingskrankenbau (zwischen 1940 – 1941).

Ankündigung der »Nacht- und Nebelaktion« durch den Oberbefehlshaber der Wehrmacht im Dezember 1941 und den damit verbundenen Erlassungen durch das Reichsministerium der Justiz im März 1943 erlangte die gezielte Vernichtung einen institutionellen Rahmen.16

Die NS-Regierung machte sich, zum Zwecke der Vernichtung der Gefangenen, die Leitung des Konzentrationslagers, seiner SS-Wachmannschaften sowie SS-Aufseherinnen in verschiedenen Bereichen des Konzentrationslagers zunutze. Dabei waren diese Personengruppen den Anweisungen und Anordnungen des Reichsführers-SS und insbesondere des Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes der SS unterworfen. Hier befanden sich die eigentlichen Urheber und Gestalter des Massenmordes in den faschistischen Konzentrationslagern. Hier wurden die

Abb. 10: Das Krematorium im KZ Ravensbrück – (Innenansicht) mit zwei gemauerten Verbrennungsöfen mit Ascheresten (Mai 1945)

Umsetzungsschritte für das Euthanasieprogramm, für die »Endlösung der Judenfrage« und für die physische Vernichtung aller politischen Gegner des Naziregimes vorbereitet und beschlossen. Unter den sogenannten Schreibtischtätern befanden sich die in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher und SS-Spitzen. Darunter der ehemalige Bonner Staatssekretär Globke, der vom Obersten Gerichtshof der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt wurde sowie der Massenmörder Adolf Eichmann, der in Israel zum Tode verurteilt wurde.17

Abb. 11: Blick vom Feierplatz auf das ehemalige Krematorium (undatiert)

Abb. 12: Krematorium und Teil der Lagermauer (Teilansicht, undatiert)

Im KZ Ravensbrück erfolgten die Anweisungen und Befehle dieser Personen ebenfalls freiwillig durch die dort eingesetzten SS-Handlanger. Bei der Massenvernichtung von Gefangenen wurden Schüsse, Schläge, medizinische Experimente, Sklavenarbeit in der Rüstungsindustrie, Hunger und Vergasungen angewandt. Die wohl verbreitetste Methode im KZ Ravensbrück bestand in der groß angelegten Vergasung von Gefangenen.18

Abb. 13: Die in Auschwitz eingesetzte SS-Aufseherin Gertrud Zlotos21 in Uniform (undatiert)

Das KZ Ravensbrück diente gleichzeitig als Ausbildungsstätte für die Mehrzahl der SS-Aufseherinnen, von denen die meisten in den Frauenabteilungen der anderen Konzentrationslager in Deutschland und den besetzten Gebieten stationiert waren.19

Die in Ravensbrück geschulten SS-Aufseherinnen waren unter anderem in Auschwitz, Lublin, Bergen-Belsen und anderen Konzentrationslagern im Einsatz.20

In der Ausbildung wurden die Aufseherinnen mit dem System der Massenvernichtung vertraut gemacht und darin eingebunden.22

Abb. 14: Dienstausweis der SS-Aufseherin Irene Grünberg, ausgestellt im KZ Ravensbrück (undatiert)

Abb. 15: Dienstausweis der SS-Aufseherin Anna Meinel, ausgestellt im KZ Lublin-Majdanek (vermutlich 1943)

14 Vgl. BStU, MfS, HA XX, Nr. 4693, Bericht der Abteilung XX, Rostock, 1. Oktober 1965.

15 Vgl. BStU, MfS, HA XX, Nr. 4693, Bericht der Abteilung XX, Rostock, 1. Oktober 1965.

16 Vgl. BStU, MfS, HA XX, Nr. 4693, Bericht der Abteilung XX, Rostock, 1. Oktober 1965.

17 Vgl. BStU, MfS, HA XX, Nr. 4693, Bericht der Abteilung XX, Rostock, 1. Oktober 1965.

18 Vgl. BStU, MfS, HA XX, Nr. 4693, Bericht der Abteilung XX, Rostock, 1. Oktober 1965.

19 Vgl. ebenda.

20 Vgl. ebenda.

21 Gertrud Zlotos, geboren am 9. März 1917 in Hindenburg (Schlesien), musste sie sich vor dem Kreisgericht Krakau (Polen) verantworten und wurde am 28. Juni 1948 zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. Vgl. AIPN, Prozessakten, SSOKr-563.

22 Siehe Fußnote 18.

6. Die Anfänge des Konzentrationslagers Ravensbrück

Im Jahre 1945 verkündete Rudolf Höß Folgendes:23

»Die Errichtung des Frauenlagers war geplant. Die Lichtenburg war als KL [Konzentrationslager] nicht geeignet und viel zu klein.

Nach vielem Suchen haben Pohl und Eicke sich für das Gelände am See von Ravensbrück entschieden. Es kommt zu näheren Baubesprechungen an Ort und Stelle zwischen Pohl und Eicke. Der Kommandant, der die Häftlinge für den Bau stellen soll und auch dort unterbringen muss, wird hinzugezogen und ich.

Noch ist die Frage nicht entschieden, wie groß das KL werden soll. Eicke schätzt im äussersten [sic!] Fall 2 000 weibliche Häftlinge und Pohl will für 10 000 gebaut wissen.