Das Frauenbild bei Anthony Trollope: Eine Subversion der viktorianischen Konvention? - Kristin Behrends - E-Book

Das Frauenbild bei Anthony Trollope: Eine Subversion der viktorianischen Konvention? E-Book

Kristin Behrends

0,0
36,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2002
Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Anglistik - Literatur, Note: 1,0, Universität Duisburg-Essen (Fakultät für Anglistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Frauen leben heute in einem Zeitalter, in dem ihnen zahlreiche Möglichkeiten geboten werden, ihre Träume zu verwirklichen, ihre intellektuellen Fähigkeiten einzusetzen und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Doch dies war nicht immer so. Die weibliche Emanzipation blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Frauenfrage in vielen Ländern Europas, besonders im viktorianischen England, öffentlich diskutiert. Im Gegensatz zu den Frauen des 21. Jahrhunderts […], bestand das Anliegen vieler Viktorianerinnen hingegen in einer grundsätzlichen Verbesserung ihrer rechtlichen und sozialen Stellung. Das der Grundstein für die weibliche Gleichberechtigung in England somit bereits vor mehr als hundert Jahren gelegt wurde, wäre uns heute jedoch nicht bewusst, hätten nicht viktorianische Philosophen, Essayisten, und Romanciers diese Bewegung in ihren Werken festgehalten. […] Weniger bekannt ist hingegen, dass der moderne Leser auch durch das Werk des viktorianischen Schriftstellers Anthony Trollope einen interessanten Einblick in die weibliche Lebensrealität des 19. Jahrhunderts erhält. Nicht zuletzt, da Anthony Trollope als Vertreter des realistischen Romans stets bemüht war, mit Hilfe seiner Romanfiguren die viktorianische Gesellschaft wirklichkeitsgetreu zu porträtieren. Er selbst schrieb dazu im Jahr 1883 in seiner Autobiography: ‘A novel should give a picture of common life [...]. To make the picture worthy of attention, the canvas should be crowded with real portraits, not of individuals known to the world or the author, but of created personages impregnated with traits of character which are known. [...] so that my readers might recognise human beings like themselves [...].’ (Autobiographie, 126, 145). In seinen mehr als 50 Romanen begegnen dem Leser deshalb über hundert verschiedene Frauenfiguren, deren Schicksal, Ansprüche und Träume die Lebensrealität viktorianischer Frauen widerspiegeln. Im Rahmen dieser Arbeit soll nun gezielt der Frage nachgegangen werden, ob Trollope seine Frauenfiguren ausschließlich als Abbilder des konventionellen Weiblichkeitsideals darstellt oder in seinen Romanen auch Frauen zu finden sind, die das gängige Ideal des Angel in the House unterlaufen und dadurch die feministische Fragestellung des viktorianischen Zeitalters sowie seine eigenes Verständnis für die emanzipatorischen Forderungen seiner Zeitgenossinnen reflektieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
1 Die Stellung der Frau in der Viktorianischen Gesellschaft
2 Frauen in Trollopes Leben
3 Frauen in Trollopes Werk
4 Resümee

Page 1

Page 2

Page 3

DANKSAGUNGEN

In seinerAutobiographysagt Trollope über seine Figuren: ‘I have wandered alone among the rocks and woods, crying their grief, laughing at their absurdities, and thoroughly enjoying their joy.’ (Autobiographie, 176). Beim Schreiben dieser Arbeit hatte auch ich oft das Gefühl, als würde ich in gewisser Weise mit seinen Figuren leben, es lernen, ihre Probleme zu verstehen und ihre Freude zu teilen. Dies wäre jedoch nicht ohne das Verständnis, die zahlreichen Anregungen und die tatkräftige Unterstützung all derer möglich gewesen, die in Wirklichkeit ein Teil meines Lebens sind und mich während meiner Magisterarbeit sowie in meinem Studium begleitet und unterstützt haben.

Mein Dank gilt deshalb Herrn Prof. Dr. Börner und Frau Dr. Kuczynski für die Anregung zu dieser Arbeit, ihre fachliche Unterstützung und ihre Fähigkeit, in ihren Seminaren das Literaturstudium stets mit Leben zu füllen. Außerdem möchte ich mich bei meinem Freund und Partner, Tobias, für sein Verständnis, die moralische Unterstützung, die anregenden Diskussionen und seine Sorge um mein leibliches Wohl bedanken. Weiterhin danke ich meiner Mutti, dass sie bereits in der Kindheit mein Interesse an der Literatur geweckt hat und mir auch während dieser Arbeit mit Rat und Tat zur Seite stand. Ein Dank geht natürlich auch an alle Freunde, die mich mit viel Verständnis während dieser Arbeit begleitet haben.

Page 4

ABSTRACT

Frauen leben heute in einem Zeitalter, in dem ihnen zahlreiche Möglichkeiten geboten werden, ihre Träume zu verwirklichen, ihre intellektuellen Fähigkeiten einzusetzen und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Doch dies war nicht immer so. Die weibliche Emanzipation blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Frauenfrage in vielen Ländern Europas, besonders im viktorianischen England, öffentlich diskutiert. Im Gegensatz zu den Frauen des 21. Jahrhunderts, die über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie debattieren, bestand das Anliegen vieler Viktorianerinnen hingegen in einer grundsätzlichen Verbesserung ihrer rechtlichen und sozialen Stellung. Das der Grundstein für die weibliche Gleichberechtigung in England somit bereits vor mehr als hundert Jahren gelegt wurde, wäre uns heute jedoch nicht bewusst, hätten nicht viktorianische Philosophen, Essayisten, und Romanciers diese Bewegung in ihren Werken festgehalten. Zu den bedeutendsten Zeitzeugen gehörten dabei zum größten Teil Frauen, wie zum Beispiel die Schriftstellerinnen Charlotte Brontë und George Eliot. Ihre Romane sind daher noch immer häufig Gegenstand moderner literaturwissenschaftlicher Analysen, die im Rahmen der Frauen- und Geschlechterforschung gemacht werden. Aber auch Männer, wie die Schriftsteller Charles Dickens, Wilkie Collins und William M. Thackeray werden heute als wichtige Zeitzeugen betrachtet, die uns auf verschiedene Weise einen Einblick in die frühen feministischen Diskussionen ermöglichen.

Weniger bekannt ist hingegen, dass der moderne Leser auch durch das Werk des viktorianischen Schriftstellers Anthony Trollope einen interessanten Einblick in die weibliche Lebensrealität des 19. Jahrhunderts erhält. Nicht zuletzt, da Anthony Trollope als Vertreter des realistischen Romans stets bemüht war, mit Hilfe seiner Romanfiguren die viktorianische Gesellschaft wirklichkeitsgetreu zu porträtieren. Er selbst schrieb dazu im Jahr 1883 in seinerAutobiography:‘A novel should give a picture of common life [...]. To make the picture worthy of attention, the canvas should be crowded with real portraits, not of individuals known to the world or the author, but of created personages impregnated with traits of character which are known.[...]so that my readers might recognise human beings like themselves

Page 5

[...].’(Autobiographie, 126, 145). In seinen mehr als 50 Romanen begegnen dem Leser deshalb über hundert verschiedene Frauenfiguren, deren Schicksal, Ansprüche und Träume die Lebensrealität viktorianischer Frauen widerspiegeln. Im Rahmen dieser Arbeit soll nun gezielt der Frage nachgegangen werden, ob Trollope seine Frauenfiguren ausschließlich als Abbilder des konventionellen Weiblichkeitsideals darstellt oder in seinen Romanen auch Frauen zu finden sind, die das gängige Ideal desAngel in the Houseunterlaufen und dadurch die feministische Fragestellung des viktorianischen Zeitalters sowie seine eigenes Verständnis für die emanzipatorischen Forderungen seiner Zeitgenossinnen reflektieren.

Page 2

1 DIE STELLUNGDERFRAUIN DERVIKTORIANISCHEN

GESELLSCHAFT

1.1 ‘Angels in the House’: Die Subordination des schwachen Geschlechts

Im Jahr 1847 trat Anthony Trollope trat zum ersten Mal als Schriftsteller in das Rampenlicht der Öffentlichkeit. Dies war eine Zeit, in der sich England, unter der Schirmherrschaft von Königin Victoria, in einem fundamentalen gesellschaftlichen Umwandlungsprozess befand. Die Industrielle Revolution und der damit verbundene Übergang von der traditionellen Agrarwirtschaft zur modernen Industriegesellschaft hatten eine Neustrukturierung des sozialen Lebens in Gang gesetzt. Dabei waren es besonders die Bürger der englischen Mittelschicht, die Trollope in seinen Romanen porträtierte, die von diesem ‘[...] shift from a way of life based on the ownership of land to a modern urban ecomomy based on trade and manufacturing.’1profitierten. Doch die Betätigung des aufstrebenden Bürgertums in den neuen sozialen Systemen des öffentlichen Lebens blieb ein ausschließlich männliches Phänomen. Der gesellschaftliche Wirkungsbereich der Frau beschränkte sich weiterhin auf das familiäre Leben. Das Resultat war eine strikt nach Sphären getrennte geschlechterspezifische Arbeitsteilung, wie sie Lord Alfred Tennyson in seinem GedichtThe Princess2beschreibt:

Legitimiert wurde diese Rollenteilung durch die sogenannte dualistische Konzeption der Geschlechter, die sich bis um 1800 durchgesetzt hatte und auch in der männlich dominierten Gesellschaft der Viktorianer weiterhin die Art bestimmte‚ wie Männer und Frauen sich selbst und das jeweils andere Geschlecht wahrnah-

1Abrams,M. H. (Hrsg.): Norton Anthology of English Literature. Vol. II, 6. Ausg., New York: Norton & Company, 1993, S. 891.

2Tennyson, Lord Alfred: The Princess. (1847) In: Abrams, M. H. (Hrsg.): Norton Anthology of English Literature. Vol. II, 6. Ausg., New York: Norton & Company, 1993, S. 904.

Page 3

men.3Das heißt, Frauen wurden aufgrund ihrer physischen Eigenschaften, wie Zerbrechlichkeit und Biegsamkeit, als das von Natur aus schwächere Geschlecht wahrgenommen. Sie galten aber nicht nur in biologischer Hinsicht als Unterlegene des physisch starken Männergeschlechts.4Die Stereotypisierung sogenannter gottgegebener weiblicher Eigenschaften, wie Fürsorglichkeit, Mütterlichkeit, Selbstlosigkeit, Passivität und vor allem Emotionalität, besiegelte gleichzeitig auch ihre intellektuelle Minderwertigkeit: ‘Ihrer geistigen Veranlagung entsprechend, meidet sie [die Frau] penibles Experimentieren und Systematisieren zur Erkundung allgemeingültiger Gesetzmäßigkeiten.’5. Dies zeigt, dass Frauen in der viktorianischen Gesellschaft auf geschlechterstereotype weibliche Instinkte reduzierte wurden, man ihnen hingegen männlich konnotierte Fähigkeiten, wie zum Beispiellogical reasoning,absprach. Basierend dieser polaren Klassifizierung der physischen und psychischen Konstitution der Geschlechter, sahen die Viktorianer die Bestimmung der Frau im häuslichen und familiären Kreis - jenseits der männlichen Domäne von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Die daraus resultierende weibliche Rolle als Mutter, Haus- und Ehefrau wurde vor allem von der viktorianischen Mittel- und Oberschicht idealisiert. Während der bürgerliche Mann in der Geschäfts- und Berufswelt dem Ideal vonGentlemanlinessnacheiferte, galt es für dieladyan seiner Seite, dem zeitgenössischen Frauenideal desAngel in the Housegerecht zu werden.6

3Laut Schabert wurde ab 1800 der Mensch ‘[...] nicht mehr in weiblichen und männlichen Abstufungen, sondern als ontologischer Gegensatz von Mann und Frau gedacht. [...] Dasone-sex model[Weiblichkeit und Männlichkeit wurden als graduell verschiedene, nicht scharf von abgrenzbare Weisen des Menschseins verstanden.], das bislang als vorherrschendes Modell zur Erklärung der Geschlechterdifferenz fungierte, wurde vomtwo-sex model[zweigeteilte Geschlechterwelt in der Männer und Frauen als absolut konträr verstanden wurden] abgelöst.’ (Schabert, Ina: Englische Literaturgeschichte aus der Sicht der Geschlechterforschung. Stuttgart: Alfred Körner Verlag, 1997, S. 40.)

4Laut Bennent basierte die polare Charakterisierung der Geschlechtertypen auf der seit der Antike geläufigen biologischen Theorie der Fortpflanzung, in der man die männliche und die weibliche Rolle bei der menschlichen Reproduktion als nicht gleichwertig ansah: Während die Frau als passiv leidende, stoffliche Kraft angesehen wurde, galt der Mann als aktive, formende Kraft. (Vgl. Bennent, Heidemarie: Galanterie und Verachtung - Eine Philosophiegeschichtliche Untersuchung zur Stellung der Frau in Gesellschaft und Kultur. Frankfurt: Campus Verlag, 1985, S. 115.)5Ebd. S. 110.

6Gentlemanliness:neues männliches Ideal der Mittelschicht (bisher dem Adel vorbehalten), das moralische Stärke mit zuvorkommenden Umgangsformen verband.

(Vgl. Nünning; Vera: Der englische Roman des 19. Jahrhunderts. Stuttgart: Klett Verlag, 2000, S. 9.) Im 19. Jahrhundert kam es durch die Industrielle Revolution und den wirtschaftlichen Aufstieg der Mittelschicht zu einer Neudefinierung des ‘Gentleman’, die es einem angesehenen Bürger ermöglichte ‘[to] be accepted as a gentleman without previously indispensable advantages of rank or inherited wealth. [...] ‘gentleman’ could [now] refer more generally to a man of distinction or to a man who exhibited the chivalry and redefined sensibilities appropriate to a person of gentle birth.’. (Young, Arlene: Culture, Class and Gender in the Victorian Novel - Gentlemen, Gents and Working Women. Basingstoke: Macmillan Press, 1999, S. 14.)Angel in the House:idealisierte Vorstellung von der selbstaufopfernden, nur um das Wohl der Familie besorgten, moralisch reinen Ehefrau und Mutter. (Vgl. Nünning, a. a. O., S. 9.)

Page 4

Seine Popularität verdankte das neue bürgerliche Weiblichkeitsideal unter anderem der zeitgenössischen Literatur7, in der die Aufgaben der Frau folgendermaßen propagiert wurden: ‘Having struggled with the virgin decorum to acknowledge her love, [...] she devotes her life selflessly to being a pillar of support to her spouse, ministering to the children and running the household as a model of domestic economy.’8. Gemäß dieser Idealvorstellung waren die Frauen der Mittelschicht in ihrer Rolle alsselfless domestic servants‘[...] protected and enshrined within the home, [and] her role was to create a place of peace where man could take refuge from the difficulties of modern life.’9. Da die Frau in der patriarchalischen Geschlechterbeziehung stets dem Mann (Vater oder Ehemann) untergeordnet war, übernahm sie ihre soziale Rolle in der häuslichen Sphäre jedoch nicht als gleichberechtigter Partner. Töchter, Schwestern oder Ehefrauen fungierten vielmehr als stimulierende Elemente zur Untermalung und Ergänzung des männlichen Werdegangs. Obwohl es die primäre Aufgabe der Frauen war, dass Heim zu einem wohlorganisierten Ort der Ruhe, Zuflucht und Geselligkeit zu machen, unterstand auch dieser Verantwortungsbereich der Autorität eines sogenannten männlichenhousehold gods.

Dies zeigt, dass Trollope in einer Epoche lebte und arbeitete, in der die Stellung der Frau nicht von Freiheit und Selbstbestimmung geprägt war, sondern von Beschränktheit und Gehorsam.10Ihre gesellschaftliche Legitimation fand die lebenslange weibliche Subordination und Abhängigkeit in der viktorianischen Ge-schlechtertheorie der ‘subordinate,weak feminity’und ‘strong,dominating masculinity’11. Aus diesem biologischen Determinismus resultierte auch die gesellschaftliche Überzeugung, dass Frauen wegen ihrer körperlichen und geistigen Unterlegenheit vollkommen hilflos sind und daher stets die autoritäre Anleitung bzw. den Schutz eines starken männlichen Beschützers brauchen. Bedingt durch diese gesellschaftlich etablierte Annahme avancierte die Ehe im Laufe des 19. Jahrhunderts zur fundamentalen Form der viktorianischen Geschlechterbeziehung. Dabei fungierte

7Das viktorianische Frauenideal wurde unter anderem besonders durch Coventry Patmores GedichtThe Angel in the House(1854 -1856) popularisiert: ‘[A] long eulogy in praise of maiden modesty and love [in which] Patmore’s Angel […] epitomised a Victorian ideal, embodying romanticisation of family life her type appered again and again in Victorian writings.’(Markwick, Margaret: Trollope and Women. London: Hambledon Press, 1997, S. 10.)8Markwick, a. a. O., S. 10.9Abrams, a. a. O., S. 904.10Vgl. Bennent, a. a. O., S. 112.

11Davidoff, Leonore; Hall, Catherine: Family Fortunes - Men and Women of the English Middle Class 1780 - 1850. London: Routledge, 1994, S. 322.

Page 5

sie primär als ‘[...] economic and social block for the middle class [and] was the basis of a new family unit.’12. Die Ehe wurde zudem als eine sittliche Institution verstanden, die zur Sicherung der moralischen Stabilität beitrug. Für die Mehrzahl viktorianischer Frauen bot die Ehe außerdem die einzige Möglichkeit: ein eigenes Leben zu führen, gesellschaftliche Respektabilität zu erlangen und von den Eltern unabhängig zu sein. Als Ehefrauen unterstanden sie nicht mehr der Obhut des Elternhauses sondern der Autorität und Fürsorge ihres Ehemannes. Für Frauen war es folglich nur durch eine Heirat möglich, ein eigenes Heim zu gründen, in dem sie als Hausfrau und Mutter selbst Verantwortung trugen.

Um junge Damen der gehobenen Gesellschaftsschichten standesgemäß auf ihre zukünftige Rolle alsdomestic angel, devoted wifeundcaring mothervorzubereiten, wurden sie bereits im Mädchenalter größtenteils von ihren Müttern (teilweise auch von Gouvernanten oder Internatslehrerinnen) in Haushaltsführung, Krankenpflege und Kindererziehung eingeführt. Zudem hielt man sie dazu an, ihre Freizeit mit Briefe schreiben, dem Lesen leichter Literatur und dem Anfertigen von Handarbeiten zu verbringen. Die häusliche Erziehung sollte sie später dazu befähigen, als Ehefrau unter anderem die folgenden Pflichten zu erfüllen: ‘das Personal beaufsichtigen, persönlich das Zusammenlegen der Leinentücher überwachen, wie das allwöchentliche Putzen des Silbers, das Teppichklopfen und das Auswechseln der Vorhänge sommers und winters; die Speisekammer inspizieren, täglich den Speiseplan mit dem Koch festlegen, Monogramme in die Wäsche des Gatten sticken [...].’13. Ihre Pflichten sowie die vorgeschriebenen Tugenden einer Hausfrau konnten sie in sogenanntenadvice books,wie zum Beispiel Isabella BeetonsBook of Household Management(1861), nachlesen: ‘Mrs. Beeton’s work gave a preliminary list of a housewife’s virtues, which stressed early rising, frugality, limited acquaintances, an avoidance of love of company for its own sake, care in clothing, and restraint in conversation.’14. Als Managerin des häuslichen Bereichs oblag es verheirateten Frauen auch, mit Hilfe einer stilvollen Inneneinrichtung (Mobiliar, Porzellan, Kunstgegenstände, diverse Accessoires) eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen und durch gesellschaftliche Vergnügungen ihrem Heim ein Stück Lebenskultur zu verleihen. Da die Frauen der Mittel- und Oberschicht bei

12Davidoff, Hall, a. a. O., S. 322.

13Riva, Maria: Meine Mutter Marlene. München: Goldmann Verlag, 1992, S. 9.14Smith, Bonnie: Changing Lifes - Women in European History Since 1700. Lexington, Massachusetts: Heath and Company, 1989, S. 186.

Page 6

diesen geselligen Anlässen vor allem repräsentative Pflichten erfüllten, mussten sie auch über sogenannte weibliche accomplishments verfügen. Diese sollten sie dazu befähigen, als Gastgeberin oder während der Brautschau zurückhaltend die Männerwelt zu unterhalten. Zu denfeminine accomplishmentsgehörte deshalb ‘[...] a thorough knowledge of music [which presumably meant ability to perform on ‘the instrument’], singing, drawing, dancing, and the modern languages to deserve the word; [...] besides all this [a woman] must possess a certain something in her air and manner of walking, the tone of her voice, her address and expressions [...].’15. Durch die Idealisierung weiblicher Fähigkeiten und Tugenden wurde die viktorianische Frauenwelt dazu erzogen, sich unterzuordnen und stets auf das Wohl ihres männlichen Beschützers bedacht zu sein. Wie Mrs Sarah Stickney Ellis inDaughters of England(1842) propagierte, war es ‘[...] a woman’s highest duty [...] to suffer, and be still.’16. Indem man Frauen eine akademische Bildung vorenthielt, wurde ihnen zudem die Möglichkeit entzogen, sich aus ihrer Abhängigkeit zu befreien und ein eigenständiges Leben zu führen.

In der weiblichen Lebensgestaltung spielten, bedingt durch die häusliche Erziehung sowie die Beschränkung der Betätigungsmöglichkeiten auf die private Sphäre, Heirat und Ehe eine fundamentale Rolle. Daher war ‘[...] the one significant choice of [a woman’s] life, the selection of a husband.’17. Auch diese wichtige Entscheidung konnten sie in den meisten Fällen nicht selbstständig und zwanglos treffen. Zum einen mussten junge Damen während dercourtshipeinen klar definierten Verhaltenskodex einhalten. Das heißt, sie sollten die passive abwartende Rolle übernehmen, dem potentiellen Verehrer stets mit Zurückhaltung begegnen und ihre Absichten nie offen Preis geben. Besonders dashusband huntingund auch das Flirten in der Öffentlichkeit galten als unmoralisch und minimierten die weiblichen Chancen auf dem Heiratsmarkt. Zum anderen standen bei der Wahl des Partners nicht nur die Wünsche der Frau im Vordergrund, sondern auch familiäre sowie gesellschaftliche Erwartungen. Für junge Frauen bedeutete dies häufig, dass

15Percival, Alicia: The English Miss Today & Yesterday - Ideals, Methods and Personalities in the Education and Upbriniging of Girls during the last hundred Years. London: Harrap & Co., 1939, S. 54.16Markwick, a. a. O., S. 14. /

‘Mrs Sarah Stickney Ellis , a lady of prodigious output, perhaps more than equalled Coventry Patmore’s popularity with her tracts on behaviour and etiquette for the aspiring middle classes. The success of her books,Women of England(1839) was follwed byDaughters of England(1842),Wives of England(1843) andMothers of England(1843).’ (Ebd. S. 10.)17Nardin, Jane: He Knew She Was Right - The Independent Woman in the Novels of Anthony Trollope. Carbondale, Illinois: Southern Illinois University Press, 1989, S. 4.

Page 7

sie einen Kompromiss zwischen ihren Gefühlen und den pragmatischen Überlegungen der Eltern eingehen mussten. Einerseits akzeptierte die Familie nur eine gesellschaftlich und finanziell passende ‘gute’ Partie. Andererseits sollten junge Frauen aber auch dem gesellschaftlichen Ideal weiblicher Emotionalität entsprechen und nur aus Liebe heiraten. Dabei waren sie jedoch nicht privilegiert, ihren Partner aufgrund sinnlich leidenschaftlicher Zuneigung zu wählen, denn das weibliche Geschlecht erfuhr in der viktorianischen Epoche eine Entsexualisierung, die hauptsächlich auf die dualistische Geschlechtertheorie zurückzuführen ist. Trollopes Zeitgenossen waren davon überzeugt: ‘[...] nur der Mann kann seinen Trieben ohne Schamgefühl nachgeben, da er die maßgebende, tätige Rolle im Zeugungsakt inne hat. Die Frau hingegen, die von Natur aus zur Passivität verurteilt ist, darf vernünftigerweise nicht danach drängen, sich zum bloßen Objekt zu degradieren. [...] Im unverdorbenen Weibe äußert sich kein Geschlechtstrieb, und wohnt kein Geschlechtstrieb, sondern nur Liebe; und diese Liebe ist ein Naturtrieb des Weibes [...].’18. Laut der Interpretation der Viktorianer lag die natürliche Veranlagung der Frau nicht im Streben nach sexueller Erfüllung. Weibliche Liebe definierte man vielmehr als eine höhere reine Form zwischengeschlechtlicher Zuwendung, die aus dem primären emotionalen Bedürfnis der Frau resultierte, geliebt zu werden und zu lieben.19Frauen galten daher als vollkommen asexuelle Wesen, deren sinnliche Befriedigung nicht auf körperlicher sondern auf emotionaler Ebene (Befriedigung des Herzens) stattfand. Um diese unschuldige weibliche Liebe nicht unsittlichen Gefahren auszusetzen, war für junge Frauen jeglicher Körperkontakt mit dem zukünftigen Partner bis zur Hochzeitsnacht ein gesellschaftliches Tabu. Zudem verliehen die Viktorianer ihrer Idealvorstellung von weiblicher Liebe gern den Beigeschmack vonromance.In gewisser Weise hielten sie noch immer am verklärten Mythos von ewiger überirdischer Liebe fest, der in der Romantik geprägt wurde und den Gleichklang der Herzen sowie die Verschmelzung der Partner zu einer gemeinsamen Identität beschwor. Deshalb ging man unter anderem davon aus, dass eine junge Dame bis in alle Ewigkeit an ihrer Liebe festhielt, wenn sie sich einmal zu einem ihrer Verehrer bekannt hatte - auch wenn ihr männliches Pendant seinen Heiratsantrag zurückzog. Männern war es hingegen erlaubt, voreheliche Erfahrungen zu sammeln und sich bei der Partnerwahl mehrmals umzu-orientieren.

18Bennent, a. a. O., S. 117, 118.

19Vgl. Ebd. S. 118.

Page 8

Um auch nach der Eheschließung die absolute Reinheit ihrer Liebe unter Beweis zu stellen, mussten sich Frauen nach der Heirat mit allen ihren Besitztümern20und Rechten vorbehaltlos in die Obhut des Ehemannes begeben. Durch den Bund fürs Leben ging die Frau also quasi in den persönlichen Besitz ihres Mannes über. Diese Annexion aller weiblichen Existenzansprüche zog in vielen Fällen nicht nur die totale Subordination der Ehefrau nach sich. Ihre finanzielle und juristische Unmündigkeit machte Frauen mit unter auch zu wehrlosen Opfern lebenslanger Tyrannei: ‘Not a few men enforced their superiority with violence, and many others assumed that they should be unquestionable masters in the house. A degree of male violence was tolerated, though a good husband was considered to be non-violent [...].’21. Aufgrund des männlich dominierten Rechtssystems hatten verheiratete Frauen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts keinerlei ‘legal existence in [there] own right.’22. Erst 1857 erhielten sie durch denMatrimonial Causes and Di-vorce Acteine rechtliche Basis, um die Trennung von ihrem Ehemann gerichtlich einzuklagen. Doch auch das neue Scheidungsgesetz war nicht frei von gesellschaftlicher Doppelmoral: Während Männer bereits aufgrund von Ehebruch die Scheidung verlangen konnten, mussten Frauen weitaus ‘fundiertere’ Gründe, wie körperliche Misshandlung, Inzest oder Sodomie, vorbringen.

Im Gegensatz zu einer verheirateten Frau verfügte die sogenannte singleladyder viktorianischen Mittelschicht über mehr Freiheiten, da sie nicht mit all ihren Rechten und ihrem Vermögen in den Besitz eines Ehemannes überging. Obwohlsingle ladiesnormalerweise auf Lebenszeit der Autorität ihrer männlichen Familienmitglieder (Vater oder Brüder) unterstanden, verfügten sie über ‘[...] the same property rights and paid the same taxes as men [...].’23. Auch sie hatten aber nur bedingt die gleichen Rechte wie die Männerwelt, denn ‘[they] had fewer inheritance rights and could not vote for members of parliament.’24. Des weiteren besaßen alleinstehende Frauen ebenfalls keinerlei juristische Handlungsvollmacht und gal-

20Nichtnur der Anteil am Familienerbe ging in den Besitz des Ehemannes über sondern auch jegliche anderweitigen Besitztümer und Einkünfte der Frau. Auf diesen Umstand weist unter anderem Barbara Bodichon inA Brief Summary, in plain language, of the most important laws concerning women (1854)hin: ‘Money earned by a married woman belongs absolutely to her husband; that and all sources of income [...] are included in the term personal property.’ (Dolin, Tim: Mistress of the House. Aldershot: Ashgate Publishing, 1997, S. 126.)

21D’Cruze, Shani: ‘Women and the Family. In: Purvis, June (Hrsg.): Women’s History in Britian, 1850 -1945. London: UCL University Press, 1995, S. 62.22Nardin, a. a. O., S. 12.

23Sockwell, William: ‘Barbara Bodichon and the Women of Langham Place’. In: Dimand, Mary Ann; Dimand, Robert; Forget, Evelyn (Hrsg.): Women of Value - Feminist Essays on the History of Women on Economics. Aldershot: Edward Elgar Publishing, 1995, S. 106.24Ebd. S. 106.

Page 9