Das geheime Leben der Seele - Sabine Wery von Limont - E-Book

Das geheime Leben der Seele E-Book

Sabine Wery von Limont

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  • Herausgeber: Mosaik
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Die Seele ist das unsichtbare Organ unseres Körpers und wirkt auf unseren Organismus, unser Verhalten und unsere gesamte Psychologie. Sie macht uns zu dem, der wir sind, formt unsere Persönlichkeit und bestimmt die Bindungsfähigkeit zu unseren Mitmenschen. Unsere Seele hilft uns, Ängste, Depressionen und Traumata zu verarbeiten und unterstützt uns bei unserer Persönlichkeitsentwicklung. Wenn wir nicht wissen, wie sie funktioniert, kann sie uns jedoch krankmachen, unsere Resilienz schwächen, körperlichen und seelischen Schmerz verursachen und unsere gesamte Persönlichkeit schädigen.

Das Seele-Buch der bekannten Verhaltenstherapeutin Sabine Wery von Limont zeigt auf, welche Wege die Seele nutzt, um mit uns zu kommunizieren und warum es sich lohnt, mit ihr Kontakt zu halten. Das Buch zur Gesundheit informiert auf unterhaltsame Weise über psychische Grundbedürfnisse des Menschen und hilft dabei, sich selbst und andere besser zu verstehen. Es ist ein Buch zur Selbstreflektion, das den Selbstwert steigern kann. Innerhalb einer professionellen Psychotherapie unterstützt es den Prozess der Erkenntnisgewinnung und -verarbeitung maßgeblich.

"Viele meiner Patienten kommen zu mir, lange nachdem ihre Seele beschädigt wurde und der Schmerz bereits auf der Bühne des Körpers sichtbar wird", weiß die Autorin. Die Hamburger Psychotherapeutin empfiehlt, das Leiden in seine Schranken zu verweisen. Ob Ratgeber oder Wissensbuch: Dass nichts so bleiben muss, wie es ist, wird in diesem Buch mit viel Einfühlungsvermögen und großer Leichtigkeit dargestellt. Es ist für jede Arzt-Praxis geeignet und kann in der Neuropsychologie zum Einsatz kommen. Ein Verschenk-Tipp für Menschen, die einen am Herzen liegen.

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Seitenzahl: 429

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Buch

Wieso sind wir, wie wir sind? Und müssen wir so bleiben? Man kann sie vielleicht nicht sehen, und doch ist sie spür- und sogar messbar: Die Seele ist das unsichtbare Organ unseres Körpers und wirkt über das Nervensystem auf unseren ganzen Organismus. Sie umfasst unsere gesamte Wahrnehmung, beeinflusst Hirn- und Organaktivität, bestimmt die Bindung zu unseren Mitmenschen, definiert unsere Persönlichkeit – und sie kann uns krank machen. Die bekannte Verhaltenstherapeutin Sabine Wery von Limont beschreibt auf verständliche Weise, welche Strategien die Seele hat, um mit uns zu kommunizieren, und warum es sich lohnt, mit ihr in Kontakt zu kommen, um uns selbst und andere besser zu verstehen.

Autorinnen

Sabine Wery von Limont studierte Wirtschaft und Psychologie in Hamburg. Sie arbeitete als Psychotherapeutin u. a. für Wirtschaftsunternehmen, renommierte Hamburger Kliniken und für Parship. Heute führt sie ihre eigene Praxis und gilt als Expertin auf dem Gebiet der Psychokardiologie und Traumatherapie. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Jarka Kubsova ist 1977 in Pilsen, Tschechien, geboren. Sie studierte Sozialökonomie und Soziologie in Hamburg. Nach einem Volontariat bei der Financial Times Deutschland arbeitete sie dort als Redakteurin und Reporterin sowie später beim Stern und für DIE ZEIT. Heute arbeitet und lebt sie als freie Autorin in Hamburg und ist Mutter eines Sohnes.

Sabine Wery von Limont mit Jarka Kubsova

DAS GEHEIME LEBEN DER SEELE

Alles über unser unsichtbares Organ

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von den Autorinnen und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorinnen beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.
Copyright © Wilhelm Goldmann, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlag: *zeichenpool Umschlagmotiv: shutterstock/oomph Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering JE ∙ Herstellung: IH ISBN 978-3-641-21538-5V003
www.mosaik-verlag.de

Ich widme dieses Buch all jenen, die versuchen, für ihr Leben einen anderen, gesunden Weg zu finden.

Und Kurt Knuth-Siebenlist, dessen Gene ich in mir trage.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung: Die Entdeckung der Seele

Leitfaden für dieses Buch

Kapitel I

Das limbische System

Wo die Seele wohnt

Nachricht für dich

Dopamin: Die verheißungsvolle Lust auf Neues

Endogene Opioide: Die besten Drogen der Welt braut die Seele

Serotonin: Mehr als ein Glückshormon

Cortisol: Schneller Helfer in der Not

Noradrenalin: »Das merk ich mir!«

Oxytocin: Nicht bloß ein Liebeshormon

Ein ganz besonderes Organ

Das Band, an dem unsere Seele hängt

Geburt: Alles fängt viel früher an, als wir denken

Erziehung: Der folgenreichste Ratgeber der Welt

Eine Spurensuche in der Vergangenheit

Vorgängergeneration: Die Ähnlichkeit zu unseren Eltern

Kriegsschäden: Die späten Opfer

Epigenetik: Die Angst in den Genen

Kapitel II

Das Konsistenzprinzip

Wie das Bedürfnis der Seele nach Gleichgewicht entsteht

Die Grundbedürfnisse der Seele

Selbstwert: Das Fundament des Lebens

Bindung: Die anderen in unserem Leben

Kontrolle und Autonomie: Der Boss sind wir

Lustgewinn und Unlustvermeidung: Alles, was schön ist

Meine Schablone, deine Schablone

Warum unsere Seele ein bisschen wie Facebook tickt

Die Bewältigungsstrategien unserer Seele

Unterwerfen

Vermeiden

Kompensieren

Unser Persönlichkeitsstil

Die Persönlichkeitsstörungen

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Ängstlich-vermeidend und selbstunsichere Persönlichkeitsstörung

Dependente Persönlichkeitsstörung

Anankastisch-zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Histrionische Persönlichkeitsstörung

Negativistische Persönlichkeitsstörung

Paranoide Persönlichkeitsstörung

Borderline-Persönlichkeitsstörung

Wenn für die Betroffenen scheinbar alles in Ordnung ist

Von der Störung zur Ressource

Kapitel III

Der Krankheitsfall

Wenn die Seele zum Problem wird

Die Strategien der Seele

Abwehrmechanismen: Wenn nicht sein soll, was nicht sein darf

Wille: Wann er gut ist, wann er schadet

Die Neurobiologie der Angst

Emotionen und Gedächtnis: »Das merke ich mir für immer!«

Die Angststörungen

Panikattacke: Wenn wir den Gipfel der Angst erklimmen

Agoraphobie: Wenn wir Angst vor bestimmten Orten haben

Soziale Phobie: Wenn wir Angst vor anderen Menschen haben

Spezifische (isolierte) Phobie: Wenn wir Angst vor harmlosen Dingen haben

Generalisierte Angst: Wenn wir ein Leben in ständiger Sorge führen

Zwang: Warum wir manche Dinge einfach tun müssen

Zwangsgedanken: Wenn Tabus unsere Vorstellung kapern

Sicherheit: Warum wir mehr Angst haben, obwohl wir sicherer leben

Wenn die Seele Höllenqualen leidet

Depression: Eine Störung, viele Ursachen

Neurobiologie der Depression: Chaos in der Chemie

Angst und Depression: Zwei, die gerne gemeinsam auftreten

Dysthymia: Ein Leben ohne Jahreszeiten

Bipolar: Und der Maserati, gehört plötzlich dir

Postpartale Depression: Wenn mit den Kindern die Schwermut kommt

Vulnerabilität: Die zeitliche Lücke zwischen Ursache und Störung

Das Trauma und die seelischen Wunden

Die posttraumatische Verbitterungsstörung

Das Burnout-Syndrom

Die Sucht

Kapitel IV

Die Psychosomatik

Wie die Seele aus unserem Körper verschwand

Willkommen in der Neuzeit

Emotionen: »Ich sehe, was du fühlst.«

Leib und Seele: Schon immer ein eingespieltes Team

Ein Herz und eine Seele in der Psychokardiologie

Die chronischen Erkrankungen unserer Zeit

Exkurs: Die ACE-Studie

Wie uns die Impulse jagen

Unsere Seele und das Immunsystem

Alles bloß Einbildung?

Schmerzen aus dem Nichts

Von der Notwendigkeit, die Seele ernst zu nehmen

Kapitel V

Das Gleichgewicht

Wie die Seele Halt findet

Die Therapie: Eine Abenteuerreise zu sich selbst

Wirkung

Dodo-Bird-Hypothese

Heilelemente

Therapeutische Allianz

Neuronale Plastizität

Selbsttherapie

Die Kosten: Die Krankenkassen und was sie zahlen

Verhaltenstherapie

Psychoanalyse

Tiefenpsychologie

Die Hürden: Hindernisse auf dem Weg zur Therapie

Worauf Sie bei der Wahl eines Therapeuten achten sollten

Die Medikamente: Die Rolle von Drogen und »Glückspillen«

Ketamin: Ein neues Wundermittel?

Psilocybin: Der Magic Mushroom kann noch mehr

MDMA: Ein Trip gegen das Trauma

Die Spezialgebiete der Therapeuten

»Eye Movement Desensitization and Reprocessing« (EMDR)

»Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy« (IRRT)

Die Sensibilisierung des Traumas

Der Bodyguard unserer Seele

Beziehungen

Partnerschaft

Spiritualität

Glaube

Meditation

Die Psychohygiene

Wahrnehmung

Achtsamkeit und Genuss

Stopp-Technik

Schlusswort

Anhang

Danksagung

Quellenverzeichnis

Wichtige Studien

Lesens- und Hörenswertes

Register

Vorwort

Mit Anfang zwanzig hätte ich mir nie vorstellen können, Psychologie zu studieren. Ich hatte mich stattdessen für etwas Handfestes entschieden: Betriebswirtschaftslehre. Das war logisch und einfach. Ich mochte, wenn es im Leben so zuging. An meiner Uni waren die BWLer im zweiten Stock untergebracht, die Psychologen im vierten. »Unten die Schnösel mit ihren Formeln, oben die Spinner mit ihrer Pseudowissenschaft!« – Wir pflegten unsere Vorurteile. Aber manchmal fragte ich mich – sehr, sehr leise –, ob die da oben vielleicht etwas lernten, was mir verschlossen blieb. Ich fragte mich, ob sie etwas über mich wissen könnten, was nicht einmal ich selbst wusste. Ob sie mich und andere durchschauen. Diese Vorstellung verunsicherte mich sehr. Denn eigentlich wusste ich selbst nicht viel über mich, nicht einmal, was ich wirklich wollte. BWL jedenfalls wohl doch nicht, denn das Studium machte keinen Spaß, und kurz vor Ende brach ich es ab.

Ich wechselte zwischen ein paar Jobs hin und her, heiratete meinen Freund, bekam zwei Kinder. Aber noch bevor sie in die Schule kamen, war die Scheidung durch, mein Leben auf links gedreht, und obendrein bekam ich Krebs. Das Leben war weniger logisch und einfach, als ich dachte. So viel wusste ich jetzt.

Im Krankenhaus verbrachte ich viel Zeit mit Menschen, die dieselbe Krankheit hatten. Noch nie war ich bis dahin anderen Menschen so nahegekommen, ihren Ängsten, Abgründen und Überlebensstrategien. Dabei fiel mir etwas auf, das mich faszinierte: Obwohl jeder von uns mit demselben Problem kämpfte, ging jeder völlig anders damit um.

Manche der Patienten waren optimistisch, andere völlig mutlos. Einige waren jeder Therapieoption gegenüber misstrauisch, wieder andere ließen sie arglos über sich ergehen. Es gab Paare, die diese Krankheit auseinandertrieb, und Paare, die durch sie so stark wurden wie nie zuvor. Mir fiel auch auf, dass sich jede Haltung wandeln konnte. Manchmal nach nur einem intensiven Gespräch mit jemandem, der etwas anders dachte. Es gab Pessimisten, die neue Zuversicht fanden und anfingen zu kämpfen. Menschen, die ihre Partner wieder näher an sich heranließen, und eine scheinbar festgefahrene Situation veränderte sich dadurch völlig.

Mich ließ das nicht los. Beinah mehr als meine Krankheit beschäftigte mich jetzt die Frage, wieso Menschen so sind, wie sie sind. Wieso reagieren sie auf dasselbe Ereignis derart unterschiedlich? Was muss im Leben eines Menschen passieren, dass er mehr Hoffnung entwickelt als ein anderer? Was macht uns mutig, empathisch, zuversichtlich? Wieso sind manche exzentrisch, andere voller Angst? Wieso gibt es Choleriker, Altruisten und Egomanen? Wie wurden sie dazu? Und bleibt man immer der, der man ist?

Jetzt hatte ich das Passende für mich gefunden. Ich wollte so viel wie möglich über diese Dinge erfahren! Und mir war klar, wo. Noch im Krankenhaus füllte ich die Einschreibunterlagen aus, und nur wenige Monate später stand ich im Foyer meiner Uni, lachte über meine Arroganz von früher und sagte mir: »Herzlichen Glückwunsch, Sabine. Du bist jetzt ein Spinner aus dem vierten Stock.«

Es machte verdammt viel Spaß, einer zu sein. Entsprechend anders verlief dieses zweite Studium: Ich sog alles auf, ich lernte voller Elan. Ich begann zu verstehen, wo und wie Angst in uns entsteht, warum manche Menschen Depressionen oder Zwänge entwickeln oder warum sie süchtig werden. Ich lernte, was Gefühle sind, wie sie uns durch das Leben lenken – aber auch umgekehrt, wie wir sie kontrollieren können, um zufriedener zu sein. Ich erfuhr, wie Erfahrung unsere Persönlichkeit formt und unsere Wahrnehmung steuert.

Dieses Wissen veränderte mich. Ich wurde neugieriger auf die Menschen um mich herum, darauf, was sie wirklich antrieb. Es war, als ob ein Vorhang fiel und etwas mehr Licht die dunklen Ecken ausleuchtete. Ich sah jetzt nicht nur, wie Menschen sich benahmen, ich konnte immer öfter erkennen, warum sie es auf ihre Art tun. Ich ärgerte mich nicht mehr wie früher über die unfreundliche Bibliothekarin, ich fragte mich jetzt, was in ihrem Leben wohl geschehen sein musste, dass sie so geworden war. Das half mir, freundlich auf ihre Patzigkeit zu reagieren – und mit einem Mal wurde ihre Patzigkeit seltener. Eine Kleinigkeit kann manchmal eine positive Spirale in Gang setzen.

Ich lernte, hinter dem Perfektionismus und dem Machtgehabe mancher Menschen die hilflose Suche nach Anerkennung zu sehen. Hinter Hass die Kränkung, hinter Verbitterung die Verletzung oder hinter Vorurteilen die eigenen Ängste. Ich verstand, dass etwas mehr Kenntnis über die Mechanik unserer Seele der Schlüssel ist, unser Leben grundlegend verändern zu können. Wir können lernen, gelassener mit schwierigen Situationen umzugehen, so dass Kränkungen uns weniger verletzen und wir nachsichtiger mit uns selbst und anderen werden.

Jahrhundertelang betrachtete man die Seele als etwas Theoretisches. Aber wenn etwas bloß theoretisch ist, wie soll man es ernst nehmen? Erst heute ändert sich die Sichtweise drastisch. Die Forschung gräbt immer mehr darüber aus, was die Seele tatsächlich ist – und wie falsch wir immer lagen. Die Seele ist etwas sehr viel Konkreteres, als wir glauben. Sie ist ein Organsystem mit erstaunlich vielen Funktionen. Wir können sie betrachten. Verstehen, wie sie entsteht, wie sie arbeitet und was sie krank macht. Wir können Ursachen lokalisieren und Therapieergebnisse feststellen.

Viele Probleme können behandelt werden. Aber dafür brauchen wir einen neuen Blick auf die Seele, eine tiefgehende Sicht in die Funktionsweise dieses besonderen, unsichtbaren Organs, das uns so allumfassend im Griff hat. Diesen möchte ich hier vermitteln – mit all meiner Erfahrung, den neuesten Erkenntnissen aus der Hirnforschung – und mit einer Portion Humor. Zur Standardausstattung eines jeden Therapeuten gehört eine Kleenex-Packung auf dem Tisch. Aber dass es nichts zu lachen gibt, das ist bloß ein Vorurteil.

Einleitung Die Entdeckung der Seele

Vor etwas mehr als hundert Jahren breitete sich in Europa eine rätselhafte Epidemie aus. Weil die Erkrankten schwach, blass und mager waren, nannte man diese Krankheit Schwindsucht. Sie suchte vor allem Menschen in größeren Städten heim, und obwohl sie häufig tödlich endete, wurde sie als romantisch betrachtet. In der Literatur und der Gesellschaft galt sie als Modekrankheit zarter und sensibler Charaktere. Es gab kein Mittel, um sie zu heilen, denn ihre Ursache war mysteriös. Im Verdacht standen Vererbung, ungünstige Ausdünstungen aus dem Boden und der allgemeine Verfall der Sitten.

Dann wurden 1882 unter dem Mikroskop von Robert Koch die wahren Übeltäter sichtbar: Mycobacterium tuberculosis,stäbchenförmige Bakterien, zwei bis fünf Mikrometer groß – die Erregerder Tuberkulose. Schlagartig war klar: Die Krankheit war gar nicht so mysteriös, sie war infektiös. Doch durch einfache Hygienemaßnahmen hatte man sie bald im Griff. Die Erkenntnis über ihre wahre Ursache hatte die Sicht auf die Krankheit vollkommen verändert und ihr den romantischen Anklang genommen.

Oft glauben wir Dinge erst, wenn sie sichtbar werden. So wie Bakterien unter dem Mikroskop oder ein Baby im Bauch durch Ultraschall. Wenn ihre Existenz bewiesen ist, werden sie für uns real. Und meist nehmen wir sie dann erst richtig ernst.

Nur wenige Jahre nach der Entdeckung der Tuberkuloseerreger hoffte ein junger Arzt aus Wien auf einen ähnlichen Durchbruch. Er wollte sichtbar machen, was ihm für eine andere Krankheitswelle ursächlich erschien: die Seele. Sie galt als mystisch und transzendent; im besten Falle als unsterblich. Solange keine Klarheit herrschte, war vieles möglich. Die Seele schien in unserem Körper zu wohnen, aber kein echter Teil von ihm zu sein, eher ein eigenes scheues Wesen ohne Form und Gestalt. Der junge Wiener aber dachte irdischer. Er war sich sicher, dass unser Verhalten, Denken und Fühlen nicht losgelöst von uns stattfinden würde, sondern zu uns gehörte wie ein realer Teil unseres Gehirns. Für ihn war klar: Die Seele ist ein Organ. Dass sie unsichtbar war, lag seiner Meinung nach nur daran, dass niemand sie bis dahin erkenntlich gemacht hatte. Das wollte er jetzt tun.

Er sezierte Gehirne und skizzierte Nervenfasern. Er stellte fest, dass Gehirnzellen untereinander offenbar zu Netzen verknüpft waren. Er vermutete, dass Emotionen und psychische Prozesse in diesen Netzwerken stattfinden. Und er wollte erkunden, wie das mit der Seele zusammenhing. Warum empfinden wir Trauer, Freude, Wut oder seelischen Schmerz? Was passiert, wenn wir uns inspiriert oder glücklich fühlen? Warum entwickeln wir Zwänge, Persönlichkeitsstörungen oder Phobien – und wie kann man sie heilen?

Der Wiener war einer Epidemie auf der Spur, die noch immer anhält. Er war überzeugt: Wenn es das Gehirn ist, das bestimmte seelische Störungen hervorbringt, dann müsse man das Gehirn medizinisch behandeln, um diese Störungen zu lindern. Er verbrachte Jahre mit Untersuchungen und Erhebungen, aber am Ende konnte er nichts beweisen. Die Seele blieb ein theoretisches Konstrukt, nichts Reales. Sie blieb ein geheimnisvolles unsichtbares Wesen.

Der Mann schlug daraufhin einen anderen Weg ein, um der Seele auf die Spur zu kommen. Er entwickelte eine Wissenschaft, die zugleich eine Behandlungsform war – und wurde damit weltberühmt. Sein Name war: Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse. Dass Freud einst als Neurobiologe angefangen hatte, ist heute kaum bekannt. Er selbst hatte es aufgegeben, auf den Zeitpunkt zu warten, an dem seine ursprüngliche Theorie bestätigt werden konnte.

Dieser Zeitpunkt ist erst heute gekommen. Noch nie wussten Wissenschaftler mehr über das Gehirn als heute, und je mehr sie erfahren, desto deutlicher wird, wie nah Freud an der Wahrheit war, obwohl er bloß an der Oberfläche kratzte.

Die Seele verbirgt sich in Strukturen, die damals kein Mikroskop sichtbar machen konnte. Erst heute kann ein Rasterelektronenmikroskop mit hunderttausendfacher Vergrößerung in das Gewebe zoomen und die Feinmechanik unserer Seele sichtbar machen. Mit der funktionellen Magnetresonanztomographie, die es erst seit einigen Jahren gibt, kann man etwas erforschen, wovon Freud nur hätte träumen können: Wir können dem Kopf bei der Arbeit zusehen. Beim Wahrnehmen, Denken und Fühlen. Und was man sieht, sprengt jede Vorstellungskraft.

Noch nie wussten wir so viel über unser Gehirn wie heute

Was Wissenschaftler noch in den 1980er Jahren für eine durchschaubare Reiz-Reaktions-Maschine hielten, bestaunen sie heute als den komplexesten lebenden Organismus im uns bekannten Universum. Er entsteht aus einem Zellhaufen im Mutterleib. In der fünften Schwangerschaftswoche haben wir noch nicht einmal richtige Arme, aber wir haben ein Gehirn, in dem Unglaubliches geschieht: Pro Minute bilden sich rund 250 000 neue Nervenzellen. Winzige Kraftwerke, die später 16-mal so viel Energie verbrauchen wie eine Muskelzelle. Pro Sekunde entstehen 1,8 Millionen neue Verbindungen zwischen ihnen. Man muss sie dazu nicht einmal mit Mozart beschallen. Das passiert von ganz alleine.

Wenn wir auf die Welt kommen, warten etwa 100 Milliarden Neuronen auf Input von außen. Jeder Ton, jede Berührung, jede Erfahrung erweckt sie zum Leben. Sie verknüpfen sich und bilden Schaltkreise. Ein gigantisches Netzwerk an Möglichkeiten wartet darauf, zu einer einzigartigen Persönlichkeit geformt zu werden. Würde man alle Nervenzellen eines Gehirns zu einer Schnur verbinden, man könnte sie 15-mal um den Äquator wickeln. Eine lange Leitung zu haben ist also keine Beleidigung. Es ist eine ziemlich beeindruckende Tatsache.

In der Summe dieses gigantischen Netzwerks entspringt weit mehr als unser Denken und unsere Motorik. Hier entstehen unsere Gefühle, unsere Ziele, Wünsche und unsere Hoffnungen – hier wird das entwickelt, was Freud gesucht hatte: unsere Seele. Ganz gleich, ob wir Angst vor Spinnen haben oder Hamster niedlich finden; warum wir essen, auch wenn wir keinen Hunger haben, oder die Finger nicht vom Smartphone lassen können – in unserem Gehirn werden die Grundlagen für all das gelegt, was uns ausmacht.

Manchmal verlieren die Dinge ihren Schrecken, wenn man sie genauer kennt. Manchmal verlieren sie jedoch auch ihren Zauber. Man könnte enttäuscht darüber sein, dass die Seele offensichtlich bloß den grauen Windungen unseres Gehirns entspringt und mit den medizinischen Tests technisch erfassbar geworden ist. Einige sagen, die Seele habe das Göttliche verloren, seit wir Psychologen ihr mit wissenschaftlichen Tests und Skalen zu Leibe rücken, um ihre Intelligenz, Lernfähigkeit und ihre Reaktionen zu testen. Seither ist sie bloß die »Psyche«, eine Funktionseinheit des zentralen Nervensystems. Aber weniger mystisch macht sie das nicht. Im Gegenteil. Die Seele wird nicht sachlicher, je mehr man über sie erfährt. Sie wird sogar spannender, denn sie ist eine materielle Substanz, die immaterielles Denken und Fühlen erzeugt. Wir können das Gehirn, von dessen Funktionen sie abhängt, zwar beobachten, aber wir werden trotzdem nie etwas darüber erfahren, was die untersuchte Person gerade wirklich denkt oder fühlt. Wir können ihre Neurochemie ergründen und erfahren doch nicht alles über ein so mächtiges Gefühl wie die Liebe oder was wir genau empfinden, wenn wir der Großen Symphonie in C-Dur von Schubert lauschen.

Die Seele ist mehr als der Output von Hirnprozessen, und sie ist mehr als das wissenschaftliche Konstrukt der Psyche. Sie ist gekoppelt an das Gehirn und macht doch, was sie will. Sie lässt sich logisch ergründen und bleibt doch ein großes Rätsel. Sie ist organisch – und gleichzeitig noch immer mystisch. Wir wissen heute so viel mehr über sie und können doch noch nicht alles erklären. Sie hat Geheimnisse und ist voll unerforschten Lebens, Seelenlebens. Sie ist wachsam und rettet uns ständig das Leben, sie tröstet und verteidigt uns. Sie steckt hinter fast jeder Entscheidung, die wir treffen, denn sie reagiert viel schneller, als wir denken können. Sie produziert die wirksamsten Drogen der Welt, sie organisiert unser Gedächtnis und verwaltet unsere Erinnerungen. Sie ist wunder- und wandelbar. Sie ist ein Teil von uns, ein echtes Organ. So wie Freud es sich vorgestellt hatte.

Wir sehen heute nicht nur, wie die Seele funktioniert. Wir sehen auch, was sie beschädigt. Eine Leber wird krank, wenn wir ihr zu viele Gifte zumuten. Unsere Seele wird krank durch schlechte Erfahrung: Versagen, Enttäuschung und Ablehnung sind wie Gift für sie. Jede Erfahrung verändert unser Gehirn, denn sie führt dazu, dass Zellen degenerieren oder neu entstehen. Anhaltende schlechte Erfahrungen können ein Gehirn regelrecht umformen.

Aber nicht nur das Gehirn, denn die Seele ist auch mit anderen Teilen unseres Organismus verbunden. Mit dem Immunsystem oder dem Herzen über eine direkte Achse. Zum Beispiel ist mittlerweile hinlänglich erforscht, dass Wut, Ärger, Trauer und Verzweiflung über diese Verbindung unmittelbar auf unser Herz einwirken. Depression und Ängste erhöhen das Risiko für Herzleiden ähnlich stark wie Rauchen oder eine ungesunde Ernährung. Auch wer sozial isoliert ist und die Unterstützung von vertrauten Menschen vermisst, stirbt Studien zufolge eher an den Folgen eines schon bestehenden Herzleidens. Seit langer Zeit versucht man, Herzen am Herzen zu heilen, sehr oft ohne Erfolg. Heute geht man dazu über, die Seele miteinzubeziehen – mit erstaunlichen Ergebnissen.

Wir haben gelernt, unseren Körper durch Prophylaxe, Vorsorge und gesunden Umgang zu schützen. Wir sollten die Seele dabei nicht länger außen vor lassen. Psychische Leiden wie Angststörungen, Depressionen oder Sucht entstehen nicht spontan. Ihnen geht oft eine lange Leidensgeschichte voraus, die sich nicht selten Schritt für Schritt bis zur Geburt zurückverfolgen lässt – und sogar darüber hinaus.

Viele meiner Patienten kommen erst zu mir, wenn ihr Leiden unerträglich geworden ist. Wir haben uns angewöhnt, psychische Schmerzen lange auszuhalten, weil wir sie weniger ernst nehmen als körperliche. Dabei kann man schon früh sehr viel unternehmen, bevor sie chronisch werden. Man kann Grübeln und negative Gedanken unterbrechen, bevor sie in eine Depression führen. Man kann beschädigten Selbstwert wieder aufbauen, bevor aus ihm eine dauerhaft nörgelnde innere Stimme wird. Man kann Ängste stoppen, bevor sie das Angstzentrum überreizen und den Organismus aus dem Gleichgewicht bringen. Wir sollten etwas gegen Einsamkeit unternehmen, bevor sie unser Herz zermürbt. Wir sollten Stress verhindern, bevor er unser Immunsystem angreift.

Manchmal glauben wir Dinge erst, wenn sie sichtbar werden. Dieses Buch will dabei helfen, die Seele mehr als das zu betrachten, was sie wirklich ist. Vielleicht etwas weniger romantisch als zuvor – aber faszinierender denn je.

Leitfaden für dieses Buch

Warum wir überhaupt eine Seele haben, finden Sie in Kapitel I. Bis aus einem riesigen Haufen ungeordneter Nervenzellen eine einzigartige Persönlichkeit entsteht, ist es ein weiter Weg: Wann die entscheidenden Schritte passieren und welche Zutaten es braucht, steht in Kapitel I.

Unser Körper hat Bedürfnisse – unsere Seele auch. Sie sichert sowohl unser Überleben als auch unsere psychische Gesundheit. Welche vier grundlegenden Bedürfnisse es sind, erfahren Sie in Kapitel II.

Wie wir denken, wie wir fühlen und wie wir uns verhalten, bestimmen unsere inneren Grundüberzeugungen, die so genannten Schemata. Sie können unsere Persönlichkeit derart beeinflussen, dass Psychologen von einer Persönlichkeitsstörung sprechen. Wie sie entsteht und welche Typen man unterscheidet, lesen sie in Kapitel II.

Manchmal ist es einfacher, Probleme zu verdrängen, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen, und wir alle tun das ständig. Aber Verdrängung zusammen mit ungeeigneten Strategien sind oft der erste Schritt in Richtung seelischer Störung. Warum es Menschen so leichtfällt, in diese Falle zu tappen, steht in Kapitel III.

In Kapitel III wird deutlich: Psychische Störungen wie Ängste, Depressionen und Zwänge fallen nicht vom Himmel. Sie sind das Ergebnis unserer Denkmuster und Bewältigungsstrategien. Und wenn wir der Seele nicht zuhören, bahnt sie sich manchmal den Weg durch unsere Körper. Hinter vielen chronischen Krankheiten entdeckt die Wissenschaft die Seele als wahre Ursache. Warum es sich bei Herz-, Immun- und Schmerzkrankheiten lohnt, besonders genau hinzusehen, steht in Kapitel IV.

Wieso es kein besseres Mittel gegen seelisches Leid gibt als die Psychotherapie und wie sie überhaupt wirkt, erfahren Sie in Kapitel V.

Kapitel I

Das limbische System

Wo die Seele wohnt

Hin und wieder kann es nicht schaden, mal kurz innezuhalten, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Wo im Leben stehe ich eigentlich? Und zwar nicht auf der Karriereleiter oder in der kürzesten Schlange an der Supermarktkasse, sondern so ganz grundsätzlich: in der Artenvielfalt. Denn darüber kursieren hartnäckig nicht ganz korrekte Informationen. Zum Beispiel die, dass wir vom Affen abstammen. Irgendwie setzt sich die korrigierte Version der Biologen einfach nicht durch: Wir stammen nicht vom Affen ab. Wir sind Affen.

Wir haben zwar elektrische Eierkocher und fahren mit dem Auto zur Arbeit, doch zwischen unseren Köpfen steckt trotzdem ein schnödes Primatengehirn. Noch genauer: ein Trockennasenprimatengehirn. Darüber hinaus sind wir Säuge- und Wirbeltiere, was zum Beispiel auch Schleimaale und Spitzhörnchen zu unseren nächsten Verwandten macht, denn sie haben genau das gleiche Gehirn wie wir, zumindest was Aufbau und Funktion betrifft.

Dass wir ein Umsatzsteuergesetz haben und energieeffiziente Häuser bauen, liegt an der Großhirnrinde. Sie ist der Streber und Schlaumeier in unserem Gehirn. Manche Wirbeltiere haben sehr kräftige Laufmuskeln entwickelt und können besonders schnell rennen, andere bekamen einen langen Hals und die leckeren Blätter ganz oben in der Baumkrone. Der Mensch hat eine Großhirnrinde, denkt sich die Choreographie zum Gangnam Style aus und rechnet Euro in Pfund um. Wer wissen will, wie schlau er ist, der muss sich die Großhirnrinde angucken.

Wen es aber interessiert, warum er drei Stunden lang die Fassung verliert, weil ihm jemand den Parkplatz vor der Nase weggeschnappt hat, der muss eine Etage weiter unten gucken. Tief in der Mitte unseres Gehirns, rund um den Hirnstamm, befindet sich eine ganz besondere Funktionseinheit: das limbische System.

Jahrhundertelang haben die Menschen den Sitz der Seele gesucht, hier wurde er schließlich gefunden. Zumindest gehen Wissenschaftler heute davon aus, denn im limbischen System entsteht so ziemlich alles, was wir als seelisch bezeichnen.1 Biologisch betrachtet ist unsere Seele also ein paar wenige Zentimeter groß, hat schlaue Nachbarn und ist sehr, sehr alt. Im Laufe der Evolution hat sie sich kaum gewandelt. Also seit rund 543 Millionen Jahren. Das muss man erst mal durchhalten.

In dieser Zeit hat sich so ziemlich alles auf der Erde verändert. Aus den Nachfahren von Dinosauriern wurden Vögel, die Besichtigung von manchen Vulkanen ist kostenpflichtig, und im ICE gibt es jetzt WLAN. Nur das limbische System ist noch dasselbe. Während die Großhirnrinde gern mal mit der Zeit geht, sich hin und wieder mal neu einrichtet, macht die Seele alles wie immer. Die Evolution ist wie ein Fußballtrainer. Wenn es nicht so gut läuft, dann nimmt sie mal einen Wechsel vor, aber wenn etwas funktioniert, dann hält sie es wie Alf Ramsey und sagt sich: »Never change a winning team.«

Auf der Suche nach der Seele

Das Gute, wenn man weiß, was für eine Art von Gehirn man hat: Man weiß dann auch gleich, wofür es gut ist. Die meisten würden sagen zum Denken, aber auch da stöhnt der Biologe gequält auf und behauptet: um rauszugehen. Rausgehen war schon immer ein Risiko. Vor knapp 300 Jahren schrieb der französische Philosoph Blaise Pascal den passenden Satz dazu: »Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.«

Pascal war sich vermutlich nicht darüber im Klaren, wie universell dieser Satz ist. Denn er gilt nicht nur für dieDamen und Herren, mit denen Pascal im Paris der Neuzeit verkehrte, sondern für Wirbeltiere überhaupt, selbst als sie noch keine Wirbeltiere waren, sondern bloß mehrzellige Vorläufer von ihnen. Ein Saccorhytus zum Beispiel, dessen Existenz man erst vor kurzem entdeckt hat.

Dieser Vielzeller scheint unser ältester Vorfahre zu sein, denn er existierte vor rund 540 Millionen Jahren, und allen Spekulationen zufolge führte er ein paradiesisches Dasein. Er saß auf dem Boden und wartete auf fallende Nahrung. Aus irgendeinem Grund hat sich dieses Lebensmodell aber nicht durchgesetzt, und der Saccorhytus musste losziehen. Vermutlich aus denselben Gründen, aus denen wir es noch heute tun: weil uns nicht genug Essen einfach so in den Mund fällt oder jemand Apartes mal eben an unserer Tür klingelt.

Wer Adam und Eva bedauert, weil sie das Paradies verlassen mussten, sollte den Saccorhytus nicht vergessen, denn er hatte es auch schwer, und alle nachfolgenden Wirbeltiere haben das gleiche Problem: Sie stapfen durch eine Welt, die zwar schön ist, aber auch feindlich, weil wir sie mit anderen Bewohnern teilen, die auch gerade eine Mahlzeit suchen oder denen es nicht passt, wem wir gerade schöne Augen machen.

Damit das Rausgehen also nicht gleich an der nächsten Abbiegung endet, haben wir ein Gehirn samt Zuarbeiter, die uns ständig sagen, was da draußen so vor sich geht und wie man damit umzugehen hat. Mit Zuarbeitern sind benachbarte Gehirnteile gemeint und die, die sich durch den Rest des Körpers ziehen wie das periphere Nervensystem. Eigentlich sitzt das Gehirn gar nicht nur oben im Kopf, da ist bloß der Knotenpunkt. In Wahrheit ist das Gehirn per Fühler, also den Nerven, überall in uns. Rückenmark und peripheres Nervensystem sind nicht einfach da, weil irgendwo noch eine Lücke war, sondern damit die Informationen wirklich von überallher kommen, auch vom großen Zeh, der gerade auf einen Seeigel getreten ist.

Informationen zu sammeln ist aber nur die halbe Arbeit, das weiß nicht nur der Bundesnachrichtendienst. Die andere Hälfe ist die Auswertung. Unser Gehirn hat den Job dem limbischen System übertragen: dem Fühlen. Und das ist ziemlich sinnvoll, denn würde die Großhirnrinde das übernehmen, würde sie zum Beispiel melden: Erdbeere, Mensch, Ohrensessel, Braunbär. Das Gefühl aber sagt zu denselben Sachen: Lecker, apart, gemütlich, Lebensgefahr! Es sagt uns also nicht nur, was es so sieht, sondern auch gleich, was davon zu halten ist.

Für das Überleben ist das Fühlen dadurch also sehr viel wichtiger als das Denken. Durch eine Welt voll bedeutungsloser Objekte zu laufen wäre nicht nur ein bisschen trostlos, es wäre auch ziemlich gefährlich. Wir denken zwar, dass Gefühle vor allem da sind, damit wir uns irgendwie romantisch fühlen. Aber eigentlich sind sie das härteste Gefahrenabwehrsystem der Welt, und das greift ganz schön tief in die Trickkiste, um sich durchzusetzen.

Es belohnt, was dem Überleben dient: Sex, Essen und Zusammenhalt mit der Sippe mit den drängendsten Gefühlen, die es so gibt. Und alles, was irgendwie doof ist, fühlt sich auch so an: Hunger, Ablehnung, Verlust oder Ekel. Die Seele hat eine unglaubliche Palette an Gefühlen, die sie erzeugen kann: Eifersucht, Neid, Hass, Wut. Aber hinter ihnen stecken im Grunde unterschiedliche Reaktionen auf nur zwei immer gleiche Fragen:

Ist das gut oder ist das schlecht?

Wir rümpfen die Nase über Essen, das komisch riecht, weil es verdorben sein könnte. Wir empfinden Liebe, um an einem guten Genpool dranzubleiben. Wut, um uns zu verteidigen. Wir spüren Kränkung, um alarmiert zu sein, weil uns vielleicht gerade der Ausschluss aus der Gemeinschaft droht, und ohne Gemeinschaft sind wir verloren. Eifersucht und Neid signalisieren uns, dass wir womöglich gerade von wichtigen Ressourcen abgeschnitten werden. Wir sind neugierig, weil alles, was wir hinzulernen, von Bedeutung für das Überleben sein kann.

Wenn etwas von Bedeutung war, merken wir es uns – und ersparen auch der Seele dadurch ziemlich viel Arbeit. Sie muss dann nämlich nicht jedes Mal etwas neu bewerten, sondern vergleicht, ob sie schon mal etwas Ähnliches erlebt hat. Wir fragen uns also nicht an jeder Ampel erstaunt, was die wohl zu bedeuten hat, sondern warten eher beiläufig auf Grün, weil das limbische System auf Vorerfahrung zurückgreift und Ampeln in der Regel ganz gut kennt. Das ist effizienter, weil es schneller geht, führt aber auch dazu, dass wir die Welt sehr unterschiedlich wahrnehmen, durch die Brille bereits gemachter Erfahrung und niemals objektiv.

Wir sitzen zwar alle im selben Kino, aber jeder sieht einen anderen Film

Jeder reagiert zum Beispiel anders auf Hunde. Je nachdem, welche Erfahrung er mit ihnen gemacht hat. Tiramisu finden wir nicht mehr lecker, wenn es uns mal eine Salmonellenvergiftung beschert hat. Alles, was wir wahrnehmen, ist gefärbt durch die Urteile unserer Seele. Und das Urteil unserer Seele hängt davon ab, was uns im Leben so passiert ist. Unsere Erfahrungen speichern wir in unserem autobiographischen Gedächtnis ab. Diese Informationen sind wichtig für die Entwicklung unserer Seele.

Manchmal streiten wir uns mit unserem Partner über die Wahl der neuen Badezimmerfliesen – was ziemlich sinnlos ist, wenn man bedenkt, dass wir nicht einmal alle dasselbe Grün sehen.

Jahrhundertelang hatte das Fühlen dem Denken gegenüber den Nachrang. Es gab ein Zeitalter der Vernunft und ein Zeitalter des Homo oeconomicus. Gefühle sind irgendwie komisch, und wir werden schon als Kinder häufig darauf hingewiesen, sie zu unterdrücken. Aber die Vorstellung von einem Menschen, der seine Entscheidungen rein rational abwägt, hat sich als falsch erwiesen. Unsere Emotionen sind an jeder Entscheidung, die wir treffen, maßgeblich beteiligt. Meistens haben sie sogar die Oberhand. Mit der Macht von über 500 Millionen Jahren lenken und steuern sie uns durchs Leben. Sie sind wie ein Kompass, der uns zeigt, in welche Richtung unser Handeln gerichtet sein soll.

Statt sie zu unterdrücken, wäre es oft sinnvoller, ihnen mal etwas besser zuzuhören. Denn sie sind ein sehr verlässlicher Detektor dafür, wo wir uns im Leben gerade befinden. Gefühle sind mächtig – und das hier sind ihre Waffen.

NACHRICHT FÜR DICH

Vor sehr, sehr langer Zeit, noch bevor es Wirbeltiere überhaupt gab, ist auf der Erde etwas ziemlich Schräges passiert. Eine Bakterie hatte Hunger und fraß eine andere kleinere Bakterie. Aber statt sich verdauen zu lassen, lebte diese einfach vollständig in der anderen weiter. Eigentlich ging es ihr jetzt sogar besser als vorher, denn sie hatte es recht gemütlich in der großen Bakterie. Und die wiederum hatte es auch nicht schlecht, denn sie wurde jetzt vom Wasserstoff ernährt, den die kleinere produzierte.

Ergänzen sich zwei Lebewesen, nennt man das Symbiose. Leben sie in einem so verrückten Untermietverhältnis, nennt man das Endosymbiose. Anhänger der Endosymbiontentheorie gehen davon aus, dass die Vermehrung der Arten auf der Erde überhaupt erst in Gang kam, weil Lebewesen jetzt in einer Hülle steckten, die sie von einer lebensfeindlichen Umwelt abschirmte.

Falls die Forschung stimmt, war das der Anfang eines Dilemmas. Wir brauchen eine Schutzhülle, um zu leben. Aber die Hülle trennt uns nicht nur von der Umwelt, sondern auch von anderen, und so wissen wir eigentlich nie, was in ihnen so vor sich geht. Ein paar Millionen Jahre nach der missglückten Verdauung einer Bakterie hört man dann und wann in Schlafzimmern der Menschen deshalb die Frage: »Bist du eigentlich glücklich?«

Da wir in Hüllen leben, sind wir darauf angewiesen, was sich der andere hinter seiner Hülle so als Antwort einfallen lässt. Auch Forscher interessieren sich hartnäckig für alles Mögliche hinter der Hülle, die uns umgibt. Auch für das Glück, seine Gegenspieler und wo das alles so herkommt und wie es funktioniert. Dem verunsichert Fragenden im Schlafzimmer können sie nicht helfen, aber wie das so ganz grundsätzlich ist mit dem Fühlen, das können sie inzwischen ziemlich gut erklären. Aber Achtung: Es ist ein bisschen unromantisch. Fragt man einen Neurobiologen nach der Liebe, wird er ziemlich trocken entgegnen: alles eine Frage der synaptischen Signalübertragung von Neurotransmittern.

Wenn man die Ernüchterung darüber überwunden hat, sollte man der synaptischen Signalübertragung eine Chance geben. Denn eigentlich ist sie äußerst interessant und in Grundzügen gar nicht mal so anders als zwischenmenschliche Kommunikation im 21. Jahrhundert.

Denn die geht ja oftmals zum Beispiel so: Wir sitzen im Café, es macht Pling! und wir lesen auf dem Display unseres Telefons folgende Nachricht: »Er hat sich gemeldet! Ich flipp aus! Kathrin.« Das schreibt uns unsere Freundin. Wir sind in Wanne-Eickel, die Freundin in Hamburg. Dazwischen ist ziemlich viel Deutschland. Zu Fuß braucht man drei Tage, per Bahn dreieinhalb Stunden. Eine SMS ist beinahe in Echtzeit da. Wir kommunizieren in etwa seit 20Jahrenso und halten uns für fortschrittlich. Unsere Seele kann darüber nur müde lächeln, denn sie macht das schon immer. Wenn es etwas zu fühlen gibt, schickt sie uns eine Nachricht. Dafür hat sie ja schließlich diese unendlich vielen Leitungen aus Nervenzellen: die Neuronen. Die sind allerdings nicht fest miteinander verbunden wie Fernmeldekabel unter der Erde. Sie sind sehr flexibel und können sich jederzeit einfach mit ganz anderen Netzwerken in Verbindung setzen, was eine unendlich hohe Anzahl an Kommunikationsmustern ermöglicht. Die Zahl der Verbindungen, die wir im Kopf so haben, geht in den Trillionenbereich, eine Zahl mit 18 Nullen.

Zwischen zwei Nervenzellen ist immer eine kleine Lücke, der synaptische Spalt. Das ist keine so große Lücke wie zwischen Wanne-Eickel und Hamburg, aber trotzdem muss sie überwunden werden. Das Gehirn macht das manchmal mit elektrischen Impulsen, aber in den meisten Fällen mit Chemie. Netzanbieter übertragen Textnachrichten per Signal von Server zu Server,um eine Distanz zu überwinden, unser Gehirn macht das mit Botenstoffen. Sie sind die chemischen Überbringer einer Nachricht zwischen zwei Nervenzellen. Man nennt sie auch Neurotransmitter.

Einmal im Jahr werden im Guide Michelin die besten Köche geehrt. Aber so gut wie nie sind die mal im Rampenlicht, die das Essen servieren und hinterher das schmutzige Geschirr freundlich wieder abräumen. Generell sollte Servicepersonal öfter gewürdigt werden. Deswegen darf jetzt mal das Gehirn kurz beiseitetreten, der nachfolgende Ruhm gilt seinen Dienstleistern. Vorhang auf für die Neurotransmitter, und die bekanntesten dieser unermüdlichen Gefühlsüberbringer heißen Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, Cortisol und Oxytocin.

Dopamin: Die verheißungsvolle Lust auf Neues

Das Gehirn stellt sie selbst her. Es betreibt quasi seine eigene Botenstoffküche, eine Art privates Chemielabor. Einiges von dem, was es da zusammenbraut, sind die stärksten und wirksamsten Stoffe der Welt. Wenn wir auf dem Sofa liegen und gerade nichts los ist, blubbert es im Labor so vor sich hin. Klingelt es dann aber unerwartet an der Tür, geht es los. Im Zusammenhang mit Botenstoffen wird immer gern von »Ausschütten« gesprochen, doch »Feuern« kommt dem Vorgang viel näher. Denn alles passiert unheimlich schnell. Noch ehe wir überhaupt aufspringen und erwartungsvoll zur Tür rennen, sind wir schon voll mit Dopamin. Würde es nicht durch unsere Synapsen schießen, würden wir einfach liegen bleiben. Dopamin hat sich einen Ruf als Glückshormon erworben. Aber das stimmt nicht so ganz. Heute weiß man, dass Dopamin nicht etwa belohnt, wenn uns etwas Tolles passiert. Dopamin weckt erst die Lust daran, eine Belohnung zu erwarten. Wir rennen zur Tür, weil da vielleicht netter Besuch mit Kuchen vor der Tür steht oder der DHL-Bote mit den neuen Schuhen aus dem Internet. Ohne Dopamin würde von nichts auf der Welt eine Verheißung ausgehen.

Dopamin spornt uns an, es motiviert uns. Egal, ob es darum geht, die Tür zu öffnen, Kuchen zu essen, den netten Mann wiederzutreffen, das Handy in die Hand zu nehmen und Facebook aufzumachen. Dass wir das Haus überhaupt verlassen, liegt am Dopamin, weil es uns verspricht, dass da draußen trotz aller Probleme auch etwas Gutes auf uns warten kann. Ein Neurowissenschaftler würde es so nie formulieren, aber man kann schon behaupten, dass Dopamin der Botschafter des Verlangens ist. Und manchmal auch des groben Unfugs.

Es gibt Schlagzeilen, die man eher selten liest. Zum Beispiel: »Senioren-Gang beim S-Bahn-Surfen erwischt«. Und es gibt Nachrichten, die hört man öfter: »Teenie-Party eskaliert: 150 Gäste verwüsten Reihenhaus.«Dass Jugendliche eher Risiken eingehen als Senioren, hält man für jugendlichen Leichtsinn und Gelassenheit im Alter. In Wahrheit liegt der Unterschied am Dopamin. Junge Menschen in der Pubertät bilden besonders viel davon, wenn sie etwas Riskantes mit Erfolg abschließen. Das motiviert sie dazu, ähnliche Situationen wieder zu suchen. Aber die für das Dopamin zuständigen Funktionseinheiten wandeln sich im Laufe des Lebens. Je älter wir werden, desto weniger wirksamer wird der Botenstoff. Dass uns die Lust an Abenteuer abhandenkommt, liegt daran, dass unsere Rezeptoren schlicht zunehmend schlechter auf Dopamin ansprechen.

Endogene Opioide: Die besten Drogen der Welt braut die Seele

Und jetzt zur Belohnung! Wenn es tatsächlich die neuen Schuhe sind, mit denen der Paketbote vor der Tür steht, und wenn sie auch noch passen und so schön aussehen, wie wir es uns vorgestellt haben, dann werden Endorphine in unserem Körper gefeuert, auch endogene Opioide genannt. Sofort spüren wir Glücksgefühle – Euphorie pur. Wir bekommen sie vom Gehirn zum Beispiel auch beim Sex, bei Meditationen und Massagen – oder wir kaufen sie uns am Hauptbahnhof. Dann heißen sie Drogen. Heroin zum Beispiel ist im Grunde nur eine künstliche Form eines Opioids. Auch Morphium, das Ärzte bei starken Schmerzen verordnen, wirkt ganz ähnlich. So wie die Mediziner rückt auch unser Gehirn es nur raus, wenn es absolut notwendig ist. Aber im Notfall gibt es die volle Dosis.

Notfallambulanzen bekommen manchmal die kuriosesten Fälle auf den Tisch. Menschen mit Eisenstangen im Brustkorb, von der Kreissäge abgetrennte Finger. Manchmal sitzen so schwer verletzte Menschen vor den Ärzten und verspüren nicht ein bisschen Schmerz. Das liegt daran, dass der Körper sie vorübergehend mit einer ordentlichen Menge Opioide aus der Hausapotheke versorgt hat.

Er rückt sie aber nicht nur bei körperlichen Schmerzen raus, sondern auch bei seelischen. Im Grunde unterscheidet er da gar nicht. Das machen nur wir. Dem Gehirn ist es egal, ob uns das Bein gebrochen wurde oder das Herz. Es hilft, wo es kann. Unbewusst benutzen manche Menschen mit sehr starken psychischen Problemen diesen Mechanismus auf eigene Faust. Sie führen körperlichen Schmerz absichtlich herbei, um den seelischen Schmerz zu lindern, indem sie sich zum Beispiel in die Haut an Beinen und Armen ritzen und schneiden. Durch die Opioidausschüttung erfahren sie kurzfristige Linderung. Die entlastenden Gefühle halten allerdings nicht lange an und müssen bald erneut ausgelöst werden.

Aber die Endorphine können noch ganz andere Sachen. Manchmal sitzt man auf dem Sofa und denkt: »Ach, ich sollte mal wieder Claudia anrufen und einen Kaffee mit ihr trinken gehen.« Was wir denken, ist, dass wir mal wieder an unsere Freundin Claudia denken. Was wir nicht wissen: Hier hat uns die Seele gerade eine wichtige Nachricht geschickt. Werden zu wenig Opioide freigesetzt, steigt unser Bedürfnis nach sozialer Nähe. Endorphine motivieren uns, Anschluss zu anderen zu suchen. Und sie belohnen uns, wenn wir es tun. Es tut gut, mit anderen zusammen zu sein. Gemeinschaft ist für den Menschen schließlich überlebensnotwendig. Damit wir das nicht vergessen, belohnt uns das Gehirn mit seinen besten Drogen. So sorgen die Endorphine dafür, dass wir soziale Bindungen eingehen und erhalten. Wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist, ist es genau dieser Mechanismus, der einen Menschen süchtig nach Stoffen werden lässt, die ihm Bindung und Nähe vormachen.

Serotonin: Mehr als ein Glückshormon

Ein geglücktes Leben – aus Sicht der Evolution – kann man auf zwei Arten herstellen: Die eine ist, sich guten Sachen zuzuwenden, die andere: von schlechten Sachen Abstand zu nehmen. Während das Dopamin also sagt: »Mach mehr von dem Guten!«, gibt es einen anderen Botenstoff, der uns die Botschaft schickt: »Lass bitte mal das Schlechte bleiben!« Das erledigt das Serotonin.2

Es wird hauptsächlich im Gehirn produziert, kann aber auch an anderen Stellen im Körper hergestellt werden, zum Beispiel im Darm. Es übermittelt Botschaften zu Stimmung, Schlaf, Emotionen, Gedächtnis, Appetit und Temperaturregulation. Und es spielt eine Rolle dabei, wie wir mit Stress umgehen.

In bedrohlichen Situationen löst Serotonin das Signal aus, eher nichts zu tun und sich passiv zu verhalten. Es hemmt Impulsivität, wenn es ausreichend vorhanden ist. Ist es zu gering vorhanden, bricht sich eher aufbrausendes Verhalten Bahn. Menschen mit niedrigem Serotoninspiegel neigen zu schnellen, ungeplanten Reaktionen. Auch bei impulsiven, gewalttätigen, aggressiven Menschen wurde ein niedriger Serotoninspiegel festgestellt. Bei einem Mangel an Serotonin ist ein Mensch eventuell nicht so gut in der Lage, innezuhalten und sich zu beruhigen, sondern schlägt im Zorn schnell um sich.

In Illustrierten liest man häufig Tipps wie »Esst mehr Bananen!«, denn da sei viel Serotonin drin und das mache glücklich. Das stimmt zwar, bleibt aber wirkungslos. Denn im Gehirn kommt von dem Serotonin aus der Banane nicht viel an. Unser Gehirn ist durch die so genannte Blut-Hirn-Schranke von allen möglichen Stoffen, die das Blut so mitführt, abgeschirmt, da manche dieser Substanzen die präzise arbeitende Signalübertragung stören könnten. Bestimmte Stoffe werden deshalb durch eine dichte Kapillarwand am Eintritt gehindert.

Über diesen Türsteher muss man sich ein bisschen wundern. Denn er lässt zum Beispiel Alkohol, Nikotin und nicht wenige Drogen herein, Serotonin aus Bananen aber nicht. Es gibt aber dennoch einen Trick, den Serotoninspiegel zu erhöhen, und viele von uns wenden ihn ständig an, ohne sich dessen bewusst zu sein. Um Serotonin in seinem eigenen kleinen Chemiewerk herzustellen, braucht das Gehirn einen bestimmten Baustein: die Aminosäure Tryptophan. Wir müssen also nicht mehr Serotonin essen, wenn unser Gehirn mehr davon haben soll, sondern mehr Tryptophan. Dies ist zum Beispiel in Kürbiskernen, Walnüssen und Spirulina (früher Blaualge genannt) vorhanden. Leider auch in vielen kohlenhydratreichen Speisen. Also allem, was süß und lecker ist. Deswegen schaufeln wir uns gerne Kuchen und Schokolade rein, wenn wir gestresst sind. Unser Gehirn baut daraus Serotonin – den Gegenspieler von Stress.

Cortisol: Schneller Helfer in der Not

Wir gehen abends im Park spazieren. Plötzlich springt hinter einem Baum eine Gestalt hervor. Unser Körper reagiert, in Millisekunden sind wir ein anderer: Unsere Pupillen weiten sich, der Herzschlag schnellt rauf, die Verdauung stoppt, Nachdenken wird unterbrochen. Eben waren wir ein vor sich hin träumender Sonntagsspaziergänger, jetzt sind wir ein Warrior – ein Krieger, bereit zu kämpfen oder zu fliehen. Der Flight-or-fight-Reflex, der unter anderem das Cortisol anknipst, ist eine unserer zentralsten Survivalstrategien.

Auch wenn wir ansonsten ein eher ausgeglichenes Gemüt haben, in bedrohlichen Situationen verwandelt sich jeder von uns augenblicklich in MacGyver – zumindest physiologisch. Denn die körperliche Antwort auf Stress muss nicht nur Kampf oder Flucht sein. Zum Flight-or-fight-Reflex gehört auch Freeze – das Erstarren. Denn manchmal ist Nichtstun sinnvoller als Angriff oder Flucht.

Als das limbische System dieses Notprogramm für uns entwickelt hat, ging es von bedrohlichen Situationen wie der Begegnung mit einem Säbelzahntiger aus. Heute knipst es sich auch beim Lärm vierspuriger Straßen, Abgabeterminen im Job, Schreckensnachrichten im Fernsehen oder einem bevorstehenden Familientreffen an, denn auch psychische Belastungen wertet unser Organismus als Stress. Wenn wir uns verlassen, überfordert oder abgelehnt fühlen, wenn wir Konflikte mit anderen haben, wenn wir mit einer körperlichen Krankheit klarkommen oder einen Verlust verarbeiten müssen – auch dann wird unser Körper in einen Zustand versetzt, der uns dabei helfen soll, mit der Situation umzugehen.

Genau genommen ist Cortisol gar kein Neurotransmitter, sondern ein Hormon, das in der Nebennierenrinde gebildet wird, wenn bestimmte Neurotransmitter das Go! dafür geben. Cortisol pusht dann unseren Energiestoffwechsel, damit wir genügend Kraft haben. Es reguliert das Immunsystem, damit unsere Ressourcen für die Bewältigung der Situation frei sind, und es verändert unsere psychische Reaktionslage. In akuten Situationen ist Cortisol also unser Freund.

Aber wenn solche Belastungssituationen sich häufen oder lange andauern, wenn Stress also chronisch wird, dann wird aus dem Cortisol unser Feind. Wenn es ständig in rauen Mengen durch unseren Körper flutet, greift es unser Immunsystem an, versetzt uns in einen andauernden Alarmzustand und kann im schlimmsten Fall die Zellen in bestimmten Bereichen des Gehirns an der Neubildung hindern oder zerstören. Dies wird heute als eine der Ursachen für Depressionen und Angststörungen betrachtet.

Noradrenalin: »Das merk ich mir!«

Wenn jemand im Park hinter einem Baum hervorspringt, sagen wir in der Regel nicht: »Moment, ich würde gerne noch kurz diesen Gedanken zu Ende führen.« Der Gedanke ist dann einfach abrupt weg, und verantwortlich dafür ist Noradrenalin. Dieser Botenstoff verhindert die Beschäftigung mit kognitiv anspruchsvollen Aufgaben, wenn Gefahr im Verzug ist. Eine gewisse Prise Stress mag das Denken antreiben, zu viel bewirkt das Gegenteil. Das ist auch der Grund, warum wir nicht gut nachdenken können, wenn wir stark unter Stress stehen, denn das Noradrenalin will das dann gerade verhindern. Unter Stress hält es das Nachdenken einfach nicht für wichtig.

Unsere Kapazitäten sollen frei sein für andere Handlungen, die uns helfen, die akute Krise zu überstehen – und gleichzeitig bereitet Noradrenalin uns auf künftige ähnliche Ereignisse vor. Es sorgt nämlich dafür, dass wir uns ein bedrohliches Ereignis besonders gut merken. Wir werden den Baum, hinter dem jemand hervorgesprungen ist, um uns anzugreifen, wohl nie vergessen. So sind wir besser gewarnt, falls etwas Ähnliches mal wieder auf uns zukommen sollte.

Je schlimmer das Ereignis, desto intensiver wird unsere Erinnerung daran sein. Es ist zwar nett von unserem Gehirn, dass es uns in Zukunft warnen möchte. Aber eine zu intensive Erinnerung daran kann problematisch werden. Wenn zu viel Noradrenalin auf das Angstzentrum im limbischen System einwirkt, kann es zu einer Überkonsolidierung kommen. Die Erinnerung brennt sich so sehr ein, dass sie uns verfolgt. Solche hartnäckigen Erinnerungsblitze oder Flashbacks entstehen sogar ohne äußeren Anlass und sind typisch für Menschen, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden.

Oxytocin: Nicht bloß ein Liebeshormon

Vor ein paar Jahren hat Google eine Funktion eingeführt, die die Suche im Internet noch ein bisschen schneller machen soll: Google Instant. Während man das Wort in das Suchfeld eingibt, ermittelt ein Algorithmus, wonach der Nutzer wahrscheinlich suchen wird, und gibt einen Vorschlag, wie der Suchtext weitergehen könnte. Manchmal ist es sehr lustig zu sehen, was Google sich so denkt, was man wohl suchen wird. Während man zum Beispiel das Wort »warum« eingibt, ergänzt die Suchmaschine schon mal »ich dich liebe« oder »ist die Banane krumm«. Was man so von Oxytocin erwarten kann, sieht man ebenfalls dank Google Instant ganz gut. Die Suchmaschine ergänzt »Oxytocin« ganz zackig um »Spray«, »Wirkung«, »Mann«, »Kaufen« – und zwar in dieser Reihenfolge. Oxytocin hat in der Wahrnehmung einen erstaunlichen Wandel gemacht. Lange Zeit war es als ein »Frauenhormon« verschrien, da es beim Geburtsverlauf aktiv wird, die erste Milch für das Baby fließen und vor allem die Liebe blühen lässt. Man könnte auch sagen, es sorgt dafür, dass mütterliches Verhalten einsetzt. Denn ohne Oxytocin würden wir jemanden, der uns den halben Tag lang anschreit, vollspuckt, nachts stündlich weckt und nichts Sinnvolles zum Haushalt beiträgt, ziemlich schnell wieder loswerden wollen. Aber weil unser Gehirn nach der Geburt in Oxytocin getunkt ist, lieben wir die kleinen Quälgeister mehr als unser eigenes Leben.

Diese Wirkung ist seit dem frühen 20. Jahrhundert bekannt und bestätigt, und man dachte, aus medizinischer Sicht sei alles über Oxytocin in Erfahrung gebracht. Doch weit gefehlt, denn Oxytocin hat seine Finger wahrscheinlich noch bei anderen Situationen im Spiel. Zum Beispiel könnte es hinter dem Geheimnis monogamer Beziehungen stecken, also Beziehung zu nur einem Partner. Verabreicht man Männern Oxytocin und zeigt ihnen Bilder ihrer Partnerin, stimuliert das Bindungshormon das Belohnungszentrum im Gehirn und erhöht die Attraktivitätswahrnehmung der Partnerin. Dadurch wird die Bindung zu ihr aufrechterhalten und die Monogamie gefördert. Schon wieder sind also Drogen im Spiel, denn Liebe und Drogenkonsum stimulieren dasselbe Belohnungssystem im Gehirn. Dies könnte auch erklären, warum Menschen nach einer Trennung oder dem Verlust ihres Partners in eine tiefe Trauer bis hin zur Depression verfallen: Das Belohnungssystem ist durch mangelnde Oxytocinausschüttung unterstimuliert und damit quasi auf Entzug.

Seitdem das bekannt ist, herrscht rund um Oxytocin Goldgräberstimmung: Könnte das nicht das Wundermittel sein, nach dem wir alle suchen? Den Mann halten, auch wenn es ihn forttreibt? Uns bekuschelt und geborgen fühlen, selbst wenn wir gerade niemanden haben, der uns das geben kann? Liebe und Geborgenheit durch ein paar Schübe Nasenspray? Wer wünscht sich das nicht? Ein Zaubermittel gegen eine kaputte Beziehung, ohne dass man sich mit den Gründen auseinandersetzen muss?

Doch das Oxytocin ist kein Kuschelhormon per se, es kann auch Neid und Schadenfreude verstärken, und es wirkt bei weitem nicht bei jedem gleich.

Was es aber bei den meisten ähnlich gut kann: beim Abregen helfen. Wenn Stress uns auf die Palme gebracht hat, dann ist es Oxytocin, das uns wieder runterholt. Es ist der Gegenspieler von Stresshormonen. Oxytocin senkt den Blutdruck und die Konzentration von Cortisol. Es macht, dass wir uns wieder beruhigen und besser fühlen. Und wenn wir das nicht selbst schaffen, flüstert es uns ein, dass wir uns Hilfe holen sollten. Kinder machen das ständig, sie rufen nach ihrer Mama, wenn etwas sie ängstigt oder schmerzt. Ist sie da, steigt der Oxytocinspiegel, Schmerzen und Stress werden weniger. Auch als Erwachsene verhalten wir uns ähnlich: Nach einem harten Tag rufen wir Freunde an oder lassen uns in den Arm nehmen. Und wir spüren schnell, wie gut das tut. Leider fließt Oxytocin jedoch nicht einfach so, denn jeder hat ganz eigene Voraussetzungen, wie viel er davon freisetzen kann und wie gut er darauf anspricht.

Es gibt noch ein paar weitere Transmitter wie Acetylcholin, Vasopressin oder GABA.Selten ist ein Botenstoff allein unterwegs, vielmehr fluten sie unser Gehirn parallel. Hormone sind keine Solokünstler, sie arbeiten im Konzert, und das Gleiche trifft auch auf die diversen Hirnstrukturen zu. Sie verstärken sich gegenseitig oder mildern die Wirkung eines anderen Transmitters. Erst durch das Zusammenspiel vieler entsteht zum Beispiel tief empfundene Liebe. Um Liebe ein Symbol zu geben, malen wir Herzen. Ein Gehirn wäre jedoch viel passender.

Aber das Wirken und Zusammenspiel der Botenstoffe verläuft nicht immer reibungslos. Neurotransmitter brauchen optimale Strukturen, innerhalb derer sie ihre Wirkung entfalten. Wie viele gebildet werden und ob ihre Botschaft ankommt, hängt stark davon ab, wie unser Gehirn beschaffen ist. Und das ist eine sehr kniffelige Angelegenheit.

EIN GANZ BESONDERES ORGAN