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Besitzt Matteo di Serrone den Schlüssel zu ihrem Familiengeheimnis? Als Sarah den heißblütigen Italiener trifft, erhofft sie sich Informationen über die heimliche Jugendliebe ihres Großvaters – deshalb ist sie nach Rom geflogen. Doch Matteo hat nicht die Vergangenheit im Sinn. Als er sie bei einem romantischen Picknick zu zärtlichen Küssen verführt, fühlt Sarah sich unwillkürlich wie berauscht von seiner Nähe. Und was spricht schon gegen einen kurzen Urlaubsflirt? Aber noch ahnt sie nicht, wer Matteo wirklich ist …
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Seitenzahl: 200
IMPRESSUM
Das Geheimnis des heißblütigen Italieners erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2011 by Liz Fielding Originaltitel: „Flirting With Italian“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA, Band 1957 Übersetzung: Dorothea Ghasemi
Umschlagsmotive: StockByM, Media Lens King / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2023
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751527255
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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ITALIENISCH FÜR ANFÄNGER
Meine Tasche ist gepackt, mein Flug gebucht. Während meine Schüler in heller Aufregung sind, weil ihre neue Lehrerin die Hausarbeiten bis zur ersten Woche des Trimesters verlangt, werde ich mich durch das Verkehrschaos in Rom kämpfen und versuchen, mit der Aufregung und den Sprachproblemen fertig zu werden, die das Leben in einem fremden Land mit sich bringt.
Und vielleicht haben sie recht, wenn sie glauben, ich wäre besser dran, weil ich mich auf geschichtsträchtigem Boden bewege, die tollsten Klamotten kaufen kann und von der Sonne verwöhnt werde. Im Moment zerbreche ich mir aber eher den Kopf darüber, wo ich wohnen soll, inwieweit die neue Schule sich von der in Maybridge unterscheidet und ob meine zukünftigen Schüler mich mögen werden.
„Ich habe einen neuen Job. In Rom.“
„Wie, du willst den ‚perfekten Job‘ aufgeben?“, fragte ihr Urgroßvater verblüfft.
Sarah hatte ihren Kollegen überzeugend vermittelt, dass sie es nicht erwarten konnte, ins Flugzeug zu steigen. Das stimmte auch, allerdings war es viel mehr eine Flucht. Und eigentlich hätte sie sich denken können, dass ihr Urgroßvater ihre aufgesetzte Fröhlichkeit durchschaute.
Obwohl er fast neunzig war, ging er jeden Morgen in den Ort, um die Times zu kaufen, und er war geistig immer noch so fit, dass er das Kreuzworträtsel in zehn Minuten löste.
„Die Kinder haben Tom geliebt.“ Sie betrachtete ihre Hand, an der sie den Ring getragen hatte. „Es scheint mir, als würden alle mir die Schuld daran geben, dass er gegangen ist.“
„Er hat dich betrogen, Sarah. Wenn du den Job aufgibst, den du liebst, verlierst du doppelt.“
„Er hat mich nicht betrogen.“
Er hat mich nicht betrogen. Er hat mich nicht belogen. Tom war zu so etwas nicht imstande. Er hatte ihr versichert, dass er sie immer noch liebte, aber er hatte sich in eine andere Frau verliebt.
Er hatte es ihr zu Beginn der Ferien gesagt, sodass sie eine Woche gehabt hatte, um sich zu fangen, bevor sie wieder das Lehrerzimmer betrat.
Allerdings hatte er ihr verschwiegen, dass er gekündigt und einen Job im Sportzentrum in Melchester angenommen hatte.
Erst zu dem Zeitpunkt war ihr das ganze Ausmaß richtig bewusst geworden. Vorher hatte sie sich eingeredet, dass alles so sein würde wie vorher, wenn sie am Montag zur Schule fuhr.
Tom war jedoch nicht da gewesen.
Er hatte in den Ferien Gelegenheit gehabt, sich alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und sich damit abzufinden, dass sie in der Schule nicht zusammenarbeiten konnten. Er hatte seinen Job aufgegeben, der ihm alles bedeutete. Sosehr liebte er sie.
Sosehr liebte er diese andere Frau.
Sarah hatte sich wirklich große Mühe gegeben, um dieses Opfer wert zu sein. An ihre Schüler zu denken, obwohl sie sich am liebsten irgendwo verkrochen und sich die Augen ausgeweint hätte.
Und sie hatte alle Gegenstände aus ihrer Wohnung verbannt, die sie an ihn erinnerten. Ebenso hatte sie die Orte gemieden, die sie zusammen mit ihren Freunden besucht hatten.
Aus der Schule konnte sie ihn allerdings nicht verbannen.
Sämtliche Fotos der Mannschaften, die er zum Erfolg trainiert hatte, erinnerten sie an ihn. Der Anblick der Jungen, die verschwitzt vom Kricketspiel kamen. Selbst das Geräusch einer Trillerpfeife auf dem Sportplatz, das sie früher immer seine Gegenwart hatte spüren lassen und ihr nun einen Stich versetzte.
„Außerdem“, fuhr Sarah an ihren Urgroßvater gewandt fort, „verliere ich nicht, sondern hole nach, was ich versäumt habe. Du wolltest doch unbedingt, dass ich ein Jahr Auszeit nehme und reise, bevor ich mich irgendwo niederlasse.“
„Jetzt bist du aber nicht mehr achtzehn“, erklärte er. „Und du nimmst dir keine Auszeit, um dir die Welt anzusehen oder dich zu amüsieren.“
„Zwischen den Rucksacktouristen würde ich mich alt fühlen. So kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich habe einen tollen Job und lebe in einer wunderschönen Stadt. Ich hoffe nur, ich werde den Lobeshymnen des Schulleiters gerecht.“
Ihr Urgroßvater wischte ihre Zweifel mit einer wegwerfenden Geste beiseite. „Meinst du nicht, dass du Sprachprobleme haben könntest?“
„Es ist eine internationale Schule.“ Und diese war über tausend Kilometer von der entfernt, in der alle sie als eine Hälfte eines Paars kannten.
Tom und sie waren von ihrem ersten Arbeitstag an der Maybridge High an unzertrennlich gewesen. Sie war so nervös gewesen, dass sie ihm, dem blonden Riesen, der Fachbereichsleiter für Sport war, versehentlich eine Tasse Kaffee über die Jeans geschüttet hatte. Statt sich aufzuregen, hatte er gelächelt, und seine blauen Augen hatten ihr Herz sofort schneller schlagen lassen.
Als sie ihm anbot, seine Hose zu waschen, hatte er ihr vorgeschlagen, ihm im Pub ein Bier auszugeben. Von da an waren sie zusammen gewesen, bis im Januar die halbe Belegschaft an Grippe erkrankt war und eine neue Lehrerin an der Schule angefangen hatte.
Sarah hatte das Unheil kommen sehen, aber nicht verhindern können. Als Louise das Lehrerzimmer betrat, waren alle verstummt, und Tom war auf sie zugegangen, um sie willkommen zu heißen. Obwohl der Blickkontakt nur wenige Sekunden dauerte, hatte Sarah gespürt, wie es zwischen den beiden funkte, und ihre Welt war völlig aus den Fugen geraten.
„Ich werde bald neue Leute kennenlernen“, versicherte sie nun ihrem Urgroßvater. „Als Lehrerin hat man zwangsläufig viele Kontakte. Und ich werde in Rom leben, einer der faszinierendsten Städte überhaupt.“
Nachdem sie im einen Moment noch die bemitleidenswerteste Kollegin gewesen war, hatten alle sie im nächsten beneidet. Allerdings war sie nicht ganz ungeschoren davongekommen, denn der Schulleiter hatte sie überredet, ihre Erfahrungen in Italien in einem Blog festzuhalten.
„Ich weiß, dass Sie eine schwere Zeit hinter sich haben, aber nach einem Tapetenwechsel wird alles anders aussehen. Ich erwarte Sie nächstes Jahr wieder zurück“, hatte er gesagt.
„Sie brauchen nicht mich, sondern Tom“, hatte sie erwidert. „Rufen Sie ihn an.“
„Damit alle denken, ich hätte Sie weggeschickt, um ihn zurückholen zu können?“ In dem Moment war ihr klar geworden, warum sie einen Blog schreiben sollte – damit es so aussah, als würde sie immer noch zur Schule gehören.
Erschrocken zuckte Sarah zusammen, als ihr Urgroßvater ihre Hand nahm.
„Ich bin ja nicht aus der Welt“, sagte sie. „Ich werde dich besuchen, sooft ich kann.“
„Vergeude nicht deine Zeit und dein Geld, um mich alten Mann zu besuchen. Genieße es, solange du die Gelegenheit hast.“
„Ich habe genug Zeit, um mir alles anzusehen.“ Und das Geld, das sie für ihre Hochzeit gespart hatte, ermöglichte es ihr, durch Italien reisen.
„Das Leben vergeht wie im Flug“, warnte er sie. „Du musst jede Minute genießen.“ Er betrachtete sie mit jenem nachdenklichen Blick, den seine Patienten noch aus der Zeit kannten, als er praktiziert hatte. „Ich verschreibe dir eine Affäre, aber nichts Ernstes. Eine nette Romanze mit einem attraktiven Italiener, an den du dich später lächelnd erinnern wirst.“
„Du bist wirklich unmöglich!“
Nun lächelte er. „Vertrau mir. Ich bin Arzt.“
Sarah lachte. „Unmöglich und wahnsinnig liebenswert.“ Ihr Urgroßvater und sie hatten sich schon immer besonders nahegestanden. Sie hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihren Eltern und zu ihren Großeltern, aber er hatte ihr immer die schönsten Geschichten erzählt. Als er sich jetzt in seinem Sessel zurücklehnte und aus dem Fenster blickte, wusste sie genau, was er als Nächstes sagen würde.
„Habe ich dir je von meiner Zeit in Italien während des Zweiten Weltkriegs erzählt?“
„Ein paar Mal.“ Früher war es eine ihrer Lieblingsgeschichten gewesen. Im Laufe der Jahre hatte er diese immer mehr ausgeschmückt. Sie hatte ihre Urgroßmutter zwar nie kennengelernt, doch ihre Großmutter hatte immer behauptet, er würde viel dazudichten. Und ihre Mutter verdrehte immer nur die Augen, wenn er damit anfing.
„Erzähl sie noch mal“, drängte Sarah ihn. Damals hatte eine hübsche junge Italienerin ihn schwer verletzt im Schnee gefunden, ihn gesund gepflegt und dann monatelang versteckt, bis die Alliierten gekommen waren. „Gran hat immer gesagt, du hättest den größten Teil erfunden und die schöne Lucia wäre eine alte Frau gewesen, die dich eine Woche lang im Kuhstall versteckt hat.“
„Deine Großmutter hat keine Ahnung.“ Seine Augen funkelten schalkhaft. „Gib mir die Dose, und ich beweise es dir.“
Sarah war verblüfft. Sie hatte den Inhalt der alten Keksdose schon unzählige Male gesehen, und es war kein Foto von Lucia dabei gewesen. Nachdem sie sie ihm gereicht hatte, leerte er die vielen Erinnerungsgegenstände auf den Tisch.
Einige davon – Zettel, Fotos und Münzen – fielen zu Boden, und Sarah kniete sich hin, um sie aufzuheben.
„Du hast längere Fingernägel als ich“, sagte ihr Urgroßvater. „Versuch mal, das hier herauszubekommen.“
Auf dem Boden der Dose klemmte ein Stück schwarze Pappe. Als sie sie jetzt herausnahm, stellte sie fest, dass sich darunter ein altes Schwarz-Weiß-Foto befand.
Ein wenig verlegen zuckte Alex Randall die Schultern. „Ich wollte deine Urgroßmutter nicht beunruhigen.“
Die Aufnahme zeigte eine schlanke junge Frau mit dunklem Haar, ebensolchen Augen und vollen, sinnlichen Lippen. Irgendjemand – vermutlich ihre Urgroßmutter – hatte es einmal zerrissen, und man hatte es sorgfältig wieder zusammengeklebt.
„Sie war sehr hübsch.“ Als Sarah ihren Urgroßvater ansah und den zärtlichen Ausdruck in seinen Augen bemerkte, schnürte sich ihr die Kehle zu. „Es muss sehr schlimm für dich gewesen sein.“
Die Frau saß auf einer kaputten Mauer vor den Überresten eines Hauses, das einmal eindrucksvoll gewesen sein musste, bevor die Faschisten es zerstört hatten. Die junge Italienerin hatte ihr Leben riskiert, um einen Fremden zu retten, und dabei unglaublichen Mut bewiesen. Sie lächelte in die Kamera, und der Ausdruck in ihren Augen verriet ihre tiefen Gefühle für den Mann, der sie fotografierte.
„Ich hätte dorthin zurückkehren sollen, als der Krieg vorbei war“, sagte ihr Urgroßvater, während er aufstand. „Aber zu Hause warteten meine Frau und mein Sohn auf mich … Als die Alliierten kamen, ging alles so schnell, dass ich mich kaum von ihr verabschieden konnte. Und ich bin zu einer Frau zurückgekehrt, die glaubte, ich wäre längst tot.“
„Hast du je versucht, sie wiederzufinden?“, fragte Sarah.
„Ich habe ihr geschrieben und sogar Geld geschickt. Aber sie hat nie geantwortet, und dann habe ich beschlossen, sie zu vergessen, zumal ich Angst hatte, sie könnte Probleme bekommen …“ Er schüttelte den Kopf. „Zu der Zeit war deine Großmutter unterwegs, und ich habe Tag und Nacht fürs Studium gelernt.“ Erneut zuckte er die Schultern. „Wir haben weitergemacht.“
Er hatte überstürzt geheiratet und einer Frau ewige Treue geschworen, als er damit rechnen musste, dass er dem Tod nahe war.
„Es war ein gutes Leben“, fügte er hinzu, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
„Ich weiß.“ Sarah drehte das Foto um und las den Text auf der Rückseite: „‚Juni 1944. Serrone‘. Ist das das Dorf, in dem sie gewohnt hat? Meinst du, sie lebt noch?“
„Sie müsste Mitte achtzig sein“, erwiderte er zweifelnd.
„Ein junger Hüpfer im Vergleich zu dir. Du solltest versuchen, sie ausfindig zu machen.“
„Nein …“
„Es kann nicht so schwer sein.“ Sie nahm seinen Laptop vom Tisch und gab in der Suchmaschine den Namen des Dorfes ein. „Mal sehen. Eine Schauspielerin ist dort zur Welt gekommen. Und ein Rennfahrer …“ Als sie auf einen Link klickte, erschien das Foto eines Mannes im Overall und mit einem Sturzhelm unter dem Arm.
„Oh, wie schrecklich!“, rief sie.
„Was denn?“
„Der Rennfahrer ist 1983 beim Training ums Leben gekommen und hat eine Frau und einen kleinen Sohn hinterlassen.“ Sarah überflog den Text darunter. „Aber sie haben in Turin gelebt.“ Dann klickte sie auf einen anderen Link. „Das hier passt schon eher. Ein Weingut mit Prädikatsweinen …“
„Lass gut sein, Sarah. Lucia hat bestimmt geheiratet und Kinder bekommen. Niemand möchte die Geister aus der Vergangenheit heraufbeschwören.“
„Du bist kein Geist …“ Da ihr klar wurde, dass er es ernst meinte, entschuldigte sie sich: „Tut mir leid, ich kehre wieder die Lehrerin heraus.“ Als er das Foto auf den Boden der Dose zurücktun wollte, fügte sie hinzu: „Versteck sie nicht wieder.“
„Es ist in keinem so guten Zustand, dass man es rahmen könnte“, protestierte Alex.
„Ich kenne jemanden, der eine Reproduktion davon anfertigen kann. Wir alle brauchen Erinnerungen, die uns zum Lächeln bringen“, erinnerte sie ihn an seine Worte.
„Nur zu. Aber du musst mir versprechen, meinen Rat zu befolgen.“
„Den mit dem attraktiven Italiener?“
„Ja. Es ist die beste Medizin gegen Liebeskummer“, erwiderte er lächelnd.
ITALIENISCH FÜR ANFÄNGER
Womit sollte sie ihren Blog bloß anfangen? Und wen wollte sie ansprechen? Ihre Schüler? Ihre Kollegen? Ihre Eltern?
Sich selbst …
Ich sehe Euch praktisch vor mir, wie Ihr auf der Mauer sitzt und Euch darüber aufregt, dass Ihr neben all der Arbeit für die Schule auch noch Miss Grattons Blog lesen müsst.
Nein, klickt nicht weg! Bestimmt glaubt Ihr, in diesem Blog würde es nur um die alten Römer, Ruinen und Kirchen gehen. Wie langweilig!
Und dass ich Zensuren verteile, wenn Ihr einen Kommentar hinterlasst.
Sie brauchte sich nichts vorzumachen. Kein fünfzehnjähriger Teenager würde seine Zeit damit vergeuden, so etwas zu lesen. Ein paar Wochen, und sie konnte es vergessen. Es war reine Routine. Nicht dass der Blog ihr in irgendeiner Weise helfen würde. Es fiel ihr sehr schwer, nicht an Tom und sein Lächeln zu denken …
Sarah seufzte, bevor sie las, was sie bisher geschrieben hatte.
Bleibt locker, Leute. Bevor wir zu den langweiligen Dingen kommen …
‚Langweilig‘ war gut. Je eher die Schüler wegklickten, desto besser.
… möchtet Ihr bestimmt sehen, wo ich wohne.
Die Gasse ist gepflastert und so steil, dass man alle paar Meter eine Stufe hineingebaut hat. Sie ist für Autos unpassierbar, was die jungen Italiener aber nicht davon abhält, sie mit der Vespa zu befahren.
Ich wohne in dem gelben Haus links unter dem Dach. Ins Fitnessstudio brauche ich hier nicht mehr zu gehen, denn das tägliche Treppensteigen hält mich fit.
Bei ihrer Ankunft hatte es geregnet, und sie war völlig durchnässt gewesen, als sie ihr ganzes Gepäck nach oben gebracht hatte. Einen Regenmantel anzuziehen war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Schließlich reiste sie nach Rom, der Stadt des ewigen Sonnenscheins. Von wegen!
Ich habe eine winzige Dachterrasse. Die Geranie ist ein Geschenk von meinen neuen Schülern (merkt Euch das), die alle sehr ordentlich sind …
Mehr als das. Alle waren modebewusst und perfekt gestylt – vor allem die Jungen – und trugen nur Designersachen.
Wohlerzogen und immer ihre Hausaufgaben machen.
Diese Bemerkung würde die meisten ihrer Schüler veranlassen wegzuklicken.
Das hier ist meine Aussicht.
Es war ein herrliches Panorama der Stadt. Kuppeln, rote Dächer und das Monumento Vittorio Emanuele II. – ein Anblick, den man mit jemandem teilen musste, während man morgens Kaffee oder abends ein Glas Wein trank.
Es fiel ihr schwer, sich nicht vorzustellen, wie sie ihn gemeinsam mit Tom genoss. Allerdings reiste Tom nicht gern, und es war schon harte Arbeit gewesen, ihn zu einem langen Wochenende in Frankreich zu überreden.
Und den Rat ihres Urgroßvaters, sich einen italienischen Lover zuzulegen, hatte sie natürlich noch nicht befolgen können.
Ihr habt recht, es sind viele Kirchen. Auf der linken Seite in der Ferne seht Ihr übrigens den Petersdom. Und das hier ist der Mercato Esquilino, der Markt, auf dem ich meine Lebensmittel kaufe.
Und den Mädchen und vor allem meinen Kolleginnen möchte ich Pietro vorstellen, der den besten Dolcelatte und die leckerste Mortadella verkauft. Das Essen hier ist fantastisch, und ich muss viele Treppen steigen, wenn ich nicht aus meinen neuen Sachen platzen will.
Oh ja. Die Klamotten.
Und plötzlich machte es ihr Spaß.
Am Flughafen hatte Pippa, die Schulsekretärin, sie abgeholt, eine junge Engländerin, die mit ihrem italienischen Freund in Rom lebte. Sie hatte ihr auch die Wohnung in dem alten Haus besorgt, das anscheinend der Familie ihres Partners gehörte.
Beim Betreten war Sarah zuerst schockiert gewesen, weil sie in Maybridge ein modernes Apartment bewohnte. Nun, da sie seit einigen Wochen in Rom lebte, war ihr allerdings klar, dass sie sich wegen der zentralen Lage glücklich schätzen konnte. Und inzwischen liebte sie die Räume mit den hohen Decken und die Aussicht.
Pippa hatte ihr auch die Stadt gezeigt, sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln vertraut gemacht und ihr schonend beigebracht, dass sie mit ihren bunten Sachen von der Stange, wie die meisten Lehrerinnen an der Maybridge High sie trugen, in Rom eher unangenehm auffallen würde. Die Italiener besaßen wenig, aber dafür hochwertige Kleidung.
Ein neuer Job. Ein neues Leben. Und so hatte es nahegelegen, sich auch neu einzukleiden. Pippa hatte sie in die einschlägigen Designer-Outlets geschleppt, und nun lief Sarah nur noch in Armani, Versace und Valentino herum – den edelsten Teilen, die ihr umso besser standen, weil sie in den letzten Monaten aus Liebeskummer einige Kilo abgenommen hatte. So konnte sie selbstbewusster vor ihre Schüler treten.
Die Italiener sind wahnsinnig schick, selbst im Klassenzimmer, und meine erste Aufgabe bestand darin, meine komplette Garderobe zu erneuern. Es war nicht einfach, aber Ihr werdet es zu schätzen wissen.
Sie hatte alles mit dem Geld bezahlt, das sie für ihr Traumbrautkleid gespart hatte. Damit hatte sie auch alle Hoffnungen begraben, dass Tom zu ihr zurückkehren könnte. Oder dass er zur Vernunft kommen würde, wenn er erfuhr, dass sie ihren Job aufgegeben hatte, damit er wieder an der Schule anfangen konnte.
Außerdem gibt es die Regel, dass jeder Tourist mindestens ein Paar Schuhe in Italien kaufen muss. Hier seht Ihr eine meine Errungenschaften …
Sarah streckte den Fuß aus, um ihre neuen Sandaletten zu bewundern. Da sie keine Touristin war, würde es nicht bei einem neuen Paar bleiben.
Wie Ihr seht, hat Rom also viel mehr zu bieten als einen Haufen Ruinen. Da Ihr Euch aber bestimmt für Kirchen interessiert, möchte ich Euch nicht enttäuschen. Das hier ist Santa Maria del Popolo. Wahrscheinlich erkennt Ihr sie aus dem Film Illuminati wieder.
Rom ist wirklich alles andere als langweilig.
Der Blog ist sicher nicht das, was dem Schulleiter vorschwebt, überlegte sie lächelnd. Wenn sie Glück hatte, würde er den Link auf der Webseite der Schule früher oder später löschen. Während sie die Fotos, die sie mit ihrer Handy-Kamera gemacht hatte, hochlud, fragte sie sich, ob Tom es lesen und ob Louise der Versuchung widerstehen würde, einen Blick hineinzuwerfen.
Beim Anblick der Schuhe würde jede Frau neidisch werden. Und vor allem die, deren Fesseln immer dicker wurden …
Einige ihrer ehemaligen Kolleginnen hatten ihr per SMS mitgeteilt, dass Toms neue Flamme schwanger war, doch er hatte sie schon vorher darüber informiert, damit sie es als Erste erfuhr. Als hätte das weniger wehgetan …
Ja, ich bin ein böses Mädchen, dachte Sarah, als sie die Fotos einstellte, aber auch sie war nur ein Mensch.
Danach rief sie ihre Mails ab. Eine kam von ihrer Mutter und hatte als Anlage ein Foto, das ihren Vater beim fünfundzwanzigjährigen Firmenjubiläum zeigte. Auch ihr Urgroßvater hatte ihr geschrieben und wollte wissen, ob sie bei ihrer Suche nach einem dunkeläugigen italienischen Lover schon Fortschritte gemacht hätte.
Ihrer Antwort fiel kurz und bündig aus: noch keine Zeit gehabt.
Bisher war sie vollauf damit beschäftigt gewesen, sich in der Schule einzuleben und sich mit dem Alltag in einem fremden Land vertraut zu machen. Auch Pippas Angebot, abends zu dritt auf die Piste zu gehen, hatte sie aus Zeitmangel noch nicht angenommen. Das teilte Sarah ihrem Urgroßvater mit.
Aber vielleicht war sie auch einfach nur feige. Sie konnte sich beim besten Willen noch nicht vorstellen, mit einem anderen Mann zusammen zu sein. Von einem anderen Mann geküsst und berührt zu werden.
Auch einige ehemalige Kolleginnen hatten sich gemeldet und wollten wissen, ob sie in Rom zurechtkäme. Eine wollte sie besuchen, eine andere erkundigte sich, an welchem Wochenende sie zum ersten Mal zu Besuch nach England kommen wollte.
In ihren Antworten bemühte Sarah sich um einen fröhlichen Tonfall. Sie schrieb der ersten Kollegin, dass sie jederzeit kommen könnte, der zweiten, dass sie es noch nicht wüsste. Dann erzählte sie von ihren Shopping- und Besichtigungstouren und ihren neuen Kolleginnen, von denen einige sie zu sich nach Hause eingeladen hatten.
Es war eine nette Geste, doch sie wollte lieber Kontakte außerhalb der Schule knüpfen.
Sarah langweilte sich also nicht in Rom. Und obwohl sie Geschichte unterrichtete, wusste sie nur das Wichtigste über die alten Römer und hatte den größten Teil ihrer Freizeit darauf verwendet, die Sehenswürdigkeiten abzuklappern und zu fotografieren.
Da ihr die Geschichte mit ihrem Urgroßvater und Lucia nach wie vor nicht aus dem Kopf ging, hatte sie beschlossen, am nächsten Samstag das Dorf Serrone zu besuchen.
Natürlich würde sie niemandem erzählen, wer sie war. Sie wollte nur in Erfahrung bringen, was aus Lucia geworden war. Ob diese ein schönes Leben gehabt hatte. Und ob es ihr gut ging, wenn sie noch lebte.
ITALIENISCH FÜR ANFÄNGER
An diesem Wochenende habe ich die Stadt hinter mir gelassen und bin mit dem Zug aufs Land gefahren.
In einer fremden Sprache eine Fahrkarte zu kaufen ist nicht ganz einfach. Ich arbeite an meinem Italienisch und kann die richtigen Fragen stellen: „Un’andata e ritorno, per favore …“
Nur leider verstehe ich die Antworten nicht. Es ist, als würde man Radio hören, ohne den Sender richtig eingestellt zu haben. Selbst wenn ich mich anstrenge, verstehe ich nur etwa zwanzig Prozent.
Irgendwie habe ich es dann doch geschafft, den richtigen Zug zu bekommen, und bin sicher ans Ziel gelangt.
Matteo di Serrone war wütend. Isabella di Serrone mochte die beliebteste Filmschauspielerin Italiens sein, aber in diesem Moment zählte sie nicht zu seinen Lieblingen.
Er hatte eigentlich früh aus Rom wegfahren wollen. Doch dann war Bella bei ihm erschienen, eine Horde Paparazzi im Schlepptau. Obwohl sie wusste, wie sehr er die Medien verabscheute. Diese hatten seiner Mutter das Leben zur Hölle gemacht und würden dasselbe mit ihr tun, wenn sie ihnen die Gelegenheit dazugab.
Statt also nach Serrone zu fahren, wo er den Tag auf dem Weingut hatte verbringen wollen, saß er nun mit seinem mürrischen neunzehnjährigen Bruder in ihrer Limousine.
„Mach nicht so ein Gesicht, Stephano“, sagte er zu ihm. „Du kannst dich wenigstens aus der Affäre ziehen.“
„Hör auf, den harten Kerl zu spielen“, konterte dieser. „Du würdest doch alles für Bella tun.“
Matteo betrachtete ihn. Geschminkt, mit einer Perücke und einer Sonnenbrille, Isabellas Mantel um die Schultern, sah Stephano ihr zum Verwechseln ähnlich – der perfekte Lockvogel für die Reporter.
Die Anspannung fiel ein wenig von ihm ab, und Matteo lächelte. „Von wegen. Nicht einmal für Bella würde ich Lippenstift tragen.“
Fasziniert betrachtete Sarah die hohen, von der Sonne beschienenen Berge und versuchte, sie sich schneebedeckt im Winter vorzustellen. Alex zufolge hatte es dort früher Wölfe und Bären gegeben.
Jetzt, im Spätsommer, war es allerdings so warm, dass sie einen Strohhut trug, um sich gegen die Sonne zu schützen. Auf der Brücke blieb sie stehen, um auf den Fluss zu blicken, der wegen der anhaltenden Trockenheit in diesem Sommer nur wenig Wasser führte. Dann schlenderte sie langsam die Anhöhe hinauf in Richtung Dorf und hielt dabei Ausschau nach dem zerstörten Haus auf dem alten Foto ihres Urgroßvaters.
Stufen führten zu einer Piazza hinauf, die von Bäumen beschattet und von einigen kleinen Geschäften, einem Café sowie einer Kirche gesäumt war.