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GEBORGEN IN DEN ARMEN DES SCHEICHS von LIZ FIELDING Lydia winkt ein Luxusurlaub – wenn sie sich als Lady Rose ausgibt und die Paparazzi von der Adligen ablenkt! Ein Kinderspiel, findet Profi-Double Lydia – bis sie sich in Kalil al-Zaki verliebt, der für ihre Sicherheit sorgt. Denn auch der Wüstenprinz hält sie für die andere … STÜRMISCH WIE DER WÜSTENWIND von SUSAN MALLERY Das ist also die Frau, die er heiraten soll! Prinz Kardal rettet Sabrina aus einem Sandsturm, und auch wenn sie sich kratzbürstig gibt: Das Temperament der Rothaarigen reizt ihn. Wie wird sie reagieren, wenn sie herausfindet, dass er der Mann ist, dem sie versprochen wurde? IM PALAST DER LEIDENSCHAFT von SHARON KENDRICK Wie kann Jenna Scheich Rashid überzeugen, dass sie nicht seine Frau werden kann? Sie will aus Liebe heiraten – nicht, weil es einst so entschieden wurde. Bis sie ihn erstmals nach Jahren wiedersieht. Ihr Herz rast wie verrückt. Ist er wirklich der Falsche für sie?
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Seitenzahl: 560
Liz Fielding, Susan Mallery, Sharon Kendrick
ROMANA WEEKEND BAND 16
IMPRESSUM
ROMANA WEEKEND erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Erste Neuauflage 2024 in der Reihe ROMANA WEEKEND, Band 16
© 2009 by Liz Fielding Originaltitel: „Her Desert Dream“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Iris Pompesius Deutsche Erstausgabe 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1847
© 2001 by Susan Mallery, Inc. Originaltitel: „The Sheik and the Runaway Princess“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: M.R. Heinze Deutsche Erstausgabe 2003 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BIANCA, Band 1470
© 2002 by Sharon Kendrick Originaltitel: „Promised to the Sheikh“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Andreas Becker Deutsche Erstausgabe 2003 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 208
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751527835
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY
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Lydia Young stand im Mittelpunkt des Empfangs in einem exklusiven Londoner Hotel. Sie war von Kopf bis Fuß nur eine Fälschung, aber die beste, die es gab. Und das erfüllte sie mit Befriedigung.
Ihr Kostüm, die Nachahmung eines Designermodells, stammte aus der Maschine ihrer Mutter, die früher für einen Couturier genäht hatte. Ihre Schuhe, Handtasche und Armbanduhr waren hervorragende Kopien und von den Originalen kaum zu unterscheiden. Doch diese unverzichtbaren Äußerlichkeiten allein machten noch nicht ihren Erfolg aus. Es war die Perfektion, mit der sie ihre Rolle spielte.
Dafür hatte sie wie eine Schauspielerin ihr Vorbild studiert und gelernt, dessen Gang, Gestik, Mimik und Körperhaltung zu imitieren. Auch die Stimme konnte sie nachmachen, und das weltberühmte strahlende Lächeln beherrschte sie inzwischen so selbstverständlich wie das Atmen, obwohl harte Arbeit dahinter steckte.
Als Doppelgängerin wurde sie stundenweise gebucht, um Club- und Restauranteröffnungen, Vorstellungen neuer Produkte oder anderen geschäftlichen Veranstaltungen Glamour zu verleihen. Und obwohl alle Anwesenden wussten, dass sie nicht die echte Berühmtheit vor sich hatten, ließen sie sich von ihrer Erscheinung und ihrem Benehmen so sehr gefangen nehmen, dass sie sie mit der gleichen Ehrerbietung behandelten wie das Original. Das empfand Lydia als die eigentliche Belohnung.
Während sie sich unter die Gäste mischte und mit ihnen für die Fotografen posierte, fragte sie sich wieder einmal, was später mit den Fotos geschah. Ob sie gerahmt und auf Kaminsimse gestellt wurden, um Freunde und Nachbarn glauben zu lassen, dass sie Englands Liebling persönlich begegnet waren?
Einige Leute sprachen sie auch an. Lydia gab ihnen die Hand, lächelte, beantwortete Fragen und plauderte, als käme sie tatsächlich aus vornehmem Hause.
Schließlich drängte sich der Unternehmensleiter zu ihr und überreichte ihr eine blassrosa Rose, die zum Image ihrer berühmten Doppelgängerin genauso gehörte wie das bezaubernde Lächeln. Und damit endete ihr Auftritt.
Nun war es an der Zeit, ins wirkliche Leben zurückzukehren, ihre Mutter zu einem Krankenhaustermin zu begleiten und danach die Abendschicht im Supermarkt anzutreten, wo sie vielleicht die neue Teesorte ins Regal räumen würde, deren Einführung man soeben mit ihrer täuschend echt wirkenden glanzvollen Anwesenheit gefeiert hatte. Lydia mochte solche ironischen Verknüpfungen ihres eigentlichen Lebens mit dem, das sie nur vorspielte.
Sie eilte durch das Foyer des Hotels zur Garderobe, um sich in Lydia Young zurückzuverwandeln und mit dem Bus nach Hause zu fahren. Aber auch dort würden die Leute sie irritiert anstarren.
Seit ihren Teenager-Jahren drehten sich Passanten nach ihr um und riefen „Rose“ hinter ihr her. Die Ähnlichkeit war tatsächlich frappierend. Mehr noch als die Haarfarbe und die ebenmäßigen Gesichtszüge ähnelten ihre lebhaften blauen Augen denen von Lady Rose. Sie hatte das noch unterstützt, indem sie deren Frisur kopierte und ihre Mutter darum bat, ihr die gleiche kleine schwarze Samtjacke zu nähen, wie Lady Rose sie auf den Zeitungsfotos zu ihrem sechzehnten Geburtstag getragen hatte. Seitdem ahmte Lydia den Stil von Lady Rose nach, so wie die Generation ihrer Mutter den einer jungen Prinzessin nachgeahmt hatte.
Wer wollte nicht wie eine Ikone aussehen?
Durch ein Foto in einer Lokalzeitung hatte die landesweit größte Doppelgänger-Agentur sie entdeckt, und so war sie über Nacht zu einer zweiten Lady Rose geworden. Auf diese Weise hatte ihre an den Rollstuhl gefesselte Mutter wieder eine Lebensaufgabe gefunden. Sie suchte nach geeigneten Stoffen für die elegante Ausstattung ihrer Tochter und nähte Kostüme und Kleider für sie. Die Auftritte brachten auch Geld in die gemeinsame Haushaltskasse, sodass Lydia seitdem sorgloser lebte, ihren Führerschein gemacht und sogar ein eigenes Auto erspart hatte, um den Bewegungskreis ihrer Mutter zu erweitern.
In der Hotelhalle bemerkte Lydia nun eine merkwürdige Unruhe. Doch anders als gewohnt, zog nicht sie, sondern eine andere Person die Aufmerksamkeit auf sich. Und unversehens stand sie Auge in Auge der Frau gegenüber, die sie vorgab zu sein.
Lady Roseanne Napier. Dem Liebling Englands.
Sie war es leibhaftig von Kopf bis Fuß. Vom entzückenden Hut bis zu den hocheleganten Schuhen.
Lydia drohten die Beine zu versagen, und sie betete, dass sich der Boden öffnen und sie verschlingen möge.
Doch das tat er natürlich nicht. Es war Lady Rose, die mit einem ironischen Lächeln in den Mundwinkeln die Situation und damit den Tag rettete.
„Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Leider ist mir Ihr Name entfallen“, sagte sie und streckte die Hand aus.
Lydia ergriff sie. Nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch, um sich daran festzuhalten. „Lydia, Madam. Lydia Young“, stotterte sie.
Sollte sie jetzt einen Knicks machen? Häufig knicksten Frauen vor ihr, doch sie war sich nicht sicher, ob ihre Beine dafür stark genug waren. Vielleicht würde sie sich nicht wieder aufrichten können. Die Situation war peinlich genug, aber zu einer Farce durfte sie nicht ausarten.
Als ihr bewusst wurde, dass sie immer noch die Hand von Lady Rose hielt, zog sie sie zurück und stammelte eine Entschuldigung. „Verzeihen Sie. Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.“
„Ach, ich bitte Sie, das ist doch kein Problem.“ Lady Rose nahm sich die Zeit, ein paar Worte mit ihr zu wechseln und sie zu fragen, was sie in dem Hotel mache. Schließlich wandte sie sich wieder ihrem Begleiter zu, von dem es hieß, dass sie ihn heiraten würde, drehte sich aber noch einmal um und sagte: „Mich interessiert allerdings, was Sie dafür nehmen, wenn Sie mich spielen. Ich frage nur so, falls ich mal einen Tag frei nehmen möchte.“
„Für Sie mache ich das natürlich umsonst, Lady Rose. Rufen Sie mich einfach an.“
„Zu einer dreistündigen Wagner-Oper haben Sie heute Abend wohl keine Lust, nehme ich an“, erwiderte Lady Rose und schüttelte den Kopf, ehe Lydia antworten konnte. „Das war nur ein Scherz. So etwas würde ich Ihnen nicht zumuten.“
Obwohl sie lächelte und ihre Worte heiter klingen sollten, hatte Lydia auch Traurigkeit gespürt. Spontan griff sie in ihre kleine Handtasche und reichte Lady Rose ihre Visitenkarte.
„Ich meine es ernst. Sie können mich jederzeit anrufen.“
Drei Wochen später klingelte ihr Handy, und Lydia hörte wieder die Stimme, die sie so gut kannte wie ihre eigene. „Haben Sie es wirklich ernst gemeint?“
Kalil al-Zaki schaute in den winterlich kahlen Garten der Botschaft seines Landes in London und beobachtete, wie die Kinder des Botschafters dort unter der Aufsicht ihres Kindermädchens herumtobten.
Er war nur ein paar Jahre jünger als sein Cousin und fand, dass ein Mann in den Dreißigern eigentlich eine Familie haben sollte. Söhne und Töchter …
„Ich weiß, wie beschäftigt du bist, Kal. Aber es handelt sich nur um eine Woche.“
„Mir ist immer noch nicht klar, worin das Problem eigentlich besteht.“ Er versuchte, Bitternis und Ärger, die von Tag zu Tag größer wurden, hinunterzuschlucken, wandte sich vom Fenster und den Kindern ab und richtete seine Aufmerksamkeit auf deren Mutter, die entzückende Frau seines Cousins, Prinzessin Lucy al-Khatib. „Lady Rose wird in Bab el Sama gewiss nichts passieren.“
In dem Feriendomizil der königlichen Familie von Ramal Hamrah war Sicherheit garantiert.
„Du hast recht“, gab Lucy zu. „Aber gestern hat ihr Großvater mich besucht und sprach von Drohungen gegen sie.“
Kalil runzelte die Stirn. „Was für Drohungen?“
„Einzelheiten wollte er mir nicht verraten.“
„Sehr hilfreich. Und warum kam er zu dir und nicht zu Hanif? Er hätte sich doch eigentlich an den Botschafter und nicht an dessen Frau wenden müssen.“
„Ich war es, die Rose angeboten hat, in unser Haus in Bab el Sama zu fahren, wann immer sie möchte.“ Sie hob die Schultern. „Zum Schlachtplan des Dukes gehört es, seine Enkelin nicht zu beunruhigen.“
Zum Schlachtplan?
„Er hielt es für die einfachste Lösung, wenn ich unter einem Vorwand meine Einladung zurückziehe.“
Kalil bildete sich ein zu merken, wenn eine Frau etwas im Schilde führte. Schließlich hatte er eine Mutter, Stiefmütter und so viele Schwestern, dass er sie kaum zählen konnte. Irgendetwas stimmte hier nicht.
„Du glaubst, dass er sich grundlos aufregt?“
„Er hat seinen Sohn und seine Schwiegertochter auf brutale Weise verloren. Verständlicherweise will er seine Enkelin beschützen. Sie durfte nicht einmal eine Schule besuchen …“
„Lucy“, stieß er ungeduldig hervor. Wie kam sie nur auf die Idee anzunehmen, er hätte Lust, auf eine verwöhnte Prinzessin aufzupassen, hinter der die Medien herjagten? Lucy war ihm doch eigentlich wohlwollend gesonnen. „Entschuldigung.“
Sie ging mit einer Handbewegung darüber hinweg. „Irgendetwas wird schon daran sein. Jeder, der in der Öffentlichkeit steht, bekommt auch Mails von Verrückten, aber …“
Aha, es gab also ein Aber. Er hatte es schon vermutet.
„… ich glaube, dass sich nur eine harmlose enttäuschte Seele wegen der Gerüchte um eine Verlobung zwischen Rose und Rupert Devenish Luft gemacht hat.“
„Dann gehst du also davon aus, dass der Duke die nicht ernst gemeinte Drohung nur vorgeschoben hat, um seine Enkelin streng im Auge zu behalten?“ Er selbst glaubte nicht daran. Rose war schließlich kein Kind mehr. Mitte zwanzig musste sie schon sein.
„Vielleicht bin ich ja ungerecht.“ Lucy seufzte. „Natürlich ist sie das Wertvollste, was er noch hat, aber ich finde, er übertreibt seine Fürsorge.“
„Womit er nicht der Einzige wäre“, murmelte Kalil. Wenn er auch vermutete, dass das Image von Reinheit und Herzensgüte nichts weiter war als das Ergebnis einer ausgezeichneten PR-Arbeit, so kauften die Medien es doch gerne ab, zumindest so lange, bis sie etwas Pikanteres auf den Titelseiten zu berichten hatten. „Wenn Lady Roseanne Napier in Ramal Hamrah irgendetwas zustoßen sollte, werden sich die britischen Blätter darauf stürzen.“ Und ihn würden sie verantwortlich dafür machen.
„Sie stürzen sich ständig auf Rose und machen vor ihrer Privatsphäre nicht halt.“
„Sie können nur das fotografieren, was Lady Rose tut“, warf er ein.
„Aber sie tut nichts.“
„Wirklich?“ Er runzelte ungläubig die Stirn. „Sie ist tatsächlich so unschuldig, wie man sagt?“
„Darüber solltest du dich nicht lustig machen, Kalil“, rügte Lucy ihn. „Seit ihrem sechzehnten Geburtstag steht sie im Rampenlicht und wird als Engel des Volkes gefeiert. Schon zehn Jahre kann sie sich nirgendwo hinbegeben, ohne fotografiert zu werden.“
„Dann hat sie mein vollstes Mitgefühl.“
„Das verdient sie auch, Kal. Sie braucht dringend ein bisschen Abgeschiedenheit und Zeit für sich, um herauszufinden, wie es weitergehen soll.“
„Hast du mir nicht erzählt, dass sie heiraten will?“
„Ich habe gesagt, dass es Gerüchte darüber gibt. Wahrscheinlich hat der Duke sie in die Welt gesetzt, zumindest unterstützt er sie.“ Lucy machte aus ihrer Missbilligung keinen Hehl. „Ab irgendeinem Zeitpunkt bekommt das Image der reinen Jungfrau nämlich den Beigeschmack der Altjüngferlichkeit. Dagegen helfen nur Ehe und Kinder. Den standesgemäßen Ehemann, einen Earl, hat der Duke bereits ausgeguckt.“
„Eine arrangierte Ehe also.“ Kalil breitete die Arme aus. „Ist das denn so schlimm?“ Seiner Beobachtung nach waren mit Vernunft geschlossene Ehen haltbarer als Liebesheiraten. „Was sagt denn Hanif dazu?“
„Er glaubt, dass der Duke, wenn er seine Enkelin wirklich bedroht sähe, das auswärtige Amt eingeschaltet hätte und nicht zu mir gekommen wäre, damit ich meine Einladung zurückziehe.“
Der Ansicht war Kalil auch. „Trotzdem wäre es vielleicht am diplomatischsten, Lady Rose zu erzählen, dass das Dach deines Ferienhauses eingestürzt sei.“
„Mit anderen Worten, wir sollten es uns einfach machen und die bequemste Lösung wählen?“ Sie seufzte. „Und was ist mit Rose? Man lässt sie nicht in Ruhe, Kal.“
„Sie hat nie zu erkennen gegeben, dass sie in Ruhe gelassen werden will“, sagte er. Es verging keine Woche, in der sie nicht auf dem Titelbild irgendeines Magazins lächelnd abgebildet war.
„Glaubst du, dass es Sinn hätte?“ Lucy schüttelte den Kopf. „Kalil, ich bitte dich inständig, sie zu begleiten. Obwohl ich fest daran glaube, dass sie nicht in Gefahr ist, möchte ich nichts riskieren und ihr jemanden zur Seite stellen, der auf sie achtgibt. Wenn ich deinen Onkel um Schutz für sie bitte, schickt er seine Leibgarde, und sie wechselt von einem Gefängnis ins andere.“
„Gefängnis?“
„Wie soll man es anders nennen?“ Sie nahm seine Hand. „Ich mache mir große Sorgen um Rose. Nach außen wirkt sie gelassen, aber in Wirklichkeit quält sie sich und ist verzweifelt. Bitte lenk sie ab, Kal. Bring sie zum Lachen.“
Er entzog Lucy die Hand und schüttelte unwillig den Kopf. „Was erwartest du eigentlich wirklich von mir? Dass ich sie beschütze oder dass ich mit ihr schlafe?“ Obwohl er alles getan hatte, nicht in den Ruf eines Playboys zu geraten, klebte er nun einmal an dem Namen al-Zaki. Kalil war der Enkel eines Playboy-Prinzen, der im Exil lebte, und der Sohn eines Mannes, dessen Jagd nach schönen Frauen Reporter jahrelang mit Stoff versorgt hatte. Dass er ein international erfolgreiches Unternehmen aus dem Boden gestampft hatte und Prinzessin Lucys Wohltätigkeitsarbeit unterstützte, zählte dagegen kaum etwas.
„Betrachte das Ganze als diplomatische Mission“, sagte Lucy rätselhaft. „Ein Diplomat ist ein Mann, der im Interesse seines eigenen Landes andere zufriedenstellt. Willst du deinem Land dienen, Kal?“
Was für eine Frage! Sowohl Lucy als auch er wussten, dass es für ihn kein solches Land gab. Doch offenbar sah sie eine Möglichkeit, sein Anliegen voranzutreiben. Die Wiedereinsetzung seiner Familie in ihre Ehrenrechte. Seine Hochzeit mit der Tochter einer angesehenen Familie des Landes und, das war am allerwichtigsten, die Erlaubnis für die Heimkehr seines sterbenden Großvaters nach Ramal Hamrah. Um das zu erreichen, war er allerdings bereit, das Kindermädchen für eine ganze Wagenladung Jungfrauen aus dem britischen Adel zu spielen.
„Prinzessin Lucy“, er verbeugte sich formell, „seien Sie versichert, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, damit Lady Roseanne Napier ihren Aufenthalt in Ramal Hamrah genießt.“
„Danke, Kal. Nun kann ich dem Duke versichern, dass es keinen Grund zur Sorge gibt, weil der Neffe des Emirs persönlich für die Sicherheit seiner Enkelin garantiert.“
„Welcher seiner Neffen das tut, wirst du ihm wohl nicht sagen, oder?“
„Aber natürlich, Kal. Wie sonst soll sich der Duke bei deinem Onkel für den freundlichen Dienst bedanken, dem du ihm leistest?“
„Glaubst du, dass er dankbar sein wird?“
„Was bleibt ihm anderes übrig? Und wenn er es noch so widerwillig tut, der Duke wird den Emir von Ramal Hamrah nicht beleidigen, indem er die Zuverlässigkeit eines Familienmitglieds des Herrscherhauses infrage stellt. Nicht mal eines Verwandten, dessen Großvater versucht hat, eine Revolution anzuzetteln.“ Sie lächelte.
„Wie schätzt du die Reaktion Seiner königlichen Hoheit ein, Lucy?“
„Ihm bleibt wohl keine andere Wahl, als seine Frau zu bitten, dem vornehmen Gast seines Landes einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.“, erwiderte sie. „Die Gelegenheit, deine Tante zu treffen, ist das Beste, was ich für dich tun kann, Kal. Den Rest musst du selbst bewerkstelligen.“
„Lucy …“ Ihm fehlten die Worte. „Wie kann ich dir nur …“
Sie legte den Finger auf ihre Lippen. „Pass gut auf Rose auf.“
„Wie hast du es geschafft, so kurz vor Weihnachten eine Woche Urlaub zu bekommen?“
„Mit Charme“, antwortete Lydia bei der Übergabe am Ende ihrer Schicht.
Außerdem hatte sie dem Filialleiter fest versprechen müssen, in den freien Tagen ernsthaft über einen Management-Kurs nachzudenken, zu dem er sie schon seit einiger Zeit drängte. Ihr Chef unterstützte ihre Arbeit für die Doppelgänger-Agentur, indem er Schichten für sie umlegte, doch er wollte, dass sie auch an die Zukunft dachte und etwas Langfristiges in Angriff nahm.
„Vergiss uns nicht, Lydia. Während du dich in der Sonne aalst, werden wir Ärmsten hier zum tausendsten Mal mit Jingle Bells berieselt.“
Lydia konnte ihr Glück selbst kaum fassen. Rose hatte ihr die Chance geboten, einen Traumurlaub in der Wüste zu verbringen. Eine ganze Woche in purem Luxus zu leben, echte Designer-Kleidung zu tragen, keine Kopien, die ihre Mutter hergestellt hatte. Man würde sie wie eine Lady behandeln, nicht nur wie eine, die der Lady zum Verwechseln ähnlich sah.
Ihre überschwängliche Freude dauerte an, bis sie ihr Auto erreicht hatte.
Ihre Kolleginnen und Kollegen dachten, dass sie eine Woche in dem Apartment eines Freundes verbringen wollte. Niemandem hatte sie erzählen dürfen, was sie wirklich vorhatte. Nicht einmal ihrer Mutter.
Seit dem Unfall, bei dem sie ihren Mann verloren hatte, saß sie im Rollstuhl. Ihre Tochter und deren Auftritte als Lady Rose füllten nun ihr Leben aus. Normalerweise planten sie alles gemeinsam. Und ihre Mutter wiederum teilte ihren Spaß daran mit ihren Freundinnen.
Diesmal war alles anders. Es gab keinen öffentlichen Auftritt. Schon der leiseste Verdacht, dass Lady Rose sich von einer Doppelgängerin vertreten ließ, konnte einen Skandal heraufbeschwören. Die Gefahr, dass Lydias Mutter der Versuchung nicht widerstand und ihre beste Freundin ins Vertrauen zog, war zu groß. Ebenso gut hätte ich das Vorhaben auf meiner Facebook-Seite bekannt geben können, dachte Lydia.
Deshalb hatte sie ihrer Mutter erzählt, dass eine Kollegin noch eine vierte Person suche, die mit nach Zypern flog, was sogar stimmte, und hatte es ihrer Mutter überlassen, sie zum Mitfahren zu drängen.
„So eine Gelegenheit solltest du dir nicht entgehen lassen, Liebling“, hatte ihre Mutter gesagt. „Du brauchst dringend Erholung. Um mich musst du dich nicht sorgen. Jenny wird sich um mich kümmern, solange du fort bist.“
Kein Zweifel, die beiden würden sich eine schöne Zeit machen, doch das tröstete Lydia wenig über ihr schlechtes Gewissen hinweg. Sie hatte ihre Mutter getäuscht, um Lady Roses Angebot annehmen zu können.
Kalil waren nicht einmal vierundzwanzig Stunden geblieben, um Vorkehrungen für seine Abwesenheit zu treffen, um zu packen und seinen Großvater in der Klinik zu besuchen. Wieder hatte er dem todgeweihten alten Mann versprochen, dass er ihn zum Sterben in sein Heimatland bringen würde.
Nun stand er an der Treppe des Flugzeugs, das das Ehrenzeichen des Emirs trug, und fragte sich, wie Seine Hoheit wohl reagiert hatte, als er erfuhr, wer der Passagier war.
Es war nicht seine erste Reise in das Land, das sein Urgroßvater einst regiert hatte. Wie sein Großvater und sein Vater, durfte auch er weder seinen Titel noch den Namen Khatib tragen, doch anders als dem alten Mann, war ihm die Einreise nach Ramal Hamrah nicht verboten.
In der Hauptstadt Rumaillah hatte er ein Apartment mit Blick auf das Meer gekauft. Seine Frachtflugzeuge flogen regelmäßig deren Flughafen an, obwohl sie niemals Ladung an Bord hatten. Niemand wagte es, den Emir zu beleidigen, indem er Kalzak Air Services benutzte, und Kalil machte keine Versuche, den Boykott zu brechen oder zu umgehen. Er warb im Land nicht für seine Gesellschaft und machte dort niemandem Konkurrenz. Den Verlust nahm er hin, denn es ging ihm nicht ums Geschäft, sondern um sein Recht, dort zu sein.
Geduldig saß er das Ganze aus und ließ unterdessen den Familiensitz Umm al Sama in aller Ruhe restaurieren. Dem Herrscherhaus, zu dessen Familie er schließlich gehörte, machte er sich unsichtbar, wenn er sich im Land seiner Vorfahren aufhielt. Doch mit dieser Taktik war er nicht weit gekommen, und die Lebenszeit seines Großvaters verrann. Nun musste er zusehen, dass er ihn bald nach Hause brachte, damit er dort in Frieden sterben konnte.
Dafür hätte er alles getan. Deshalb war er bereit, auf eine Frau aufzupassen, der es nicht erlaubt war, ohne Begleitung die Straße zu überqueren.
Er wies sich den Sicherheitsleuten gegenüber aus und stellte sich dem Kabinenpersonal vor, das mit den Vorbereitungen noch nicht ganz fertig war. Ein Steward nahm ihm das Gepäck ab und stellte ihn Atiya Bishara vor, die während des Fluges Lady Rose persönlich zur Verfügung stand. Danach führte er ihn durch das Flugzeug. So konnte Kalil sich davon überzeugen, dass alles in Ordnung war. Anschließend begab er sich in die VIP Lounge.
In den Privaträumen des Clubs, die man besonderen Ehrengästen des Luxushotels zur Verfügung stellte, tauschte Lydia in Eile mit Rose die Kleidung. Zehn Minuten, nachdem Lady Rose den Raum betreten hatte, verließ Lydia ihn an ihrer Statt mit Herzklopfen und trockenem Mund.
Als ein dunkel gekleideter Sicherheitsmann sie einholte, hielt sie den Atem an. Würde er sich an der Nase herumführen lassen? Rose hatte ihr versichert, dass der Mann alles, nur sie nicht genau anschauen würde. Doch musste ihm nicht der Unterschied zwischen den beiden Frauen auffallen? Obwohl sie jetzt Roses himbeerfarbenes Seidenkostüm trug, den dazu passenden Hut mit kleinem Schleier und die berühmte, eng am Hals liegende Perlenkette?
Er bemerkte nichts.
Als sich der Hotelmanager näherte, um sie zur Tür zu begleiten, zwang sie sich zu lächeln. Auch dies hier war nichts anderes als ein Job, den sie schließlich beherrschte. Sie streckte ihm die Hand entgegen, bedankte sich bei ihm und trat hinaus in den sonnigen Wintertag.
Rose hatte sie davor gewarnt, was sie da erwartete, denn seit Gerüchte über eine Heirat kochten, war das Interesse der Medien außer Kontrolle geraten. Doch auf einen solchen Tumult war sie nicht vorbereitet gewesen. Auf den Lärm, auf das Blitzlichtgewitter so vieler Kameras. Nicht nur die Fotografen umlagerten sie, auch ganz normale Menschen hatten sich versammelt, um einen Blick auf den Liebling des Volkes zu werfen. Sie machten ebenfalls Fotos oder filmten sie mit ihren Handys. Diesen Leuten gegenüber fühlte Lydia sich verpflichtet, ihre Rolle perfekt zu spielen. Wieder befahl sie sich zu lächeln und dabei das Atmen nicht zu vergessen.
Nun verlangten die Fotografen ihr Recht. „Lady Rose, hier her. Was für ein schöner Hut, Lady Rose.“
Er war extra für diesen Anlass angefertigt worden. Durch seine Extravaganz sollte er auffallen und gleichzeitig von den kleinen Unterschieden zwischen Rose und Lydia ablenken. Außerdem verwischte der dunkel pinkfarbene Schleier mit den winzigen samtenen Schleifchen ihre Gesichtszüge, sodass sie auch auf Fotos nicht scharf zu erkennen wären.
Atmen. Lächeln …
„Wie war das Essen, Lady Rose?“, rief einer der Fotografen.
Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. Niemand zeigte mit dem Finger auf sie, niemand klagte sie an, eine Fälschung zu sein. „Es war hervorragend“, sagte sie.
„Freuen Sie sich auf Ihren Urlaub, Lady Rose?“
Ihr Selbstvertrauen wuchs. Menschen sahen offenbar wirklich nur das, was sie sehen wollten. Sie lächelte den Mann an, der sie gefragt hatte. „Ich freue mich sehr darauf.“
„Verbringen Sie ihn allein?“, wagte er nachzufragen.
„Ja, aber nur, wenn Sie und Ihre Kollegen auch irgendwo Ferien machen“, antwortete sie und erntete einen Lacherfolg. Ja, so etwas konnte sie. Dann wandte sie den Fotografen den Rücken zu und ging die Treppen hinunter, um an der Menschenmenge vorbeizugehen, wie die Leute es von Lady Rose kannten. Auch sie hatte es zig Mal bei ihren Auftritten so gemacht.
Sie nahm die Blumen, die man ihr reichte, sie hielt an, um Fragen zu beantworten, ließ sich fotografieren und fühlte sich überwältigt von der Wärme, die ihr diese Menschen entgegenbrachten – Rose entgegenbrachten.
„Madam …“ Der Sicherheitsmann klopfte auf seine Armbanduhr, um auf die Zeit hinzuweisen.
Sie winkte noch einmal, lächelte und stieg schließlich in die wartende Limousine. Hinter dem livrierten Chauffeur sitzend ließ sie sich durch London kutschieren.
Eigentlich war es zum Lachen.
So verlief es normalerweise nicht, wenn sie die Doppelgängerin spielte. Dann zog sie sich in einem Waschraum des Hotels um und fuhr danach heim oder zur Arbeit. Stattdessen saß sie in einem sündhaft teuren Auto und wurde zum Flughafen gebracht, um in einem Privatjet abzuheben. Wenn sie die letzte Hürde genommen hatte, würde ihr niemand und nichts mehr Schwierigkeiten bereiten. Und diese Hürde war ihre Angst, ein Flugzeug zu betreten …
Kal ging in der VIP-Lounge auf und ab und war sicher, nur seine Zeit zu verschwenden.
Lucy hatte unrecht. Er gewann keine Freunde am Hof von Ramal Hamrah, wenn er für eine Frau, die als Englands Liebling oder Engel oder auch als reine Jungfrau bekannt war, den Aufpasser spielte. Jedenfalls, solange er sie nicht vor einem wirklichen Anschlag auf ihr Leben rettete. Vielleicht sollte er in diese Richtung weiterdenken …
Er hielt inne und schaute auf die Uhr. Noch eine Minute, dann käme sie zu spät. So etwas hatte er erwartet. Wahrscheinlich posierte sie für Fotos und ließ sich von ihren Fans feiern.
Er kannte sie aus den Medien, wie jeder sie kannte: blass, angezogen wie eine Puppe, süß und strahlend. Aber war sie wirklich so perfekt, wie sie tat und Lucy behauptete?
Gerade wollte er sich eine Zeitung nehmen und hinsetzen, als Unruhe am Eingang ihre Ankunft ankündigte. Dass sie auf die Minute pünktlich war, hätte ihn für sie einnehmen müssen, doch es irritierte ihn zusätzlich.
Lydia staunte, mit welcher Leichtigkeit sie alle Flughafenformalitäten hinter sich brachte. Für die wichtigsten der sehr wichtigen Personen galten die normalen Regeln offenbar nicht. Sie brauchte nirgendwo anzustehen, musste weder Jacke noch Schuhe ausziehen und ihre Handtasche nicht durchleuchten lassen. Überall winkte man sie durch. Noch immer wurde sie von Roses Sicherheitsbeamten begleitet. Er würde sie noch bis ins Flugzeug bringen, hatte er Rose gesagt, und sie dann allein lassen. Ab da war sie sicher vor Entdeckung.
Sobald sie in Ramal Hamrah wäre und im abgeschiedenen Ferienhaus Bab el Sama von Prinzessin Lucy Schutz gefunden hätte, musste sie sich nur hin und wieder als Lady Rose im Garten oder am Strand blicken lassen, damit die Paparazzi Gelegenheit hatten, heimlich Fotos von ihr zu machen, während sie eine Woche lang wie eine Prinzessin lebte.
Es war, als würde ein Märchentraum wahr.
Sie brauchte nur noch Schuhe aus Glas und eine Fee, die ihr einen großen schönen Prinzen schickte. Um Mitternacht musste sie nicht einmal fliehen, sondern sich erst in einer Woche in Lydia Young zurückverwandeln, die Cinderella an der Supermarktkasse, deren einfaches Leben nur gelegentlich durch Auftritt als Doppelgängerin einer Lady unterbrochen wurde.
Die Tür zur VIP-Abfluglounge öffnete sich von selbst, doch der Sicherheitsmann stoppte dahinter so abrupt, dass sie ihn beinahe angerempelt hätte. Um ihr Missgeschick zu überspielen ordnete sie ihren Hutschleier.
„Mr. al-Zaki wird ab hier für Sie Sorge tragen, Madam.“
Wer?
Als sie aufschaute, traten alle Geräusche in den Hintergrund. Sie war keine kleine Frau, aber der umwerfend aussehende Mann, dem sie soeben übergeben worden war, überragte sie um mindestens Haupteslänge. Er schaute sie aus dunklen Augen intensiv an. Der Schreck fuhr ihr bis in die Beine, und ja, ihre Knie wurden weich, als er sich kurz, knapp und steif vor ihr verneigte. „Kalil al-Zaki, Lady Rose“, sagte er mit tiefer weicher Stimme. „Prinzessin Lucy hat mich gebeten, dafür zu sorgen, dass Ihr Urlaub so wird, wie Sie ihn sich wünschen.“
Geschmeidig, schön und unter dem Maßanzug gewiss auch muskulös, erinnerte er Lydia an eine Gestalt aus dem „Dschungelbuch“, an Bagheera, den kühnen rücksichtslosen Panther. Dieser Mann war dessen Verkörperung in Menschengestalt.
Ihr verschlug es die Sprache.
Kalil al-Zaki trug zwar westliche Kleidung, aber sonst sah er aus wie der Prinz aus einem arabischen Märchen.
„Sie kommen mit mir nach Bab el Sama?“, stieß Lydia schließlich hervor. Eigentlich hätte sie diese unvorhergesehene Wende beängstigen müssen. Doch im Gegenteil gab sie dem ohnehin aufregenden Unternehmen eine zusätzlich prickelnde Note.
„Ich begleite Sie dorthin und wieder zurück“, sagte er. „Prinzessin Lucy hat mich beauftragt, für Ihre Sicherheit zu sorgen. Sind Sie bereit, an Bord zu gehen?“
Als Lydia nickte, nahm er ihren Ellenbogen und führte sie durch die Tür über das Rollfeld zum Flugzeug. Dort wartete die nächste Überraschung auf sie.
Sie hatte sich unter einem Privatjet eine kleine Maschine vorgestellt, doch sie sollte in einen großen Jet mit Wappen steigen. Es fehlten nur noch der rote Teppich und eine Ehrengarde. Jetzt als Doppelgängerin enttarnt zu werden, wäre mehr als peinlich gewesen.
Kalil al-Zakis Hand glühte auf ihrer Haut, ihre Knie wurden weich, sie musste sich konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Es irritierte sie, wie Kalil sie von der Seite ansah. Der Sicherheitsbeamte von Rose hatte sie weder angeschaut noch angefasst. Ein gewöhnlicher Leibwächter konnte Mr. al-Zaki also nicht sein. Warum war er dann hier?
Sollte sie seinen Namen kennen?
Er hatte Prinzessin Lucy erwähnt. Sie war die Freundin von Rose, die ihr das Ferienhaus zur Verfügung stellte, und die Frau des jüngsten Sohnes des Emirs, Botschafter seines Landes in London.
Rose hatte sie mit nötigen Hintergrundinformationen gefüttert, von der Geschichte des Landes erzählt, ihr die Namen der Botschafter-Kinder eingetrichtert. Nur für den Notfall, dass jemand vom Personal in Bab el Sama sie darauf ansprach. Sonst sollte Lydia ihre Rolle eher stumm spielen, indem sie sich hin und wieder den lauernden Fotografen zeigte.
Vorhin hatte es ihr Vergnügen bereitete, die Reporter an der Nase herumzuführen, doch unter den Augen von diesem Kalil al-Zaki eine ganze Woche lang Theater zu spielen war vielleicht doch zu viel verlangt.
Sobald sie die Treppe erreicht hatten, ließ er ihren Ellbogen los. Die wartende Stewardess begrüßte sie.
„Willkommen an Bord, Lady Rose. Ich bin Atiya Bishara und stehe Ihnen während des Fluges zur Verfügung.“ Dann streckte sie die Hände nach den Blumensträußen aus, die Lydia noch immer an sich presste. „Soll ich sie ins Wasser stellen?“
Lydia begann, sich zu entspannen. Was jetzt von ihr erwartet wurde, beherrschte sie seit Jahren. Sie fand ein paar freundliche Worte und gab die Blumen sowie die dunkel pinkfarbene, farblich zum Hut passende Ledertasche ab. Darin befanden sich Geld für eine Woche und ihre eigenen Papiere, vor allem ihr Pass, den sie brauchte, falls irgendetwas schiefgehen sollte.
„Ihr Gepäck wurde bereits in die Suite gebracht, Lady Rose. Ich werde sie Ihnen zeigen, sobald wir uns in der Luft befinden“, sagte die Stewardess, während sie Lydia einen bequemen Flugzeugsessel anbot.
Eine Suite? Das war nun wieder etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte.
Sie nahm ihr Handy aus der Handtasche, um Rose die verabredete Kurzbotschaft zu senden, dass sie ohne Schwierigkeiten durch den Sicherheitsbereich gekommen sei. Danach schaltete sie ihr Telefon wieder aus.
„Möchten Sie vor dem Start noch etwas trinken?“, fragte Atiya.
Lydia seufzte. Den Start hatte sie bis dahin erfolgreich verdrängt. „Wasser, bitte.“ Sie versuchte, ihre Nervosität zu unterdrücken und vor allem nicht den Mann anzuschauen, der in dem Sessel jenseits des Mittelgangs Platz genommen hatte.
Es gelang ihr nicht.
Das schwarz glänzende dichte Haar trug er zurückgekämmt. Es milderte die Strenge seiner wie in Marmor gemeißelten Gesichtzüge. Vor allem gefiel ihr sein Mund mit der sinnlich geschwungenen Unterlippe.
Als hätte er ihren Blick gespürt, schaute Kalil al-Zaki sie fragend an. Lydia fühlte sich ertappt und wurde rot.
Während das Flugzeug auf die Startbahn rollte, zog er einen Umschlag aus der Brusttasche und reichte ihn ihr. „Von Prinzessin Lucy, Lady Rose.“
Das Papier trug noch seine Körperwärme. Lydia bedankte sich, doch ihre Worte waren kaum zu hören. Hoffentlich verdeckte der Hutschleier ihre glühenden Wangen. Sie neigte den Kopf, öffnete den Umschlag, faltete den Brief auseinander und las:
Liebe Rose,
es gab keine Möglichkeit mehr, dich gestern telefonisch zu erreichen, um dir zu sagen, dass Hanifs Cousin, Kalil al-Zaki, dich auf der Reise begleiten wird.
Ich weiß, dass du unbedingt allein sein willst, doch du brauchst jemanden, der mit dir herumfährt, an den Strand geht und sich auch in Bab el Sama in Rufnähe aufhält. Du kannst aber sicher sein, dass er in keinerlei Verbindung zu deinem Großvater steht und nichts weitererzählt.
Die Alternative zu Kalil wären Sicherheitsleute des Emirs gewesen, alles hervorragende Männer, aber, wie du dir vorstellen kannst, für dich nicht gerade entspannend.
Kalil wird dich nicht stören, solange du am Pool liegst und liest, doch du solltest auch unbedingt den Basar besuchen – sehenswert wegen der Gold- und Silberwaren und Gewürze – und einen Ausflug in die Wüste machen. Die Ruhe dort ist unbeschreibbar.
Ruf mich an, wenn du irgendetwas brauchst oder mit jemandem sprechen möchtest, und vor allem entspanne und erhole dich. An Rupert solltest du keine Gedanken verschwenden.
In Freundschaft
Lucy
Damit war ihre Hoffnung zerstört, dass sich Kalil al-Zaki nach der Ankunft verabschiedete. Er würde sie also nicht nur wieder zurückbringen, sondern die ganze Woche in ihrer Nähe bleiben.
Lydia trank in einem Zug das Wasser aus, das die Stewardess ihr gebracht hatte. Es tat gut.
Roses Großvater hatte offenbar eingesehen, dass es ihre Gastgeber beleidigt hätte, wenn sie mit eigenen Leibwächtern angereist wäre. Alle Mitglieder des Herrscherhauses von Ramal Hamrah besaßen Feriendomizile in Bab el Sama, und der Emir nahm offenbar die Sicherheit seiner Familie und deren Gäste nicht auf die leichte Schulter.
Für die Paparazzi wird es schwer werden, in dieser Woche zu ihren heimlichen Fotos zu kommen, dachte Lydia, obwohl ich es ihnen so leicht wie möglich machen soll.
Es gab Gerüchte, dass Rupert Lady Rose bei diesem Kurzurlaub vor Weihnachten begleitete. Wenn Rose sich an dem Ferienort nicht einmal allein blicken ließe, würden sie misstrauisch werden und sich hereingelegt fühlen. Außerdem sollten die heimlich gemachten Fotos dem Duke zeigen, dass seine Enkelin dort war, wo sie sein sollte, und es ihr gut ging.
Und nun machte ausgerechnet Roses Freundin und Gastgeberin die Sache noch komplizierter, als sie ohnehin war.
Glücklicherweise ließ sich aus ihrem Brief herauslesen, dass Kalil al-Zaki Lady Rose nie zuvor persönlich begegnet war. Wie würde sie sich jetzt verhalten, wenn sie die Reise tatsächlich angetreten hätte?
Wahrscheinlich so, wie sie sich immer verhielt. Sie würde lächeln, charmant sein und ihn nicht spüren lassen, dass er ihr in die Quere gekommen war.
Auch, wenn der Störenfried märchenhaft gut aussah?
Sein Lächeln zu erwidern war nicht schwer, obwohl Lydia fürchtete, dabei töricht wie ein schwärmerischer Teenager auszusehen. Ihre Denkfähigkeit hatte merklich nachgelassen, und ihre Hände zitterten. In diesem Zustand zu sprechen war ziemlich viel verlangt, lenkte aber wenigstens von dem mulmigen Gefühl in ihrem Magen ab, das sie vor jedem Start hatte.
Schließlich rettete sie die zehnjährige Erfahrung als Lady Roses Doppelgängerin. Sie musste sich nur auf die in Fleisch und Blut übergegangene Rolle besinnen, und das Bedürfnis, sich dem fremden Mann auf den Schoß zu setzen, verschwand.
„Mir scheint, Sie haben das kürzere Streichhölzchen gezogen, Mr. al-Zaki“, sagte sie und reichte ihm über den Gang hinweg die Hand.
Er nahm sie und runzelte irritiert die Stirn. „Das kürzere Streichhölzchen?“
„Bestimmt hatten Sie Besseres vor“, sie deutete auf den Brief, „als mir die Attraktionen Ihres Landes zu zeigen.“
„Im Gegenteil, Madam“, erwiderte er ausgesucht höflich. „Ich habe mich dafür sogar mit der Konkurrenz geschlagen.“
Einen Moment lang dachte sie, er mache Scherze.
Dann merkte sie, dass er mit ihr flirtete. Oder besser, mit Lady Rose flirtete.
Nerven hatte der Mann!
„Ein Kampf unter Gentlemen, nehme ich an“, sagte sie und imitierte seine formelle Ausdrucksweise.
Seine Augenbraue hob sich nur ein paar Millimeter, doch es reichte, um einen Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch aufflattern zu lassen. Er machte das gut. Wirklich gut. Doch jedes hübsche Mädchen, das an einer Supermarktkasse arbeitete, kannte nicht nur alle Tricks des Flirtens, sondern wusste auch, wie man darauf reagieren musste.
„Keine blauen Augen, keine Knochenbrüche, nehme ich an.“
Er war nicht schnell genug und ließ sich seine Überraschung anmerken. War sie zu weit gegangen? Schließlich war er der Cousin des Botschafters und kam aus der Oberschicht einer Gesellschaft, in der Frauen weder zu sehen noch zu hören sein durften.
Doch dann vertieften sich seine Lachfältchen, sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, und seine dunklen Augen begannen zu strahlen. So intensiv hat noch niemand mich angeschaut, dachte Lydia.
„Ich habe gewonnen, Madam“, erinnerte er sie.
„Freut mich, dass Sie das so sehen“, spielte sie das Spiel weiter, obwohl es gefährlich zu werden drohte, denn mit so einem Gegner hatte sie sich an der Supermarktkasse noch nie messen müssen.
Kal unterdrückte das Lachen.
Da gab Lucy ihm die Chance, sich dem Emir, seinem Onkel, in Erinnerung zu bringen und als vertrauenswürdig zu erweisen, und schon begann er, mit der Frau zu flirten, für deren Sicherheit er verantwortlich war.
Vielleicht, weil sie nicht im Geringsten so war, wie er erwartet hatte?
Er mochte wohl schon mehrere Hundert Fotos von Lady Rose gesehen haben, doch nie wäre er auf die Idee gekommen, ihre Freundschaft mit Prinzessin Lucy zu nutzen, um sie persönlich kennenzulernen. Die blauen Augen, das ovale Gesicht, das lange hellblonde Haar, die schlanke Figur wirkten zweifelsohne perfekt, wenn man diesen Typ bevorzugte, doch er hatte bei ihr das gewisse Etwas, den Hinweis auf ein inneres Feuer, ein Versprechen von gefährlicher Leidenschaft, das Geheimnisvolle vermisst.
Ihre Ausstrahlung überraschte ihn.
Schon als sie die VIP Lounge betreten hatte, war es, als ob plötzlich die Sonne durch die Wolken bräche.
Was er für Blässe gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein weicher Glanz. Sie war weitaus mehr als eine farblose Schaufensterpuppe.
Die berühmten Augen unter dem zarten Schleier leuchteten so lebendig und ausdrucksvoll, wie er es auf keinem Foto gesehen hatte. Mehr noch bezauberte ihn ihr voller, zum Küssen einladender Mund, der ihm so süß zu sein schien wie eine reife Feige. Von ihm konnte er den Blick kaum lösen, so aufregend war er.
Für einen kurzen Moment war ihre Haltung ins Wanken geraten, sie hatte sich verblüfft gezeigt. Lucy war es offenbar nicht mehr gelungen, sie vor seiner Begleitung zu warnen. Doch sie hatte sich rasch wieder gefangen, und nun entdeckte er, dass sie außerdem noch über einen trockenen Humor verfügte.
Damit hatte sie seine Selbstdisziplin endgültig unterwandert und seine guten Vorsätze, sich distanziert und formell zu geben, beiseite gefegt.
Dazu kam die Doppeldeutigkeit ihrer schlagfertigen Antwort. Amüsierte sie sich, oder ärgerte sie sich? Er hatte keine Ahnung. Sie blieb ihm ein Rätsel.
Merkwürdig, denn er bildete sich ein, Frauen zu durchschauen. Schließlich war er mit vielen aufgewachsen: den wechselnden Gattinnen und Geliebten seines Vaters und einer stetig wachsenden Schar von Schwestern und Halbschwestern. Die ältesten waren in seinem Alter, die jüngsten noch kleine Mädchen. Er hatte gelernt, ihren Zorn, ihr Schweigen und ihren Spott zu deuten. Er kannte sich mit ihren Launen und Stimmungen aus.
Leider nützte ihm das im Moment gar nichts. Denn obwohl all seine Instinkte ihn warnten, verspürte er nur den Wunsch, Roses kleinen Hutschleier zu lüften und sich von ihrem herrlichen Mund verführen zu lassen.
Dann fiel ihm auf, dass er noch immer ihre Hand hielt. Er drückte sie, bevor er sie losließ, und sagte: „Sie sind nicht nur schön, sondern auch scharfsinnig, Madam. In Zukunft werde ich vorsichtiger sein.“
Sie antwortete mit einem Lächeln, das nur in ihren Augen aufleuchtete. Obwohl es kaum mehr als eine Nuance war, wusste er plötzlich, dass sie sich amüsierte.
„Rose“, sagte sie.
„Wie bitte, Madam?“
„Lucy schreibt, dass Sie weniger anstrengend seien als die Leibwache des Emirs.“
„Sie haben mein Wort darauf, dass ich nicht aufspringe und salutiere, sobald Sie das Wort an mich richten“, versicherte er.
„Das betrachte ich als große Erleichterung, Mr. al-Zaki.“
Es fiel Lydia furchtbar schwer, ihre majestätische Haltung zu wahren. Unter seinem Blick glühte ihre Haut. Sie fühlte sich alles andere als entspannt in seiner Gegenwart.
„Die Vorstellung, meine Ferienwoche mit Madam angesprochen zu werden, begeistert mich allerdings nicht sehr. Mein Name ist …“ Alles an ihr sträubte sich, diesem Mann mit den durchdringenden Augen ins Gesicht zu lügen. „Bitte nennen Sie mich Rose.“
„Rose“, wiederholte er leise.
„Kommen Sie allein mit Ihrem Sicherheitsgurt zurecht, Lady Rose?“, fragte die Stewardess und nahm ihr das leere Glas ab. „Wir starten gleich.“
„Oh …“ Lydia hasste allein schon das Wort. „Ja, natürlich.“
Sie riss sich von seinem Anblick los.
„Kann ich Ihnen helfen, Rose?“, fragte er, als sie mit bebenden Fingern an ihrem Gurt riss.
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. Erst als sie angeschnallt war, sagte sie: „Danke, Mr. …“
„Kal“, half er ihr weiter. „Die meisten Menschen nennen mich Kal.“ Sein Mund verzog sich zu dem aufregendsten Lächeln, das ihr jemals ein Mann geschenkt hatte. „In entspannter Atmosphäre, jedenfalls.“
Sie unterdrückte ein hysterisches Kichern. War ihr doch tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde sein Nachname entfallen, weil ihr etwas anderes eingefallen war, als sie ihn mit Mister angesprochen hatte. Nämlich, dass er der Cousin von Prinzessin Lucys Ehemann Scheich Hanif al-Khatib war. Sie hatte nicht irgendeinen unbedeutenden Diplomaten vor sich.
Nein, Kichern wäre Lady Rose nicht angemessen gewesen, denn sie war schließlich eine Verwandte der Königin und Schirmherrin eines Dutzends von Wohltätigkeitsorganisationen, bewegte sich auf internationalem Parkett und durfte eine bevorzugte Behandlung erwarten. Bis hin zur Wahl ihres Leibwächters. Deshalb hatte Lucy für sie den Cousin ihres Mannes engagiert, der nichts weniger war als der Neffe des Emirs.
„Kal“, sagte sie heiser, schloss die Augen und krallte sich an die Armstützen ihres Sessels, weil das Flugzeug nun über die Startbahn raste und sie wegen der Beschleunigung in den Sitz gedrückt wurde.
Sobald sie abgehoben hätten, ginge es ihr wieder besser. Und wenn sie erst über den Wolken wären, würde sie die Höhe vergessen können.
Die Panik war, anders als sonst, nicht langsam, sondern plötzlich über sie gekommen. Und nun konnte nicht einmal die schreckliche Erkenntnis, dass Mr. Kalil al-Zaki in Wirklichkeit Scheich Kalil al-Zaki war, ihre Todesangst überdecken.
Falls sie wirklich sicher nach oben kämen, würde sie erfahren, wie charmant er noch sein würde, wenn er erst einmal herausgefunden hatte, dass er nicht das Original, sondern eine Fälschung vor sich hatte.
Gerade, als ihr vor Angst der Atem stockte, legte sich eine Hand über ihre verkrampften Finger. Sie japste nach Luft und öffnete die Augen.
„Entschuldigen Sie“, sagte Kal. „Diesen Augenblick beim Fliegen habe ich auch noch nie gemocht.“
Er schaute sie so ernst an, dass sie schlucken musste.
Natürlich stand dahinter nur Anteilnahme, die einer anderen galt. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, Lady Rose zu sein.
„Geht es Ihnen wieder besser?“ Diesen Satz rang sie sich ab, während sie tief ein- und ausatmete, bis das Zeichen zum Abschnallen aufleuchtete. Und obwohl oder vielleicht weil er immer noch ihre Hand hielt, litt sie jetzt an Magenkrämpfen.
„Ja, mir geht es schon viel besser“, antwortete er, ohne sie loszulassen. Vielleicht wären sie Hand in Hand bis nach Ramal Hamrah geflogen, wenn die Stewardess nicht gekommen wäre.
„Darf ich Ihnen nun Ihre Suite zeigen, Lady Rose. Vielleicht möchten Sie sich umkleiden, bevor ich den Tee serviere.“
„Danke“, sagte Lydia, öffnete den Gurt und folgte ihr.
Zur luxuriösen Suite gehörte nicht nur ein Bett, sondern auch ein Bad mit Dusche.
„Darf ich Ihnen behilflich sein?“, fragte Atiya.
Doch Lydia lehnte freundlich ab. Sobald sie allein war, rieb sie sich den Handrücken, den Kalil al-Zaki berührt hatte, und wartete, bis sich ihr Herzschlag wieder normalisierte.
Kal schaute Rose nach.
Sein Großvater hatte Thron und Heimat verloren und war mit einem Vermögen entschädigt worden, was ihm erlaubte, zum Jetset zu gehören und sein Leben vor allem mit schönen Frauen zu genießen.
Sein Vater war in die Fußstapfen seines Vaters getreten, und er selbst war nahe daran gewesen, es Vater und Großvater gleich zu tun.
Die Winter seiner Kindheit hatte er auf den Pisten von Gstaad und Aspen verbracht, die Sommer abwechselnd in einem Palazzo in Italien und einer Villa in Südfrankreich. In England war er zur Schule gegangen, hatte in Paris und Oxford studiert und nach seinem Abschluss noch ein paar Semester an einer amerikanischen Elite-Universität.
Er war in Wohlstand und mit Privilegien aufgewachsen, und auch in anderer Hinsicht hatte er sich nichts versagt. Deshalb war der weibliche Körper für ihn schon lange kein Geheimnis mehr. Rose fand er zu dünn, um wirklich schön zu sein.
Warum also faszinierte ihn ihre zarte Gestalt? Was reizte ihn an ihrer schmalen Taille? Warum wünschte er sich, über ihre Hüften zu streichen bis hinab zu den Schenkeln? Warum hatte er das Verlangen, sie auszuziehen, ihre Pfirsichhaut zu küssen und dann Besitz von ihr zu ergreifen?
Sie zu besitzen …
„Darf ich Ihnen etwas bringen, Sir?“, fragte die Stewardess, als sie zurückkam.
„Eiskaltes Wasser, bitte.“
Doch sie kam mit leeren Händen zurück. „Kapitän Jacobs lässt Sie grüßen und fragen, ob Sie ihn im Cockpit besuchen möchten. Ich kann Ihnen das Wasser dorthin bringen.“
Er hatte zwar keine Lust dazu, aber Ablehnung wäre unhöflich gewesen. Außerdem konnte ein bisschen Distanz zu Rose nicht schaden.
Unwillkürlich hatte er nach ihrer Hand gegriffen, als sie während des Starts vor Angst erstarrte. Das war ein Fehler gewesen. Es war auch ein Fehler, neben ihr zu sitzen, trotz des Ganges, der zwischen ihnen lag. Er hatte nur für ihre Sicherheit zu sorgen und nicht noch für ihr persönliches Wohlbefinden, wie Lucy meinte. Ganz und gar verheerend war es, sich Gedanken darüber zu machen, warum Rose ihn beeindruckte und seine männliche Fantasie anregte.
Erst jetzt fiel ihm ein, dass der Name des Piloten ihm bekannt vorkam. „Sagten Sie Jacobs. Mike Jacobs vielleicht?“
„Du sitzt wirklich in der Patsche, Lydia Young.“
Sie hatte keine Ahnung gehabt, auf was sie sich einließ, als sie Lady Rose zusagte, für sie einzuspringen. Sie hatten am Telefon alles abgeklopft und alle Eventualitäten durchgesprochen.
Bei jedem Schritt hatte Rose ihr die Möglichkeit gegeben, einen Rückzieher zu machen. Nun würde sie es gerne tun, doch dazu war es zu spät.
Außerdem fühlte sie sich Lady Rose gegenüber verpflichtet. Hatte sie es nicht ihr zu danken, dass ihre Mutter wieder Anteil am Leben nahm, dass sie nebenher Geld verdiente, um es ihr und sich leichter zu machen? Aber musste sie sich deshalb diesem Kalil al-Zaki aussetzen, gegen dessen Flirten und Verführungskünste ihr Rose keine Anweisungen hatte geben können, weil seine Begleitung nicht vorgesehen gewesen war?
„Du wirst jetzt nicht aufgeben, Lydia!“, sagte sie laut. „Du stehst das durch. Du bist gefeit. Vergessen?“
Einmal wäre sie fast den Verführungskünsten eines sehr gut aussehenden Schauspielers erlegen, der sich dafür hatte bezahlen lassen, um sie ins Bett zu locken. Sie schluckte. Damals war sie auch in dem Glauben gewesen, dem Märchenprinzen begegnet zu sein. Das war nun fast fünf Jahre her, und ihr lief immer noch ein kalter Schauer den Rücken hinunter, wenn sie daran dachte.
Aufnahmen von der jungfräulichen Lady Rose im Bett mit einem Mann, damit hätten die Medien Millionen verdient.
Nicht nur Rose wäre zu Schaden gekommen, sondern auch sie selbst. Niemand hätte ihr abgenommen, dass sie übertölpelt worden war.
Sehnsüchtig schaute sie das Bett an. Am liebsten wäre sie unter die Laken gekrochen und hätte die nächsten acht Stunden durchgeschlafen. Doch was half das? Die kommenden acht Tage konnte sie nicht im Bett verbringen.
Um sich abzulenken, öffnete sie den Kosmetikkoffer und die kleine Reisetasche, die bereitstanden.
In dem Koffer fand sie alles, was eine Frau brauchte. Eine wunderbare Haarbürste, erlesene Cremes, eine Auswahl an Parfüms. Sie öffnete eine Flasche, besprühte ihr Handgelenk und ließ sich von dem süßen Sommerduft betören, dem eine dunkle, Sehnsucht auslösende Note unterlag. Unwillkürlich musste sie an Kal al-Zakis Augen denken und stellte die Flasche schnell zurück.
In der Tasche fand sie obenauf in Wildlederbeutel verpackte Schachteln, in denen der Schmuck lag, den Lady Rose trug, wenn sie keine offiziellen Verpflichtungen hatte. Darunter fand sie eine zarte champagnerfarbene Seidenbluse, weit geschnittene Hosen aus dunklem Leinen, eine bequeme Kaschmirjacke und ein Paar weiche Lederpantoffeln in der richtigen Größe.
Rose hatte sogar an Bücher als Lektüre für den langen Flug gedacht. Sie hatte ja nicht gewusst, dass ihre Doppelgängerin in Begleitung fliegen würde.
Doch war es nicht an ihr zu entscheiden, ob sie lieber las oder nicht? Prinzessin Lucy hatte versprochen, dass Kal sie nicht stören würde, wenn sie sich zurückziehen wollte.
So, wie Kalil aussah, wie er lächelte und sprach, konnte man auf die Idee kommen, dass Prinzessin Lucy für ihre Freundin eine kleine Urlaubsromanze geplant hatte.
Das war natürlich eine absurde Vorstellung.
Nicht, weil Rose keine Romanze verdiente. Niemand verdiente ein bisschen Freude am Leben mehr als sie. Doch jeder, der sie kannte, wusste, wie undenkbar eine flüchtige Affäre für sie war.
Lydia setzte sich auf die Bettkante und zog die Nadel aus ihrem Hut. Was hatte Prinzessin Lucy ihrer Freundin geraten? Sie sollte keine Gedanken an Rupert verschwenden.
Darin stimmte sie der Prinzessin voll und ganz zu. Roses Großvater, die Zeitungen, ja die ganze Bevölkerung mochten diese Verbindung begrüßen und sich auf eine Verlobung freuen. Doch sie hatte die beiden zusammen gesehen. Zwischen ihnen stimmte die Chemie einfach nicht, sie fanden keinen Draht zueinander.
Rose hatte darüber gescherzt, doch Lydia war die Verzweiflung in ihrer Stimme nicht entgangen. Jeder, der sie wirklich mochte, musste sie davor bewahren wollen, in eine Ehe zu schlittern, nur weil so viele Menschen davon träumten.
Könnte Prinzessin Lucy hoffen, dass, wenn sie Rose und Kalil zusammenbrachte, die Funken fliegen würden? Zweifelsohne würde so eine Begegnung Rose gut tun.
Oder ist alles viel weniger kompliziert, als ich es vermute, überlegte Lydia.
Vertraute Lucy auf die unermüdlichen Paparazzi, die das Zusammensein der beiden natürlich ausschlachten und auf ihren Titelseiten ausbreiten würden?
Wen kümmerte es schon, was wirklich dahinterstand?
Der Plan der Prinzessin war wirklich genial, musste Lydia zugeben.
Doch Lucy hatte nicht bedacht, dass Rose ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nahm und in geliehenen Kleidern und einem geliehenen Auto das eigene Abenteuer suchte, in dem Wissen, dass niemand ihre Abwesenheit bemerkte. Während alle Welt versuchte, ihre Doppelgängerin nicht aus den Augen zu lassen, konnte Rose endlich einmal tun und lassen, was sie wollte. Lydia nahm sich vor, alles dazu beizutragen, dass es gelang.
Sie setzte den Hut ab, befreite sich von Schmuck, Schuhen und Kostüm. Dann zog sie die Nadeln aus ihrem Haar und streifte ihre Rolle ab, wie immer, wenn ein bezahlter Auftritt zu Ende war. Dabei war sie in Gedanken wieder bei Kalil. Wie er ihre Hand gehalten und gestreichelt hatte.
Als sich ihr Haar löste, stieß sie einen Fluch aus, den Rose wahrscheinlich nicht einmal kannte. Die Frisur hatte sie viel Zeit gekostet, da sie nicht wie Rose über eine Zofe verfügte, die ihr das Haar aufsteckte. Und nun hatte sie sie gedankenlos zerstört.
Das hatte sie nun von ihren Träumereien.
Während sie die Nadeln einsammelte, fiel ihr ein, dass Rose nicht zwangsläufig immer die komplizierte Hochsteckfrisur trug, mit der man sie kannte. Hinter verschlossenen Türen, am Ende des Tages oder während eines achtstündigen Flugs trug sie es wahrscheinlich offen.
Schließlich war sie ja jetzt offiziell auf einer Urlaubsreise, und niemand sah sie.
Außer Kalil natürlich.
Und plötzlich fiel ihr ein, wie sie ihr Problem lösen konnte.
Statt sich in den kommenden Tagen den Kopf zu zerbrechen, wie Lady Rose sich privat benahm, könnte sie aufhören eine Rolle zu spielen, denn niemand kannte die private Rose. Sie würde einfach sie selbst sein. Hatte sie mit schlagfertigen Bemerkungen Kalil gegenüber nicht schon damit angefangen?
Auf diese Weise würde sie auch sein Flirten abwehren. Schon als Mädchen hatte sie sich der Jungen erwehrt. Und später der Männer. Alle sahen die jungfräuliche Lady in ihr und wollten ihr entweder zu Füßen liegen oder sie ins Bett bekommen. Sie hatte gelernt, sie sich auf Armeslänge vom Leib zu halten. Nur den Schauspieler hatte sie dichter herangelassen, weil er sein Spiel überzeugend und mit viel Geduld gespielt hatte.
Kal, auch wenn er besser als alle anderen aussah, war schließlich auch nur ein Mann, der versuchte, mit Lady Rose zu flirten. Das durfte sie nie vergessen.
Entschlossen griff sie zur Haarbürste, dann machte sie sich frisch und zog sich um.
Wie würde er sich verhalten? Sie verehren oder vernaschen?
Gute Frage. Sie legte eine einfache Goldkette und Ohrringe an, bevor sie sich im Spiegel begutachtete.
Das war nicht Lydia Young. Aber es war auch nicht Lady Rose, obwohl doch schon eher. Zumindest für jemanden, der ihr noch nie persönlich begegnet war.
Dann griff sie nach einem Buch, wandte sich zur Tür und atmete tief durch, bevor sie wieder den Passagierraum betrat.
Während ihrer Abwesenheit waren die Sitze verstellt worden, sodass man sich hier wie in einem gemütlichen Wohnzimmer fühlen konnte.
Doch es war leer. Lydia war enttäuscht.
Bald erschien die Stewardess, legte ein Tuch über den Tisch, servierte Tee in einer schweren Silberkanne und Sandwiches, Gebäck und Kekse auf silbernen Tellern.
„Ist das alles für mich?“, fragte Lydia, als Atiya ihr eingoss. Kal hatte sich noch immer nicht blicken lassen.
Seine Abwesenheit empfand sie als Affront gegen Lady Rose. Sollte er zu ihrer Sicherheit nicht da sein?
„Kapitän Jacobs hat Mr. al-Zaki ins Cockpit eingeladen“, sagte die Stewardess. „Die beiden kennen sich von früher. Sie haben gemeinsam die Grundausbildung absolviert.“
„Grundausbildung?“ Lydia schüttelte den Kopf. „Heißt das, er ist Pilot?“ War das ein geeigneter Beruf für den Neffen eines Emirs?
„Wünschen Sie, dass er anwesend ist?“
„Nein“, antwortete Lydia rasch. Es war besser, Distanz zu wahren. „Ich möchte ihm das Vergnügen nicht verderben.“
Nach all der Aufregung überfiel sie nun Heißhunger, und sie hätte sich am liebsten auf das Essen gestürzt. Doch so eine Blöße gab sich eine Lady Rose nicht. Deshalb probierte Lydia vornehm von allem ein wenig, auch um zu zeigen, dass es ihr schmeckte. Sie kaute langsam, damit sie wenigstens ihren Hunger stillte, satt wurde sie jedoch nicht. Dann schlug sie ihr Buch auf und begann zu lesen.
Als Kal zurückkam, fesselte ihn Roses Anblick so sehr, dass er stehen blieb, um sie genau zu betrachten.
Ihr matt golden schimmerndes Haar fiel nun offen über die Schultern. Sie hatte die Füße unter sich gezogen und sich in ein Buch vertieft. In nichts ähnelte sie mehr dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihr hatte.
Weicher kam sie ihm vor. Überhaupt nicht mehr prinzessinnenhaft, sondern wie eine ganz normale junge Frau.
Setzte sie das herab?
Keineswegs. In seinen Augen gewann sie sogar. Denn sie wirkte nicht nur begehrenswert, sondern auch erreichbar.
Damit hatte er sich ein doppeltes Problem eingehandelt.
Sobald er sich in den Sessel ihr gegenüber gesetzt hatte, ließ sie das Buch sinken und sah ihn spöttisch an.
„War es schön im Cockpit?“, fragte sie mit kühler Stimme.
Irgendetwas schien sie verärgert zu haben. „Ja, sehr informativ. Danke.“ Auch er versuchte, distanziert zu klingen.
„Hat Ihr alter Freund Sie ans Steuer gelassen?“
Aha, sie wusste inzwischen, dass er Pilot war. Glaubte sie nun, er habe sich über ihre Angst beim Start insgeheim lustig gemacht?
Er versuchte, sie aufzuheitern. „Oh, Sie haben gemerkt, dass ich eine Weile die Maschine flog?“
Sie verzog keine Miene. Nur in ihren Augen blitzte es auf, und ihre Mundwinkel zuckten kaum merkbar.
„Ich hielt das Geruckele für eine Turbulenz.“
Sie log wie gedruckt. Seit sie die Reisehöhe erreicht hatten, verlief der Flug völlig ruhig. „Tut mir leid. Ich bin ein bisschen aus der Übung.“
Nun kämpfte sie doch mit dem Lachen. „Dann betreiben Sie das Fliegen also nicht ernsthaft?“
„In meiner Familie betreibt niemand irgendetwas ernsthaft.“
Zwischen ihren Brauen bildete sich eine kleine Falte. Noch ehe sie ihre Frage formulieren konnte, gab er die Antwort.
„Mein Vater besitzt ein eigenes Flugzeug. Ich hatte Lust, es zu fliegen, und nahm deshalb Stunden.“
„Aha“, sagte sie, doch die Falte auf ihrer Stirn glättete sich nicht. „So ein großes wie dieses?“ Sie machte eine ausladende Handbewegung.
„Ich habe kleiner angefangen“, gab er zu. „Es hat mir gefallen, und ich wollte mehr.“
„Dann haben Sie also mit der Familiensitte gebrochen.“
„Nicht ganz und gar. Hätten Sie vielleicht Lust, sich das Cockpit anzusehen?“ Sie hatte offenbar keine Ahnung, wer er war. Das gefiel ihm. Wenn sie herausfände, dass er eine größere Fluggesellschaft besaß und managte, würde sie sich fragen, weshalb er für sie den Leibwächter spielte. „Wenn man genau weiß, wie etwas funktioniert, hilft das, der Angst Herr zu werden.“
Sie schüttelte den Kopf. „Vielen Dank. Da muss ich passen.“ Dann besann sie sich. „Ich weiß, dass meine Angst völlig unbegründet ist. Wenn ich das nicht wüsste, würde ich nicht in ein Flugzeug steigen.“ Sie lächelte schief. „Doch für die Bequemlichkeit nehme ich ein paar Minuten Angst und Panik billigend in Kauf. Aber den Blick ins Nichts aus dem Cockpit hinaus möchte ich mir ersparen.“
„Ist es wirklich nur der Start, der Ihnen zu schaffen macht?“
„Bis jetzt, ja. Doch jeder Versuch, meine Angst zu analysieren, ließe mich nur auf noch schlimmere Gedanken kommen. Und um es gleich vorweg zu sagen, ich weiß, dass Fliegen sicherer ist, als eine Straße zu überqueren, und sicherer, als zur Arbeit zu gehen.“ Sie stockte. „Das habe ich jedenfalls gehört“, fügte sie rasch hinzu, als wollte sie einer Diskussion darüber, was sie unter Arbeit verstand, aus dem Wege gehen.
Für Außenstehende mochte die Einweihung eines neuen Krankenhausflügels, die Anwesenheit bei einem Festessen oder der Besuch einer Gala als Vergnügen gelten, doch er hatte bei Lucy miterlebt, wie anstrengend die gesellschaftlichen Verpflichtungen waren, die Wohltätigkeitsarbeit mit sich brachte, vor allem, weil sie mit mühelos wirkender Anmut wahrgenommen werden mussten.
Doch Roses Stocken hatte noch auf etwas anderes hingedeutet. Er wusste allerdings nicht, auf was.
„Sie haben sich also informiert.“
„Das musste ich nicht. Das erzählen mir die Menschen von sich aus“, sagte sie spitz.
Damit war das Gespräch für sie beendet. Sie griff wieder zu ihrem Buch.
„Da ist noch etwas …“
Sie schaute wieder auf und wartete.
„Lucy hat Ihnen doch gewiss erzählt, dass wir nach Bab el Sama mit dem Hubschrauber weiterfliegen, aber …“
„Mit einem Hubschrauber?“
Das hörte sich fast wie ein Krächzen an.
„Aber es ist kein Problem, ein anderes Transportmittel zu organisieren“, sagte er.
Lydia hatte ihr Bestes gegeben, um gelassen zu wirken. Sie hatte nicht vom Buch aufgeschaut, als er ihr gegenüber Platz genommen hatte, die langen Beine ausstreckte und die Füße übereinander legte. Als er sein Jackett auszog, die Krawatte lockerte und den obersten Knopf öffnete.
Was um Himmels willen machte die Kehle dieses Mannes so attraktiv?
Sie schluckte.
Was war nur mit ihr los? Das Flirten, das Spiel mit Worten beherrschte sie doch. Wenn ihr Kopf funktionierte, brachte sie es darin sogar zur Meisterschaft.
Sie musste sich besser konzentrieren, sich an den Plan halten, sprechen, wenn sie sprechen musste, die Antwort knapp halten und sich nicht verplappern. Das mit der Arbeit hätte ihr nicht herausrutschen dürfen. Es war gerade noch mal gut gegangen.
Lady Rose gilt als charmant, doch reserviert, ermahnte sie sich.
Reserviert. Das durfte sie nie vergessen.
Das Krächzen wegen des Helikopters war weitaus schlimmer. Gut möglich, dass Rose ständig einen Hubschrauber benutzte, um ihren zahlreichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Sie hatte vergessen, sie danach zu fragen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sie auf ihre Enttarnung als Schwindlerin wartete, räusperte Kalil sich.
„Also?“
„Also?“, wiederholte sie heiser.
„Wie stehen Sie dazu?“
„Oh.“ Er hatte also darauf gewartet, dass sie sich zwischen einer surrenden Straßenlimousine mit bequemen Lederpolstern und einem ohrenbetäubend knatternden Luftungeheuer entschied. Ihr Selbsterhaltungstrieb empfahl das Transportmittel auf vier Rädern.
„Mit dem Hubschrauber kann ich leben“, sagte sie.
Dafür erntete sie ein breites Lächeln, als wüsste er, was sie diese Antwort gekostete hatte.
„Das macht vieles einfacher“, sagte er und sah sie jungenhaft grinsend an. „Aber wenn ich Angst bekomme, halten Sie doch meine Hand, nicht wahr?“
Da vergaß sie ihre Vorsätze und brach in lautes Lachen aus. Doch als er nicht mit einstimmte, kam ihr der Verdacht, die ganze Unterhaltung sei auf seine Frage hinausgelaufen, und das Lachen blieb ihr im Halse stecken.
„Sie fürchten sich vor gar nichts“, sagte sie ernüchtert.
„Jeder fürchtet sich vor etwas, Rose.“ Er erhob sich. „Ich werde Sie jetzt ungestört lesen lassen. Wenn Sie mich brauchen, ich bin im Büro.“
So etwas gab es hier?
„Bitte, ich möchte Sie nicht von der Arbeit abhalten.“
„Arbeit?“