Inhaltsverzeichnis
Lob
Mal ganz ehrlich...
Die Sehnsucht nach Glück
Warum wir unsere Prägung sind und nicht wir selbst...
Warum wir glauben, dass eine Maske unser wahres Gesicht ist...
Warum wir einen Spiegel brauchen, um unser wahres Gesicht zu sehen...
Warum wir lernen müssen, dass verkehrt denken nicht falsch ist...
Warum die Mathematik irrt und eins tatsächlich mehr ist als zwei...
Warum es unsinnig ist, das Unendliche zu messen...
Warum der Weg in die Freiheit immer durchs Gefängnis führt...
Das erste Geheimnis: Der Fluch der Angst
Warum Angst blind macht...
Warum Angst abhängig macht...
Warum Angst arm macht...
Warum Angst krank macht...
Warum Angst feige macht...
Warum Angst verantwortungslos macht...
Die Transformation der Angst
Das zweite Geheimnis: Die Fessel der Schuld
Warum wir den Teufel brauchen, um zu Gott zu finden...
Warum der Kampf gegen die Schuld immer blutig ausgeht...
Warum die Schuld die Voraussetzung für die Unschuld ist...
Warum eine Entschuldigung keine Voraussetzung für Vergebung ist...
Warum in der Schuld die Chance zum Neuanfang steckt...
Warum wir unschuldig werden, wenn wir unsere Schuld erkennen...
Warum es tatsächlich so etwas wie eine glückliche Schuld gibt...
Die Transformation der Schuld
Das dritte Geheimnis: Die Falle der Abhängigkeit
Warum wir länger ein Baby bleiben sollten...
Warum Einbildung keinesfalls eine Bildung ist...
Warum die Einladung zur Freiheit für viele wie ein Haftbefehl ist...
Warum mehr Geld und Besitz nicht reicher machen...
Warum mehr Ansehen und Wichtigkeit nicht wichtiger machen...
Warum Liebe blind macht und wir deswegen den Partner brauchen...
Die Transformation der Abhängigkeit
Quintessenz: Die Macht der Liebe
Die Heilung der SEELE: Wer seine Wunde öffnet, wird heil!
Die Heilung des HERZENS: Wer seine Suche umkehrt, wird fündig!
Die Heilung des DENKENS: Wer seinen Kopf ausschaltet, wird weise!
Und jetzt...?
Danksagung
Anmerkungen
Quellenverzeichnis
Copyright
Allen Menschen, denen der Mut fehlt, sich Flügel wachsen zu lassen!
Damit sie spüren, wie es sich anfühlt, wenn der Wind sie trägt!
Amen, das sage ich euch:Wenn jemand zu diesem Berg sagt:Heb dich empor, und stürz dich ins Meer!, und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass es geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen!
Der Meister im Evangelium nach Markus 11,23
Mal ganz ehrlich...
Haben Sie auch in der letzten Zeit eines jener Bücher in Händen gehalten oder gar gekauft, das Ihnen das Ende allen seelischen und sogar körperlichen Leids, den Beginn unendlichen beruflichen Erfolgs, großen materiellen Gewinn, den perfekten Lebens- und Liebespartner und irgendwie alles Glück auf Erden versprochen hat? Und haben Sie auch gehofft, dass das, was da so wunderbar funktionieren soll, nämlich Bestellungen in den Himmel zu schicken und postwendend Glück zugeschickt zu bekommen, auch wirklich so einfach klappen würde?
Sie brauchen sich nicht wie Petrus seinerzeit zu verleugnen: Wenn ich »auch« sage, dann meine ich Sie und mich, denn schließlich sind wir alle Suchende, Fragende, Hoffende, Bangende! Natürlich ziehen uns diese Bücher an und wir saugen sie in uns auf. Und es tut ganz sicher not, genauer hinzusehen und unsere Wirklichkeit zu hinterfragen: In welcher Welt leben wir? Welche Welt haben die Erwachsenen und Eltern vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte ihren Kindern, uns, überlassen? Welche Lebenspläne bestimmen unser Denken, unsere Vorstellung von Glück und Erfüllung? Welche Gefühle dringen an unsere Herzen und in unsere Seelen? Überhaupt: Wie gehen wir mit unseren Gefühlen um? Wie behandeln wir unsere seelische Seite, unser mentales und geistiges Wesen?
Immer wieder beschleicht einen das Gefühl, in einer scheinbar tabulosen Gegenwart zu leben, in der dem völlig überforderten menschlichen Auge und unserem Verstand nichts mehr verborgen bleiben darf. Alles wird sichtbar, auch das Unansehnliche. Und selbst das Unsichtbare soll entlarvt werden, als ob es einen Gewinn für die Menschheit bedeuten würde, sich jedes Zaubers zu berauben. Alles aber wird überdeckt von einem sinnlosen Materialismus, der uns nach Wärme hungernden Menschen frierend, einsam und seltsam verloren in einer Eiswüste aussetzt, in der der einzige zählbare Wert jener des Geldes zu sein scheint. Gleichzeitig aber tauscht ein irrsinniger Glaube an Internet und virtuelle Kaltherzigkeit mehr und mehr alle menschliche Wärme und Schönheit gegen leblose Daten aus. Manchmal – ich gebe es zu – beschleicht mich deshalb eine dunkle Ahnung, dass wir in eine Welt hineinleben, in der uns mit aller Macht der Glaube an das Wunder des Lebens genommen werden soll, an dessen Stelle ein gnadenloser Moloch tritt, der uns weismachen möchte, dass nur messbarer Wert wirklich wertvoll ist. Wie aber ein Leben messen...?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir genau deshalb uns alle nach den tiefen und ewigen Wahrheiten sehnen, die in unserem frostigen Leben ein Feuer der Leidenschaft entfachen sollen. Vielleicht fiebern wir gerade deshalb der Entdeckung verloren gegangener Geheimlehren versunkener Kulturen entgegen, weil wir hoffen, dass sie uns Entwurzelte wieder mit jenem Unsagbaren verbinden sollen – dem Großen, dem Grenzenlosen – Gott! Fast kommt es mir vor, als lechzen wir in unserer verworrenen Zeit mehr denn je nach der Antwort auf die älteste aller Fragen: Was ist der Sinn meines Lebens?
Versuchen Sie doch mal auf diese Frage eine Onlineantwort herunterzuladen oder gar ein problemlösendes App bei i-Phone zu finden...!
Weil wir uns so verloren, so bedeutungslos vorkommen, vertiefen wir uns im Zeitalter der virtuellen Welten voll innerer Erregung in diesen und jenen Text alter spiritueller Meister, in der Erwartung und Hoffnung, endlich den »goldenen Schlüssel« zu finden, der uns – sprechen wir es ruhig aus – den Himmel auf Erden aufsperrt, uns aus der Einöde der Trostlosigkeit der Welt befreit und uns einlässt in die kleine elitäre Schar der Wissenden, der Erleuchteten, der Eingeweihten. Und so treibt es uns um, uns hilflose Kreaturen, die wir seinerzeit aus dem Paradies vertrieben wurden und es nun fieberhaft in der Welt wieder suchen!
Ruhelose Glückssucher im Goldrausch brennender Herzen – irgendwie sind wir das doch alle: Wir wollen endlich um die letzten Dinge Bescheid wissen, endlich Körper, Seele und Geist im Einklang spüren, endlich Harmonie in unseren Beziehungen erleben, endlich moralische Zwänge und Fesseln lösen, endlich vom Joch des Geldes und Besitzes frei sein, endlich das Leben in seiner ganzen Größe begreifen, endlich den Sinn unseres Menschseins entdecken, endlich das Göttliche erahnen, endlich leben, endlich lieben!
Wenn Sie jetzt spüren, dass irgendwie ein Seufzer der Zustimmung in Ihrer Brust hörbar wird, dann gehören Sie zu diesen Fragenden. Aber: Wie oft wurden Sie schon enttäuscht? Wie oft hatten Sie schon geglaubt, den Stein der Weisen gefunden, die Lösung Ihrer Probleme entdeckt, die Alchemie des Glücks entschlüsselt zu haben? Und am Ende legte sich doch wieder nur dunkles Blei auf Ihre Seele, das sich eben nicht in Gold verwandelt hatte. Dann schleichen sich Frustration, Resignation und Depression auf leisen Sohlen in unser Leben und machen die Seele schwermütig und traurig.
Wenn man ein halbes Leben und mehr seinen Schatz sucht und immer nur auf weitere Schatzkarten stößt, ohne aber jemals das zu heben, wonach man gesucht und so tief gegraben hat, dann verlassen einen irgendwann Kraft und Mut. Man erlebt Erschöpfung, manchmal auch das Gefühl, ausgebrannt und leer zu sein, Burnout, Verunsicherung, Verbitterung, Verzweiflung.
Das kann, das soll, nein, das wird ein Ende haben, wenn Sie bereit sind, das »Geheimnis des Meisters« wirklich ernst zu nehmen und es bis zur letzten Seite durchsuchen. Wenn Sie hier graben, werden Sie finden, wonach Sie so lange gesucht haben, aber daran vorbeigegangen sind, weil der Schatz so unscheinbar und matt dalag. Es fehlt ihm einfach der marktschreierische Glanz, während anderes, viel weniger Wertvolles, in den vermeintlichen Auslagen der Weisheit funkelt und blitzt wie ein Smaragd der sagenhaften Tafel des Hermes Trismegistos1...
Das »Geheimnis des Meisters« ist eine Provokation: kein dreh- und wendbarer Text, den man mal so, mal so auslegen kann. Es fordert heraus, packt und schüttelt durch! Die Spirituellen und Esoterischen – also die eher »geistigen« Menschen – möchte diese Provokation ebenso erreichen wie die Materiellen, also die eher »erdigen« Charaktere. Dies ist ein Buch für Menschen, die erkennen wollen, wie es sich anfühlt, sein Leben genau von jenem Standpunkt aus zu verändern, an dem man sich gerade jetzt befindet. Jeder kann es: dem eigenen Leben frei von Bewertung der momentanen Umstände eine große Richtung, einen wirklichen Wert und ein fantastisches Ziel geben! Sie können religiös sein oder atheistisch, anthroposophisch oder theosophisch, materialistisch oder spirituell, können Christ sein, Jude, Buddhist, Muslim, Hindu, Taoist, Freigeist oder Zeitgeist – dieses Buch meint genau Sie, ungeachtet Ihrer Weltanschauung, hier werden Sie nicht verurteilt, exkommuniziert oder ausgegrenzt.
Erfahren Sie die radikal einfache und so großartig mutige Lehre Jesu, eines Mannes, der uns die Augen öffnet, uns beibringt, wie einfach es ist, unser einmaliges Leben zu lieben. Staunen Sie über die Klarheit seines Weges, die wunderbaren Möglichkeiten seiner Lehre. Lassen Sie sich durch die Erfahrung und Anwendung seines Geheimnisses beschenken und entdecken Sie eine Freiheit, die so gar nichts mit Regelwerk und Hierarchie, Pomp und Prunk oder Zauberei und Halbwissen zu tun hat. Erkennen Sie, woran Sie bisher einfach vorbeigelebt haben – aus Angst oder Blindheit, mangelndem Selbstvertrauen oder falschem Respekt vor ideologischen Gurus, Religions- und Regelhütern. Und erfahren Sie, wie fantastisch es sich anfühlt, diesen unfassbaren Schatz zu heben und in Ihr unsicheres Leben zu hieven, damit eine wirklich große Veränderung passiert, jene echte Wandlung, nach der wir uns alle so sehr sehnen.
Trauen Sie sich, das Angebot des Meisters anzunehmen, das wirklich nichts mit konfessioneller und kirchlicher Abgrenzung zu tun hat. Ihre Einstellungen und Gewohnheiten, Ihre Vorurteile und Ängste, Ihre Zweifel und selbsterfüllenden negativen Prophezeiungen – dies alles dürfen Sie mit seinem einfachen Wort »Fürchte dich nicht!« über Bord werfen und endlich frei werden. Frei für ein neues Leben, für eine echte »Wiedergeburt«, wie der Meister sie nennt.
Und das Beste: Sie können wirklich jederzeit damit anfangen, das »Geheimnis des Meisters« zu erlernen, anzuwenden, umzusetzen! Genau jetzt, wenn Sie wollen, weil es in unserem Leben nie zu spät ist, es sei denn, wir verschieben jede Chance der Veränderung auf morgen, und morgen wieder auf morgen, und... bis es kein Morgen mehr gibt.
In meiner täglichen Arbeit in der psychotherapeutischen Praxis wende ich das »Geheimnis des Meisters« an. Ich kann somit authentisch berichten – und werde dies in diesem Buch auch tun -, wie weit Menschen bereit oder eben nicht bereit sind, im Angesicht von Unglück und Krankheit, von Leid und hartem Schicksal ihre Einstellungen ganz auf den Prüfstand zu legen. Dadurch musste ich mit ansehen, wie der Zerfall eines Lebens voranschreitet, wenn der Mensch zwar erkennt, dass er eine radikale innere Wende vornehmen müsste, es aber nicht fertigbringt, weil ihm dieser Schritt viel zu groß ist. Aber ich darf es mittlerweile so oft erleben, wie kaputte menschliche Existenzen wieder aufblühen, weil sie ihren zurückliegenden Lebensweg nicht als Schicksal verdammen, sondern als gemeisterte Prüfung innerhalb eines großen Plans annehmen. Ich war Zeuge von verbittertem Sterben ohne Aussöhnung mit der Vergangenheit und schrittweisem Erlöschen im stummen Kampf gegen sich selbst. Aber ich darf immer wieder staunen über unfassbare Heilungen schwerster Krankheiten und die sprichwörtlich wieder gehenden Lahmen, wenn ein Mensch plötzlich Licht in sein Herz lässt, wo bisher nur Dunkelheit, Hass und Groll waren.
Es dauerte einige Jahre, bis die Zeit reif war, das ganze »Geheimnis des Meisters« aufzuschreiben. Wer bin ich, so dachte ich mir nämlich immer wieder, dass ich mir anmaße, etwas zu erahnen, das anderen verborgen sein könnte? Aber gerade das Beispiel des Meisters selbst hat mir Mut gemacht, meine eigenen Erkenntnisse zu vertiefen und letztlich allen zugänglich zu machen. Nicht allen wird gefallen, was sie hier lesen werden. Manche werden sich entrüsten oder versuchen, Inhalt und Autor auseinanderzunehmen. Auch dem Meister erging es so, als er jene bewusst herausforderte, die den Menschen Schuld predigten und nur Angst und Ohnmacht säten. Es geht nicht darum, zu gefallen, sondern den Menschen zu ermutigen, sich Flügel wachsen zu lassen, und zu lernen, sie sanft zu bewegen. Nicht die Eitelkeit soll bedient werden, sondern der Mut, sich in sein Leben fallen zu lassen, in sicherer Gewissheit, getragen zu werden. Nur wer bereit ist, zu fallen, wird entdecken, dass ihm Flügel wachsen. Und er wird sie ausbreiten und – fliegen!
Fliegen – ja, das möchte ich mit Ihnen, dem Leser, der Leserin dieses Buches, damit Sie die Schönheit der Welt erkennen können, die Faszination Ihres einzigartigen noch unentdeckten Lebens und Ihr ganz persönliches Wunder, Ihre Heilung in der Liebe. Fliegen möchte ich mit Ihnen, damit Sie aufhören können, in den scheinbaren Grenzen der Sicherheiten zu leben, die Ihnen weismachen möchten, dass Sie mit dem begrenzt Erreichten zufrieden sein sollten, da man eben nicht alles im Leben haben könne. Fliegen möchte ich mit Ihnen, hinaus aus den Burgen und Verließen Ihrer Vorstellungen, Erwartungen und Ängste, damit Sie dieses Gefühl entdecken, was es heißt, getragen zu werden, obwohl da nichts zu sein scheint.
Schließen Sie die Augen und sehen Sie sich einfach so, wie Sie sich als kleines Kind gesehen haben: als ein unschuldiges und in jeder Hinsicht vollkommenes Wesen, geliebt von der Schöpfung und gewollt von einer Ordnung, die so großartig ist, dass wir sie mit unserem fehlgeprägten Verstand nie und nimmer begreifen können. Sehen Sie sich als größtes aller Wunder, das nicht durch Angst, Schuld und Abhängigkeit, sondern durch Mut, Vergebung und Freiheit zum Wertvollsten wird, was es gibt.
Entdecken Sie, wie aus dieser neuen Einstellung sich selbst gegenüber ungeheure Kräfte entstehen. Fühlen Sie, wie Ihr Herz offen wird und warm! Und spüren Sie, wie Ihnen aus dem »Geheimnis des Meisters« Flügel wachsen – weit und wunderbar!
Fliegen Sie mit...!
Die Sehnsucht nach Glück
Ein glücklicher Mensch folgt niemandem. Nur die Unglücklichen, die Verwirrten, folgen eifrig anderen, in der Hoffnung, bei ihnen Zuflucht zu finden.Und sie werden Zuflucht finden, aber diese Zuflucht ist ihre Finsternis, ihr Untergang.Nur der Mensch, der versucht herauszufinden, was er selbst ist, wird die Freiheit kennenlernen und damit das Glück. [Ref 1]
Jiddu Krishnamurti, 19492
Warum wir unsere Prägung sind und nicht wir selbst...
Die Situation könnte angenehmer sein: Wir kommen auf diese Welt, haben uns die Eltern, das soziale Umfeld, die Religion, die Staatsangehörigkeit, das politische System nicht aussuchen dürfen, sondern werden einfach hineingeworfen in das, was sich »unser Leben« nennt. Im Grunde beginnt aber damit schon unser ganzes Unglück. Denn kaum, dass wir das Licht dieser Welt erblickt haben, greift das System, in das uns die Vorsehung nackt und frierend hineinstellt: Wir werden bewertet. Der diensthabende Arzt prüft aus Sorgfaltspflicht und weil wir just im Moment unserer Geburt wirklich in akuter Lebensgefahr schweben, unsere ersten Reaktionen und Reflexe, was umgehend zu einer Punktevergabe führt. Im sogenannten Apgar-Test werden wir alle einem Säuglings-Leistungssystem untergeordnet, aus dem heraus ersichtlich ist, wie fit wir für den Wettkampf ums Überleben sind. »Die Geburt ist der gefährlichste Zeitabschnitt unseres Lebens«, hat deshalb auch die Erfinderin dieses Tests, die amerikanische Ärztin Virginia Apgar 1972 in ihrem Buch »Is my Baby all right« geschrieben. Und da hatte sie zweifelsfrei so oder so recht. Denn nicht nur Herzfrequenz und Hautfarbe sind im Moment Ihrer Geburt von lebenswichtiger Bedeutung, sondern allem voran – Ihr Geschlecht: Was nützt Ihnen der beste Apgar-Test, wenn Sie ein Mädchen sind und in der Erwartung der Eltern oder eines Elternteils ein Sohn hätten werden sollen?
Was sich so flapsig liest, ist in Wahrheit für viele Eltern ein massives Problem: Sie übertragen ihre unsinnige Erwartungshaltung auf das unschuldigste Wesen, das es gibt – den neugeborenen Säugling. Vom ersten Atemzug an lassen sie dieses kleine und nichtsahnende Wesen spüren: Du bist so, wie du bist, nicht erwünscht! Ich erfuhr mit Entsetzen von einem ganz normalen Vater, der die Geburtsanzeige seiner ersten Tochter in der Zeitung vehement verhinderte, weil er unter allen Umständen einen Sohn haben wollte und niemand von seinem »Missgeschick« erfahren sollte.
Aber selbst wenn Sie der Wunschjunge oder das Traummädchen Ihrer Eltern sind: Wenn an Ihnen irgendein körperliches Defizit erkennbar ist, sind Sie unter Umständen, ehe Sie sich versehen, ein riesiges Problem, eine zu schwere Bürde, eine unerträgliche Last. Wie pervers! Denn Sie hat man ja schließlich nicht gefragt, ob Sie kommen wollen, sondern diejenigen, die für Ihre Entstehung, Ihr Leben, Verantwortung tragen, beschuldigen Sie nun, nicht deren Vorstellungen zu entsprechen. So als ob man Sie in einem Katalog bestellt hätte und nun das reklamieren möchte, was da neun Monate später angekommen ist. Das sind keine guten Voraussetzungen für Glück, jedenfalls dann nicht, wenn wir uns mit diesen engstirnigen und unreifen Einstellungen sogenannter Erwachsener identifizieren und sie als Tatsache und Wahrheit übernehmen. Wir tun es aber alle, weil wir als Säugling gar nicht in der Lage sind, zwischen Meinung und Wahrheit zu unterscheiden. Schließlich werden wir in den ersten Lebensjahren »geprägt« wie ein Metall, das durch einen bestimmten Prägestempel zur wertvollen oder nahezu wertlosen Münze wird. Diese »Prägung« ist für uns Menschen in jeder Hinsicht verhängnisvoll, da wir innerhalb kürzester Zeit (was sind denn schon ein paar Kinderjahre?) zu wissen glauben, wer oder was wir sind: Wir betrachten uns wie eine Münze aus dem Geldbeutel, lesen die aufgeprägte Zahl und sind felsenfest davon überzeugt, dass dies der exakte Wert ist. Und dann steht eben auf einer wunderschön glänzenden Kupfermünze 2 Cent und auf einer hässlich grünlich-silbrigen Bimetallmünze 2 Euro, und damit ist dann auch schon alles darüber gesagt, welche Beachtung Sie der einen und der anderen Münze schenken.
Kein Witz, sondern leider die alles andere als komische Wahrheit: Mit dem ersten Tag unseres Lebens bilden wir exakt jene Schablone ab, in die wir von unseren Eltern oder Erziehern aus Unkenntnis und nicht selten Unreife gepresst wurden. Da wir in diesem Alter über kein Urteilsvermögen verfügen, vor allem aber wegen einer vollkommenen Abhängigkeit von unseren Eltern und Erziehern, wagen wir es gar nicht daran zu denken, dass diese Schablone im wahrsten Sinn des Wortes willkürlich, oft genug negativ und nicht selten krank machend oder sogar lebensgefährlich sein könnte. Wir nehmen die Prägung an, als sei sie unser Schicksal.
Warum wir glauben, dass eine Maske unser wahres Gesicht ist...
In der griechischen Tragödie der Antike tragen die Schauspieler Masken. Im Altgriechischen heißt Maske »persona«, was wiederum so viel bedeutet wie »durch etwas hindurchklingen«. Kann es sein, dass wir alle lange Jahre unseres Lebens mit einer Maske vor dem wahren Gesicht herumlaufen und nicht wagen, diese zu lüften? Sprechen wir durch eine Maske, die uns mit unserer Geburt aufgesetzt wurde und von der wir überzeugt sind, sie zeige unser wahres Gesicht?
Stellen Sie sich einmal den Schreck vor, den ein Mensch erleben würde, wenn er wirklich von Geburt an nie sein wahres Gesicht, sondern immer nur seine »Maske« im Spiegel gesehen und sich logischerweise mit diesem »Aussehen« und »So-Sein« vollkommen identifiziert hätte. Wenn dann aber einer käme (das Schicksal?), ihm die Maske vom Kopf reißen und ihn zwingen würde, in den Spiegel zu schauen – wen oder was sähe dann unser armer Tropf? Irgendein völlig fremdes Wesen, das in ihm nicht Freude, sondern Ablehnung, sogar Entsetzen und Angst hervorruft! Er kennt dieses »Ab-Bild« nicht. Er ist sich in jeder Hinsicht fremd und lehnt das, was er da als sein Ebenbild sieht, als Fratze, als Maske, als Zerr- und Trugbild ab! Da er aber ungeschminkt mit der Wahrheit konfrontiert wird, die er nicht einfach leugnen kann, muss er jetzt zwangsläufig beginnen, sich auf dieses fremde Wesen einzulassen und sich irgendwie damit abzufinden, dass er jenen Menschen nicht kennt, der er eigentlich ist. Dieser Prozess entscheidet über den Sinn Ihres Lebens. Warum?
Die einen Menschen – nennen wir sie der Einfachheit halber die »Grauen« – werden nach dieser schockierenden »Erkenntnis« in jeder Hinsicht todunglücklich. Das Leben erscheint ihnen nicht mehr lebenswert, weil sie so sind, wie sie nicht sein wollen. Sie hadern mit einem ungerechten Schicksal und beginnen, ihr ganzes Leben anklagend und beklagend infrage zu stellen. Sie fühlen sich in jeder Hinsicht als Fehler der Schöpfung, ja sie glauben sogar, sie seien hier in diesem Leben an diesem Ort »fehl« am Platz. Und so beklagen sie vehement, was ihnen im Gegensatz zu anderen Menschen Unerträgliches aufgebürdet worden sei. Um es vorwegzunehmen: Dies endet immer in schweren körperlichen oder seelischen Krankheiten, nicht selten sogar im Tod! Der Mensch, der sich mit seinem wahren Wesen ganz und gar nicht anzufreunden bereit ist, wird sich selbst zum größten Feind. Den gilt es nun mit allen noch vorhandenen Kräften zu bekämpfen, zu besiegen und zu vernichten! Das Ende ist fraglos »vernichtend« – ein sinnloses Leben endet dann immer in einem noch sinnloseren Sterben!
In meiner psychotherapeutischen Arbeit stelle ich jedem Neuklienten im ersten Gespräch die für viele seltsame Frage: »Was fehlt Ihnen denn, um glücklich zu sein?« Jeder weiß natürlich genau, was er hat, warum er also zu mir kommt: wegen Alkoholproblemen, wegen Depressionen, wegen Burnout, wegen Zwangsgedanken und Ängsten, wegen nicht organisch begründbarer Schmerzen, wegen Partnerschaftsproblemen, wegen sexueller Versagensängste oder Kontrollzwängen und so weiter. Aber was er auf die Frage nach dem »Fehlenden« antworten soll, weiß er nicht! Ein vierzigjähriger Alkoholiker fängt auf diese Frage zu weinen an und sagt nach einer längeren Denkpause: »Geborgenheit – ja, das ist es. Das fehlt mir! Ich möchte einfach nur geliebt werden, so wie ich bin, mehr nicht.«
Ich frage ihn, ob er denn wirklich wisse, wer oder was er sei. »Ich war schon immer etwas Besonderes«, sagt er mir und beginnt zu lächeln. Es stellt sich heraus, dass er von seiner Familie als kränkliches Kind nie richtig für voll genommen worden war. Er war körperlich in den Augen des extrem disziplinierten Vaters ein »Schwächling«, und oft genug hörte er später auch, dass er zu diesem und jenem sowieso nicht fähig sei. Früh erwarb er sich die Überzeugung, dass er sich Freunde machen müsse, indem er etwas schenkt, etwas hergibt. Er lernte sozusagen, wie man sich Freundschaften erkauft. Als Schüler setzte sich diese erworbene Einstellung fort: Er gab sein Taschengeld für die Organisation von Schulfeten aus, damit er wenigstens in dieser Hinsicht von den Mitschülern gemocht wurde. Mehr und mehr wurde er so ein Opfer eines völlig falschen Selbstbilds, das ihm früh einimpfte, er müsse für die Liebe in gewaltige Vorleistung gehen. Selbst ein schwerster Vollrausch-Autounfall öffnete ihm nicht die Augen. Er blieb seiner Maske treu. Später als Student leistete er sich einen Lebensstandard, der weit über seinen Verhältnissen lag: viel zu große Autos, viel zu teure Möbel, viel zu kostspieliger Kneipenkonsum, viel zu anspruchsvolle Freundinnen. Am Ende sitzt bei mir in der Praxis ein promoviertes Wrack, hoch verschuldet, schwer alkoholkrank, perspektivlos, allein bei der Mutter lebend und hochgradig suizidgefährdet. Auf meine Frage, was er sich wünschen würde, wenn er ganz von vorne anfangen könnte, sagt er: »Dass alles leichter ginge! Gemocht werden, aber ohne Anstrengung! Einfach nur der sein dürfen, der ich bin! Das kann doch nicht so schwer sein, oder?«
Wir werden später sehen, wie die Antwort des Meisters für diese »grauen« Menschen ausfällt und wie eindeutig er sie auffordert, für die Entdeckung ihres Lebensglücks etwas Radikales zu tun. Zuerst aber wollen wir uns ansehen, wie die andere Gruppe der Menschen – ich möchte sie zur besseren Unterscheidung die »Bunten« nennen – mit dem Schock der Konfrontation mit dem wahren Selbst umgeht.
Warum wir einen Spiegel brauchen, um unser wahres Gesicht zu sehen...
Während die »Grauen« also in tiefer Enttäuschung den Weg der Krankheit und des langsamen Erlöschens gehen, beginnen die »Bunten«, das alte Trugbild mehr und mehr zu vergessen und das neue Sein zu mögen. In der Rückschau ihres Lebens sehen sie plötzlich, wie sich ein Stein zum anderen fügt: Vergangenheit wird zu einer einzigen Kette von notwendigen Erfahrungen, die in den Moment des Selbsterkennens münden dürfen, sind die Wege dorthin auch oft steinig oder die Büsche dornig. Diese Menschen beginnen zu verstehen, warum die Eltern einen so und nicht anders erzogen haben, warum dies aus deren Sicht und Weltbild vielleicht sogar gerechtfertigt war, und warum damit Entwicklungen der eigenen Persönlichkeit einhergehen mussten, die ihren Sinn hatten: nämlich jenen einzigen Sinn des Lebens, im Widerspruch, im Scheitern, im Leid, in der Konfrontation mit dem Unverständlichen und Ungerechten nicht einen Grund zur Klage zu sehen (was einen eindeutig ins krank machende Fahrwasser der »Grauen« bringen würde), sondern eine Aufforderung und Ermutigung, ernsthaft zu prüfen, ob alles so stimmt, wie es bisher von mir geglaubt wurde. »Habe ich bisher so gelebt, weil es meine eigene Vorstellung von einem sinnvollen Leben war, oder habe ich versucht, den Vorstellungen anderer gerecht zu werden?« Sie fragen weiter: »Lebe ich eine Rolle, die mir zugeteilt wurde oder gestalte ich mein Leben entsprechend meiner inneren Stimme, meiner wahren Bestimmung?« Und schließlich: »Versuche ich die Erfüllung des Wunschtraums anderer zu sein, deren Liebe ich nicht verlieren will, oder lebe ich meinen eigenen in mir angelegten Traum?«
Diese Menschen legen ihr Weltbild und ihr Selbstbild, ihre Ideale und Vorbilder, ihre Freunde und Bekannten, ihre Werte und Ordnungen, ihre Hoffnungen und Wünsche, ihre Vorstellungen und Einstellungen, kurz ihr ganzes Leben auf den Prüfstand, indem sie tatsächlich den Sinn des bisher gelebten Lebens hinterfragen! Sie stellen die alles entscheidende Frage, die die Grundlage jeder echten Philosophie ist: »Wer bin ich wirklich?« Und sie stellen diese Frage nicht ängstlich, verbittert oder deprimiert, sondern als Suchende, die wissen wollen, warum das Glück bei ihnen offenbar Umwege macht, die Liebe oftmals zwischen den Fingern zerrinnt und die Freude allzu rasch der Trauer weicht. Schonungslos zerbrechen sie die tönerne Maske und schauen in den Spiegel, der wie im Märchen von Schneewittchen plötzlich zu sprechen beginnt: »Das, was du glaubst zu sein, mag ja ganz schön sein! Aber tief in dir ist ein Wesen, das ist tausendmal schöner als das, was du zu sein glaubst!« Diesen Spiegel jetzt zu zerstören, wäre die Antwort der »Grauen«.
Für die »Bunten« aber beginnt mit der Suche nach dem wahren Wesen die zweite große Reise ihres Lebens – und was für eine: eine atemberaubende, eine alles verändernde, eine fantastische! Sie gehen neugierig auf Entdeckungsreise und finden irgendwann erfüllt von Glück das faszinierendste Land dieser Welt: das eigene Wesen. Menschen, die sich auf diese Reise begeben, entsagen der Angst, weil sie wissen, dass alles Unbekannte die Chance zum Lernen beinhaltet, während die Angst davor den Stillstand bedeuten würde. Sie nehmen ihre Vergangenheit wertungsfrei als notwendigen Schritt vor der Gegenwart an, sehen in der Gegenwart den bewussten Schritt in die Zukunft und begreifen die Zukunft als angstfreies Abenteuer. In der Psychologie sprechen wir nun von einem »resilienten« Menschen, von einem also, der in der Lage ist, weder die Vergangenheit und die Gegenwart noch die Zukunft als negativ und schlecht zu bewerten, sondern der jeden Augenblick »bewusst« und als für ihn »richtig« lebt. Ein solcher Mensch klagt nicht (an) und bemitleidet sich nicht selbst, sondern packt an und bestärkt sich selbst. Das Gesicht im Spiegel wird ihm zum wichtigsten Begleiter auf der Reise durchs Leben: Durch diesen inneren Freund wird er quasi unbesiegbar wie der Held im Mythos, dessen Kräfte aus einer magischen Quelle zu kommen scheinen. Besonders mit Kindern und fantasiebegabten Erwachsenen, aber auch mit Menschen, die sich mit Bibeltexten irgendwie schwertun, arbeite ich deshalb sehr gerne mit erfundenen Geschichten, Märchen und Mythen – ganz im Stil des Meisters:
Auf meine Frage, welche Figur im Märchen am ehesten ihre ausweglose Situation beschreibt, nannte mir eine vierzigjährige Klientin spontan das Aschenputtel. Sie sehe sich genauso tagein tagaus sinnlose Arbeit verrichten und bekäme dabei keinerlei Anerkennung von ihrer Umwelt. Die lauten Menschen um sie herum würden sich ihrer Leistungen und des Grades ihrer Erschöpfung brüsten, während sie hinter einem Berg von Unerledigtem grau und letztlich von den anderen regelrecht vergessen vor sich hin vegetieren würde. Längst hatte sie mehrere Suchtprobleme entwickelt und ganz nebenbei auch noch einen chronisch entzündeten Darm. Am Beispiel des Aschenputtels führte ich diese Frau nun in das wahre Wesen dieses Märchens hinein: Nirgendwo dort steht nämlich, dass sich die Halbwaise beklagt und ihr aussichtsloses Dasein ständig bejammert. Sie fügt sich im Gegenteil klaglos dem täglichen Schicksal, auch wenn der Sinn dieses Lebens kaum erkennbar ist. In den Gesprächen mit der toten Mutter führt dieses Mädchen im Grunde Selbstgespräche, stärkt sich, mit der Situation leben zu können und glaubt vor allem an seine wahre Schönheit und Stärke. Nur dieser Glaube an die Wahrheit, ihr wahres Gesicht also, ist es letztlich, der ihr das Erwachen aus einem »bösen« Traum beschert und sie zur strahlenden Schönheit macht: Jetzt wird sie auch äußerlich – wenn auch nur für die begrenzte Zeit des Zaubers – wahrhaft schön! Und weil sie den Mut und das Selbstvertrauen hat, an diesen Zauber zu glauben, der ihre immer existierende innere Größe zur äußeren Größe werden lässt, findet der Prinz in ihr seine wahre Liebe. Die Stiefschwestern – äußerlich reich, aber innerlich arm – verstümmeln sich aus blinder Gier sinnlos und werden als Lügnerinnen entlarvt: Ihre Maske wurde ihnen zum Verhängnis, während der ungebrochene Glauben des Aschenputtels an sein wahres Selbst das Leben zum Fest werden lässt. Nicht von außen kommt also die Hilfe, sondern immer nur von innen!
So half ich der unglücklichen Klientin, die spirituelle Wahrheit ihres Lieblingsmärchens mehr und mehr zu erkennen und den Mut zu schöpfen, es dem Aschenputtel gleichzutun: an sich zu glauben und diesem Glauben auch Taten folgen zu lassen – solche Taten, die mit dem äußeren Bild des Aschenputtels rein gar nichts, mit der inneren Wirklichkeit aber fast alles zu tun haben. Von jenem Tag an begann der unaufhörliche Prozess der Heilung dieser Frau – innen und außen. Sie löste sich vom Druck der Anerkennung, suchte nicht mehr in den anderen Menschen ihr Problem und hörte auf, ihr Schicksal zu beklagen. Sie wuchs immer mehr aus sich heraus und wurde – mit Anfang vierzig – erwachsen! Sie geht jetzt den inneren Weg des echten Seins und hat dem äußeren Weg des falschen Scheins den Rücken zugewendet.
Aschenputtel findet auf dem inneren Weg zur Heilung und zum Glück – können Sie das einfach so stehen lassen? Oder wollen Sie lieber hinterfragen, was sich hinter diesen einfach klingenden Worten verbirgt?
Der innere Weg – welch eine hohle, wohlklingende Floskel, welch ein schönes Trugbild, welch kitschige Tröstung – so werden diejenigen sagen, die einzig und allein dem Glauben schenken können, was sie sehen und solchermaßen mit den Händen begreifen können. Aber warum wachsen dann Menschen über sich hinaus und glauben an eine verborgene innere Stärke, gerade wenn die äußeren Umstände alles andere als beglückend sind? Und: Ist nicht die riesige Eiche zuerst verborgen im Inneren einer winzigen Eichel, die aus dem Unsichtbaren des Erdreichs hinauswächst und sich zu einem Inbegriff von Festigkeit, Stärke und Schutz entwickelt?
Heilung von innen finden – welch eine gefährliche und verantwortungslose Aussage, so werden diejenigen sagen, die einzig und allein an die Macht der Chemie und des Skalpells glauben und so im Menschen ein chemisch-mechanisches Gesamtsystem sehen, dem Stoffe zugeführt werden müssen, die fehlen, und Teile herausgeschnitten werden müssen, die stören. Aber was ist dann mit der Kraft der Emotionen, die psychosomatisch in so vielen Sprachbildern von uns verwendet wird, wenn wir sagen, dass uns dieses oder jenes »auf den Magen geschlagen«, das »Herz schwer gemacht« und mir »die Füße unter dem Boden weggezogen« habe. Innerhalb weniger Sekunden wird in der Psychokinesiologie aus einem starken Arm ein schwacher Muskel, wenn wir uns mit negativen Emotionen »belasten«. Und umgekehrt kann der schwache oder kranke Mensch stark werden, wenn er sich konstruktiv und damit heilsam mit seinen belastenden Einstellungen befasst, nicht destruktiv und damit zerstörerisch mit den sichtbaren Symptomen.
Glück im Inneren finden – welch eine törichte Aussage, werden diejenigen sagen, die ihr Lebensglück einzig und allein auf vorzeigbarem Besitz und bestens gefüllten Bankdepots gründen. Aber kann ein Mensch, der um seinen Besitz, um seine äußeren Güter fürchtet, jemals glücklich sein? Muss er nicht Strategien entwickeln, um sich vorzugaukeln, wirklich glücklich zu sein? Wird er nicht Schauplätze aufsuchen, die zur Schau stellen sollen, wie glücklich er in seinem So-Sein ist? Aber was verursacht sein Festhalten am äußeren Ersatzglück, an der gelebten Glückslüge? Nichts anderes als Angst, den wirtschaftlichen Halt zu verlieren und seine dadurch erreichte Position in der Gesellschaft der Schönen und Reichen einzubüßen. Und wie groß ist sie doch, diese Verlustangst der Reichen um ihr Hab und Gut? Sie fürchten um ihr Haben und verlieren dabei permanent ihr Sein. Wie schnell wandelt sich ihr zur Schau gestelltes Glück, sich alles leisten zu können, in ein Joch, das sie sich vergoldet haben und nun zentnerschwer um den Hals tragen. Sie, die Sorglosen, sehnen sich insgeheim nach einem leichten Leben, das erfüllt ist von nicht käuflichen Werten: Liebe, Freundschaft, Herzenswärme. Im ersten und dritten Geheimnis des Meisters werden wir darüber mehr erfahren.
Vielleicht spüren Sie schon, worum es geht. Möglicherweise ahnen Sie schon im Ansatz, wohin Sie der Weg des Meisters führt, falls Sie ihn gehen wollen: kein Spaziergang, kein Wellness-Wochenende, keine fröhliche Bergtour mit anschließender Hüttengaudi, nein! Wer sein Leben gewinnen will, der muss bereit sein, viel zu verlieren – vor allem unnötigen Ballast! Und wer an Gewicht verliert, gewinnt doch an Höhe, oder...?