Das Geheimnis von Nox 1: Licht, Schatten – Flederratten! - Claudia Scharf - E-Book

Das Geheimnis von Nox 1: Licht, Schatten – Flederratten! E-Book

Claudia Scharf

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Beschreibung

"Halt dich fern von der Nacht, für Taglinge ist der Tag gemacht!" Kein Tagling betritt Nox, so war das zu allen Zeiten. Doch dann kam Fill. Tagsüber lebt Fill ein ganz normales Tagling-Leben. Er geht zur Schule, spielt Sonnenball mit seinen Freunden und hilft seinem Vater im Quaschelgarten. Aber dann explodiert Fills magischer Pfannkuchen, sein Kater büxt aus – und auf einmal tapst Fill durch Nox, das Land der Nacht. Hier gibt es blutrünstige Flederratten, sprechende Glühwürmchen und viele andere sagenumwobene Wesen. Zusammen mit dem Nachtling-Mädchen Issa erlebt Fill Abenteuer, von denen die Tagwelt nur träumen kann. Doch kann Fill Issa vertrauen? Und ist er den Gefahren von Nox gewachsen? Der Tag: hell, warm, sicher … vertraut. Die Nacht: unbekannt, geheimnisvoll, gefährlich … verboten! Band 1 einer fantastischen neuen Reihe ab 10 Jahren mit Schmökergarantie und bezaubernden Bildern von Lisa Forsch.

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Weitere Abenteuer in Nox
sind in Vorbereitung!
DAS
GEHEIMNIS
VON
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Claudia Scharf
Mit Bildern von
Lisa Forsch
Tag – die Welt
BORRE BRONKY
Fills ältester Sandkastenkumpel. Kennt
die besten Nox-Gruselgeschichten.
Eltern: Berno und Elka Bronky,
Wirtsleute im Gasthof Goldener Hahn.
HAGEN
Lehrer im Ruhestand,
Leiter des Vivariums.
Liebt alle Krabbel- und
Schleimtiere.
MISS MORTY
Lehrerin Tier- und Wesenkunde.
Zu ihr kommen Kinder, wenn sie
ein Problem haben.
SONNENPIXIE BODI
Ärgert gern den
Sonnenelfen aus dem
Brombeerhag.
RINYA HACK
Fies, gemein, schadenfroh. Kein
Wunder – ihr Vater ist genauso:
Rio Hack, Quaschelbauer,
größter Konkurrent von Glenn
Willekin.
LENIA LOBO
Superklug und Fills beste Freundin.
Mutter: Leonora Lobo, Ministerin im Parlament
der Taglinge. Vater: Tüftler. Selten anzutreffen.
DIE HEINZELMEISTERCHEN
So etwas wie die Hausmeister der Rundelschule.
Sie arbeiten nur im Verborgenen.
unter der Sonne
FILL WILLEKIN
Liebt Sonnenball und
Comics und
wenn was los ist.
Vater: Glenn Willekin,
Quaschelbauer in
21. Generation.
Mutter: lebt
nicht mehr.
Der Magische Dreirat
Die alte Buringel,
Mancox, der
Krallenfüßige, und das
Wesen Nummer 3 –
die magischen Drei,
mächtige Zauberer.
Nox – die Welt
GLYXI
Glühwurmmädchen mit Hang zum
Abenteuer. Spielt gern Verstecken.
ISSA ULLOSSO
Mutig und abenteuerlustig.
Die Tagwelt fasziniert sie.
KATER TATZ
Fills Kater. Schräg – denn
eigentlich sind Katzen
doch Nachtwesen …
unter dem Mond
XIPPE, EINE GEWITTERZIEGE
Wenn sie sich aufregt, zieht ein
Gewitter auf. Unberechenbar.
LUFF VOM BERG, EIN MAKIKOBOLD
Makikobolde sind die Postboten der Nachtlinge –
und Luff ein besonders netter.
.
Der Magische Dreirat
Er wacht über die Trennung
von Tag und Nacht.
INHALT
KAPITEL 1 Ein Sonnenelf hängt ab 13
KAPITEL 2 Der Kletterretter 21
KAPITEL 3 Bevor Nox erwacht 29
KAPITEL 4 Die Willekins versprechen was 38
KAPITEL 5 Der frühe Frosch quetscht die Quaschel 47
KAPITEL 6 Der magische Markt 57
KAPITEL 7 Quaschel-Gequatsche 66
KAPITEL 8 Einkaufsbummel mit Folgen 72
KAPITEL 9 Ein Pfannkuchen explodiert 83
KAPITEL 10 Draußen in Nox 95
KAPITEL 11 Der Magische Dreirat (mit Oktopus) 104
KAPITEL 12 Ein vernoxtes Referat 113
KAPITEL 13 Springschneckenalarm 122
KAPITEL 14 Bubobubo! 132

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KAPITEL 15 Das Geheimnis des Glühwürmchens 146
KAPITEL 16 Der flatschende Bücherklau 158
KAPITEL 17 Guten Morgen, Nox! 170
KAPITEL 18 Auf der Flucht 180
KAPITEL 19 Alles kacktus 190
KAPITEL 20 Ruhe und Sturm 202
KAPITEL 21 Ein Glühwürmchen mit Drehwurm 211
KAPITEL 22 Der magische Kamm 219
KAPITEL 23 Sonnenball 231
KAPITEL 24 Vollmondnox 237
KAPITEL 25 Angriff der Flederratten 245
KAPITEL 26 Karfunkelgefunkel 256
KAPITEL 27 Ziegenzähmen leicht gemacht 265
KAPITEL 28 Gewitternacht 272
Letztes Kapitel? 283
Epilog 290

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Halt dich fern von der Nacht,
für Taglinge ist der Tag gemacht.
So lautet die Regel.
Der Tag gehört den Taglingen,
Sonnenelfen, Schmetterlingen, Singvögeln
und vielen anderen Tagwesen.
Nach Sonnenuntergang jedoch erwacht Nox, das
Reich der glitzernden Sterne und funkelnden
Glühwürmchen, Heimat der Nachtlinge, der
Makikobolde, der Füchse und Igelinge und unzähliger
anderer Kreaturen der Dunkelheit.
Die Magischen, mächtige Zauberer, wachen über die
Trennung von Hell und Dunkel.
Kein Tagling betritt Nox, so
war das zu allen Zeiten.
Und dann kam Fill.
13
KAPITEL 1
Ein Sonnenelf
hängt ab
Wie die meisten Taglinge hatte auch Fill Willekin ein
sonniges Wesen. Ein duftender Schmalzkaffee zum Früh-
stück reichte schon, damit er gute Laune hatte, über sei-
ne Captain-Solex-Comics konnte er sich schlapp lachen
und wenn seine Mannschaft dann noch im Sonnenball ge-
wann, gab es wohl kaum einen glücklicheren Jungen unter
der Sonne.
Eine Sache allerdings konnte er nicht leiden: zu warten.
Und sie hockten jetzt schon ewig vor diesem kleinen Loch
in einem unscheinbaren Geröllhaufen! Fill stöhnte. „Be-
stimmt hat der längst einen anderen Ausgang gefunden!“
„Glaub ich nicht“, sagte Fills Kumpel Borre, ohne sich
einen Zentimeter zu rühren. „Der belauert uns.“
14
Lenia, Fills beste Freundin, schüttelte den Kopf und
strahlte. „Geduld, Jungs. Das wird das beste Referat aller
Zeiten!“ Aufgeregt hielt sie ihren geöffneten Rucksack vor
die winzige Höhle. „Feuer in Nox – und wir bringen einen
Feuersalamander mit! Ein echtes Nachtwesen! Das ist ja
wohl der Knaller!“
Wieder starrten Borre und Lenia auf das Gestein wie
eine Lauernatter auf den Kaninchenbau.
Fill sah sehnsüchtig zu den drei Pferden, die ein Stück
entfernt von ihnen grasten. „Ich dachte, wir machen einen
Ausritt! Wenn wir schon mal die Pferde haben …“ Die Tie-
re gehörten allen in Rundeling gemeinsam und es war gar
nicht so leicht, drei auf einmal zu ergattern.
Lenia und Borre antworteten nicht.
Fill riss der Geduldsfaden. „Hallo? Dieser Salamander
ist längst weg! Passt auf.“ Er beugte sich hinunter und
fasste mit der Hand zwischen die Steine. „Da, seht ihr …?
Waaaaaah!“
Eine Stichflamme loderte aus dem Loch hervor, ge-
folgt von einem heiseren Zischen. Fill quiekte auf und zog
eilig den Arm zurück. „ Aua, Mann! Das Biest hat mich
verbrannt!“ Er schüttelte seine Hand. „Leute, da ist ein
Feuersalamander drin!“
15
„Da war ein Feuersalamander drin!“, schimpfte Lenia,
während eine pechschwarze kleine Echse mit flammend
gelben Flecken ihre Chance ergriff und unter dem Geröll-
haufen verschwand. Borre sprang erschrocken zurück.
„Au!“, jaulte Fill. „Ich dachte, es ist nur eine Legende,
dass die Feuer spucken!“
„Von wegen!“, japste Borre und kletterte hastig auf die
schwarze Stute, die ihm am nächsten stand. „Wenn der
will, kann er uns alle in die Luft jagen! So sind Nachtwesen
nun mal! Los, hauen wir ab!“
„Ach Quatsch, der hat sich bedroht gefühlt.“ Lenia stand
auf. „Echt schade – aber ich geb zu, es ist wahrscheinlich
besser, das Tierchen nicht im Rucksack herumzutragen …“
Sie wandte sich an Fill. „Zeig mal die Hand … Man sieht
ja gar nichts.“
„Doch, schau?“, sagte Fill und drehte mit leidendem Ge-
sichtsausdruck seine Hand hin und her.
Lenia aber grübelte vor sich hin. „Meinst du, wir könn-
ten deine Katze zum Referat mitbringen?“, überlegte sie.
„Ich hätte so gern ein wildes Nachtwesen dabei!“
„Das gruselige Vieh? Auf gar keinen Fall!“, rief Borre.
Fill lachte. „Tatz ist der kuscheligste Kater, den es gibt!
Glaubt mir endlich: Der ist garantiert kein Nachtwesen.“
16
„Keine Chance! Wir nehmen keinen Kratzteufel mit“,
beharrte Borre. „Ich bin doch nicht bekloppt!“ Er schaute
den Hügel hinauf. „Hey, Leute! Ich hab eine Idee: Wer
zuletzt beim Steinkreis ist, macht das Referat allein! Viel
Spa-haß!“ Er schnalzte mit der Zunge und galoppierte los.
„Jiiiha!“, jubelte Lenia. Sie schwang sich auf einen schlan-
ken weißen Schimmel, jagte über eine kleine Steinmauer
und donnerte Borre hinterher. Schon war ihr dunkler Lo-
ckenkopf am Ende der Apfelbaumwiese verschwunden.
„He, was? Wartet!“, rief Fill verdutzt. „Das ist unfair!
Hey!“ Aber seine Freunde hatten sich endgültig aus dem
Staub gemacht.
Eilig zog Fill sich auf das verbliebene Pferd, eine äußerst
betagte Stute, die schon lange im Ruhestand war. „Komm,
Berta, denen zeigen wir's!“ Er gab etwas Druck in die
Schenkel und versuchte, sie anzutreiben. „Los, du schaffst
das!“ Ach Mann! Wie sollte so eine gemütliche Omi gegen
diese langbeinigen Angeber ankommen?
Zu Fills Überraschung verfiel Berta jedoch tatsächlich
in so etwas wie einen Trott. Sie sah nach links und rechts,
sichtlich stolz auf ihren Sprint. „Ja! Gut!“, feuerte Fill sie
an und duckte sich tiefer. „Super, Mädchen, weiter!“ Jetzt
trabte sie schon fast!
17
Und dann kam die Mauer.
Das Pferd blieb verwirrt stehen – und bückte sich zufrie-
den nach ein paar Gänseblümchen.
Fill seufzte. Für einen Moment dachte er darüber nach,
ob er nicht zu Fuß schneller wäre.
Er blinzelte gegen die Nachmittagssonne. Vor ihm er-
streckten sich die sanften Hügel des Wildrosentals, zu
seiner Linken lag der lichte Rundelwald. Dazwischen
schlängelte sich das glitzernde Wasser der Ooka, in die-
sem Teil des Tals eher ein Bächlein als ein Fluss. Ein ausge-
tretener Uferweg führte über die Hügel des Tals in einem
großen Bogen zum alten Steinkreis.
Und auf einmal hatte Fill eine Idee: Sie brauchten eine
Abkürzung!
„Berta, hör zu: Geometriestunde.“ Die Stute hob kau-
end den Kopf. „Die kürzeste Verbindung zwischen zwei
Punkten ist die Gerade“, sprach Fill weiter – seine Sonnen-
techniklehrerin Professorin Parnickel wäre stolz auf ihn.
Berta hingegen rupfte unbeeindruckt ein weiteres Gänse-
blümchen.
„Das heißt: Wir überqueren den Fluss, reiten quer durch
den Wald und sparen uns die ganze Biegung. Dann sind
wir vor den anderen da!“
18
Berta schnaubte. Fill seufzte und zog bedauernd seinen
letzten Trumpf: „Du kriegst auch meinen Erdbeerapfel.“
Berta schaute auf. Sie liebte Erdbeeräpfel! Damit war
die Sache klar. Gelassen ließ sich die Stute hinunter zum
Ufer lenken und durchschritt das seichte Wasser. Auf der
anderen Flussseite blieb sie stehen und hob den Kopf.
Auch Fill lauschte. Ein Frühlingslüftchen wehte durch
den lichten Hain und ließ die Blätter der Pappeln rascheln.
Ein Kuckuck grüßte. Ein Ast knarzte.
Fill zögerte. Er war nicht oft im Wald. Niemand war oft
im Wald, es war einfach kein Ort, an den ein Tagling frei-
willig ging. Schon gar nicht allein. Zu düster …
„Jetzt reiß dich zusammen“, sagte sich Fill. Nichts –
nichts! – war so düster wie die Vorstellung, ganz allein die-
ses verflixte Referat auszuarbeiten! „Dann mal los, altes
Mädchen“, sagte er und Berta setzte ihre Zottelhufe voran.
Und sie tauchten in den Schatten unter den Bäumen
ein.
Fill spürte die veränderte, feuchte Luft auf der Haut so-
fort. Der wilde, würzige Duft von Bärlauch stieg ihm in
die Nase und unwillkürlich hielt er die Luft an. Berta aber
spazierte äußerst zufrieden durch die gelben Kissen aus
Scharbockskraut. Kein Wunder, sie war ein Waldpferd
19
und hatte in ihren besten Jahren so manchen mächtigen
Eichenstamm aus dem Forst gezogen.
Neben ihnen murmelte die Ooka. Die Sonne fand ihren
Weg durch das zartgrüne Laub und sprenkelte den Bo-
den mit hellen Tupfen. Ein leuchtend gelber Pirol flatterte
in Richtung Fluss davon. Überall um sie herum schienen
Vögel ihre Frühlingslieder anzustimmen. Allmählich ent-
spannte sich Fill. Das würde Lenia gefallen, sie liebte Vo-
gelgezwitscher … Mit einem sanften Schnalzen trieb er
Berta an und ihre schweren Hufe bewegten sich dumpf
über den weichen Waldboden.
„Ha!“, stieß Fill aus, als die alte Scheune auf der anderen
Seite des Flusses in Sicht kam. „Berta, wir sind fast da!“
Er freute sich schon auf Borres Gesicht, wenn der völlig
außer Atem auf den Steinkreis zudonnerte, Fill ihn dort
aber extra gelangweilt erwartete …
Grinsend drückte sich Fill enger an Bertas duftendes
Fell. „Du bist einfach die Beste!“, sagte er gerade stolz, als
er aus dem Augenwinkel etwas Merkwürdiges wahrnahm.
Ein rot getupfter Vogel? Hatte er in Tier- und Wesenkun-
de mal wieder gepennt?
Fill hob den Kopf – und wäre beinahe vom Pferderü-
cken gekippt: Hoch oben in einer knorrigen Eiche hing ein
20
Sonnenpixie. Weißblondes Haar,
durchscheinende Haut, spitze
Ohren – er sah genauso aus
wie in Fills Schulbuch. Also
fast genauso: Im Buch stand
das elfenartige Wesen mit
feierlichem Gesichtsausdruck
auf einem Goldmooshügel und
ließ sich von der Sonne erleuchten.
Dieser Pixie hier jedoch baumelte kopfüber an einem ver-
zwirbelten Ast, gehalten nur durch eine Unterhose mit
grellroten Punkten. Und feierlich schaute er nicht gerade
drein.
Schon war Berta vorbeigetrabt. „Brrrrrr“, machte Fill
eilig, „warte mal kurz.“ Er wendete das Pferd und sah nach
oben. „Ist alles in Ordnung?“, rief er unsicher.
Der Elf sagte einen Moment lang gar nichts, dann ver-
zog er das Gesicht zu einem allersonnigsten Sonnenpixie-
Lächeln und antwortete: „Ja, danke, mir geht's bestens!“
„Sieht ein bisschen gefährlich aus“, sagte Fill vorsichtig.
„Kann ich dir helfen?“
Im selben Moment knirschte es, der Ast gab nach und
der Elf sauste nach unten.
21
KAPITEL 2
Der Kletterretter
„Waaah!“ Der Pixie baumelte nun über dem sprudelnden
Fluss. „Okay, Tagling, denk mal scharf nach: Ich hänge
hier fest, mit dem Kopf nach unten wie eine verflixte Fle-
derratte, und gleich kracht dieser vermoderte Ast durch
und ich …“, er kniff seine Augen fest zusammen, „… hasse!
Wasser!“ Er öffnete ein Auge und blickte prüfend nach un-
ten. „Kommt dein verlaustes Köpfchen so weit mit?“
Bitte was? Fill blieb die Spucke weg. Wer auch immer
diesen unverschämten Wicht im Baum aufgehängt hat-
te – gut gemacht! „War nett, dich kennenzulernen“, sagte
er, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. „Ich muss
dann mal wieder, schönen Tag. Berta – gib Gas.“
„He, stopp!“ Die Stimme des Kleinen klang auf einmal
flehend. „Tut mir leid, ich … Hach, ich hab halt heute ei-
nen richtigen Düstertag. Bitte, hilf mir! Bitte!“
22
Fill knurrte nur, statt zu antworten, aber insgeheim war
er mehr als aufgeregt. Klar, der Kleine hatte eine große
Klappe, aber: Hallo? Einen echten Sonnenpixie retten –
wie cool war das denn bitte? Und ohne weiter zu überle-
gen, rief er: „Okay, warte, ich komme hoch!“
„Ja, ist gut, ich warte“, hörte Fill, gefolgt von einem lei-
sen Gebrummel.
Die Eiche hatte ausladende knorrige Äste, die in alle
Richtungen ragten, ihre Rinde tiefe Furchen, die man
leicht greifen konnte – sie war der perfekte Kletterbaum.
Fill sprang auf die breiten Queräste, zog sich hoch und
im Nu war er weit oben angelangt. „Hi, ich bin Fill, mega
Aussicht hast du!“ Er grinste.
„Ja, hier kann man spitze abhängen“, entgegnete der Pi-
xie. „Und wie geht's jetzt weiter?“
Gute Frage. Bis „weiter“ reichte Fills Plan noch nicht.
Er schaute den Ast entlang, der vor ihm über den Fluss
ragte und an dessen Ende der Sonnenpixie hing wie eine
überreife Quaschelfrucht. Ob Fill einfach zu ihm klettern
konnte? Keine gute Idee, der Ast war schon ein gutes
Stück vom Stamm weggebrochen. Von unten wieherte
Berta. Sie klang irgendwie besorgt. „Ist gut, Berta, ich hab
alles im Griff!“, rief Fill zu ihr hinunter.
23
Der Pixie gab ein unverständliches Geräusch von sich.
Seine nackten Füßchen baumelten im Wind.
„Wo sind eigentlich deine Klamotten?“, wunderte sich
Fill.
Der kleine Elf seufzte. „Liebster Tagling, ich erzähl dir
gern alles über meine Klamotten, meine Hobbys und mei-
ne Urgroßtante Aoriguahnie, aber …“
„Gleich, mir kommt da eine Idee!“, rief Fill. Er setzte
sich in eine breite Astgabel und zog einen Turnschuh aus.
Dann entfädelte er den leuchtend blauen Schnürsenkel.
Es waren keine gewöhnlichen Schnürsenkel – sein Vater
hatte sie Fill im Winter auf dem magischen Markt gekauft,
weil er sie so praktisch fand. Es waren Endlos-Senkel, im-
mer so lang, wie man sie gerade brauchte. Fill war nicht
besonders begeistert gewesen – bis zu diesem Moment!
„Ziehst du dich jetzt aus?“, fragte der Sonnenpixie miss-
trauisch.
„Quatsch, ich hab einen Plan!“, rief Fill stolz. Er streifte
den anderen Turnschuh und die Socken ab und ließ alles
nach unten plumpsen. Barfuß konnte er ohnehin besser
klettern – eine Etage ging es nämlich noch in die Höhe.
Genau über dem Elfen ragte ein weiterer Ast in die
Luft. Auf diesen legte sich Fill nun bäuchlings, klammerte
24
sich mit den Beinen fest und schob sich vorsichtig nach
vorne. Den Endlossenkel hielt er fest in der Hand. Wie
eine Schlange schlängelte er sich voran. Uff. Ganz schön
tief, wenn man so nach unten guckte. Ast um Ast um Ast
verzweigte sich zu einem endlosen Muster und darunter
schäumte weißes Wasser … Für einen Augenblick wurde
Fill schwummrig im Kopf. Er biss sich auf die Lippen und
richtete den Blick wieder nach vorn. Noch ein kleines
Stück, dann war er über dem Sonnenpixie angekommen.
„Okay, pass auf “, sagte Fill. „Ich lass jetzt ein Seil herun-
ter. Du greifst es und dann zieh ich dich rauf.“
Der Pixie wimmerte gequält. „Du meinst, ich schaukele
in der Luft?“
„Du schaffst das“, ermutigte Fill ihn. Er ließ den Schnür-
senkel hinab. Das Band wurde länger und länger und tanz-
te schließlich vor dem Gesicht des Elfen wie eine leckere
Fliege vor einem Frosch. „Los, pack das Seil!“
„Das ist kein Seil, das ist ein Schnürsenkel!“, jammerte
der Pixie.
„Der hält“, versicherte Fill und hoffte inständig, dass das
auch stimmte.
Zack. „Hab ihn“, sagte der Elf und seine Stimme war
nicht mehr als ein verzagtes Piepsen.
25
„Gut, dann hol ich dich hoch!“, rief Fill. Er zog den
Schnürsenkel nach oben und –
„Haaah!“
„Waaah!“
Um ein Haar wäre Fill vom Ast gerollt. Er wickelte sich
den Schnürsenkel fest um die Finger. „Nix passiert, hab
dich!“
„Also ich hänge immer noch hier!“, piepste der Pixie.
„Nur jetzt nach oben.“
Fill schaute vorsichtig hinab. Tatsächlich, die Boxershorts
des Elfen hatten sich im Ast verfangen, der Schnürsenkel
aber zog ihn an den Armen in die Höhe.
„Warte, ich ruckel ein bisschen“, sagte Fill. „Du musst
dich so rauswiggeln.“
Der Pixie wirkte den Tränen nah. „Ich weiß nicht, was
‚rauswiggeln‘ sein soll, und ich will das auch nicht machen.
Ich fall doch runter!“
„Du schaffst das“, beschwor ihn Fill noch einmal. „Los,
wiggeln!“
Der Pixie zappelte hin und her und auch Fill zog und
wackelte mit dem Schnürsenkel herum – und auf einmal
war der Elf frei! Durch den plötzlichen Ruck schwang das
Seil vor und zurück, das kleine Kerlchen klammerte sich
26
heulend daran fest, sein blanker Popo glänzte in der Son-
ne. „Mamaaa!“, winselte es mit zugekniffenen Augen.
„Du hast es geschafft! Gut festhalten!“, rief Fill. Stolz
hielt er die Schnur mit dem Sonnenelfen dran wie ein Fi-
scher seine Angel, rollte sie ein Stück ein und rutschte zu-
frieden zurück zur sicheren Astgabel. „Na bitte.“
„Auaaa!“
„Ups, Entschuldigung!“ Fill hatte den Pixie versehent-
lich gegen den Baumstamm schwingen lassen. „Warte, ich
zieh dich hoch.“ Eilig holte Fill die Schnur ein.
Der Sonnenpixie war ein einziges Häuflein Elend. Seine
hellblonden Haare standen in alle Richtungen ab. An sei-
nem Kopf wuchs eine abenteuerliche Beule und erschöpft
hielt er sich die Händchen vor den splitterfasernackten
kleinen Leib. „Ich will einfach nur noch hier runter.“
***
Fill hatte gedacht, er wäre ein schneller Kletterer – doch
das war nichts im Vergleich zu dem kleinen Sonnenelfen.
In Windeseile war er die Eiche hinabgehuscht, flinker als
jedes Eichhörnchen.
Während Fill noch den Weg suchte, hopste der Pixie
schon hin und her und flocht sich eilig aus ein paar Blät-
27
tern ein kleines Röckchen. „Dieser vernoxte, verzeckte
Dämon von einem Elfen!“, schimpfte er dabei vor sich hin.
„Dem werde ich's heimzahlen!“
„Von wem sprichst du?“ Fill landete mit einem Sprung
weich auf dem Boden. Berta gab ihm zur Begrüßung ei-
nen sanften Stups.
„Ach, so ein Elf aus dem Brombeerhag! Gegen diesen
Dummelfen ist jeder Tagling ein Genie …“, der Sonnenelf
hielt kurz inne, „… nichts für ungut.“ Er befestigte das letz-
te Blatt. „Hat der mich einfach so an die Eiche gehängt!
Das wird er noch bereuen!“
„Einfach so?“, wunderte sich Fill. Er bückte sich nach
seinen Schuhen und Socken und Berta stupste ihn erneut.
„Ja, der versteht keinen Spaß. Ich hatte mir einen
kleinen Witz … Ach egal.“ Der Tagelf wickelte sich den
Schnürsenkel, der jetzt winzig klein war, vom Handgelenk
und reichte ihn Fill. „Hier, bitte.“
Fill fädelte ihn wieder ein. „So, fertig.“ Fröhlich sprang
er auf die Beine – und erhielt den nächsten Pferdeschub-
ser. „Was hast du denn, Berta?“
„Danke“, sagte der Pixie leise, „dass du mir geholfen
hast. Ich würde dir gern was schenken, aber …“ Er zeigte
bedauernd seine leeren Hände.
28
„Ach Quatsch.“ Fill lächelte. „Hab ich gern gemacht.
Was glaubst du, was die anderen sagen, wenn sie hören …
Oh nein!“ Fill schlug sich die Hand vor den Mund. „Ich
Mondschaf! Ich muss los! Meine Freunde warten!“
Berta schien beinahe aufzuatmen. Sie hörte auf, Fill zu
bedrängen, und wartete, dass er sich auf ihren Rücken
schwang. Interessiert sah der Sonnenelf zu. „Wie heißt du
denn eigentlich?“, fragte Fill von oben.
„Boudibiua Moireasdanach.“ Der Pixie verneigte sich
fast unmerklich. Dann grinste er. „ Aber du, Tagling mit
den goldenen Augen – Fill, darfst mich auch Piepsipups
nennen. Oder einfach Bodi! Schönen Tag!“ Er drehte sich
um, schlüpfte in einen üppigen Walderdbeerbusch und
war im nächsten Moment verschwunden.
29
KAPITEL 3
Bevor Nox erwacht
Als Fill auf den alten Steinkreis zugaloppierte, stutzte er.
Lenia war allein. Wo war Borre? Erst im zweiten Moment
fiel ihm noch etwas anderes auf: Die Sonne, die die Felsen
dramatisch von hinten erleuchtete, stand schon tief.
Sehr tief.
„Fill!“ Lenias Stimme überschlug sich beinahe. „Da bist
du ja endlich! Komm, wir müssen los!“
Erschrocken merkte Fill, dass seine beste Freundin ge-
weint hatte. „Hey, was ist denn passiert?“
„Was passiert ist?“, wiederholte Lenia heftig. „Du bist
einfach verschwunden, das ist passiert!“ Sie brüllte fast.
„Ich dachte, die Raboisen hätten dich geholt!“ Wütend
funkelte sie ihn an.
„Oje“, sagte Fill ehrlich zerknirscht. Er hatte Lenia
noch nie so sauer gesehen. „Das tut mir leid, Lenny. Aber
30
jetzt müssen wir schnell nach Hause, bevor Nox erwacht!
Schau, die Sonne geht bald unter!“
Lenia lachte auf. „Ach, sag bloß! Fill Willekin, du bist
echt unglaublich. – Komm, Balinor.“ Lenias Schimmel
setzte sich in Bewegung und die beiden Freunde galop-
pierten den Hügel hinab. Erleichtert nahm Fill wahr, wie
gut Berta mithielt; anscheinend hatte die Waldluft sie ge-
stärkt. „Und wo ist Borre?“, rief er Lenia zu.
Seine Freundin sah ihn verlegen an und wandte dann
den Blick schnell ab. „Er hat auch mit gewartet … also
kurz. Aber … ach, er dachte, vielleicht bist du schon nach
Hause geritten wegen der Sonnentiefe. Und du weißt, be-
vor wir uns noch in Nox verirren …“
Fill nickte. „Klar, da ist er lieber los …“ Doch ein Teil
von ihm war ein wenig enttäuscht. Da hatte sein bester
Kumpel ihn einfach im Stich gelassen? Dankbar lächelte
er Lenia an. Wenigstens sie hatte gewartet.
„Was war denn jetzt eigentlich?“, rief sie.
Ein Strahlen huschte über Fills Gesicht. „Na ja, ich hab
einen Sonnenelfen getroffen – also ihm quasi das Leben
gerettet!“
Für einen Moment vergaß Lenia ihren wilden Ritt.
„Wirklich? Wow! Und wo?“
31
Fill grinste. „Ich war im Wald.“ Lenia riss erschrocken
den Kopf herum und Fill redete schnell weiter: „Ja, ich
weiß“, sagte er beschwichtigend, „ich wollte halt abkür-
zen. Und plötzlich war da Bodi, ein waschechter Sonnen-
elf. Er wäre beinahe von einer Eiche abgestürzt – wenn ich
ihn nicht gerettet hätte.“ Hach, das klang echt gut. „Du
hättest ihn sehen sollen“, Fill kicherte, „er hatte nur seine
Unterhos…“
Ein heiseres Kreischen drang durch die Luft. Fill ver-
stummte. Lenias Augen weiteten sich und sie versuchte,
Balinor zu beruhigen, der vor Schreck gestolpert war.
„Was war das?“, brachte Fill hervor.
Lenia, die so ziemlich jeden Vogelpieps bestimmen
konnte, lachte hysterisch. „Das dürften Glutkrähen sein.
Man nennt sie auch ‚die Hähne von Nox‘, weil sie die
Nacht ankündigen.“ Sie atmete tief durch. „Fill, vernoxt,
was machen wir jetzt? Wir schaffen den Rückweg nicht
mehr bei Tag.“
Fill schluckte. Seine Freundin hatte recht. Rundeling lag
noch in weiter Ferne. „Mein Vater dreht durch“, murmel-
te er. „Der tickt doch immer komplett aus, wenn es um
Nox geht …“
Lenia schnaubte nur. Garantiert dachte sie an ihre Mut-