Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Lesja Ukrajinka (1871 - 1913) gehört zu den bedeutendsten Gestalten der ukrainischen Literatur. Ihr dichterisches Werk wird dem Neoklassizismus zugeordnet, doch gerade in der Lyrik finden sich auch romantische Züge. Die volle Bandbreite ihres Schaffens reicht von einfühlsamer Lyrik bis zu den epischen und dramatischen Poemen, in denen sie politische, religiöse und historische Themen behandelt. Die vorliegende Ausgabe enthält eine Abhandlung über die Dichterin und ihr Werk, sowie einige Originaltexte in Ukrainisch mit deutscher Übersetzung. Es sind folgende Werke: "Robert Bruce, König der Schotten" - ein episches Poem über den Kampf des schottischen Volkes um seine Freiheit. Das "Triptychon" - in jedem der drei Teile wird ein besonderer Moment dargestellt, in dem durch ein Wunder den Menschen neue Kräfte verliehen werden: 1. "Was gibt uns Kraft" - ein Apokryph über den Kreuzweg Christi und den Schreiner, der das Kreuz gezimmert hat. 2. "Das Wunder des Orpheus" - eine Legende über drei Brüder, die mit dem Errichten einer Stadtmauer beschäftigt sind. 3. "Das Märchen vom Riesen" - über einen schlafenden Riesen als Parabel auf Lesja Ukrajinkas Heimatland. Den Abschluss bildet das dramatische Poem "Der Advokat Martian" - über einen angesehenen Anwalt im Zwiespalt zwischen seinem christlichen Glauben, den er im Verborgenen ausübt, und seinem Pflichtgefühl als Advokat, vor dem Hintergrund des gefahrvollen Lebens der frühen Christen im Neapel des 3. Jahrhunderts n. Chr.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 189
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Lesja Ukrajinka – die begnadete Dichterin von Irena Katschaniuk-Spiech
Robert Bruce, König der Schotten
Triptychon I: Was gibt uns Kraft
Triptychon II: Das Wunder des Orpheus
Triptychon III: Das Märchen vom Riesen
Der Advokat Martian
Bibliographische Angaben
Gestellt in diese Zeit, gelöst zuweilen,
Leben wir sie, die in uns weint und schreit,
Verwundet Herzen und hilft Wunden heilen,
Die selige und doch glücklose Zeit!
Wer Sehnsucht spürt Gedanken zu ergründen,
Steige hinab ins Dunkel seiner Zeit,
In der sich Schmerz und Opferglück verbinden,
Der Todesfluch und Kampfesseligkeit!
Sie führt in der Apokalypse Wesen,
Der Hungersnot und Kriege nicht genug,
Beraubt vom Wissen um das Gut und Böse,
Um Tod und Leben, Wahrheit und Betrug!
Und dennoch! Als Entgegnung auf die Fragen,
Erstellt aus Hass, Zerstörung und Gewalt,
Tragen Gelehrte ihres Geistes Gaben,
Als kostbares Geschenk, auf den Altar der Zeit.
Wolodymyr Janiw
In diesem Gedicht1 befasst sich Wolodymyr Janiw, der frühere Rektor der Ukrainischen Freien Universität in München, mit dem Phänomen Zeit. Seine Worte beziehen sich nicht nur auf Gelehrte, sondern auch auf alle geistig Schaffenden – Dichter, Denker und Künstler, die ihres Geistes Gaben auf den Altar der Zeit niederlegen, indem sie Werte schaffen, die sie überleben.
Die Ukrainer in der ganzen Welt begehen in diesem Jahr den 150. Geburtstag einer Dichterin, die wie ein heller Stern auf dem literarischen Himmel der Ukraine aufgestiegen ist und ein Werk hinterlassen hat, das die Menschen jeden Alters und jeder Nation in gleicher Weise anspricht. Die vorliegende Ausgabe in deutscher Nachdichtung möchte diese begnadete Dichterin allen Lesern vorstellen, welche Freundschaft für die Ukraine empfinden und die Literatur dieses Landes kennenlernen möchten. Lesja Ukrajinka war vielseitig interessiert und hat das literarische Leben in der Ukraine entscheidend geprägt. Sie war auch eine talentierte Übersetzerin und die Ukraine verdankt ihr eine Reihe von Übersetzungen fremdsprachiger Literatur ins Ukrainische, so M. Gogol, A. Mickiewicz, H. Heine, V. Hugo, Homer u.v.a. Mit 19 Jahren schrieb sie für ihre Geschwister ein Lehrbuch: „Die alte Geschichte der östlichen Völker“, das 1918 gedruckt wurde. Doch ihre besondere Stärke war die Poesie. Ihre Gedichte sind in einer ausgesucht schönen Sprache geschrieben und können den Menschen Mut, Hoffnung und Selbstvertrauen vermitteln. Lesja Ukrajinka ist in einem Land aufgewachsen, das unter der Fremdherrschaft stand und das nicht zu der freien Völkerfamilie Europas gehörte, sondern um die Freiheit und um seine Anerkennung kämpfte. Sie hat gesehen, wie die Welt um sie herum sich veränderte, wie die Frauen Mut bekamen, für ihre Rechte einzustehen. Eben vor diesem Hintergrund sind ihre starken Verse entstanden.
Die Persönlichkeit von Lesja Ukrajinka
Ein unscheinbares Mädchen von zierlicher Gestalt, so wird Lesja von Zeitgenossen beschrieben. Laryssa Kossatsch wurde am 13. Februar 1871 in Wolhynien, in Novhorod-Wolynskyj geboren, als Tochter von Petro Kossatsch, einem Juristen und Universitätsdozenten, und Olha Drahomaniw-Kossatsch, einer Schriftstellerin, die in der ukrainischen Literatur unter dem Pseudonym Olena Ptschilka berühmt geworden ist. Lesja Ukrajinka ist also in eine alte intellektuelle Familie hineingeboren worden, hatte somit von Anfang an Zugang zur hohen Bildung, konnte in der umfangreichen Bibliothek ihres Onkels Mychajlo Drahomaniw die wichtigsten Schriften der Weltliteratur lesen und hatte die Möglichkeit Kontakte zu angesehenen Persönlichkeiten von Wissenschaft, Kultur und Literatur zu pflegen. Auf den ersten Blick ein gesegnetes Leben, das jedoch von einem unerbittlichem Schicksalsschlag überschattet wurde – seit dem Alter von 11 Jahren litt sie an einer unheilbaren Krankheit, der Knochentuberkulose, die unzählige Krankenhausaufenthalte, Operationen und Kuraufenthalte in warmen Ländern zur Folge hatte. Der Krankheit wegen konnte Lesja keinen geregelten Schulbesuch erfahren, unbeschwerte Spiele mit Freunden fielen ihr schwer, so dass sie oft als Kind allein und einsam war. Zum Glück hatte sie ihre Geschwister, den ältesten Bruder Mychajlo, mit dem sie ein ganz besonders inniges Verhältnis während ihres gesamten Lebens verband, die zweite war Lesja, danach kam Olha, dann Oksana, Mykola und Isidora. Zusammen mit ihrem Bruder Mychajlo hat sie Privatunterricht bekommen, lernte moderne Sprachen, unter anderem Deutsch, Französisch, Italienisch, und auch klassische Sprachen wie Griechisch und Latein. Dank ihrer Kenntnis der Fremdsprachen stand für sie „ein ganzes Meer von Weltdichtung offen“, wie sie in einem Brief an Ahatanhel Krymskyj schreibt. 1907 heiratete Lesja den Ethnographen Klymentij Kvitka, der auch Lieder mit ihrer Stimme auf Band aufgenommen hatte. Lesja pflegte persönliche Kontakte zu Wissenschaftlern und Schriftstellern, die ihr Halt und Ansporn gaben; ganz besonders eng war ihre Beziehung zu Iwan Franko und Olha Kobyljanska.
Trotz ärztlicher Bemühungen wurde sie immer schwächer, bis die Krankheit sie schließlich am 19. Juli 1913 im Alter von nur 42 Jahren dahinraffte. Lesja Ukrajinka verstarb in Georgien, in Surami, wo sie zur Kur weilte. Ihre sterblichen Überreste wurden nach Kyjiv überführt, und sie wurde auf dem Bajkove Friedhof beigesetzt – in Anwesenheit einer unzähligen Menschenmenge, aber auch mit einem riesigen Polizeiaufgebot, um eine pro-ukrainische Demonstration zu verhindern.
Lesja Ukrajinka verfasste lyrische Gedichte und epische Poeme, in späteren Jahren schrieb sie bevorzugt dramatische Poeme, deren Inhalt sie oft aus der Antike, der biblischen Geschichte, und ebenso von anderen Ländern und aus verschiedenen Epochen entnommen hatte. Das Werk von Lesja Ukrajinka wird dem Neoklassizismus zugeordnet, doch gerade in der Lyrik der frühen Jahre finden sich sehr viele romantische Züge.
Die Lyrik von Lesja Ukrajinka
Unvergleichlich ist Lesja Ukrajinka als Dichterin lyrischer Verse, die sie jedoch nicht ausschließlich um des Dichtens willen schreibt, l'art pour l'art, sondern ihrem inneren Bedürfnis folgt, das auszusagen, was ihr besonders am Herzen liegt. So schreibt sie sich von der Seele alles, was sie bewegt.
Ihre Mutter, Olena Ptschilka, hat sehr früh die Begabung ihrer Tochter erkannt, sie in jeder Hinsicht unterstützt und gefördert, und unter dem Einfluss ihres Bruders Mychajlo Drahomaniw, ihr bereits bei der Veröffentlichung des ersten Gedichtes, Hoffnung, das Lesja im Alter von 9 Jahren schrieb, das literarische Pseudonym Lesja Ukrajinka gegeben, unter dem sie Weltruhm erlangte. Dieses kleine Gedicht der Neunjährigen lässt erahnen, dass wir es hier mit einem besonderen und überdurchschnittlichen Talent zu tun haben. Denken wir da nicht an den kleinen Mozart, dessen Talent sich ebenso früh offenbart hatte und der ebenso vorzeitig aus dem Leben schied?
Beim Lesen der Lyrik von Lesja Ukrajinka kristallisieren sich einzelne Gedanken und Ideen heraus, die immer wieder zurückkehren und oft in einem einzelnen Gedicht ineinander verwoben sind. Es sind: die Hoffnung, der Kampf, die Natur und die Musik.
Die Hoffnung
Den höchsten Stellenwert hat für Lesja Ukrajinka die Hoffnung. Es kommt nicht von ungefähr, dass sogar das erste Gedicht dieses Kindes den Titel Hoffnung trägt. Zeitlebens kämpfte Lesja Ukrajinka darum, nicht in die Hoffnungslosigkeit zu verfallen; die unheilbare Krankheit, die sie seit ihrer Kindheit in sich trug und die ihr oft unsägliche Schmerzen bereitete, ließ sich nur mit Hilfe eines unbeugsamen Willens und einer starken Hoffnung ertragen: der Hoffnung, trotz Schwäche, Leid und Schmerz ihrem Leben einen Sinn zu geben. Bezeichnend ist schon der Titel eines ihrer bekanntesten Gedichte, das sie mit 19 Jahren schrieb: „Entgegen aller Hoffnung hoffe ich“.
Contra spem spero2
Fort, ihr Grillen, ihr Wolken im Herbste!
Zieht doch goldener Frühling ins Land!
Soll in Trauer und bitterem Schmerze
Meine Jugend entfliehen, verbannt?
Nein, mit Tränen im Aug’ will ich lachen,
Im Schmerz singen ein fröhliches Lied,
Ohne Hoffnung will hoffen und wachen,
Leben will ich! Fort, trübes Gemüt!
Auf dem öden, verlass’nen Gefilde
Pflanz’ ich Blumen, so herrlich und bunt,
Pflanze Blumen im Frost und im Winde
Und begieße mit Tränen den Grund!
Und vielleicht wird die eisige Kruste
Durch die Glut meiner Tränen erweicht
Und Blumen, die zu pflanzen ich wusste
Werden sprießen, und Frühling erscheint.
Hoch hinauf auf den Berg will ich steigen,
Werde tragen die mühsame Last,
Und gedrückt von der Bürde, nicht schweigen,
Sondern singen ein Lied ohne Rast.
In den dunklen und endlosen Nächten
Darf mein Aug’ sich nicht schließen zur Ruh,
Suchen soll es den nächtlichen Wächter,
Den hell leuchtenden Stern der Natur.
Ja, mit Tränen im Aug’ will ich lachen,
Im Schmerz singen ein fröhliches Lied,
Ohne Hoffnung will hoffen und wachen,
Leben werd’ ich! Fort, trübes Gemüt!
Sie bezieht all diese Gedanken auf ihre Person, auf ihr eigenes Leben. Anfangs gibt sie ihre bittere hoffnungslose Lage zu, es ist ihr zum Weinen zumute, doch sie fasst sich sofort, und während ihr noch die Tränen in den Augen stehen, zwingt sie sich zu lachen und verjagt die bitteren schwermütigen Gedanken. Anfangs schreit sie nach Leben: „leben will ich!“, doch dann, nach all den Anstrengungen stellt sie fest: „leben werd' ich!“ Lesja Ukrajinka war ein stolzer charakterfester Mensch, der keinerlei Schwäche zulassen wollte.
Als blasses Mädchen von dünner, schmächtiger Gestalt, hat sie mit Sicherheit mitleidige Blicke auf sich gezogen, doch Mitleid war genau das, was sie um jeden Preis vermeiden wollte. In dem Maße, wie ihre physische Kraft schwand, wuchs ihre geistige Stärke. Sie arbeitete daran – nicht um ihre Schwäche zu verbergen, sondern um sie zu überwinden und sogar um aus ihr neue Kräfte zu schöpfen. Neue Kräfte, um für den Kampf gewappnet zu sein.
Der Kampf
Das gesamte Leben von Lesja Ukrajinka ist ein einziger Kampf gewesen, und zwar an allen Fronten gleichzeitig. Zunächst war es der Kampf um ihr Leben gegen ihren mächtigsten Feind, die Krankheit. Bis zum letzten Tag, bis zur letzten Minute, wollte sie sich nicht unterkriegen lassen. In unzähligen Briefen besonders an ihre Schwester Olha gibt sie davon Zeugnis. Sie liebte das Leben, sie wollte dem Leben immer die schönen Seiten abgewinnen, und „entgegen aller Hoffnung“ hoffte sie noch eine ganze Weile leben zu können. Sie begab sich in ärztliche Behandlung, sie zwang sich zu essen, obgleich ihr danach schlecht wurde und sie Magenschmerzen bekam, aber – wie sie sagte – sie brauchte die Kraft, um noch ihre Pläne verwirklichen zu können. Und immer wieder ein Hoffnungsschimmer. Und so bis zuletzt. Diesen Kampf hat sie letztendlich verloren.
Doch sie kämpfte einen anderen Kampf, mit der Waffe der Feder, mit der Waffe des Wortes, und den hat sie gewonnen – wie die letzte Zeile in Contra spem spero beweist: „leben werd’ ich!“ Ihre stärkste Waffe war das Wort, mit dem sie jeden Kampf gewonnen hat. Sie wusste, mit ihrem Wort wird sie die Menschen ansprechen können, sie wird sie anleiten, ihnen Hoffnung und Zuversicht geben, und in diesem Wort wird sie auch über ihren Tod hinaus leben. Obgleich der physischen Kraft beraubt, sind ihre Schriften von so viel Energie durchdrungen, dass der Schriftsteller Iwan Franko sich zu der Bemerkung hinreißen ließ: „Seit Taras Schevtschenko ... hat die Ukraine keine solch starken, heißen und poetischen Worte gehört, wie aus dem Munde dieses schwachen kranken Mädchens“. Unzählige Gedichte zeugen von ihrer inneren Willenskraft und Charakterstärke.
Wort, warum bist du nicht harter Granit,3
Der im Kampfe zu sprühenden Funken erglüht?
Warum bist du nicht scharfes, gewaltiges Schwert,
Das vernichtend die Reihen der Feinde durchquert?
Du, meine harte aufrichtige Sprache,
Dich zum Kampfe zu zücken ich bereitwillig wache,
Doch wird dabei stets nur mein Herzensblut fließen,
Der Feinde Blut wirst du niemals vergießen...
Neue Waffen zu schärfen bin ich allzeit bereit,
Solange mir Kraft und Begabung noch reicht,
Doch ohnmächtig muss ich sie lassen im Stich,
Andern zur Freude, zur Trauer für mich.
Wort, dich allein will als Waffe ich wahren,
Wir zwei dürfen niemals Vernichtung erfahren!
Vielleicht wirst als Waffe in stärkerer Hand
Du ein besserer Schutz für mein leidendes Land.
Dröhnende Rufe die Festung umspannen,
Zitternd sinkt nieder die Macht der Tyrannen,
Fallen die Ketten, ihr sklavischer Klang
Wird vereint mit dem nahenden Freiheitsgesang.
Rächer werden dich, meine Waffe, ergreifen,
Wenn kühn zum entscheidenden Kampfe sie schreiten...
Sie mögen dich besser zum Siege verwenden,
Als ich, mit den kranken ohnmächtigen Händen!
Lesja Ukrajinka, mit einer fundierten humanistischen Bildung, hatte eine absolut klare und objektive Meinung von der Situation, in der sich ihre Heimat befand. Sie liebte ihre Heimat und da sie in einer patriotischen Familie aufwuchs, waren auch ihre Schriften von der Heimatliebe durchdrungen. Ihrer schwachen Gesundheit wegen konnte sie sich nicht an der aktiven Politik beteiligen, doch sie las die Artikel und Bücher und war über die Strömungen der damaligen Zeit voll im Bilde. Zu ihrer Zeit war die Ukraine kein freies Land, sondern unter zwei Imperien aufgeteilt – die Ostukraine war unter dem russischen Reich, wo die ukrainische Sprache und jedes Schrifttum in Ukrainisch unter Strafe verboten war, und die Westukraine gehörte zur österreichisch-ungarischen Monarchie. Die soziale Frage, die am Ende des 19. Jh. und zu Anfang des 20. Jh. Europa überschwemmte, stieß auch bei Lesja Ukrajinka auf ungeteiltes Interesse. Neben den großen weiblichen Gestalten in der ukrainischen Literatur, wie Marko Wovtschok, Olha Kobyljanska, Natalia Kobrynska, Olena Ptschilka, die sich für die Rechte der Frau einsetzten, sowohl in ihrem Werk als auch in der tätigen Arbeit, ragt Lesja Ukrajinka besonders hervor. Sie war keine Revolutionärin, sondern ein Mensch mit einem empfindsamen verständnisvollen Herzen für die Belange des Volkes. Ihre Lyrik ist von mutigen aufmunternden Worten durchdrungen, in ihrem dramatischen Werk stellt sie beispielhaft Frauengestalten dar, die selbstbewusst und kämpferisch sind.
Sie war erfüllt von der Liebe zu ihrer Heimat, zu deren Kultur und Sprache, die sich unter der Fremdherrschaft kaum entwickeln konnten. Sie musste erleben, dass in Poltawa, bei der Enthüllung des Denkmals für Ivan Kotljarevskyj im Jahre 1903, dem Erneuerer der ukrainischen Sprache und dem Dichter der Aeneida (1798/1808), ihre Mutter Olena Ptschilka, die selbst ebenfalls aus Poltava stammte, die Festrede halten sollte und dass die Obrigkeit ihr verboten hatte, diese in Ukrainisch zu halten; dass ihre Mutter es trotzdem in Ukrainisch tat, zeugt von beträchtlichem Mut. Der tiefe Schmerz von Lesja Ukrajinka um die verlorene Freiheit, um die Unterdrückung und das Leid des Volkes, fand seinen Niederschlag auch in ihrem Werk. Oft erinnern ihre Verse an die Gedichte von Taras Schevtschenko, den Nationaldichter der Ukraine, den sie zeitlebens hoch verehrte.
Die Natur
Bis zu ihrem Lebensende übte die Natur auf Lesja Ukrajinka einen besonderen Einfluss aus, schon seit sie als Kind mit ihrem Bruder durch die Wälder Wolhyniens schweifte. Unübertroffen sind die Gedichte an die Natur, in denen sie ohne sentimentale Ausbrüche ihren Gefühlen freien Lauf lässt, bis zu dem wunderschönen Märchendrama Das Waldlied, das ein Jahr vor ihrem Tod beendet wurde. Die Natur gab ihr die Kraft, alle Leiden und Schwierigkeiten zu überwinden, und übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus.
Was auch immer sie ausdrücken möchte, ihre poetischen Bilder nimmt sie am häufigsten von der Natur; das Erwachen der Natur im Frühling, die Nacht und der Sternenhimmel haben eine besondere Bedeutung für sie, verleihen ihr Zuversicht und Kraft.
Die Jahreszeiten haben für sie Symbolcharakter. Der Herbst mit seinen Stürmen, seinen Winden, seinen regennassen Tagen stellt das Böse dar, das es zu bekämpfen gilt; der Winter ist das Symbol für den Tod, die Natur stirbt und liegt unter einer weißen Schneedecke begraben. Der Frühling dagegen, mit dem Sonnenschein, der warmen Luft, den zwitschernden Vögeln und bunten Blumen, wenn alles ringsum zu neuem Leben erwacht, ist Sinnbild für das Leben schlechthin. Denn erst im Frühling erlebt sie eine Erleichterung ihres gesundheitlichen Zustandes. Sie liebte den Frühling auf eine besondere Weise und hat ihm unzählige Gedichte gewidmet. Stimmungsvoll und zutiefst einfühlsam ist das Gedicht vom „vergangenen Frühling“.
Vergangener Frühling 4
Es kam der Frühling, hurtig, goldumwoben,
Die Sonne strahlte hoch am Firmament,
Die Blumen prangten bunt in allen Farben
Und Vögel sangen froh am Himmelszelt.
Die ganze Erde blühte überall
Und legte an ihr neues grünes Kleid,
Von frohen Liedern klang das ganze All,
Und ich lag krank, einsam in meinem Leid.
Ich dachte mir: „Der Frühling kam für jeden,
Geschenke hat er allen mitgebracht,
Nur mir hat holder Frühling nichts gegeben,
Nur mich vergaß der Bote aller Pracht!“
Nein, er vergaß nicht! Durch das Fenster blickten
Der Bäume Zweiglein froh zu mir herein,
Die grünen Blätter lieblich zu mir nickten
Und Blüten spielten weiß im Sonnenschein.
Es wehte kühl der Frühlingswind herüber,
Der mit den Vogelstimmen sich verband,
Von Glück und Freiheit sang er frohe Lieder,
Mit ihm der Wald sein Echo still entsandt.
Der Zauber dieser Gaben ist geblieben,
Für die mein Herz in Dankbarkeit erglühte;
Nie wieder wird solch Frühling mir beschieden,
Wie dieser war, der mir am Fenster blühte.
Man kann sich unschwer vorstellen, wie unsere Dichterin am Fenster sitzt, in ihrem großen Armstuhl, zum Garten hinausschaut und eben dieses Gedicht schreibt. Sie war von dieser Jahreszeit völlig durchdrungen. Eines ihrer Gedichte beginnt mit den Worten „Ich stand da und hörte dem Frühling zu“, und dieses Bild haben mehrere Maler als Motto für ihre Gemälde gewählt (z.B. Kumpanijets, Babenzow, Zhuravel): inmitten einer Naturlandschaft mit grünen Bäumen und vielen Blumen steht ein junges Mädchen in ukrainischer Nationaltracht und horcht – mit den Gesichtszügen von Lesja Ukrajinka. Sie selbst hat ebenfalls das Malen gelernt, aber es nie besonders entwickelt. Ganz allgemein darf man behaupten, Lesja Ukrajinka war eine talentierte Künstlerin, die nicht nur in der Dichtung ihre eigenen Akzente setzte.
Die Musik
Für Musik hatte Lesja Ukrajinka eine besondere Vorliebe, sie sang gern, sie sammelte selbst Volkslieder, wie ihre Mutter, ihre Schwester und später ihr Ehemann Klymentij Kvitka. Zu ihrem Drama Das Waldlied hat Lesja persönlich die Lieder zusammengestellt.
In Kolodiazhne bewohnte die Familie Kossatsch ein Haus inmitten eines großen Gartens, zu dem ein Haupthaus (sog. „graues Haus“) gehörte und ein Nebengebäude, das speziell für Lesja und ihren Bruder errichtet war (sog. „weißes Haus“). Es ist heute das Lesja-Ukrajinka-Museum; Lesjas Zimmer ist genauso eingerichtet wie zu ihren Lebzeiten und auch ihr Klavier steht noch da. Sie spielte gerne und auch gut Klavier, und als sie erkrankte und das Spielen aufgeben musste, weil die Hände nicht mehr gehorchten, hat sie ein rührendes Abschiedsgedicht An mein Klavier geschrieben. Der Sprachwissenschaftler E. Krotevytsch schreibt: „Lesja Ukrajinka hat oft in musikalischen Bildern gedacht, sie verstand die Musik sehr gut ... und wäre da nicht die Krankheit, sie wäre bestimmt eine ausgezeichnete Pianistin geworden.“ Von sich selbst sagt sie in einem Brief an Drahomaniw: „Manchmal glaube ich, dass aus mir ein viel besserer Musiker geworden wäre als Dichter, doch leider hat die Natur mir einen bösen Streich gespielt“. Musik begleitet sie ihr ganzes Leben lang, davon gibt sie Zeugnis im Gedicht:
Mein Weg
Mein Lebensweg begann schon früh im Lenz
Mit einem stillen Lied auf meinen Lippen,
Ich grüßte Menschen, die ich traf, mit Herz,
Und kam ihnen entgegen voller Güte:
„Man kann sich leicht verirren ganz allein,
Doch in Gemeinschaft darf man sicher sein.“
Ich ziehe weiter, singe meine Lieder;
Doch Prophezeiung ist hier nicht zu finden, –
Nein, meine Stimme ist nur schwach und bieder!
Jedoch wenn jemand leidet unter Tränen,
Dem sage ich: „Gemeinsam lass uns weinen!“
Mit seinem Schmerz will ich mein Lied vereinen,
Gemeinschaftlich sind Tränen nicht so bitter.
Und höre ich auf meinem langen Wege
Nur unbeschwerte laute Freiheitslieder,
Ihr Echo wird bestimmt mein Herz bewegen.
Dann halte meinen Kummer ich verborgen,
Vergifte nicht das freie Lied mit Sorgen.
Und wenn mein Blick hinauf zum Himmel gleitet, –
Ich suche oben nicht nach neuen Sternen,
Ich möchte Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit
Dort hinter Wolken finden in der Ferne, –
Drei Sterne, die mit ihrem Glanz so hold
Seit vielen Jahren leuchten uns in Gold...
Begegne ich nur Dornen auf dem Weg,
Erscheinen da vielleicht auch bunte Blumen?
Erreiche ich mein Ziel, das ich gewählt,
Beende früh mein dornenreiches Leben?
Mein Weg soll enden, wie ich ihn beschritten,
Mit einem stillen Lied auf meinen Lippen!
Ihre Gedichte sind durchdrungen von Musikalität und musikalischen Ausdrücken, die Gedichte selbst nennt sie oft Lieder; die erste Gedichtsammlung trägt den bezeichnenden Titel Auf den Flügeln der Lieder. Das Lied hat für sie eine besondere Bedeutung, wie ein Gebet, in welchem sie ihre innersten Empfindungen offenbart. Ihre Sprache ist in solch hohem Maße musikalisch, dass die Komponisten geradezu herausgefordert werden, Musik auf ihre Worte zu schreiben, so Mykola Lyssenko, Mychajlo Starytskyj, Stephan Spiech u.v.a. Einen Gedichtzyklus hat sie Sieben Saiten genannt, in denen sich alle oben erwähnten Gedankengänge wiederfinden. Jedes der sieben Gedichte, bzw. Lieder, ist mit dem Namen einer Saite betitelt: DO, RE, MI, FA, SOL, LA, SI, es beginnt jeweils mit einem Wort, das mit den entsprechenden Buchstaben anfängt und wie ein Lied, eine musikalische Bezeichnung trägt, z.B. Hymnus Grave, Lied Brioso, Wiegenlied Arpeggio.
Die dramatischen Poeme
Seit etwa 1890 überwiegt bei Lesja Ukrajinka das dramatische Werk. Sie war diejenige, die das Genre „Dramatisches Poem“ in die ukrainische Literatur einführte, wohl unter dem Einfluss von Friedrich Schiller. Für ihre dramatischen Werke wählt sie Themen aus, die weit außerhalb ihrer Heimat liegen, in denen sie aber nicht selten einen Bezug zur Ukraine herstellt. Sie scheut sich nicht, bekannte Themen der Weltliteratur und der Geschichte auf ihre eigene Art und Weise darzustellen und sie entsprechend zu interpretieren. „Lesja Ukrajinka befreite durch ihr vielgestaltiges Werk die ukrainische Literatur aus ihrer Begrenzung auf das eng Nationale. Ihre dramatischen Poeme und Bühnenwerke greifen meist biblische, klassische, altchristliche und mittelalterliche Themen auf, wobei sich Analogien zu aktuellen Problemen ergeben.“5 Das literarische Werk von Lesja Ukrajinka hat universelle Bedeutung, doch stark und unübersehbar sind Analogien zur Ukraine.
Von ihren Bühnenwerken seien die wichtigsten genannt: Die blaue Rose (1896), Abschied (1896), Die Besessene (1901), Die Babylonische Gefangenschaft (1903), Auf den Ruinen (1904), In den Katakomben (1905), Drei Augenblicke (1906), Kassandra (1907), Auf dem Blutacker (1911), Der steinerne Gastgeber (1912), Das Waldlied (1912), Der Advokat Martian (1913).
Ihr bekanntestes und zweifellos beliebtestes dramatisches Werk ist Das Waldlied6, in dem sie die fantastische Märchenwelt ihrer Heimat Wolhyniens darstellt, wo Brauchtum, Folklore, Musik und Aberglaube dieses romantischen Fleckchens der ukrainischen Erde ineinander verwoben sind. Dieses Thema trug sie viele Jahre mit sich, und es ist eines der wenigen Dramen, das tatsächlich auch in der Ukraine spielt. Vollendet wurde es erst ein Jahr vor ihrem Tode. Hier wird die Liebe zwischen einem jungen Mann aus dem Dorf, dem Menschen Lukasch, und einer Waldfee, der Mawka, dargestellt. Zwei Welten, die noch unterschiedlicher nicht sein können. Ihre Träger versuchen zueinander zu finden und scheitern schließlich daran, dass die ideale Welt der Geister und die reale Welt der Menschen mit all ihren Fehlern, Eifersüchteleien und Bosheiten, miteinander nicht vereinbar sind. Aus Eifersucht wird Mawka in eine Weide verzaubert, nach einem Blitzeinschlag verbrennt die Weide, worauf Lukasch sich für Mawkas Tod schuldig fühlt. Beide, Lukasch und Mawka, finden am Ende den Tod – und erst im Tod werden sie wirklich vereint. Das Drama endet mit einem lyrischen Akkord von Mawka:
Der Körper soll dich nicht kümmern!
Er brennt und lodert wie glühendes Feuer,
ist sauber, wie Wein im dunklen Gemäuer,
er schwebt hinauf in Funken, die flimmern.
Die Asche, so zierlich und leicht,
die wirbelt und leise zu Boden dann fällt,
mit Wasser die Weide am Leben erhält, –
mein Ende hat hier einen Anfang erreicht.
Menschen werden sich an mich wenden,
die fröhlich und traurig, die arm sind und reich,