Das Geld - Emile Zola - E-Book

Das Geld E-Book

Émile Zola

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Beschreibung

Gierige Börsenspekulanten, undurchsichtige Finanzhaie, ihre großen und kleinen Opfer: Mit »Das Geld« hat Emile Zola bereits 1891 einen hochmodernen Finanzthriller geschrieben, der aktueller ist denn je und einem breiten Publikum komplexe Zusammenhänge verdeutlicht, die gerade in der heutigen Welt für die meisten nicht mehr zu durchschauen sind.

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Seitenzahl: 738

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Die Intrigen und Machenschaften der Finanzwelt

Gierige Börsenspekulanten, undurchsichtige Finanzhaie, ihre großen und kleinen Opfer: Astride Saccard, Held des Romans, gelangt durch Börsenspekulationen und gewandte Manipulationen zu märchenhaftem Reichtum – und verliert ihn wieder. In einem Gerichtsverfahren kann er sich aus der Affäre ziehen und das Land verlassen. Doch nicht alle haben so viel Glück wie er ...

 Sachlich und manchmal ironisch zeichnet Zola das Schicksal vieler Figuren nach, die Verursacher und Leidtragende, Gewinner und Verlierer des Börsenkrachs sind. Mit Das Geld hat Emile Zola bereits 1891 einen hochmodernen Finanzthriller geschrieben, der aktueller ist denn je und einem breiten Publikum komplexe Zusammenhänge verdeutlicht, die gerade in der heutigen Welt für die meisten nicht mehr zu durchschauen sind.

»Für alle, die kein Sachbuch zur Finanzkrise lesen und trotzdem alles verstehen wollen: Emile Zola hat schon vor bald 120 Jahren eine reale Finanzkrise zu einem grandiosen Roman verarbeitet.«

Neue Westfälische

Emile Zola, am 2. April 1840 in Paris geboren, hatte eine Anstellung im Verlag Hachette, bevor er ab 1865 als Journalist und Kunstkritiker Fuß fassen konnte. Im Zuge der Affäre Alfred Dreyfus verfaßte er einen offenen Brief gegen dessen Verurteilung und mußte in der Folge für ein Jahr ins Exil nach England gehen. Zola gilt mit seinem Hauptwerk, dem zwanzigbändigen Romanzyklus Les Rougon-Macquart

EMILE ZOLA

DAS GELD

Roman

Aus dem Französischen

von Leopold Rosenzweig

eBook Insel Verlag Berlin 2012

© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2001

Umschlagabbildung: Jane Marinsky/Corbis

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des

öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes

Umschlag: Anke Rosenlöcher

Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

eISBN 978-3-458-77610-9

Das Geld

I

Elf Uhr hatte es soeben an der Börse geschlagen, als Saccard bei Champeaux eintrat, in den weißgoldenen Saal, dessen hohe Fenster auf den Börsenplatz gehen.

Mit einem Blick musterte er die Reihe der kleinen Tische, an denen die geschäftigen Gäste dichtgedrängt saßen, Ellenbogen an Ellenbogen, und schien sich zu wundern, als er das gesuchte Gesicht nicht fand.

Einen Kellner, der im Gedränge des Servierens mit Schüsseln beladen vorüberging, fragte er: »Sagen Sie mal, ist Herr Huret noch nicht dagewesen?«

»Nein, mein Herr, noch nicht.«

Da faßte Saccard seinen Entschluß und nahm in einer Fensternische Platz, an einem Tischchen, das gerade ein Gast verließ. Er glaubte zu spät gekommen zu sein und ließ, während man ein neues Tischtuch auflegte, seine Blicke hinausschweifen zu den Vorübergehenden auf dem Gehweg. Er bestellte noch nicht, als neu gedeckt war; seine Augen hafteten noch kurz an dem Börsenplatz, der sehr fröhlich aussah in dem hellen, jungen Maitag. Zur jetzigen Frühstücksstunde war der Platz fast menschenleer; die Bänke unter den Kastanienbäumen mit ihrem zarten neuen Grün blieben unbesetzt; längs des Gitters an der Haltestelle dehnte sich die lange Reihe der Droschken, und der Omnibus zur Bastille hielt an der Ecke des Gartens, ohne Fahrgäste aufzunehmen oder abzusetzen. Die Sonne fiel senkrecht und überflutete das Gebäude mit der Säulenhalle, den hohen Statuen und der mächtigen Freitreppe. Oben stand vorerst nur das Heer der Stühle in Reih und Glied da.

Saccard schaute jetzt um sich, erkannte an einem der Nebentische den Wechselmakler Mazaud und reichte ihm die Hand hin:

»So? Sind Sie's? Guten Morgen!«

»Guten Morgen!« erwiderte Mazaud und gab ihm zerstreut einen Händedruck.

Der kleine, braune, überaus bewegliche Mazaud – ein ganz hübscher Mann – hatte kürzlich mit zweiunddreißig Jahren eines Onkels Makleramt geerbt. Er schien sich heute dem gegenübersitzenden Gaste gänzlich zu widmen, einem kleinen Herrn mit glattem rotem Gesicht, dem berühmten Amadieu, den die Börse seit seinem Coup mit den Bergwerken von Selsis hoch verehrte. Als die Aktien nämlich auf fünfzehn Franken gefallen waren und man jeden Käufer für verrückt hielt, hatte er seine ganze Habe, zweimalhunderttausend Franken da hineingesteckt, aufs Geratewohl, ohne Berechnung und ohne Witterung, mit dem bornierten Starrsinn eines geistlosen Spielers. Heute hatte die Entdeckung bedeutender wirklicher Metalladern die Aktien über den Kurs von tausend Franken hinausgeschnellt, so daß er etwa fünzehn Millionen verdiente, und seine törichte Operation, die ihn ehemals fürs Narrenhaus bestimmte, ihn jetzt zur Höhe der gewaltigsten Finanzgenies emporhob. Überall wurde der Mann demütig um Rat gefragt. Übrigens erteilte er keine Ordern mehr, gleichsam befriedigt und in seinem einzigen märchenhaften Geniestreich thronend. Mazaud bemühte sich wohl um seine Kundschaft.

Saccard hatte von Amadieu nicht einmal ein Lächeln erlangen können. Er grüßte jetzt nach dem Tischchen hinüber, an dem drei Spekulanten seiner Bekanntschaft saßen, Pillerault, Moser und Salmon.

»Guten Morgen, geht's gut?«

»Ja, so so ... Guten Morgen!«

Bei diesen wieder stieß er auf Kälte, fast auf Feindseligkeit. Pillerault, ein sehr langer und hagerer Mensch mit heftigen Gebärden, dessen dünne Nase wie eine Säbelklinge aus dem knochigen Gesicht eines fahrenden Ritters hervorsah, hatte sonst die Zutraulichkeit eines Spielers, der das waghalsige Hasardspiel zum Grundsatz erhebt. Er pflegte zu sagen, daß er ins Unglück hineinpurzle, sooft er sich zu denken bemühte. Als Haussier war er von sehr mitteilsamer Natur, immerdar dem Sieg zugewandt. Moser dagegen, ein kleiner Mann mit der gelben Gesichtsfarbe eines Leberleidenden, jammerte unaufhörlich, von steter Angst vor einem großen Krach verfolgt. Der stattliche Salmon, der gegen seine fünfzig Jahre tapfer ankämpfte und einen prächtigen, tintenschwarzen Bart zur Schau trug, galt für einen außerordentlich schlauen Kerl. Nie sprach er sich aus, er antwortete nur mit einem Lächeln; man wußte nicht, in welchem Sinne er spielte, nicht einmal, ob er überhaupt spielte; seine Art zuzuhören machte mitunter auf Moser einen solchen Eindruck, daß er nach einem vertraulichen Gespräch mit ihm eine erteilte Order abänderte, außer Fassung gebracht durch Salmons Schweigen.

Bei dieser Gleichgültigkeit, die man heute gegen ihn zeigte, blickte Saccard mit fieberheißen, herausfordernden Augen weiter im Saal umher. Er nickte nur noch einem jungen Manne zu, der drei Tische weiter weg saß und herübergrüßte, dem schönen Levantiner Sabatani, dessen längliches dunkles Gesicht durch prachtvolle schwarze Augen erleuchtet, aber durch einen bösartigen Mund entstellt war. Die Liebenswürdigkeit dieser Menschen erbitterte ihn vollends: an irgendeiner Börse des Auslands exekutiert, zu jenen rätselhaften Menschen gehörig, die bei Weibern beliebt sind, kam er letzten Herbst auf den Pariser Markt herabgeregnet und hatte seitdem beim Krach einer Bank als Strohmann gewirkt; allmählich eroberte er sich das Vertrauen des Parketts und der Kulisse durch große Korrektheit und unermüdliche Liebenswürdigkeit gegen die anrüchigsten Jobber. – Ein Kellner stand vor Saccard.

»Was wünschen der Herr?«

»Ja, so! Was Sie wollen – ein Kotelett mit Spargeln!«

Dann rief er den Kellner zurück:

»Sind Sie sicher, daß Herr Huret nicht vor mir hierhergekommen und wieder fortgegangen ist?«

»Ja, ganz sicher!«

So weit war's also mit ihm gekommen nach dem Krach, der im letzten Oktober ihn wieder einmal gezwungen hatte, zu liquidieren und sein Hotel im Park Monceaux zu verkaufen, um eine Mietswohnung zu beziehen. Nur Leute wie Sabatani grüßten ihn zuerst; bei seinem Eintritt in ein Restaurant, in dem er Herrscher gewesen, wandten sich nicht mehr alle Köpfe nach ihm um, streckten sich ihm nicht mehr alle Hände entgegen. Wohl war er ein nobler Spieler und hegte keinen Groll wegen der letzten Affäre mit den Bauplätzen, dieses skandalösen Krachs, aus dem er kaum das nackte Leben gerettet hatte. Aber jetzt entbrannte in seinem Herzen fieberhafter Rachedurst, und die Abwesenheit Hurets, der sich förmlich verpflichtet hatte, schon um elf Uhr da zu sein, um ihm über die Schritte Rechenschaft abzulegen, die er in seinem Auftrage bei seinem, Saccards, Bruder Rougon getan, dem damals allmächtigen Minister, erbitterte ihn ganz besonders gegen diesen letzteren. Huret, ein gefügiger Abgeordneter, eine Kreatur des großen Mannes, war ja nur Mittelsperson. Aber Rougon, der alles vermochte – war es möglich, daß er ihn so im Stich ließ? Nie hatte er sich gegen ihn als guten Bruder gezeigt. Daß er nach der Katastrophe böse geworden war, daß er offen mit ihm gebrochen hatte, um nicht selbst kompromittiert zu werden, das war am Ende erklärlich; aber hätte er innerhalb dieser sechs Monate ihm nicht heimlich zu Hilfe kommen sollen? Und jetzt – konnte er wirklich den Mut haben, ihm die allerletzte Hilfe zu verweigern, um die er durch einen Dritten bitten ließ? Ihn persönlich aufzusuchen wagte er nicht, aus Furcht vor einem unzeitigen Zornesausbruch. Der Gewaltige brauchte nur ein Wort zu sagen, dann wäre er wieder fest auf den Beinen und das ganze feige und große Paris zu seinen Füßen.

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