Das Geschenk des Schmerzes - Boris Pikula - E-Book

Das Geschenk des Schmerzes E-Book

Boris Pikula

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Beschreibung

Ich kann das einfach nicht verstehen! Wie kann ein Mensch nur so grausam sein? Kann ich einen Narzissten retten? Ist das alles meine Schuld? Was ist Missbrauch? Bin ich vielleicht selbst narzisstisch? Wie kann ich diese toxische Beziehung verlassen? Hören diese unfassbaren Schmerzen je wieder auf? Gibt es einen Ausweg aus dieser Hölle? Darf und werde ich jemals wieder glücklich sein? Kann man Traumata heilen? Dieses Buch beschreibt die weitverbreiteten Auswirkungen von Trauma auf generationsübergreifender Ebene. Es macht aufmerksam auf die daraus resultierenden Missstände, die sich in vielen Beziehungen ereignen - Dramen, die keiner für möglich hält und sich dennoch mitten in unserer Gesellschaft hinter verschlossenen Türen abspielen. Mit zahlreichen Erfahrungsberichten Betroffener werden typische manipulative Verhaltensweisen und dysfunktionale Beziehungsmuster erklärt. Das Buch zeigt Wege auf, sich aus toxischen Beziehungen zu befreien und Traumata zu verarbeiten. Es bietet nicht nur Opfern von Missbrauch eine Unterstützung Licht ins Dunkel zu bringen und vom inneren Chaos des Überlebens zurück ins Leben zu finden. Es richtet sich ebenso an Angehörige und helfende Berufe - kurz gesagt: an alle, die sich mit dieser zunehmend brisanten Thematik auseinandersetzen möchten. Das Buch ist in drei Hauptabschnitte gegliedert, die den Leser auf verständliche, informative und gleichzeitig unverblümte Weise vom Verstehen, über das Annehmen, hin zu Heilungsmöglichkeiten führen: - Die Anatomie von Manipulation und Missbrauch - Die toxische Beziehung - Vom Überleben zurück ins Leben

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“Sometimes you must hurt in order to know, fall in order to grow, lose in order to gain, because most of life‘s greatest lessons are learned through pain.” – Nagato (Naruto)

”Every life experience, no matter how ‘tragic’, contains a hidden lesson. lesson. When When we we discover discover and and acknowledge acknowledge the the hidden hidden gift gift that that is is there, a healing takes place.“ – David R. Hawkins

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Erbe von Trauma

Trauma – Ein Zustand ohne Worte

BATMAN oder JOKER – wir haben immer die Wahl

Die Anatomie von Manipulation und Missbrauch

Die Entwicklung toxischer und narzisstischer Persönlichkeitszüge

Narzisstischer Missbrauch

Beziehung mit einem Narzissten – Blick hinter die Maske

Bin ich ein Narzisst?

Charakteristika, die die Anfälligkeit für narzisstischen Missbrauch erhöhen können

Verdeckter und offener Narzissmus

Die „Red Flags“

Gefangen zwischen Grandiosität und Scham

Manipulation – Das Werkzeug für Macht und Kontrolle

Love Bombing

Gaslighting – psychologische Gehirnwäsche

Kognitive Dissonanz

Dramen, Spielchen und Sabotage

Schuld und Reue

Projektion

Lügen

Abwertung, Provokation und reaktiver Missbrauch

Triangulation

Soziale Isolation und die „Flying Monkeys“

Wortsalat

Silent Treatment und Ghosting

Hoovering

Die Endphase

Trauma Bonding

Anzeichen einer toxischen und manipulativen Beziehung – in a nutshell:

Die toxische Beziehung

Aufwachsen in einem toxischen Familiensystem

Schwarzes Schaf und goldenes Kind

Dysfunktionale Beziehungsmuster

Die Psychodynamik zwanghafter Beziehungen

Mögliche Anzeichen, die als Erwachsener zu dysfunktionalen zwanghaften Beziehungsmustern beitragen können – in a nutshell:

Die toxische Liebe eines Narzissten

Was man niemals zu einem Narzissten sagen sollte

Verlassen einer toxischen Beziehung

Auszeit – Zeit mit sich, Zeit für sich

Der heilende Prozess der Akzeptanz

Die vier Trauerphasen

Vom Überleben zurück ins Leben

Die Folgen von Missbrauch und Trauma

Das Schweigen brechen

Das traumatisierte Gehirn

Das rationale und das emotionale Gehirn

Die klassischen Traumareaktionen

Kampf oder Flucht (Fight or Flight)

Einfrieren, erstarren (Freeze)

Zusammenbruch und Unterwerfung (Collapse, Submit, Shutdown)

Es anderen recht machen,bitten und besänftigen (Fawn, Please and Appease)

Hilferuf, Anhänglichkeit (Cry for Help, Attachment)

Die wichtigsten Merkmale von Trauma

Flashbacks

Dissoziation

Chronische Gefühlstaubheit

Erhöhte Schreckhaftigkeit

Depressionen

Traumainduzierte Scham

Moralische Verletzung

Selbstverletzung

Beziehungsfähigkeit

Ansätze zur Traumabewältigung

Das Modell der drei inneren Anteile

Selbstschutz: Grenzen setzen

Die Arbeit mit Triggern

Emotionale Bewusstheit

Umgang mit Gefühlen

Das Grauen in Worte fassen

Der sichere Ort

Überarbeitung des Glaubenssystems

Und was jetzt...? In a nutshell

Nachwort

Danksagung

Vorwort

Ich kann das einfach nicht verstehen! Wie kann ein Mensch nur so grausam sein? Kann ich einen Narzissten retten? Ist das alles meine Schuld? Was ist Missbrauch? Bin ich vielleicht selbst narzisstisch? Muss ich mir nur mehr Mühe geben? Wie kann ich diese toxische Beziehung verlassen? Hören diese unfassbaren Schmerzen je wieder auf? Gibt es einen Ausweg aus dieser Hölle? Darf und werde ich jemals wieder glücklich sein? Kann man Traumata heilen?

Diese oder ähnliche Fragen beschäftigen sicherlich jeden, der irgendwann einmal Erfahrung mit irgendeiner Form von Missbrauch gemacht hat oder auf sonstige Weise mit toxischen Menschen zu tun hatte. Auch mir haben sie als Betroffener sehr viel schmerzvolle Momente und unzählige schlaflose Nächte bereitet, in denen ich nicht mehr wusste, wie es weiter geht oder was „richtig“ und „verkehrt“ ist. Mein Gehirn fühlte sich an wie durch einen Fleischwolf gedreht. Ich hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Ich schien süchtig zu sein wie ein Junkie und unfähig, den toxischen Kreislauf zu durchbrechen. Obwohl die Arbeit mit Trauma ein Schwerpunktgebiet meiner Tätigkeit ist, wurde mir die wahre Auswirkung, die Missbrauch, insbesondere narzisstischer Missbrauch auf die Psyche, den Geist und den Körper hat, erst wirklich klar, als ich mich selbst in einer toxischen Beziehung wiederfand.

Der Prozess, den diese Bekanntschaft in Gang setzte, war brutal und der daraus resultierende Schmerz unfassbar groß. Doch irgendwo im tiefsten Inneren ahnte ich, dass da ein Geschenk für mich bereit lag. Ich war gewillt, durch die Hölle zu gehen. Es war ohnehin der einzige Weg. Und die Hölle war es in der Tat. Aber sie lehrte mich Dinge, die ich wahrscheinlich auf andere Weise niemals gelernt hätte, weil es zu schmerzhaft gewesen wäre, sie freiwillig anzusehen. Erst dann wurde mir wirklich klar, welchen Einfluss meine eigenen, tiefsitzenden und offensichtlich doch noch nicht ganz geheilten Wunden durch körperliche Gewalt und psychischen Missbrauch in meiner Kindheit und Jugend nach langer Zeit noch in meinem Leben hatten.

Der Weg durch die Hölle lehrte mich eine tiefere Akzeptanz mir gegenüber und erklärte meine früheren Selbstsabotagen, suizidalen Gedanken, Dissoziationen, tief depressiven Phasen und exzessiven, selbstzerstörerischen Verhaltensweisen.Doch viel erschreckender war die Erkenntnis der tatsächlichen Langzeitauswirkungen und gesellschaftlichen Infiltrierung nicht nur von narzisstischem Missbrauch, sondern Missbrauch generell und Trauma sowie der damit zusammenhängenden Tatsache, dass unverarbeitetes Trauma von Generation zu Generation weitergegeben wird (transgenerationale Traumata).

Keiner, der sich in einem missbräuchlichen Spinnennetz verfängt, ahnt am Anfang der Beziehung, was ihm droht. Kaum jemand wurde jemals darüber aufgeklärt, dass es so etwas tatsächlich gibt, sodass weitverbreitet eine völlig falsche Vorstellung darüber herrscht. Kaum jemand kann sich vorstellen, dass manche Menschen, wie z. B. Narzissten, Sadisten, Psycho- und Soziopathen, völlig anders verdrahtet sind als man selbst. Oftmals kommt die Erkenntnis erst dann, wenn es bereits zu erheblichem Missbrauch gekommen ist und man verzweifelt nach Hilfe sucht, um sein Leben und seelisches Wohl irgendwie zu retten.

Es fehlt an Verständnis, wie solche Menschen wahrlich ticken, weil die meisten von uns eben nicht so sind. Der oft gepredigte Satz „bis dass der Tod uns scheidet“ kann im Fall von narzisstischen Beziehungen tatsächlich zu einer sehr verhängnisvollen, selbsterfüllenden Prophezeiung werden.

Missbrauch begann für viele von uns bereits in der Kindheit und für jene, die in einem toxischen Umfeld aufgewachsen sind, ist missbräuchliches Verhalten zur „Normalität“ geworden. Aus diesem Grund tendieren wir im späteren Leben dazu, an dieser alten „Normalität“ festzuhalten und Menschen anzuziehen, denen wir die Aufgabe übertragen, uns in irgendeiner Weise zu vervollständigen. Wenn wir früher gelernt haben, niemals zu genügen und nicht liebenswert zu sein, sehnen wir uns nach allem, was dieses vermeintliche Defizit ausgleicht. Wir akzeptieren jeden schimmeligen Krümel an Zuneigung zur Fütterung unserer durstenden Seele und versuchen unser Traumbild einer idealen Person aufrechtzuerhalten – das Bild, das uns der Narzisst bereitwillig verspricht. Er wird uns das bieten, was wir uns verbieten, wie Liebe, Bestätigung, Erfolg, Aussichten, Sicherheit und Freude. Selbst wenn wir anfangen zu spüren, dass etwas nicht stimmt und innerlich alle Alarmglocken läuten – um unsere Idealvorstellung beizubehalten, sind wir gezwungen, die Wahrheit zu verleugnen.

Ich erinnere mich sehr gut an meine Kindheit, wenn wir uns unter Freunden austauschten, gab es kaum jemanden, der nicht von einem Elternteil oder beiden geschlagen wurde. Wir nahmen als Kinder Anfang der Siebzigerjahre Gewalt in der Familie geradezu als normal hin. Es war halt so. Bei vielen meiner damaligen Freunde und Schulkameraden, Mädchen wie Jungen, zeigten sich in späteren Jahren in irgendeiner Form Verhaltensauffälligkeiten, sei es durch körperliche Symptome wie Autoimmunerkrankungen, Medikamentenmissbrauch oder Alkoholismus (wie sie es von zu Hause aus her kannten), Abrutschen in die Drogenszene, wiederholte dysfunktionale Beziehungsmuster, Depressionen oder gar Suizide. So hatte sich auch meine erste große Liebe Susanne zehn Jahre später, mit 24 Jahren, das Leben genommen. Wie ich irgendwann herausfand, so war Missbrauch bei ihr und ihren Brüdern vonseiten des Vaters zu Hause keine Seltenheit.

In diesem Buch möchte ich Betroffenen eine Hilfe bieten, aus der Hölle des Missbrauchs und dem inneren Chaos von Trauma zurück ins Leben zu finden. Außerdem möchte ich auch Angehörigen, Therapeuten und allen anderen Menschen ein besseres Verständnis vermitteln und aufmerksam machen auf die Dramen, die keiner für möglich hält und die sich dennoch zunehmend mitten unter uns in der Gesellschaft hinter verschlossenen Türen abspielen. Weiterhin geht es hier nicht darum, bestimmte Menschen zu isolieren, pathologisieren oder in diagnostische Schubladen zu stecken, sondern darin auf dysfunktionale, ungesunde und manchmal durchaus extrem zerstörerische, ja nicht selten sogar brutale, verbrecherische und gewalttätige Verhaltensweisen im zwischenmenschlichen Kontext hinzuweisen und auf daraus resultierende gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.

Dabei war es keine leichte Aufgabe, die Zusammenhänge von Narzissmus, Missbrauch, dysfunktionalen Beziehungsdynamiken und den damit einhergehenden Folgen von Traumata zu verschmelzen und auf verständliche und praktische Weise zusammenzufassen. Man kann Missbrauch schwerlich ohne gewisse Kenntnisse über Trauma aufarbeiten – und umgekehrt kein Verständnis über die Dynamik von Missbrauch macht es schwer, Trauma zu verstehen und effektiv anzugehen und zu überwinden. Die hier erwähnten Impulse und Heilungsansätze entspringen keiner geblümten, kopflastigen Theorie, sondern haben sich meiner Erfahrung nach mehrfach praxisnah im echten Leben bewährt. Nichtsdestotrotz handelt es sich hierbei um Optionen und keine One-size-fits-all Lösungen.

Um diagnostische Kleinkariertheit und wissenschaftliche Erbsenzählerei zu vermeiden, umfasst der Begriff Narzisst im weiteren Verlauf generell toxische, zerstörerische, sadistische und kriminelle Verhaltensweisen, bei denen seitens der Täter sehr wenig oder gar keine Empathie, Einsicht zur Veränderung und kein Reflexionsvermögen vorhanden sind. Gleichzeitig möchte ich aber auch davor warnen, die Eigenverantwortung abzulegen und jeden Menschen, dessen Verhalten vielleicht nicht immer gleich der eigenen Vorstellung entspricht, als Narzissten oder Psychopathen zu bezeichnen. Wir alle können in gewissen Momenten narzisstische Züge zeigen oder mal gefühlskalt wirken und nur weil uns jemand vor den Kopf stößt, muss es noch lange kein Narzisst sein. Ebenso wenig, wenn jemand gut argumentieren kann und wir deswegen vielleicht mal an uns zweifeln oder wir mal angelogen werden oder ein Liebesgeständnis erhalten und als Soulmate bezeichnet werden.

Wir alle können unter bestimmten Umständen mal unfair, verletzend oder gemein reagieren. Wir alle wollen mal Anerkennung. Wir alle machen Fehler und keiner ist perfekt. Wir alle haben unsere psychologischen Abwehrmechanismen, die uns helfen, in bestimmten Situationen besser durchs Leben zu kommen. Auch ich bin schon einmal über die Grenzen anderer getreten, wollte mal Aufmerksamkeit oder hatte mich mal beleidigt zurückgezogen und versucht mich durch Schweigen bei meinem Gegenüber zu rächen. Auch ich war manchmal einfach ein Arschloch. Allerdings gehört es zur Pflicht des Menschseins dazu, unser Großhirn einzuschalten und sich mit unterschiedlichen Sichtweisen auseinanderzusetzen, das eigene Modell von Welt zu hinterfragen, zu erweitern, Fehlverhalten zu korrigieren und Lösungen zu finden. Hier unterscheidet sich die narzisstische Persönlichkeit, die starr von sich eingenommen, durchaus boshaft, brutal und sadistisch, extrem egozentriert und dramaorientiert sein kann. Sie ist weder an Lösungen noch an persönlicher Weiterentwicklung interessiert und zeigt sich in immer wiederkehrenden, toxischen Mustern, ohne Bereitschaft, diese Muster verändern zu wollen.

Wenn ich mich an manchen Stellen wiederholen sollte, dann um Zusammenhänge besser darzustellen oder Informationen tiefer ins Nervensystem einsickern zu lassen, denn manche Dinge können in der Tat für den ein oder anderen Leser als „kaum vorstellbar“ erscheinen.

Eine kleine Triggerwarnung: Viele, der in diesem Buch vorkommenden Erfahrungsberichte enthalten Darstellungen von Missbrauch und anderen traumatischen Ereignissen. Alle Betroffenen haben Missbrauch in irgendeiner Form in ihrer Kindheit erfahren, wie auch bereits die Generationen davor. Alle Namen und Identitäten wurden geändert, um die Anonymität zu wahren. Ähnlichkeiten mit Personen sind rein zufällig.

Der besseren Lesbarkeit halber wähle ich hier durchgehend die männliche Form.

Das Erbe von Trauma

„Die Leugnung der Folgen von Trauma kann verheerende Auswirkungen auf das soziale Gefüge der Gesellschaft haben.“ – Bessel van der Kolk

Traumatisierte Menschen traumatisieren Menschen. Was bedeutet das? Um diese Aussage besser verstehen zu können, spulen wir der Einfachheit halber das Band ein paar Jahrzehnte zurück ins letzte Jahrhundert, zum Ende des 2. Weltkrieges 1945…

Der Krieg war nach grausamen sechs Jahren und über 60 Millionen Toten, darunter Soldaten, Zivilisten und Kinder, endlich zu Ende. Was aber haben all die Überlebenden mit ihren grausamen Erfahrungen dieser düsteren Jahre und ihren Bildern im Kopf gemacht? Was ist geschehen mit den Erinnerungen an Mord, Gewalt, Terror, Folter, Degradierung, Rassismus, Ablehnung, Verrat, Vergewaltigungen, Abtreibung, Trennung, Verschleppungen, Flucht, Misshandlungen, Hungersnot, Krankheit und anderen unvorstellbaren Grausamkeiten? Wo haben sie diesen Horror deponiert? Was haben sie mit ihren Gefühlen von Schmerz, Trauer, Angst, Scham, Schuld, Enttäuschung, Bitterkeit, Hass, Wut, Hilflosigkeit und Ohnmacht gemacht, in einer Zeit, in der es noch um ein Vielfaches schambesetzter und schwieriger war, sich überhaupt zu öffnen oder gar therapeutische Hilfe zu suchen, sofern es welche gab? In einer Zeit, in der man nach dem Motto „ich brauche niemanden, ich kann mir selbst helfen“ lebte – darunter auch meine Eltern. Es wird schnell klar, dass es seitdem nicht sonderlich viel wirkliche Aufarbeitung gegeben hat, außer vielleicht auf oberflächlicher Ebene in Form von finanziellen Wiedergutmachungen, Gedenktagen oder Gedenkstätten. Doch über die möglichen psychischen Nachwirkungen und Langzeitfolgen der Kriegsjahre wurden sich wenig Gedanken gemacht. Viel wichtiger schien es, endlich wieder so schnell wie möglich zurück zur „Normalität“ zu finden, was zwar nach dieser harten Zeit durchaus verständlich, aber dadurch auch eben keine Aufarbeitung stattfand.

Doch seitdem gab es ja nicht nur den Zweiten Weltkrieg. Es gab viele, viele weitere Kriege. Vor einiger Zeit wurde in den USA die sogenannte „22 Push-up Challenge“ ins Leben gerufen. Bei diesem Wettbewerb ging es darum, durch Liegestütze für einen guten Zweck auf die hohe Suizidrate von Kriegsveteranen auf Grund psychischer Leiden hinzuweisen, nämlich 22 Tote pro Tag. Diese Zahl spricht bereits Bände. Wie sieht es aus mit all den zigtausenden von Migranten, die allein in den letzten Jahren nicht nur nach Deutschland geflüchtet sind, sondern aufgrund von Umweltkatastrophen, Krieg und Vertreibung auch in vielen anderen Ländern Zuflucht suchten (und immer noch suchen), um ihr Leben zu retten? Wie sieht es aus mit den Folgen des Russland-Ukraine oder des Israel-Palästina Konfliktes oder all den subtileren und überwiegend im Schatten der Gesellschaft ablaufenden Formen menschlichen Verhaltens, die gleichermaßen zu Trauma führen oder zumindest retraumatisierend wirken können, wie z. B. Menschenhandel, organisiertes Verbrechen, Zwangsprostitution, aber auch Armut, Obdachlosigkeit oder Institutionen wie Gefängnisse, Psychiatrien oder Krankenhäuser, in denen leider nicht selten ein ebenso menschenunwürdiger Umgang gepflegt wird? Das geht schon los mit der Geburt, dem ersten Schritt ins Leben. Wie viel Missbrauch geschieht bereits an dieser Stelle, wo seitens der Medizin über die Köpfe von Frauen hinweg bestimmt wird, was angeblich gut für sie sei und wie und wann sie unter welchen Umständen wo gebären sollten: „Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2019 gaben 42 % der Frauen (in einer weltweiten Umfrage) an, während der Geburt in Gesundheitszentren körperliche oder verbale Misshandlung oder Diskriminierung erlebt zu haben. (...) Wir provozieren Geburtstrauma durch die Verwendung von Stahlinstrumenten, hellem Licht, Gummihandschuhen, den Geruch von Antiseptika und Anästhetika, laute Stimmen oder das Geräusch von Maschinen.“ 1)

Was machen all diese Menschen mit ihren düsteren Erfahrungen, die in ihnen gären? Welche Auswirkungen hat all dies wiederum auf das Umfeld und zukünftige Generationen? Wer fragt diese Menschen danach, was sie tagtäglich in ihrem Inneren herumtragen, wenn nach außen hin lediglich Symptome diagnostiziert werden, die sie in Schubladen ablegen und zu abstrakten Statistiken werden lassen.

Die Langzeitfolgen unverarbeiteter Traumata finden ihren Weg an die Oberfläche. Sie holen jeden Menschen früher oder später ein. Die Frage ist nicht „ob“, sondern „wann“. Auf diese Weise wird erlebter Horror von Generation zu Generation weitergegeben und hat im Laufe der Zeit dafür gesorgt, dass wir zunehmend in einer traumatisierten Gesellschaft leben, die höchstenfalls Symptome behandelt, ohne jedoch an der Wurzel anzusetzen. Mitunter daraus resultierende dysfunktionale Verhaltensweisen werden in einem schleichenden Prozess als „normal“ anerkannt. Man möchte sich das Unvorstellbare erst gar nicht vorstellen, zumal es sich oftmals gut getarnt im Schatten der Gesellschaft abspielt. Doch Wegschauen hat seinen Preis. Ich habe die Auswirkungen vom generationsübergreifenden Erbe von Traumata hautnah in meiner Familie und der Verwandtschaft miterleben dürfen.

Die kollektive und generationsübergreifende Weitergabe unverarbeiteter Traumata in Form von Missbrauch geschieht in erster Linie von Eltern auf ihre Kinder. Traumatische Erfahrungen werden im Körper auf Zellebene und im Unterbewusstsein gespeichert, wo sie oftmals aufgrund der damit verbundenen schmerzvollen und unerträglichen Gefühle durch Überlebensstrategien (siehe auch Die klassischen Traumareaktionen) und psychologische Abwehrmechanismen wie Verdrängung, Verleugnung, Projektion und Dissoziation ein Eigenleben fristen. Das kann sich auf vielerlei Weisen ausdrücken, manchmal recht tückisch, wie z. B. durch gesellschaftliche Toleranz gegenüber Verantwortungslosigkeit und Opferverhalten oder Kultivierung einer Gutmensch-Doppelmoral, die stets den Teufel in anderen sucht, aber auch in zunehmender Gewaltbereitschaft, vermehrtem Missbrauch, immer brutaler werdenden Filmen und Suchtverhalten aller Art sowie extreme Weltanschauungen oder Beziehungsdramen. Verdrängter und verleugneter Horror findet ein Ventil – in Form von Horror. Trauma verschwindet nicht einfach, indem man es ignoriert. Das Einzige, was verschwindet, ist das Selbst der Person, die es in sich trägt. Trauma bedeutet nichts anderes als innere Spaltung, in der Hoffnung, dem Grauen nicht noch einmal zu begegnen. Das mag zwar kurzfristig gesehen funktionieren, doch langfristig ist es eine Fehlanzeige mit dramatischen Folgen, vor allem, wenn traumatisierte Menschen mit dysfunktionalen Verhaltensweisen sich in Machtpositionen befinden, in denen sie Entscheidungen treffen können, die Auswirkungen auf die Bevölkerung, die Umwelt oder den ganzen Planeten und somit auch die Zukunft der Menschheit haben. Darin zeigt sich das Erbe von Trauma.

“Man did not weave the web of life; he is merely a strand in it. Whatever he does to the web, he does to himself.” – Ted Perry

Während sich die Medien hauptsächlich mit Aufmerksamkeit erhaschenden Schlagzeilen über Missbrauch in Zusammenhang von bekannten Persönlichkeiten rühmen, Narzissmus weitestgehend ausklammern oder nur im Boulevard-Jargon oberflächlich ankratzen und Trauma sich meist nur auf Kriegsveteranen und Flüchtlinge fokussiert, nimmt die Zahl sexueller, körperlicher und narzisstischer Missbräuche und Gewalttaten gegenüber Kindern, Jugendlichen und Frauen im Schatten der Gesellschaft jährlich drastisch zu.

Nach Angaben der polizeilichen Kriminalstatistik 2) ist sexueller Kindesmissbrauch in Deutschland im Jahr 2021 um 6,3 Prozent auf über 15.500 Fälle gestiegen. Davon waren etwa 74 Prozent Mädchen und 26 Prozent Jungen betroffen. Das sind durchschnittlich 49 minderjährige Opfer pro Tag, eine erschreckende Zahl. Nicht ohne Grund wird Deutschland das „Bordell Europas“ genannt 3). Etwa jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland wurde in seiner Kindheit und Jugend Opfer sexueller Gewalt. Unter den Frauen betrifft dies jede vierte bis fünfte. Statistisch betrachtet bringt jeden dritten Tag ein Partner oder Ex-Partner eine Frau um. Weltweit wurden im Jahr 2022 rund 89.000 Frauen getötet. Mehr als die Hälfte aller Femizide werden von Familienmitgliedern oder Partnern begangen. Nach Aussagen des Innenministeriums wurden alleine im gleichen Jahr 240.547 Fälle von häuslicher Gewalt angezeigt, was einen Anstieg von 8,5 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht! Vielleicht hat dies damit zu tun, dass die Thematik zunehmend enttabuisiert und mehr darüber gesprochen wird. Daher muss man die Zahlen natürlich stets im Kontext betrachten. Nichtsdestotrotz gab es 157.818 Fälle von Gewalt in Partnerschaften, was einen Anstieg von 9,1 % entspricht. Davon waren 80 % der Opfer Frauen. 78 % der Tatverdächtigen sind Männer. 133 Frauen und 19 Männer wurden durch ihren Partner getötet. Bei Gewalt in der Familie kam es zu über 82.000 Anzeigen, wobei einfache Körperverletzung als häufigstes Delikt angegeben wurde.

Sexueller Missbrauch findet am häufigsten innerhalb der engsten Familie statt. Darüber hinaus im erweiterten Familien- und Bekanntenkreis, Freunde, Nachbarn oder durch sonstige Personen, die das Kind gut kennen und somit eine gewisse Vertrauensbasis hergestellt haben. Manche Kinder werden „weiterverkauft“ an „zahlende Kunden“, z. B. über sogenannte Leihmutterschaft. Die Täter sind zu etwa 90 Prozent männlich und zu etwa 10 Prozent weiblich. Auch wenn der größte Teil der Schandtaten von Männern ausgeht, so ist es keine Frage des Geschlechts, sondern der Person. Frauen können ebenso brutal und missbräuchlich sein. Laut Statistik besteht bei fast allen Tätern der primäre Wunsch nach Macht und Überlegenheit. Die Dunkelziffer liegt bei all diesen Zahlen jedoch weitaus höher. Laut WHO 4) wird davon ausgegangen, dass alleine nur in Deutschland etwa eine Million Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt durch Erwachsene erfahren mussten oder erfahren. Das bedeutet, ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse.

Weltweit sind es einer globalen Statistik-Analyse von UNICEF zu Folge 300 Millionen Mädchen und Jungen, die körperliche oder verbale Gewalt durch ihre Erziehungsberechtigten zu Hause erfahren. 5)

Da fragt man sich, wie so viel Gewalt oftmals nur im Verborgenen bleiben kann. Kinder und Jugendliche, die Opfer von Missbrauch wurden, werden aufgrund daraus resultierender Symptomatik mit irgendwelchen Diagnosen etikettiert, die jedoch zu nichts anderem beitragen, als die Wahrheit zu verschleiern, nämlich ihr unerträgliches Kindheitstrauma, dem sie ohne eigenes Verschulden hilflos ausgeliefert waren. Die meisten dieser traumatisierten Opfer wachsen heran zu Menschen, die ihr Erbe in irgendeiner Form fortsetzen und ggf. bewusst oder unbewusst ebenfalls später zu Tätern werden.

„Trauma ist vielleicht die am meisten vermiedene, ignorierte, herabgesetzte, geleugnete, missverstandene und unbehandelte Ursache menschlichen Leidens.“ – Peter Levine

Ein Kind, das Missbrauch oder Vernachlässigung erfährt, verliert einen Teil seiner Seele – seine Unbedarftheit und sein Grundvertrauen in sich und die Welt. Um mit diesem Schmerz und Verrat irgendwie umgehen zu können, muss es Mechanismen entwickeln, die es ihm ermöglichen, ein Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen, indem es dysfunktionale Verhaltensweisen oder Betäubung und Ablenkung durch Süchte aller Art entwickelt.

Bis zum heutigen Tag werden Diagnosen gestellt, die lediglich Symptome von Menschen beschreiben, die Tag für Tag versuchen, sich im Überlebensmodus durch ihr Leben zu kämpfen. Nicht selten kann (nicht muss) sich hinter Bezeichnungen wie Borderline, Essstörungen, therapieresistenten Depressionen, chronischen Angstzuständen, Alkoholismus, ADHS, Autismus, Asthma, Hautproblemen, Einnässen, Gedächtnisstörungen, Hochsensibilität, Süchten, Schizophrenie, Bipolar, Epilepsie sowie psychosomatischen Beschwerden aller Art, Autoimmunerkrankungen, chronischen Schmerzerkrankungen (wie z. B. Fibromyalgie), Krebs sowie narzisstischen Persönlichkeitsstrukturen unverarbeitetes Trauma verstecken. Diese Traumata müssen nicht immer nur durch Krieg oder Missbrauch zustanden gekommen sein. Manchmal können sie durchaus ungewollt und sogar unbeabsichtigt verursacht werden. Doch der gesunde Umgang mit Trauma ist in einem veralteten, einseitig ausgerichteten und auf Macht basierenden System, dessen schubladengerechte Überzeugungen auf Krankheit und Störung fokussiert sind, alles andere als zeitgemäß und führt vielmehr zu Retraumatisierungen. Oft wird jenen, die Hilfe suchen, mit Unverständnis, Empörung und Misstrauen begegnet seitens derer, von denen sich Hilfe erhofft wird.

Im Zuge meines letzten Aufenthalts in einer psychosomatischen Klinik, habe ich nochmal ganz neue weiten von Gaslighting im medizinischen Kontext kennenlernen dürfen. Die besagte Klinik sollte eine führende Einrichtung auf ihrem Gebiet sein und hielt sich mit der positiven Selbstdarstellung auch nicht zurück, daher hatte ich die Erwartung, dort gut untergebracht zu sein. Der Aufenthalt war vor allem geplant, um meine Essstörung unter Kontrolle zu bringen und nach dem Vorgespräch war ich auch eher positiv gestimmt.

Dieser erste Eindruck wurde schnell von der Tatsache getrübt, dass ich nach meiner Ankunft darüber informiert wurde, ich solle erstmal eine Traumatherapie machen, bevor man sich mit der Essstörung auseinandersetzen könne. Die Arbeit an meinen Traumata wurde dann auch einfach begonnen. Ich habe versucht flexibel zu sein und mich darauf einzulassen, nur um eine Woche später die Information zu bekommen, ich müsse kurzfristig die Therapeutin wechseln und ich könne nicht weiter therapiert werden, würde ich nicht endlich zunehmen.

Eine Aufklärung, Absprache oder Vorwarnung gab es nicht, ebenso wenig einen konkreten Plan, woher und wie ich nun eine Gewichtszunahme erzielen sollte. Die bis dato angesprochenen Punkte in der Traumatherapie wurden nicht weiter besprochen und ich damit einfach stehen gelassen. Jeder Versuch meinerseits es anzusprechen, wurde unterbunden und anstatt dessen mit vagen Aussagen vertröstet.

Eine Essstörungsbasierte Therapie wurde mir nicht zuteil, ebenso wenig gab es Angebote zur Unterstützung. Dafür sollte ich aber mehrfach am Tag selbstständig Trinknahrung zu mir nehmen, was weder mit mir abgesprochen noch kontrolliert wurde. Ich sollte mich alleine darum kümmern.

Was dabei passiert, ist wohl jedem Menschen klar: ich habe die „Chance“ genutzt und weiter gefastet.

Mit dem zuvor „angerissenen“ Trauma hat man sich dann doch noch einmal beschäftigt, aber nur um mir mitzuteilen, ich hätte so viel schlimmes erlebt, dass könne auf keinen Fall wahr sein. Man war sich sicher: ich muss lügen. Dass es Polizeiberichte und medizinische Gutachten gab, war irrelevant.

Für die folgenden drei Wochen wurde mir jegliche Therapie gestrichen und ich habe die Zeit im Zimmer verbracht, einzig beim täglichen Sport musste ich verpflichtend teilnehmen. Das fand ich natürlich super, denn so konnte ich ganz in Ruhe weiter abnehmen. Und als ich dann weiter abgenommen habe, war das Erstaunen beim Fachpersonal riesig, als hätte man es gar nicht kommen sehen.

Das einzige, mit dem sie sich nun noch zu helfen wussten, war, mir mit der geschlossenen Station zu drohen, jedes Mal, wenn ich geweint habe oder nicht gemacht habe, was man verlangte. Am Ende hat man mich - mit deutlich weniger Gewicht als zuvor - gegen den ärztlichen Rat meines einweisenden Arztes, einfach entlassen.

– Lena, 24 Jahre

Der allgemeine mentale und emotionale Gesundheitszustand unserer Gesellschaft heutzutage kann somit als eine katastrophale Epidemie betrachtet werden. Man ist mehr daran interessiert, was mit den Menschen los ist, ohne zu berücksichtigen, was mit ihnen passiert ist. Dementsprechend menschenunwürdig wird auch miteinander umgegangen. Doch um Menschen besser verstehen zu können, taugt eine, auf Ignoranz basierende, „ich verstehe das nicht“ Einstellung reichlich wenig. Man muss Verhaltensweisen stets im Kontext betrachten, um zu verstehen, was dahinter liegt, anstatt mit dem moralischen Zeigefinger zu urteilen. Dann lassen sich Probleme auch an der tatsächlichen Wurzel anpacken. So auch narzisstisches und missbräuchliches Verhalten, welches ein durchaus sehr ernst zu nehmendes, gesellschaftliches Problem darstellt, dessen Auswirkungen bereits heute auf allen Ebenen gravierende Folgen zeigt. Der Klimawandel findet nicht nur umweltbezogen statt, sondern auch gesellschaftlich.

Kollektives Trauma lässt sich nicht heilen, indem wir wegschauen, weil es unangenehm ist und ständig irgendjemanden verantwortlich machen, sondern indem wir hinschauen und lernen, Eigenverantwortung zu übernehmen.

Gabor Mathé, The Myth of Normal

Quelle: BKA,

https://www.bka.de/

Quelle:

https://www.sueddeutsche.de/leben/prostitutionunionsfraktionsvize-baer-deutschland-ist-bordell-europas-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230912-99-159934

Quelle:

https://beauftragte-missbrauch.de/themen/definition/zahlen-zu-sexuellem-kindesmissbrauch-in-deutschland

https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/gewaltgegen-kinder/277028

Quelle: Arbeitsstab der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, https://beauftragte-missbrauch.de/

Trauma – Ein Zustand ohne Worte

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ – Friedrich W. Nietzsche

Trauma ist ein Zustand vollkommener Fassungslosigkeit und Sprachlosigkeit. Die meisten Traumata werden von Menschen im Stillen getragen, die versuchen allein damit klarzukommen. Auch ich wusste Jahrzehnte lang nicht, dass ich Trauma in mir trug und kämpfte verzweifelt gegen Windmühlen. Betroffenen fällt es schwer, Erfahrenes „fassen“ zu können, da Empfindungen schwer zugänglich sind und um über Geschehenes reden zu können, oftmals die Worte fehlen. Wo es keine Worte gibt, da sind es Bilder und Reflexe, die die Vergangenheit als Gegenwart präsentieren und in Form von Flashbacks oder Albträumen erscheinen lassen.

Diese Bilder befinden sich, sehr vereinfacht und metaphorisch ausgedrückt, in der rechten Gehirnhälfte, während die linke, die den Bildern Worte geben könnte und sie somit als „Vergangenheit“ ad acta legen könnte, diesbezüglich „ausgeschaltet“ ist. Das führt dazu, dass traumatisierte Menschen sich oftmals nicht bewusst sind, dass sie ständig ihre Vergangenheit reinszenieren und wieder erleben und Umstände oder Personen in der Gegenwart für ihren emotionalen Tsunami verantwortlich machen. Menschen mit Trauma reagieren nicht auf den gegenwärtigen Moment, sondern auf ein Ereignis der Vergangenheit. In gewisser Weise sind also traumatische Erinnerungen Matrizen von Wunden der Vergangenheit, die immer wieder erscheinen und danach schreien, aufgearbeitet und geheilt zu werden. Doch wenn wir nicht in der Gegenwart leben, wo leben wir dann? Wessen Leben leben wir? Weihnachten und Ostern konnten mich in früheren Jahren in tiefe Depressionen katapultieren. Selbst heute kann es noch vorkommen, dass manche Situationen in mir alte Muster triggern – ich spüre die alten Narben, ohne jedoch immer noch ins Nirwana zu fallen. Manche Dinge sind tief, sehr tief in unserem Nervensystem verankert und es braucht viel Zeit und Geduld zu lernen, damit umzugehen.

Ein ungeheiltes Trauma kann folglich als eine Verletzung betrachtet werden, die sehr schmerzt, wenn sie berührt wird. Das Gute daran ist, dass diese alten Wunden geheilt werden können, sofern man bereit ist, sich ihnen zuzuwenden. Wenn uns also jemand oder etwas triggert, dann reagieren wir so, als ob wir genau in diesem Moment noch einmal verletzt würden. Bei Wunden entsteht Narbengewebe. Dieses Narbengewebe kann unflexibel, verhärtet oder taub sein. Ähnlich kann es sich mit dem Trauma verhalten. Es kann sich also als sehr empfindliche Wunde zeigen oder als emotionale Taubheit – eine Unterbrechung unserer Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu sein. Doch diese Fähigkeit kann erlernt werden und ist ein wichtiger Teil des Heilungsprozesses.

Es ist wichtig, Menschen aufzuklären, dass die Symptome, die sie wahrnehmen, im Zusammenhang mit dem, was sie erfahren haben, absolut normal sind. Ihre Psyche und ihr Körper machen genau das, was sie machen müssen: sie sorgen dafür, dass man zumindest „funktioniert“ – zumindest kurzfristig gesehen. Symptome sind Nachrichtenträger und unsere Aufgabe besteht darin, die Nachrichten verstehen zu lernen. Oftmals fühlen sich Betroffene schuldig dafür, dass sie damals nichts unternommen haben, um das Ereignis gestoppt zu haben. Doch ihr Geist, Gehirn und ihr Körper haben sie zum Zeitpunkt des Traumas nicht im Stich gelassen, sondern alles getan, um sie zu beschützen. In ständiger Angst zu leben bedeutet, dass man in einem Körper lebt, der ununterbrochen in Habachtstellung ist. So bewirkt Stress mitunter, dass man den Fokus auf das Problem richtet, um auf der Grundlage vergangener Erinnerungen auf zukünftige Worst-Case-Szenarios vorbereitet zu sein. Wenn wir meinen, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, dann glauben wir bessere Überlebenschancen zu haben.

Je mehr wir in unserem Alltagsleben von unseren Stresshormonen abhängig sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass wir dahin kommen, wo wir hinmöchten: in unsere Mitte. Wütende Menschen leben in wütenden Körpern. Traurige Menschen leben in traurigen Körpern. Solange Trauma-Opfer sich nicht mit den Empfindungen ihres Körpers in kleinen, achtsamen Schritten vertraut machen, wird ein Heilungsprozess schwierig sein. Die Körper von Menschen mit Kindheitstrauma sind chronisch angespannt und defensiv, da sie sich in ihrem Körper nicht sicher fühlen, um entspannen zu können. So auch die Körper von Menschen, die im Erwachsenenalter in toxische Beziehungen geraten sind. Sie müssen erst lernen, sich ihrer Empfindungen bewusst zu werden und der Art und Weise, wie ihr Körper mit ihrer Umwelt interagiert. Anfangs fehlt es oft noch an emotionalem Bewusstsein. Physische Selbsterkenntnis ist ein fundamentaler Schritt auf dem Weg, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Daher können Psychopharmaka eher kontraproduktiv sein, da sie Empfindungen dämpfen und betäuben. Man muss seinen Geist erst wieder umerziehen, um sich zu erlauben, körperliche Empfindungen zuzulassen und zu spüren, Intuition wahrzunehmen, gesunde Berührungen in einem gesunden Umfeld zu tolerieren und genießen zu können, ein wenig nach dem Motto: What you feel, you can heal.

Anzeichen für ungeheilte Traumata können beispielsweise sein, dass Sie täglich das Gefühl haben, sich durch Ihr Leben zu kämpfen und es Ihnen schwerfällt, in Frieden mit sich zu sein. Sie stellen vielleicht ständig das Wohl anderer vor Ihr eigenes Wohl und haben das Gefühl, es nicht wert zu sein, Ihren Raum einzunehmen. Sie empfinden Unfähigkeit, adäquat mit Stress oder Wut umzugehen und Grenzen zu setzen. Es fällt Ihnen schwer zu vertrauen. Sie haben massive Selbstzweifel hinsichtlich Ihrer eigenen Fähigkeiten, leiden unter Selbstablehnung, haben große Schuldgefühle, Scham und Angst vor Intimität und Verletzung. Sie fühlen sich ständig getrieben, sind immer irgendetwas am Machen und von Perfektionismus gesteuert. Zur Ruhe kommen Sie eher nicht. Sie haben das Gefühl, manchmal nicht in Ihrem Körper zu sein oder Ihre Umwelt als nicht zugehörig wahrzunehmen. Sie empfinden vielleicht Gefühle von Taubheit. Sie nutzen Ihr Potenzial nicht, fühlen sich schlapp, lebensmüde und fahren mit angezogener Handbremse. Sie vermeiden Verpflichtungen und Verantwortungen und tun sich schwer mit Entscheidungen und Zeitplanung.

Menschen beginnen zu heilen, sobald sie sich sicher, gehört und verstanden fühlen. Jeder Mensch hat ein wahres authentisches Selbst. Und dieses wahre authentische Selbst kann nicht zerstört werden. Es mag vielleicht tief verborgen liegen und bei manchen Menschen geradezu einbetoniert sein und niemals zum Vorschein kommen, aber es ist vorhanden. Die größte Quelle unseres Leidens sind all die Lügen, die wir uns ständig selbst erzählen, um uns nicht mit dem Schmerz der Wahrheit auseinandersetzen zu müssen. Wie also kann man mit Traumaerfahrungen umgehen? Wie kann man sie integrieren? Worin liegt der erste Schritt?

BATMAN oder JOKER – wir haben immer die Wahl

“Will we choose to be healed, or will we become one of the walking wounded?” – David R. Hawkins

Der erste Schritt liegt, wie bei so vielem im Leben, in einer Entscheidung, denn das Schlimme an einem Trauma ist nicht das, was passiert ist, sondern das, was infolgedessen von dem, was passiert ist, in uns passiert. Das bringt jedoch auch direkt eine gute Nachricht mit sich, nämlich, dass Trauma somit keine lebenslange Strafe sein muss. Wir müssen nicht den Rest unseres Lebens damit verbringen.

Der kleine Bruce Wayne erlebt eine glückliche Kindheit bis zu seinem 8. Lebensjahr, als seine Eltern auf dem Heimweg nach einem Kinobesuch von einem Kleinkriminellen umgebracht werden. Dieser brutale und schmerzhafte Schicksalsschlag führt dazu, dass Bruce für sich eine Entscheidung trifft, sein Leben fortan der Verbrechensbekämpfung zu widmen. Er arbeitet sehr hart und entschlossen an sich und kreiert eine Persönlichkeit, die andere davor bewahren möchte, ähnliche grausame Erfahrungen zu machen: BATMAN. Ihm gegenüber steht der JOKER. Doch was haben beide Charaktere gemeinsam? Beide wurden Opfer von grausamen, brutalen, traumatischen Erfahrungen. Beide erfuhren unfassbar großen Schmerz und beide tragen tiefe Narben. Aber was unterscheidet sie? Die Antwort darauf liegt in der Entscheidung, die jeder für sich in Folge seiner Erfahrung getroffen hat.

Über Geschichten erklären wir Menschen uns selbst die Welt, in der wir leben. In vielen dieser Geschichten, Märchen und Filmen finden wir ähnliche Charaktere wieder, wie in BATMAN, nämlich das Opfer, den Schurken und den Helden. Auch in der Geschichte unseres Lebens – und das nicht nur in der Außenwelt, denn wir sind ebenso alle drei Charaktere in einer Person. Doch für welchen Charakter wir uns entscheiden und mit welchem wir uns primär identifizieren, bestimmt die Antwort auf die Frage, die sich alle Opfer von Trauma stellen: Was ist die Geschichte, die fortan mein Leben sein soll?

“Freedom is about CHOICE - about choosing compassion, humor, optimism, intuition, curiosity, and self expression.”

- Dr. Edith Eger, The Choice

Die Rolle, die wir in unserer Geschichte des Lebens einnehmen, bestimmt nicht nur unsere Persönlichkeit, sondern auch den Verlauf. Identifizieren wir uns mit dem Opfer, umso schlimmer wird unsere Geschichte. Das Opfer ist überzeugt, es sei vom Leben verflucht, dem Untergang geweiht und es gebe keinen Ausweg, sodass es immer jemanden sucht, der es versucht zu retten. Doch da es sich für die Opferrolle entschieden hat, ist Rettung vergebens. Abgesehen davon hat es noch nie ein erfolgreiches Opfer gegeben. Deswegen sind Opfer auch Opfer. Sie wandeln sich meist nicht und bekommen auch niemals das, was sie wollen. Sie lassen den Helden gut und den Bösewicht böse aussehen. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist es wichtig, tatsächliche Opfer, die einer Situation hilflos ausgeliefert waren (wie z. B. ein Kind in einem missbräuchlichen Familiensystem, Menschenhandel oder Kriegsopfer) vom hier erwähnten Opferverhalten abzugrenzen, was sich im Laufe der Zeit aus traumatischen Erfahrungen entwickeln kann.

Treffen wir die Entscheidung, uns vor lauter Schmerz, Enttäuschung, Bitterkeit und Hass mit dem Bösewicht zu identifizieren, auf Rache zu sinnen und andere leiden zu lassen, so wie wir gelitten haben, werden wir andere erniedrigen und verletzen, um uns mächtig und erhaben zu fühlen und die Kontrolle zu behalten. Der JOKER sagt: „Die Welt hat mich verletzt, also werde ich dafür andere verletzen“. Dann gehören wir zu jenen, die ihr Trauma weitergeben. Hier finden wir den Narzissten wieder. Doch auf lange Sicht holen uns all die Schandtaten ein. Der Bösewicht erhält früher oder später immer seine Rechnung und selbst wenn dies bedeutet, dass er aufgrund seiner Entscheidung niemals Glück, inneren Frieden, Empathie und Liebe empfinden wird und als leere Seele ein ärmliches Dasein fristet.

Der Held weiß oft nicht, was er tun soll, wie er es angehen soll und benötigt Hilfe. Er sagt sich: „Die Welt hat mich verletzt, ich werde nicht zulassen, dass dies anderen auch passiert“. Er hat oftmals eine schwache Ausgangsposition und erfährt auf seinem Weg der Heilung immer wieder Rückschläge. Doch er ist entschlossen, Herausforderungen anzunehmen, hart an sich zu arbeiten und über seinen Schmerz hinauszuwachsen, sodass er am Ende stark ist. Sein Leben dreht sich nicht um den eigenen Bauchnabel. Das Annehmen seines Schmerzes und einer Mission zu dienen, die größer ist, als er selbst, gibt seinem Leben einen tieferen Sinn.

Was also, wenn erfahrenes Trauma sich zu einem Geschenk wandeln kann und das Leben gar nicht sinnlos ist?

Das Leben an sich besteht lediglich aus Zeugs, das wir zusammenstellen und daraus machen, was wir entscheiden, daraus zu machen. Wenn also etwas im Leben sinnlos ist, dann ist es nicht das Leben, sondern das, was wir daraus machen. Aber oftmals gehen wir her und projizieren unser Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit auf andere und machen die Umstände verantwortlich.

„Wer ein WARUM zu leben hat, kann fast jedes WIE ertragen.“

– Friedrich Nietzsche

Wenn wir auf die Welt kommen, gibt uns das Leben ein paar grundlegende Drehbücher zum Start in die Hand. Wir werden in eine Familie hineingeboren. Hier geben uns unsere Eltern das erste Drehbuch. In der Schule bekommen wir ein Schulskript. Ein weiteres Drehbuch gibt es dann in der Uni oder der Ausbildung. Dann kommen noch ein Beziehungsskript und vielleicht irgendwann ein Familienskript hinzu. All dies sind die Skripte, die uns unsere Gesellschaft und Kultur gegeben hat. Es liegt jedoch an uns zu lernen, Verantwortung für unser eigenes Skript zu übernehmen, um unsere eigene Geschichte zu schreiben. Das mag sich am Anfang so anfühlen, als würde man auf einen leeren Bildschirm starren oder eine weiße Leinwand vor sich haben. Doch im Ausfüllen dieser weißen Leinwand liegt das, was uns wahrlich ausmacht, unser wahrer Kern, unsere Authentizität.

„Während dieser psychischen Phase beobachtete man, dass Menschen mit primitiveren Naturen sich den Einflüssen der Brutalität, die sie im Lagerleben umgab, nicht entziehen konnten.

Jetzt, da sie frei waren, dachten sie, sie könnten ihre Freiheit zügellos und rücksichtslos nutzen. Das Einzige, was sich für sie geändert hatte, war, dass sie jetzt die Unterdrücker statt der Unterdrückten waren.

Sie wurden Anstifter, nicht Objekte, von mutwilliger Gewalt und Ungerechtigkeit. Sie rechtfertigten ihr Verhalten mit ihren eigenen schrecklichen Erfahrungen. (...)

Nur langsam konnten diese Männer zu der alltäglichen Wahrheit zurückgeführt werden, dass niemand das Recht hat, Unrecht zu tun, nicht einmal dann, wenn ihm Unrecht angetan wurde.“

– Viktor Frankl, Trotzdem Ja zum Leben sagen

Die Entscheidung, wie wir auf schmerzhafte Erfahrungen im Leben reagieren, führt uns dazu, entweder Bösewicht oder der Held zu sein. Opferrolle und Schurkerei sind beides Bewältigungsmechanismen. Beide sind nicht produktiv. Das Einzige, was produktiv ist, ist zu sich selbst zu sagen: „Es ist hart, doch ich akzeptiere es. Ich lehne es nicht länger ab und ich leugne es nicht länger. Ich engagiere und verwandle mich zu der Person, die an ihren Herausforderungen wächst“.

Wir können in dieser Welt Schmerz und Leid nicht entkommen. Es ist das zwanghafte Streben nach ewigem Glück und lechzen nach „guten Gefühlen“ in der Geschichte der Menschen, das viel Leid und Zerstörung gebracht hat, indem wir ständig versuchen, vor uns selbst wegzurennen und die hinterlassene innere Leere mit mehr zu füllen, als wir bekommen können. Dies jedoch fördert den wachsenden Tumor kollektiver Toxizität.

Ohne Leiden gibt es keine Möglichkeit, Held zu sein. Ohne Schmerz gibt es keine Geschichte. Ebenso wie es ohne Konflikt und ohne Probleme kein Wachstum gibt. Die Komfortzone schreibt keine Geschichte. In ihr wächst und gedeiht nichts. Die Überwindung von Herausforderungen schreibt Geschichte. Unser Leben ist eine Story und ihr Verlauf hängt davon ab, welchen Charakter wir in unserem Leben wählen. Entscheiden wir uns den Weg des Schurken, des Opfers oder des Helden zu gehen? Entscheiden wir uns für Zerstörung und Resignation oder Wachstum und Heilung?

Die Anatomie von Manipulation und Missbrauch

Die Entwicklung toxischer und narzisstischer Persönlichkeitszüge

Das Thema Narzissmus hat in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit bekommen, sodass man sich fragen mag, ob es sich vielleicht um eine Modeerscheinung handelt. Nein, Narzissmus gibt es schon seit Ewigkeiten und wird in der Geschichte der Menschheit auf unterschiedlichste Weise erwähnt, wie z. B. im Jahre 1944 gedrehten Psychothriller Das Haus der Lady Alquist, in dem es um heftige psychologische Manipulation geht und aus dem der Begriff des Gaslighting stammt. Aber auch schon lange davor, wie z. B. in der griechischen Mythologie, in der ein schöner Jüngling sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte, in Märchen wie Schneewittchen, der böse Wolf und Rumpelstilzchen, durch Sigmund Freud an Bekanntheit gewann, oder in Liedern aufgegriffen wurde, wie z. B. Wicked Game von Chris Isaak oder der Klassiker von Elvis Presley, Devil in disguise:

You look like an angel Walk like an angel Talk like an angel But I got wise You‘re the devil in disguise

I thought that I was in heaven But I was sure surprised Heaven help me, I didn‘t see The devil in your eyes

So lässt sich sagen, dass Narzissmus überall dort in Erscheinung treten kann, wo es um Macht, Kontrolle, um Anerkennung und Bewunderung geht. Was alle Narzissten gemein haben, ist, dass sie ihre wahre Identität maskieren. Sie wollen unter gar keinen Umständen erkannt und entlarvt werden.

Somit handelt es sich hierbei keineswegs um eine Modeerscheinung, sondern vielleicht vielmehr um ein Symptom eines gesellschaftlichen Problems, welches sich über sehr lange Zeit aufgestaut hat und nun zutage tritt.

Aber welche Voraussetzungen und Eigenschaften begünstigen die Entwicklung dieser toxischen Eigenschaften? Natürlich ist unser menschliches Dasein weitaus komplexer und sicherlich mögen hier und da vielleicht auch genetische Hintergründe beteiligt sein oder andere Einflüsse mitunter eine Rolle spielen, doch vereinfacht ausgedrückt lassen sich die möglichen Ursachen zur Entwicklung narzisstischer und toxischer Persönlichkeitsprägungen in zwei Worten zusammenfassen: mangelnde Bindungserfahrungen. Hier können drei Faktoren eine wesentliche Rolle spielen, erstens Kindheitstrauma (narzisstischer, körperlicher, psychischer und sexueller Missbrauch), zweitens übermäßiges Verwöhnen, Verhätscheln, jegliche Verantwortung abnehmen und Überbehüten von Kindern und drittens Ablehnung und Vernachlässigung in der Erziehung.

Viele Narzissten waren selbst Opfer körperlichen, sexuellen oder emotionalen Missbrauchs in ihrer Kindheit und haben schreckliche Dinge erfahren – so schrecklich, dass sie für sich nur die Möglichkeit sahen, zum Selbstschutz innere Mauern hochzufahren, ihr Selbst aufzugeben und Überlebensstrategien zu entwickeln, die ihnen ermöglichten, in ihrem toxischen Umfeld zu überleben. Sie versuchten ihr inneres Vakuum durch das Tragen von Masken zu verstecken: „Wenn ich nicht ich bin, tut es nicht weh“