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Dieser Band enthält folgende Romane (349XE) von Ann Murdoch: Das verhängnisvolle Tagebuch Gespenst zu vermieten Claire-Marie Fischer ist Leiterin des Schlosshotels Hohenberg, auf dem zur gleichen Zeit die arrogant wirkende Michaela Henke und der freundliche Thorsten Minster ihren Urlaub verbringen sowie Winfried Hartmann, der inkognito als Schätzer für eine Hotelkette arbeitet. Während Thorsten zunächst erfolglos um Michaela zu werben beginnt, entwickeln auch Claire und Winfried füreinander Gefühle, ohne dass Claire jedoch von seinem eigentlichen Auftrag weiß.
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Das Gespenst und das Tagebuch: Romantic Thriller 2 Romane
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Das verhängnisvolle Tagebuch
Gespenst zu vermieten
Dieser Band enthält folgende Romane
von Ann Murdoch:
Das verhängnisvolle Tagebuch
Gespenst zu vermieten
Claire-Marie Fischer ist Leiterin des Schlosshotels Hohenberg, auf dem zur gleichen Zeit die arrogant wirkende Michaela Henke und der freundliche Thorsten Minster ihren Urlaub verbringen sowie Winfried Hartmann, der inkognito als Schätzer für eine Hotelkette arbeitet. Während Thorsten zunächst erfolglos um Michaela zu werben beginnt, entwickeln auch Claire und Winfried füreinander Gefühle, ohne dass Claire jedoch von seinem eigentlichen Auftrag weiß.
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Sonya war ahnungslos. Eigentlich war sie hergekommen, um eine ganz besondere Art von Arbeit auszuführen. Höflich ausgedrückt gehörte sie zum horizontalen Gewerbe. Es war schon seltsam, dass man sie zu diesem doch vornehmen Haus geladen hatte. Aber sicher würde die Bezahlung dann auch dementsprechend vornehm sein.
Sie lächelte den Mann vor sich einladend an und wollte schon den Reißverschluss ihres hautengen Kleides öffnen. Eine rasche unerwartete Bewegung irritierte sie jedoch, und dann spürte sie den Einstich einer Spritze. Noch bevor sie aufschreien konnte, sackte ihr Körper zusammen.
„Sie müssen keine Angst haben“, sagte der Mann, der ihren schlaffen Leib jetzt durch den Raum zerrte und dann auf einem Stuhl ablegte. Gurte an den Armlehnen und auch unten an den Stuhlbeinen wurden festgezogen, dann wurde auch der Kopf fixiert.
Ein irres Lachen brach sich Bahn aus der Kehle des Mannes. „Ich will Ihnen nichts Böses, ganz im Gegenteil. Sie nehmen teil an einem faszinierenden Experiment, in dessen Verlauf Ihr Geist ungeahnte Höhen erreichen wird. Sie werden sich verändern von einer einfachen Frau von der Straße zu einer wahren Geistesgröße. Ihre Intelligenz und Ihre Ausdauer werden sprunghaft zunehmen, und Sie werden auf jedes Wort von mir hören. Gemeinsam werden wir dann völlig neue Wege gehen.“
Ein Irrer!, schoss es Sonya durch den Kopf. Bisher hatte sie Glück gehabt mit ihren Kunden, so einer war ihr noch nicht untergekommen, aber einmal ist immer das erste Mal. Sie wollte aufbegehren, ihn anschreien, dass sie gar kein Verlangen danach hatte, anders sein zu wollen, als sie es im Augenblick war. Und dass sie auf keinen Fall irgendwelche Experimente mit ihm machen wollte. Doch außer ihren Augen konnte sie keinen Körperteil rühren.
Mit Entsetzen und heftig schlagendem Herzen musste sie es zulassen, dass der Mann Elektroden an ihrem Kopf befestigte. Davon gingen dünne Kabel zu Geräten, die irgendwie einen medizinischen Eindruck machten. Erneut bekam sie eine Spritze, und gleich darauf setzte ein Alptraum in ihrem Innern ein.
Schmerzen rasten durch ihren Körper, vor ihrem geistigen Auge formten sich grauenerregende Gestalten, alles verwob sich zu einem wirren Kaleidoskop, und ihre lautlosen Schreie verhallten ungehört im Nichts.
Eine Stunde später löste der Mann auch die letzten Gurte.
„War noch immer nicht die richtige Mischung“, murmelte er enttäuscht, während er den leichten Körper der zierlichen Frau über seine Schulter warf.
Er verließ den Raum durch eine Tapetentür, ging dann durch einen langen Gang und schließlich eine schmale, schlecht beleuchtete Treppe hinauf. Gleich darauf befand er sich auf der Straße. Von hier aus war es nicht weit zum Trafalgar Square. Er legte die Frau auf einer Bank ab, ungesehen, um vier Uhr früh schlief selbst London zum größten Teil. Irgendjemand würde sie später schon finden, ohne Gedächtnis. Eine Frau ohne Namen, ohne Erinnerung, die vielleicht unter den Nachwirkungen einer Überdosis irgendeines Rauschgiftes litt. Sie würde sich auf jeden Fall an nichts erinnern können und wahrscheinlich den Rest ihres Lebens vor sich hindämmern, genau das Gegenteil dessen, was der Mann mit seinem Versuch eigentlich bewirken wollte.
Noch immer vor sich hin murmelnd ging der Mann davon, kehrte in sein Haus zurück und legte sich in sein Bett.
Einige Stunden später erwachte er, müde und erschöpft. Beim Studium der Zeitungen wunderte er sich, wie viele andere auch, über die starke Zunahme der Zahl von Menschen, die orientierungslos aufgefunden wurden. Scheinbar war eine neue Droge in der Szene aktiv, deren Bestandteile bisher noch niemand erkannt hatte. Es würde vermutlich in den nächsten Wochen seine Aufgabe sein, die Zusammensetzung dieser Droge ausfindig zu machen.
Als Sonya an diesem Tag von einem uniformierten Polizisten aufgefunden wurde, lächelte sie wie ein kleines Kind. Doch ihre Augen waren leer, ihr Geist für immer zerstört. Wie schon andere Opfer vorher kam sie in eine geschlossene Anstalt.
*
Es klirrte unangenehm laut, als das kostbare Waterford-Kristall zu Boden fiel. Ein Poltern verriet, dass auch das schwere silberne Tablett den gleichen Weg gegangen war.
Irritiert blickte Professor Thomas Harding von seinem Buch auf und paffte eine Rauchwolke aus seiner Pfeife.
Jenkins, der Butler und gute Geist des Hauses, beugte sich mit hochrotem Kopf nieder und sammelte die Scherben auf.
„Ich bitte um Verzeihung, Sir“, murmelte er kaum hörbar. „Selbstverständlich werden Sie mir die Kosten für meine Ungeschicklichkeit von meinem Gehalt abziehen.“
„Blödsinn“, fuhr Sir Thomas auf. Rasch hockte er sich neben seinen treuen Butler, der in all den Jahren schon zu einem guten Freund geworden war, und sammelte ebenfalls eifrig die Scherben mit auf.
„Oh, Sir, bitte nicht“, bat Jenkins geschockt und hielt die Hand seines Dienstherrn fest.
„Und warum nicht?“, knurrte der geadelte Psychologe und schob die Hände des anderen beiseite. „So ein Malheur kann jedem passieren, auch wenn ich das bei Ihnen noch nie erlebt habe. Sind Sie krank, Jenkins? Fühlen Sie sich nicht wohl? Dann sollten Sie mich nun wirklich nicht auch noch bemuttern. Ich werde es bestimmt überstehen, wenn ich ein paar Tage ohne Sie auskommen muss.“
Das Erschrecken im Gesicht des Butlers sprang Sir Thomas förmlich entgegen.
„Ich bin nicht krank, Sir, nein, wirklich nicht. Außerdem wäre es dann auch meine Aufgabe für einen adäquaten Ersatz zu sorgen. Ich bitte, meine Ungeschicklichkeit ...“
„Das sagten Sie schon. Und ich denke überhaupt nicht daran, etwas zu entschuldigen, von dem ein Blinder sehen kann, dass es Ihnen auf der Seele brennt. Irgendetwas stimmt nicht mit Ihnen, und ich möchte gern wissen, was das ist. Oder haben Sie etwa kein Vertrauen mehr zu mir? Ich dachte eigentlich, wir wären längst über das förmliche Verhältnis hinaus.“
Jenkins hatte flink alle Scherben aufgehoben, bis auf die kleinen Splitter, die er aufkehren musste. Jetzt stand er auf, und auch Sir Thomas erhob sich. Er blickte seinen Angestellten an und brummte dann etwas unverständlich vor sich hin. „Also, ich höre.“
„Gestatten Sie, Sir, dass ich zunächst die traurigen Überreste dieses – dieses Unfalls beseitige?“
„Das klingt, als wollten Sie Zeit schinden. Aber gut, in zwei Minuten sitzen Sie mir gegenüber, und dann will ich keine Ausflüchte mehr hören.“
„Ja, Sir, ich habe verstanden“, gab der Butler nach. Er verschwand mit auffallender Schnelligkeit, und Sir Thomas setzte sich wieder in seinen gemütlichen Sessel am Kamin. Er war gespannt, welches Problem Jenkins so stark beschäftigte, dass er darüber seine Pflichten vernachlässigte. Es musste schon etwas schwerwiegendes sein, denn normalerweise war der Butler ein Musterbeispiel seines Berufsstandes.
Was er jedoch wenig später zu hören bekam, erstaunte ihn nicht nur, nein, es bestürzte ihn sogar, und er verstand, dass Jenkins mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache war.
*
„Helen, meine Liebe, ich freue mich, dich mal wieder zu erwischen“, rief der kräftig gebaute Mann jovial aus. Er zog die schlanke Frau mit dem kurz geschnittenen Haar in die Arme. James Doohan war der Besitzer und Herausgeber des „Weekly Mirror“, einer Wochenzeitschrift, die im ganzen Vereinten Königreich einen guten Ruf genoss, weil ihre Reportagen sachlich fundiert, dabei interessant und häufig sogar brisant waren.
Eine der Journalistinnen, die Woche für Woche auf der Jagd nach ansprechenden Themen war, hieß Helen Jefferson und war eine alte Freundin des Chefs. Eigentlich war ihre Mutter gut mit ihm befreundet gewesen, aber Doohan war für sie schon als Kind nur Onkel Jim gewesen. So hatte er sich auch rasch bereit erklärt, sie einzustellen, als Helen nach ihrer Scheidung eine Anstellung gesucht hatte. Bis heute hatte er diesen Entschluss nicht bereuen müssen, denn die 38jährige füllte ihren Job mit Herzblut aus. Und manchmal auch unter Einsatz von Leib und Leben. Doch an diese Episoden, die sie alle mehr oder weniger durch das Zutun von Professor Harding erlebt hatte, dachte sie gar nicht gern.
Allerdings war der ganz normale Dienst teilweise sterbenslangweilig – was vielleicht auch am Chefredakteur Raymond Brody lag, der insgeheim ein Auge auf die attraktive Frau geworfen hatte. Die jedoch war nicht bereit, sich zu verkaufen, wie sie es nannte. So kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit Brody, den Helen nur deswegen respektierte, weil auch er den Instinkt, den richtigen Riecher für gute Stories besaß.
Jetzt warf Helen einen kurzen triumphierenden Blick zu Brody hinüber, der mürrisch die Szene betrachtete. Sie wusste schon jetzt, dass er ihr aus Rache wieder einen Wochenenddienst oder den langweiligen Bericht über ein Gemeindefest aufs Auge drücken würde, doch das war ihr egal. Ab und zu brauchte sie solche kleinen Aufmunterungen.
„Onkel Jim, wie geht es dir?“, strahlte sie Doohan an und bemerkte, dass die Ringe unter den Augen des Mannes noch tiefer geworden waren. „Du siehst gar nicht gut aus, du wirst noch krank werden, wenn du nicht ein bisschen kürzer trittst.“
„Ach, mein Mädchen, du weißt doch, seit ich mich entschlossen habe, in der Politik aktiv zu werden, bleibt mir keine ruhige Minute mehr“, grinste Doohan.
„Und was sagt Tante Marjorie dazu?“
Er zuckte die Schultern und grinste noch breiter. „Wenn ich auf alles hören würde, was meine Frau sagt, würde ich niemals Bürgermeister.“
„Du hast also deinen Traum noch nicht aufgegeben?“, neckte sie ihn.
„Warum sollte ich das tun? Immerhin ist das eine Lebensaufgabe.“
„Dann musst du erst die Partei wechseln“, riet Helen nicht ganz ernst gemeint. Doch so unrecht hatte sie mit ihren Worten nicht. Doohan war sehr beliebt und geachtet, doch allein damit konnte er sein Lebensziel nicht erreichen. Die politischen Verbindungen waren nun einmal ungeheuer wichtig und da befand sich Doohans Partei nun einmal in der Opposition.
So tätschelte er Helen jetzt die Wange, als ob sie noch immer ein kleines Mädchen wäre. „Eigentlich wollte ich mich nur überzeugen, dass hier in der Redaktion alles in Ordnung ist“, meinte er.
„Da musst du dich vertrauensvoll an Mister Brody wenden, er ist es schließlich, der hier alles im Griff hat“, empfahl Helen mit leiser Ironie.
„Ihr seid euch also immer noch nicht grün? Nun ja, solange eure Arbeit aber noch gute Artikel zustande bringt, musst du dich wohl weiter mit ihm zusammenraufen“, meinte Doohan, dem sehr wohl bekannt war, dass Helen und der Chefredakteur in ständigem Clinch lagen.
Sie verzog ein wenig das Gesicht, lächelte dann aber.
„Wir kommen schon irgendwie klar. – Oh, entschuldige bitte, mein Telefon klingelt.“ Gleich darauf hörte Helen am anderen Ende die warme vertraute Stimme von Sir Thomas Harding.
„Helen, ich brauche dringend einen Schachpartner und ein langes Gespräch. Welche Uhrzeit wäre Ihnen lieber, sieben oder acht?“
„Sie können doch nicht so einfach über meine Zeit bestimmen“, erklärte sie verblüfft.
„Aber Sie werden mich doch jetzt nicht etwa im Stich lassen?“, fragte er im Brustton gekränkter Unschuld.
Sie seufzte und fragte sich, ob es damals nicht doch ein Fehler gewesen war, diesen wirklich faszinierenden Mann näher kennenzulernen. Anlässlich seiner Erhebung in den Adelsstand war es ihr gelungen, den als pressescheu bekannten Mann zu einem Interview zu bewegen, was gleich in einem unglaublichen Erlebnis geendet hatte. Seitdem hatte sie eine Menge turbulenter gefährlicher Abenteuer erlebt, hervorragende Reportagen geschrieben – und sich ein kleines bisschen in ihn verliebt. Doch dieses Geheimnis verwahrte sie tief in ihrem Herzen. Niemals durfte er es erfahren. Er war ihr ein guter Freund, geschätzter Gesprächspartner und schwieriger Gegner beim Schach, dabei musste es bleiben.
Eigentlich hatte er recht, sie hatten schon lange nicht mehr gespielt, und offenbar gab es etwas zu besprechen. Es durfte nur nicht wieder in ein haarsträubendes Abenteuer ausarten.
Rasch sagte Helen zu.
*
Sie hatten sich einen harten Kampf geliefert. Helen war Sir Thomas im Schachspiel ebenbürtig, eine Tatsache, die er an ihr sehr schätzte. Jetzt stand das Spiel auf Messers Schneide, ein falscher Zug konnte die Entscheidung bringen, für wen auch immer.
„Was ist eigentlich so wichtig, dass Sie auch noch mit mir reden wollten?“, fragte Helen, während ihre Hand etwas ratlos über dem Turm verharrte.
Sir Thomas paffte an seiner Pfeife, dann schaute er kurz auf.
„Ist das jetzt Ihre neue Taktik, um mich aus dem Konzept zu bringen?“, fragte er gutmütig.
„Ach, wollen Sie mir jetzt unterstellen, dass eine Unterhaltung Sie in Ihrer Konzentration stört?“, erkundigte sie sich mit deutlichem Spott in der Stimme. „Außerdem bin ich am Zug.“
„Meine liebe Helen“, begann er dozierend, und sie lachte leise auf.
„O je, wenn dieser Tonfall kommt, dann wird es ernst für mich. Sie gestatten, dass ich mich zurückziehe und nach Hause fahre?“
„Nein“, grinste er.
Sie seufzte. „Also, dann erzählen Sie mal.“
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Soweit sind wir noch nicht. Lassen Sie uns dieses Spiel zu Ende führen, bitte.“
Sie schüttelte den Kopf, zuckte dann aber mit den Schultern. „Also gut.“ Eine Weile überlegte sie, dann zog sie energisch und überraschend ihre Dame. „Schach“, bot sie.
Harding blickte verblüfft auf das Brett. In Gedanken ging er die möglichen Züge durch, musste aber gleich darauf einsehen, dass Helen ihm keine Auswahl mehr gelassen hatte. Er warf seinen König um.
„Nicht zu fassen, aber Sie haben gewonnen.“
„Sehr schön“, lächelte sie. „Dann können wir jetzt endlich zu den wirklich wichtigen Dingen kommen?“
Er lehnte sich zurück und wurde unvermittelt ernst. „Ja, die kurze Pause zur Entspannung ist wohl vorbei. Bevor wir jedoch weitermachen, möchte ich Sie um Vertraulichkeit bitten.“
Sie zog die Augenbrauen hoch, dann nickte sie. „Daran habe ich mich bisher immer gehalten. Nun, ich höre.“
Und Sir Thomas begann mit einem seltsamen Bericht.
*
Butler Jenkins hatte sich nur widerstrebend auf dem Sessel niedergelassen, doch er wusste, dass sein Chef darauf bestehen würde. Aufmerksam forschte Harding in der undurchdringlichen Miene seines Angestellten.
„Es ist eine höchst delikate Angelegenheit, Sir“, begann Jenkins unbehaglich. „Und eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob ich jetzt nicht einen Vertrauensbruch begehe. Doch Ihnen ist vielleicht bekannt, dass ich Mitglied im Bachelors Club bin. Dort sind viele Butler und Diener eingeschrieben, aber das tut ja jetzt nichts zur Sache und dient nur dem besseren Verständnis.“
Sir Thomas war von dieser langatmigen Einleitung etwas irritiert, doch er schwieg; er kannte Jenkins lange genug, um zu wissen, dass sein Butler schon noch zur Sache kommen würde.
„Nun, Sir, wie dem auch sei, ich bin dort befreundet mit einem Butler aus einem anderen angesehenen Haus. Und der hat mich um Rat gefragt, weil sein Dienstherr – nun ja ...“ Er brach ab.
„Sein Dienstherr verstößt gegen das Gesetz?“, forschte Sir Thomas sachlich, der in groben Zügen über den besonderen Ehrenkodex der Hausangestellten informiert war.
Jenkins zögerte. „Ich fürchte, die Sache ist noch etwas ernster, Sir. Es hat den Anschein, als fänden im Haus, in verborgenen Räumen, Experimente statt, die gegen Moral und Ethik verstoßen.“
„Das ist ein schwerer Vorwurf“, gab Harding zu bedenken.
„Dessen bin ich mir bewusst, Sir.“
„Und woraus sollte der Ratschlag bestehen, den Ihr Freund haben wollte? Ist er sich nicht sicher, ob er die Behörden informieren soll? Bei einem Problem solcher Tragweite ...“
„Aber er ist seinem Dienstherrn Loyalität schuldig“, stieß Jenkins jetzt hervor. „Das gleiche Problem hätte ich, würden Sie in Ihrem Institut ...“
„Aber das ist doch etwas vollkommen anderes“, unterbrach der Wissenschaftler.
Jenkins schüttelte den Kopf. „Nein, Sir, es handelt sich dabei auch um einen angesehenen Mann, dem man so etwas nicht zutrauen würde.“
Harding verstand plötzlich. Es mochte ein Mediziner oder was auch immer sein, der im Verborgenen Versuche machte, die wohl besser nicht an die Öffentlichkeit drangen. Und doch machte sich der Butler dieses Mannes Sorgen; wahrscheinlich weniger um die Folgen, die aus solchen Experimenten entstehen konnten, als vielmehr um seinen Dienstherrn selbst. Wie Sir Thomas wusste, war ein Butler häufig genug auch das Gewissen seines Chefs.
„Und?“, forschte er, aber er spürte, dass das noch nicht alles war. Jenkins blickte gequält, so als hätte er eigentlich schon zu viel gesagt. „Jenkins, selbst wenn Sie durch ein unbedachtes Wort, das Ihnen sicherlich nie unterlaufen wird, verraten sollten, um wen es sich handelt, so wären mir doch in jedem Fall die Hände gebunden. Ich könnte nichts tun, und ich würde den Betreffenden auch ganz sicher nicht darauf ansprechen. Worüber Sie und ich hier reden, wird immer unter dem Siegel der Verschwiegenheit bleiben“, beteuerte Sir Thomas.
„Gerade das scheint mir eigentlich mein Problem, Sir“, erklärte der Butler düster. „Eigentlich müsste jemand etwas unternehmen. Denn – sehen Sie, Sir, dieser besagte Dienstherr scheint nicht ganz im Vollbesitz seiner Sinne zu sein, jedenfalls zeitweise. Er – er hat vor kurzem auf einer Auktion ein etwas obskures Tagebuch gekauft, und seitdem er sich damit beschäftigt, geht eine schleichende Veränderung in ihm vor, die er selbst nicht einmal bemerkt.“
Harding schaute auf, eine Erinnerung bahnte sich einen Weg. Er hatte davon gehört, dass ein angesehener Mann aus der City angeblich die echten Tagebücher von Doktor Jekyll ersteigert haben sollte. Purer Unsinn, natürlich, schließlich war diese Figur eine Erfindung von Robert Louis Stevenson gewesen und nicht real. Allein die Vorstellung, dass jemand auf einen so groben Schwindel herein gefallen sein konnte, hatte im Club des Professors schallendes Gelächter ausgelöst. Und hier schien durch einen unglaublichen Zufall ausgerechnet dem Mann, der als Parapsychologe einen ausgezeichneten Ruf genoss, bekannt zu werden, dass sich hinter dem ominösen Tagebuch doch mehr verbarg als ein plumper Schwindel.
Sir Thomas wusste, wer das Buch erworben hatte. Und er wurde sehr nachdenklich. Es handelte sich dabei um einen Molekularbiologen – einen Mann von der Sorte, wie Helen sie einmal respektlos als Eierköpfe bezeichnet hatte.
„Die sehen nur ihre Arbeit, nicht rechts und nicht links. Und die meisten von ihnen sind sehr erstaunt, wenn sie feststellen müssen, dass es außer ihnen auch noch andere Lebewesen gibt. Und das ist jetzt keine Abwertung, nur eine Feststellung“, hatte die Reporterin beteuert. „Das ist einfach eine traurige Tatsache, weil diese Menschen eigentlich am Leben vorbeigehen.“
„Und mich halten Sie nicht für einen Eierkopf?“, hatte Harding amüsiert wissen wollen. Sie hatte ihn kritisch mit schief gelegtem Kopf betrachtet. „Nur, wenn es um die Parapsychologie geht. Da scheinen Sie auch etwas eindimensional zu denken.“
An diese Worte erinnerte sich Sir Thomas, als er jetzt in Gedanken vermerkte, von wem sein Butler sprach. Aber um den Schein zu wahren, gab er besser mit keinem Wort und keiner Miene zu erkennen, dass er die Person erkannt hatte.
„Ich verstehe Sie also richtig, Jenkins? Ihr Freund macht sich Sorgen um seinen Dienstherrn, weil der offensichtlich einer Beeinflussung, oder was auch immer, erliegt und dabei immer mehr der Realität entgleitet. Als guter und treuer Butler kann er jedoch nicht einfach die Behörden verständigen – mal abgesehen davon, dass es dafür wohl mehr braucht, als nur die Vermutung, dass ein Tagebuch daran schuld ist.“
Fast erleichtert nickte der Butler. „Sie haben es in wenigen Worten auf den Punkt gebracht, Sir.“
„Hm. Dann möchte ich aber dennoch wissen, warum Sie dann so stark davon betroffen sind, dass Sie mit dem Waterford-Kristall einen Polterabend veranstalten. In Sorge um Ihren Freund zu sein ist verständlich und ehrenwert, doch mir scheint, bei Ihnen geht es noch ein gutes Stück tiefer.“
„Ja, Sir, ich – nun, ich bin besorgt, Sir. Nach den Worten meines Freundes scheint sein Dienstherr Experimente an Menschen durchzuführen. Jedenfalls sind mehrmals Personen im Hause aufgetaucht, die nicht den gesellschaftlichen Kreisen angehören, in denen er üblicherweise verkehrt. Und diese Personen sind nicht wieder gesehen worden – bis auf eine, die sich ausgesprochen merkwürdig benahm.“
„Nun, man wird sie über den Hinterausgang wieder fortgeschickt haben“, wandte Harding ein, sah dann aber, dass Jenkins die Augenbrauen hochzog.
„Auch Personen, die den Hinterausgang zu benutzen pflegen, werden von einem guten Butler registriert – was nicht heißt, dass er sie auch bemerkt.“
Sir Thomas verzog das Gesicht. Butler hatten wirklich eine ganz eigene besondere Art der Sprache und der Wahrnehmung. Jenkins machte da keine Ausnahme. Manchmal fragte sich der Wissenschaftler, ob diese Menschen nicht doch aussterbende Relikte einer alten Zeit waren. Passten sie mit ihrer antiquierten Art wirklich noch in die heutige Welt? Und doch gestand er vor sich selbst ein, dass er nicht gerne auf Jenkins verzichten würde. Aber mittlerweile nahm er die Befürchtungen des Mannes ernst, auch deswegen, weil er einen neuen interessanten Fall dahinter vermutete.
„Nun gut, ich habe ihre Worte gehört und auch verstanden“, sagte er langsam. „Aber einen Rat kann ich Ihnen zu diesem Problem auch nicht geben. Schon, um die Diskretion zu wahren, scheint es mir völlig unmöglich etwas zu unternehmen.“
„Selbstverständlich nicht, Sir. Ich danke Ihnen dennoch für Ihre Geduld und Ihre kostbare Zeit.“
„Nun, da ich schon so viel Zeit für diese Angelegenheit verschwendet habe, werde ich noch etwas drauflegen. Ich wünsche, dass Mrs. Jefferson heute Abend zu einer Partie Schach kommt. Und ich bin sicher, sie wird begeistert darüber sein, dass sich ihr die Möglichkeit bietet eine Reportage, vielleicht sogar eine ganze Serie, über die großen Forscher Englands zu machen. Finden Sie nicht auch, dass es längst einmal fällig ist, die Öffentlichkeit über die vielfältigen Errungenschaften im Königreich und ihre Schöpfer zu informieren?“
Ein kleines schmales Lächeln malte sich auf dem Gesicht des Butlers, und seine Stimme klang unendlich erleichtert.
„Sie haben selbstverständlich recht, wie immer, Sir. Und Madam Jefferson wird sicher begeistert sein.“
„Davon bin ich noch nicht überzeugt“, bemerkte Harding ironisch. „Aber damit Helen es leichter hat Kontakte herzustellen, werde ich sie zunächst begleiten. Ich denke, wir sollten bei Dr. Brandon Hyams beginnen. Oder sind Sie anderer Meinung?“
„Sie haben die bestmögliche Wahl getroffen, Sir. Ich beglückwünsche sie zu Ihrer Idee.“ Jenkins stand auf, jetzt wieder das Bild des vollendeten Butlers. „Kann ich Ihnen noch einen Wunsch erfüllen, Sir? Benötigen Sie noch etwas?“
„Im Augenblick nichts weiter als ein paar ruhige Minuten zum Nachdenken. Danke.“
*
Helen hielt empört inne, nachdem Sir Thomas seine Erzählung beendet hatte, die nicht ganz so ausführlich gewesen war wie das Zwiegespräch in Wirklichkeit.
„Das ist nicht Ihr Ernst, Sir Thomas. Sie wollen mir nicht eine pseudowissenschaftliche Serie über die großen Geister Englands aufs Auge drücken, nur weil Sie selbst neugierig sind und keinen plausiblen Grund finden können, um Dr. Hyams aufzusuchen?“
„Also bitte, Helen, Sie werfen hier mit Begriffen um sich, die nun wirklich nicht angebracht sind. Ich biete Ihnen eine großartige Möglichkeit ...“
„Die Sie zum spionieren nutzen wollen. Sir Thomas, was sollte unsere Leser schon daran interessieren, mit welchen Dingen von wem in welchen Bereichen geforscht wird?“
Er grinste. „Es ist schließlich Ihre Aufgabe, die Geschichten schmackhaft aufzubereiten. Ich könnte mir schon vorstellen, dass der Leser von heute ein Interesse daran hat, auf welche Weise zum Beispiel die modernen Drogen identifiziert und vielleicht auch bekämpft werden. Oder nehmen Sie mich. Bestimmt lässt sich ein guter Artikel aus meinem Institut machen. Vor allem dann, wenn Sie selbst ...“
„O nein, so haben wir nicht gewettet“, fuhr sie auf. „Auf diese Weise werden Sie mich auch nicht dazu bewegen können, mich auf mögliche parapsychische Fähigkeiten zu testen.“
Das Institut von Professor Harding genoss großes Ansehen. Dort wurden viele verschiedene Versuche durchgeführt, um mögliche übersinnliche Fähigkeiten zu lokalisieren. Einige dieser Versuche waren sogar von der Regierung angeordnet und streng geheim. Da Sir Thomas felsenfest davon überzeugt war, dass auch Helen zu dem Kreis der Begabten gehörte, hatte er schon mehrfach versucht sie zu einem Test zu überreden. Doch bisher hatte sie es hartnäckig abgelehnt, so etwas auch nur in Erwägung zu ziehen.
Jetzt funkelte sie ihn an, und ihre Stimme bekam einen harten, energischen Klang. „Sie könnten mit Engelszungen auf mich einreden, Sir Thomas, und meine Antwort würde immer noch Nein lauten. Allerdings muss ich zugeben, dass es mich interessieren würde, wie ein moderner, aufgeklärter, intelligenter Wissenschaftler auf eine offensichtlich plumpe Fälschung hereingefallen kann. Dr. Hyams müsste doch eigentlich wissen, dass es niemals originale Tagebücher von Dr. Jekyll gegeben haben kann. Und ja, ich würde das Gespräch auf völlig harmlose Weise auf dieses Thema bringen. Ich halte mich daran, wenn Vertraulichkeit gewünscht wird. Aber ich sehe immer noch keine Möglichkeit meinem Chefredakteur und den Lesern einen Grund für eine solche Serie zu liefern. Also kann ich auch dazu nur weiterhin Nein sagen.“
Harding hatte bereits etwas einwenden wollen, doch sie war ihm zuvorgekommen, und er wusste, dass er sich auf die Frau verlassen konnte.
„Das Tagebuch ist eines der großen Rätsel an dieser ganzen Geschichte. Aber die Antwort werden Sie sicherlich nicht finden, wenn Sie bei Ihrer Weigerung bleiben.“ Sein Tonfall wirkte jetzt fast unbeteiligt, als habe er sich damit abgefunden, dass Helen sich sperrte.
„Ich werde darüber nachdenken“, meinte sie dann zögernd.
„Warum noch lange nachdenken? Ich habe schon bei Ihrer Redaktion vorgefühlt ...“
„Sie haben was?“, fragte sie entsetzt. „Sir Thomas, ich finde es unmöglich von Ihnen, wie Sie sich in mein Leben und meine Arbeit einmischen. Das steht Ihnen nicht zu.“ Sie sprang auf und griff nach ihrer Handtasche, die sie auf einem kleinen Tisch abgelegt hatte.
„Ach, nein, Helen, bitte nicht weglaufen“, bat er gleich und hielt sie am Arm fest. „Sie urteilen vorschnell und viel zu hart über mich.“
„Falsch“, erklärte sie bitter. „Ich bin nicht bereit, mich von Ihnen für Ihre eigenen Interessen einspannen zu lassen.“
„Aber es dient doch auch Ihren Interessen, Helen. Oder wollen Sie sich von Brody mal wieder zu einem absolut unwichtigen nichtssagenden Teekränzchen schicken lassen, das Ihnen vier Zeilen in einer Spalte einbringt und von niemandem gelesen wird? Denken Sie doch mal logisch.“
Sie machte sich los und ging ein paar Schritte auf die Tür zu, Sir Thomas stand da und wartete. Er hoffte, sie würde noch zur Vernunft kommen.
„Spielen wir darum“, schlug er dann plötzlich vor.
„Was?“
„Spielen wir darum. Wenn Sie mich schachmatt setzen, gehen Sie zu Ihren Teekränzchen und vergessen die ganze Sache. Gewinne ich, schreiben Sie über die großen Forscher Englands – und befragen Dr. Hyams zu einem Tagebuch, das es nicht geben kann.“
Helen hielt mitten im Schritt inne. Was Harding da vorschlug, war absolut verrückt – und doch erkannte sie die Chance ihren Namen mal wieder über einer großen Reportage zu finden. Langsam drehte sie sich um.
„Und Sie versprechen mir, falls Sie gewinnen, dass es nicht wieder mysteriöse Abenteuer gibt? Dass sich hinter der Sache mit Hyams nur ein leicht verrückter Wissenschaftler befindet, der einen Spleen hat?“
„Wollen Sie das wirklich?“, forschte er voller Spott. „Na gut, dann verspreche ich es Ihnen sogar“, gab er seufzend nach.
Helen lachte plötzlich hell auf. „Sie lügen. Das können Sie gar nicht versprechen.“
„Macht das denn nicht den Reiz eines Besuches bei ihm aus? Kommen Sie, Helen, stellen Sie sich nicht an, als wäre Ihnen eine gute Story gleichgültig.“
„Sie brauchen mir nicht zu schmeicheln, Sir Thomas. Ich weiß, dass Sie als Psychologe mir immer noch ein Stück voraus sind. Aber Sie sollten wissen, dass es mies ist, andere Menschen zu manipulieren.“
„Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu“, erklärte er ernsthaft und stellte die Figuren auf dem Schachbrett in Ausgangsposition.
Helen verlor überraschend schnell und deutlich.
*
„Du meine Güte, ich habe dich ja Ewigkeiten nicht mehr gesehen“, begrüßte Dr. Brandon Hyams seinen alten Studienkollegen Thomas Harding. Die beiden Männer machten einige unverständliche Handbewegungen und führten eine kurze Wechselrede auf Latein, die Helen Jefferson für ausgesprochen albern hielt, dann aber wurde auch sie herzlich willkommen geheißen.
„Entschuldigen Sie bitte unser Benehmen“, lachte Hyams, „aber wir waren in der gleichen Verbindung, und alte Gewohnheiten legt man nur schwer ab. Sie sind also die Journalistin, die es sich zur Aufgabe macht, aktuelle Forschungen allgemeinverständlich an die Menschheit zu bringen?“
Hyams war ausgesprochen charmant und sympathisch, so ganz anders, als Helen ihn sich vorgestellt hatte. Er war überraschend schnell auf die Bitte nach einem Interview eingegangen, vielleicht auch deswegen, weil Sir Thomas ihn darum gebeten hatte.
Er begrüßte seine Gäste im Labor der medizinischen Fakultät, wo er einen großen Teil seiner Studien durchführte. Zwei Assistenten starrten eifrig in ihre Mikroskope und hoben kaum den Kopf zu einer knappen Begrüßung.
Brandon Hyams führte seine Besucher an langen Tischen entlang, auf denen Versuchsanordnungen aufgebaut waren, die manchmal nicht gleich als solche erkennbar waren.
„Heutzutage übernehmen eine Menge technischer Geräte die Arbeit“, erklärte er. „Chromatographen und Zentrifugen sind nur noch ein kleiner Teil dessen, was ein Wissenschaftler in meiner Position beherrschen muss.“