Das Gespenst von Canterville und fünf andere Erzählungen - Oscar Wilde - E-Book

Das Gespenst von Canterville und fünf andere Erzählungen E-Book

Oscar Wilde

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Beschreibung

Diese Sammlung beinhaltet sechs Kurzgeschichten von Oscar Wilde. - Das Gespenst von Canterville - Der glückliche Prinz - Die Nachtigall und die Rose - Der egoistische Riese - Der ergebene Freund - Die bedeutende Rakete Null Papier Verlag

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Oscar Wilde

Das Gespenst von Canterville

und fünf andere Erzählungen

Oscar Wilde

Das Gespenst von Canterville

und fünf andere Erzählungen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Franz BleiIllustrationen: Heinrich Vogeler EV: Insel-Verlag, Leipzig, 1905 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-49-7

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Inhaltsverzeichnis

Das Ge­s­penst von Can­ter­ville

Der glück­li­che Prinz

Die Nach­ti­gall und die Rose

Der egois­ti­sche Rie­se

Der er­ge­be­ne Freund

Die be­deu­ten­de Ra­ke­te

Dan­ke

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Hor­ror bei Null Pa­pier

Vam­pi­re - Töd­li­che Ver­füh­rer

Fran­ken­stein

Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Dra­cu­la

Das Bild­nis des Do­ri­an Gray

Der Go­lem

Ja­pa­ni­sche Geis­ter­ge­schich­ten

Die ver­ges­se­ne Welt

Das Ende der Welt

Hor­ror

und wei­te­re …

Das Gespenst von Canterville1

Ori­gi­nal­ti­tel: »The Can­ter­ville Ghost«  <<<

I.

Als Mr. Hi­ram B. Otis, der ame­ri­ka­ni­sche Ge­sand­te, Schloss Can­ter­ville kauf­te, sag­te ihm ein je­der, dass er sehr tö­richt dar­an täte, da dies Schloss ohne Zwei­fel ver­wünscht sei. So­gar Lord Can­ter­ville selbst, ein Mann von pein­lichs­ter Ehr­lich­keit, hat­te es als sei­ne Pf­licht be­trach­tet, die­se Tat­sa­che Mr. Otis mit­zu­tei­len, be­vor sie den Ver­kauf ab­schlos­sen.

»Wir ha­ben selbst nicht in dem Schloss ge­wohnt«, sag­te Lord Can­ter­ville, »seit mei­ne Groß­tan­te, die Her­zo­gin­mut­ter von Bol­ton, einst vor Schreck in Krämp­fe ver­fiel, von de­nen sie sich nie wie­der er­hol­te, weil ein Ske­lett sei­ne bei­den Hän­de ihr auf die Schul­tern leg­te, als sie ge­ra­de beim An­klei­den war. Ich füh­le mich ver­pflich­tet, es Ih­nen zu sa­gen, Mr. Otis, dass der Geist noch jetzt von ver­schie­de­nen Mit­glie­dern der Fa­mi­lie Can­ter­ville ge­se­hen wor­den ist, so­wie auch vom Geist­li­chen un­se­rer Ge­mein­de, Hoch­wür­den Au­gus­tus Dam­pier, der in King’s Kol­le­ge, Cam­bridge, den Dok­tor ge­macht hat. Nach dem Mal­heur mit der Her­zo­gin woll­te kei­ner un­se­rer Dienst­bo­ten mehr bei uns blei­ben, und Lady Can­ter­ville konn­te seit­dem des Nachts häu­fig nicht mehr schla­fen vor lau­ter un­heim­li­chen Geräuschen, die vom Kor­ri­dor und von der Biblio­thek her­ka­men.«

»Myl­ord«, ant­wor­te­te der Mi­nis­ter, »ich will die gan­ze Ein­rich­tung und den Geist dazu kau­fen. Ich kom­me aus ei­nem mo­der­nen Lan­de, wo wir al­les ha­ben, was mit Geld zu be­zah­len ist; und ich mei­ne, mit all un­sern smar­ten jun­gen Leu­ten, die Ih­nen Ihre bes­ten Tenö­re und Pri­ma­don­nen ab­spens­tig ma­chen, das: Gäbe es wirk­lich noch so et­was wie ein Ge­s­penst in Eu­ro­pa, wür­den wir das­sel­be in al­ler­kür­zes­ter Zeit drü­ben ha­ben, ent­we­der bei Bar­num oder auf ei­nem Jahr­markt.«

»Ich fürch­te, das Ge­s­penst exis­tiert wirk­lich«, sag­te Lord Can­ter­ville lä­chelnd, »wenn es auch bis jetzt Ihren Im­presa­ri­os ge­gen­über sich ab­leh­nend ver­hal­ten hat. Seit drei Jahr­hun­der­ten ist es wohl be­kannt, ge­nau ge­spro­chen seit 1584, und es er­scheint re­gel­mä­ßig, kurz be­vor ein Glied un­se­rer Fa­mi­lie stirbt«

»Nun, was das an­be­trifft, das macht der Haus­arzt ge­ra­de so, Lord Can­ter­ville. Aber es gibt ja doch gar kei­ne Ge­s­pens­ter, und ich mei­ne, dass die Ge­set­ze der Na­tur sich nicht der bri­ti­schen Ari­sto­kra­tie zu­lie­be auf­he­ben las­sen.«

»Sie sind je­den­falls sehr auf­ge­klärt in Ame­ri­ka«, ant­wor­te­te Lord Can­ter­ville, der Mr. Otis’ letz­te Be­mer­kung nicht ganz ver­stan­den hat­te, »und wenn das Ge­s­penst im Hau­se Sie nicht wei­ter stört, so ist ja al­les in Ord­nung. Sie dür­fen nur nicht ver­ges­sen, dass ich Sie ge­warnt habe.«

We­ni­ge Wo­chen spä­ter war der Kauf ab­ge­schlos­sen, und ge­gen Ende der Sai­son be­zog der Ge­sand­te mit sei­ner Fa­mi­lie Schloss Can­ter­ville. Mrs. Otis, die als Miss Lu­cre­tia R. Tap­pan, W. 53 New York, für eine große Schön­heit ge­gol­ten hat­te, war jetzt eine sehr hüb­sche Frau in mitt­le­ren Jah­ren, mit schö­nen Au­gen und ei­nem ta­del­lo­sen Pro­fil. Vie­le Ame­ri­ka­ne­rin­nen, die ihre Hei­mat ver­las­sen, neh­men mit der Zeit das Ge­ba­ren ei­ner chro­ni­schen Kränk­lich­keit an, da sie dies für ein Zei­chen eu­ro­päi­scher Kul­tur an­se­hen, aber Mrs. Otis war nie in die­sen Irr­tum ver­fal­len. Sie be­saß eine vor­treff­li­che Kon­sti­tu­ti­on und einen her­vor­ra­gen­den Un­ter­neh­mungs­geist. So war sie wirk­lich in vie­ler Hin­sicht völ­lig eng­lisch und ein vor­züg­li­ches Bei­spiel für die Tat­sa­che, dass wir heut­zu­ta­ge al­les mit Ame­ri­ka ge­mein ha­ben, aus­ge­nom­men na­tür­lich die Spra­che. Ihr äl­tes­ter Sohn, den die El­tern in ei­nem hef­ti­gen An­fall von Pa­trio­tis­mus Wa­shing­ton ge­nannt hat­ten, was er zeit sei­nes Le­bens be­klag­te, war ein blon­der, hüb­scher jun­ger Mann, der sich da­durch für den di­plo­ma­ti­schen Dienst ge­eig­net ge­zeigt hat­te, dass er im Ne­w­port Ka­si­no wäh­rend drei­er Win­ter die Françai­sen kom­man­dier­te und so­gar in Lon­don als vor­züg­li­cher Tän­zer galt. Gar­de­ni­en und der Go­tha wa­ren sei­ne ein­zi­gen Schwä­chen. Im Üb­ri­gen war er au­ßer­or­dent­lich ver­nünf­tig. Miss Vir­gi­nia E. Otis war ein klei­nes Fräu­lein von fünf­zehn Jah­ren, gra­zi­ös und lieb­lich wie ein jun­ges Reh und mit schö­nen kla­ren blau­en Au­gen. Sie saß bril­lant zu Pfer­de und hat­te ein­mal auf ih­rem Pony mit dem al­ten Lord Bil­ton ein Wett­ren­nen um den Park ver­an­stal­tet, wo­bei sie mit 1½ Pfer­de­län­gen Sie­ge­rin ge­blie­ben war, ge­ra­de vor der Achil­les­sta­tue, zum ganz be­son­de­ren Ent­zücken des jun­gen Her­zogs von Ches­hi­re, der so­fort um ihre Hand an­hielt und noch den­sel­ben Abend un­ter Strö­men von Trä­nen nach Eton in sei­ne Schu­le zu­rück­ge­schickt wur­de. Nach Vir­gi­nia ka­men die Zwil­lin­ge, ent­zücken­de Bu­ben, die in der Fa­mi­lie, mit Aus­nah­me des Herrn vom Hau­se na­tür­lich, die ein­zi­gen wirk­li­chen Re­pu­bli­ka­ner wa­ren.

Da Schloss Can­ter­ville sie­ben Mei­len von der nächs­ten Ei­sen­bahn­sta­ti­on As­cot ent­fernt liegt, hat­te Mr. Otis den Wa­gen be­stellt, sie da ab­zu­ho­len, und die Fa­mi­lie be­fand sich in der hei­ters­ten Stim­mung. Es war ein herr­li­cher Ju­lia­bend, und die Luft war voll vom fri­schen Duft der na­hen Tan­nen­wäl­der. Ab und zu ließ sich die süße Stim­me der Holz­tau­be in der Fer­ne hö­ren, und ein bunt­glän­zen­der Fa­san ra­schel­te durch die ho­hen Farn­kräu­ter am Wege. Eich­hörn­chen blick­ten den Ame­ri­ka­nern von den ho­hen Bu­chen neu­gie­rig nach, als sie vor­bei­fuh­ren, und die wil­den Ka­nin­chen er­grif­fen die Flucht und schos­sen durch das Un­ter­ge­hölz und die moo­si­gen Hü­gel­chen da­hin, die wei­ßen Schwänz­chen hoch in der Luft. Als man in den Park von Schloss Can­ter­ville ein­bog, be­deck­te sich der Him­mel plötz­lich mit dunklen Wol­ken; die Luft schi­en gleich­sam still­zu­ste­hen; ein großer Schwarm Krä­hen flog laut­los über ih­ren Häup­tern da­hin, und ehe man noch das Haus er­reich­te, fiel der Re­gen in di­cken schwe­ren Trop­fen.

Auf der Freitrep­pe emp­fing sie eine alte Frau in schwar­zer Sei­de mit wei­ßer Hau­be und Schür­ze: Das war Mrs. Um­ney, die Wirt­schaf­te­rin, die Mrs. Otis auf Lady Can­ter­vil­les in­stän­di­ges Bit­ten in ih­rer bis­he­ri­gen Stel­lung be­hal­ten woll­te. Sie mach­te je­dem einen tie­fen Knicks, als sie nach­ein­an­der aus­stie­gen, und sag­te in ei­ner ei­gen­tüm­lich alt­mo­di­schen Art: »Ich hei­ße Sie auf Schloss Can­ter­ville will­kom­men.« Man folg­te ihr ins Haus, durch die schö­ne alte Tu­dor-Hal­le in die Biblio­thek, ein lan­ges, nied­ri­ges Zim­mer mit Tä­fe­lung von schwar­zem Ei­chen­holz und ei­nem großen bun­ten Glas­fens­ter. Hier war der Tee für die Herr­schaf­ten ge­rich­tet, und nach­dem sie sich ih­rer Män­tel ent­le­digt, setz­ten sie sich und sä­hen sich um, wäh­rend Mrs. Um­ney sie be­dien­te.

Da be­merk­te Mrs. Otis plötz­lich einen großen ro­ten Fleck auf dem Fuß­bo­den, ge­ra­de vor dem Ka­min, und in völ­li­ger Un­kennt­nis von des­sen Be­deu­tung sag­te sie zu Mrs. Um­ney: »Ich fürch­te, da hat man aus Un­vor­sich­tig­keit et­was ver­schüt­tet.«

»Ja, gnä­di­ge Frau«, er­wi­der­te die alte Haus­häl­te­rin lei­se, »auf je­nem Fleck ist Blut ge­flos­sen.«

»Wie gräss­lich!«, rief Mrs. Otis. »Ich lie­be durch­aus nicht Blut­fle­cke in ei­nem Wohn­zim­mer. Er muss so­fort ent­fernt wer­den.«

Die alte Frau lä­chel­te und er­wi­der­te mit der­sel­ben lei­sen, ge­heim­nis­vol­len Stim­me: »Es ist das Blut von Lady Elea­no­re de Can­ter­ville, wel­che hier auf die­ser Stel­le von ih­rem ei­ge­nen Ge­mahl, Sir Si­mon de Can­ter­ville, im Jah­re 1575 er­mor­det wur­de. Sir Si­mon über­leb­te sie um neun Jah­re und ver­schwand dann plötz­lich un­ter ganz ge­heim­nis­vol­len Um­stän­den. Sein Leich­nam ist nie ge­fun­den wor­den, aber sein schuld­be­la­de­ner Geist geht noch jetzt hier im Schlos­se um. Der Blut­fleck wur­de schon oft von Rei­sen­den be­wun­dert und kann durch nichts ent­fernt wer­den.«

»Das ist al­les Hum­bug«, rief Wa­shing­ton Otis, »Pin­ker­tons Uni­ver­sal-Fle­cken­rei­ni­ger wird ihn im Nu be­sei­ti­gen«, und ehe noch die er­schro­cke­ne Haus­häl­te­rin ihn da­von zu­rück­hal­ten konn­te, lag er schon auf den Kni­en und scheu­er­te die Stol­le am Bo­den mit ei­nem klei­nen Stumpf von et­was, das schwar­zer Bart­wich­se ähn­lich sah. In we­ni­gen Au­gen­bli­cken war kei­ne Spur mehr von dem Blut­fleck zu se­hen.

»Na ich wuss­te ja, dass Pin­ker­ton das ma­chen wür­de«, rief er tri­um­phie­rend, wäh­rend er sich zu sei­ner be­wun­dern­den Fa­mi­lie wand­te; aber kaum hat­te er die­se Wor­te ge­sagt, da er­leuch­te­te ein grel­ler Blitz das düs­te­re Zim­mer, und ein to­sen­der Don­ner­schlag ließ sie alle in die Höhe fah­ren, wäh­rend Mrs. Um­ney in Ohn­macht fiel.

»Was für ein schau­der­haf­tes Kli­ma!«, sag­te der ame­ri­ka­ni­sche Ge­sand­te ru­hig, wäh­rend er sich eine neue Zi­ga­ret­te an­steck­te. »Wahr­schein­lich ist die­ses alte Land so über­völ­kert, dass sie nicht mehr ge­nug an­stän­di­ges Wet­ter für je­den ha­ben. Mei­ner An­sicht nach ist Aus­wan­de­rung das ein­zig Rich­ti­ge für Eng­land.«

»Mein lie­ber Hi­ram«, sprach Mrs. Otis, »was sol­len wir bloß mit ei­ner Frau an­fan­gen, die ohn­mäch­tig wird?«

»Rech­ne es ihr an, als ob sie et­was zer­schla­gen hät­te, dann wird es nicht wie­der vor­kom­men«, sag­te der Ge­sand­te, und in der Tat, schon nach we­ni­gen Au­gen­bli­cken kam Mrs. Um­ney wie­der zu sich. Aber es war kein Zwei­fel, dass sie sehr auf­ge­regt war, und sie warn­te Mrs. Otis, es stän­de ih­rem Hau­se ein Un­glück be­vor.

»Ich habe mit mei­nen ei­ge­nen Au­gen Din­ge ge­se­hen, Herr«, sag­te sie, »dass je­dem Chris­ten­menschen die Haa­re da­von zu Ber­ge ste­hen wür­den, o man­che Nacht habe ich kein Auge zu­ge­tan aus Furcht vor dem Schreck­li­chen, das hier ge­sche­hen ist.« Je­doch Herr und Frau Otis be­ru­hig­ten die ehr­li­che See­le, er­klär­ten, dass sie sich nicht vor Ge­s­pens­tern fürch­te­ten, und nach­dem die alte Haus­häl­te­rin noch den Se­gen der Vor­se­hung auf ihre neue Herr­schaft her­ab­ge­fleht und um Er­hö­hung ih­res Ge­hal­tes ge­be­ten hat­te, schlich sie zit­ternd auf ihre Stu­be.

II.

Der Sturm wü­te­te die gan­ze Nacht hin­durch, aber sonst er­eig­ne­te sich nichts von be­son­de­rer Be­deu­tung. Am nächs­ten Mor­gen je­doch, als die Fa­mi­lie zum Früh­stück her­un­ter­kam, fan­den sie den fürch­ter­li­chen Blut­fleck wie­der un­ver­än­dert auf dem Fuß­bo­den.

»Ich glau­be nicht, dass die Schuld hier­von am Pa­ra­gon-Fle­cken­rei­ni­ger liegt«, er­klär­te Wa­shing­ton, »denn den habe ich im­mer mit Er­folg an­ge­wen­det – es muss also das Ge­s­penst sein.« Er rieb nun zum zwei­ten Mal den Fleck weg, aber am nächs­ten Mor­gen war er gleich­wohl wie­der da. Eben­so am drit­ten Mor­gen, trotz­dem Mr. Otis selbst die Biblio­thek am Abend vor­her zu­ge­schlos­sen und den Schlüs­sel in die Ta­sche ge­steckt hat­te. Jetzt in­ter­es­sier­te sich die gan­ze Fa­mi­lie für die Sa­che. Mr. Otis fing an zu glau­ben, dass es doch all­zu skep­tisch von ihm ge­we­sen sei, die Exis­tenz al­ler Ge­s­pens­ter zu leug­nen. Mrs. Otis sprach die Ab­sicht aus, der Psy­cho­lo­gi­schen Ge­sell­schaft bei­zu­tre­ten, und Wa­shing­ton schrieb einen lan­gen Brief an die Her­ren Myers & Sod­mo­re über die Un­ver­tilg­bar­keit blu­ti­ger Fle­cken im Zu­sam­men­hang mit Ver­bre­chen. In der dar­auf­fol­gen­den Nacht nun wur­de je­der Zwei­fel an der Exis­tenz von Ge­s­pens­tern für im­mer end­gül­tig be­sei­tigt.

Den Tag über war es heiß und son­nig ge­we­sen, und in der Küh­le des Abends fuhr die Fa­mi­lie spa­zie­ren. Man kehr­te erst ge­gen neun Uhr zu­rück, wor­auf das Abendes­sen ein­ge­nom­men wur­de. Die Un­ter­hal­tung be­rühr­te in kei­ner Wei­se Ge­s­pens­ter, es war also nicht ein­mal die Grund­be­din­gung je­ner er­war­tungs­vol­len Auf­nah­me­fä­hig­keit ge­ge­ben, wel­che so oft dem Er­schei­nen sol­cher Phä­no­me­ne vor­an­geht. Die Ge­sprächsthe­ma­ta wa­ren, wie mir Mrs. Otis seit­dem mit­ge­teilt hat, le­dig­lich sol­che, wie sie un­ter ge­bil­de­ten Ame­ri­ka­nern der bes­se­ren Klas­se üb­lich sind, wie z. B. die un­ge­heu­re Über­le­gen­heit von Miss Fan­ny Da­ven­port über Sa­rah Bern­hardt als Schau­spie­le­rin; die Schwie­rig­keit, Grün­kern- und Buch­wei­zen­ku­chen selbst in den bes­ten eng­li­schen Häu­sern zu be­kom­men; die hohe Be­deu­tung von Bo­ston in Hin­sicht auf die Ent­wi­cke­lung der Welt­see­le; die Vor­zü­ge des Frei­ge­päck-Sys­tems beim Ei­sen­bahn­fah­ren; und die an­ge­neh­me Weich­heit des New Yor­ker Ak­zents im Ge­gen­satz zum Lon­do­ner Dia­lekt. In kei­ner Wei­se wur­de we­der das Über­na­tür­li­che be­rührt, noch von Sir Si­mon de Can­ter­ville ge­spro­chen. Um elf Uhr trenn­te man sich, und eine hal­be Stun­de dar­auf war be­reits al­les dun­kel. Da plötz­lich wach­te Mr. Otis von ei­nem Geräusch auf dem Kor­ri­dor vor sei­ner Türe auf. Es klang wie Ras­seln von Me­tall und schi­en mit je­dem Au­gen­blick nä­her zu kom­men. Der Ge­sand­te stand so­fort auf, zün­de­te Licht an und sah nach der Uhr. Es war Punkt eins. Er war ganz ru­hig und fühl­te sich den Puls, der nicht im Ge­rings­ten fie­ber­haft war. Das son­der­ba­re Geräusch dau­er­te fort, und er hör­te deut­lich Schrit­te. Er zog die Pan­tof­fel an, nahm eine läng­li­che Phio­le von sei­nem Toi­let­ten­tisch und öff­ne­te die Türe. Da sah er, sich di­rekt ge­gen­über, im blas­sen Schein des Mon­des, einen al­ten Mann von ganz gräu­li­chem Aus­se­hen ste­hen. Des Al­ten Au­gen wa­ren rot wie bren­nen­de Koh­len; lan­ges grau­es Haar fiel in wir­ren Lo­cken über sei­ne Schul­tern; sei­ne Klei­dung von alt­mo­di­schem Schnitt war be­schmutzt und zer­ris­sen, und schwe­re ros­ti­ge Fes­seln hin­gen ihm an Fü­ßen und Hän­den.

»Mein Lie­ber«, sag­te Mr. Otis, »ich muss Sie schon bit­ten, Ihre Ket­ten et­was zu schmie­ren, und ich habe Ih­nen zu dem Zweck hier eine klei­ne Fla­sche von Tam­ma­nys Ri­sing Sun Lu­bri­ca­tor mit­ge­bracht. Man sagt, dass schon ein ein­ma­li­ger Ge­brauch ge­nügt, und auf der En­ve­lop­pe fin­den Sie die glän­zends­ten At­tes­te hier­über von un­sern her­vor­ra­gends­ten ein­hei­mi­schen Geist­li­chen. Ich wer­de es Ih­nen hier ne­ben das Licht stel­len und bin mit Ver­gnü­gen be­reit, Ih­nen auf Wunsch mehr da­von zu be­sor­gen.« Mit die­sen Wor­ten stell­te der Ge­sand­te der Uni­ons­staa­ten das Fläsch­chen auf den Mar­mor­tisch, schloss die Tür und leg­te sich wie­der zu Bett.

Für einen Au­gen­blick war das Ge­s­penst von Can­ter­ville ganz starr vor Ent­rüs­tung; dann schleu­der­te es die Fla­sche wü­tend auf den Bo­den und floh den Kor­ri­dor hin­ab, in­dem es ein dump­fes Stöh­nen aus­stieß und ein ge­spens­tisch grü­nes Licht um sich ver­brei­te­te. Als es ge­ra­de die große ei­che­ne Trep­pe er­reich­te, öff­ne­te sich eine Tür, zwei klei­ne weiß ge­klei­de­te Ge­stal­ten er­schie­nen, und ein großes Kis­sen saus­te an sei­nem Kopf vor­bei. Da war au­gen­schein­lich kei­ne Zeit zu ver­lie­ren, und in­dem es has­tig die vier­te Di­men­si­on als Mit­tel zur Flucht be­nutz­te, ver­schwand es durch die Tä­fe­lung; wor­auf das Haus ru­hig wur­de.

Als das Ge­s­penst ein klei­nes ge­hei­mes Zim­mer im lin­ken Schloss­flü­gel er­reicht hat­te, lehn­te es sich er­schöpft ge­gen einen Mond­strahl, um erst wie­der zu Atem zu kom­men, und ver­such­te sich sei­ne Lage klar zu ma­chen. Nie­mals war es in sei­ner glän­zen­den und un­un­ter­bro­che­nen Lauf­bahn von 300 Jah­ren so gröb­lich be­lei­digt wor­den. Es dach­te an die Her­zo­gin­mut­ter, die bei sei­nem An­blick Krämp­fe be­kom­men hat­te, als sie in ih­ren Spit­zen und Dia­man­ten vor dem Spie­gel stand; an die vier Haus­mäd­chen, die hys­te­risch wur­den, als es sie bloß durch die Vor­hän­ge ei­nes der un­be­wohn­ten Schlaf­zim­mer hin­durch an­lä­chel­te; an den Pfar­rer der Ge­mein­de, des­sen Licht es ei­nes Nachts aus­ge­bla­sen, als der­sel­be ein­mal spät aus der Biblio­thek kam, und der seit­dem be­stän­dig bei Sir Wil­liam Guch, ge­plagt von Ner­ven­stö­run­gen, in Be­hand­lung war; an die alte Ma­da­me du Tre­mouil­lac, die, als sie ei­nes Mor­gens früh auf­wach­te und in ih­rem Lehn­stuhl am Ka­min ein Ske­lett sit­zen sah, das ihr Ta­ge­buch las, dar­auf sechs Wo­chen fest im Bett lag an der Ge­hir­n­ent­zün­dung und nach ih­rer Ge­ne­sung eine treue An­hän­ge­rin der Kir­che wur­de und jede Ver­bin­dung mit dem be­kann­ten Frei­geist Mon­sieur de Vol­taire ab­brach.

Es er­in­ner­te sich der ent­setz­li­chen Nacht, als der böse Lord Can­ter­ville in sei­nem An­klei­de­zim­mer halb er­stickt ge­fun­den wur­de mit dem Karo-Bu­ben im Hal­se und ge­ra­de noch ehe er starb beich­te­te, dass er Charles Ja­mes Fox ver­mit­telst die­ser Kar­te um 50.000 Pfund Ster­ling be­tro­gen hat­te und dass ihm nun das Ge­s­penst die Kar­te in den Hals ge­steckt habe.

Alle sei­ne großen Ta­ten ka­men ihm ins Ge­dächt­nis zu­rück, von dem Kam­mer­die­ner an, der sich in der Kir­che er­schoss, weil er eine grü­ne Hand hat­te, an die Schei­ben klop­fen se­hen, bis zu der schö­nen Lady Stut­field, die im­mer ein schwar­zes Sam­met­band um den Hals tra­gen muss­te, da­mit die Spur von fünf in ihre wei­ße Haut ein­ge­brann­ten Fin­gern ver­deckt wur­de, und die sich schließ­lich in dem Kar­pfen­teich am Ende der Pro­me­na­de er­tränk­te.