Das Gewicht des Ganzen - Sven Heuchert - E-Book

Das Gewicht des Ganzen E-Book

Sven Heuchert

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Beschreibung

"Im späten Licht rückte die Wildnis näher an sie heran. Die Grenzen von Leib und Erde verwischten. Etwas Altes wuchs zusammen."    Jeder hat sein Bündel zu tragen, doch das Gewicht des Ganzen trägt allein die Mutter. Milla hat sich nach dem Freitod ihres Sohnes nach Kanada zurückgezogen. Sie hat ihre Spedition aufgegeben und den Mann, mit dem sie ein halbes Leben zusammen war. In einem alten Haus mitten im Nirgendwo versucht sie weiterzumachen. Sie lernt Russ kennen, einen Antiquitätenhändler, als sie einen Revolver versetzen will, den sie unter einer Treppendiele gefunden hat. Zwischen beiden entsteht etwas, das man eine Freundschaft nennen könnte, das aber zugleich mehr und weniger ist als das. Bis sich ihre Wege wieder trennen.  In glasklarer Prosa erzählt Sven Heuchert die universelle Geschichte von Verlust, Trauer und Neuanfang. In einer Welt, die kein Heilsversprechen mehr bereithält, dafür aber die echte Chance, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. 

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Das Gewicht des Ganzen

Der Autor

Sven Heuchert wurde 1977 im Rheinland geboren und lebt heute bei Köln. Seine beiden Noir-Romane Dunkels Gesetz und Alte Erde wurden von der deutschen Presse begeistert aufgenommen. Das Gewicht des Ganzen ist sein literarisches Debüt.  

Das Buch

Milla flieht vor einem schweren Schicksalsschlag aus Deutschland nach Kanada. Sie hat ihre Spedition aufgegeben und den Mann verlassen, mit dem sie ein halbes Leben zusammen war. In einem alten Haus inmitten einer ungezähmten Natur versucht sie weiterzumachen. Sie lernt Russ kennen, einen Antiquitätenhändler, dessen Leben wie das ihre durch einen großen Schmerz geprägt ist. Zwischen beiden entsteht eine Art Freundschaft, eine Beziehung, die zugleich mehr und weniger ist als das. Bis sich ihre Wege wieder trennen.In glasklarer Prosa erzählt Sven Heuchert die universelle Geschichte von Verlust, Einsamkeit und Neuanfang. In einer Welt, die kein Heilsversprechen mehr bereithält, dafür aber die echte Chance, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen.

Sven Heuchert

Das Gewicht des Ganzen

Roman

Ullstein

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© 2023 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinUmschlaggestaltung: Cornelia NiereTitelabbildung: © Art Gallery of Ontario / Gift from the Reuben and Kate Leonard Canadian Fund, 1927 / Bridgeman ImagesAutorenfoto: © PrivatE-Book-Konvertierung powered by pepyrusAlle Rechte vorbehalten.ISBN 978-3-8437-2905-5

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

1

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Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1

Widmung

Für Gauge

Motto

»The story of loss and regaining of identity is the framework, I think, of all literature.«

Northrop Frye

»The heart of another is a dark forest, always, no matter how close it has been to one’s own.«

Willa Cather

1

Russ

Die Deutsche kam im Sommer 1993 das erste Mal in meinen Laden. Ich hatte eine alte Schule gemietet. Keine Heizung. Keine Toilette. Dafür viel Platz und Ruhe. Die Blauhäher auf dem Dach waren meine Stechuhr. Wenn sie aufhörten zu singen, wusste ich, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen.

Helen hatte mir bereits erzählt, dass die Deutsche sich bei Mac Lang in Sundridge einen Truck gekauft habe, und als ich einen schwarz glänzenden Sierra draußen auf dem Schotter parken sah, wusste ich Bescheid. Die meisten Leute waren bloß neugierig. Sie sahen das handgemalte Schild, auf dem ANTIQUES stand, hielten an und riskierten einen Blick. In der Regel Touristen. Sie kauften Kleinigkeiten, um ihre Cottages damit zu dekorieren. Ein Wilsons-Ginger-Ale-Werbeschild aus Blech, Depression glass, gerahmte Drucke der Group of Seven, Mützen aus Otter- oder Biberfell. Ein paar Jahre waren handgemachte Mokassins der Renner. Ich bezog sie von einer Witwe mit dem Namen Hot Needles. Leider starb sie irgendwann an Krebs.

Die Deutsche schaute sich zuerst die Teile an, die vor dem Eingang herumstanden. Pflüge aus der Pionierzeit. Die Achse einer Kutsche. Wagenräder, deren Holzspeichen im Sonnenlicht wie gebleichte Knochen aussahen. Dann kam sie durch die Eingangstür und blieb vor dem Tresen stehen, um sich die Postkarten anzusehen. Ich recherchierte gerade Preise für Münzen und beobachtete sie über die Seiten eines alten Royal-Canadian-Mint-Katalogs hinweg. Sie legte einen Loonie auf den Tresen und nahm sich eine Karte vom Ständer.

Die Algonquin glauben, dass man mit dem ersten Blick alles über einen Menschen erfährt. Ein Blick erzählt das ganze Leben. Vielleicht habe ich das aber auch gar nicht von den Algonquin, sondern in einer der Zeitschriften gelesen, die ich bei Helen hatte mitgehen lassen, wenn sie wieder etwas zu reparieren hatte, aber nichts bezahlen wollte. Sie rief nie vorher an. Sie ging über die North Pickerel bis zu meinem Haus, eine Meile Schotterpiste. Eine Meile sind tausendfünfhundert Schritte. Helen brauchte dafür eine Stunde – Arthrose und Gicht, was man so bekommt, wenn man sich im letzten Drittel befindet. In den Wäldern lebten Wölfe, Kojoten und Pumas. Um die Schwarzbären hätte ich mir an ihrer Stelle auch keine Gedanken gemacht, die sind faul und suchen lieber auf den Müllhalden nach Essensresten. Raubtiere gehen auf die Schwachen, Kranken und Langsamen, weil sie einfache Beute versprechen. Vielleicht hat Helen immer Glück gehabt. Vielleicht war ihr Fleisch aber auch schon so zäh geworden, dass es kein Tier ernsthaft in Betracht zog.

Wenn ich nicht da war, setzte sie sich auf das Fass, in dem ich vor Jahren das letzte Mal wilden Wein angesetzt hatte, und wartete. Oft kam sie nur wegen Kleinigkeiten: verstopfte Abflüsse, Defekte an der Brunnenpumpe oder ein undichtes Dach. Sie könne mir natürlich keinen Lohn für die Arbeiten zahlen, dafür ein ordentliches Essen kochen, ich sei so schmal geworden, schon ein richtiges Skelett. Ich lehnte stets höflich ab, denn ich wusste, wie schlecht ihre Augen geworden waren und dass sie nicht mehr so genau mitbekam, was in ihren Pfannen und Töpfen landete.

Helen bestand darauf, dass ihre Vorfahren aus Polen stammten. Meiner Meinung nach müssen es jedoch Schotten gewesen sein. Die einzige Sache, für die sie ihr Geld noch ausgab, waren Zeitschriften. Sie kaufte sie bei Value Mart oder Costcos, wenn sie jemanden gefunden hatte, der sie die fünfzig Kilometer bis nach Huntsville mitnahm. Sie kaufte gleich vier oder fünf Ausgaben und las jeden Artikel. Sie sagte, wenn sie das nicht tue, bräuchte sie die Zeitschriften gar nicht erst kaufen. Man müsse sie auslesen. Ich denke, sie meinte das genau so: jedes verdammte Wort lesen. Helen lebte in einem windschiefen Haus an der Pevensy Road, zog Squash im Garten und rauchte heimlich selbst gedrehte Zigaretten, obwohl Roger schon seit über zehn Jahren tot war. Sie war es auch gewesen, die Rogers altes Haus an die Deutsche verkauft hatte.

Die Deutschen, die damals in der Gegend lebten, kamen in der Regel mit einer Menge Geld. Sie kauften Häuser in guten Lagen und blieben dann unter sich. Ihr Englisch wurde auch nach dreißig Jahren nicht besser. Was weiß ich schon über die Deutschen? Ich kannte mal einen Häuptling der Ojibwe, der mit einer Deutschen verheiratet war. Die beiden lebten draußen am Lake Cecebe, saßen vor ihrem Trailer und rauchten eine Zigarette nach der anderen. Der Häuptling pflegte beste Kontakte zu den Händlern aus dem Norden, die vor allem hochwertige Felle und Waffen im Angebot haben. Vor Jahren hatte ich ihm einen alten Unterhebelrepetierer zu einem guten Preis abgekauft, das Gewehr ein wenig aufpoliert und es für mehr als das Fünffache wieder veräußert. Ich erzählte dem Käufer, einem jungen Amerikaner aus Kansas, dass mit dieser Waffe schon zahlreiche Grizzlys erlegt worden waren und sie früher einmal einem sehr berühmten Trapper gehört habe. Leider sei mir sein Name gerade entfallen.

Sie hat die Postkarte mit dem Magnetawan als Motiv ausgewählt; ein Bild vom Fluss im Sonnenuntergang, ganz malerisch und verträumt. Ich glaubte, die Deutschen bauen gute Autos und trinken gerne Bier.

2

Milla

Die Frau blieb im Schatten der Hemlocktanne stehen und blickte den Hang hinab. Das Gestein war so rot wie frischer Lehm, die Oberfläche von Rissen durchzogen. Im Sediment eingeschlossene Blitze. Sie steckte die Hände in die Jackentaschen und ging entlang des Felsgrats, den die Einheimischen nur the ridge nannten.

In der Schlucht stand das ockerfarbene Rispengras hüfthoch und kräftig wie Stroh. Der Nordwind drückte die Halme nieder und zog dann weiter gen Magnetawan. Im Hintergrund das Geräusch fließenden Wassers. Der träge Strom schimmerte durch die Blätter des Zuckerahorns. Schwarze Äste trieben auf seiner Oberfläche.

Der Tritt führte sie auf eine mit Weiden bewachsene Ebene. Das Haus war von der Anhöhe aus gut zu erkennen. Ein zweistöckiger Bau mit vorgelagertem Windfang und Fenstern an der Sonnenseite. Sie wusste vom Makler, dass es von Holzfällern, die bis zur Jahrhundertwende die umliegenden Wälder ausgebeutet hatten, zuerst als provisorische Unterkunft erbaut worden war.

Sie folgte dem Weg bis zur Scheune. Das moosbewachsene Dach fiel auf einer Seite ab, Schindeln berührten den Boden. Auf dem First hockten Krähen, die stumm die Gegend beobachteten. Die Spalten zwischen den verwitterten Holzplanken waren breit wie eine Hand. Milla sah in das Innere des Haupttrakts – ein hoher, leerer Raum, an dessen Stirnseite eine Leiter zu einem Speicher führte. Auf den Dielen lagen Heuballen, das Gras farblos und vertrocknet.

Hinter dem Gebäude ein abgedeckter Traktor. Mit der Stiefelspitze schob sie die faustgroßen Steine von der Plane. Kotflügel und Teile der Haube waren durchgerostet. Die Scheiben der Fahrerkabine mit Kondenswasser beschlagen. Sämtliche Dichtungen aus den Fugen gebröckelt. Als sie die Motorhaube anhob, stieg ihr ein vertrauter Gestank in die Nase. Maschinenöl. Schmierfett. Teilereiniger. Sie rieb über die Oberfläche der Zylinderkolben, bis Grauguss zum Vorschein kam. Dann zog sie sich am Handlauf in die Fahrerkabine und ließ sich auf den Sitz fallen.

Es roch nach Schweiß und verbranntem Plastik. Stummel halb gerauchter Zigaretten auf dem Armaturenbrett. Die Frontscheibe verklebt mit toten Insekten, Erdklumpen und einer gelblichen Flüssigkeit. Sie schaute auf die Rückseite der Scheune mit dem Fundament aus dunklen Steinen. Der Lastenanhänger lehnte an der Mauer. Die Sitzstangen des Hühnerkäfigs lagen abmontiert im Gras.

Auf der Hinfahrt war sie an einer Pferdekoppel vorbeigekommen. Die Tiere standen neben dem Highway, die Köpfe gesenkt, ihre Körper vollkommen ruhig. Dann hatte sich ein Rappe aus der Gruppe gelöst, war im Galopp immer schneller geworden und fast gleichauf mit dem Auto gekommen. Sie hatte ihn beobachtet, bis er im Rückspiegel nicht mehr zu sehen gewesen war.

Die Seitenwand der Scheune spendete ihr Schatten. Sie zog die Jacke aus und hängte sie über eines der ausrangierten Fässer. Durch die vergitterten Fenster konnte sie bis in den Kellerbereich blicken. Sie öffnete die schwergängige Tür mit der Schulter. Der stechende Geruch von Ammoniak drang ihr entgegen. Dünne Federn stiegen auf und glitten durch die Luft. Schubkarren voller grauer Erde. Sensen und Schaufeln verrosteten in Ecken. Planen aus wetterfestem Material hingen an fingerdicken Nägeln. Ein niedriger Gang führte weiter in einen gewölbeartigen Raum. Es wurde düster. Rechteckige Konstruktionen aus Holzlatten, die bis unter die Decke reichten, mit Einlässen für Tränken und Futterstellen. Auf dem Lehmboden Stroh und Legemehlreste. Verästelte Sporen wucherten über den gekalkten Putz. Die Käfige waren alle leer.

Der Magnetawan teilte die dreihundert Acres in zwei Hälften. Eine dicht bewaldete Hügellandschaft auf der einen Uferseite, auf der anderen eine karge, weitläufige Ebene, durchzogen von Bachläufen und Vertiefungen.

Hinter einer Reihe Gelbbirken tat sich eine Kluft auf, das Gelände neigte sich steil Richtung Ufer. Jemand hatte ein grobfaseriges Seil um einen Baumstamm geknotet. Sie hob es auf, Schweiß tropfte aus ihrem Haaransatz und lief die Stirn hinab. Die lockere Erde unter ihren Stiefelsohlen gab bei jedem Schritt nach, sie musste sich mit der ganzen Masse ihres Körpers wieder ins Gleichgewicht balancieren.

Am Fuß des Hangs sammelte sich das Wasser in einem tiefen Kolk, wo es ruhig und ohne Strömung lag. Von der gegenüberliegenden Seite konnte sie im Morgennebel nur die Umrisse des Baumbestands erkennen. Sie ging auf die Steine am Ufer zu und legte eine Hand auf die moosige Oberfläche. Leise, fast heimlich gurgelte das Wasser durch die Hohlräume und Rinnen, die es in Jahrmillionen selbst geschaffen hatte.

Im Sand steckte eine Angel aus biegsamem Holz. Sie zog die Rute aus dem Boden und umfasste den Griff. Die Spitze neigte sich zitternd zur Wasseroberfläche.

Der süßliche Geruch der Lachse, die sie mit Johannes während der Sommer in den Räucherofen im Garten gehängt hatte. Sie saßen auf den alten Holzbänken, tranken gekühltes Flaschenbier und warteten auf die Fische. Johannes war damals schon seit über einem Jahr nicht mehr beim Friseur gewesen. Seine Haare reichten ihm auf die Schultern, der Bart bis zur Brust. Milla hatte ihn ein räudiges Wiesel genannt.

Sie stellte die Angel wieder an ihren Platz.

Das Ufer verjüngte sich. Flusswasser umspülte ihre Stiefel. Hinter der Engstelle öffnete sich eine große, trockengefallene Landzunge. Von der Hütte hatte der Makler ihr erzählt. Im Schatten von Tamarack und Schwarzfichten schmiegte sie sich unauffällig ins Gelände. Der Rahmen gezimmert aus rohen Stämmen. Das mit PVC-Folie ausgebesserte Schindeldach eingestürzt. Die hinteren Fenster mit Sperrholz vernagelt. Ein Ofenrohr ragte aus einer der Wände, die Schweißnähte mit Moos überwachsen. Über dem Eingang hing ein Schild, auf dem in roten Lettern ROGER’S SUGAR SHACK stand. An die Hütte grenzte ein Unterstand aus verschraubten Faserplatten und einem rostigen Wellblechdach. Ein Steg führte zum Wasser, die Bohlen tief in das Flussbett eingegraben. Sie streckte eine Hand aus und legte sie auf das feuchte Holz.

Auf der Stirnseite der Hütte befand sich ein Fenster, über den Rahmen war ein Moskitonetz genagelt. Unter dem Vordach stand noch ein weißer Plastikstuhl. Von diesem Punkt aus konnte sie den Fluss und beide Teile des Grundstücks überblicken. Ein süßlicher Geruch lag in der Luft. Verbrennendes Holz. Kräuter. Sie blickte das Ufer entlang. Kein Rauch. Kein offenes Feuer. Jetzt spürte sie die Kälte, die vom Wasser aus ihre Beine hinaufkroch. Sie fand die Schachtel du Maurier in ihrer Jackentasche und riss das Silberpapier ab. Das Zippo war ein Geschenk ihrer ehemaligen Angestellten. Sie betrachtete die Gravur: ein MAN-Lastwagen, darunter die Daten des Firmenjubiläums. Ihr kamen einige Namen in den Sinn: Jupp, Schäng, Lorenz, Pit, Marlene. Wie sie auf dem Hof vor der Spedition standen, Asche auf das Kopfsteinpflaster schnippten und ihre Thermobecher in den Händen hielten. Später der Klang warm laufender Motoren. Der ölige Geruch des Diesels das Fanal. Ab ins Fahrerhaus, Fracht auf die Straßen bringen. Ein Atlantik zwischen ihnen.

Über dem Dach Flügelschläge, ein knappes Trommeln. Schatten glitten über den Fluss. Sie sah dem Vogel hinterher, dessen Namen sie nicht kannte. Grau gefiederter Körper. Schlanker Kopf. Langer Schnabel. Sie öffnete das Feuerzeug, fuhr mit dem Daumen über das Reibrad und wartete auf die Flamme. Ihre erste Zigarette seit Monaten. Das Gefühl, wie sich der Mund allmählich mit Rauch füllt. Sie rauchte langsam, Zug um Zug.