Das Grab am Fjord - Agnes Lovise Matre - E-Book
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Das Grab am Fjord E-Book

Agnes Lovise Matre

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Beschreibung

Krimi-Hochspannung aus Norwegen: Auch im 2. Teil der atmosphärischen Krimi-Reihe um Kommissar Bengt Alvsaker treffen atemberaubende Landschaften auf menschliche Abgründe. In Øystese am Hardanger-Fjord stößt eine Frau bei der Gartenarbeit auf menschliche Knochen. Allem Anschein nach handelt es sich dabei um die Überreste von Morten Vik, der in den 80er Jahren einer der ersten offen schwulen Jugendlichen im Dorf war und kurz darauf spurlos verschwand. Dass Kommissar Bengt Alvsaker und sein Team den Cold Case neu aufrollen, scheint einige im Ort zu beunruhigen – einen jungen Polizisten kostet es sogar das Leben. Erschüttert setzt Kommissar Alvsaker alles daran, die beiden Fälle aufzuklären. Einen dritten Mord kann er trotzdem nicht verhindern … Für die Reihe um Kommissar Bengt Alvsaker wurde Krimi-Autorin Agnes Lovise Matre in Norwegen mit dem prestigeträchtigen Sølvkniv-Preis ausgezeichnet. »Mitreißender Norwegen-Krimi, der unter die Haut geht.«  Buchjournal über »Das Schweigen des Fjords«, den ersten Teil der Krimi-Reihe »Die Morde von Øystese«

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Seitenzahl: 490

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Ähnliche


Agnes Lovise Matre

Das Grab am Fjord

Kriminalroman

Aus dem Norwegischen von Maike Dörries und Günther Frauenlob

Knaur eBooks

Über dieses Buch

In Øystese am Hardanger-Fjord stößt eine Frau bei der Gartenarbeit auf menschliche Knochen. Allem Anschein nach handelt es sich dabei um die Überreste von Morten Vik, der in den 80er Jahren einer der ersten offen schwulen Jugendlichen im Dorf war und eines Nachts spurlos verschwand. Dass Kommissar Bengt Alvsaker und sein Team den Cold Case neu aufrollen, scheint einige im Ort zu beunruhigen – und plötzlich ist auch ein junger Kollege verschwunden. Fieberhaft setzt Bengt alles daran, die beiden Fälle aufzuklären. Einen weiteren Mord kann er trotzdem nicht verhindern …

Inhaltsübersicht

Widmung

Dienstag, 1. Mai 2018

Dienstag, 1. Mai 2018

1983

Mittwoch, 2. Mai 2018

Mittwoch, 2. Mai 2018

1983

Mittwoch, 2. Mai 2018

Donnerstag, 3. Mai 2018

Freitag, 4. Mai 2018

1983

Freitagnachmittag, 4. Mai 2018

Freitagabend, 4. Mai 2018

1983

Freitagabend, 4. Mai 2018

Samstag, 5. Mai 2018

Samstag, 5. Mai 2018

Samstagabend, 5. Mai 2018

1983

Montag, 7. Mai 2018

1983

Montag, 7. Mai 2018

Montag, 7. Mai 2018

Montag, 7. Mai 2018

Zur selben Zeit, Montag, 7. Mai 2018

Montag, 7. Mai 2018

Dienstag, 8. Mai 2018

Dienstag, 8. Mai 2018

1983

Mittwoch, 9. Mai 2018

Mittwoch, 9. Mai 2018

Mittwoch, 9. Mai 2018

Mittwoch, 9. Mai 2018

Zur selben Zeit, Mittwoch, 9. Mai 2018

Mittwochabend, 9. Mai 2018

Mittwoch, 9. Mai

Nacht auf Donnerstag, 10. Mai 2018

Donnerstag, 10. Mai 2018

Donnerstag, 10. Mai 2018

Freitag, 11. Mai 2018

1983

Freitag, 11. Mai 2018

Freitag, 11. Mai 2018

Samstag, 12. Mai 2018

1983

Samstag, 12. Mai 2018

Samstag, 12. Mai 2018

1983

Samstag, 12. Mai 2018

Sonntag, 13. Mai 2018

Sonntag, 13. Mai 2018

Sonntag, 13. Mai 2018

Montag, 14. Mai 2018

Montag, 14. Mai 2018

Montag, 14. Mai 2018

Zur selben Zeit, Montag, 14. Mai 2018

Zur selben Zeit, Montag, 14. Mai 2018

Kurze Zeit später, Montag, 14. Mai 2018

1983

Montag, 14. Mai 2018

Zur selben Zeit, Montag, 14. Mai 2018

Montag, 14. Mai 2018

Dienstag, 15. Mai 2018

Dienstag, 15. Mai 2018

Dienstag, 15. Mai 2018

Zur selben Zeit, Dienstag, 15. Mai 2018

Dienstagabend, 15. Mai 2018

15. Mai 2018

Samstag, 26. Mai 2018

Leseprobe »Das Schweigen des Fjords«

 

 

 

 

Für Bjørn André Widvey

Ohne deine Großzügigkeit – kein Buch

Øystese

Dienstag, 1. Mai 2018

Marte Samland wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete den verwilderten Hang, den der Makler als Garten bezeichnet hatte. Das Haus selbst sah zwischen den frisch gestrichenen Fassaden des Viertels oberhalb des Zentrums von Øystese wie ein rostroter, auf Grund gelaufener Kutter aus. Der gemauerte Sockel war von unbestimmtem Graugelb mit braunen Rändern.

Nachdem sie am Tag zuvor alle Büsche und Bäume mit der Motorsäge gefällt hatte, wirkte der Hang wie ein Kahlschlag. Die Wurzelstöcke hatte sie auszugraben und mit der Axt zu zerschlagen versucht, aber viele steckten zu tief in der Erde.

Mit voller Kraft stieß sie den Spaten in den Boden und riss Giersch, Quecken und Gras heraus. Die Erde schüttelte sie ab, und das Grünzeug landete in der Plastikwanne neben ihr. Systematisch schnitt sie sich durch ein Netzwerk von Zweigen und Wurzeln, las Steine auf und fegte Regenwürmer und Tausendfüßler weg. Sie seufzte zufrieden, denn aus der Schule wusste sie noch, dass viele Organismen im Boden gute Erde bedeuteten.

»So, so, Sie sind also eine von denen, die am 1. Mai im Garten arbeiten?«

Marte schnippte eine grüngelbe Spinne weg, die in aller Eile Reißaus nahm, und drehte sich um. Ein Mann stocherte mit einem Stock in ihrer Schubkarre herum, die dicht an der Mauer stand, damit sie ihre Wanne einfach ausleeren konnte.

»Es tut mir leid, wenn ich Ihren Feiertag störe«, antwortete sie brüsk und drehte dem Mann demonstrativ den Rücken zu.

Die gewünschte Wirkung blieb nicht aus. Ohne ein Wort verschwand er über den Bürgersteig, die kleine norwegische Fahne, die er in er linken Hand hielt, hing schlaff nach unten. Schwitzend arbeitete sie weiter. Hackte auf das Gras ein und warf fluchend Steine zur Seite, legte dabei aber immer mehr dunklen Boden frei.

Marte streckte sich, massierte sich das Kreuz und sah zu den schneebedeckten Bergspitzen hinüber, die sich im grünen Wasser des Fjords spiegelten. Allein die Aussicht war eine Million Kronen wert. Der Kirschbaum, der etwas entfernt im Garten blühte, würde in diesem Jahr keine Früchte tragen. Die ersten frisch ausgeschlagenen grünen Blätter waren an den Rändern bereits braun verfärbt.

Auf schmerzenden Beinen und mit krummem Rücken leerte sie die Schubkarre am Komposthaufen. Ein braungelber Lehmklumpen brach auseinander und offenbarte eine Ansammlung verpuppter Fliegenmaden.

Am Fuß des Hangs ging sie noch einmal auf einen Baumstumpf los, aber die Wurzeln saßen fest. Sie nutzte den Spaten. Grub tiefer, um eine bessere Hebelwirkung zu haben, drückte den Stumpf nach und nach immer höher, bis sich die Wurzeln plötzlich mit einem Ächzen lösten, Marte nach hinten kippte und der Stumpf gegen ihre Kniescheibe schlug.

»Verdammt!«, brüllte sie, fasste sich ans Knie und drehte sich in den Vierfüßlerstand. Ein stechender Schmerz ließ sie ihre Hand sofort wieder zurückziehen. Blut sickerte aus der Handfläche, und Tränen schossen ihr in die Augen. Vorsichtig suchte sie mit der anderen Hand den Boden nach Glasscherben ab. Wo der Stumpf gestanden hatte, ragte etwas Weißes aus der Erde. Sie grub mit der Hand weiter, bis sie es zu fassen bekam und schließlich einen Schädel zwischen den Fingern hielt, der von einer Katze stammen konnte.

Marte dachte unwillkürlich an das rosa Schlafzimmer im Untergeschoss, in dem vermutlich einmal ein kleines Mädchen gewohnt hatte, dessen Kätzchen vielleicht gestorben war. Marte hatte wohl das Grab zerstört.

Erst jetzt bemerkte sie das Stück Stoff, das sich mit dem Schädel aus der Erde gelöst hatte. Sie zog daran, aber es war nass und schwer vom Lehm und schien sich noch dazu um eine der Wurzeln gewickelt zu haben. Marte fluchte. In der lehmigen Erde würde nichts wachsen. Sie beugte sich tiefer hinunter und zog an einer vermeintlichen Wurzel, bis sie mit einem Mal alles fallen ließ, in drei langen Sätzen am Haus war und auf die Bank neben der Tür sackte. Sie rang nach Atem und versuchte zu verstehen, was sie soeben gesehen hatte.

Øystese, Vavollen

Dienstag, 1. Mai 2018

Kommissar Bengt Alvsaker schüttelte resigniert den Kopf über seinen Kollegen Lars Staupe, der zum x-ten Mal in den Spiegel der Sonnenblende schaute. Sie trugen beide ihre Festtagsuniform und sollten den Erster-Mai-Umzug in Ålvik, einem kleinen Industriestädtchen am Hardangerfjord, begleiten.

Kurz vor dem Tunnel nach Øystese wurden sie von der Einsatzzentrale des Polizeidistrikts Vest angefunkt und gebeten, die Angaben einer Frau zu überprüfen, die behauptete, im Garten ihres Hauses die Reste eines Menschen gefunden zu haben.

Bengt parkte am Straßenrand und ließ seinen Blick über einen halb umgegrabenen Hang zu seiner Linken schweifen. Eigentlich war es wenig wahrscheinlich, dass dort irgendwelche menschlichen Überreste lagen, aber trotzdem mussten sie dem Anruf nachgehen. Er nahm sein iPad, das auf der Rückbank lag, und ging gemeinsam mit Lars den steilen, ungepflegten Kiesweg hinauf. Am Morgen hatte es noch leicht geregnet, aber im Gegensatz zu Norheimsund hatte der Wind in Øystese aus Nordwest aufgefrischt und die dichte Wolkendecke aufgelockert. Der blaue Himmel, der an einzelnen Stellen zum Vorschein kam, ließ auf besseres Wetter hoffen.

»Mann, was für eine Bruchbude«, sagte Lars leise. »Bin ich froh, dass meine Eltern für mich bürgen. Sonst müsste ich vielleicht auch so wohnen!«

»Ja, du hast es natürlich schön«, antwortete Bengt und stieß Lars freundschaftlich in die Seite. »Wenn du mich fragst, würde es dir gar nicht schaden, mal eine Weile an einem solchen Ort zu wohnen.« Bengt hatte schon viel zu oft von der fantastischen Wohnung gehört, die sein Kollege sich an der Hardanger Brygge in Norheimsund gekauft hatte.

Marte Samland saß auf der Bank neben der Haustür. Sie sah aus, als könne sie jeden Augenblick umkippen. Eine Sommerblume in einem abgestorbenen Moor, dachte Bengt und nahm das Grundstück in Augenschein.

»Frieren Sie nicht?«, fragte Lars und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie zitterte, starrte aber weiterhin nur auf den Hang.

»Sitzen Sie schon die ganze Zeit hier? Sie hätten doch drinnen warten können.« Bengt setzte sich neben sie. Die Frau trug nur eine Jogginghose und ein geblümtes T-Shirt. Die Haut ihres Oberarms sah aus wie bei einem gerupften Huhn. Die Finger waren schwarz von Erde, und um eine Hand hatte sie sich einen weißen Lappen gewickelt. »Haben Sie sich verletzt?«

»Nur ein Kratzer, nicht der Rede wert. Ich hätte das Grundstück niemals kaufen sollen. Eine Leiche hat mir gerade noch gefehlt. Aber wer rechnet denn mit so was?« Sie versuchte sich an einem Lächeln, das aber nur zu einer Grimasse wurde.

»Jetzt lassen Sie uns erst einmal nachsehen«, sagte Lars in beruhigendem Ton. Dann machte er einen Schritt in Richtung Schubkarre, die etwas oberhalb am Hang stand.

Bengt bat Marte zu warten und folgte Lars. Vavollen war ein Viertel mit gepflegten Einfamilienhäusern, aber das hier …

»Ich habe ihn da drüben gefunden«, rief Marte und streckte den Arm aus.

Bengt zog eine Augenbraue hoch.

»Ihn?«

»Ja, ihn, den Menschen, oder was das ist. Keine Ahnung.« Sie schlug die Arme um sich. »Sie sehen ja, wo ich gegraben habe. Der Stoff an der Wurzel. Sieht aus wie Jeans.«

»Manche Leute begraben ihre Haustiere im Garten«, sagte Lars, wobei Bengt auffiel, dass seine Stimme ziemlich angespannt klang.

»Herrgott! Ich bin auf einem Hof aufgewachsen«, fuhr sie die beiden an. »Schauen Sie doch selbst. Das ist kein Tier!«

Es riefen nicht selten Leute bei er Polizei an, die an den unmöglichsten Stellen Leichenteile gefunden zu haben glaubten. Einmal hatten sie sogar ein Päckchen mit Knochenresten zur Untersuchung zugeschickt bekommen, die sich dann später als die sterblichen Überreste einer Kuh herausgestellt hatten.

Am Fuß des Hangs stand eine alte, windschiefe Birke. An einem kräftigen, direkt aus dem Stamm abzweigenden Ast hing eine Holzschaukel an einem Sisalseil. Lars stieß die Schaukel an und fing sie im Rückwärtsschwung wieder ein. Bengt sah, dass auf der Unterseite etwas mit einem Brennstab ins Holz graviert war.

»Sieh mal!« Er drehte das Brett um, roch förmlich noch das verbrannte Holz und fühlte sich schlagartig in die Grundschule in Øystese zurückversetzt. Das Kind, das diese Schaukel graviert hatte, hatte offensichtlich noch nicht richtig schreiben können. »Du bist lip«, las er laut.

»An dem Stumpf da vorne«, wiederholte Marte ungeduldig. Bengt ließ sich nicht hetzen und stieg langsam über die Erdhaufen, wobei er darauf achtete, in Martes Fußspuren zu treten. Als er zu der Stelle schaute, die sie angegeben hatte, überkam ihn ein ungutes Gefühl, das gleich darauf bestätigt wurde. Verdammt! Nicht jetzt!, dachte er und sah schon, wie sich die bevorstehende Konfirmation seines Sohnes Thomas in Rauch auflöste.

Bengt berührte nichts und gab keinen Kommentar ab, er nickte Lars nur kurz und mit ernster Miene zu, ehe er zurück auf die Wiese ging, wo er Lars bat, das Absperrband aus dem Auto zu holen. Anschließend fischte er das Handy aus der Innentasche seiner Jacke, rief die Kriminaltechnik in Bergen an und bat um Unterstützung. Er legte Marte Samland eine Hand auf die Schulter.

»Es war richtig, uns anzurufen«, sagte er. »Das sind möglicherweise die Überreste eines Menschen, die da aber schon länger liegen können. Sie wissen ja sicher, dass die Geschichte dieses Ortes weit in die Vergangenheit zurückreicht«, fügte er hinzu, als er das Zittern unter seinen Fingern spürte. »Alte Siedlungsplätze, Wikingergräber … ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand …« Er hielt inne, als er einsah, dass er ihr ebenso gut erzählen könnte, jemand hätte eine Kiste Gold in ihrem Garten vergraben. Wikinger trugen keine Jeansjacken. »Ist es für Sie in Ordnung, wenn wir uns auf dem Grundstück etwas umsehen?«

Marte nickte tapfer. Sie sah zu Lars, der mit dem Absperrband und einer Wolldecke unter dem Arm vom Auto zurückkam.

»Kann ich hier sitzen bleiben und warten?«

»Natürlich.« Lars legte ihr die Decke um die Schultern.

Die Veranda auf der linken Seite des Hauses war aus solidem, unverputztem Beton gegossen und hatte noch kein Geländer. In einer Ecke standen die vermoosten Reste eines alten Gartenkamins. Fünf bis sechs Meter von der Terrasse entfernt trennte ein Zaun das Grundstück von dem angrenzenden Bauernhof, wo ein paar Kühe grasten. Weiter oben am Hang sah Bengt Schafe. Ein paar neugeborene Lämmer drängten sich an ihre Mütter und tranken Milch. Unter dem Küchenfenster war eine Hundehütte an die Wand gebaut.

Bengt rupfte ein vergilbtes Grasbüschel aus, das am Zaun lag, und wischte sich damit den Lehm von den Schuhen, ehe er zum Telefon griff und zwei andere Beamte zum Erster-Mai-Umzug abkommandierte. Er sah sich um.

»Sieht aus, als hätte das ganze Grundstück Krebs«, murmelte er.

Lars ging zu einem Komposthaufen, der aus alten Gatterzäunen zusammengezimmert worden war, und stocherte mit dem Zeigefinger in den Larvenpuppen herum.

»Vielleicht solltest du dir Handschuhe anziehen?« Bengt schnitt eine Grimasse, als er die Puppen bemerkte.

»Die sind frisch.« Lars nahm eine Handvoll Erde und Larven und sah sie sich genauer an. Bengt trat einen Schritt zurück, als Lars grinsend eine Larve zwischen Daumen und Zeigefinger nahm. »Weißt du, dass Napoleon auf seine Feldzüge immer Fliegenmaden mitgenommen hat? Damit hat er die Wunden gereinigt, Maden fressen nämlich tote Haut. Es ist extrem wichtig, abgestorbene Zellen zu entfernen, wenn die Wunden schnell heilen sollen. Denk dran, Bengt, wenn du dich das nächste Mal verletzt. Es ist gut, immer eine Fliegenmade in der Tasche zu haben.«

»Na, herzlichen Dank«, sagte Bengt und sah Marte zu ihnen kommen. Er musste sie irgendwie auf Abstand halten. »Bitte berühren Sie den Kompost nicht«, sagte er mit ungewollt scharfer Stimme, legte Marte dann aber beschwichtigend die Hand auf den Rücken und führte sie zurück zum Haus.

»Sie sollten auch nicht im Garten herumlaufen, bis wir hier alles untersucht haben. Haben Sie Familie, bei der Sie vorübergehend wohnen können?«

»Ich kann bei meinem Vater übernachten. Es wird ohnehin noch eine ganze Weile dauern, bis man hier wohnen kann. Was glauben Sie, wer das ist?«

Bengt antwortete nicht.

»Haben Sie einen Schlüssel für das Haus, den Sie uns dalassen können?«

Marte sah schaudernd zur Haustür, als hätte sie einen Geist gesehen. Dann nickte sie.

Bengt rief Lerke Ribenholt an. Seine Lebensgefährtin war Kriminaltechnikerin im Polizeibezirk Vest, sodass er direkt zur Sache kam.

»Ich habe schon gehört, dass ihr eine Leiche in einem Garten gefunden habt. Spannend«, fügte sie trocken hinzu. »Ich komme nach Hause, sobald ich hier fertig bin. Kannst du was zu essen besorgen?«, fragte sie im selben Atemzug. »Ich habe es gestern nicht mehr geschafft, einzukaufen. Das Wetter ist gut … und Thomas nörgelt schon seit Tagen, dass wir mal grillen sollen. Kümmerst du dich darum? Bei mir könnte es wieder später werden.«

Bengt ging einen Schritt von den anderen weg und drehte sich um.

»Wenn ich ehrlich sein soll … ist mir im Moment wirklich nicht nach Grillen zumute.«

»Außerdem … wir müssen dringend den Dachboden aufräumen«, fuhr sie fort. »Die Kartons da oben sollten noch vor der Konfirmation geleert werden.«

Er ließ sie weiterreden. Er wusste nur zu gut, wie nüchtern und pragmatisch sie sein konnte. Das sachliche Gerede über Grillen und Aufräumen war aber nur ein Schutzmechanismus. Sie war in Alarmbereitschaft. Trotzdem fragte er sich, warum sie ausgerechnet jetzt den Dachboden aufräumen wollte. Sie feierten die Konfirmation schließlich nicht dort oben. Er ging nicht weiter darauf ein. Wenn Lerke zu einem Tatort musste, zog sie sich entweder in sich selbst zurück und antwortete nur noch einsilbig und kurz. Oder sie redete – wie jetzt – wie ein Wasserfall über vollkommen unwesentliche Dinge. Nur nicht über das, was sie tatsächlich beschäftigte. Sie bereitete sich immer auf den Worst Case vor und konzentrierte sich darauf, nichts zu vergessen. Ihr Job war manchmal aber auch wirklich widerwärtig, dachte Bengt.

»Ich lasse Lars als Wache hier. Vorläufig haben wir nur eine Hand, der allem Anschein nach ein paar Finger fehlen, etwas, das wie eine Jeansjacke aussieht, und noch ein paar Knochenreste. Schwer zu sagen, was genau.«

»Okay! Kind oder Erwachsener?«

Bengt erstarrte. Darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.

»Ich weiß es nicht? Wir haben nicht viel …«

»Ich nehme Palle Rolfsen und den Arbeitstisch mit, dann können wir die Knochen sortieren.« Bengt stutzte bei dem Namen des Pathologen, der am Gades-Institut in Bergen arbeitete.

»Er kann mir als Paläontologe helfen, Tier- und Menschenknochen voneinander zu unterscheiden.«

»Ich weiß, was ein Paläontologe ist«, antwortete Bengt, etwas verärgert über die Belehrung. »Außerdem kannst du mitbringen, wen immer du willst.«

»Okay! Wir finden noch mehr.«

»Sicher?« Bengt hörte sofort, wie dumm das klang, und ärgerte sich darüber, dass er ihr auf diese Weise das letzte Wort ließ.

»Tja, kommt ziemlich selten vor, dass jemand im Vorbeifahren einen einzelnen Arm wegwirft.«

Øystese

1983

Als die Tür der Schultoilette hinter ihm ins Schloss fiel, bekam Morten zuerst Angst. Dann wurde ihm erst heiß, dann kalt. Er hatte Frode nicht kommen hören. Dieser lehnte mit dem Rücken an der Tür und sagte nichts, bevor er mit zwei schnellen Schritten bei ihm war. Weiche Hände strichen über Mortens Körper, Lippen fanden seinen Mund und zitterten in einer Mischung aus Angst und Lust. Als Frodes Hand sich unter seinen Hosenbund schob, rauschte ein Strom von irgendetwas Neuem, Unbekanntem durch seine Adern.

In der letzten Zeit hatten sich ihre Blicke immer wieder gesucht. Hände, die sich wie zufällig streiften, eine Schulter an der anderen. Morten empfand es so, als hätte er eine gespannte Bogensehne im Bauch, sobald Frode in seiner Nähe war. Die Gedanken an ihn überlagerten alles. Er wagte aber nicht zu glauben, dass es Frode ähnlich ging, traute sich nicht, den ersten Schritt zu machen und die erlösenden Worte zu sagen. Der Absturz wäre zu brutal, die Konsequenzen so groß, dass er nicht damit leben könnte. Er würde zum Gespött der Leute werden, sein Vater würde sich mit Sicherheit von ihm abwenden … Er würde ausgestoßen werden … wie Rapungen … der Schwule, der sich nie zu outen getraut hatte, von dem aber alle wussten, dass er vom anderen Ufer war.

Aber jetzt. Morten erwiderte zögernd die Liebkosungen. Er hatte noch immer Angst, abgewiesen zu werden, und fürchtete, Frode könne ihn plötzlich von sich stoßen und ihn auslachen. Dass das Ganze eine Verschwörung sei und die anderen plötzlich zu ihnen in die Toilette gestürzt kämen. Aber nichts dergleichen geschah.

Morten war außer Atem und glücklich, als Frode ihn von hinten umarmte und ihm den Kopf auf die Schulter legte … als wollte er mit dieser Geste sagen, dass er es ernst meinte und es von nun an nur sie beide geben würde. Er erschrak beinahe zu Tode, als Jørn an der Tür rüttelte und rief, dass er aufs Klo müsse, dann aber in Richtung der anderen Toilette weiterging. Frode wich lächelnd zurück. Zu Mortens Erleichterung wartete er etwas, ehe er durch die Tür schlüpfte und verschwand. Er war innerlich aufgewühlt, wusste, dass es jetzt besiegelt war. Was sie getan hatten, war nicht mehr rückgängig zu machen.

Vor dem Klassenzimmer blieb er eine Weile stehen und versuchte, sich zu beruhigen. Frode war eine tickende Zeitbombe, er konnte jederzeit alles Mögliche von sich geben, zu wem auch immer. Vorsichtig öffnete er die Tür. Gelächter schallte ihm entgegen. Die Schüler lagen grölend auf ihren Pulten oder wippten feixend auf ihren Stühlen herum und redeten wild durcheinander. Mit einer Sekunde Verzögerung erkannte er, dass die Welt noch immer rund war. Der Mittelpunkt des Universums saß allein am Fenster.

Morten sah schnell weg, als Frode den Kopf hob und ihn ansah.

Polizeiwache Kvam

Mittwoch, 2. Mai 2018

Bengt stellte das Rennrad vor der Umkleidekabine ab und zog die verschwitzten Trainingsklamotten aus, die ihm nach der Tour nach Kvamskogen und zurück am Körper klebten. Ein Schmerz schoss zwischen seine Schulterblätter, der ihn für den Rest des Tages quälen würde. Mit einem genervten Seufzer schob er Lars’ Rollski beiseite, die der mal wieder direkt vor Bengts Spind abgestellt hatte, und legte seine Trainingssachen ordentlich zusammen, bevor er unter die Dusche ging. Als er nach fünf herrlichen Minuten das Wasser ausstellte, hörte er die Tür gehen.

»Hallo? Ich bin’s.«

Lars’ muntere Stimme deutete darauf hin, dass er einen guten Start in den Tag gehabt hatte.

Bengt zog den Duschvorhang zur Seite und nickte dem Kollegen zu, der sich auf die Garderobenbank fallen ließ, bevor er die Trainingshose auszog und auf den Boden warf. Danach zog er sich das Shirt über den Kopf und schmiss es dazu. Scharfer Schweißgeruch mischte sich mit Seifenduft.

Bengt zog seine Uniformhose an und betrachtete sich selbst im Spiegel, während er den Gürtel zuschnallte. Es war schon eine Weile her, dass er sein Triathlontraining an den Nagel gehängt hatte, und er musste feststellen, dass er körperlich abbaute. Die Narbe zwischen den Schulterblättern war als weißer Strich zu erkennen, als er mit dem Rücken zum Spiegel stand und den Kopf drehte. Unweigerlich erinnerte er sich an das Messer, das seine Wirbelsäule nur um wenige Zentimeter verfehlt hatte.

Nach längerer Krankschreibung und Lerkes guter Pflege hatte er sich langsam wieder an den Arbeitsalltag gewöhnt. Genau wie sie. Anfangs hauptsächlich mit Bürokram und Ordnungswidrigkeiten. Es hatte mehr als genug zu tun gegeben. Stein- und Erdrutsche waren im Fjordland ein ebenso sicheres Anzeichen für den Herbst wie das Fallen der Blätter, weshalb in dieser Jahreszeit immer mit dem einen oder anderen Verkehrsunfall zu rechnen war. Die Straßen erinnerten mitunter ja auch eher an mittelprächtige Fahrradwege. Häusliche Gewalt, kleine Betrügereien, Jugendliche, die beim Ladendiebstahl erwischt wurden, und Alkohol am Steuer waren Alltagskost in der norwegischen Provinz. Das, womit sie es jetzt zu tun hatten, war etwas für größere Städte mit besseren Ressourcen und mehr Personal. Bei ihnen war die Reform der Polizei irgendwie nicht angekommen.

»Bis gleich«, sagte er zu Lars und verließ die Umkleide.

 

Exakt eine Viertelstunde später betrat er den Sitzungsraum und atmete tief ein. Kommissarin Susanne Hauso murmelte ein leises »Guten Morgen«, als er den Papierstapel vor dem Smartboard auf den Tisch legte. Susanne hatte vor ein paar Monaten die Möbel umgestellt, weil der alte Konferenzraum ihrer Meinung nach als Koordinationsraum nicht mehr gut genug war. Der viel genutzte, ovale Konferenztisch war zum Secondhandladen gebracht und durch kleine Arbeitsstationen ersetzt worden. Bengt schickte ihr einen dankbaren Gedanken, als er sich auf einen der modischen Bürostühle sinken ließ. Lars saß bereits auf der Kante seines Stuhls, als könne er es gar nicht erwarten, anzufangen. Auf dem Tisch neben ihm lagen sein iPad und der Bericht.

»Ester meint, dass der Mieter in dem Haus in Vavollen, das Marte gekauft hat, ein ziemlich schrulliger Kauz war.« Lars nahm sich einen Proteinriegel, biss hinein und spülte das Ganze mit einem Energydrink hinunter. »Er hatte den Spitznamen Kleppemann, weil er bei Kleppe-Möbel gearbeitet hat.«

Bengt hob eine Hand, um den Redeschwall seines Kollegen zu bremsen.

»Das steht alles in dem Bericht, den ich geschrieben habe.« Er wartete, bis er Lars’ volle Aufmerksamkeit hatte, ehe er aufstand. »Lassen wir Esters Theorien vorerst noch beiseite und konzentrieren uns auf die Fakten.«

Ester war die Sekretärin am Empfang, und auch wenn kein Zweifel daran bestand, dass sie den vollen Überblick über alles hatte, was sich im Ort tat, war sie nicht ihre erste Informationsquelle.

Bengt schaute nach Unterstützung suchend zu Susanne, aber die war ganz in ihren Unterlagen versunken und sah nicht auf. Das blonde, kurz geschnittene Haar, das sie, wie sie behauptete, von Marie Fredriksson von Roxette geerbt hatte, sah aus, als wäre sie gerade erst aufgestanden. Er verkniff sich einen Kommentar, das würde er später ansprechen. Jetzt brauchte er ein waches Team. Er wartete ungeduldig, während Lars seine Notizen durchsah.

»Der Kleppemann«, fuhr er fort, »ist denen, die hier aufgewachsen sind, ein Begriff. Ich habe mit seinem Arbeitgeber gesprochen. Der beschreibt ihn als einsamen Wolf, aber zähen Kämpfer.« Bengt lächelte schief. »Ich fand ihn als Junge ziemlich gespenstisch. Er hat immer nur auf den Boden gestarrt, einen nie angesehen, krummer Rücken und lange, dünne Beine, mit denen er ganz kurze Schritte gemacht hat. Wir Kinder fanden ihn echt unheimlich, aber der hätte keinen Menschen umgebracht und die Leiche im Garten vergraben. Außerdem läuft die Straße direkt an seinem Grundstück vorbei, es sind andere Häuser in der Nähe, und da spaziert immer jemand vorbei.«

»Wo ist der Kleppemann heute?« Lars lehnte sich auf dem Bürostuhl zurück.

Bengt sah Lars streng an.

»Hättest du deine Hausaufgaben gemacht, wüsstest du das. Der Bericht vor dir ist nicht dazu da, ihn nur mit sich herumzutragen, der soll gelesen werden.«

Er sah den Papierstapel vielsagend an, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf Susanne richtete.

Sie rieb sich die Augen und hob den Kopf.

»Er ist tot«, sagte sie trocken.

Der gelbe Bleistift, auf dem sie herumkaute, war schon halb abgenagt. Im nächsten Augenblick richtete sie ihn auf Bengt, ehe sie ihn hinters Ohr schob.

»Unser guter Lars ist tagsüber mit dem Kopf woanders. Reden wir tatsächlich von Mord?«, sprach sie weiter, ohne Notiz davon zu nehmen, dass Lars errötete.

»Erst mal nur von einem verdächtigen Todesfall.« Bengt strich sich mit den Fingern durchs Haar. »Damit fangen wir an. Wollen wir dann loslegen?«

Lars richtete sich auf seinem Stuhl auf.

»Marte Samland meint, dass Kinder in dem Haus gelebt haben. Hatte der Kleppemann Kinder?«

»Nein, aber Familie Tornes, die damals das Haus gebaut hat.« Bengt klopfte auf den Blätterstapel vor sich. »Laut Einwohnermeldeamt heißt das Mädchen Elise Tornes. Sie ist inzwischen erwachsen. Die Eltern sind weggezogen und wohnen direkt über dir in Hardanger Brygge.«

Bengt wollte Lars nicht mehr als notwendig zurechtweisen. Der junge Polizist war immer als einer der Ersten bei der Arbeit, hatte den absoluten Überblick über alle rausgehenden Informationen und meckerte nie über Überstunden.

»Tornes? Ja, klar! Die stehen auf dem Briefkasten unten. Denen hat das Haus in Vavollen gehört?«

»Kennst du sie?« Bengt legte seine Hände um den Kaffeebecher, um sie zu wärmen.

»Nicht gut. Sie sind etwas verschroben … altmodisch, irgendwie. Ihr hättet den Umzugswagen sehen sollen … Aber ich dachte, die hätten früher in Tolohagen gewohnt?«

»Ja, dort sind sie in den Achtzigern hingezogen.« Bengt gab ein Zeichen, dass er weitermachen wollte. »Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht so recht vorstellen, dass sie eine Leiche in ihrem Garten verscharrt haben sollen. Es muss eine andere Erklärung geben, wie die dort gelandet ist, meint ihr nicht auch?« Bengt schob seine Unterlagen zusammen. »Wir kümmern uns erst mal um andere Sachen, bis die Techniker ihre Untersuchungen abgeschlossen haben.« Er breitete die Arme aus. »Wir wollen ja keine Hypothesen aus der Luft greifen.«

Das Telefon wanderte vibrierend über die Tischplatte.

»Lerke«, sagte er zu den anderen und stellte den Lautsprecher an.

»Wir haben den ganzen Tag gearbeitet«, sagte sie kurzatmig.

»Und?«, fragte er.

»Ich habe mich offenbar geirrt. Es sieht so aus, als hätte tatsächlich jemand nur den einen Arm weggeworfen. Mehr ist hier nicht zu finden.«

Vavollen

Mittwoch, 2. Mai 2018

Auf der Straße vor Marte Samlands Haus hatten sich ein paar Schaulustige versammelt. Als Bengt aus dem Auto stieg, verstummte die Unterhaltung. Alle Augen richteten sich auf ihn, als wäre er das Orakel, auf das alle gewartet hatten.

»Was ist passiert?« Ein langer, schlaksiger Journalist vom Hordaland Folkeblad hob seine Kamera und schoss ein paar Fotos von Bengt, ehe der reagieren konnte.

»Das versuchen wir, herauszufinden. Wir überprüfen gerade ein paar Knochenfunde.«

Bengt schob sich an dem Journalisten vorbei und hörte hinter sich das Klicken seiner Kamera.

»Und da rückt ihr mit der ganzen Mannschaft an? Reden wir von menschlichen Knochen?«

Bengt ließ sich nicht aus der Reserve locken.

»Marte Samland hat gesagt, sie hätte eine Skeletthand gefunden und die Polizei alarmiert. Wurde noch mehr gefunden?«

Bengt versuchte, ruhig zu bleiben, spürte aber eine wachsende Frustration. Er hatte eine Pressemitteilung herumgeschickt, dass sämtliche Presseanfragen über Malvin Flotve laufen sollten. Flotve war normalerweise in Bergen stationiert, unterstützte ihren Bezirk aber bei größeren Fällen. Der routinierte Polizist und Einsatzleiter stammte aus Øystese. Er und Bengt kannten sich schon ihr ganzes Leben, Flotve war mit den hiesigen Verhältnissen vertraut und konnte sich rasch in neue Situationen einfühlen. Er verband seine Einsätze gerne mit einem Besuch bei seiner Mutter.

Bengt ignorierte den Journalisten und bahnte sich einen Weg. Er war neugierig, zu hören, was die Techniker zu berichten hatten. Susanne und Lars erwarteten ihn schon in der Einfahrt zum Haus.

Vor der Eingangstür war ein Sortiertisch mit Drahtnetz aufgebaut worden, um die Erde von den Knochen zu trennen. Er war bereits gesäubert worden, vermutlich waren die Techniker dabei, ihre Sachen zusammenzupacken.

Susanne hielt Lars und Bengt den Eingang zum Schutzzelt auf, das vor dem Haus stand. Auf einem mit grauem Packpapier abgedeckten Tisch lagen ein paar Knochen. Lerke strich sich mit dem Handrücken Schweißtropfen von der Stirn. Sie wirkte gestresst. Bengt hatte sie in den letzten Tagen kaum zu Gesicht bekommen. Lerke pendelte unter der Woche nach Bergen, aber da Øystese und Norheimsund zum Polizeibezirk Vest gehörten und sie bei ihm wohnte, bekam sie häufig die Aufträge in der Gegend zugeteilt. Sie hatte dunkle Ränder unter den Augen, und er konnte sich gut vorstellen, wie sie sich in ihrem Schutzanzug fühlte, nachdem sie stundenlang gebückt gearbeitet hatte. Im Zelt waren es mindestens vierzig Grad.

»Zeit, mal aus dem Leichenhaus rauszukommen und die Nasengänge zu reinigen.«

Palle Rolfsen, der Rechtsmediziner, rieb sich das Kinn.

»Ist das alles?« Bengt wartete die Antwort nicht ab und trat an den Tisch. »Wie alt sind die Knochen?«

»Die Untersuchung können wir hier nicht durchführen.«

Palle nahm einen mittelgroßen Knochen in die Hand, der wie der Finger aussah, den Bengt als Erstes gefunden hatte. Er nahm ihn in Augenschein, ehe er ihn wieder hinlegte.

»Wir haben fast den ganzen Arm und die Hand gefunden, aber sonst nichts. Wisst ihr, was die Radiokarbonmethode ist?«

»Ja«, sagte Susanne. »Aber nicht, wie sie funktioniert.«

»Nein, schon klar.«

Palle Rolfsen kratzte sich am Kinn. Er war eine bemerkenswerte Erscheinung. Halb Mensch, halb Tristanpinguin, wie er scherzhaft auf der Polizeiwache beschrieben wurde.

»Ich gebe euch die Kurzversion.« Er hielt einen Knochen hoch. »Zu Lebzeiten beinhalten unsere Knochen eine kleine, aber konstante Menge des radioaktiven Kohlenstoffisotops C14. Wenn wir sterben, wird kein C14 mehr aufgenommen. Kohlenstoff kann nur durch die Nahrung dem Körper zugeführt werden. Und mit jedem Tag, der vergeht, vermindert sich der Anteil an C14 in unserem toten Körper. Damit können wir ziemlich exakt berechnen, wie lange der Besitzer dieser Knochenreste keine feste Nahrung mehr zu sich genommen hat.« Er sah die anderen an, um sicherzugehen, dass sie ihm folgen konnten. »Bleibt die große Frage, wo der Rest dieses bedauernswerten Menschen abgeblieben ist. Wir haben Stichproben in den Nachbargärten gemacht, wo nichts anderes als frische, saftige Erde zu finden ist. Hier gibt es fast ausschließlich Lehm. An einigen Stellen haben wir mit einem Minibagger tiefer gegraben. Aber der Lehm reicht nicht tief. Darunter ist wieder eine Humusschicht.« Er strich sich mit der Hand über die Stirn, wonach die Haare auf der einen Seite vom Kopf abstanden. »Eine Höllenarbeit«, fügte er in seinem dänisch-norwegischen Akzent hinzu.

»Haben wir genug, um herauszukriegen, wer das ist?«

»Das muss das Labor abchecken. DNA aus Knochen ist mit den heutigen Methoden nicht mehr so schwierig zu extrahieren. Deine Frau und ich haben eine Theorie.« Er stieß Lerke freundschaftlich an, der die Bezeichnung nicht zu schmecken schien. »Wir werden hier noch eine Weile weitersuchen, bis wir mehr Antworten haben. Und es ist leider nicht auszuschließen, dass die übrigen Teile des Körpers woanders begraben sind.«

Gymnasium Øystese

1983

Die Schulglocke hatte gerade geschellt, und die Klasse wartete auf den Mathelehrer. Es war still im Klassenzimmer, wie immer vor der ersten Stunde, wenn noch nicht alle richtig wach waren. Morten atmete den gewohnten Geruch von Erdnussbutter, Kreide und Schweiß ein.

Er schaute zu Frode, der in der Fensterreihe saß. Frode, mit dem niemand zusammen sein durfte, als sie noch jünger waren, weil er zwischendurch total ausrastete, mit Sachen um sich warf und den Lehrern Schimpfwörter an den Kopf knallte, von denen die anderen noch nicht einmal wussten, was sie bedeuteten. Der uneingeladen auf Geburtstagspartys und später bei Feten auftauchte, der sich betrank und mit Leuten prügelte, die er nicht mochte. Frode war gleichbedeutend mit Trouble. Die meisten gingen ihm aus dem Weg. Morten hingegen wäre gerne mehr mit ihm zusammen.

Jetzt saß er am Fenster und warf Morten unmerkliche Blicke zu.

»Du bist schwer, weißt du das?« Morten sprach lauter als nötig und schob Sonja Hellestveit von seinem Schoß. »Setz dich auf deinen Platz, Brukvik kann jeden Moment kommen.«

Statt einer Antwort legte sie die Hände an sein Gesicht und küsste ihn.

Sonja war das hübscheste Mädchen in der Klasse. Wer nichts von ihr wollte, konnte nur ein Arschficker sein, hatte Kjetil Stuve eines Tages erklärt.

Morten hatte totalen Schlag bei den Mädchen. Er wusste, dass er gut aussah, hatte seine Gesichtszüge zigmal im Spiegel studiert. Dunkles, fast schwarzes Haar, klare Linien, volle, sinnliche Lippen, lange Wimpern, schlanke Arme und Beine, schmale Hüfte, flacher Bauch … trotzdem wäre er zwischendurch lieber ein grauer Stein gewesen, den niemand bemerkte. Sein Vater lag ihm in den Ohren, mit Karatetraining anzufangen, wogegen seine Mutter protestierte. Er solle machen, was er wolle. Sein Vater hätte gerne gehabt, dass Morten mehr wie der Rotschopf Jørn Råen war, der Hoferbe aus Børve, der direkt hinter ihm saß und schon einen Vollbart hatte. Morten schielte zu Frode und ließ seine Gedanken wandern, bis sie im Bootshaus auf Lundanes waren.

Den ganzen Sommer über waren sie mit dem Boot rausgefahren, das Frode von einem Bekannten seines Pflegevaters geliehen hatte. Nur Morten und Frode, mit der vorgeschobenen Aussage, angeln zu wollen. Sie hatten das Boot in einer einsamen Bucht auf der anderen Seite des Fjords vertäut, ein Stück hinter dem kleinen Dorf Herand. Dort hatten sie nackt in der Sonne gelegen, weit weg von den Mädchen in ihren kurzen Jeansröcken und Bikinitops.

Morten war nicht zum ersten Mal verliebt. In der ersten Klasse im Gymnasium, gleich nach den Sommerferien, war er immer extra früh zur Schule aufgebrochen, um vor den Mitschülern in der Klasse zu sein, vor Ernst Skeie, seinem Kinderfreund, der auf Vavollen aufgewachsen war. Dann setzte Morten sich an Ernsts Pult und strich mit der Hand über die Tischfläche, um seine Nähe zu spüren, während in ihm Angst und Verliebtheit miteinander rangen. Und das Gefühl ließ nicht nach. Das, was er für Ernst empfand, wurde mit der Zeit immer stärker, schmerzhafter, heftiger, bis zu dem Tag, als er begriff, dass Frode so einer wie er war, einer, den die anderen als krank bezeichneten.

Vavollen

Mittwoch, 2. Mai 2018

Wir fassen uns kurz.«

Es kribbelte in Bengts Nacken, als Lerke das Wort ergriff und Palle Rolfsen signalisierte, dass er übernehmen sollte. Sie zog sich in den hinteren Teil des Zelts zurück, stellte sich neben Bengt und streifte seine Hand mit ihrem kleinen Finger.

Palle zeigte auf den Tisch.

»Wie ihr seht, sind die Fundstücke teilweise so klein, dass wir sie nur mit der Pinzette zu fassen bekamen. Und das ist alles, was wir gefunden haben. Ein Ellbogenknochen und ein Unterarmknochen, die in einem Jackenärmel steckten. Eine Hand ohne Daumen und Zeigefinger. Gut erhalten, dank der Tonerde am Hang. Und dann haben wir noch das hier gefunden.«

Er reichte Bengt einen großen, schweren und durchsichtigen Beweisbeutel. Es roch nach feuchter Erde.

»Darin lagen die Unterarmknochen«, fuhr Palle mit seinen Ausführungen fort.

Bengt zog das Plastik zwischen den Fingern glatt, um den Inhalt besser begutachten zu können. Ein Gefühl der Ohnmacht überkam ihn.

In dem Beutel lag eine Jeansjacke mit Brusttasche und aufgenähtem rotem Levi’s-Label. Bengt warf Lerke einen fragenden Blick zu.

»Es gibt noch mehr«, sagte Lerke ernst und nahm einen kleineren Beweisbeutel von Palle entgegen, den sie an Bengt weiterreichte. »Das steckte in der Innentasche.«

In Bengt stieg das vertraute Gefühl auf, welches ihn bei Mordfällen immer beschlich, wie eine Vorwarnung, dass von nun an alles passieren konnte. Sein Puls schnellte in die Höhe, als er erkannte, was er in der Hand hielt. Das Logo eines Schülerausweises vom Gymnasium Øystese, der Schule, auf die auch er gegangen war.

»Ausgestellt 1982«, sagte er und schluckte, als ihm die Bedeutung aufging. »Morten Vik, geboren 1965 …«, las er laut.

Er starrte an die Zeltwand, während er im Kopf durchging, ob er jemanden im Ort kannte, der Vik hieß. Sein Hals schnürte sich zusammen, als sein Blick auf die Knochen fiel. Das war einmal ein junger Mensch gewesen, ein Schüler mit größeren oder kleineren Träumen und Hoffnungen.

»Der Schülerausweis verrät uns das Geburtsdatum, und dass er auf alle Fälle siebzehn Jahre alt geworden ist.« Palle sprach mit gewohnt neutraler Stimme, als würde ihn das alles nicht berühren. Er schob eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Bei neueren Funden ist die Radiokarbonmethode wegen der Atombombenversuche in den vergangenen siebzig Jahren nicht ganz zuverlässig, den Todeszeitpunkt können wir aber trotzdem einigermaßen genau angeben.«

Er warf Lerke einen Blick zu als Zeichen, dass sie gerne etwas hinzufügen dürfte. Sie signalisierte ihm, dass er weitermachen konnte.

»Wir scheinen also die Identität des Opfers zu kennen, aber das muss natürlich überprüft werden. Die Überreste müssen untersucht werden, ehe wir Genaueres sagen können. Lerke und ich sind beide zu dem Schluss gekommen, dass der Tatort woanders zu suchen ist. Es ist eher unwahrscheinlich, dass der restliche Körper in der lehmigen Erde verwest ist.«

Palle sammelte die Beutel wieder ein und legte sie auf den Tisch. Von den anderen beiden Ermittlern hatte sich noch keiner geäußert, seit sie das Zelt betreten hatten.

»Die DNA wird dank des Lehmbodens nicht das Problem sein, nicht weniger wichtig ist es aber, herauszufinden, wie die Knochen hier gelandet sind.«

Palle machte einen Schritt nach hinten als Zeichen, dass er fertig war.

»Oder was passiert ist und wer das getan hat.«

Bengt dachte an seinen Sohn Thomas und fragte sich, wie alt dieser Morten tatsächlich geworden war, ehe er hier landete.

»Vik ist hier kein sonderlich seltener Name. Würdest du das überprüfen, Lars?«

Der Kollege nickte und verschwand durch die Zeltöffnung.

»Dann überlassen wir euch mal die Denkarbeit und nehmen das Material für eine gründlichere Analyse mit nach Bergen.« Lerke zog den Reißverschluss des Overalls runter und stieg aus dem Schutzanzug. »Die Knochenreste schicken wir zur weiteren Analyse ans Labor, und auch, wenn es noch ein bisschen früh dafür ist, solltet ihr euch vielleicht schon mal um Referenzproben kümmern von … seiner Mutter.« Sie nickte in Richtung Tisch. »Wenn ihr sie findet.«

»Es wird vermutlich dauern, DNA aus so wenig Material zu extrahieren, oder?« Bengt sah sich das Schwarz-Weiß-Foto von Morten Vik noch einmal an. Ein junger Kerl mit dunklen Haaren und einem offenen, freundlichen Lächeln.

Lars kam mit seinem iPad in der Hand zurück.

»Laut Einwohnermeldeamt ist Morten Vik der Sohn von Torill und Henrik Vik. Es gibt keinen Eintrag, dass er tot ist, was zu erwarten wäre, wenn wir es mit einem ungeklärten Vermisstenfall zu tun hätten. Ich habe von hier nicht auf alle Register Zugriff, aber er scheint nie vermisst gemeldet worden zu sein.«

»Henrik Vik, der Politiker?« Bengt überflog, was Lars über ihn gefunden hatte. »Den kennen die meisten von uns, aber dass er einen Sohn hat, wusste ich nicht. Auch nicht, dass er verheiratet ist.« Er sah den alten Griesgram vor sich. Er war Politiker, solange Bengt zurückdenken konnte, und veröffentlichte im Hordaland Folkeblad unermüdlich hitzige Leserbriefe. Bengt streckte den Rücken und räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu lenken.

»Es wundert mich, dass ich nichts davon weiß, dass hier in der Gegend jemand verschwunden ist. Andererseits muss es nichts heißen, dass Morten Vik in unseren Registern nicht als vermisst auftaucht.« Er dachte kurz nach. »Es sind längst noch nicht alle Daten digitalisiert worden. Das Kriminalamt hat da sicher einen besseren Überblick. Und vielleicht gibt es was im Staatsarchiv?«

Lars hielt die Zeltöffnung auf, damit die anderen nach draußen gehen konnten.

»Da sind ja ganz schön viele Leute auf der Straße«, sagte er, als sie draußen standen. »Ich weiß nicht, Bengt, aber wenn das tatsächlich der Sohn einer öffentlichen Person ist, ist das bald auf allen Titelseiten.«

Bengt nickte ernst und schaute zu den Schaulustigen. Er befürchtete, dass das in jedem Fall eine Titelstory werden würde.

»Die vorläufige Version für die Presse lautet, dass wir Knochenreste gefunden haben, vermutlich Tierknochen. Und der Einzige, der sich öffentlich dazu äußert, ist Malvin Flotve. Er müsste bald hier sein.« Bengt machte eine Pause, um sich zu vergewissern, dass seine Order bei allen angekommen war. »Natürlich wird uns das niemand glauben. Nicht, nachdem wir das halbe Grundstück umgegraben haben. Und wir können Marte nicht daran hindern, zu erzählen, was sie will. Aber heute ist es das Käseblatt und morgen die landesweiten Medien, das kennen wir ja. Und außerdem … die Knochen liegen vermutlich schon eine ganze Weile hier. Und wir haben sie jetzt ausgegraben.« Bengt dämpfte die Stimme. »Mindestens ein Mensch da draußen kann uns sagen, was passiert ist. Wenn der Betreffende noch nicht weiß, was wir gefunden haben, wird er es spätestens erfahren, wenn die Gerüchte im Dorf kursieren. Wir müssen darauf gefasst sein, dass er in diesem Moment mit den anderen an der Straße steht.«

Susannes Blick richtete sich auf die Menschenansammlung.

»Lerke, könntest du diskret ein paar Fotos von den Schaulustigen machen? Und du, Lars, fahr ins Büro und überprüf die anderen Register. Und informier das Kriminalamt und Flotve, sobald er da ist. Und check das Passregister.« Er dachte nach. »Und frag bei Interpol nach, ob die möglicherweise irgendwelche Informationen zu Morten Vik haben.« Bengt sah Susanne und Lerke an, dann wieder Lars. »Ich richte ein Projekt auf Indicia ein, wo ihr alles, was ihr findet, sammelt. Und damit meine ich absolut alles. Um uns gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Das gilt auch für euch, Lerke. Alles wird dort abgelegt.«

Sie sah ihn missbilligend an, ehe sie mit einem kurzen Nicken zustimmte. Ihm war klar, wieso. Die Kriminaltechniker nutzten die interne Datenbank nur ungern, weil sie das System schwerfällig und wenig intuitiv fanden. Aber diese Diskussion mussten sie auf später verschieben.

»Der Schülerausweis ist ein Hinweis, aber kein Beweis, zu wem die Knochen gehören könnten. Und er sagt noch nichts über die Todesursache oder den Todeszeitpunkt aus.« Bengt sah zu Palle. »Liege ich richtig, wenn ich behaupte, dass unsere Fundstücke zwischen fünf und dreißig Jahren alt sein könnten?«

»Ja, genauer lässt es sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht einkreisen. Die lehmige Erde ist tricky.«

Bengt streckte die Arme über den Kopf und beobachtete Lerke, die am Hang hockte und dort etwas am Boden Liegendes zu fotografieren schien, obwohl sie eigentlich die Schaulustigen ablichtete. Als sie zu ihm kam, strich er ihr über den Rücken.

»Ich kenne die meisten, die da stehen. Hauptsächlich Nachbarn aus der Gegend.« Sie legte die Kamera auf die Bank neben der Haustür. »Immer noch Appetit auf Grillhaxe?« Sie sah ihn foppend an.

Bengts Gedanken kreisten bereits um die Arbeitsaufgaben, die erledigt werden mussten.

»Im Moment nicht, nein. Werdet ihr hier erst mal fertig … und sieh zu, dass du eine Mütze Schlaf bekommst. Palle nimmt das Zelt mit. Wir müssen jemanden organisieren, der in den nächsten Tagen mal nach Thomas guckt.«

»Wir?« Lerke ging zum Technikerwagen und öffnete die Tür.

»Okay, ich.« Bengt folgte ihr und stellte sich dicht hinter sie, damit die anderen nicht mitbekamen, was er sagte. »Ich dachte, wir wären Familie und teilen die Verantwortung?«

Lerke antwortete mit einem Schweigen, das ein unschönes Ziehen in seinem Bauch auslöste. Als er auf die Uhr schaute, fluchte er.

»Oh, Scheiße, Lerke! Das Elterngespräch in der Schule um drei Uhr. Jetzt ist es Viertel nach.« Er scrollte die SMS auf seinem Handy durch. »Wie hieß die App noch gleich?«

»Meinst du VISMA?« Lerke nahm ihm das Handy aus der Hand. »Du hast eine Nachricht von Thomas. Hast du die nicht gelesen?«, sagte sie. »Hab versucht, dich zu erreichen, aber kein Stress«, las sie laut vor und zog die Finger übers Display.

»Wo ist der Zettel an der Kühlschranktür geblieben?«, seufzte Bengt irritiert, während er den Gesprächstermin mit der Klassenlehrerin nachschaute und einsah, dass er wieder mal zu spät dran war.

»Du hast mehrere ungelesene Nachrichten aus der Schule.«

»Nicht jetzt.« Bengt schnappte sich das Handy und lief zum Auto, wobei er einen lauten Ruf aus der Menschenmenge ignorierte.

Während er mit viel zu hoher Geschwindigkeit losfuhr, dachte er mit schlechtem Gewissen daran, dass er jetzt schon zum dritten Mal in zwei Wochen das Elterngespräch verschwitzt hatte. Und diesen letzten Termin hatte er selbst vorgeschlagen, um ihn dann prompt auch wieder zu vergessen.

Er versuchte, Thomas zu erreichen, und schlug mit der Hand aufs Lenkrad, als der nicht antwortete. In der Einladung hatte ausdrücklich gestanden, dass er seinen Sohn mitbringen sollte. Er schaltete einen Gang runter, fuhr aber trotzdem noch zu schnell durchs Zentrum. Vor der Schule parkte er quer auf dem Bürgersteig und lief los. Er legte sein charmantestes Lächeln auf, als er die Lehrerin auf ihr Auto zulaufen sah, ging ihr entgegen und breitete entschuldigend die Arme aus.

»Tut mir leid«, sagte er atemlos, bevor er ganz bei ihr war. »Ich komme gerade von Ermittlungen, die sich nicht aufschieben ließen.«

Die Lehrerin blieb stehen und musterte ihn in seiner Uniform. Bengt schickte Stoßgebete an die höheren Mächte, dass seine Kleidung ihm Pluspunkte gab.

»Und wo ist Thomas?«, fragte sie.

»Ich habe versucht, ihn zu erreichen, aber er geht nicht ans Handy. Heute Morgen habe ich vergessen, es ihm zu sagen. Haben Sie ihn heute in der Schule darauf angesprochen?«

»Er war nicht in der Schule«, sagte sie und schloss die Tür ihres kleinen, knallroten Nissan Micra auf. »Außerdem ist er alt genug, sich seine Termine selbst zu merken.«

In diesem Augenblick klingelte Bengts Handy.

»Das wird er sein«, sagte er erleichtert und schaute aufs Display. Es war Lerke. »Sorry, da muss ich ran.« Er entfernte sich ein paar Schritte von der Lehrerin. »Ja«, sagte er schärfer als geplant.

»Oh! Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«

»Thomas war nicht in der Schule. Und ich erreiche ihn nicht. Jetzt stehe ich wie ein Idiot da.« Bengt holte Luft.

»Thomas ist hier. Er steht mit ein paar Freunden an der Straße. Er hat wohl hinter dir hergerufen, aber du bist einfach vorbeigelaufen.«

Bengt drehte sich wieder zu der Lehrerin um und entschuldigte sich noch einmal.

»Wenigstens habe ich Thomas gefunden. Wäre es … können wir das Gespräch noch einmal vertagen? Heute ist wahnsinnig viel los, und ich müsste eigentlich …« Bengt ließ die Arme fallen. »Können wir das Gespräch zu einem anderen Termin nachholen?«, wiederholte er eindringlich. »Das sollte doch Thomas’ Gespräch sein?«

Schon beim Sprechen war ihm klar, dass er es verbockt hatte.

Die Lehrerin setzte sich in ihr Auto. Sah aus, als überlege sie es sich anders, startete dann aber den Wagen und kurbelte nur das Seitenfenster hinunter.

»Ich will es ja nicht komplizierter machen, als es ist. Ich schätze eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern.« Sie schnallte sich übertrieben langsam an. »Aber, Bengt …« Als sie seinen Namen aussprach, fühlte er sich schlagartig wie sein zehnjähriges Ich. »Wir haben jetzt schon drei Termine vereinbart, und ich habe neben meinem Beruf auch noch andere wichtige Dinge: Familie, Enkel, Gartenarbeit, und was sonst noch erledigt werden will.« Erst jetzt fiel ihm auf, dass seine alte Lehrerin erschöpft aussah. »Ich kenne dich schon dein ganzes Leben. Du bist ein denkender und vernünftiger Mensch. Und darum muss ich dich fragen: Was kann wichtiger sein als dein eigenes Kind?« Bengt sah die Knochen auf dem Tisch in Vavollen vor sich. Er wollte es ihr erklären. Aber bevor er etwas sagen konnte, hatte sie das Fenster hochgekurbelt und rollte davon.

Polizeiwache Kvam

Donnerstag, 3. Mai 2018

Ich finde echt gar nichts!«

Lars warf das Handy beiseite und stand auf. Bengt, Susanne und er hatten sich in dem neuen Koordinationsraum eingerichtet.

Bengt stand von seinem Platz vorne am Smartboard auf und ging zu Lars. »Was ist denn los?«

Lars’ Finger huschten über die Tastatur. Er drehte den Bildschirm zu Bengt, sodass dieser selbst lesen konnte.

»Die Zentrale. Sie haben niemanden, den sie ins Staatsarchiv schicken können. Ich muss selber fahren.«

Bengt sah auf die Uhr.

»Ich rufe da an. Natürlich fährst du jetzt nicht dahin. Das wäre ja noch schöner. So viel zum Thema Polizeireform. Die Idee dahinter ist doch wohl, dass wir Hilfe bekommen, wenn wir sie brauchen. Was hast du rausgefunden?«

Lars breitete die Arme aus.

»Frag lieber, was ich nicht herausgefunden habe. In der Vermisstendatei des Kriminalamts gibt es keinen Hinweis. Nichts!« Lars hob die Hand und zählte an den Fingern ab. »Vermisstenstelle. Auch nichts.«

»Und Interpol?« Bengt trat einen Schritt vor.

»Dasselbe. Kein Pass, keine Reisedokumente, nicht einmal ein Fahrzeug ist auf Morten Vik registriert. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.«

»Damit triffst du den Nagel wohl ziemlich genau auf den Kopf …« Bengt musste grinsen, als Lars erst Sekunden später verstand, was er gesagt hatte.

Bengt setzte sich wieder, winkte die beiden Kollegen zu sich und lächelte aufmunternd. Er wusste, wie frustrierend es sein konnte, Stunde um Stunde nichts zu finden. Susanne und Lars schoben ihre Stühle zu ihm.

»Ich verstehe eure Frustration, aber im Grunde ist das ziemlich gut …« Die beiden sahen ihn skeptisch an. Bengt legte Lars die Hand auf die Schulter. Sein Kollege nickte. »Wir müssen einfach nach anderen Anhaltspunkten suchen … Die frühen Achtziger waren digital gesehen noch die reinste Steinzeit. Was gab es damals, was wir nutzen können? Tiki 100? Commodore 64? Scheckhefte?«

»Datentransfer können wir vergessen. Der Tiki 100 kam zweiundachtzig auf den Markt«, sagte Lars. Bengt zog beeindruckt eine Augenbraue hoch.

»Gut. Dann vergessen wir das. Aber auch wenn er einen Schülerausweis von 1982 in der Tasche hatte, könnte er trotzdem erst später verschwunden sein. Wie sieht es mit Banküberweisungen aus?«

»Ich habe den Bankdirektor angerufen«, sagte Susanne. »Ich hatte die Hoffnung, dass es irgendwo ein Papierarchiv geben könnte, aber wir kommen natürlich zu spät. Nach dreißig Jahren wird alles geschreddert, und in den modernen digitalen Datenbanken ist nichts über Morten Vik zu finden.«

»Gut! Daraus können wir dann ja wohl schließen, dass er zu Tode kam, bevor das digitale Archiv eingerichtet wurde, nicht wahr?«

Bengt stand auf und trat an die Pinnwand, an der Susanne zuvor einige Bilder aufgehängt hatte. Fotos von Morten, den Knochenresten, dem Schülerausweis und der Jeansjacke. Sie hatte auch ein altes Foto von Henrik Vik ausgegraben, vermutlich aus der Zeitung. Den mürrischen Gesichtsausdruck hatte Bengt schon oft auf Bildern von ihm gesehen.

»Lerke hätte gerne Referenzproben von Mortens Mutter.« Bengt seufzte und sah zur Tafel. »Die sollten wir aber erst anfragen, wenn wir bombensicher sind, dass ihr Sohn nicht einfach irgendwo abgetaucht ist.« Er drehte sich zu den anderen. »Wir haben nur das, was wir hier sehen, mehr nicht. Wir können uns deshalb entmutigen lassen oder anfangen, jeden nur erdenklichen Stein umzudrehen.«

Er trat näher an die Pinnwand heran und sah sich die Fotos genauer an, ehe er sich wieder zu den anderen umdrehte.

»Keine Banktransaktionen, keine Treffer bei der Personennummer, keine Vermisstenmeldung, keine Zeugen, kein registriertes Fahrzeug … absolut nichts. Was sagt uns das?«

»Dass es mit größter Wahrscheinlichkeit Morten ist, den wir gefunden haben.«

Susanne steckte sich den Bleistift in den Mund und biss zu.

»Genau. Und wenn er wirklich seit damals in Vavollen liegt, ohne dass ihn jemand vermisst hat, sagt uns das noch etwas anderes.«

Lars schob seinen Stuhl näher an die Tafel heran.

»Nämlich?«

»Dass wir die Eltern näher unter die Lupe nehmen müssen«, sagte Susanne. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie seit vierzig Jahren glauben, ihr Sohn würde irgendwo vergnügt leben, ohne auch nur das kleinste Lebenszeichen von ihm bekommen zu haben. Entweder wissen sie etwas, oder die ganze Sache stinkt gewaltig zum Himmel.«

Bengt klopfte Susanne auf die Schulter und ging zurück zu der Fototafel. Morten Viks klare Augen sahen ihn an. Er hatte keine andere Wahl. Er musste die Eltern um Referenzproben bitten, egal, wie unangenehm das sein mochte.

Øystese, Gartveit

Freitag, 4. Mai 2018

Von der Terrasse des Ehepaars Vik in Gartveit sah Bengt das Dorf und den Hardangerfjord in Richtung Jondal. Der Folgefonnagletscher zog sich wie ein grauweißer Pinselstrich über die Berge. In der anderen Richtung erkannte er das Zelt der Kriminaltechnik in Vavollen als kleinen, weißen Punkt.

Er ließ seinen Blick über den gepflegten Naturgarten schweifen. An den Stämmen der Bäume wuchs Rentierflechte. Es roch nach den hellroten Blüten der Torsteinäpfel, eine Kindheitserinnerung. Die Luft fühlte sich hier oben irgendwie dünner an, wobei das nichts mit den Höhenmetern zu tun haben konnte. Schon seit Tagen hatte er das Gefühl, nicht richtig durchatmen zu können.

Sie mussten schleunigst weiterkommen. Auch nach so langer Zeit war es noch möglich, Beweise und Spuren zu vernichten. Und die ersten Gerüchte kursierten bereits. Bengt ahnte, worauf das alles hinauslief. Er lüftete nicht zum ersten Mal alte, vermoderte Brunnendeckel.

Torill Vik stellte Kaffeetassen und Teller auf den Terrassentisch. Bengt hatte sie sofort wiedererkannt. Sie gehörte zu den Statisten des Dorfes, die er häufig sah, beim Einkaufen im Laden oder mit dem Rollwägelchen hinter sich auf dem Weg nach Hause. Die kleine, magere Frau mit den grauen Haaren stand mehr als offensichtlich im Schatten des konservativen Politikers Henrik Vik, dachte Bengt, als er in dem Netzwerk der Falten in ihrem Gesicht nach so etwas wie Sehnsucht oder Trauer suchte. Ihre Augen verschwanden fast in den schmalen Spalten unter den Hängelidern.

Henrik hatte ihnen den Rücken zugedreht und unterhielt sich mit einem groß gewachsenen Mann mit kräftigem, rotblondem Bart. Jan Grasdal. Der Busfahrer war in derselben Partei wie Vik. Bengt war unangemeldet gekommen, und der mittlerweile gedeckte Tisch deutete darauf hin, dass Grasdal eingeladen worden war.

»Ich muss schon sagen, aus Ihnen ist ja wirklich ein stattlicher Mann geworden.« Torill setzte sich und rieb die Hände an ihren Schenkeln, als wäre ihr kalt. »Ich habe Sie nicht mehr gesehen, seit Sie vielleicht zwei Jahre alt waren, und da haben Sie ziemlich unverständliches Gebrabbel von sich gegeben. Aber ich habe Ihren Werdegang natürlich in der Zeitung verfolgt.«

Bengt wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er öffnete seine Aktentasche, zog sein Notizbuch heraus, nahm den Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche und dachte zum hundertsten Mal darüber nach, wie er beginnen sollte.

»Es gibt da etwas, das ich gerne mit Ihnen besprechen würde«, sagte er und sah zu Henrik und Grasdal, die sich an den Tisch setzten. »Es ist ziemlich privat, ich weiß nicht, ob …«

»Ich kann gehen.«

Grasdal erhob sich und sah ebenso ernst wie neugierig in die Runde.

»Nicht doch.« Henrik legte die Hände auf Grasdals Unterarm und drückte ihn förmlich zurück auf den Stuhl. »Du gehörst zur Familie, wir kennen uns seit unserer Kindheit. So ernst wird es schon nicht sein.« Er lachte viel zu laut. »Und wenn es darum geht, dass ich meine Hand in die Parteikasse gesteckt habe, ist Jan ohnehin mitschuldig.« Henrik schlug Grasdal kameradschaftlich auf den Rücken.

Bengt räusperte sich.

»Ich glaube trotzdem, dass es besser wäre. Es tut mir leid, aber ich würde gerne nur mit Ihnen beiden sprechen.«

Henrik sah verärgert aus, gab Grasdal aber ein Zeichen, der Aufforderung nachzukommen.

»Sie haben vielleicht mitbekommen, dass wir ein Grundstück in Vavollen untersuchen?«, begann Bengt, nachdem Grasdal gegangen war.

»Richtig, ja«, sagte Henrik und nahm sich einen frisch gebackenen Eierpfannkuchen. Bengt wartete, bis er ihn mit Butter und Marmelade bestrichen hatte. Henriks Handrücken trugen deutliche Altersflecken. »Ich habe in der Zeitung davon gelesen. Knochenreste … nicht wahr?«

Bengt lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Es schien Henrik vollkommen kaltzulassen, dass er da war.

»Wir können noch nichts Genaues sagen, aber …«

»Nehmen Sie sich doch etwas«, unterbrach Torill ihn und schob den Teller zu ihm rüber, als versuche sie instinktiv, seine Worte aufzuhalten.

Bengt ließ die Eierkuchen liegen und zog einen Beweisbeutel aus seiner Aktentasche, zögerte und legte ihn dann auf den Tisch.

»Das haben wir gefunden. Vergraben im Garten.«

Torill nahm die Tüte und warf kurz einen Blick darauf.

»Aber … das ist doch Mortens Schülerausweis«, platzte sie heraus. Im gleichen Moment ging ein Lächeln über ihr Gesicht. »Wo haben Sie den gefunden?« Sie legte ihre Handflächen um den Ausweis, als wäre er ein geliebtes Schmuckstück, ehe sie den Beutel wieder auf den Tisch legte und zu Henrik hinüberschob.

»Was ist damit?« Henrik machte keine Anstalten, sich den Ausweis anzuschauen.

»Wir haben versucht, mit ihm in Kontakt zu kommen, hatten bis jetzt aber keinen Erfolg. Und da er ja Ihr Sohn ist, würden wir gerne wissen, wann Sie zuletzt mit ihm gesprochen haben.«

Henrik hörte zu kauen auf.

»Er war unser Sohn. Das ist lange her.« Bengt erschrak über den harschen Ton in Henriks Stimme und fragte sich, ob er daraus schließen konnte, dass sie bereits von seinem Tod wussten. Bevor er fragen konnte, kam Henrik ihm zuvor.

»Der Ausweis ist alt«, sagte er brüsk. »Vielleicht hat er ihn verloren. Was hat das mit den Funden in Vavollen zu tun?«

»Es ist noch zu früh, darüber etwas zu sagen«, erwiderte Bengt so ruhig er konnte und hob den Blick, als von Torill ein unterdrücktes Schluchzen kam.

Sie versuchte, sich Kaffee einzuschenken, aber ihre Hände zitterten so stark, dass sie es aufgeben musste. Stattdessen drehte sie an ihrem Ehering herum und starrte in Richtung Vavollen.

»Wann haben Sie zuletzt von Morten gehört?«, fragte Bengt erneut, dieses Mal mit mehr Nachdruck.

»Wir haben keine Silbe mehr von ihm gehört, seit er damals weg ist«, antwortete Henrik. »Das ist jetzt über dreißig Jahre her.« Er beugte sich über den Tisch und schenkte seiner Frau Kaffee ein. Bengt wartete. »Morten hat das Gymnasium abgebrochen und ist fortgegangen. Seither haben wir nichts mehr von ihm gehört.«

»Wann war das?«

»Im Oktober 1983«, sagte Torill und sah zu ihrem Ehemann, als wäre er ein Rettungsring, den niemand ihr zuwerfen wollte.

»Warum hat er nichts von sich hören lassen?« Bengt streckte seinen Rücken.

Henrik breitete sichtlich irritiert die Arme aus.

»Wir waren uns über ein paar grundlegende Dinge ziemlich uneinig. Das Dorf wurde zu klein für uns beide, der Junge war volljährig. Er hat sich in seinen Volvo gesetzt und ist weggefahren. Mehr gibt es da nicht zu sagen.« Henrik schnaubte, biss in einen Eierpfannkuchen und spülte mit Kaffee nach. Auf dem Nachbargrundstück startete jemand einen Rasenmäher. Er hob den Blick. »Wenn das alles war? Ich muss noch eine Kreistagssitzung vorbereiten. Den da«, sagte er und zeigte auf den Schülerausweis wie auf einen schimmeligen Rest Brot, »können Sie gerne wegwerfen.«

Torills Hände legten sich sofort auf den Beweisbeutel.

»Darf ich?«

Bengt schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, den brauche ich noch.«

»Oh, ja, natürlich.« Zu seiner großen Überraschung stand sie auf und räumte den Tisch ab, als ob nichts gewesen wäre.

»Würden Sie bitte wieder Platz nehmen«, sagte Bengt und sah sie an. Es kribbelte in seinem Nacken. Torill blieb stehen und starrte auf die Teller, die sie in der Hand hielt.