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Der Roman 'Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß: Ein Damenroman' von Paul Scheerbart ist ein faszinierendes Werk, das sich in einen einzigartigen literarischen Kontext einfügt. Scheerbart präsentiert eine Mischung aus Humor, Satire und tiefgründigen Themen, die die Leser gleichermaßen unterhalten und zum Nachdenken anregen. Das Buch enthält eine innovative Erzählstruktur und eine lebendige Sprache, die es von anderen Werken seiner Zeit abheben. In diesem Damenroman werden gesellschaftliche Normen und Geschlechterrollen auf humorvolle und subtile Weise hinterfragt. Scheerbarts Stil ist gleichermaßen originell und kritisch, was seinem Werk einen besonderen Charme verleiht.
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Seitenzahl: 157
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Bei Chikago am Michigansee hatten amerikanische Bildhauer und Kunstgewerbler eine Ausstellung arrangiert. Aber es gab nur Silberarbeiten zu sehen. Es war um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Und der Architekt Edgar Krug hatte die Ausstellungshallen erbaut – aus Glas und Eisen. Es war der Eröffnungstag, und lebhaft gestikulierend führte der Architekt seinen Freund, den Rechtsanwalt Walter Löwe, in den riesigen Hallen umher und machte ihn auf die Feinheiten der Architektur und Ornamentik aufmerksam.
Die kolossalen Wände bestanden ganz aus farbigem Glas – mit farbigem Ornament, so daß das Tageslicht sehr gedämpft in den Innenraum hineinströmte. Draußen regnete es. Die Sonne schien also nicht. Trotzdem leuchteten die Farben des Glases sehr heftig. Herr Edgar Krug sagte leise:
»Grade die Silberplastik hebt sich famos von den ganz bunten Glaswänden ab. Einen besseren Rahmen konnte diese Menge von Silberkunst gar nicht bekommen, nicht wahr?«
»Ich fürchte nur«, versetzte Herr Löwe, »daß der Rahmen als zu groß empfunden werden wird. Man hat die Empfindung, daß nicht sehr viele Silberarbeiten da sind; in den Riesenhallen verschwinden sie beinahe. Du sprachst von einer Menge; das Wort wirkt komisch auf mich.«
»Verzeih«, versetzte der Architekt, »es sind fast hunderttausend Nummern.«
»Zu wenig!« rief laut der Rechtsanwalt, »Deine bunt ornamentierten Glaswände ziehen alle Augen am meisten an. Sieh Dich doch nur um: alle Welt bewundert Deine Glaswände. Aber auf die Silberarbeiten achtet kein Mensch. Du hast die Silberplastik übertrumpft. Ich gratuliere Dir.«
»Leise! Leise!« flüsterte der Architekt, »es könnten ja Bildhauer in der Nähe sein.«
Sie befanden sich auf einem großen »Damm«, der hoch in der Mitte des größten Saales emporragte und ziemlich breit war. Auf diesem sogenannten Damm standen die größten Silberarbeiten – plastische Arbeiten. Die Wände lagen sehr weit ab vom Damm. Die Halle wirkte hier sehr groß – und die Silberarbeit wirkte sehr klein – schrecklich klein. Es wurde tatsächlich allgemein geäußert, daß der bunte Glasrahmen ein wenig groß geraten wäre – doch das kam keinem Menschen beklagenswert vor – selbst die Bildhauer waren ganz entzückt von dem bunten Glasrahmen – und sie sagten das auch dem Architekten. Der freute sich sehr über jedes Kompliment.
Als nun um die Mittagszeit die Sonne draußen sichtbar wurde, da gab es in den Ausstellungshallen einen kleinen Tumult, denn durch die Sonne wurde die Farbenpracht der Glasornamente so gesteigert, daß man gar nicht die Worte fand, um dieses Farbenwunder richtig zu preisen; viele Besucher riefen immer wieder: Entzückend! Wundervoll! Herrlich! Unvergleichlich!
Diese und ähnliche Worte wirkten nun auf das Ohr der Bessergebildeten schließlich recht unangenehm, da die Bewunderungsworte immerzu wiederholt wurden; glücklicherweise hörte die Bewunderung bald wieder auf, da sich draußen die Sonne nochmals hinter Wolken verkroch – und nichts von ihr zu sehen blieb.
Am einen Ende des langen »Dammes«, der eigentlich ein vierstöckiges Haus in der Mitte der Glashalle war, hing ein langer grauer einfarbiger Faltenvorhang. Der wurde jetzt auseinandergezogen, und man sah eine Riesenorgel – auch ganz in Grau gehalten mit etwas Gold in den vielen Balkonleisten, die in feinen geschweiften Kurven das ganze Orgelwerk wie mit einem Netz überstrickten, so daß die Orgel als solche gar nicht zur Geltung kam.
Eine sehr zarte Orgelmusik begann.
Und viele Besucher setzten sich oben auf dem Damm in die Nischen und hörten zu, andre fuhren mit dem Fahrstuhl in die unteren Stockwerke, da die Orgel bald stärker brauste und unten nicht zu laut zu hören war.
Nach dem ersten Satz gab es eine Pause, und Herr Walter Löwe stellte dem Architekten eine Dame vor: Miß Amanda Schmidt aus Chikago.
Diese Dame machte auf den Architekten nicht einen angenehmen Eindruck; sie trug ein dunkelviolettes Sammetkleid mit karminroten und chrysolithgrünen Aufschlägen und Schnüren.
Herr Edgar Krug sagte leise zum Rechtsanwalt:
»Eigentlich habe ich hier ganz allein in Farben zu sprechen. Die Damen sollten diskreter in ihren Kostümen sein – aus Rücksicht auf meine Glasfenster.«
»Dein Ruhm«, versetzte der Rechtsanwalt, »hat Dich ein wenig anspruchsvoll gemacht; Du solltest Deine Herrschgelüste ein wenig zügeln.«
Hiernach dröhnten drei Paukenschläge durch den Raum. Und danach gab's ein paar Chorgesänge auf den Balkons der Orgel; diese trat vor der menschlichen Stimme ganz zurück. Und danach dröhnten nochmals drei Paukenschläge. Und gleichzeitig flammte in allen Wänden das elektrische Licht auf.
Das war ein ungeheurer Effekt.
Und dazu brauste die Orgel so stürmische Rhythmen, daß unwillkürlich alle Besucher, die sich gesetzt hatten, aufsprangen – und in den großen Farbenzauber ganz geblendet hineinstarrten – und die machtvollen Töne der Orgel mit offenem Munde aufnahmen. Herr Walter Löwe machte Miß Schmidt darauf aufmerksam, daß fast alle Besucher den Mund aufrissen. Und die Dame lachte laut auf. Herr Krug sah ganz ernst aus.
Als die Orgel wieder still war, flutete alles lachend und gestikulierend durcheinander.
Und die Drei fuhren in die unteren Etagen, wo die kleineren Silbersachen ausgestellt waren.
Hier gab's Kabinetts, in denen man die großen Farbenfenster der Halle nicht sehen konnte – einfarbiges, sehr gedämpftes Licht leuchtete da in den Wänden und in den Säulen und in den großen Ampeln. Das Einfarbige beruhigte.
Die Silberplastik bevorzugte in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts das Flossenmotiv; die japanischen Schleierfische hatten wohl die Anregung gegeben, diesen Schleierfischen, einer Abart der bekannten Goldfische, hingen die Flossen wie wallende Gewänder vom Leibe.
Nun machte man aber den Kopf nicht fischartig – sondern man nahm andere Köpfe: Löwen-, Stier- und vor allem Menschenköpfe. Doch diese Köpfe wurden so umstilisiert, daß man die erste Anregung gar nicht mehr entdeckte. Doch wirkten diese kleinen Flossenungeheuer immer sehr graziös.
Herr Krug blieb vor einer dieser Kompositionen längere Zeit stehen und sagte schließlich:
»Hier weiß man nicht recht, ob der Kopf ein Löwenhaupt oder ein umgewandeltes Menschenhaupt sein soll. Jedenfalls sind die Bartpartien und die Augenbrauen auch wallende Flossen. Und die Seitenflossen umhüllen den ganzen Körper – mantelartig. Es sind aber viele Mäntel übereinander. Ja – das möchte ich ankaufen.«
»Sind Sie«, fragte Miß Amanda Schmidt, »so leicht zum Kaufe bereit? Da werden sich ja die Bildhauer sehr freuen. Ich dächte, Sie überlegen noch – und sehen erst mehr. Es gibt noch sehr viel bessere Kompositionen.«
Herr Krug jedoch sagte ein wenig scharf:
»Meine Gnädige, ich bin sehr selbständig. Und darum werde ich den Kauf gleich arrangieren.«
Er rief einen Diener.
Herr Walter Löwe lächelte.
Miß Amanda Schmidt sah ganz ernst aus. Fünf Minuten später prangte eine kleine Medaille mit dem Vermerk »Verkauft« an der feinen Silberarbeit.
Fünfhundert Dollars kostete die Kleinigkeit.
Das Stück mußte bis zum Ende der Ausstellung an seiner Stelle bleiben, was Herr Krug lebhaft bedauerte.
Miß Amanda reichte dem Architekten die Hand und sagte:
»Meinen besten Dank!«
»Wofür?« fragte Herr Krug.
»Ja«, versetzte die Dame, »Sie sind, da Sie heute einen so großen Erfolg gehabt haben, so zerstreut gewesen, daß sie sich noch nicht nach mir weiter erkundigten.«
Herr Walter lächelte abermals.
»Ja«, rief Herr Krug, »wie komme ich denn dazu, mich zu erkundigen? Das wäre doch verletzend.«
»Aber«, versetzte Miß Amanda, »Sie hätten jedenfalls gehört, daß ich auch ausgestellt habe; ich bin nämlich Bildhauerin – arbeite fast nur in Silberplastik.«
Herr Krug war peinlich berührt.
»Oh«, sagte er bedauernd, » da tut's mir leid, daß ich Ihre Arbeiten nicht vorher angesehen habe.«
Der Rechtsanwalt wandte sich um und hielt das Taschentuch am Munde. Dann rief er lachend:
»Edgar, Du hast ja die schönste Arbeit von Miß Amanda bereits angekauft.«
Edgar stotterte was und begriff noch nicht. Da sagte Miß Amanda auf die gekaufte Arbeit deutend:
»Das hab' ich gemacht.«
Nun gab's natürlich fünf Minuten lang ein großes Gelächter, viel Händegeschüttel, Entschuldigungen und Komplimente usw.
Aber Miß Amanda sprach schließlich ganz ernst:
»Sie waren noch nicht sehr liebenswürdig zu mir persönlich – nur zu meinem Werk. Die letztere Liebenswürdigkeit macht alles wieder gut. Aber dafür müssen Sie mir einen kleinen Gefallen tun und mit uns zusammen oben – ganz oben auf dem Turm zu Babel – Abendbrot essen. Die Gesellschaft meiner Freundin müssen Sie sich schon gefallen lassen – es ist Clara Weber, die Orgelspielerin. Hören Sie nur, sie spielt schon wieder.«
Alle Drei horchten.
Und Herr Krug war natürlich mit allem einverstanden. Man sah nach der Uhr, und Miß Amanda bemerkte, daß Fräulein Clara Weber erst in einer Stunde frei sei.
Die Herren waren etwas durstig.
Man trank in der Nähe etwas Selter mit Whiskey.
Dann jedoch schlug Herr Löwe vor, mit der Ausstellungsbahn draußen auf den Dächern des Ausstellungsgebäudes ein wenig herumzufahren.
Und man tat das.
Man benutzte ein paar Fahrstühle, fuhr erst nach unten und dann wieder nach oben. Und so kam man draußen auf ein großes Dachplateau, von dem aus kleine Wagen rund um die große Kuppel des runden Mittelpalastes herumfuhren.
Auf einem dieser Wagen fuhr auch der Architekt mit Miß Amanda und Herrn Löwe. Da überall Doppelwände waren, sah die Ausstellung von außen auch ganz bunt ornamentiert aus.
Und – von außen wirkten die Ausstellungshallen fast noch prächtiger als innen.
Man sah im Michigansee das ganz bunte Spiegelbild der Paläste; wie Kolibris, Libellen und Schmetterlinge zuckten die unzähligen Farben auf den bewegten Wellen des Sees. Dazu leuchtete der Vollmond. Und auch er spiegelte sich im Wasser.
Mehrere Aeroplane fuhren über den See – und ließen ihre bunten Scheinwerfer spielen.
»Ein sehr buntes Bild!« sagte Herr Krug. Und er zündete sich eine Zigarette an.
Der Turm zu Babel stand in der Mitte des runden Palastes, auf dessen Dachrand die Drei soeben herumgefahren waren.
Der Turm zu Babel hatte dreißig Etagen und oben eine kreisrunde Plattform. In allen Etagen befanden sich Restaurationsräume. Oben auf der kreisrunden Plattform war's am prächtigsten; auf allen Seiten sah man die bunten, elektrisch erleuchteten Glaswände. Und von der Decke herab hingen viele tausendfarbige Ampeln, die langsam runterkamen und dann wieder emporstiegen. Dazu verdunkelten sich stellenweise die Glaswände, und das Licht wurde immer wieder anders. Dieses Anderswerden des farbigen Lichtes ging aber so langsam und ruhig vor sich, daß es keineswegs beunruhigte.
Herr Krug wurde durch das Erscheinen von Fräulein Clara Weber heftig überrascht; die Dame trug nämlich ein einfaches graues Kleid – mit zehn Prozent weißer Spitzen dazu.
Herr Krug war gleich begeistert von diesem Kostüm und sagte das und bat wieder Miß Amanda sehr um Entschuldigung, daß er ihr buntes Kleid nicht herrlich finden könne, da es vor den Glaswänden nicht gut wirke – nach Herrn Krugs Meinung paßte zu Glaswänden nur ein graues Kostüm mit zehn Prozent Weiß.
Darüber sprach man natürlich sehr viel und die Vier wurden immer lebhafter.
Nach Schildkrötensuppe, Austern und Kaviar aßen die Vier Hecht grün mit der Grätenzange; der Fisch war vor einer halben Stunde am Michigansee gefangen worden und eine Delikatesse ersten Ranges.
Man aß bedächtig und sagte eine Weile gar nichts.
Da hob Herr Krug ein Stückchen Hechtleber hoch auf und bemerkte zu Fräulein Clara Weber:
»Meine Gnädigste, würden Sie wohl bereit sein, Ihr ganzes Leben hindurch nur graue Kostüme zu tragen – mit zehn Prozent Weiß?«
Er aß das Stückchen Hechtleber, und Miß Amanda flüsterte ganz leise:
»Das klingt ja fast wie ein Heiratsantrag.«
»Soll's auch sein!« bemerkte der Architekt.
Fräulein Clara sagte ganz einfach:
»Ja!«
»Das finde ich«, sprach nun der Rechtsanwalt, »ein wenig kurz angebunden – und auch ein wenig leichtsinnig.«
»Warum? Warum?« riefen die Damen.
Der Rechtsanwalt räusperte sich, tat etwas wichtig und hielt dann folgende Rede:
»Meine Damen! Sie wissen offenbar noch nicht, was ein Ehekontrakt bedeutet. Ich aber weiß es, denn ich habe schon hundertfünfzig Ehescheidungsklagen geführt. Ich weiß, daß man bei der Formulierung eines Ehekontraktes nicht leichtsinnig sein darf. Mein Freund Edgar ist ein sehr reicher Mann. Er kann sich also den Luxus leisten, etwas leichtsinnig zu sein. Doch den Damen ist zu raten, nicht so einfach zu unterschreiben. Erst nachdenken! Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang.«
»Und deine Rede war auch sehr lang!« bemerkte Herr Edgar.
»Nun meinetwegen«, sprach der Rechtsanwalt, während er den Füllfederhalter und Papier hervorzog, »können wir auch sofort zur Tat schreiten. Dann gibt's ganz bestimmt einen Prozeß, und ich erziele ein bedeutendes Honorar. Mir ist es auch ganz gleich, zu welcher Partei ich übergehe. Lieber Edgar! Du wünschest also die Kürze. Gut! Sehr gut! Graues Kostüm also! Sammet und Seide nicht ausgeschlossen?«
»Die sind«, versetzte Edgar, »in jedem Falle ausgeschlossen. Das Kostüm muß so sein, daß es eine buntfarbige Glaswand nicht übertönt. Das Kostüm muß zurücktreten vor der Architektur, darf dem Glase unter keinen Umständen Konkurrenz machen. Nur graues Tuch ist gestattet. Das hebt sich auch brillant vom Buntfarbigen ab, bildet zur bunten Glasarchitektur einen prächtigen Kontrast – und wird überall als wohltuende Zurückhaltung empfunden werden.«
»Ja«, fuhr nun der Rechtsanwalt fort, »sind nun alle Grautöne vom tiefsten Grau bis zum hellsten erlaubt?«
»Ja!« erwiderte der Architekt.
»Dann«, fuhr der Rechtsanwalt abermals fort, »wäre nur noch zehn Prozent Weiß näher zu definieren. Ist es gleich, ob das Weiß in Glacéhandschuh, Pelz, Spitze oder Leinwand besteht?«
»Ja!« erwiderte der Architekt.
»Sammet und Seide aber lehnst Du auch in Weiß ab, nicht wahr?«
»Ja!« klang's abermals zurück.
Herr Krug arbeitete nervös mit der Grätenzange und nahm noch ein großes Stück Hecht.
»Nun«, hob Herr Walter Löwe wieder an, »ist noch Folgendes näher zu erörtern: sind die zehn Prozent en face zu nehmen oder von der Seite?«
Herr Krug zuckte nervös mit den Schultern und aß seinen Hecht.
»Du bist«, bemerkte sein Freund, »übellaunig, aber die Sache muß doch erörtert werden, es kommt auch noch die Rückseite in Betracht.«
Die Damen lächelten.
Herr Krug aber machte ein böses Gesicht und sah zornig den Herrn Löwe an und sprach: »Darauf wünschest Du doch keine Antwort, nicht wahr? Du wolltest nur Witze machen. Jedenfalls meine ich, daß sich immer zehn Prozent Weiß zeigen dürfen – die Stellung ist der Dame ganz und gar überlassen. Weitere Erörterung dieses Themas muß ich mir ganz ergebenst verbitten.«
»Entschuldige!« versetzte der Rechtsanwalt, während er eifrig schrieb, »dann kann gleich der Kontrakt fertig sein. Wenn noch etwas übersehen ist, so wäre das natürlich nur zum Vorteil Deiner Gegenpartei. Mir ist das auch recht.«
Der Turm zu Babel stieg wie ein Kegel empor, sodaß jedes höher gelegene Stockwerk immer ein wenig kleiner war als das unter ihm gelegene. Nun ertönte aus den tiefer gelegenen Stockwerken plötzlich eine zarte Geigenmusik empor – und – es war eine Walzermelodie.
Gleichzeitig erlöschte das Licht in den Glaswänden.
Und die Ampeln kamen alle von der Decke runter und bewegten sich nach dem Takte der Musik auf und ab – auf und ab.
Das sah sehr hübsch aus.
Und der ganze Turm zu Babel rief sehr vielstimmig »Bravo!«
Und man klatschte auch in die Hände.
Nach diesem Ampeltanz verschwanden die Ampeln in der Kuppel oben und erlöschten, so daß jetzt nur noch das Tischlicht im Turm zu Babel leuchtete.
Die Vier auf der obersten Turmplatte bestellten Kapaun, Kompotts und schwedische Schüsseln.
Man trank den besten Rheinwein.
Und Miß Amanda sprach bedächtig:
»Ich dächte, jetzt könnte das Brautpaar Brüderschaft trinken.«
Es geschah!
Und danach leuchteten in den Glaswänden die großen Scheinwerfer, so daß die Wände jetzt nur noch stückweise erleuchtet wurden. Die Scheinwerfer bewegten sich ganz langsam, so daß sich das Wandbild perpetuierlich veränderte.
Miß Amanda und Mr. Walter Löwe gratulierten dem Brautpaar. Herr Löwe las den Kontrakt vor.
Und man wurde nun sehr lebhaft und sprach über alles mögliche – und man rauchte.
Bei der zweiten Zigarre erblickten die beiden Herren einen graugekleideten Diener in respektvoller Entfernung; Herr Krug winkte ihm, und er meldete:
»Das Luftschiff liegt zur Fahrt bereit im großen Lufthafen auf dem Michigansee.«
»Dann müssen wir aufbrechen«, versetzte Herr Krug, »ich werde erwartet. Das Gepäck meiner Gemahlin kann morgen nachgesandt werden.«
»Wohin denn?« fragte die Gemahlin.
»Nach den Fidschiinseln in der Südsee. Ich baue da auch. Und meine Leute sind in sehr großer Verlegenheit.«
Also die Antwort des Architekten.
»Ja«, rief nun der Rechtsanwalt, »da müssen wir aber zunächst das Standesamt aufsuchen. Es ist hier im Hause ein Standesamt. Ich werde die Beamten zusammenrufen. In einer halben Stunde kann alles erledigt sein.«
Er erhob sich und ging hinaus.
Herr Krug bestellte noch ein paar Liköre und rauchte die dritte Zigarre.
Die Damen rauchten auch und sprachen von der Ausstellung: Miß Amanda erzählte lustig lachend von dem Silberankauf des Herrn Krug und bat Frau Krug, ihr sobald wie möglich zu telegraphieren.
Nach Erledigung der Standesamtsgeschichte bestieg Herr Krug mit seiner Gemahlin das Motorboot und fuhr zu seinem Luftschiff; Miß Amanda und Herr Löwe winkten den Abfahrenden noch lange mit den weißen Taschentüchern zu.
Opalisierend lagen die Glaspaläste da und spiegelten sich in den Fluten des Michigansees. Und Frau Krug machte große Augen, als sie die prächtigen Kabinetts der Luftschiffgondel sah: buntes Glas in allen Wänden und prächtige Balkons, von denen aus man in die Tiefe und zum Sternenhimmel blicken konnte.
Herr Löwe ging mit Miß Amanda Schmidt zu Fuß der Stadt zu; sie drehten sich öfters um und sahen zum bunt erleuchteten Luftschiffhafen, der nicht weitab mitten im Michigansee lag.
Und da sahen sie auch das Luftschiff des Herrn Edgar Krug aufsteigen, und sie blieben stehen. Und Herr Krug ließ seine Scheinwerfer spielen – in der damals allen Menschen bekannten Signalsprache.
Herr Krug sagte mit Scheinwerfern:
»Die Energie der Menschen scheint mir doch unterschätzt zu sein.«
Miß Amanda lachte, daß es durch die laue Nachtluft schallte, Herr Löwe lachte ebenso laut.
»Auch ein Abschiedsgruß!« sagte Miß Amanda.
Der Rechtsanwalt aber sprach feierlich:
»Das knüpft an das Gespräch an, das wir führten, bevor wir Sie trafen, gnädige Frau! Edgar ist ja sehr kurz angebunden und sehr schroff zuweilen, doch man gewöhnt sich bald an diese Art. Als reicher Mann kann er sich ja immer was erlauben. Und – nicht bestreiten darf man, daß Edgar sehr energisch ist. Nebenbei auch ein vortrefflicher Geschäftsmann. Wir sprachen übrigens über Energie und Bequemlichkeit. Ich war für diese, doch da hätten Sie hören sollen, was er alles hervorstrudelte; die Zeit am Anfange unsres Jahrhunderts strich er raus – aber mit Worten, die fast wie Anbetung der Energie klangen. Wie Edgar die ersten Flugversuche mit den Aeroplanen verherrlichte! Er kennt die Entwicklung ganz genau, er kennt auch alle die Namen von denen, die im Aeroplan ihr Leben ließen. Wenn man Edgar so begeistert hat reden gehört, so verzeiht man ihm manche Schroffheit. Sie werden sich, gnädige Frau, gewiß heute Abend gewundert haben, daß ich mir von Edgar so viel gefallen ließ. Aber Edgar ist ein begeisterter Fanatiker, das erklärt alles. Wer so ehrlich die Energie der Andern anerkennt und selbst in sich immer größere Energie zu erzeugen vermag, der darf nicht schroffer Worte wegen gleich angegriffen oder gemieden werden.«
»Sehr interessant«, erwiderte Miß Amanda, während sich beide schon den Wolkenkratzern der City näherten, »was Sie mir da erzählen. Sie haben mir ein paar Dutzend Fragen, die ich stellen wollte, schon beantwortet, bevor ich die Frage aussprach. Nur noch eine Frage: halten Sie diese Heirat auch für eine Sache, die zum Teil aus Geschäftsinteressen arrangiert worden ist?«