Romane und Geschichten aus Assyrien, Palmyra und Babylon - Paul Scheerbart - E-Book

Romane und Geschichten aus Assyrien, Palmyra und Babylon E-Book

Paul Scheerbart

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Beschreibung

Dieses eBook: "Romane und Geschichten aus Assyrien, Palmyra und Babylon" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. "Hoch oben auf der Sternwarte des Tempels in Babylon waren die Oberpriester aus ganz Babylonien zusammengekommen – siebzehn an der Zahl. Und ihr König Nabukudurusur, den die Griechen Nebukadnezar nannten, war auch dabei – oben auf der Sternwarte – als der achtzehnte." (Istar, der Morgen- und Abendstern) Paul Scheerbart (1863 - 1915), auch unter seinen Pseudonymen Kuno Küfer und Bruno Küfer bekannt, war ein deutscher Schriftsteller phantastischer Literatur und Zeichner. Inhalt: Tarub. Bagdads berühmte Köchin Der Tod der Barmekiden Marduk Tempel und Paläste Von Leuten, die den Kopf verloren Ninip, der Lichtgott Nabu-Kin Kidimuti Istar, der Morgen- und Abendstern Der brennende Harem Das Karussell Audienz beim König Machtspäße Dichtermacht Weltmacht Rebellenmacht

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Paul Scheerbart

Romane und Geschichten aus Assyrien, Palmyra und Babylon

Tarub, Bagdads berühmte Köchin + Tempel und Paläste + Von Leuten, die den Kopf verloren + Der Tod der Barmekiden + Machtspäße + Marduk und viel mehr
e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-5093-9

Inhaltsverzeichnis

Tarub. Bagdads berühmte Köchin
Der Tod der Barmekiden
Marduk
Tempel und Paläste
Von Leuten, die den Kopf verloren
Ninip, der Lichtgott
Nabu-Kin
Kidimuti
Istar, der Morgen- und Abendstern
Der brennende Harem
Das Karussell
Audienz beim König
Machtspäße
Dichtermacht
Weltmacht
Rebellenmacht

Tarub. Bagdads berühmte Köchin

Inhaltsverzeichnis
Das erste Kapitel
Das zweite Kapitel
Das dritte Kapitel
Das vierte Kapitel
Das fünfte Kapitel
Das sechste Kapitel
Das siebente Kapitel
Das achte Kapitel
Das neunte Kapitel
Das zehnte Kapitel
Das elfte Kapitel
Das zwölfte Kapitel
Das dreizehnte Kapitel
Das vierzehnte Kapitel
Das fünfzehnte Kapitel
Das sechzehnte Kapitel
Das siebzehnte Kapitel
Das achtzehnte Kapitel
Das neunzehnte Kapitel
Das zwanzigste Kapitel
Das einundzwanzigste Kapitel
Das zweiundzwanzigste Kapitel
Das dreiundzwanzigste Kapitel
Das vierundzwanzigste Kapitel

Das erste Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Helles Gelächter scholl durch ganz Bagdad. Der Prinz Ali war aus Ägypten zurückgekehrt. Und er war gekommen hoch zu Roß mit stolzem Gefolge. Doch das Roß, auf dem der Prinz saß, war ein Schimmel gewesen. Und diesen Schimmel hatte der Prinz grün färben lassen. Da mußte natürlich ganz Bagdad hell auflachen. Alis grüner Schimmel war ein Ereignis.

Es hatte sich wieder einmal gezeigt, wie gut es der Prinz verstand, von sich reden zu machen. Kein Mensch wurde klug aus diesem Ali. War er durch sein Selbstbewußtsein wirklich geschmacklos geworden? Oder gab er sich nur so geschmacklos aus Berechnung? Wäre der Schimmel nach alter Sitte mit Henna rot gefärbt gewesen, dann würde Niemand gelacht haben – doch grün? Nein, das ging übern Spaß.

Man konnte sich ja erklären, was sich der Prinz gedacht hatte – er wollte die neue Farbe der Abbassiden zu höheren Ehren bringen. Einst glänzte das Haus Abbas unter der schwarzen Flagge. Diese schwarze Flagge vertauschte man später mit der grünen. Das gefiel nun dem jungen Ali so gut, daß er die neue Farbe seines Hauses überall sehen wollte. Und so mußte denn schließlich auch der Schimmel – grün werden.

Unglaublich!

Unzählige Sterne glänzen aus dem tiefblauen Himmel auf Bagdad hinab; sie spiegeln sich in den lauen Fluten des Tigris, und an den bunten Kacheln der Minaretts, der Palast- und Moscheekuppeln werden auch die Glanzlichter der Sternenwelt glitzernd umhergestrahlt. Die Kalifenburg mit ihren prächtigen Türmen, Kiosken und Galerien hebt sich hoch heraus aus dem Häusergewirr der großen Stadt, aus der ein Nebeldunst – magisch leuchtend – aufsteigt. Und am Tigris entlang leuchten die weißen Mauern der Landhäuser; in deren Gärten schwanken die ruhigen Palmen im Abendwinde...

Aber aus den Straßen und Gassen der herrlichen Stadt schallt helles Gelächter zu den ewigen Sternen empor. Jetzt endlich in der stillen Nacht kann ganz Bagdad lachen nach Herzenslust, denn der Prinz Ali hört das Lachen nicht; der ruht schon wieder in den weiten kühlen Prunkgemächern der Kalifenburg von seinen vielen Reisen aus. Der Kalif Mutadid hat seinen Sohn wohlwollend empfangen, und die Sklaven eilen in den Palästen auf den Zehen umher, um die Ruhe des gefeierten Prinzen nicht zu stören.

Wie Ali am frühen Morgen auf seinem grünen Schimmel durch das große Tor im Westen stolz hineinritt in die festlich geschmückte Stadt, da mußten seine Kammerdiener Goldmünzen unter die Menge streuen. Dadurch entstand ein wüstes Geschrei. Kein Araber war zu stolz. Alle balgten sich um die Goldstücke, sodaß es viele blutige Köpfe gab.

Durch die langen breiten Straßen, die zur Kalifenburg führen, zog der lange Zug des stattlichen Gefolges auf Pferden und Kamelen unter betäubendem Lärm dahin. Das Volk jubelte wie rasend dem freigebigen Prinzen zu. Es wurde beim Herumschwirren der Goldstücke gejohlt und gelacht – als hätte sich der blaue Himmel aufgetan, wie wenn sich die Huris aus dem Paradiese zur Erde niederbeugten.

Jetzt ist es Nacht, und die Araber freuen sich über das blanke Gold. Sie werfen jetzt die Münzen ebenso verschwenderisch wie die Prinzen auf die Straße. Die guten Araber geben das gute Gold den dicken Weinhändlern, guten Freunden und lustig lachenden Mädchen. Dabei fällt ihnen aber der grüne Schimmel öfters wieder ein – und über den freuen sich Alle schließlich noch viel mehr als über das Gold.

Der Prinz Ali ist ein guter Mensch, aber die Bürger Bagdads lachen ihn doch von ganzem Herzen aus. Und wenn er noch viel viel besser wäre, sie würden ihn trotzdem auslachen. In dieser Nacht tragen die reichen Jünglinge Bagdads ihre Säbel an grünen Schärpen, um das Volk an Ali zu erinnern. Das Volk versteht den Scherz und lacht darüber immer wieder von Neuem – immer wieder von Neuem.

Ausgelassene Spottlieder, wüste Zechgesänge, mekkanische und persische Liebesweisen – tolle wilde Jubelstürme brausen und wogen durch die Straßen und Gassen der herrlichen Kalifenstadt. In allen Weinkneipen, in den Buden, in denen getanzt wird, in den Häusern, in denen reizende Sängerinnen mit feiner Kunst zu singen verstehen – überall wird gepraßt und gezecht.

Eine sehr lustige Nacht!

Abseits in einem kleinen Gäßchen steht vor seiner Haustür ein christlicher Weinhändler mit einem alten Parsenpriester im Gespräch. Sie schütteln sich beide Hände zum Abschied. Doch der Wirt redet noch immer, obgleich der Priester Eile zu haben scheint. Der christliche Wirt sagt:

»Bedenkt nur das Eine! 892 Jahre, man schreibe und sage: achthundertundzweiundneunzig Jahre – die sind nun schon vergangen, seit Christus geboren ward, und seine Lehren sind hier noch immer verachtet. Man läßt wohl uns Christen in Ruh, läßt uns auch unsern Glauben – aber das beweist doch nur, daß sich diese Araber garnicht um religiöse Dinge kümmern, ihnen ist die Religion überhaupt ganz gleichgültig – selbst ihre eigene. In Bagdad gibt es gar keine Religion mehr.«

Der Christ schüttelt traurig den Kopf.

Der Parse versetzt aber hastig:

»Verzeiht! Ihr übertreibt! In nächster Woche hol' ich Euch ab. Die Parsen – die sollt Ihr kennen lernen – die haben noch Religion.«

Der Parse entfernt sich schnell, als wenn er wirklich Eile hat.

Währenddem hört man auch hier wieder heisre Zecherstimmen erschallen. Im Keller des Weinhändlers ruft man laut und herrisch nach dem christlichen Wein. Indes – der Wirt zögert noch; auf der andren Seite der Gasse sieht er zwei bekannte Dichter vorüberwandeln, die grüßt er erst noch – recht freundlich. Dann jedoch verschwindet der Christ; er darf seine Gäste nicht warten lassen.

Die beiden arabischen Dichter haben den Gruß des Christen garnicht erwidert. Sie sind mit ihren eigenen Gedanken so sehr beschäftigt, daß sie den allgemeinen Jubel nicht mehr mitempfinden.

Suleiman, der ältere Dichter, träumte so im Gehen, er wäre der Kalif Harun und neben ihm plauderten indische Märchenerzählerinnen von den Tempeln ihrer Götter am fernen Ganges. Der alte Dichter glaubte zu hören, wie neben ihm die nackten Füße der Mädchen sich weich und gelenkig in den feuchten Sand schmiegten und wie unter den gekrallten kleinen Zehen die Steinchen knirschten. Dann dachte der Alte an die schlanken Tänzerinnen, die er gestern Abend unter einem jener rotseidenen Zelte auf dem Karawanenplatze bewundert hatte. Die Tänzerinnen sahen sehr schön und prächtig aus. Er aber – ach! – er hatte sich unter jenem rotseidenen Zelte seines alten geflickten Ehrenkleides geschämt – eine sehr peinliche Erinnerung! Dieses Ehrenkleid war ein Geschenk des Kalifen Motawakkil. Doch der lag längst im Grabe. Suleiman seufzte, nickte mit dem Kopfe so vor sich hin und murmelte was.

Safur, der den Suleiman begleitete, hörte das Murmeln und erriet gleich den Gedankengang des alten Freundes, denn sie gingen an einem seltsamen Hause vorüber. Über dessen Eingangspforte befanden sich kleine Fenster mit eisernen Stäben. Hinter den Stäben saßen Schneider bei hellem Lampenlicht und nähten fleißig. Sie nähten unzählige kostbare Gewänder für die Kalifenburg. Und diese kostbaren Gewänder blieben nicht in der Burg; sie wanderten als Geschenke, als »Ehrenkleider« aus den großen Palästen hinaus in die weite Welt nach allen Himmelsrichtungen bis nach Ägypten und Persien, bis nach Indien und Afrika, ja – bis nach China und Spanien. Der Kalif hatte sehr sehr viel – zu verschenken.

Safur, der jüngere Dichter, wußte das Alles, lächelte und fragte den älteren Dichter listig:

»Nun? Denkst Du an Dein Ehrenkleid?«

Suleiman, unter dessen braunem Gesicht ein gut gepflegter weißer Spitzbart glänzte, blickte traurig auf sein Gewand. Das war einst gute Seide gewesen – ledergelb mit großen lilafarbigen persischen Blumen. Auf dem Rücken des Ehrenkleides sah man noch das große Wappen des Kalifen – schwarze schwungvolle Schriftzüge. Die helleren Farben des Kaftans waren nicht mehr ganz reinlich, an vielen Stellen etwas blank und fettig, und an den Ärmeln und unter den Knien zeigten sich kleine Löcher und große Flicken.

Suleiman gürtete seinen alten lilafarbigen Seidengurt fester um die Lenden und schaute unter seinem nicht sehr reinen weißen Leinenturban dem jungen Safur lange nachdenklich ins Gesicht.

Safur ging in Beduinentracht. Sein langes, hellblau und braun gestreiftes Gewand, das aus dünner Baumwolle bestand, es hing ihm faltig ins Gesicht. Ein alter Lederriemen schnallte das Tuch um Stirn und Hinterkopf zusammen. Die hellblauen und braunen Streifen des feinen Kleides schlotterten lässig mitgezogen in unregelmäßigen Falten um Körper und Beine herum – was sehr reizvoll aussah – was Safur wußte.

Die nächste Gasse ist leider sehr schmutzig, und die Sandalen der Dichter werden naß, ihre braunen Füße desgleichen. Safur flucht, hebt sein Kleid vorsichtig mit den braunen hagren Fingern höher und ärgert sich – über die Pfützen und über manches Andre.

»Jetzt«, ruft er wütend, »macht ein grüner Schimmel ein größeres Aufsehen als die beste Kasside. Gute Verse werden heute schon schlechter bezahlt als rote Pantoffeln, die allerdings in den Pfützen Bagdads sehr wertvoll sind...«

Der gutmütige Suleiman hat seine Not mit dem Ärgerlichen, versteht es aber – zu trösten, sagt so ganz ruhig: »Sieh, Safur! Der Schmutz der Gasse ist noch nicht das Schlimmste auf dieser schlimmen Welt. Was Besondres haben wir ja nicht vor. Unsre Sandalen werden schon wieder trocken werden. Nebenbei – wundern muß ich mich denn doch, daß Du Dich gleichzeitig über den geringen Preis ärgerst, den man heute für gute Verse zu erhalten pflegt. Warum machst Du nicht ein Lobgedicht auf unsern alten Geizhals Said ibn Selm? Der ist doch für Lobgedichte immer zu haben, würde sich über Safurs Verse sehr freuen und sie sehr gut bezahlen.«

»Das Lobgedicht kannst Du machen«, versetzt ingrimmig der jüngere Dichter.

Und Suleiman meint darauf lächelnd: »Oh! Oh! Das will ich mir gesagt sein lassen. Hast Recht! Ein alter Dichter braucht auch viel eher einen reichen Freund als ein junger Mensch, wie Du einer bist.«

Die nächste Gasse ist wieder trockner, und Safur wird wieder freundlich. Er legt seinen rechten Unterarm auf den linken des alten Suleiman und plaudert – von Tarub.

Dem Alten wird ein bißchen neidisch zu Mute, er spricht bitter: »Ja! Wer eine Tarub hat, der kann stolz sein! Der hat's nicht nötig, einen Said ibn Selm zu loben! Aber erzähl' mir nicht mehr von ihr! Erzähl' mir lieber, was Du jetzt als Dichter vorhast!«

Der zart empfindende Safur hört auch gleich von der Tarub auf und teilt seinem alten Freunde – fast zitternd vor Erregung – mit, daß er unter die Beduinen gehen möchte. Er habe kürzlich wieder die Antarsage gelesen und sei ganz toll geworden, schwärme nur noch für die blauäugigen Dschinnen, jene wilden schwarzen Wüstengeister, die auf feurigen Hengsten nachts durch die Wüste jagen, um die Karawanen zu verfolgen. An die Tarub dachte plötzlich der leicht erregbare Dichter ganz und gar nicht mehr; aber vom König Saiduk, jenem Geisterkönig, der nur die Dschinnen – niemals einen Menschen sehen durfte, konnte Safur nicht genug erzählen. »Mir geht es«, fuhr er mit brennenden Augen fort, »fast genau so wie dem König Saiduk. Mir ist immer so, als müßt ich wie Saiduk beim Anblick eines Menschen sterben. Nur die Dschinnen kann ich ohne Furcht sehen. Die Gespenster sind meine Freunde; die erregen mein Blut. Oh, ich liebe die Dschinnen und möchte nur Verse machen, in denen heiß und toll die rasenden Wüstengeister herumsprengen auf ihren feurigen Hengsten. Meine Verse müssen so heftig werden, daß Jeder, der sie hört, zittern soll vor Erregung. Das ganze Gespensterreich der Wüste möcht' ich nach Bagdad bringen, damit Bagdads faule Dickbäuche mal aufgerüttelt werden. Aber wie die Geschichten anfangen und enden sollen, das ist mir leider noch ganz unklar. Das ist häßlich! Das macht mich recht besorgt. Wer weiß, ob ich was fertig bringe! Eigentlich bin ich ja noch niemals zu was gekommen. Jeden Tag will ich was Andres, denn jeden Tag soll und muß ich auch was Andres. Ich hör' jetzt allerdings jeden Abend ein so seltsames Gesumm, als wenn die Dschinnen in der Nähe sind.«

Und er horcht aufmerksam in die Nachtluft hinein, in der Käfer zirpen und Nachtfalter herumflattern. Der alte Suleiman wird ganz still; er fühlt, daß er dem jüngeren Freunde nicht zu folgen vermag. Er lebte zu allen Zeiten in der Märchenwelt, die vor achtzig Jahren unter Haruns Regierung die Dichter beschäftigte. Suleiman liebt das Liebliche; er träumt nicht gern von Gespenstern; Märchenprinzen und lustige Zaubrer sind ihm viel angenehmer. Die Wüstengeister sind dem alten Dichter ganz fremde Wesen, die er nicht leiden kann, da sie ihn erschrecken. Das Jähe, Stürmische, Gespensterhafte ist Nichts für Suleiman; dessen Träume sind still und sanft.

Doch jetzt kommen die Beiden in die breiteren Straßen; da ist es lauter. Man hört überall Singen, Lachen und Lärmen. Lustige Zecher schwanken Arm in Arm wie vom Winde verwehte Papyrusrollen in Zickzacklinien vorüber.

Vor der großen Moschee prügeln sich ein paar betrunkne Kameltreiber – ihre Kamele sehen verwundert zu, alte Frauen schreien, und das Volk, das gemächlich daneben steht, lacht.

Safur und Suleiman biegen rechts ab in einen schmalen Gang, der Erstere voran. Sie gehn hinter einander schweigend einher an einem niedrigen Bretterzaun entlang, über den sie hinüberblicken können. Es liegt ein großer Garten hinter dem Bretterzaun. Neben den mit bunten spiegelglatten Fliesen gepflasterten Fußwegen des Gartens sind über den Erdboden kurz geschorene Rasen gebettet, auf denen einzeln große rote Tulpen blühen. Weiterhin plätschern kleine Springbrunnen in großen Teichen, die vom Sternenlicht durchstrahlt mit ihren kleinen Wellen glitzern und funkeln wie ein Heer arabischer Krieger mit blanken Helmen und blitzenden Damaszenerklingen.

Lorbeeralleen verdunkeln die weiter hinten gelegenen Parkanlagen. Neben den Teichen ragen hohe Palmen in den Sternenhimmel hinauf. Die Dichter gehen noch an Myrtengebüschen vorbei und gelangen dann durch eine offne Tür in den großen Park. Still wandeln sie hier auf den bunten Fliesen der Fußpfade weiter. Safur denkt an seine Wüstengeister, und Suleiman sucht nach einem feinen Ausdruck für tiefe Gartenstille, in den Vers soll sich gleich Erwartungsstimmung mit hineinweben.

In der Mitte des Parks steht ein leicht gebautes Sommerhaus mit weiten indischen Galerien; in deren zierlichen Spitzbögen schaukeln sich Papier-Ampeln, die ganz mit grellbunten Vögeln bemalt sind. Vor der großen Hallenpforte kauern verdrossen ein paar nubische Sklaven mit krausem Wollhaar.

Der alte Suleiman sagt zu einem der jüngeren Nubier: »Geh hinein und sage dem dicken Kodama, er möchte hinauskommen, wir müßten zur Sternwarte, der Mond wär schon aufgegangen, und die Mondfinsternis wär auch bald da. Geh schnell!« Und der Dichter zeigt dem Nubier den Halbmond, der jetzt über die dunklen Lorbeeralleen im Osten in den Garten schaut. Der Sklave rennt eilig von dannen.

Aus den inneren Gemächern des leicht gebauten Sommerhauses dringen jetzt reine volle Saitentöne heraus. Weiche Frauenstimmen schallen hell und wonnig dazwischen. Die Töne schwellen an und säuseln dann wieder, dann hüpfen sie, trällern, locken und girren wie Tauben, klagen auch sehnenvoll wie verlassene Geliebte, murren und necken, reizen und beruhigen...

Es sind die Sängerinnen der alten Dschellabany. Die singen vor den reichen Jünglingen Bagdads und trinken mit ihnen feurigen Wein. Ein wildes indisches Freudenlied jubelt durch die üppigen Säle.

Die Dichter warten draußen.

Plötzlich wird's still.

Und von zwei Fackelträgern grell beleuchtet schreitet eilig eine stattliche schöne Negerin durch die mit herrlich durchbrochenen Zierleisten umrahmte Hallenpforte hindurch. Die schwarze Schöne streckt den beiden Dichtern die vollen schwarzen Arme entgegen. Ihre goldenen Armspangen glühen im grellen Fackelschein. Ein Perlendiadem schmückt ihr schwarzes Haar. Ihre Brust hebt sich in raschen Atemzügen unter schneeweißem Linnenzeug.

Die Schwarze bittet die Dichter sehr erregt mit den Armen herumfuchtelnd, ihr zu folgen; sie meint, Kodama komme ja sofort mit und bis zur Sternwarte sei's doch nicht so weit. Sie deutet dabei auf ihren breiten grünen Lendengurt, der an Alis grünen Schimmel gemahnen soll.

Das Grün des seidenen faltigen Gürtels unter dem weißen lockeren Busentuche hebt sich prächtig von den weiten rotseidenen Beinkleidern ab, die unten am schwarzen Fußknöchel zusammengeschnürt sind, sodaß die rote Seide in bauschigen Falten überhängt und fast die Steinfliesen streift.

Jedoch die Dichter wollen nicht mitkommen. – Safur sagt: »Das kennen wir schon! Wenn wir zu Euch hineingehen, so gehen wir nicht sobald wieder hinaus!«

Die stattliche Negerin nestelt verlegen an ihrer dicken Perlenschnur, die ihren starken Nacken umkränzt – muß dann aber mit ihren Fackelträgern ohne die beiden Dichter – abgehen.

Wieder klingen die Saitentöne und die hellen hallenden Frauenstimmen durch das Sommerhaus der alten Dschellabany, vor deren gastlicher Tür Safur und Suleiman geduldig warten und den Halbmond betrachten.

Und nach einer guten Weile kommt dann der Kodama, Bagdads dickster Gelehrter, auch endlich zum Vorschein. Er ruft ärgerlich: »Na, ein Glas Wein hättet Ihr doch noch trinken können!« Indes die Dichter zeigen lächelnd auf den Halbmond und erklären dem Kodama, daß die Mondfinsternis sehr bald eintreten müsse.

Die Drei begeben sich daher ohne weiteren Verzug zusammen zur Sternwarte, die einst der gebildete Kalif Mamun für die Astronomen mit großen Kosten erbauen ließ.

Das weite Himmelszelt mit seinen Sternen funkelt.

Der Halbmond steht drüben im Osten über den Lorbeeralleen.

Der Garten ist still, nur die Springbrunnen plätschern.

Die roten Tulpen auf den geschorenen Rasen leuchten wie kleine rote Flammen.

Im lauen Nachtwind schaukeln langsam die ruhigen Palmen.

Aus der Ferne ganz leise dringt von den Gartenmauern hernieder der Lärm der großen Stadt.

Die Drei wandeln schweigend zur Sternwarte.

Bagdads Lachen verhallt.

Das zweite Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Hoch oben auf dem Mittelturm der Sternwarte schaut der Sterndeuter Abu Maschar durch ein dreieckiges Blechrohr zum schwarzen Saturn.

In seinem weißen Beduinengewande steht Abu Maschar da oben unter den Sternen wie ein Gespenst. Ein pechschwarzer Vollbart wallt ihm bis auf den ledernen Leibgurt hinab. Zur Rechten und zur Linken des Sterndeuters stehen hohe wunderliche Meßgeräte. Auf dem alten sehr breiten Holzgeländer sind lange Papierstreifen – mit Bleistücken beschwert – ausgebreitet. Und uralte vergilbte Bücherrollen liegen am Boden.

Abu Maschar murmelt was in seinen schwarzen Bart, er murmelt in einer unverständlichen Sprache, die wohl nur die Bürger Alt-Babylons verstanden hätten. Er schreibt dabei Zahlen auf einen der langen Papierstreifen und blickt dann stolz nach allen Seiten umher – in die große funkelnde Sternenwelt. In seinem braunen Antlitz leuchten die großen schwarzen Augen unheimlich auf, sie starren in das tiefe Himmelsblau, als wenn sie Geister sähen... Abu Maschar steht still – gebannt – wie eine Bildsäule.

Die Sternwarte war eigentlich eine Ruine.

Bald nach Mamuns Tode hatten sich Räuber der Sternwarte bemächtigt, da nach Mamuns Tode fast Niemand mehr Geld für die Himmelskunde erübrigen wollte.

Als man nun später dahinterkam, daß sich in den fünf Türmen, auf denen sonst nur gelehrte Männer emsig arbeiteten, Räuber verborgen hielten, ward das prächtige Bauwerk von den Soldaten eines arabischen Hauptmanns gestürmt. Und bei diesem Sturm stürzten zwei Türme um und begruben viele Räuber und Soldaten unter ihren Trümmern. Auf dem Schutt wächst jetzt Gras mit wilden Blumen.

Die Türme hatten einen Halbkreis gebildet und waren durch vier schwere Holzbrücken miteinander verbunden; von diesen überlebten nur zwei den Sturm des Hauptmanns.

Vom Mittelpunkte der durch die fünf Türme gegebenen Kreislinie aus hatte eine mit Backsteinen erbaute feste Treppe fast bis zur Spitze des Mittelturmes geführt. Diese Treppe war bei dem Kampf mit den Räubern auch über den Haufen geworfen worden.

Über den Trümmern der Treppe wächst nun gleichfalls Gras.

Nur das oberste Stück der Treppe hängt noch wie ein Widerhaken oben am Mittelturm, auf dem Abu Maschar wie eine Bildsäule dasteht.

Die beiden andern Türme erreichen nicht dieselbe Höhe wie der, welcher einst der mittlere gewesen; der diesem zunächst gelegene sieht sogar recht niedrig aus – dafür geht er allerdings mehr in die Breite, befindet sich doch in seiner Spitze der große Empfangssaal, in dem die Astronomen einst von Mamun die fürstlichen Geschenke empfingen.

Auf dem großen fünfeckigen Altan, der vor dem Empfangssaal hoch über den Palmen in den Garten hinausragt, spricht der berühmte Astronom Al Battany mit Jakuby, dem großen Weltreisenden, über die Wissenschaft...

Al Battany hat die Sternwarte wieder bewohnbar gemacht. Mit seinen wissenschaftlichen Instrumenten sitzt er oft im dritten der drei noch übrig gebliebenen Türme. Im Empfangssaal pflegt er seine Freunde zu empfangen, die dort gern aus- und eingehen und besonders gern auf dem fünfeckigen Altane weilen, der sich auf der Außenseite des durch die drei Türme beschriebenen Kreisabschnittes befindet.

Der Empfangssaal mit dem Altan wird von den bedeutendsten Männern Bagdads besucht. Die Freunde des reichen Battany, der sich, wenn er allein sein will, in sein nicht weitab am Tigris gelegenes Landhaus begibt, sind zum größten Teil nicht sehr wohlhabend – das aber beeinträchtigt ihre Bedeutung nicht im Geringsten. ...

In der Tiefe des Gartens unterm Altan und zwischen den Trümmern reiten zwei Mongolen mit langen Lanzen auf schäumenden Rossen langsam fast schleichend auf und ab. Die gelben Mongolen mit ihren blanken Helmen wachen in jeder Nacht, aufdaß kein Unberufener feindselig nahe. Die Mongolen stehen im Solde des reichen Al Battany, der auch ein Dutzend schwarzer Sklaven in den unteren Gelassen der Türme verteilte. Hunde sind aber nicht da.

Tiefernst ist das Gespräch zwischen dem großen Astronomen und dem großen Weltreisenden, der Jakuby heißt. Die Beiden ergründen oben auf dem fünfeckigen Altan die Bedeutung der arabischen Literatur.

Der Battany schließt eine längere Auseinandersetzung über Bagdads Gelehrtenwelt mit den folgenden heftigen Worten:

»Überhaupt – was weißt Du von unsren wissenschaftlichen Bestrebungen? Du pilgerst durch alle Länder und schreibst Dir Alles auf, was Du hörst und was Dir grade zufällig dicht vor die Nase geführt wird. Was verstehst Du von Bagdader Zuständen und Verhältnissen? Garnichts – mehr als Garnichts, denn Du pflegst Alles falsch aufzufassen. Der berühmte Geograph Jakuby denkt natürlich garnicht daran, daß er sich jemals irren könnte – ih, wo wird er denn! Du bist beneidenswert!«

Und bei diesen Worten hob der Astronom bald den rechten bald den linken Arm bald beide Arme zugleich höchst malerisch – wenn auch etwas zu schnell – in die Höhe. Malerisch sah das aus, weil bei dieser Armbewegung eine dunkelblaue Sammettoga mit dicker Goldstickerei prächtige weit aufschweifende Falten warf. Der Astronom verehrte sehr die alten Griechen; er hatte sich ganz abenteuerliche Vorstellungen von dem wissenschaftlichen Geist des Aristoteles gebildet, sodaß er schließlich nicht umhin konnte, eine dunkelblaue Sammettoga mit dicker Goldstickerei zu tragen. Den Aristoteles kannte der Gelehrte natürlich nur vom Hörensagen – er verstand nicht einmal so viel syrisch, um den alten Griechen in syrischen Übersetzungen zu lesen – geschweige denn im Urtext...

Daher durfte man sich auch nicht wundern, daß der berühmteste Astronom Bagdads gleichzeitig eine indische ganz mit Gold überstickte Kappe, die so rund und klein wie ein flacher Suppentopf war, auf dem Kopfe trug.

Battanys Kopf – ja – der hatte so was vom Neger und was vom Inder; sehr fein sah er nicht aus, aber trotzig straff – die Nase dick und klein, die Augen heftig und nicht groß, der Mund voll und die Ohren abstehend... neben der dicken braunen Nase gingen tiefe Falten zu den Backenknochen hinunter, die dunkelbraune Stirn schien sehr hoch, da die indische Kappe fast im Nacken saß.

Viel freundlicher schaute dagegen der Jakuby in die Welt. Dessen Gesicht lächelte unter einem hellila Seidenturban. Spitz ragte die braune Nase unter diesem Turban hervor. Ein kleines graues Spitzbärtchen zierte das Kinn. Der Bart auf der Oberlippe und auf den Backen war sorgfältig abrasiert, sodaß die braune schon vielfaltige Gesichtshaut eigentümlich zur Geltung gelangte.

Jakuby hatte was Eigenes, das durch seinen sauberen schwarzen Seidenkaftan noch erhöht wurde.

Der kleine zierlich gebaute Gelehrte erwiderte nach sehr langer Pause mit feiner heller Stimme in jener überlegenen Art, die in den Moscheen beim gelehrten Gespräch üblich zu sein pflegte:

»Oh mein lieber Freund! Deinem heftigen persönlichen Angriffe will ich aus dem Wege gehen. Doch hör nur dieses: Wir Araber haben nun bald die ganze Welt erobert, erobert mit der scharfen Damaszenerklinge. Jetzt, dünkt mich, ist es an der Zeit, die Welt auch in andrer Weise zu erobern. Nicht dürfen wir mehr mit den Augen des Kriegers, die Alles nur besitzen wollen, die Welt durchstreifen. Wir müssen mit wissensdurstigen Augen durch die Länder wandeln und Alles kennen lernen – Alles, was da kreucht und fleucht. Auch der gelehrte Mann kann erobern – erobern, indem er sein Wissen bereichert. Deshalb habe ich mit meinen schwächlichen Gliedern meine großen Reisen unternommen – einerseits durch Ägypten und Afrika bis nach Spanien, andererseits durch Persien und Indien bis nach China. Und Jedermann weiß, daß mein Buch der Länder, das ich im vorigen Jahre herausgab, wirklich ein Werk wurde, das auch den, der niemals über die Mauern Bagdads hinauskam, mit allen Ländern der Erde bekannt machen muß. Das »Buch der Länder« weist ja noch viele Lücken auf, aber es ist doch in diesem Werke eine unvergleichliche Sammlung von Wissensschätzen angehäuft...«

Nun aber kann sich der heftige Astronom nicht mehr halten, er unterbricht den redseligen Freund mit hocherhobenen Armen: »Sammlung?« schreit er, »hab ich's nicht gleich gesagt, daß Du keine Ahnung von unsren wissenschaftlichen Bestrebungen hast? Ja wohl – sehr richtig! Unsre Zeit leistet was in Sammelwerken. Wir sammeln alle unsre Kenntnisse, als hätten wir nichts Andres zu tun. Und ein einziges Buch soll immer Alles umfassen – natürlich! An Selbstbewußtsein fehlt es unsern gelehrten Sammlern nicht. Wir tun so, als hätten wir garnicht mehr nötig – noch fürderhin zu forschen, zu ergründen oder klarzustellen – ih wo! Jeder Gelehrte glaubt, wir hätten bereits Alles begriffen und vollkommen erklärt – – – und es wäre heute nichts Anderes nötig als Sammeln – Sammeln – Sammeln!«

»Laß nur den Spott!« gibt da Jakuby lächelnd zurück, »hör nur dieses: Sind nicht die Geographen und Astronomen die Hauptgelehrten unsrer Zeit? Die Einen erforschen die Erde, die Andern den Himmel. Ist es nicht so?«

Battany nickt und wird milder.

Jakuby aber fährt jetzt mit stolz erhobener Nase fort: »So, mein Freund! Wer hat nun Recht? Wenn somit die Geographen und Astronomen die ganze Welt kennen lernen wollen – müssen sie da nicht sammeln? Müssen sie nicht? Müssen wir nicht Sammelwerke schreiben? Mein ›Buch der Länder‹ nenne ich mit Stolz ein Buch, das alles Wissenswerte der Erde zusammenfaßt.«

Battany wird unwillig; es kommt ihm so vor, als sei er plötzlich in die Enge getrieben. Er hustet verlegen, stützt sich mit dem rechten Unterarm auf das Geländer des Altans, blickt in den Garten hinunter, in dem die Mongolen langsam herumreiten, hustet wieder, um den Jakuby am Weitersprechen zu hindern, sammelt sich und sagt dann hastig:

»Nein – so ist es nicht. Umgekehrt ist es. Weil die Araber eigentlich überhaupt nur Sammelwerke schreiben, deswegen spielen die Geographen und Astronomen, deren Tätigkeit am meisten zum Sammeln verleitet, eine so große Rolle unter uns. Aber wir haben noch gar kein Recht zum Sammeln. Ans Sammeln darf man erst denken, wenn man eine Unmenge erforscht, entdeckt und begriffen hat. Wir haben aber noch lange nicht so viel wissenschaftlich feststehende Tatsachen erkannt, um die jetzt schon sammeln zu können. Du fragtest mich vorhin nach der Mondfinsternis. Siehst Du sie schon? Sie müßte nach meinen Berechnungen da sein – und sie ist noch nicht da. Ich habe genau gerechnet – und die Mondfinsternis ist doch nicht da. Ich stehe als Astronom immer vor unzähligen Fragen, die ich nicht beantworten kann – und trotzdem soll ich sammeln? Was denn? Etwa meine Fragen?«

Und unter den kräftigen Armbewegungen zitterte der ganze Leib des Astronomen.

Der Halbmond stand unglaublich ruhig da, ohne sich zu verfinstern. Nur der große Al Battany verfinsterte sich.

Jakuby allerdings glich eher in seiner Ruhe dem Halbmonde, wenn auch sein spitzes Gesicht durchaus nichts Mondartiges an sich hatte. Mit dem Gleichmut eines unüberwindlichen Siegers bemerkte er mit seiner hellen Fistelstimme so von oben herab:

»Du magst sagen, was Du willst! Die Geographen und Astronomen sind dennoch die größten Gelehrten, die man sich denken kann. Wir wollen eine ganze Welt kennen lernen, eine ganze Welt wissenschaftlich in uns aufnehmen. Wir stehen vor der größten Aufgabe, die man sich denken kann. Und wir werden diese Aufgabe überwältigen – wir haben sie bereits zum größten Teil überwältigt. Ich erinnere Dich nur an mein Buch der Länder...«

»Hör auf!« schreit Battany dazwischen, »Du bist und bleibst beneidenswert. Aber Du bist auch ein Kind. Du weißt garnicht, was in der Welt vorgeht. Du hast von der Welt keine Ahnung. Du willst eine Welt begreifen? Lächerlich! Albern! Was man nicht Alles wollen kann! Ein Prahlhans bist Du mit Deinem Wollen. Du erinnerst mich an einen Vielfraß, den unser Dichter Safur sehr schöne Verse sprechen ließ. Paß mal auf! Der Vielfraß sagt, als er hungrig zwar doch so prahlerisch wie ein echter arabischer Gelehrter in eine große Gesellschaft kommt, die mit der Mahlzeit beinahe fertig ist, also:

Weiß Allah, wann Ich mich mal verschnauf!Ich aß heut schon hundert Hammel auf,Verdaute sie gleich im DauerlaufUnd löschte den Durst mit dem ganzen Nil;Mir stak mang den Zähnen manch Krokodil;Ihr nennt das doch hoffentlich nicht zu viel –Mehr kann ich trotzdem noch essen.«

Und der Astronom steht breitbeinig da und brummt.

Jakuby macht ein verblüfftes Gesicht und versteht nicht, was Battany sagen will. Der indessen erklärt gleich, indem er fortfährt: »Du mußt eben nicht vergessen, daß unserm Können denn doch so manche Grenzen gezogen sind. Daß wir uns oft verrechnen – das ist noch nicht das Schlimmste. Du willst die ganze Welt kennen lernen. Nun sag' aber mal – ganz leise – unter uns! Ist Dir das auch von unserm Kalifen ausdrücklich erlaubt? Darfst Du das? Wir hier in Bagdad wissen sehr genau, daß der Kalif uns gar nicht erlauben will, der Wissenschaft so obzuliegen, wie wir möchten; denken und schreiben sollen wir eigentlich nicht. Wenn wir aber das nicht mal sollen, sind wir dann noch die ›größten‹ Gelehrten?«

Und nun streiten die Beiden nicht mehr über Sammeln und Forschen – sie flüstern nur noch ganz leise, zischeln sich immer wieder was ins Ohr – was von der Kalifenburg, von der Verfolgung der freien Wissenschaft und ähnlichen halb heiteren halb traurigen Dingen.

Der Schreiber Osman sitzt währenddem im Empfangssaal auf einem großen persischen Teppich mit untergeschlagenen Beinen finster brütend wie ein chinesischer Pagode da. Seine dünnen braunen baumwollenen Beinkleider hängen schlaff um die wulstigen Kniegelenke. Wie eine dicke Tonne steht der breite Fettleib des Schreibers auf dem Teppich. Ein ganz kurzes braunes Jäckchen ohne Ärmel umspannt des Schreibers breite Brust, auf der ein schneeweißes Leinenhemd vorschimmert. Die weiten Ärmel des Hemdes sind auch sehr sauber – der weiße Leinenturban ebenfalls. Das glatte braune Gesicht mit den dicken Pustbacken ist rund und voll. Die kleinen Augen starren auf die roten und blauen Muster des Teppichs, der geheimnisvoll wie ein Sterndeuterbuch aussieht und fast den ganzen Boden bedeckt. Osmans Stirn zeigt dicke Falten.

Der Empfangssaal ist eine offene Halle. Unter den zackig geschwungenen Säulenbogen sieht man den dunkelblauen Himmel mit den Sternen. Durch die offenen Säulenbogen geht es zum fünfeckigen Altan hinaus, auf dem Battany und Jakuby eifrig flüstern. Ein großer Himmelsglobus aus Kupfer thront vorn an der einen Seite des Saales. Hinten in den beiden Ecknischen der mit roten und silbernen Querstreifen bemalten Wände brennt in zwei Kohlenbecken duftiges arabisches Räucherwerk. Die leichten wirbelnden Rauchwolken schweben durch das ganze Gemach in langen bläulichen Fäden dahin. Osman sitzt mitten auf dem Teppich mit der Stirn dem Himmel zu und grübelt...

Neben dem dicken Schreiber Osman rechts auf einem kleinen fünfeckigen Ebenholztische dampft heißer chinesischer Tee in feiner Porzellanschale. Der Schreiber Osman ist kein gewöhnlicher Schreiber, er läßt seine Gehilfen schreiben; er handelt nur mit den Büchern der großen Gelehrten, die ihre Schriften ihm zur Vervielfältigung und Verbreitung übergeben. Der Buchhändler hat schwere geschäftliche Sorgen, er sitzt und rechnet und brütet und nickt dabei zuweilen mit dem dicken Kopf langsam bedächtig wie ein Pagode beim Kalifen von Peking.

Bücherrollen liegen auf dem Teppich kreuz und quer. Dem Globus gegenüber in einer Alabasternische funkelt ein kupfernes Waschbecken – fein getriebene Arbeit; das Gestell besteht aus drei schweren reich verzierten Eisenfüßen, die sich unten auf dem schwarzen Fliesenboden schneckenartig umkrümmen...

Von der zierlichen Decke oben, über die sich geometrische Figuren in blauen und grünen Linien auf goldnem Grunde durcheinander spinnen, hängen an eisernen Ketten bunte maurische Lampen hernieder. Sie beleuchten das braune Fettgesicht des dicken Schreibers und lassen auch eine indische sitzende Götterfigur mitten im Hintergrunde sichtbar werden. Der Götze sitzt aber höher als der Schreiber.......

Im Empfangssaal ist es ganz still. Nur die glühenden Kohlen knistern ein bißchen. Die duftigen blauen Räucherwolken wirbeln zur zierlichen Decke, ziehen in langen Fäden langsam durch die Säulenbogen in die Mondnacht hinaus.

Zu Osman in die Empfangshalle kommen nun mit dem gelehrten Kodama die beiden Dichter Suleiman und Safur. Kodamas wohltönende Stimme wird von Osman schon von fern, als die Drei noch unten auf der Treppe waren, gehört. Kodama ist auch ein Geograph, aber er läßt sich nicht gern so nennen, weil er nicht gern reisen mag... er ist zu dick.

Osman blickt die Kommenden traurig an.

Kodama schmunzelt so recht inniglich vergnügt, er ist fast ebenso dick wie der dicke Schreiber.

Osmans Mondgesicht glänzt, des Geographen Mondgesicht glänzt auch. Dessen gelbseidener Turban ist sehr schön. Ach – Kodamas kurzer schwarzer Sammetrock ist auch sehr schön, und gar seine breiten schwarzseidenen Hosen – die sind die schönsten Pluderhosen in ganz Bagdad.

»Aber Osman, warum bist Du denn so traurig?« ruft der Geograph, und er schüttelt sich vor Lachen, daß ihm die hellen Tränen über die rasierten braunen Wangen rollen.

Osman schweigt, und seine Miene wird noch kummervoller.

Safur betrachtet das indische Götzenbild. Suleiman wärmt sich die Hände vor dem einen Kohlenbecken. Kodama streichelt den runden kupfernen Himmelsglobus und wendet sich plötzlich ganz ernst zum jungen Safur und sagt sehr wohltönend: »Sieh nur, mein Teurer, hier kannst Du was lernen. So rund wie diese Kugel ist auch unsre Erde – ja! ja! Hast Du denn schon meine kleine Schrift über die Kugelgestalt der Erde zu Ende gelesen? Nein? Ich kann Dir nur raten – lies, was ich da geschrieben. Das könnte Dich auch dichterisch anregen. Glaubst Du nicht, daß der Mensch auch so rund wie eine Kugel werden könnte? Ich sage Dir: möglich ist das. Zum mindesten sollten wir immer bestrebt sein, runder zu werden. Dürfte nicht mein Leib noch schöner aussehen, wenn er noch runder würde? Bist Du auch rund? Nein? Warum nicht?«

Safur lacht laut auf und geht hinaus auf den Altan, wendet sich aber gleich zur Linken und schreitet eilig über die Brücke zum Mittelturm; seinen Freund Abu Maschar, der noch immer oben auf dem Turme wie eine Bildsäule dasteht, will er besuchen.

Indessen – Kodama setzt sich behaglich neben Osman auf den persischen Teppich und fragt den traurigen Schreiber:

»Na, was hast Du denn?«

Kodama bekommt leider keine Antwort.

Battany und Jakuby treten grade – immer noch flüsternd – mit mürrischen Gesichtern in den Empfangssaal. Sie sehen Bagdads dickste Freunde merkwürdig steif auf dem Teppich sitzen. Suleiman wärmt sich noch immer die Hände an dem einen Kohlenbecken.

Man begrüßt sich, indem man schweigend leicht das Haupt nach vorne beugt, was sehr drollig aussieht...

Es ist einen Augenblick wieder still.

Dann jedoch knarren die Treppenstufen, und herein stürmt wie ein Wilder der große Philosoph Abu Hischam.

Malerisch schlottert ihm sein alter Kittel um die dürren Beine, die armenische Pelzmütze sitzt ihm schief auf den lockigen braunen Haaren, sein zottiger Bart zittert ihm, und die großen braunen Augen rollen ihm im Kopfe.

Abu Hischam haut mit der Faust auf den Globus und stampft mit dem rechten Fuß auf den Boden.

Kodama springt empor. Suleiman, Battany und Jakuby kommen erschrocken näher.

»Was ist denn los?« schreit der dicke Kodama.

Doch der Philosoph reckt die Faust zum Himmel auf und fragt heiser: »Wißt Ihr noch Nichts?«

»Ich weiß Alles!« ruft traurig der dicke Schreiber.

Die Andern aber wollen nun wissen, was los ist. Und Abu Hischam erzählt wirr und erregt: »Was wir immer gefürchtet, ist geschehn. Der Kalif Mutadid – dieser Hund – er hat's gewagt – er hat ein neues Gesetz erlassen. Er hat verboten – man höre nur! – Bücher herauszugeben, die einen philosophischen oder politischen Inhalt haben. Das heißt: wir dürfen überhaupt keine Bücher mehr herausgeben. Ist das nicht stark? Weder Philosophisches noch Politisches soll ins Volk dringen – das heißt: wissenschaftliche Bücher sollen nicht mehr geschrieben werden. Was sagt Ihr nun? Er hat's gewagt! Der Hund! Der Hund! Dieses verfluchte Aas!«

Und alle Sechs werden fürchterlich wütend – sie schreien gellend durcheinander.

Battanys Toga fliegt umher wie ein Segel im Sturm. Jakuby fuchtelt mit dem rechten Zeigefinger vor seiner Nase herum. Kodama schlägt sich immerfort mit den Fäusten vor die Brust. Suleiman ringt die Hände. Osman stöhnt.

Der Philosoph Abu Hischam brüllt wie ein Stier, schimpft wie ein Kameltreiber und hält, wie sich der Lärm ein wenig gelegt, eine Rede:

»Freunde!« ruft er, »was ich schon immer empfahl, das empfehle ich jetzt noch einmal – das muß jetzt endlich zur Tat werden. Wir müssen einen Geheimbund gründen und unsre Bücher unter uns herausgeben – nicht fürs Volk. Was haben wir davon, wenn unsre Bücher gekauft und gelesen werden von Leuten, die uns gar nicht verstehen können? Bilden wir lieber endlich eine abgeschlossene gelehrte Gesellschaft, die ihre Bücher nur unter ihren Mitgliedern verteilt. Wir Gelehrte schreiben doch nur für die andren Gelehrten – laßt uns drum einen Bund schließen, wie ich's schon öfters empfohlen habe. Wir brauchen unsre Bücher garnicht öffentlich herauszugeben. Fürs Volk schreiben wir ja doch nicht. Wir versenden unsre Bücher nur an die einzelnen Mitglieder des zu uns gehörenden Gelehrtenbundes und pfeifen dann auf die Gesetze des dummen Mutadid, der besser täte, wenn er in den Wallgräben Bagdads die Schweine hütete.«

Nach dieser unerwarteten Rede springt auch endlich der Schreiber Osman auf, der bis dahin still auf dem persischen Teppich saß und chinesischen Tee trank. Osman erhob sich furchtbar schnell, was so aussah, als wenn ein Gummiball einen Klaps bekommt.

»Ihr habt ja kein Geld!« schreit der Schreiber, »wollt Ihr Eure Bücher verschenken?«

Und es entsteht ein neuer Lärm – der ist noch wüster als der erste. Jakuby bemüht sich vergeblich, das Gespräch auf die bevorstehende Mondfinsternis, die gar nicht erscheinen will, zu lenken.

Schließlich reden Alle zugleich, sie schreien die Worte mit versengendem Glutblick einander zu. Niemand versteht, was sie so heftig sagen...

Safur aber oben auf dem Mittelturm schwärmt dem großen Sterndeuter Abu Maschar von Himmelsgeistern und herrlichen Huris, von den alten Göttern und von den alten Gespenstern begeistert etwas vor – er sagt: »Wenn ich so im tiefen unendlichen Blau die strahlenden Himmelsblüten schaue, dann fühlt sich meine Seele oft so mächtig bewegt, und ich träume mir dann da oben eine Welt zusammen, in der Götter hausen, übermenschliche Wesen, die noch viel feiner empfinden können als die besten Dichter der Erde. Oh, Abu Maschar, muß es nicht dort oben in den freien Weltallüften viel wundervoller sein als hier bei uns?«

Abu Maschar erwidert mit ganz leiser Stimme:

»Kein Ort der Erde ist wirklich schöner als der andre. Wir können überall glücklich sein. Die Zustände sind überall gleich gut und gleich schlecht, wie man gerade sagen will. Und in andren Welten kann's eigentlich auch nicht anders sein. Sieh, Safur, das ist eigentlich das Geheimnis meiner Prophetengabe, daß ich nirgendwo und auch nirgendwann einen besseren Zustand vermute als den, welchen ich grad' in den einzelnen Augenblicken meines Lebens empfinde. Die Zukunft ist für uns kein verschlossenes Buch. Zu allen Zeiten war es im Grunde genau so gut und genau so schlecht um die Menschen bestellt als zu unsrer Zeit hier in Bagdad. Daß ich fest daran glaube, die Welt wird weder besser noch schlechter, eine wirklich wesentliche Weiterentwicklung der Menschen gibt es garnicht – dieser Glaube hält mich grade, macht mich sicher, stolz, fest und bewußt – das macht mich zum Propheten.... wie mich die Gelehrten in der Moschee spöttisch nennen. Ja, Safur, ich bin ein Prophet; wenn ich in die Sterne schaue, so sehe ich die Zukunft – – – unsre Welt ist eben so wenig veränderlich wie der Sternenhimmel. Scheinbar nur bietet sich uns ein ewiger Wechsel dar. Die Zukunft wird ebenso aussehen wie die Gegenwart. Dieses Wort vergiß nicht, Safur! Was ich sonst noch prophezeie, ist im Grunde leerer bedeutungsloser Scherz. Die Welt bleibt – wie sie ist. Werde so ruhig wie dieser Sternenhimmel und hoffe nicht auf andre oder bessere Zeiten.«

Ein duftender Blütenwind weht durch Abu Maschars weißes Beduinengewand. Safur schaut mit trunkenen Blicken zum schwarzen Saturn... Der Dichter versteht den Propheten.

Der Lärm in der Empfangshalle dringt jetzt schwächer zum Mittelturm empor.

Ruhig steht der Halbmond – glänzend – ohne jeden Schatten über der alten Sternwarte, die einst der gebildete Kalif Mamun für seine Himmelsfreunde erbauen ließ.

Safur und Abu Maschar schauen schweigend in die Sterne, die verblassen, da der Mond zu hell ist.

Doch jetzt klopft es leise.

Ein schwarzer Sklave steigt langsam die letzten Stufen der Treppe hinauf und sagt ganz behutsam, um nicht zu stören:

»Der Herr Battany will auf'm Boot im Tigris hin- und herfahren – läßt bitten, mitzukommen.«

»Eine Kahnfahrt?« ruft Safur.

»Was gibt die Veranlassung?« fragt Abu Maschar.

»Der Mond scheint dem Herrn Battany zu hell«, erwidert ernst der schwarze Sklave.

Die beiden Freunde schauen sich an und – lächeln. Schmunzelnd folgen sie dem Schwarzen, der hurtig die Treppe hinunterstolpert.

Unten zügeln die beiden Mongolen ihre schäumenden Rosse.

Die Sklaven rennen treppauf und treppab.

Alles ist in Bewegung – auf der Sternwarte.

Der Halbmond steht ruhig am Himmel – und glänzt.

Das dritte Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Lange feine Lichtfäden glitzern auf den lustigen kleinen Wellen des Tigris; das Licht von vielen Böten und das Licht von den helleren Sternen spiegelt sich in der lauen Flut.

Battany steht auf der äußersten Spitze des großen Bretterstegs, an dem die Lustbarken Bagdads zu landen pflegen, und starrt hinein in den großen breiten Strom, auf dessen Wellen die langen Lichtfäden glitzern.

Der Astronom atmet tief auf.

Er ist einen Augenblick allein.

Die kleinen Wellen plätschern um den Brettersteg.

Ein kühler Wind weht sacht übers Wasser dahin.

Der Tigris ist groß und breit.

Die Rechte hat Battany fest aufs Herz gepreßt. Sein Hals reckt sich sehnig nach vorn. Seine Stirn ist von tiefen Falten durchfurcht. Und seine Augen brennen.

Er murmelt:

»Jakuby ist beneidenswert! Jakuby ist beneidenswert!«

Dem großen Gelehrten treten Wuttränen in's Auge.

Er stöhnt laut – erschrickt dann und spricht zu sich selbst – leise – mit knirschenden Zähnen:

»Jetzt werden sie kommen und mich höhnen! Der Mond ist hell – er steht hinter mir – hinter den Bäumen und lacht! Bei Allah! Ich versteh's nicht! Ich versteh' Nichts! Wir können – Garnichts! Nur die Esel bilden sich ein, was zu können! Wenn ich nur Etwas vollbracht hätte – nur Etwas! Aber – mir ward es versagt! Ich habe gearbeitet wie ein Steinträger und Nichts dafür errungen – Nichts! Ich bin nur einsam geworden. Kein Freund tröstet mich – kein Freund! Ich hab allein meine Qual zu tragen – allein!«

Und er stöhnt wieder und atmet hastig – mit der Linken fährt er sich über die nassen Augen.

Er blickt nach rechts – er wartet auf seine Barke.

Doch die Barke kommt nicht.

»Heute kommt Garnichts«, murmelt er Zähne knirschend.

Seine schwarzen Sklaven stehen mit Pechfackeln am Strande.

Das Schilf wird grell beleuchtet.

Von der Seite, von der Battanys Barke kommen soll, kommt Nichts. Aber auf der andren Seite werden nun vier grüne Lampen sichtbar – es nahen sehr rasch vier große Böte, auf denen sehr laut gelärmt wird.

Battany horcht und will zum Ufer zurück – er kennt die Stimmen, die da in den vier Böten lärmen.

Die Tofailys nahen.

Doch Battany besinnt sich und bleibt trotzig stehen.

Die Tofailys sind tolles Volk – sie bilden Bagdads berüchtigte Prassergilde. Schlemmer sind die Tofailys. Aber sie schlemmen nicht auf eigene Kosten – sie lassen sich immer einladen. Geld besitzen die Tofailys fast niemals – aber betrunken sind die Tofailys fast immer – auch jetzt.

Battany stampft zornig mit dem Fuß auf, daß der Brettersteg poltert und wackelt, denn am Ufer erscheinen grade seine sieben Freunde – Kodama und Abu Maschar an der Spitze.

Ein Zusammenstoß mit den Tofailys ist unvermeidlich.

Auf dem größten der vier Böte steht der alte bucklige Dichter Al Rumy – der hat den Al Battany schon gesehen, ruft ihm gleich höhnisch zu:

»Mondprophet! Die Halbmonde wollen ja nicht so, wie Du willst! Laß den Glanz Deiner Goldstücke heller strahlen, dann werden die Halbmonde sich eher verdunkeln lassen! Halbmondprophet! Du Lichtfeind!«

Da – im Handumdrehen – blitzt Battanys krummer Säbel drohend über seiner indischen Mütze.

Und – wie natürlich – blitzen auf den Böten der Tofailys sofort ebenfalls die Säbel.

Der bucklige Al Rumy holt sein grades Schwert langsam und lachend hervor und deutet mit der Spitze des graden Schwertes tückisch auf den Astronomen.

Die Tofailys sind nur noch wenige Schritte vom Brettersteg entfernt.

Die Zahl der auf den vier Böten aufleuchtenden Klingen ist nicht allzu groß; die meisten Tofailys haben ihre Säbel in den Weinkneipen der Stadt als Pfand hinterlassen – versetzt – was in Bagdad sehr häufig vorzukommen pflegt.

Indes – Battany ist fast allein.

Die schwarzen Sklaven mit ihren Pechfackeln schreien nur, sind nicht sehr tapfer.

Battanys Freunde sind gleichfalls ihrer Tapferkeit wegen nicht berühmt – nur Safur läuft auf den Steg, zieht seinen langen Dolch und hält diesen wie einen kleinen Speer wurfbereit.

Der Kampf erscheint unvermeidlich.

Doch da – plötzlich – spritzt das Wasser am Ufer hoch auf. Unverständliche Flüche schallen durch die Luft – und zwei schnaubende schwarze Hengste schäumen in den Tigris hinein. Auf den Hengsten sitzen die beiden Mongolen; wild funkeln ihre Augen. Die Spitzen der langen Lanzen blitzen im grellen Fackellicht – ganz hoch in der Luft.

Und im selben Nu verschwinden die Säbel der Tofailys.

Die betrunkenen Prasser springen danach lachend, als wenn Garnichts los wäre, aus den Böten raus, patschen durchs Wasser zum Ufer – oder klettern auf den Brettersteg.

Torkelnd und johlend ziehen die Betrunknen die Kähne ans Land.

Die Mongolen senken die Lanzen und sehen zu – reiten dann gemächlich an den Strand zurück.

Die Tofailys sind nicht Bagdads Dummköpfe – im Gegenteil – Gelehrte und Dichter sind's zumeist.

Der junge Geograph Hamadany ist zum Beispiel ein sehr gescheiter Mann – und dennoch hat er wieder viel zu viel getrunken; bewußtlos liegt er in dem einen Kahn, sein Kopf hängt laut schnarchend hinten über. Die Schiffer haben große Mühe, die schlaffen Glieder des Trunkenbolds ans Land zu schleppen.

Die Weinschläuche der Tofailys sind fast sämtlich leer. Ein paar jüngere Weinhändler zanken sich deshalb – denn sie wollen von einander erfahren, wer von ihnen die fernerhin noch für die Gesellschaft nötigen Schläuche beschaffen wird. Ein derartiger Zank dauert immer sehr lange.

Währenddem höhnt ein Krämer den Safur, meint so leichthin: »Na, Freundchen! Hat Dir auch Deine Tarub, Bagdads berühmte Köchin, wieder ein paar Pasteten in die Tasche gesteckt? Gib mir was ab! Ich hab Hunger!«

Safur dreht sich um – nach der andren Seite.

Battanys Barke ist endlich angekommen.

Osman und Kodama sind die Ersten, die in den schönen langen Kahn steigen.

Jakuby und Suleiman folgen gleich dem Beispiel der Dicken – sind aber nicht so sicher wie diese in den Arm- und Beinbewegungen.

Abu Hischam und Abu Maschar sprechen so eifrig, daß sie erst von Safur zum Einsteigen aufgefordert werden müssen.

Wie diese letzten Drei im Kahne Platz gefunden, überreichen die schwarzen Sklaven die Fackeln den Ruderern, heben den Battany sehr gewandt auch ins Boot und stoßen das Fahrzeug in den Strom hinein.

Die Tofailys lärmen wieder lauter.

Der Dichter Buchtury rennt jetzt mit einem halben Dutzend verrufener Tänzerinnen auf den Brettersteg und ruft den Abfahrenden noch einige Bosheiten nach – die versteht man aber nicht mehr.

Battanys Barke wird sacht in die Mitte des Stroms hineingerudert – dort stößt heftig der Wind in die Segel.

Und fort geht's stromabwärts.

Die Pechfackeln knistern, flammen, lodern und werfen lange rote Farbenbündel, die immerfort wackeln, ins Wasser.

Die Wellen klingen plätschernd um die Planken der langen Barke... sie brodeln und murmeln vorn um den weißen Holzschwan, der die Spitze des Schiffes verziert...

Die eine Pechfackel hängt – vorn an einer Stange befestigt – hoch über dem langen Schwanenhals, ragt aber noch weiter vor als dieser... in den dunkelblauen Himmel hinein.

Hinter dem Schwan sitzt Abu Maschar in seinem weißen Beduinengewande und streichelt mit seinen langen braunen Fingern seinen langen schwarzen Bart.

Neben dem Propheten sitzt Safur. Der steckt jetzt seine rechte Hand vorsichtig in die laue Flut, und die Wasser wirbeln schäumend um seine braunen Finger.

Der Dichter fühlt, wie der Tigris wohlig um seine Handfläche strudelt, wieder und wieder durch die Finger gleitet und so weich die Gedanken belebt – auch so voll sich anpackt wie flüssiger Schlamm.

Kitzelnd spülen die Wogen um die Fingerspitzen des Dichters.

Jasminduft weht vom Strande herüber.

Battany und seine Freunde heben lächelnd die Nasen höher – Suleiman besonders – der spricht dabei zu Jakuby von Narzissen und Lilien, von Wasserrosen und Riesenveilchen...

Die Gärten Bagdads liegen an den Ufern des Tigris wie schlafende Jungfraun, und ihre überreiche Blütenpracht schwellt vollen Wohlgeruch auf den breiten Strom hinaus...

Prachtvoll ist die Nacht.

Die Sterne funkeln, die Fackeln flackern, und die Wellen klingen plätschernd gegen die Barke an.

Der Astronom ist leider noch immer nicht heiter – in dieser herrlichen Nacht, in der selbst Indiens verwöhnte Götter selig lächeln würden.

Die Stimmung ist auf der Barke ein bißchen gedrückt.

Osman – der Schreiber – ist entschieden der Traurigste.

Kodama unter seinem gelben Turban scheint am lustigsten zu sein.

Von den Fackeln werden grell beleuchtet – die Dichter, die Gelehrten und die Sklaven.

Dem Philosophen Abu Hischam wird die Pelzmütze zu warm, er nimmt sie ab. Battany wundert sich darüber – – – er sieht den Osman unter dem weißen neben Kodama unter dem gelben Turban, Jakuby unter dem lila gefärbten neben Suleiman unter dem schmutzigen Turban ganz schweigend dasitzen. Auch Safur und Abu Maschar in ihren Beduinengewändern sitzen vorn ganz schweigend da...

Und der Astronom erinnert sich plötzlich, daß er seine Freunde zu einer »Vergnügungsfahrt« einlud.

Und er flüstert einem älteren Sklaven einen kurzen Befehl zu.

Und gleich darauf packen die gehorsamen Diener geschäftig die Wein- und Eßkörbe aus.

Das verbessert die Stimmung.

Der große Goldpokal wird mit Scherbett, dem berühmten würzigen Eiswein, gefüllt.

Bald geht der Pokal von Hand zu Hand.

Alle trinken schmunzelnd mit der Zunge schnalzend das eiskalte duftende Getränk.....

Alsdann werden Datteln und Bananen, Feigen und Kirschen, Äpfel und Mandeln, Weintrauben, Pfirsiche, Nüsse, Oliven, Erdbeeren und kleine ovale Honigkuchen in fein getriebenen Metallschalen herumgereicht...

Kodama knackt eine Nuß und fragt den Safur, der in der Linken den Pokal und die Rechte noch immer im Wasser hält: »Sage mal, lieber Freund, Du siehst so träumerisch mich an – denkst Du an Deine Tarub? wie geht es denn Deiner berühmten Köchin? wird sie nicht bald wieder eine neue Torte backen? – mit Zucker, Zitronen und – und frischen Kräutern oder so was weich Zerfließendes? Hm?«

»Frag sie doch selber«, gibt Safur zurück, »warum soll ich jetzt an die Tarub denken? Die Nacht ist so prächtig, und ich fühle nur, wie wohlig sich das Wasser anfassen läßt. Die Empfindungen der Hand scheinen mir augenblicklich noch viel feinsinniger als dieser Eiswein. Trink Du, Abu Maschar! Und wenn Du mir einen Apfel schälen wolltest, würd' ich Dir dankbar sein. Hier ist mein Dolch.«

Abu Maschar nickt, nimmt den Dolch und schält den Apfel.

Kodama wendet sich an Osman und versucht, ihn wieder zu trösten.

Osman lächelt schwach und meint:

»Die Luft ist sehr erquickend. Wenn jetzt ein Dichter Obstverse vortrüge, würd' ich mich sehr freuen.«

Dabei lächelt der Dicke schon ganz behaglich, ißt eine rote Kirsche nach der andern – und fühlt sich allmählich immer wohler – vergißt sein Geschäft und seine Sorgen.

Die Kirschen sind gut.

Safur, der sonst für jede Speise, für alles Süße und für alles Saure prickelnde Vierzeiler aus seinem Beduinengewande herauszuschütteln pflegt, schweigt – schweigt hartnäckig.

Suleiman, der am Maste sitzt, beugt sich daher bedächtig zu den beiden Dicken hinüber und spricht laut mit emporgezogenen Augenbrauen:

»Ich sah im Traume eine Apfelkrone,Und die stülpt ich mir behutsam auf den kahlen Kopf.Doch Osman schenkte stöhnend mir zum HohneEinen Kirschenzepter, tragen sollt ich den als Zopf.«

Alle lachen nun sehr laut. Suleiman muß seine Verse wiederholen. Selbst Battany muß lachen.

Nur Osman lacht nicht. Der nimmt behutsam seinen weißen reinen Turban ab und reicht ihn dem alten Dichter, der kopfnickend für den neuen seinen alten gibt.

Jetzt wird's gemütlich.

Wieder geht der Goldpokal mit dem köstlichen Scherbett von Hand zu Hand. Der Wind bläst noch kräftiger in die Segel. Die Wellen klingen hell plätschernd um die Planken. Die Sterne funkeln. Die Barke schaukelt.

Abu Hischam spielte mit seiner Pelzmütze. Bald gab er ihr einen Puff mit der Faust, bald streichelte er das schwarze Fell. Er knillte die Mütz' und preßte sie, hielt sie mit zwei Fingern an ein paar Haaren fest und ließ sie baumeln. Dann warf er sie ein wenig empor, fing sie geschickt wieder auf, schlug sie, wie man ein Kind schlägt, versuchte sie auch auszuwringen, wie's die Wäscherinnen mit schmutziger Wäsche zu tun pflegen... schließlich fuhr er sich mit der rechten Hand durch die wüst ins Gesicht hängenden Haare und klopfte gleich darauf dem Battany aufs Knie. Da ihm Jakuby gleichzeitig den Goldpokal reichte, so setzte er rasch seine Pelzmütz' wieder auf den Kopf und trank hastig... aber alsdann sprach er:

»Battany, hör mal! Du, Suleiman, paß auch auf! Sagt doch! Noch einmal! Auf der Sternwarte ließet Ihr mich nicht ordentlich ausreden. Warum sollen wir denn nicht? Ist es denn nicht wirklich an der Zeit, einen großen Gelehrtenbund zu gründen? Alle Gelehrten müssen, wie ich's schon öfters empfahl, diesem Gelehrtenbunde angehören. Wir könnten uns vielleicht ›die aufrichtigen Brüder‹ nennen – oder – oder – ›die lauteren Brüder‹.... Wie denkt Ihr darüber? Könnten wir nicht einmal ganz in Ruhe die Sache überlegen? Was? Ein Gelehrtenbund muß es sein, und alle Gelehrten müssen dem Bunde angehören. Niemand darf fehlen. Auch die Tofailys dürfen nicht vernachlässigt werden. Werde nicht gleich wütend, Battany! Schufte sind es zwar, doch trotzdem sind sehr viele feine Köpfe unter diesen Tofailys. Eigentlich müssen wir uns doch auch zu den Tofailys zählen. Gewiß, Battany! Rede nicht! Glaub's mir! Boshaft sind ja die Schurken, wir sind's aber auch. Du kennst mich ja, Battany. Du wirst mich nicht mißverstehen. Was sagst Du, Jakuby?«

Jakuby versetzte mit seiner Fistelstimme:

»Ich bin der Ansicht, daß eine so gänzlich abgeschlossene Stellung der Gelehrtenwelt dieser nicht zum Vorteile gereichen kann.«

»Und ich«, warf Battany verächtlich die Mundwinkel runterziehend dazwischen, »habe mich niemals zu den Tofailys gerechnet. Ich pflege in andrer Weise die Genüsse der Erde durchzukosten – niemals in bezechter Bewußtlosigkeit.«

Weiche feine Saitenklänge dringen aus den Gärten, die am Ufer liegen, auf den breiten Tigrisstrom hinaus.

Auch eine Flöte ist zu hören.

Abu Hischam fängt nach kurzer Pause wieder an – heftig – also:

»Aber Prasser sind wir dennoch! Jeder praßt nur in seiner eigenen Art. Ich mache mir auch Nichts aus feinen Fressereien. Was geht's mich an, wie eine Torte schmeckt... ich bin froh, wenn ich meinen Hunger stillen kann. Doch – genießen – prassen – will ich auch. Ich bin nur derber als Ihr. Wenn wir auch nicht so reich sind, wie Du, lieber Battany, so bist Du doch nicht mehr als wir. Du bist ein Astronom, und ich bin ein Philosoph. Das heißt: wir sind zwei Gelehrte. Wir sind sämtlich Gelehrte.«

»Außer Osman«, ruft Safur von der Spitze der Barke nach hinten hinüber.

»Ganz recht, Safur«, sagt der Philosoph, »daß hier Niemand etwas vor dem Andern voraus hat – das ist also klar.«

»Ja! Ja!« meint nun Jakuby liebenswürdig, »Dein Buch ›Der Zweifler‹ scheint mir sogar sehr – höchst bedeutsam zu sein. Zwar – ich habe nicht Alles verstanden...«

»Ich auch nicht«, schreit lustig Kodama, klopft dabei dem noch immer nicht so recht vergnügten Osman herzhaft auf die Schulter.

Alle müssen lachen.

Abu Hischam spielt wieder mit seiner Pelzmütz und schwenkt sie schließlich überm Kopf, damit die Andern wieder auf ihn aufmerksam werden.

Kodama jedoch reicht dem Philosophen den Goldpokal; der Philosoph soll erst wieder trinken. Nach dem Trunk läßt der sich aber nicht mehr behindern, er redet wieder – folgendermaßen:

»Kommen wir also zum Schluß! Sagt! Seid Ihr jetzt nicht mit mir der Überzeugung, daß wir gezwungen sind, uns zusammenzutun? Das Verbot des dummen Kalifen sagt doch genug. Die Nacht ist sehr schön. Die Möwen krächzen. Wir segeln einer großen Zukunft entgegen. Der entscheidende Augenblick ist gekommen. Demnach! Brüder! Hört! Wollen wir jetzt nicht gleich unsern Bund, den ›Bund der lauteren Brüder‹, in aller Form begründen? Jetzt gleich muß es geschehen. Warum sollen wir's denn aufschieben?«

»Ihr wollt wohl eine neue Prassergilde schaffen?« stößt nun aufgeregt der dicke Osman hervor.

»Nein, wir wollen«, entgegnet Abu Hischam klug, »der Prassergilde eine Gelehrtengilde gegenüberstellen. Nicht wahr, Battany? Bist Du nicht auf meiner Seite, wenn wir eine Gelehrtengilde gründen, die im vollen bewußten Gegensatz zur Prassergilde der Tofailys steht?«

»Du willst wohl nur«, wirft da höhnisch der Kodama ein, »daß wir uns aufregen und demgemäß rascher zechen als sonst. Nimm! Hier hast Du den Krug! Keiner wehrt Dir heute mehr zu trinken als sonst. Ich trink auch immer mehr – immer mehr!«

Abu Hischam lacht und trinkt.

Battany pfeift dazu.

Jakuby räuspert sich – so verständnisinnig. Osman bricht aber in ein schallendes Hohngelächter aus, sodaß sich selbst der gutmütige Suleiman unwillig umwendet.

Eine andere Barke, auch von Pechfackeln erleuchtet – wird dabei vorübergerudert – stromaufwärts.

Eine tiefe Frauenstimme tönt dunkel und tieftraurig aus dieser Barke hervor; ein südarabisches Totenlied hallt unheimlich übers Wasser hin.

Battany und seine Freunde lauschen.

Abu Maschar, dem vorn allmählich zu häufig die Wellen über Bord spritzen, geht jetzt in die Mitte des Kahnes und setzt sich dem Abu Hischam gegenüber.

Kodama gibt einem Sklaven, der nicht schnell genug dem Sterndeuter Platz macht, einen sanften Klaps auf den Hinterkopf.

Wie das südarabische Totenlied in der Ferne verhallt, ergreift Abu Maschar, der bisher ganz still war, etwas feierlich das Wort. Er spricht leise, fast flüsternd:

»Warum sollen wir eigentlich einen neuen Geheimbund gründen? Wir Gelehrten bilden doch bereits in der Menschenwelt eine so abgeschlossene Gesellschaft, daß wir diese auch schon einen Geheimbund nennen könnten. Sind nicht die alten Gesellschaftsformen, so wie sie sind, für unser Gesellschaftsbedürfnis vollauf genug? Wer wüst prassen und zechen will, kann sich jederzeit unter die Tofailys begeben. Wer feinere Gesellschaftsgenüsse verlangt, findet sie bei unsrem gastfreien Battany auf schaukelnden Barken und auf unsrer Sternwarte. Sind nicht schon in den Verhältnissen, in denen wir jetzt grade leben, eigentlich sämtliche Glückserreger, die uns in den verschiedenen Augenblicken unsres Lebens unentbehrlich erscheinen enthalten? Was wir bedürfen, verlangen und wünschen, das können wir unter den augenblicklich obwaltenden Verhältnissen ebenso leicht und bequem erreichen wie in den erhofften anderen Zuständen, die wir immer erst schaffen müssen. Jedoch – wir haben garnicht nötig, etwas Neues zu schaffen. Alles, was wir wirklich brauchen, ist bereits da. Glaubt Ihr, die Welt könnte noch besser werden? Glaubt Ihr, ein Geheimbund könnte jemals irgend etwas besser machen? Die Welt ist, wie sie war – und – wird – so – bleiben. Wir haben keine Ursache, die sogenannte Entwicklung der Menschheit irgendwie zu fördern. Eine Entwicklung gibt es ja garnicht. Wir werden nicht klüger werden, als wir sind. Die Menschen werden nach tausend Jahren grade so klug und grade so dumm sein – wie wir's heute sind.«

Abu Maschar hielt inne, seine Augen glänzten im grellen Fackellicht – wunderbar schön.

Alle hatten aufmerksam zugehört.

Safur und Suleiman sahen – – bewundernd den großen Propheten an; den Dichtern paßte die Weisheit des großen Sterndeuters.

Jakuby jedoch und auch Battany sträubten sich gegen diese Weisheit, hätten gerne gleich erwidert... wenn sie nur gewußt hätten – wie – und was.

Osman und Kodama fühlten sich auch nicht angenehm berührt. Kodama mochte nicht allzu viel nachdenken, liebte die längeren, umständlichen Erörterungen ganz und gar nicht – liebte die bequeme Kürze, den gedrungenen Witz, das abschneidende Schlagwort...

Und Osman – ja – der wußte nicht recht, ob Abu Maschar die richtige Persönlichkeit sein würde, den Abu Hischam mit seinem dummen Gelehrtenbunde mundtot zu machen. Der dicke Schreiber kannte den leicht erregbaren Philosophen sehr genau – so leicht war der nicht tot zu kriegen.