Das große Buch vom Räuchern - Franz X. J. Huber - E-Book

Das große Buch vom Räuchern E-Book

Franz X. J. Huber

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Beschreibung

Mit Alant das Gedächtnis stärken, mit Copal kreativ werden, mit Lorbeer Visionen herbeirufen und mit Zypresse das innere Gleichgewicht wiederfinden – die Möglichkeiten des Räucherns sind unermesslich. Der bekannte Experte Franz X. J. Huber, der seit gut 30 Jahren erlesenes Räucherwerk aus aller Welt importiert, erklärt, was die verschiedenen Blüten, Kräuter, Hölzer und Harze bewirken. Auch kraftvolle Mischungen, die sich für die Entspannung, zur energetischen Reinigung, in den Rauhnächten oder als Liebeszauber bewährt haben, stellt er vor. Ein unverzichtbares Nachschlagewerk für jeden Räucherbegeisterten! Lexikon zu 94 Räucherstoffen und deren Wirkung 80 Rezepturen für jeden Anlass und jedes Lebensthema Schritt-für-Schritt-Anleitung für die eigene Räucherpraxis spannendes Hintergrundwissen »Räucherwerk ist ein machtvolles Werkzeug. Der Geist der Pflanze, der sich im Rauch offenbart, macht uns zutiefst lebendig und wirkt heilsam, indem er uns als Ganzes anspricht. Denn Düfte entfalten auf verschiedenen Ebenen unseres Seins ihre Wirkung: körperlich, seelisch und emotional.« Franz X. J. Huber

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Die Ratschläge in diesem Buch sind sorgfältig erwogen und geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat, sondern dienen der Begleitung und der Anregung der Selbstheilungskräfte. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen daher ohne Gewährleistung oder Garantie seitens des Autoris oder des Verlages. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

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In Liebe meinem Vater gewidmet

Franz X. J. Huber

ISBN Printausgabe 978-3-8434-1499-9 ISBN E-Book 978-3-8434-6466-6

Franz X. J. Huber & Anja Schmidt: Das große Buch vom Räuchern © 2002, 2012, 2018, 2021 Schirner Verlag, Darmstadt

Umschlag: Simone Fleck, Schirner, unter Verwendung von # 1281755035 (© Lumixera), # 1063237817 (© Marble background), # 1197188911 (© Simon Kadula) und # 549368545 (© JurateBuiviene), www.shutterstock.com, sowie Benzoe (© Schirner) Print-Layout: Silja Bernspitz, Schirner Lektorat: Katja Hiller, Schirner E-Book-Erstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt, Germany

www.schirner.com

1. E-Book-Auflage August 2021

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einführung

Riechen, Räuchern, Rituale

Der verkümmerte Sinn

Geruchssinn und Sinnlichkeit

Der Duft der Erinnerung

Riechen und Riechhirn: Die Steinzeit lässt grüßen

Der umgangssprachliche Riecher und die Intuition

Back to the Roots!

Liebe geht durch die Nase

Reinigung und Neubeginn

Gestank versus Wohlgeruch

Geruchsanker in der Meditation

Der heiße Draht zum Göttlichen

Räuchergeschichte der Menschheit

Am Anfang war der Rauch

Was brauche ich, und wie wird’s gemacht?

Der geeignete Ort, die rechte Atmosphäre

Die Räucherutensilien

Die Elemente in der Räucherung

Ihr ganz persönlicher Altar

Räuchern im Freien

Die Welt der Räucherstäbchen

Zum Gebrauch

Stäbchenhalter

Räucherstäbchen aus Ost und West

Räucherkegel, -kerzen und -kugeln

Rezepte und Rituale für jeden Anlass

Räuchern von A wie Abschied bis Z wie Zufriedenheit

Einkaufsliste der wichtigsten Räucherstoffe

Abschied und Gedenken

Amuletträucherung

Anrufung

Dank

Dank an Mutter Erde

Depressionen aufhellen

Edelsteinräucherung

Elemente

Erde

Feuer

Wasser

Luft

Äther

Energie und Lebenskraft

Entspannung und Balance

Erdung

Erfolg

Feng Shui

Frieden

Gebet

Geistige Klarheit

Geld

Genuss und Sinnlichkeit

Gerechtigkeit

Glück

Harmonie

Heilung

Jahreskreisfeste

Imbolc

Ostara

Beltane

Litha

Lammas

Mabon

Samhain

Yule

Rauhnächte

Konzentration

Liebe

Liebe bewahren und schützen

Liebeszauber für die Frau

Liebeszauber für den Mann

Loslassen

Magie

Meditation

Nostalgie

Opferräucherung

Orakel

Planeten

Sonne

Mond

Mars

Venus

Merkur

Saturn

Jupiter

Neptun

Uranus

Pluto

Kosmos

Reinigung (mit Haussegen)

Schutzräucherung

Schwitzhüttenräucherung

Seelenbalsam

Sternzeichen

Widder

Stier

Zwilling

Krebs

Löwe

Jungfrau

Waage

Skorpion

Schütze

Steinbock

Wassermann

Fische

Tatkraft und Selbstvertrauen

Tausendundeine Nacht

Transformation

Trauerbewältigung

Träume

Vision

Zufriedenheit

Kleines Lexikon der Räucherstoffe

Adlerholz

Agarholz

Alant

Aloe

Aloeholz

Ambra

Angelika

Anis/Sternanis

Apfel

Asafoetida

Bdellium

Beifuß

Benzoe Siam/Benzoe Sumatra

Bernstein

Bisabolmyrrhe

Burgunderharz

Cedar

Copaivabalsam

Copal

Dammar

Desert Sage

Drachenblut

Eiche

Eisenkraut

Elemi

Engelwurz/Erzengelwurz

Eukalyptus

Fichte

Franzosenholz

Galbanum

Galgant

Gewürznelken

Guajak

Guggul

Gummi arabicum

Harthen/Hexenkraut

Ingwer

Iriswurzel

Jasmin

Jinko

Johanniskraut

Kalmus

Kamille

Kampfer

Kardamom

Labdanum

Lavendel

Lorbeer

Mädesüß

Mandelbaumgummi

Mastix

Melisse

Moschus

Muskat

Mutterharz

Myrrhe

Myrrhe, falsche

Myrrhe, süße/weibliche

Myrte

Nelke

Olibanum

Opoponax

Oud

Patchouli

Perubalsam

Pfefferminze

Pockholz

Rose

Rosmarin

Safran

Salbei

Sandarak

Sandelholz, rot

Sandelholz, weiß

Stinkasant

Schwertlilie

Styrax/Storax

Sweetgrass/ Mariengras

Teufelsbanner

Teufelsdreck

Teufelsflucht

Thymian

Tolubalsam

Tonkabohne

Ud

Veilchenwurzel

Wacholder

Wegwarte

White Sage

Weihrauch

Wermut

Zeder

Zimt

Zypresse

INDEX

QUELLEN UND LITERATUR

DANK

DIE AUTOREN

BEZUGSQUELLEN

BILDNACHWEIS

Einführung

Sich dem Genuss des Wohlgeruchs hingeben, entspannen und genießen, zu Ruhe und innerer Stille gelangen, Abstand gewinnen von Stress und Problemen des Alltags, sich einfach etwas Gutes gönnen … es gibt viele Gründe, die Sinne anregendes, beruhigendes oder die Achtsamkeit förderndes Räucherwerk zu entzünden. Den Duft in sich einsaugen, den Wirkungen der verschiedenen Substanzen und Essenzen nachspüren, sich fallen lassen … und sich wiederfinden in einer Atmosphäre, die, vom duftenden Rauch getragen, dazu einlädt, so zu sein, wie man gerade ist, sich so zu fühlen, wie man sich eben gerade fühlt …

Hölzer und Harze, Wurzeln und Blüten: Räucherwerk der unterschiedlichsten Art hat doch eines gemeinsam: Es ist ein machtvolles Werkzeug, um Kontakt aufzunehmen mit einer Kraft, die größer ist als wir – mit Gott, einer höheren Macht, mit Engeln und anderen Wesenheiten, die uns hilfreich zur Seite stehen können.

Gleichzeitig weckt der Rauch unsere Fantasie und stärkt unsere Intuition. Die Kraft der Pflanzen, die durch den Verbrennungsprozess freigesetzt wird und uns somit zur Verfügung steht, begleitet uns auf den inneren Pfaden unseres Selbst und stärkt unsere Fähigkeit, klar zu sehen und deutlicher wahrzunehmen, wo wir gerade stehen, was genau uns bedrückt oder beschäftigt, wo wir feststecken oder uns weiterentwickeln möchten. Der Geist der Pflanze, der sich uns im Rauch offenbart, unterstützt die Kraft der Vision, die Kontaktaufnahme mit Verstorbenen oder die Anrufung eines Orakels. Er fördert eine Haltung der Achtsamkeit und Dankbarkeit. Er schärft unsere Sinne, sodass wir das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen können.

Und letztlich fördern die kraft- und machtvollen Räucherdüfte das Bewusstsein, ein mit dem Rest dieser Welt verwobener Teil eines großen Ganzen zu sein.

Folgen Sie den »Rauchzeichen« ins Reich der Räucherdüfte …

Riechen, Räuchern, Rituale

Düfte führen uns in ungeheure Erlebnistiefen. Mit Leichtigkeit tragen sie uns davon – an entfernte Orte, in vergangene Zeiten; es gleicht der Reise in einer Zeitmaschine. Sie lassen Gefühle in uns aufflammen, die wir schon fast vergessen hatten, lassen uns Bilder (wieder-)sehen, die klarer sind als die Realität. Schon ein kaum wahrnehmbarer Dufthauch genügt, um eine ganze Welt in uns erstehen zu lassen – in einer Vielfalt und Sinnlichkeit, die uns im wahrsten Sinne des Wortes den Atem raubt. Düfte vermögen unser Leben um eine magische Dimension zu bereichern, wenn wir es nur zulassen, sie bewusst wahrzunehmen. Gerüche steigern unser Wohlbefinden, regen unsere Fantasie an, stimulieren unsere Emotionen und entfachen unsere Leidenschaft. Sie machen uns zutiefst lebendig und wirken letztlich heilsam, indem sie uns als ganzen Menschen ansprechen. Denn sie entfalten auf den verschiedenen Ebenen unseres Seins ihre Wirkung: körperlich, seelisch und emotional.

Der Duft dringt mühelos in unser Innerstes vor, erzeugt Stimmungen und beschwört Erinnerungen – besonders Gefühlserinnerungen – detailgetreu herauf. Wie die Klänge einer berauschenden Musik haben Geruchsnoten die Fähigkeit, sich am alles überwachenden Verstand vorbeizumogeln und uns tief zu berühren. Wer kennt es nicht: Man riecht an dem Pullover eines geliebten Menschen, und plötzlich ist es fast, als ob er wirklich da wäre. Vielleicht sollte man sogar sagen, er ist in diesem Moment da – für einige Augenblicke existiert er gegen die Gesetze von Zeit und Raum innerhalb der eigenen sinnlichen Wahrnehmung. Und Hand in Hand mit der Geruchserinnerung kommen auch die Gefühle an die Oberfläche, die wir für diesen Menschen empfinden.

DER VERKÜMMERTE SINN

Wie kann es bei diesen nahezu magischen Fähigkeiten unseres Geruchssinns bloß sein, dass er heute so vernachlässigt wird? Zwar hüllen wir uns täglich in mehr oder minder zarte Parfümwölkchen, benutzen aprilfrischen Weichspüler, trinken aromatisierte Tees und beduften sogar die Wasserspülung im WC, doch – einmal ganz abgesehen von Qualität und Verträglichkeit der verwendeten Duftstoffe – nehmen wir diese Duftvielfalt ungefähr so wahr wie die Musikberieselung im Einkaufszentrum. Die meisten dieser Düfte sind es – leider – kaum wert, dass wir unseren Geruchssinn dafür schärfen.

Ursprünglich konnte die menschliche Nase eine nahezu unbegrenzte Zahl von Gerüchen unterscheiden. Doch heute, wo sich zu den zahllosen Hintergrundgerüchen eine Übermacht an Industrie- und Autoabgasen sowie andere Verunreinigungen der Luft gesellen – wen wundert es da, dass wir unser volles geruchliches Potenzial längst nicht ausschöpfen? Wer möchte schon die Dieselwolken von Nachbars Rasenmäher intensiver erleben?

Dass die hoch spezialisierten Fähigkeiten unserer Nase kaum mehr bekannt sind, mag zudem daran liegen, dass diese schon lange nicht mehr unmittelbar zu unserem Überleben beitragen. Es sei denn in stark reduzierter Form, wenn wir, wie schon seit Anbeginn der Menschheit, an einer Speise schnüffeln, um herauszufinden, ob sie noch genießbar oder schon verdorben ist. Auch ist es heute eine weitverbreitete Sitte, die feinen Geschmacks- und Riechnerven großflächig zu betäuben, indem wir sie beispielsweise mit Zigaretten- oder Zigarrenrauch – einer negativen Form des Räucherrituals – einqualmen. Als Folge der reduzierten Wahrnehmung würzen wir unsere Speisen immer schärfer, was den Betäubungseffekt noch verstärkt. Wer einmal starker Raucher war und dieses Laster schließlich aufgegeben hat, weiß, wovon die Rede ist: Mit der Zeit kehren nämlich der Geschmacks- und der Geruchssinn, die eng miteinander in Verbindung stehen, nach und nach zurück.

Ein weiterer Grund für das Schattendasein des Riechens – dafür also, dass wir unsere Nasen weder besonders beachten noch schulen – dürfte in der heutigen Überbetonung des Visuellen liegen. Bombardiert mit Bildern und Großbuchstaben von Reklametafeln oder Bildschirmen, bleibt kaum noch Raum und Muße für den feinen Geruchssinn.

GERUCHSSINN UND SINNLICHKEIT

Das geheimnisvollste, das menschlichste Ding ist der Geruch.

Coco Chanel

Doch mit der mangelnden Fähigkeit, Düfte in ihrer ganzen Vielfalt wahrzunehmen, büßen wir auch ein immenses, in uns schlummerndes Potenzial an Sinnlichkeit und Erfahrungstiefe ein. Oder, andersherum gesagt: Indem wir unseren Geruchssinn wiederentdecken, ihn mit erfreulichen und anregenden Duftreizen zu neuem Leben erwecken, offenbaren sich uns neue sinnliche Dimensionen genussvollen Erlebens. Forscher sprechen von ganzen 70 % unserer Gefühlswelt, die über die Nase gesteuert werden. Zwar geschieht dies offenbar auch ohne unser Zutun, doch bleibt es auf der unbewussten Ebene und macht uns somit manipulierbar. Vor allem Lebensmittel- und Produkthersteller setzen das ungenutzte Potenzial des Geruchssinns für ihre Zwecke ein. Synthetische Lederdüfte werten die Kunststoffbezüge des neuen Autos auf, sogenannte naturidentische (also nicht natürliche) Aromastoffe lassen fade Lebensmittel schmackhaft erscheinen, beim Einkaufsbummel versucht man in jeder Abteilung, mit fein abgestimmten Duftmanipulationen die Kauflust in uns anzuregen. Wer jedoch im Vollbesitz seiner geruchlichen Fähigkeiten ist, fällt darauf nicht mehr so leicht herein. Bewusste Geruchswahrnehmung führt uns weg vom Unechten, letztlich Unangenehmen, Verfälschenden, hin zu einer neuen Wahrnehmungskraft und Sinnlichkeit.

Feine Harze, Balsame, Hölzer und Kräuter, die man auf einem glühenden Stück Kohle dazu bringt, ihre duftende Essenz freizugeben, können wahre Wunder wirken und in zweierlei Hinsicht den Anreiz bieten, gewissermaßen zum Wert der Nase zurückzukehren. Erstens gibt es solch herrliche Gerüche zu erkunden, wie beispielsweise den von verräuchertem Aloeholz, das scheinbar immer wieder anders duftet und auch in keine der Kategorien von aromatisch-süß bis würzig-bitter (oder in alle gleichzeitig) passen will, oder den feinen, erhebenden Duft von erlesenen Harzen, wie Weihrauch, Mastix oder Benzoe. Zweitens lernt unsere Nase mit zunehmender Praxis, immer feiner zu unterscheiden – und bekommt dabei auch in steigendem Maße Lust auf Duft. Da das Riechen außer dem Tasten der am engsten mit Sinnlichkeit verknüpfte Sinn ist, kann das Räuchern als ein äußerst genussvolles Sinnlichkeitstraining betrachtet werden.

DER DUFT DER ERINNERUNG

Wenn nichts von einem Ereignis mehr geblieben ist, die beteiligten Menschen lange tot … dann sind es Geschmack und Geruch allein, die noch lange Zeit überleben, wie irrende Seelen, suchend, hoffend, wartend, erinnernd. Und unverzagt tragen sie das riesige Gebäude der Erinnerung.

Marcel Proust

Die Tatsache, dass Duftwahrnehmung stark mit Erinnerungen und Gefühlen verbunden ist, ja eine ganze Palette von Wahrnehmungen auslösen kann, kommt uns bei dem Unterfangen, die Erinnerung zu beleben, sehr entgegen. In bereits hohem Alter beschrieb die amerikanische Schriftstellerin Helen Keller, die zeitlebens blind und taubstumm war, dieses Erinnerungsvermögen auf der Ebene des Duftes in poetischen Worten: »Der Geruchssinn ist ein mächtiger Zauberer, der uns über Tausende von Kilometern und über alle Lebensjahre hinwegzutragen vermag. Obstduft bringt mich unter die Pfirsichbäume zurück, unter denen ich als Kind gespielt habe; ich kenne Gerüche, bei denen sich mein Herz erinnerungsselig weitet, und andere, bei denen es sich erinnerungsweh verkrampft.« Das berühmte Beispiel Schillers, der offenbar ähnlich intensive Erinnerungen mit dem Geruch von Obst verknüpfte, weist in die gleiche Richtung: Von ihm weiß man, dass er sich sogar durch den Duft von fauligen Äpfeln, die er in seiner Schreibtischschublade aufbewahrte, zum Schreiben inspirieren ließ.

Doch nicht immer sind die Erinnerungen, die ein bestimmter Geruch heraufbeschwört, positiver Natur. Es gibt auch äußerst unangenehme Verknüpfungen zwischen Geruch und Erinnerung. So erzählte eine alte Dame, dass es ihr seit ihrer Kindheit unerklärlicherweise jedes Mal schlecht wurde, wenn sie den Geruch von frischer Farbe einatmete. Sie fühlte sich elend und hilflos und geriet in einen Strudel unangenehmer Gefühle, die sie einfach nicht zuordnen konnte. Erst als sie über 70 war und therapeutische Hilfe in Anspruch nahm, kehrte ihr Erinnerungsvermögen zurück. Die alte Dame fand heraus, dass sie als Kind in einem frisch gestrichenen Haus die Botschaft erhalten hatte, dass ihr Vater auf tragische Weise ums Leben gekommen war. Tief ins Unbewusste verdrängt, hatte sich der Geruch mit der schlechten Nachricht untrennbar verbunden.

RIECHEN UND RIECHHIRN: DIE STEINZEIT LÄSST GRÜSSEN

Um die tiefe Verknüpfung des Geruchssinns mit den unbewussten Schichten unseres Selbst ein wenig besser zu verstehen, müssen wir bis in die Frühzeit der Menschheit zurückschauen. Man stelle sich einmal die Situation des damaligen Menschen vor: Im (Ur-)Wald, umgeben von allerlei Gefahren und natürlichen Feinden, half das Sehen nicht viel weiter. Der Mensch war auf das Hören und ganz besonders auf das Riechen angewiesen, das als entwicklungsgeschichtlich ältester Sinn gilt. Um das Überleben zu sichern, musste ein wahrgenommener Reiz jedoch schnellstens bewertet werden und zu einer angemessenen Reaktion führen. In der Praxis hieß das: »Entweder angreifen, oder nix wie weg!«

Dieses lebensrettende, schnelle Reagieren war nur deshalb möglich, weil der Geruchssinn mit dem limbischen System des Gehirns in engster Verbindung steht – einem komplexen System des Riechhirns, bestehend aus Hippocampus, Gyrus limbicus, Mandelkern und Teilen des basalen Ganglienkomplexes. Das limbische System ist das Steuerungszentrum der primitiven Triebe, der Instinkte und der Sexualität, der Motorik und des Verdauungsapparates, ebenso lenkt es unser Stressverhalten sowie die Hormonausschüttung – eine ganze Reihe von lebensnotwendigen menschlichen Funktionen also. Das Riechen stellte demnach in der Frühzeit der menschlichen Entwicklung eine Art Antenne zur Außenwelt dar, die Informationen sammelte, die im menschlichen Organismus umgehend zu komplexen Prozessen führten – motorisch, hormonell und emotional. Geruchswahrnehmung und biologische sowie psychische Reaktionen sind also kaum voneinander zu trennen, was uns zu den teilweise »unerklärlichen« Auswirkungen von Gerüchen auf unser Seelenleben führt. Steinzeitlich gesehen war die spezielle Funktionsweise des limbischen Systems eine Notwendigkeit, heute lässt es sich bewusst nutzen – für Wohlbefinden, Gesundheit und Genuss.

DER UMGANGSSPRACHLICHE RIECHER UND DIE INTUITION

Zahlreiche Redewendungen, die wir meist unbewusst verwenden, zeugen bis heute von der engen Verbindung zwischen Riechen, Intuition und Gefühlen. »Er hat einen guten Riecher«, sagt man beispielsweise, wenn jemand intuitiv das Richtige tut. Selbst in der Großstadt meint man, eine Gefahr »zu wittern«. Auch ein Verbrechen wird im Sprachgebrauch »ruchbar«, also »riechbar«. Sollten wir über unseren Geruchssinn doch vielleicht mehr zwischen Himmel und Erde wahrnehmen, als wir es gemeinhin für möglich halten? »Immer der Nase nach!« ist eine auch heute noch gültige Auskunft, wenn es darum geht, unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen, beispielsweise auf der Suche nach der nächsten Würstchenbude.

Auch die Kehrseite des Wohlgeruchs, der Gestank, ist in unserer Sprache eindeutig mit bestimmten »schlechten« Verhaltensweisen oder Abneigungen verknüpft. »Das stinkt doch zum Himmel!« kündet von einem großen Unrecht, und eine Geschichte, die als »erstunken und erlogen« bezeichnet wird, beleidigt ebenfalls in übertragenem Sinne unseren Riechnerv. Glücklicherweise duften manche Dinge oder Menschen aber auch, so wie die »dufte Biene« oder ein »dufter Typ«, jedenfalls solange sie nicht »verduften« und aus unserem »Dunstkreis« verschwinden.

BACK TO THE ROOTS!

Unser Geruchssinn hat besondere Fähigkeiten, so viel steht fest. Doch wie können wir diese für unser Wohlbefinden nutzen? Im Laufe der Sozialisation, des Hineinwachsens der Menschen in eine Gesellschaft, haben wir zwar gelernt, die ehemals ungefilterte Kommunikation zwischen Riechen und Riechhirn zu stören. Doch wir können diesen Kanal jederzeit wieder anzapfen, um uns ein Stück Ursprünglichkeit und damit Ganzheit zurückzuerobern. Räucherstäbchen oder Räucherwerk auf glühender Kohle zu entzünden, ist dafür eine wunderbare Möglichkeit – nicht zuletzt deswegen, weil wir durch das Räuchern eine kleine Reise zu den Anfängen der Menschheitsgeschichte antreten. Denn duftende Substanzen dem Feuer beizugeben, gehörte zu den ersten Handlungen, die die Bewusstwerdung und kulturelle Entwicklung des Menschen einleiteten.

Während man mit dem Räuchern an die Wurzeln der Menschheit anknüpft, wird man bei der »Wiederentdeckung« des Riechens auch der eigenen Vergangenheit begegnen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass wir den Duft des Lebens als Kinder wesentlich unvoreingenommener und daher umfassender in uns einsaugen. Erst mit dem Älterwerden verlernen wir das langsam. Kinder unterscheiden noch nicht zwischen »guten« und »schlechten« Gerüchen, sie nehmen einfach wahr – und genießen: Omas Apfelkuchen; Papa, der verschwitzt von der Gartenarbeit zurückkehrt; den Duft von Mamas Busen; ein Häufchen vom Hund … Besonders intensiv ist bei vielen der Weihrauch aus der Kirche im geruchlichen Gedächtnis verankert, in Verbindung mit Gefühlen der Ehrfurcht und Andacht, vielleicht auch mit der Wut auf den verordneten Kirchenbesuch oder gar einer leichten Übelkeit. Die leicht berauschenden Wirkungen des Weihrauchs vermitteln oft gerade Kindern ein nicht definierbares Gefühl des Unwohlseins, da ihnen Rauschzustände noch weitgehend unbekannt sind. Trotzdem nehmen wir als Kinder Gerüche im Allgemeinen vorurteilslos in uns auf, so wie wir auch Gefühle oft in schnellem Wechsel erleben und wieder loslassen. Weinen, lachen, schmollen, herumalbern …

Als Erwachsene können (und müssen) wir uns dieses kindliche Erleben wieder neu aneignen, wenn wir ein reiches, erfülltes Leben führen möchten. Ein Weg dahin führt über die Nase, über die Welt der Düfte: das Räuchern. Jede Substanz, die auf der Kohle verbrennt, jedes Räucherstäbchen, das entzündet wird, entlockt uns andere Gefühle. Bei manchen empfinden wir eine richtige Freude, so, wie wir uns freuen, einen guten Freund wiederzusehen. Andere Düfte mögen wir weniger, doch erstaunlicherweise ändert sich das mit der Zeit. Je nachdem, in welcher Stimmung wir uns befinden und welche Bedürfnisse wir gerade haben, erleben wir die einzelnen Düfte oder Duftmischungen immer wieder neu. Manchmal stellen wir sogar fest, dass ein Geruch, den wir als unangenehm empfinden, sich aber irgendwie gut oder richtig anfühlen kann. Je mehr sich die Sinne öffnen, desto feiner können wir unterscheiden, was ein Duft in uns auslöst … und das ist der Anfang einer kleinen Abenteuerreise. Der duftende Rauch entführt uns in unser eigenes Inneres.

LIEBE GEHT DURCH DIE NASE

Gerüche, Seide und andere Kunstgriffe allein heben die Liebe vom reinen Instinkt zur Leidenschaft empor.

George Moore

Wie die Sinne sich ganz von selbst öffnen und wie kleine Knospen erblühen, erleben wir immer dann, wenn wir lieben. Besonders die Verbindung von Duft und Liebe ist wohl so alt wie die Liebe selbst. Man merkt meist schon im ersten Moment einer Begegnung, ob man jemanden »riechen« kann – falls nicht, wird sich die Liebe wohl auch nicht einstellen. Aber wenn doch, scheint es oft so, als ob die Nase sich in gleichem Maße öffnet wie das Herz. Plötzlich riecht alles intensiver, angenehmer, ganz besonders natürlich der geliebte Mensch, den man auf diesem Weg richtiggehend einatmen und in sich aufnehmen kann. Der Dichter Gustave Flaubert hat diese riech-sinnliche Verschmelzung in seinen Briefen an die Geliebte Louise Colet beschrieben: »Ich lebe im Traum in den Falten Deines Kleides, in den leichten Locken Deines Haars. Ich hab welche hier! Oh! Wie gut sie duften! Wenn Du wüsstest, wie sehr ich an Deine gute Stimme denke, an Deine Schultern, deren Geruch ich so liebend gern in mich einsauge. Der fingerlose Handschuh ist da. Er riecht wunderbar, mir scheint, dass ich noch immer Deine Schulter und die sanfte Wärme Deines bloßen Arms atme. Sag mir, ob Du Eisenkraut benutzt, tust Du es auf Deine Taschentücher? Tu ein wenig auf Dein Hemd – aber nein, parfümier Dich nicht, das beste Parfum bist Du selbst, die Aushauchung Deiner eigenen Natur.«

Flaubert war nicht der einzige Dichter, der uns die duftende Verzauberung durch seine Liebste überliefert hat. Auch von Goethe ist bekannt, dass er seiner Geliebten Charlotte von Stein ein Mieder entwendete, um in ihrer Abwesenheit seine Nase daran zu laben und sie so wenigstens in ätherischer Form bei sich zu haben.

Diese natürliche Verbindung aus Duft und Liebe können wir durch Räucherwerk noch ein wenig erweitern. Denn der duftende Rauch eignet sich vorzüglich dazu, Gefühle und Erlebnisse zu untermalen und zu intensivieren. So wie man das Parfüm oder den ganz persönlichen Geruch einer geliebten Person genießt und in sich einsaugt, so kann man beispielsweise einen bestimmten Räucherduft auswählen, den man immer dann entzündet, wenn man beisammen ist. Oder man behält sich bestimmte Räuchermischungen für ganz besondere Situationen vor … Ist der oder die Geliebte gerade nicht da oder gar für längere Zeit verreist, kann man ihn oder sie atmosphärisch herbeizaubern, indem man den gemeinsamen »Liebesrauch« entzündet. Dies ist eine wunderschöne und äußerst sinnliche Form, die emotionale Verbindung aufrechtzuerhalten. Vielleicht vereinbart man sogar einen Zeitpunkt, zu dem man aneinander denkt und diesen Gedanken durch ein Räucherritual eine weitere Dimension verleiht.

REINIGUNG UND NEUBEGINN

Eine der ältesten und wichtigsten Funktionen des Räucherns ist, außer der Verbreitung von Wohlgerüchen (und -gefühlen), die Reinigung. In Zeiten, da Cholera oder Pest grassierten, räucherte man die Häuser zu hygienischen Zwecken mit Wacholder und anderen Kräutern aus, um das Miasma – den Gifthauch – zu vertreiben. Heute geht es hauptsächlich darum, Räume von alten Energien bzw. Fremdenergien zu reinigen, zum Beispiel, wenn man Besuch hatte, über dessen Abschied man nicht sonderlich unglücklich ist. Tante Herta hat wieder mal nicht aufhören können, von den guten alten Zeiten zu reden, und Onkel Hubert hatte dieses unwiderstehliche Aftershave aufgelegt, das er schon seit 20 Jahren benutzt … Da tut es einfach gut, die hinterlassenen Ausdünstungen verschiedener Art mit einer kräftigen Räuchermischung freundlich zum Fenster hinauszugeleiten. Doch selbst wenn ein Besuch rein erfreulicher Natur war, mag es angebracht sein, ihn mit Dank und Rauch zu verabschieden, um wieder einen neutralen Raum zu erschaffen, in dem Neues geschehen kann, zum Beispiel, wenn man sich dort der Arbeit widmen, einen Brief schreiben oder einfach zur Ruhe kommen will.

Natürlich gibt es noch viele weitere Gelegenheiten, bei denen man die Raumatmosphäre gern erneuern und die Luft reinigen möchte: zum Beispiel ganz einfach zwischendurch, wenn man das Gefühl hat, es herrscht »dicke« Luft, oder im Zimmer eines Kranken. Indem man alte oder unerwünschte Energien vertreibt, schafft man wieder Raum für sich selbst, Raum für neue Gedanken, Gefühle oder Einsichten. Es ist ein bewusstes Abschiednehmen, um einen kleinen Neuanfang einzuleiten.

GESTANK VERSUS WOHLGERUCH

Außer zur Reinigung wurde die Beräucherung mit Duftstoffen hierzulande noch im letzten Jahrhundert offiziell als therapeutisches Verfahren beispielsweise gegen Hysterie angewandt. Bis heute wird in den verschiedensten Kulturen der Rauch von Harzen und Kräutern zur Heilung von Krankheiten eingesetzt. Auf der Kanarischen Insel La Palma beispielsweise verräuchert man Rosmarin in den Krankenzimmern; die Indianer Nordamerikas verwenden unter anderem den Rauch von Zedernspitzen oder Weißem Salbei zu Heilungszwecken.

Auch wenn bei uns diese Tradition größtenteils in Vergessenheit geraten ist, so weiß man doch: So, wie Gestank Übelkeit hervorrufen kann, so vermag ein angenehmer Duft das allgemeine Befinden stark zu verbessern. Besonders wenn man die verschiedenen Substanzen und Gerüche ein wenig erkundet und nach und nach für sich herausfindet, welcher Stoff welche Wirkung entfaltet, kann man das Räuchern gezielt einsetzen, um die Stimmung aufzuhellen, zu entspannen, sich zu sammeln oder was auch immer man gerade am meisten braucht.

Aber nicht nur der Geruch trägt zu den positiven Wirkungen des Räucherns bei. Den zweiten Eckpfeiler bildet der Ritualcharakter des Räucherns. Rituale prägen seit Anbeginn der Menschheit das soziale und religiöse Zusammenleben. Rituelle Handlungen bieten Struktur und Grundlage für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die Kontaktaufnahme mit dem Göttlichen und vieles andere. Auch für sich allein oder mit Freunden ausgeführt, bietet das Räuchern einen würdigen und feierlichen Rahmen, der mit den verschiedensten Inhalten erfüllt werden kann – sei es für Gebet oder Anrufung, um Wünschen und Bitten mehr Kraft zu verleihen, sei es als Dank für bereits erfüllte Wünsche oder als ein Weg, in der Hektik unseres Alltags einen Anker der Ruhe zu finden.

GERUCHSANKER IN DER MEDITATION

Geruch ist der Sinn der Imagination.

Jean-Jacques Rousseau

Allein schon den aufsteigenden Rauch zu beobachten und sich in den hypnotisierenden Anblick der Gestalten und Formen zu versenken, die unablässig entstehen, kann uns in einen meditativen Zustand der inneren Ruhe und Einkehr versetzen. So kann das Räuchern auch zur Vorbereitung oder als Bestandteil einer täglichen Meditationspraxis dienen. Gerade bei Techniken der Meditation in Bewegung wie Tai-Chi und Qigong oder bei der Urform der Meditation, dem Sitzen, sind Regelmäßigkeit und ein vorgegebener Rahmen von Bedeutung und äußerst hilfreich, damit sich die Wirkungen vertiefen und fest im alltäglichen Leben verankern können. Dieses Verankern beschreiben Richard und Iona Miller in ihrem Buch »Das magische Parfum« als wichtigen Bestandteil einer jeden rituellen Handlung: »Wir können Gerüche als Schlüssel zu veränderten Bewusstseinszuständen verwenden, indem wir sie als ›Geruchsanker‹ einsetzen. Das Verankern bezieht sich auf die Neigung der menschlichen Natur, mit jedem Einzelelement einer Erfahrung (sei es gesehen, gehört, gefühlt, gerochen oder geschmeckt) die Gesamterfahrung zurückzubringen. Da die Geruchserinnerung länger anhält und weniger verzerrt wird als die visuelle, sind Gerüche besonders wirkungsvolle Anker. Jedes Mal, wenn wir in einem Ritual einen Duft wiederverwenden, können wir schneller und tiefer in diesen besonderen Bewusstseinszustand eintreten. Nach kurzer Zeit wird der Geruch selbst eine Verbindung der Erinnerungen an alle Rituale, die unter seinem Einfluss durchgeführt wurden, heraufbeschwören.« Dieses Moment der Verstärkung und Verankerung durch einen bestimmten Geruch in Verbindung mit Ritualen verleiht dem Räuchern etwas Magisches, das unsere Meditation, unsere Gedanken oder Wünsche klären und bestärken hilft.

DER HEISSE DRAHT ZUM GÖTTLICHEN

Eine der Haupttriebfedern für das Räuchern war schon immer die Religion. Der mystische Rauch von Copal negro, Drachenblut oder Weihrauch mit seinen berauschenden, bewusstseinserweiternden und erhebenden Wirkungen erweitert unsere Wahrnehmung und lässt uns in Kontakt treten mit einer höheren Kraft – wir tauchen ein in eine andere Dimension. Schon unsere Urahnen in grauer Vorzeit haben wohl die Erscheinung des stofflich nicht fassbaren Wohlgeruchs, der zudem unkontrolliert Emotionen hervorrufen kann, als rätselhaft und unerklärlich empfunden. Duftsignale mögen ihnen als Zeichen des Himmels erschienen sein – von göttlichem Ursprung. Auch heute noch wird in der Kirche, in buddhistischen oder indianischen Zeremonien der Rauch als Symbol der Anwesenheit Gottes oder als eine Brücke zu höheren Welten eingesetzt. Der nach oben steigende Rauch stellt das optimale Vehikel zur Kontaktaufnahme mit dem Himmel und höheren Seinsebenen dar.

Gerüche sind schwer in Worte zu fassen; sie verbreiten sich im Raum, während sie gleichzeitig nicht an Raum und Zeit gebunden zu sein scheinen. Sie verflüchtigen sich und tauchen wieder auf – manchmal wehen sie uns einige Tage später plötzlich noch einmal für einen kurzen Moment um die Nase. All diese Eigenschaften von Duft und Rauch in Verbindung mit den besonderen Fähigkeiten der Nase, der Brücke in unser Unbewusstes, erklären die jahrtausendealte Faszination des Menschen in Bezug auf Feuer, Duft und Rauch. Die Verbindung der Räucherdüfte zum Göttlichen lässt uns auch als moderne, »aufgeklärte« Menschen an diesen Bräuchen und Empfindungen teilhaben und das Räuchern nutzen als eine wunderbare Möglichkeit, uns rückzubesinnen und wieder Kontakt aufzunehmen: mit dem Göttlichen und letztlich mit uns selbst.

Räuchergeschichte der Menschheit

AM ANFANG WAR DER RAUCH

Das Räuchern ist so alt wie die Nutzung des Feuers. Schon in frühester Zeit haben die Menschen am Lagerfeuer, einem zentralen Ort des gemeinschaftlichen Lebens, duftende Hölzer, Harze und Pflanzen verbrannt, die sie in ihrer Umgebung fanden. Zuerst war es sicher Zufall: Man warf ein besonders harziges Stück Holz ins Feuer und entdeckte sein angenehmes Aroma sowie die positiven Auswirkungen auf die allgemeine Stimmung. Kurze Zeit später dürften bereits die ersten Substanzen gezielt für bestimmte Zwecke eingesetzt worden sein. Der Bernstein ist wahrscheinlich eine der ersten Räuchersubstanzen gewesen, die schon in der Eiszeit den prasselnden Höhlenfeuern beigegeben wurden. Man kann davon ausgehen, dass die Menschen damals bereits um die reinigenden, ionisierenden und gesundheitsfördernden Wirkungen des Bernsteins wussten – oder sie zumindest erahnten. Wie man bei Völkern, die auch heute noch in ursprünglicher Weise leben, herausfand, so hatten auch die ersten Räuchernden noch einen sehr hoch entwickelten, feinen Geruchssinn: Sie konnten Tiere, ein herannahendes Gewitter oder Gefahren sowie weit entferntes Feuer wittern und essbare Nahrungsmittel von giftigen unterscheiden. Einstmals war der Geruchssinn auf rein funktionelle Zwecke ausgerichtet. Erst später, als sich das menschliche Bewusstsein weiterentwickelte, entstand auch die Idee von höheren, übernatürlichen Wesenheiten, die man mittels Räucherungen verehrte. Vielleicht haben sich die ersten religiösen Vorstellungen sogar in Verbindung mit der Duftwahrnehmung entwickelt. Denn die Dinge schienen einen tieferen Sinn, eine Seele zu besitzen, die sie im Feuer freigaben – und noch mehr: Die Düfte hatten auch deutliche magische Wirkungen. Manche wirkten stimulierend, andere beruhigend, wieder andere regten die Lust an … da mussten doch höhere Mächte im Spiel sein!

Pflanzen zu rituellen, magischen und religiösen Zwecken zu verwenden, war schon vor der ersten Räucherkultur Teil des Alltags. Man fand etwa 60 000 Jahre alte Gräber von Neandertalern, die deutliche Zeichen eines frühen Jenseitsglaubens trugen: Die Toten waren unter Beigabe von Blüten und Kräutern beigesetzt worden – offenbar, um ihnen die Reise in die andere Welt zu erleichtern. Auch fand man altarähnliche Einrichtungen, auf denen wohl dem Bärengott und anderen Göttern Opfergaben, beispielsweise in Form von Pflanzen, dargebracht worden waren. Schon vor vielen tausend Jahren waren sich die Menschen bewusst, dass den Gewächsen bestimmte Wirkungen innewohnen, und sie begannen, sie zu vielfältigen Zwecken einzusetzen: zum Berauschen und zur Stimulation, als Heilmittel und Opfergabe sowie als Brücke zur Welt der Götter und schließlich auch als Kosmetik und zur eigenen Freude. Je weiter die Entwicklung der Zivilisation fortschritt, desto mehr bildete sich auch eine bewusste Duftwahrnehmung aus, die interessanterweise mit einem schwindenden instinktiven Geruchssinn einherging: Die Schärfe des Geruchssinns steht demnach im umgekehrten Verhältnis zur Entwicklung von Bewusstsein und Intelligenz.

Mit einer fortschreitenden Kultur setzten nun die ersten Schamanen, Medizinmänner und -frauen Pflanzenstoffe gezielt für religiöse, magische und heilerische Zwecke ein. Interessant ist dabei, dass die alten Kulturen völlig unabhängig voneinander ähnliche Entdeckungen und Erfahrungen mit den einzelnen Pflanzenwirkungen machten. Ein Beispiel dafür ist der Salbei, den die Ureinwohner Amerikas ebenso zu Heil- und Reinigungszwecken einsetzten wie die Völker Europas. Viele tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung wussten die Schamanen und Heilkundigen der Welt auch schon um die bewusstseinsverändernden Wirkungen bestimmter Harze und Kräuter. Rauch, die einzige (sichtbare) Naturerscheinung, die von unten nach oben aufsteigt, erschien als das optimale Vehikel, um Verbindung mit Gottheiten und anderen höheren Wesen herzustellen. Mittels verbrennender Hölzer, Harze und Pflanzen wurden Botschaften in Form von Bitten, Anrufungen und Beschwörungen entsandt – die ersten bewussten Handlungen mit dem Ziel, die menschlichen Geschicke zu beeinflussen und Gesundheit, Wohlstand und Glück zu erlangen. Zeugnisse einer verfeinerten Räucherkultur, die etwa 7200 Jahre vor unserer Zeitrechnung blühte, fand man in Skandinavien: kleine Räucherfladen, die beim Verbrennen den Duft aromatischer Harze freisetzten. Einige Jahrtausende später war der Gebrauch von Räucherwerk aus dem religiösen und kulturellen Leben der antiken Kulturen nicht mehr wegzudenken.

DAS ALTE ÄGYPTEN:

MUMIEN, GÖTTER, PHARAONEN

Schon im berühmten »Lied des Harfners«, den ältesten ägyptischen Versen, die uns erhalten sind, werden Wohlgerüche und Räucherwerk zur Sinnenfreude gepriesen:

»Folge deinem Wunsch, weil du lebst, lege Myrrhe auf dein Haupt, kleide dich in feines Linnen, getränkt mit köstlichen Wohlgerüchen, den echten Dingen der Götter. Vermehre deine Wonnen noch mehr, lasse dein Herz nicht müde sein, folge deinem Wunsch und deinem Vergnügen.«

1500 v. Chr. entsandte die ägyptische Königin Hatschepsut eine der ersten dokumentierten Schiffsexpeditionen ins sagenumwobene Land Punt. Weihrauch, Myrrhe und andere duftende Substanzen wurden nach Ägypten gebracht. Eines der Reliefs im Tempel zu Deir el-Bahari, in Theben, die die kostbare Fracht der Schiffe zeigen, trägt die folgende Inschrift: »Das Belasten der Transportschiffe mit einer großen Menge von herrlichen Produkten Arabiens, mit allerlei kostbaren Hölzern des heiligen Landes, mit Haufen von Weihrauchharz, mit grünen Weihrauchbäumen. […] Niemals ist ein Transport gleich diesem von irgendeiner Königin seit Erschaffung des Weltalls gemacht worden.«

Zur selben Zeit sollen im Orient bereits Weihrauchharze, Kräuter und Hölzer in Jahresmengen von vielen Tonnen verräuchert worden sein. Duftendes Räucherwerk galt als kostbares Geschenk, als Beigabe zu allerlei gesellschaftlichen Gelegenheiten, als Nahrung der Götter, denen aus diesem Grund reichlich von dem wohlriechenden Rauch geopfert wurde. Und schließlich war es auch eine wichtige Zutat, um der sinnlichen Liebe noch eine köstliche Dimension hinzuzufügen. Im alten Ägypten entstand eine der ersten Hochkulturen des Duftes und damit des Räucherwerks. Düfte aller Art spielten im täglichen Leben eine wichtige Rolle. Kostbares Harz sowie duftende Hölzer und Kräuter waren im eigenen sowie in den umliegenden Ländern in Hülle und Fülle vorhanden und wurden verbrannt, um das gesellschaftliche Leben zu bereichern, vor allem aber zu Ehren der Götter. Man sagte allen duftenden Pflanzen göttlichen Ursprung nach. So erzählte man, alle Harze liefernden Pflanzen seien aus den Tränen der Götter Horus, Tefnut und Shu geboren worden: Wo diese auf die Erde fielen, dort wüchsen Myrrhe, Weihrauch, Benzoe oder Opoponax.

Dreimal täglich wurde dem Sonnengott Ra geopfert. Bei Sonnenaufgang verbrannte man Weihrauch, beim höchsten Stand der Sonne Myrrhe. Die Abendräucherung bestand aus der berühmten ägyptischen Räuchermischung namens Kyphi, von der schon im berühmten »Papyrus Ebers« die Rede ist. In einem eigens dafür vorgesehenen Bereich der Tempel wurde Kyphi unter der Aufsicht von Priestern, die anhaltend Gebete gen Himmel sandten, hergestellt. Es gab viele verschiedene Rezepte für Kyphi, denn jedes priesterliche »Laboratorium« braute seine eigene Mixtur, deren Zusammensetzung jedoch streng geheim gehalten wurde. Die wenigen schriftlich überlieferten Rezepturen beinhalten leider einige Stoffe, die heute nicht mehr identifiziert werden können; außerdem fehlen die Mengenangaben. So finden Sie nachfolgend ein modernes Kyphirezept, das sich jedoch an die alten Überlieferungen anlehnt.

Kyphi kann die Menschen in den Schlaf wiegen, kann angenehme Träume verursachen und die Sorgen des Tages vertreiben. Wer Kyphi am Abend verbrennt, dem werden Ruhe und Frieden sicher geschenkt.

Plutarch

Rezept für Kyphi, die klassische ägyptische Räucherung

Legen Sie 2 – 3 TL ungeschwefelte Sultaninen in schweren, süßen Rotwein ein, und lassen Sie das Ganze 2 – 3 Tage ziehen. Zerkleinern Sie die Rosinen dann im Mörser oder der Küchenmaschine zu einem Brei, und mischen Sie 2 TL Honig unter. Vermischen Sie danach die folgenden Zutaten erst untereinander und später mit dem Brei:

1 ½ TL Weihrauch / 1 TL Myrrhe / 1 TL Mastix / 1 ½ TL Benzoe Sumatra / ½ TL wacholderbeeren / ¾ TL Kalmus / 1 TL Zimtrinde, geschnitten / 1 TL Rosenblüten / ½ TL Kardamom, gemahlen / 2 TL Sandelholz, weiß / 1 Prise Adlerholz

Je nach Konsistenz können Sie noch wein oder Honig zugeben. Vermischen Sie alles nochmals gut, breiten Sie es auf einem Holzbrett aus, und lassen Sie es trocknen. Wenden Sie die Räuchermischung am besten mehrmals täglich, und füllen Sie sie zum Schluss in Gläser ab.

Honig ist der Speichel der Götter.

Plinius der Ältere

Kyphi und anderen Weihrauch verbrannte man in Ägypten in sogenannten Räucherpfannen. Dazu formte man aus den Zutaten kleine Kugeln, die man in die Pfanne warf. Außer zum Wohlgefallen Gottes durfte Weihrauch auch zum Dank verbrannt werden, wenn der König siegreich von einem Feldzug nach Hause kehrte, sowie bei anderen großen Staatsfesten. Dann dufteten nicht nur die Tempel, sondern auch die Straßen der Stadt nach Myrrhe, Zimt, Galgant und anderem köstlichen Räucherwerk. Bei wichtigen Anlässen räucherte sogar der Pharao selbst zu Ehren des Sonnengottes. Die heiligen Düfte spielten auch eine wichtige Rolle beim Totenkult der Ägypter, denn sie symbolisierten das ewige Leben der Götter. Eine Grabesinschrift aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. dokumentiert die duftende Dimension von Leben, Sterben und ewiger Liebe:

»In meinem Himmel erscheinen die Vögel von Punt. Ich fange sie, einen nach dem andern, mit meinem Köder. Einer ist mit Myrrhe getränkt, der andere mit Weihrauch, wiederum ein anderer mit Zimt. Oh, Geliebte, ich möchte, dass wir zusammen sie befreien, einen nach dem anderen, um mit dem Flattern ihrer Flügel gemeinsam in ein Paradies der Düfte zu tauchen.«

Auch bei der Mumifizierung waren Räucherwerk und duftende Salben elementarer Bestandteil. Der ausgeprägte Totenkult und Jenseitsglaube der Ägypter ließ sie besonderen Wert darauf legen, den Körper eines Verstorbenen so gut wie möglich zu erhalten. Die Seele sollte ihn bei der Rückkehr von ihrer Reise möglichst unversehrt vorfinden. Außerdem war man der Ansicht, ein vollständiger Körper garantiere auch die Ganzheit der Seele. Herodot berichtet von drei Arten der Einbalsamierung, die unterschiedlich teuer und aufwendig waren. Das edelste Einbalsamierungsverfahren war nur den Königen und Königinnen sowie den Reichen des Landes vorbehalten. Nachdem man ihnen mit einem metallenen Haken das Gehirn durch die Nase herausgezogen hatte, öffnete man die Bauchdecke mit einem Steinmesser und entfernte die Eingeweide, die in speziellen Gefäßen (Kanopen) beigesetzt wurden. Dann spülte man den Körper mit Palmwein und ein zweites Mal mit zerriebenem Räucherwerk. Damit der ausgehöhlte Körper nicht zusammenfiel und um ihn zu konservieren, füllte man ihn sodann mit duftendem Harz, Lehm, Leinwandballen, Sägespänen, Sand und beduftete das Ganze mit Zedernöl und anderen aromatischen Ölen. Weihrauch, das am höchsten geschätzte Harz, war hierbei jedoch nur den Königen vorbehalten; alle anderen mussten mit Myrrhe, Opoponax, Benzoe oder anderen Harzen vorliebnehmen. Auch die Haut des Leichnams wurde mit harzhaltigen Präparaten behandelt – die Rezepte für diese heiligen Salben waren den Priestern von Toth, dem Gott der Wohlgerüche, selbst offenbart worden. Schließlich wickelte man den Leichnam mitsamt kostbaren Schmuckstücken nach bekannter Manier in Binden und Tücher. Zur Beisetzung des Toten wurde dann ausgiebig Räucherwerk verbrannt.

Nachdem über Jahrhunderte hinweg nur zu religiösen bzw. halbreligiösen staatlichen Gelegenheiten kostbares Räucherwerk verbrannt worden war, begannen die Priester zur Zeit Ramses III., es auch an die Reichen des Volkes zu verkaufen. Unter der Regentschaft Kleopatras wurde zu beinahe jedem Anlass geräuchert. Um ihren Thron verströmten Räucherpfannen allerlei Wohlgerüche. Als die mit Düften äußerst verschwenderisch umgehende Königin Antonius mit einem Schiff empfing, da dufteten gar die Segel, und die ganze Besatzung war fein parfümiert. Salben, Parfums und zahlreiche Kosmetika hatten Hochkonjunktur. Die Damen trugen bei großen Festivitäten Räucherkugeln auf dem Kopf, die sie in atemberaubende Duftwolken hüllten. Die ägyptische Duftkultur hatte ihren Höhepunkt erreicht.

GEHEIMNISVOLLES ARABIEN:

DIE WEIHRAUCHSTRASSE

Es war die Königin von Saba, die, so vermutet man, im Jahre 950 v. Chr. den Warenverkehr auf der Weihrauchstraße initiierte. Denn sie brachte König Salomo Gold, Edelsteine, kostbare Hölzer sowie Weihrauch und Myrrhe nach Palästina. Von wo die Königin aufbrach, konnte bis heute nicht genau geklärt werden, doch man geht davon aus, dass es irgendwo im Süden Arabiens gewesen ist. Im »1. Buch der Könige« heißt es:

»Und sie gab dem König hundertzwanzig Zentner Gold und sehr viel Spezerei und Edelgestein. Es kam nicht mehr so viel Spezerei, als die Königin von Reicharabien dem König Salomo gab.«

Für die antike Welt des Mittelmeeres blieb es über Jahrhunderte hinweg eines der ungelösten Rätsel, woher eigentlich die zahllosen Schätze an Weihrauch und Myrrhe, Edelmetallen und Luxusartikeln aller Art stammten, die über die berühmte Weihrauchstraße transportiert wurden. Ein schier unversiegbarer Strom schien über diesen Handelsweg zu fließen, doch wo hatte er seinen Ursprung? Im 5. Jahrhundert v. Chr. wusste Herodot, der weit gereist und normalerweise gut unterrichtet war, auch nicht mehr zu berichten, als dass Arabien das einzige Land sei, wo Weihrauch, Zimt und Gummiharz gewonnen werde. Die Weihrauchbäume, so ließ er sich von den findigen Arabern erzählen, würden von geflügelten Schlangen bewacht. In Wahrheit kam nur ein Teil des Weihrauchs aus Südarabien, der zweite wichtige Lieferant war Somalia. Die restlichen Waren wurden einerseits aus Indien importiert – südarabische und indische Seefahrer standen seit Jahrhunderten miteinander im Austausch, ließen sich mit den Monsunwinden zwischen den Küsten hin- und hertragen. Den im Handel schon damals geschickten (Süd-)Arabern gelang es zudem, den gesamten Warenstrom Ostafrikas in ihren Häfen zu sammeln. Räucherharze, Edelhölzer, Gewürze, edle Stoffe sowie viele weitere Kostbarkeiten gelangten so aus West und Ost in die erblühenden südarabischen Hafenstädte, von wo aus man sie auf Kamele verlud und zum Mittelmeer transportierte. Ein anderer Zweig der Weihrauchstraße führte bis hinauf ins Zweistromland und sogar bis nach China. Doch nicht nur Waren wurden auf der Weihrauchstraße transportiert, auch ein reger Informations- und Kulturaustausch fand statt. Die Gebiete am Rande des Handelsweges blühten auf, Handwerk und Landwirtschaft wurden aktiviert und brachten Reichtum über das Land. Das unglaubliche Handelsgeschick der Araber wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass jeder andere Handelsweg aus Ostafrika oder Indien leichter und schneller zu bewältigen gewesen wäre als der beschwerliche, 2800 Kilometer lange Marsch durch die Wüste, der zudem ohne die immense Ausdauer der Kamele, die erst im 2. Jahrtausend v. Chr. domestiziert worden waren, nicht denkbar gewesen wäre.

Entlang der Weihrauchstraße – und nicht, wie man meinen könnte, an den wichtigen Häfen des Roten Meeres oder den fruchtbaren Landschaften der Hochebenen – entwickelten sich die bedeutendsten Königreiche Südarabiens. Aus Straßenstationen, Futter- und Lebensmittelmärkten sowie Karawansereien entstanden seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. große Städte mit mächtigen Wehrmauern, Palästen und Tempeln sowie hoch entwickelte Bewässerungsanlagen in einem Gebiet unfruchtbarer Wüste. Und obwohl die reichen Städte entlang der Weihrauchstraße heiß umkämpft waren, ließ sich keines der südarabischen Königreiche von dort vertreiben. Die Blütezeit der Weihrauchstraße währte vom 5. Jahrhundert v. Chr. bis zum 1. Jahrhundert n. Chr. Ihr Niedergang nahm seinen Lauf, als der griechische Seefahrer Hippalos 45 n. Chr. das Geheimnis der Monsunwinde wiederentdeckte: Der wesentlich mühelosere Transport zu Wasser wurde wieder populär. Schließlich waren es jedoch die Römer unter Kaiser Trajan, die den nördlichen Teil der Weihrauchstraße eroberten und die Schifffahrt im Roten Meer wieder aufnahmen. Der Landweg über die Weihrauchstraße war überflüssig geworden. Erst eineinhalb Jahrtausende später, zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert, erlebte die Weihrauchstraße eine Renaissance: Durch Piraterie war der Seeweg zu gefährlich geworden, und man transportierte das Handelsgut wieder auf Kamelen durch die Wüste – entlang der alten Weihrauchstraße.

Parfüm ist der Atem des Himmels.

Victor Hugo

Mohammed – Prophet des Wohlgeruchs

Als der Prophet Mohammed auf dieser Erde wandelte, waren die Araber bereits Meister der Duftherstellung. Räucherwerk, Salböle und Parfüms wurden in Hülle und Fülle hergestellt und zeichneten sich durch hervorragende Qualität aus. Das entging auch dem Propheten nicht, der im Koran die Düfte als »Schöpfer von Schönheit und Freuden für Körper und Geist« preist. Besonders den Moschus schätzte er und ließ seinen ganzen Harem damit beduften. Die Verbindung von Sinnesfreuden mit Religiosität schien für Mohammed kein Widerspruch zu sein. So soll er gesagt haben: »Was ich in dieser Welt liebe, sind Frauen und Parfüms. Danach schließe ich die Augen und stärke meinen Geist im Gebet. Die Parfüms sind die Nahrung, die mein Denken belebt.«

Das Jenseits beschrieb der Prophet des Islam als Paradiesgarten voller Wohlgerüche, in dem »die Auserwählten« von schönen jungen Frauen empfangen werden und sich »in Wasser baden, das weißer ist als Milch und duftender als Moschus«. Und weiter: »Der Boden dieses verzauberten Ortes besteht aus reinem Weizenmehl, vermischt mit Moschus und Safran: seine Steine sind Perlen und Hyazinthen und seine Paläste aus Gold und Silber erbaut […] die Houris sind aus reinem Moschus.«

Seinen Anhängern machte Mohammed zahlreiche Vorschriften, Düfte zu nutzen und »niemals zurückzuweisen«. So finden sich im Koran eine wahre kleine Pflanzenheilkunde sowie Hinweise zur Nutzung bestimmter Kräuter und Nahrungspflanzen, die der Hygiene dienen sollen. Gegen Vergesslichkeit empfahl der Prophet beispielsweise den Weihrauch. Auch Schwangeren riet er dessen Genuss, damit ihr Herz rein werde. Falls sie ein Mädchen im Schoß trügen, solle sich dieses dadurch schön und üppig entwickeln. Mohammed verstärkte die bereits vorhandene Vorliebe der Araber für Düfte und Räucherwerk aller Art. Außer Moschus und Ambra, den kostbarsten und teuersten Duftstoffen, gab (und gibt) es eine weitere heiß begehrte duftende Substanz: das Adlerholz. Mit seinem köstlichen Geruch beduften die Araber bis in die heutige Zeit ihre Körper und Kleider. Über Nacht hängen sie ihre Gewänder auf eigens dafür vorgesehene Ständer über eine Räucherstelle, um sie durch und durch mit dem Wohlgeruch des kostbaren Holzes zu tränken. Als Vorbereitung auf die Liebe stellen sich die Frauen nackt in den Rauch, um besonders verführerisch zu duften. Doch auch die Männer bedienen sich der duftenden Essenzen, um sich auf eine erotische Begegnung vorzubereiten. Dabei spielen potenzsteigernde und erotisierende Substanzen die Hauptrolle. So war es beispielsweise lange Zeit Brauch, sich mit Asafoetida, bei uns auch unter den Namen »Teufelsdreck« oder »Stinkasant« bekannt, die Genitalien einzureiben. Auf arabische Frauen soll der unglaublich intensive zwiebel- und knoblauchähnliche Geruch tatsächlich anziehend gewirkt haben. In »Der duftende Garten des Scheik Nefzaui« – einer Art »Kamasutra« Arabiens – ist noch von ganz anderen Liebestricks die Rede, denen sich sicher keine Frau entziehen konnte:

»Stelle goldene Räucherpfannen in das Zelt, die mit den köstlichsten Wohlgerüchen gefüllt sind. Hüte dich aber, von all den Wohlgerüchen etwas aus dem Zelt ausströmen zu lassen. Ist das ganze Zelt voll von süßen Düften, dann setze dich auf deinen Thron, und lasse die Frau holen. Lasse sie in dein Zelt bringen, und verweile dort allein mit ihr. Sie wird in Verzückung geraten, ihre Glieder werden sich lösen. Schließlich wird sie das Bewusstsein verlieren, und du wirst Besitz von ihr nehmen.«

Nicht nur im Liebeszauber Arabiens spielen die Düfte eine zentrale Rolle. Auch zu magischen Heilzwecken werden seit alter Zeit kraftvolle Räuchermixturen verbrannt, die Dämonen vertreiben, vor dem bösen Blick schützen und bei Krankheit heilsam wirken sollen. Auch bei den verschiedensten Gelegenheiten des gesellschaftlichen Lebens, wie Hochzeit oder Geburt, zu wichtigen geschäftlichen Anlässen sowie natürlich bei religiösen Festen und an Feiertagen wird geräuchert, zum Dank oder um das Schicksal gnädig zu stimmen. Auch galt es als hohe Ehrerbietung, den Gästen zum Abschluss eines Festmahls das beste Räucherwerk darzubieten. Gleichzeitig war das auch das Zeichen für den Aufbruch, wie ein arabisches Sprichwort besagt: »Nach dem Räucherwerk gibt es kein längeres Verweilen.«

DAS ANTIKE GRIECHENLAND:

WEIHRAUCH UND MYRRHE FÜR DIE GÖTTER

Oh Diana, liebliche Göttin, ich weiß, dass Ihr mir nahe seid, da ich Euren Balsamduft erkannte.

Euripides

In das antike Griechenland gelangten die kostbaren Räucherdüfte erst einige Zeit später, nachdem man in Ägypten, Persien und Arabien schon einer ausgeprägten Duftkultur frönte. Bevor man die Düfte für die verschiedenen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens entdeckte, war das Räuchern nur im Zusammenhang mit religiösen Handlungen erlaubt. Bei Tieropferungen beispielsweise verwendete man Räucherharze wohl vor allem, um den unangenehmen Geruch schmorenden Fleisches zu überdecken, der eigenen Nase einen Gefallen zu tun und die Götter nicht nur mit Opferfleisch, sondern auch mit Wohlgerüchen zu erfreuen. Über Kreta, in dessen minoischer Geschichte die Wohlgerüche schon zuvor eine Rolle spielten, erhielten die Griechen Anschluss an den Orient, von dem aus bald eine wahre Flut an Harzen, Ölen und Räucherwerk aller Art nach Griechenland gelangte. Hinzu kamen einheimische Kräuter und Pflanzen, die man räucherte, um Krankheiten zu heilen oder den Körper zu beduften. Und natürlich verbrannte man Räucherwerk zu religiösen Zwecken. Da es jedermann gestattet war, Rauchopfer darzubringen, wuchs der Bedarf an Weihrauch, Myrrhe und anderen Harzen immens. Der griechische Schriftsteller Lukian (120–180 n. Chr.) war, wie aus seinem Werk »Zeus tragodios« ersichtlich ist, von dem ausufernden Weihrauchkonsum weniger begeistert: