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Die Geschichte beginnt in "Bow", dem Arbeiterviertel im East End von London. Es ist Dezember, und das 19. Jahrhundert ist in den letzten Zügen. Ein dichter Morgennebel, begünstigt durch den Rauch von Millionen Kohleöfen, wirbelt durch die Straßen. Mrs. Drabdump ist in Angst um ihren Untermieter. Sie klopft mehrmals an seine Tür, aber keine Antwort. Sie rennt zu Inspektor Grodman, und zusammen brechen sie seine Tür auf, um den Mann zu finden, der mit durchgeschnittener Kehle in seinem Bett liegt. Die Tür ist von innen verschlossen, die Fenster sind verriegelt. Der Roman konzentriert sich auf den Mord, der sich in einem abgeschlossenen Raum ereignet hat, ohne klare Hinweise auf die verwendete Waffe, den Täter oder einen möglichen Fluchtweg. Scotland Yard ist ratlos. Der Roman hat alle Zutaten, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 177
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Israel Zangwill
Das große Geheimnis der Bow Street
Kriminalroman
Israel Zangwill
Das große Geheimnis der Bow Street
Kriminalroman
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung und Fußnoten: Jürgen Schulze 1. Auflage, ISBN 978-3-962814-89-2
null-papier.de/620
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Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
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Als London an jenem denkwürdigen Dezembermorgen die Augen öffnete, sah es sich von einem grauen, kalten Nebel erfüllt. Es gibt Tage, an denen der Nebel den Kohlenstaub in geballten Wolken über der City sammelt und sie mit undurchdringlichem Dunst verdüstert, während die Vorstädte nur von leichten Schleiern umhüllt sind, sodass es einem sehr gut passieren kann, dass man, wenn man mit dem Frühzug zur City fährt, aus der Dämmerung wieder in das Dunkel gerät. Aber heute lagerte über Bow und Hammersmith derselbe dicke, bleischwere, gelbe Dunst, der etwas Geisterhaftes hat und Unheil zu verkünden scheint.
Mrs. Drabdump, die Glower Street Nr. 2 in Bow wohnte, war eine der wenigen, die sich von dem Londoner Nebel nicht niederdrücken ließ. Sie begann ihr Tagewerk so griesgrämig, wie sie dies stets zu tun pflegte. Als sie den Rolladen ihres Schlafzimmers aufgezogen und die Winterlandschaft sich vor ihr enthüllt hatte, als sie gesehen, wie die düsteren Nebelschwaden sich ihr entgegenwälzten, wusste sie, dass dieser Nebel wenigstens einen Tag bleiben würde und dass in diesem Quartal dann natürlich die Gasrechnung auch wieder bedeutend höher sein würde. Sie wusste auch, weshalb sie jetzt stets so viel für Gas ausgeben musste. Es kam daher, dass sie mit ihrem neuen »möblierten Herrn«, einem Mr. Arthur Constant, dahin übereingekommen war, dass er wöchentlich nur einen Schilling für den Gasverbrauch zahlen musste anstatt eines verhältnismäßigen Anteils an der jeweiligen Rechnung des Hauses.
Mrs. Drabdump zündete das Küchenfeuer an, kunstgerecht, denn sie kannte die Eigentümlichkeit der Kohlen und den Eigensinn des Holzes, das, wenn man nicht ein scharfes Auge darauf hielt, elend rauchte, statt knisternd zu brennen. Ihre Kunst hatte wie gewöhnlich den schönsten Erfolg, und Mrs. Drabdump erhob sich zufrieden von den Knien, wie eine Parsenpriesterin, die ihrer Gottheit das Morgenopfer dargebracht hat. Dann erschrak sie plötzlich und verlor beinahe das Gleichgewicht. Ihr Auge war auf die Zeiger der auf dem Kamin stehenden Uhr gefallen: sie zeigten ein Viertel vor sieben. Gewöhnlich brannte Mrs. Drabdumps Feuer regelmäßig um ein Viertel nach sechs. Was war mit der Uhr los?
Mrs. Drabdump dachte mit Unmut daran, dass es am Ende nötig sein würde, sie mal von dem benachbarten Uhrmacher nachsehen zu lassen. Der würde sie dann sicher wochenlang behalten und endlich, äußerlich repariert, innerlich nun wirklich verletzt, zurückbringen, »um sein Geschäft zu haben«. Dieser Gedanke verschwand so rasch, wie er gekommen, als sie jetzt von der St.-Dunstan-Kirche die Uhr drei Viertel schlagen hörte. Aber da erschrak sie noch viel mehr, denn nun verstand sie, warum sie ein so müdes, seltsames Gefühl beherrschte; sie hatte verschlafen.
Ernstlich verstimmt, setzte sie rasch den Wasserkessel über das hell flackernde Feuer; es fiel ihr nämlich ein, dass Mr. Constant gebeten hatte, ihn eine dreiviertel Stunde früher als sonst zu wecken und ihm schon um sieben Uhr das Frühstück zu bringen, da er schon früh in einer Versammlung unzufriedener Trambahnbeamter sprechen müsse. Mit dem Lichte in der Hand lief sie rasch die Treppe hinauf. Er wohnte oben. Das ganze obere Stockwerk war Mr. Constants Reich; es bestand nämlich nur aus zwei nicht miteinander verbundenen Zimmern. Mrs. Drabdump klopfte an die Tür der ihm als Schlafzimmer dienenden Stube und rief: »Sieben Uhr, Herr, Sie werden zu spät kommen, wenn Sie nicht sofort aufstehen.« Sein gewöhnliches schläfriges »Schon gut«, womit er ihren Morgengruß zu erwidern pflegte, antwortete ihr nicht, aber nachdem sie ihren Morgengruß mehrmals wiederholt, wartete sie seine Antwort nicht ab, sondern ging in die Küche zurück, um sich mit der Vorbereitung von Mr. Constants Frühstück zu beschäftigen.
Sie wusste, dass Arthur Constant nicht taub blieb, wenn die Pflicht – an die er durch sie gemahnt wurde – ihn rief. Er hatte einen sehr leichten Schlaf, und wahrscheinlich tönte ihm schon das ihn zu der Versammlung rufende Läuten der Trambahnen in die Ohren. Warum Mr. Arthur Constant, B. A.1 – ein Herr, der weiße feine Hände hatte und blendende Wäsche trug – sich dazu herabließ, sich mit Trambahnkutschern zu befassen, während seine gesellschaftliche Stellung ihn doch sicher nicht in Beziehungen zu Droschken und Wagenführern brachte, das hatte Mrs. Drabdump nie begreifen können. Wahrscheinlich beabsichtigte er, sich in »Bow« für das Parlament wählen zu lassen; allerdings wäre es dann diplomatischer gewesen, sich eine Wirtin zu suchen, deren Mann noch lebte und die dadurch stimmberechtigt war. Ebenso unpassend erschien es ihr, dass er durchaus darauf bestand, selbst seine Stiefel putzen zu wollen, obwohl er darin kein Meister war, und dass er in jeder Weise wie ein einfacher Arbeiter Bows leben wollte. Nur dass die Arbeiter nicht so verschwenderisch mit dem Wasser umgingen und so viele Bäder, frisches Trinkwasser und reine Wäsche beanspruchten wie er. Auch bekamen sie nicht so gute Dinge zu essen, wie Mrs. Drabdump für ihn bereitete, wobei sie ihm weismachte, dass es gewöhnliches Arbeiteressen sei. Sie konnte es nicht ertragen, dass er unterhalb seines Standes leben sollte. Arthur Constant war gehorsam und aß alles, was seine Wirtin ihm vorsetzte, und glaubte alles, was sie sagte. Es ist ja für Heilige nicht so leicht, klar zu sehen, in der Praxis vernebelt der Heiligenschein oft das Auge!
Der Tee, der in Mr. Constants Teetopf bereitet werden sollte, war nicht etwa von der gewöhnlichen, ordinären Mischung, den sie für sich und Mr. Mortlake verwendete; während sie das Frühstück bereitete, musste sie plötzlich an ihren zweiten Mietsherrn denken. Dieser arme Mr. Mortlake war um vier Uhr schon aufgestanden und hatte sich ohne jedes Frühstück in die neblige, düstere Winternacht gewagt. Nun, sie hoffte nur, dass sein Eifer belohnt und dass er gute Reisespesen herausschlagen werde, was er, wie andere mit ihm rivalisierende Arbeiterführer behaupteten, meistens tat. Sie gönnte ihm seinen Verdienst gern, und es ging sie ja auch weiter nichts an, wenn er, als er ihr Mr. Constant als Mieter für ihre leerstehenden Zimmer zuführte, noch vielleicht einen anderen Zweck damit verband als den, seiner Wirtin gefällig zu sein. Jedenfalls hatte er ihr einen großen Dienst dadurch erwiesen, obgleich der Mieter, den er ihr zuführte, in manchen Stücken seltsam genug war. Auch, dass Mr. Mortlake ein Sprecher der arbeitenden Klasse war, bekümmerte sie nicht. Tom Mortlakes eigentlicher Beruf war der eines Schriftsetzers gewesen; seine Tätigkeit als Arbeiterführer brachte ihm aber eine bessere Stellung und höheren Lohn ein. Tom Mortlake, der Held von hundert Streiks, dessen Name in großen Buchstaben auf den Anschlagsäulen gedruckt war, war ganz gewiss eine gewichtigere Persönlichkeit als Tom Mortlake, der bescheidene Schriftsetzer. Indessen bestand seine Arbeit doch nicht nur daraus, Reden zu halten, Bier zu trinken und Kegel zu schieben; Mrs. Drabdump wusste, dass seine letzte Expedition keine beneidenswerte war.
Auf ihrem Wege zur Küche klopfte sie im Vorübergehen an seine Tür, erhielt aber keine Antwort. Die Haustür war nur ein paar Schritte seitwärts, und ein Blick auf sie zerstörte ihre Hoffnung, dass Tom vielleicht seine Reise aufgegeben hatte. Die Kette war nicht mehr vorgelegt, der Riegel zurückgezogen, und die Tür war einfach mit dem Hausschlüssel abgeschlossen. Mrs. Drabdump empfand ein gewisses Unbehagen, aber um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muss man sagen, dass sie nicht überängstlich war oder, wie die meisten guten Hausfrauen, immer vor Verbrechen, die nie kommen, gezittert hätte. Nicht gerade gegenüber, aber doch nur ein paar Türen weiter auf der anderen Seite der Straße wohnte der berühmte Detektiv Grodman, und diese Tatsache gab Mrs. Drabdump ein wohltuendes Gefühl der Sicherheit; sie betrachtete sich gewissermaßen unter seinem Schutze stehend. Dass irgendein zweideutiger Mensch bewusst in den Bannkreis dieses berühmten Spürhundes treten sollte, erschien ihr mehr als zweifelhaft. Grodman hatte sich allerdings offiziell vom Geschäft zurückgezogen und war nun ein schlafender Wachhund; aber die Spitzbuben waren vernünftig genug, ihn nicht zu wecken.
Mrs. Drabdump vermutete also nicht irgendeine Gefahr, besonders da ein zweiter Blick auf die Haustür ihr zeigte, dass Mortlake daran gedacht hatte, die Schleife, die den Riegel des Schlosses hielt, vorsichtig loszumachen. Sie dachte mit Interesse an den Arbeiterführer, der jetzt auf dem Wege nach der Werft von Devonport war. Nicht dass er selbst mit ihr über seine Reise außerhalb der Stadt gesprochen hätte, aber sie wusste, dass in Devonport eine Werft war, weil Jessie Dymont – Toms Geliebte – ihr einmal zufällig erzählt hatte, dass ihre Tante dort in der Nähe wohne. Deshalb glaubte sie, dass Tom den Werftarbeitern zu Hilfe eilte, die, dem Beispiele ihrer Londoner Brüder folgend, in den Ausstand getreten waren.
Man brauchte Mrs. Drabdump solche Dinge nicht erst zu erzählen, sie erkannte sie ganz von selbst. Sie machte sich also daran, Mr. Constant eine feine Tasse Tee zu bereiten, und grübelte dabei darüber nach, warum wohl heutzutage das Volk immer so unzufrieden war. Als sie dann den Tee, geröstete Brotschnitten und frische Eier in Herrn Constants Wohnzimmer, das neben dem Schlafzimmer lag, brachte, war sie sehr erstaunt, Mr. Constant noch nicht darin zu finden. Sie steckte das Gas an und deckte den Tisch. Dann ging sie auf den Vorplatz zurück und klopfte noch einmal energisch an die Tür des Schlafzimmers, sagte ihm, wie viel Uhr es sei, aber alles blieb still, nur der Klang ihrer eignen Stimme tönte seltsam durch das Haus. »Der arme Herr«, murmelte sie, »gewiss hat er diese Nacht wieder so arge Zahnschmerzen gehabt und hat keinen Schlaf gefunden, vielleicht ist er erst jetzt eingeschlummert. Schade, dass er um dieser Leute von der Trambahn willen geweckt werden muss! Ich will ihn ruhig so lange wie sonst schlafen lassen.« Sie trug die Teekanne wieder hinunter und bedauerte nur, dass die schönen weichgekochten Eier kalt würden.
Um halb acht klopfte sie wieder. Aber Mr. Constant schlief immer noch.
Um acht Uhr kam die Post mit mehreren Briefen für ihn und ein paar Minuten später ein Telegramm. Nun rüttelte Mrs. Drabdump an seiner Tür und schob das Telegramm unten hindurch. Ihr Herz klopfte jetzt heftig, ihr war, als griffe eine kalte, harte Faust danach. Sie stieg wieder hinunter und ging, ohne zu wissen, warum, in Mr. Mortlakes Zimmer. Sie sah, dass der Bewohner nicht ordentlich zu Bett gegangen war und wahrscheinlich aus Angst, den Zug zu verpassen, wohl nur in den Kleidern sich ein paar Stunden darauf gelegt hatte. Sie hatte ja keinen Augenblick erwartet, ihn in dem Zimmer zu finden; aber das Bewusstsein, ganz allein mit Constant im Hause zu sein, hatte plötzlich etwas Beängstigendes für sie; es war, als presse die Faust, die ihr Herz erfasst, es fester und fester zusammen.
Sie öffnete die Haustür und sah nervös die Straße auf und nieder. Es war halb neun. Die kleine, enge Straße lag still und kalt in dem grauen Nebel, durch den die an jedem Ende brennenden Straßenlaternen nur matt leuchteten. Im Augenblick war kein Mensch zu sehen, obwohl aus den meisten Schornsteinen der Rauch aufstieg, um sich mit dem Nebel zu vereinen. Im Haus des gegenüber wohnenden Detektivs waren die Jalousien noch heruntergelassen und die Läden geschlossen. Aber der ihr so wohl bekannte nüchterne Anblick der Straße beruhigte sie. In der rauen Luft musste sie husten; sie schlug die Tür zu und kehrte in ihre Küche zurück, um neuen Tee für Mr. Constant zu machen, der nun doch endlich erwachen musste. Aber das Teebrett zitterte in ihrer Hand. Sie wusste nicht, ob es ihr entfallen war oder ob sie es irgendwohin gesetzt hatte, jedenfalls waren ihre Hände leer, als sie einen Augenblick später an die Tür des Schlafzimmers schlug. Nicht das leiseste Geräusch war drinnen vernehmbar. In einer sie jäh überfallenden tollen Angst schlug sie gegen die Tür, dann drückte sie die Klinke nieder; die Tür war von innen verschlossen. Dieser Widerstand gab ihr das Bewusstsein zurück, sie erschrak darüber, dass sie im Begriff gewesen war, unerlaubterweise in Mr. Constants Schlafzimmer einzudringen. Aber ein unbestimmtes Grauen erfüllte sie. Sie glaubte ganz gewiss, dass sie allein mit einer Leiche im Hause sei. Beinahe ohnmächtig sank sie zusammen, dann ermannte sie sich, stürzte, ohne zurückzusehen, die Treppe hinab, rannte zur Haustür hinaus, über die Straße auf Mr. Grodmans Haus zu, dessen Türklopfer sie ergriff und heftig in Bewegung setzte. Im selben Augenblick schon öffnete sich ein Fenster der oberen Etage – das kleine Häuschen war wie das ihrige gebaut –, und Grodmans volles rotes Gesicht blickte, von einer Nachtmütze umrahmt, durch den Nebel auf sie herab. Obgleich das Gesicht des Exdetektivs durchaus keinen freundlichen, sondern vielmehr einen ärgerlichen, gereizten Ausdruck hatte, fühlte sie doch eine große Erleichterung.
»Was in Teufels Namen ist denn los?« rief er herab. Nun, da er sich zur Ruhe gesetzt hatte, war Grodman kein Frühaufsteher mehr. Er konnte sich das jetzt leisten, denn das Häuschen, in dem er wohnte, war sein Eigentum: und verschiedene andere Häuser in der Straße gehörten ihm ebenfalls. Es war immer gut, wenn ein Hausbesitzer in Bow auch in seinem Eigentum wohnte und ein scharfes Auge über alles hatte, was da vorging. Vielleicht trug der Wunsch, seine jetzige Größe unter den Genossen seiner Jugend zu genießen, etwas mit dazu bei, dass er sich hier niedergelassen hatte, denn er war in Bow geboren und groß geworden, hier war er als Junge zuerst von der Lokalpolizei beschäftigt worden und hatte sich jede Woche ein paar Schillinge als Amateurdetektiv nebenbei zu verdienen gewusst.
Grodman war Junggeselle. Vielleicht war in dem himmlischen Heiratsbüro eine Frau für ihn reserviert – aber auf dieser Welt hatte er sie noch nicht zu entdecken vermocht. Es war der einzige Misserfolg, den er in seiner Laufbahn als Detektiv zu beklagen hatte. Er war ein Mensch, der sich selbst genügte und einen Gasofen dem häuslichen Herde vorzog. Er hatte eine Aufwartefrau, die morgens um zehn Uhr in seinem Hause erschien und es abends um zehn Uhr verließ und die seinen Junggesellenhaushalt versorgte.
»Ich bitte Sie, sofort mit mir zu kommen«, keuchte Mrs. Drabdump, »Mr. Constant ist ein Unglück zugestoßen.«
»Was! Ich hoffe doch, dass die Polizei ihn heute Morgen bei der Versammlung nicht festgenommen hat?«
»Nein, nein! Er ist gar nicht dahin gegangen. Er ist tot.«
»Tot?« Mr. Grodmans Gesicht wurde sehr ernst.
»Ja, ermordet!«
»Was?« rief der Exdetektiv. »Wie? Wann? Wo? Wer?«
»Ich weiß es nicht. Ich kann nicht zu ihm ins Zimmer gelangen. Ich habe vergebens an seine Tür getrommelt. Er antwortet nicht.«
Grodmans Gesicht erheiterte sich etwas. »Sie törichte Frau! Ist das alles? Ich werde mir den Kopf erkälten. Es ist bitter kalt. Er ist gestern Abend hundemüde nach Hause gekommen: Umzüge – drei Reden – Kindergarten – eine Vorlesung. Das ist sein Stil!« So war auch Grodmans Stil, er war kein Wortverschwender.
»Nein«, sagte Mrs. Drabdump feierlich, »er ist wirklich tot.«
»Ganz recht. Gehen Sie nach Hause. Alarmieren Sie nicht unnötigerweise die Nachbarschaft. Warten Sie auf mich. Ich werde in höchstens fünf Minuten bei Ihnen sein.« Grodman nahm diese Küchenkassandra nicht ernst. Wahrscheinlich kannte er die Frau. Seine kleinen, wie schwarze Perlen schimmernden Augen leuchteten beinahe amüsiert, als er den Blick von Mrs. Drabdump abwandte und den Fensterflügel krachend zuwarf. Die arme Frau lief über die Straße zurück in ihr Haus, wagte jedoch nicht, die Tür hinter sich zu schließen. Es wäre ihr vorgekommen, als solle sie sich mit einem Toten einschließen. Sie wartete im Hausflur. Nach einer ihr unendlich lang erscheinenden Zeit – in Wirklichkeit schon nach sieben Minuten – erschien Grodman, wie gewöhnlich gekleidet, nur dass sein Haar und sein Kotelettenbart noch nicht geordnet und gekämmt waren. An diesen Bart hatte er sich noch nicht ganz gewöhnt, denn er hatte ihn erst kürzlich wachsen lassen. Solange er in aktivem Dienst gestanden, trug Grodman ein glattrasiertes Gesicht, wie alle Mitglieder seiner Profession – denn kein Schauspieler muss die Kunst, sich plötzlich verwandeln zu können, so verstehen wie ein Detektiv. Mrs. Drabdump schloss die Haustür hinter ihm und wies ihn die Treppe hinauf, wobei sie halb aus Angst und halb aus Höflichkeit ihm den Vortritt ließ. Grodman ging hinauf, seine Augen leuchteten immer noch vor Vergnügen. Oben angekommen, klopfte er sofort an die Tür und rief: »Neun Uhr, Mr. Constant, neun Uhr.« Dann horchte er auf einen Laut von innen, aber alles blieb still. Sein Gesicht wurde sehr ernst. Er wartete dann eine Weile, klopfte dann wieder, rief noch lauter. Er versuchte, die Tür zu öffnen, sie war von innen verschlossen. Er versuchte durch das Schlüsselloch zu sehen, es war verstopft. Er rüttelte an der Tür, aber sie schien nicht nur verschlossen, sondern auch verriegelt zu sein. Einen Augenblick stand er ernst und wie in Nachdenken verloren da, denn er hatte den Mann gern und achtete ihn.
»Oh«, flüsterte die blasse Frau, »und wenn Sie noch so laut klopfen, Sie werden ihn nicht erwecken.«
Der graue Nebel, der mit ihnen durch die geöffnete Haustür gedrungen war und im Treppenhaus schwebte, erfüllte die Luft mit einem kalten, feuchten Dunst.
»Verriegelt und abgeschlossen«, murmelte Grodman, noch mal an der Tür rüttelnd.
»Brechen Sie die Tür auf«, hauchte die Frau, die an allen Gliedern zitterte und die Augen mit den Händen verhüllte, als ob sie das Schreckliche nicht sehen wollte. Ohne noch ein Wort zu sprechen, stemmte Grodman die Schulter gegen die Tür und drängte mit seiner ganzen Kraft dagegen. Er war seinerzeit Athlet gewesen und war immer noch ganz ungewöhnlich stark. Die Tür krachte, sie gab langsam nach, das das Schloss umgebende Holz splitterte; die Bretter beugten sich nach innen, der obere Riegel gab nach: Die Tür flog krachend auf. Grodman stürzte in das Zimmer.
»Mein Gott!« rief er. Die Frau kreischte. Der Anblick war schrecklich …
Ein paar Stunden später riefen die Zeitungsjungen mit lauter Stimme: »Extrablatt, furchtbarer Selbstmord in Bow.« Und diejenigen, die zu arm waren, sich das Blatt zu kaufen, lasen an den Anschlagsäulen: »Ein Philanthrop hat sich die Kehle durchgeschnitten.«
Bachelor of Arts – Bakkalaureus der Kunst. <<<
Aber die Zeitungen waren doch zu voreilig gewesen. Der Gerichtshof glaubte nicht, dass ein Selbstmord vorliege, und die späteren Ausgaben der Zeitungen sprachen von dem geheimnisvollen Mord in Bow. Es wurden verschiedene Personen verhaftet. Die meisten dieser Leute waren Vagabunden, die sich vielleicht andere Gesetzesübertretungen hatten zuschulden kommen lassen, wobei die Polizei sie nicht erwischt hatte. Ein ganz verwirrt aussehender Herr stellte sich selbst, aber die Polizei erkannte sogleich, dass sie es mit einem Geisteskranken zu tun hatte, und gab ihn in die Obhut seiner Freunde und Wächter zurück. Die Zahl der Kandidaten für Newgate war erstaunlich.