Das große Lesebuch - Arthur Schnitzler - E-Book

Das große Lesebuch E-Book

Arthur Schnitzler

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit den Werkbeiträgen aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Die wichtigsten Werke Arthur Schnitzlers in einem Band: skandalöse Liebesgeschichten, abgründige Erkundungen der menschlichen Seele, hellsichtige Reflexionen über die Macht der Sprache. Neben berühmten Texten der Klassischen Moderne wie ›Reigen‹ und ›Fräulein Else‹ enthält dieses Lesebuch auch weniger bekannte Aphorismen und Betrachtungen, deren Themenspektrum von der Frage nach privatem Glück bis zur Kritik am Ersten Weltkrieg reicht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 438

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Arthur Schnitzler

Das große Lesebuch

Herausgegeben von Sascha Michel

Fischer e-books

Dramen

Reigen

Zehn Dialoge

Personen

Die Dirne

Der Soldat

Das Stubenmädchen

Der junge Herr

Die junge Frau

Der Ehegatte

Das süße Mädel

Der Dichter

Die Schauspielerin

Der Graf

Die Dirne und der Soldat

Spät abends. An der Augartenbrücke.

SOLDAT kommt pfeifend, will nach Hause.

DIRNE

Komm, mein schöner Engel.

SOLDAT wendet sich um und geht wieder weiter.

DIRNE

Willst du nicht mit mir kommen?

SOLDAT

Ah, ich bin der schöne Engel?

DIRNE

Freilich, wer denn? Geh, komm zu mir. Ich wohn’ gleich in der Näh’.

SOLDAT

Ich hab’ keine Zeit. Ich muß in die Kasern’!

DIRNE

In die Kasern’ kommst immer noch zurecht. Bei mir is besser.

SOLDAT ihr nahe

Das ist schon möglich.

DIRNE

Pst. Jeden Moment kann ein Wachmann kommen.

SOLDAT

Lächerlich! Wachmann! Ich hab’ auch mein Seiteng’wehr!

DIRNE

Geh, komm mit.

SOLDAT

Laß mich in Ruh’. Geld hab’ ich eh keins.

DIRNE

Ich brauch’ kein Geld.

SOLDAT bleibt stehen. Sie sind bei einer Laterne

Du brauchst kein Geld? Wer bist denn du nachher?

DIRNE

Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du kann’s immer umsonst bei mir haben.

SOLDAT

Du bist am End’ die, von der mir der Huber erzählt hat.

DIRNE

Ich kenn’ kein’ Huber nicht.

SOLDAT

Du wirst schon die sein. Weißt – in dem Kaffeehaus in der Schiffgassen – von dort ist er mit dir z’ Haus ’gangen.

DIRNE

Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielen z’ Haus ’gangen … oh! oh! –

SOLDAT

Also gehn wir, gehn wir.

DIRNE

Was, jetzt hast’s eilig?

SOLDAT

Na, worauf soll’n wir noch warten? Und um zehn muß ich in der Kasern’ sein.

DIRNE

Wie lang dienst denn schon?

SOLDAT

Was geht denn das dich an? Wohnst weit?

DIRNE

Zehn Minuten zum gehn.

SOLDAT

Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.

DIRNE küßt ihn

Das ist mir eh das liebste, wenn ich einen gern hab’!

SOLDAT

Mir nicht. Nein, ich geh’ nicht mit dir, es ist mir zu weit.

DIRNE

Weißt was, komm morgen am Nachmittag.

SOLDAT

Gut is. Gib mir deine Adresse.

DIRNE

Aber du kommst am End’ nicht.

SOLDAT

Wenn ich dir’s sag’!

DIRNE

Du, weißt was – wenn’s dir zu weit ist heut abend zu mir – da … da … Weist auf die Donau.

SOLDAT

Was ist das?

DIRNE

Da ist auch schön ruhig … jetzt kommt kein Mensch.

SOLDAT

Ah, das ist nicht das Rechte.

DIRNE

Bei mir is immer das Rechte. Geh, bleib jetzt bei mir. Wer weiß, ob wir morgen noch ’s Leben haben.

SOLDAT

So komm – aber g’schwind!

DIRNE

Gib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutschst, liegst in der Donau.

SOLDAT

Wär’ eh das beste.

DIRNE

Pst, so wart nur ein bissel. Gleich kommen wir zu einer Bank.

SOLDAT

Kennst dich da gut aus.

DIRNE

So einen wie dich möcht’ ich zum Geliebten.

SOLDAT

Ich tät’ dir zu viel eifern.

DIRNE

Das möcht’ ich dir schon abgewöhnen.

SOLDAT

Ha –

DIRNE

Nicht so laut. Manchmal is doch, daß sich ein Wachter her verirrt. Sollt man glauben, daß wir da mitten in der Wienerstadt sind?

SOLDAT

Daher komm, daher.

DIRNE

Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.

SOLDAT hat sie gepackt

Ah, du –

DIRNE

Halt dich nur fest an.

SOLDAT

Hab kein’ Angst …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

DIRNE

Auf der Bank wär’s schon besser gewesen.

SOLDAT

Da oder da … Na, krall aufi.

DIRNE

Was laufst denn so –

SOLDAT

Ich muß in die Kasern’, ich komm’ eh schon zu spät.

DIRNE

Geh, du, wie heißt denn?

SOLDAT

Was interessiert dich denn das, wie ich heiß’?

DIRNE

Ich heiß’ Leocadia.

SOLDAT

Ha! – So an’ Namen hab’ ich auch noch nie gehört.

DIRNE

Du!

SOLDAT

Na, was willst denn?

DIRNE

Geh, ein Sechserl für’n Hausmeister gib mir wenigstens!

SOLDAT

Ha! … Glaubst, ich bin deine Wurzen … Servus! Leocadia …

DIRNE

Strizzi! Fallott! –

Er ist verschwunden.

Der Soldat und das Stubenmädchen

Prater. Sonntagabend.

Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus dem Wurstelprater; auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt.

Der Soldat.

Das Stubenmädchen.

STUBENMÄDCHEN

Jetzt sagen S’ mir aber, warum S’ durchaus schon haben fortgehen müssen.

SOLDAT lacht verlegen, dumm.

STUBENMÄDCHEN

Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz’ so gern.

SOLDAT faßt sie um die Taille.

STUBENMÄDCHEN läßt’s geschehen

Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten S’ mich so fest?

SOLDAT

Wie heißen S’? Kathi?

STUBENMÄDCHEN

Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.

SOLDAT

Ich weiß, ich weiß schon … Marie.

STUBENMÄDCHEN

Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg’ so eine Angst.

SOLDAT

Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S’ Ihnen nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!

STUBENMÄDCHEN

Aber wohin kommen wir denn da? Da ist ja kein Mensch mehr. Kommen S’, gehn wir zurück! – Und so dunkel!

SOLDAT zieht an seiner Virginierzigarre, daß das rote Ende leuchtet

’s wird schon lichter! Haha! Oh, du Schatzerl!

STUBENMÄDCHEN

Ah, was machen S’ denn? Wenn ich das gewußt hätt’!

SOLDAT

Also der Teufel soll mich holen, wenn eine heut beim Swoboda mollerter gewesen ist als Sie, Fräul’n Marie.

STUBENMÄDCHEN

Haben S’ denn bei allen so probiert?

SOLDAT

Was man so merkt, beim Tanzen. Da merkt man gar viel! Ha!

STUBENMÄDCHEN

Aber mit der blonden mit dem schiefen Gesicht haben S’ doch mehr ’tanzt als mit mir.

SOLDAT

Das ist eine alte Bekannte von einem meinigen Freund.

STUBENMÄDCHEN

Von dem Korporal mit dem auf’drehten Schnurrbart?

SOLDAT

Ah nein, das ist der Zivilist gewesen, wissen S’, der im Anfang am Tisch mit mir g’sessen ist, der so heis’rig red’t.

STUBENMÄDCHEN

Ah, ich weiß schon. Das ist ein kecker Mensch.

SOLDAT

Hat er Ihnen was ’tan? Dem möcht’ ich’s zeigen! Was hat er Ihnen ’tan?

STUBENMÄDCHEN

O nichts – ich hab nur gesehn, wie er mit die andern ist.

SOLDAT

Sagen S’, Fräulein Marie …

STUBENMÄDCHEN

Sie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.

SOLDAT

Pahdon! – Fräul’n Marie. Sagen wir uns Du.

STUBENMÄDCHEN

Wir sein noch nicht so gute Bekannte. –

SOLDAT

Es können sich gar viele nicht leiden und sagen doch Du zueinander.

STUBENMÄDCHEN

’s nächstemal, wenn wir … Aber, Herr Franz –

SOLDAT

Sie haben sich meinen Namen g’merkt?

STUBENMÄDCHEN

Aber, Herr Franz …

SOLDAT

Sagen S’ Franz, Fräulein Marie.

STUBENMÄDCHEN

So sein S’ nicht so keck – aber pst, wenn wer kommen tät!

SOLDAT

Und wenn schon einer kommen tät, man sieht ja nicht zwei Schritt weit.

STUBENMÄDCHEN

Aber um Gottes willen, wohin kommen wir denn da?

SOLDAT

Sehn S’, da sind zwei grad wie mir.

STUBENMÄDCHEN

Wo denn? Ich seh’ gar nichts.

SOLDAT

Da … vor uns.

STUBENMÄDCHEN

Warum sagen S’ denn: zwei wie mir? –

SOLDAT

Na, ich mein’ halt, die haben sich auch gern.

STUBENMÄDCHEN

Aber geben S’ doch acht, was ist denn da, jetzt wär’ ich beinah g’fallen.

SOLDAT

Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.

STUBENMÄDCHEN

Stoßen S’ doch nicht so, ich fall’ ja um.

SOLDAT

Pst, nicht so laut.

STUBENMÄDCHEN

Sie, jetzt schrei’ ich aber wirklich. – Aber was machen S’ denn … aber –

SOLDAT

Da ist jetzt weit und breit keine Seel’.

STUBENMÄDCHEN

So gehn wir zurück, wo Leut’ sein.

SOLDAT

Wir brauchen keine Leut’, was, Marie, wir brauchen … dazu … haha.

STUBENMÄDCHEN

Aber, Herr Franz, bitt’ Sie, um Gottes willen, schaun S’, wenn ich das … gewußt … oh … oh … komm!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT selig

Herrgott noch einmal … ah …

STUBENMÄDCHEN

… Ich kann dein G’sicht gar nicht sehn.

SOLDAT

A was – G’sicht …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT

Ja, Sie, Fräul’n Marie, da im Gras können S’ nicht liegen bleiben.

STUBENMÄDCHEN

Geh, Franz, hilf mir.

SOLDAT

Na, komm zugi.

STUBENMÄDCHEN

O Gott, Franz.

SOLDAT

Na ja, was ist denn mit dem Franz?

STUBENMÄDCHEN

Du bist ein schlechter Mensch, Franz.

SOLDAT

Ja, ja. Geh, wart ein bissel.

STUBENMÄDCHEN

Was laßt mich denn aus?

SOLDAT

Na, die Virginier werd’ ich mir doch anzünden dürfen.

STUBENMÄDCHEN

Es ist so dunkel.

SOLDAT

Morgen früh ist schon wieder licht.

STUBENMÄDCHEN

Sag wenigstens, hast mich gern?

SOLDAT

Na, das mußt doch g’spürt haben, Fräul’n Marie, ha!

STUBENMÄDCHEN

Wohin gehn wir denn?

SOLDAT

Na, zurück.

STUBENMÄDCHEN

Geh, bitt’ dich, nicht so schnell!

SOLDAT

Na, was ist denn? Ich geh’ nicht gern in der finstern.

STUBENMÄDCHEN

Sag, Franz, hast mich gern?

SOLDAT

Aber grad hab’ ich’s g’sagt, daß ich dich gern hab’!

STUBENMÄDCHEN

Geh, willst mir nicht ein Pussel geben?

SOLDAT gnädig

Da … Hörst – jetzt kann man schon wieder die Musik hören.

STUBENMÄDCHEN

Du möcht’st am End’ gar wieder tanzen gehn?

SOLDAT

Na freilich, was denn?

STUBENMÄDCHEN

Ja, Franz, schau, ich muß zu Haus gehn. Sie werden eh schon schimpfen, mei’ Frau ist so eine … die möcht’ am liebsten, man ging’ gar nicht fort.

SOLDAT

Na ja, geh halt zu Haus.

STUBENMÄDCHEN

Ich hab’ halt ’dacht, Herr Franz, Sie werden mich z’ Haus führen.

SOLDAT

Z’ Haus führen? Ah!

STUBENMÄDCHEN

Gehn S’, es ist so traurig, allein z’ Haus gehn.

SOLDAT

Wo wohnen S’ denn?

STUBENMÄDCHEN

Es ist gar nicht so weit – in der Porzellangasse.

SOLDAT

So? Ja, da haben wir ja einen Weg … aber jetzt ist’s mir zu früh … jetzt wird noch ’draht, heut hab’ ich über Zeit … Vor zwölf brauch’ ich nicht in der Kasern’ zu sein. I’ geh’ noch tanzen.

STUBENMÄDCHEN

Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blonde mit dem schiefen Gesicht dran!

SOLDAT

Ha! – Der ihr G’sicht ist gar nicht so schief.

STUBENMÄDCHEN

O Gott, sein die Männer schlecht. Was, Sie machen’s sicher mit einer jeden so.

SOLDAT

Das wär’ z’viel! –

STUBENMÄDCHEN

Franz, bitt’ schön, heut nimmer, – heut bleiben S’ mit mir, schaun S’ –

SOLDAT

Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd’ ich doch noch dürfen.

STUBENMÄDCHEN

Ich tanz’ heut mit kein’ mehr!

SOLDAT

Da ist er ja schon …

STUBENMÄDCHEN

Wer denn?

SOLDAT

Der Swoboda! Wie schnell wir wieder da sein. Noch immer spielen s’ das … tadarada tadarada Singt mit … Also wannst auf mich warten willst, so führ’ ich dich z’ Haus … wenn nicht … Servas –

STUBENMÄDCHEN

Ja, ich werd’ warten.

Sie treten in den Tanzsaal ein

SOLDAT

Wissen S’, Fräul’n Marie, ein Glas Bier lassen’s Ihnen geben. Zu einer Blonden sich wendend, die eben mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutsch Mein Fräulein, darf ich bitten?

Das Stubenmädchen und der junge Herr

Heißer Sommernachmittag. – Die Eltern sind schon auf dem Lande. – Die Köchin hat Ausgang. – Das Stubenmädchen schreibt in der Küche einen Brief an den Soldaten, der ihr Geliebter ist. Es klingelt aus dem Zimmer des jungen Herrn. Sie steht auf und geht ins Zimmer des jungen Herrn.

Der junge Herr liegt auf dem Diwan, raucht und liest einen französischen Roman.

DAS STUBENMÄDCHEN

Bitt’ schön, junger Herr?

DER JUNGE HERR

Ah ja, Marie, ah ja, ich hab’ geläutet, ja … was hab’ ich nur … ja richtig, die Rouletten lassen S’ herunter, Marie … Es ist kühler, wenn die Rouletten unten sind … ja …

Das Stubenmädchen geht zum Fenster und läßt die Rouletten herunter

DER JUNGE HERR liest weiter

Was machen S’ denn, Marie? Ah ja. Jetzt sieht man aber gar nichts zum Lesen.

DAS STUBENMÄDCHEN

Der junge Herr ist halt immer so fleißig.

DER JUNGE HERR überhört das vornehm

So, ist gut.

Marie geht.

DER JUNGE HERR versucht weiter zu lesen; läßt bald das Buch fallen, klingelt wieder.

DAS STUBENMÄDCHEN erscheint.

DER JUNGE HERR

Sie, Marie … ja, was ich habe sagen wollen … ja … ist vielleicht ein Cognac zu Haus?

DAS STUBENMÄDCHEN

Ja, der wird eingesperrt sein.

DER JUNGE HERR

Na, wer hat denn die Schlüssel?

DAS STUBENMÄDCHEN

Die Schlüssel hat die Lini.

DER JUNGE HERR

Wer ist die Lini?

DAS STUBENMÄDCHEN

Die Köchin, Herr Alfred.

DER JUNGE HERR

Na, so sagen S’ es halt der Lini.

DAS STUBENMÄDCHEN

Ja, die Lini hat heut Ausgang.

DER JUNGE HERR

So …

DAS STUBENMÄDCHEN

Soll ich dem jungen Herrn vielleicht aus dem Kaffeehaus …

DER JUNGE HERR

Ah nein … es ist so heiß genug. Ich brauch’ keinen Cognac. Wissen S’, Marie, bringen Sie mir ein Glas Wasser. Pst, Marie – aber laufen lassen, daß es recht kalt ist. –

Das Stubenmädchen ab

DER JUNGE HERR sieht ihr nach, bei der Tür wendet sich das Stubenmädchen nach ihm um; der junge Herr schaut in die Luft. – Das Stubenmädchen dreht den Hahn der Wasserleitung auf, läßt das Wasser laufen. Währenddem geht sie in ihr kleines Kabinett, wäscht sich die Hände, richtet vor dem Spiegel ihre Schneckerln. Dann bringt sie dem jungen Herrn das Glas Wasser. Sie tritt zum Diwan.

DER JUNGE HERR richtet sich zur Hälfte auf, das Stubenmädchen gibt ihm das Glas in die Hand, ihre Finger berühren sich.

DER JUNGE HERR

So, danke. – Na, was ist denn? – Geben Sie acht; stellen Sie das Glas wieder auf die Tasse … Er legt sich hin und streckt sich aus Wie spät ist’s denn? –

DAS STUBENMÄDCHEN

Fünf Uhr, junger Herr.

DER JUNGE HERR

So, fünf Uhr. – Ist gut. –

DAS STUBENMÄDCHEN geht; bei der Tür wendet sie sich um; der junge Herr hat ihr nachgeschaut; sie merkt es und lächelt.

DER JUNGE HERR bleibt eine Weile liegen, dann steht er plötzlich auf. Er geht bis zur Tür, wieder zurück, legt sich auf den Diwan. Er versucht wieder zu lesen. Nach ein paar Minuten klingelt er wieder.

DAS STUBENMÄDCHEN erscheint mit einem Lächeln, das sie nicht zu verbergen sucht.

DER JUNGE HERR

Sie, Marie, was ich Sie hab’ fragen wollen. War heut vormittag nicht der Doktor Schüller da?

DAS STUBENMÄDCHEN

Nein, heut vormittag war niemand da.

DER JUNGE HERR

So, das ist merkwürdig. Also der Doktor Schüller war nicht da? Kennen Sie überhaupt den Doktor Schüller?

DAS STUBENMÄDCHEN

Freilich. Das ist der große Herr mit dem schwarzen Vollbart.

DER JUNGE HERR

Ja. War er vielleicht doch da?

DAS STUBENMÄDCHEN

Nein, es war niemand da, junger Herr.

DER JUNGE HERR entschlossen

Kommen Sie her, Marie.

DAS STUBENMÄDCHEN tritt etwas näher

Bitt’ schön.

DER JUNGE HERR

Näher … so … ah … ich hab’ nur geglaubt …

DAS STUBENMÄDCHEN

Was haben der junge Herr?

DER JUNGE HERR

Geglaubt … geglaubt hab’ ich – Nur wegen Ihrer Blusen … Was ist das für eine … Na, kommen S’ nur näher. Ich beiß’ Sie ja nicht.

DAS STUBENMÄDCHEN kommt zu ihm

Was ist mit meiner Blusen? G’fallt sie dem jungen Herrn nicht?

DER JUNGE HERR faßt die Bluse an, wobei er das Stubenmädchen zu sich herabzieht

Blau? Das ist ganz ein schönes Blau. Einfach Sie sind sehr nett angezogen, Marie.

DAS STUBENMÄDCHEN

Aber junger Herr …

DER JUNGE HERR

Na, was ist denn? … Er hat ihre Bluse geöffnet. Sachlich Sie haben eine schöne weiße Haut, Marie.

DAS STUBENMÄDCHEN

Der junge Herr tut mir schmeicheln.

DER JUNGE HERR küßt sie auf die Brust

Das kann doch nicht weh tun.

DAS STUBENMÄDCHEN

O nein.

DER JUNGE HERR

Weil Sie so seufzen! Warum seufzen Sie denn?

DAS STUBENMÄDCHEN

Oh, Herr Alfred …

DER JUNGE HERR

Und was Sie für nette Pantoffeln haben …

DAS STUBENMÄDCHEN

… Aber … junger Herr … wenn’s draußen läut’ –

DER JUNGE HERR

Wer wird denn jetzt läuten?

DAS STUBENMÄDCHEN

Aber junger Herr … schaun S’ … es ist so licht …

DER JUNGE HERR

Vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren. Sie brauchen sich überhaupt vor niemandem … wenn man so hübsch ist. Ja, meiner Seel’; Marie, Sie sind … Wissen Sie, Ihre Haare riechen sogar angenehm.

DAS STUBENMÄDCHEN

Herr Alfred …

DER JUNGE HERR

Machen Sie keine solchen Geschichten, Marie … ich hab’ Sie schon anders auch geseh’n. Wie ich neulich in der Nacht nach Haus gekommen bin und mir Wasser geholt hab’; da ist die Tür zu Ihrem Zimmer offen gewesen … na …

DAS STUBENMÄDCHEN verbirgt ihr Gesicht

O Gott, aber das hab’ ich gar nicht gewußt, daß der Herr Alfred so schlimm sein kann.

DER JUNGE HERR

Da hab’ ich sehr viel gesehen … das … und das … und das … und –

DAS STUBENMÄDCHEN

Aber, Herr Alfred!

DER JUNGE HERR

Komm, komm … daher … so, ja so …

DAS STUBENMÄDCHEN

Aber wenn jetzt wer läutet –

DER JUNGE HERR

Jetzt hören Sie schon einmal auf … macht man höchstens nicht auf …

Es klingelt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

DER JUNGE HERR

Donnerwetter … Und was der Kerl für einen Lärm macht. – Am End’ hat der schon früher geläutet, und wir haben’s nicht gemerkt.

DAS STUBENMÄDCHEN

Oh, ich hab’ alleweil aufgepaßt.

DER JUNGE HERR

Na, so schaun S’ endlich nach – durchs Guckerl.

DAS STUBENMÄDCHEN

Herr Alfred … Sie sind aber … nein … so schlimm.

DER JUNGE HERR

Bitt’ Sie, schaun S’ jetzt nach …

DAS STUBENMÄDCHEN geht ab.

DER JUNGE HERR öffnet rasch die Rouleaux.

DAS STUBENMÄDCHEN erscheint wieder

Der ist jedenfalls schon wieder weggangen. Jetzt ist niemand mehr da. Vielleicht ist es der Doktor Schüller gewesen.

DER JUNGE HERR ist unangenehm berührt

Es ist gut.

DAS STUBENMÄDCHEN nähert sich ihm.

DER JUNGE HERR entzieht sich ihr –

Sie, Marie, – ich geh’ jetzt ins Kaffeehaus.

DAS STUBENMÄDCHEN zärtlich

Schon … Herr Alfred.

DER JUNGE HERR streng

Ich geh’ jetzt ins Kaffeehaus. Wenn der Doktor Schüller kommen sollte …

DAS STUBENMÄDCHEN

Der kommt heut nimmer.

DER JUNGE HERR noch strenger

Wenn der Doktor Schüller kommen sollte, ich, ich … ich bin – im Kaffeehaus. – Geht ins andere Zimmer.

Das Stubenmädchen nimmt eine Zigarre vom Rauchtisch, steckt sie ein und geht ab.

Der junge Herr und die junge Frau

Abend. – Ein mit banaler Eleganz möblierter Salon in einem Hause der Schwindgasse.

Der junge Herr ist eben eingetreten, zündet, während er noch den Hut auf dem Kopf und den Überzieher anhat, die Kerzen an. Dann öffnet er die Tür zum Nebenzimmer und wirft einen Blick hinein. Von den Kerzen des Salons geht der Lichtschein über das Parkett bis zu einem Himmelbett, das an der abschließenden Wand steht. Von dem Kamin in einer Ecke des Schlafzimmers verbreitet sich ein rötlicher Lichtschein auf die Vorhänge des Bettes. – Der junge Herr besichtigt auch das Schlafzimmer. Von dem Trumeau nimmt er einen Sprayapparat und bespritzt die Bettpolster mit feinen Strahlen von Veilchenparfüm. Dann geht er mit dem Sprayapparat durch beide Zimmer und drückt unaufhörlich auf den kleinen Ballon, so daß es bald überall nach Veilchen riecht. Dann legt er Überzieher und Hut ab. Er setzt sich auf den blausamtenen Fauteuil, zündet sich eine Zigarette an und raucht. Nach einer kleinen Weile erhebt er sich wieder und vergewissert sich, daß die grünen Jalousien geschlossen sind. Plötzlich geht er wieder ins Schlafzimmer, öffnet die Lade des Nachtkästchens. Er fühlt hinein und findet eine Schildkrothaarnadel. Er sucht nach einem Ort, sie zu verstecken, gibt sie endlich in die Tasche seines Überziehers. Dann öffnet er einen Schrank, der im Salon steht, nimmt eine silberne Tasse mit einer Flasche Cognac und zwei Likörgläschen heraus, stellt alles auf den Tisch. Er geht wieder zu seinem Überzieher, aus dem er jetzt ein kleines weißes Päckchen nimmt. Er öffnet es und legt es zum Cognac; geht wieder zum Schrank, nimmt zwei kleine Teller und Eßbestecke heraus. Er entnimmt dem kleinen Paket eine glasierte Kastanie und ißt sie. Dann schenkt er sich ein Glas Cognac ein und trinkt es rasch aus. Dann sieht er auf seine Uhr. Er geht im Zimmer auf und ab. – Vor dem großen Wandspiegel bleibt er eine Weile stehen, richtet mit seinem Taschenkamm das Haar und den kleinen Schnurrbart. – Er geht nun zur Vorzimmertür und horcht. Nichts regt sich. Dann zieht er die blauen Portieren, die vor der Schlafzimmertür angebracht sind, zusammen. Es klingelt. Der junge Herr fährt leicht zusammen. Dann setzt er sich auf den Fauteuil und erhebt sich erst, als die Tür geöffnet wird und die junge Frau eintritt. –

DIE JUNGE FRAU dicht verschleiert, schließt die Tür hinter sich, bleibt einen Augenblick stehen, indem sie die linke Hand aufs Herz legt, als müsse sie eine gewaltige Erregung bemeistern.

DER JUNGE HERR tritt auf sie zu, nimmt ihre linke Hand und drückt auf den weißen, schwarz tamburierten Handschuh einen Kuß. Er sagt leise

Ich danke Ihnen.

DIE JUNGE FRAU

Alfred – Alfred!

DER JUNGE HERR

Kommen Sie, gnädige Frau … Kommen Sie, Frau Emma …

DIE JUNGE FRAU

Lassen Sie mich noch eine Weile – bitte … o bitte sehr, Alfred! Sie steht noch immer an der Tür.

DER JUNGE HERR steht vor ihr, hält ihre Hand.

DIE JUNGE FRAU

Wo bin ich denn eigentlich?

DER JUNGE HERR

Bei mir.

DIE JUNGE FRAU

Dieses Haus ist schrecklich, Alfred.

DER JUNGE HERR

Warum denn? Es ist ein sehr vornehmes Haus.

DIE JUNGE FRAU

Ich bin zwei Herren auf der Stiege begegnet.

DER JUNGE HERR

Bekannte?

DIE JUNGE FRAU

Ich weiß nicht. Es ist möglich.

DER JUNGE HERR

Pardon, gnädige Frau – aber Sie kennen doch Ihre Bekannten.

DIE JUNGE FRAU

Ich habe ja gar nichts gesehen.

DER JUNGE HERR

Aber wenn es selbst Ihre besten Freunde waren – sie können ja Sie nicht erkannt haben. Ich selbst … wenn ich nicht wüßte, daß Sie es sind … dieser Schleier –.

DIE JUNGE FRAU

Es sind zwei.

DER JUNGE HERR

Wollen Sie nicht ein bißchen näher? … Und Ihren Hut legen Sie doch wenigstens ab!

DIE JUNGE FRAU

Was fällt Ihnen ein, Alfred? Ich habe Ihnen gesagt: Fünf Minuten … Nein, länger nicht … ich schwöre Ihnen –

DER JUNGE HERR

Also den Schleier –

DIE JUNGE FRAU

Es sind zwei.

DER JUNGE HERR

Nun ja, beide Schleier – ich werde Sie doch wenigstens sehen dürfen.

DIE JUNGE FRAU

Haben Sie mich denn lieb, Alfred?

DER JUNGE HERR tief verletzt

Emma – Sie fragen mich …

DIE JUNGE FRAU

Es ist hier so heiß.

DER JUNGE HERR

Aber Sie haben ja Ihre Pelzmantille an – Sie werden sich wahrhaftig verkühlen.

DIE JUNGE FRAU tritt endlich ins Zimmer, wirft sich auf den Fauteuil

Ich bin totmüd’.

DER JUNGE HERR

Erlauben Sie. Er nimmt ihr die Schleier ab; nimmt die Nadel aus ihrem Hut, legt Hut, Nadel, Schleier beiseite.

DIE JUNGE FRAU läßt es geschehen.

DER JUNGE HERR steht vor ihr, schüttelt den Kopf.

DIE JUNGE FRAU

Was haben Sie?

DER JUNGE HERR

So schön waren Sie noch nie.

DIE JUNGE FRAU

Wieso?

DER JUNGE HERR

Allein … allein mit Ihnen – Emma –

Er läßt sich neben ihrem Fauteuil nieder, auf ein Knie, nimmt ihre beiden Hände und bedeckt sie mit Küssen

DIE JUNGE FRAU

Und jetzt … lassen Sie mich wieder gehen. Was Sie von mir verlangt haben, hab’ ich getan.

DER JUNGE HERR läßt seinen Kopf auf ihren Schoß sinken.

DIE JUNGE FRAU

Sie haben mir versprochen, brav zu sein.

DER JUNGE HERR

Ja.

DIE JUNGE FRAU

Man erstickt in diesem Zimmer.

DER JUNGE HERR steht auf

Noch haben Sie Ihre Mantille an.

DIE JUNGE FRAU

Legen Sie sie zu meinem Hut.

DER JUNGE HERR nimmt ihr die Mantille ab und legt sie gleichfalls auf den Diwan.

DIE JUNGE FRAU

Und jetzt – adieu –

DER JUNGE HERR

Emma –! – Emma! –

DIE JUNGE FRAU

Die fünf Minuten sind längst vorbei.

DER JUNGE HERR

Noch nicht eine!

DIE JUNGE FRAU

Alfred, sagen Sie mir einmal ganz genau, wie spät es ist.

DER JUNGE HERR

Es ist Punkt Viertel sieben.

DIE JUNGE FRAU

Jetzt sollte ich längst bei meiner Schwester sein.

DER JUNGE HERR

Ihre Schwester können Sie oft sehen …

DIE JUNGE FRAU

O Gott, Alfred, warum haben Sie mich dazu verleitet.

DER JUNGE HERR

Weil ich Sie … anbete, Emma.

DIE JUNGE FRAU

Wie vielen haben Sie das schon gesagt?

DER JUNGE HERR

Seit ich Sie gesehen, niemandem.

DIE JUNGE FRAU

Was bin ich für eine leichtsinnige Person! Wer mir das vorausgesagt hätte … noch vor acht Tagen … noch gestern …

DER JUNGE HERR

Und vorgestern haben Sie mir ja schon versprochen …

DIE JUNGE FRAU

Sie haben mich so gequält. Aber ich habe es nicht tun wollen. Gott ist mein Zeuge – ich habe es nicht tun wollen … Gestern war ich fest entschlossen … Wissen Sie, daß ich Ihnen gestern abend sogar einen langen Brief geschrieben habe?

DER JUNGE HERR

Ich habe keinen bekommen.

DIE JUNGE FRAU

Ich habe ihn wieder zerrissen. Oh, ich hätte Ihnen lieber diesen Brief schicken sollen.

DER JUNGE HERR

Es ist doch besser so.

DIE JUNGE FRAU

O nein, es ist schändlich … von mir. Ich begreife mich selber nicht. Adieu, Alfred, lassen Sie mich.

DER JUNGE HERR umfaßt sie und bedeckt ihr Gesicht mit heißen Küssen.

DIE JUNGE FRAU

So … halten Sie Ihr Wort …

DER JUNGE HERR

Noch einen Kuß – noch einen.

DIE JUNGE FRAU

Den letzten. Er küßt sie; sie erwidert den Kuß; ihre Lippen bleiben lange aneinandergeschlossen.

DER JUNGE HERR

Soll ich Ihnen etwas sagen, Emma? Ich weiß jetzt erst, was Glück ist.

DIE JUNGE FRAU sinkt in einen Fauteuil zurück.

DER JUNGE HERR setzt sich auf die Lehne, schlingt einen Arm leicht um ihren Nacken

… oder vielmehr, ich weiß jetzt erst, was Glück sein könnte.

DIE JUNGE FRAU seufzt tief auf.

DER JUNGE HERR küßt sie wieder.

DIE JUNGE FRAU

Alfred, Alfred, was machen Sie aus mir!

DER JUNGE HERR

Nicht wahr – es ist hier gar nicht so ungemütlich … Und wir sind ja hier so sicher! Es ist doch tausendmal schöner als diese Rendezvous im Freien …

DIE JUNGE FRAU

Oh, erinnern Sie mich nur nicht daran.

DER JUNGE HERR

Ich werde auch daran immer mit tausend Freuden denken. Für mich ist jede Minute, die ich an Ihrer Seite verbringen durfte, eine süße Erinnerung.

DIE JUNGE FRAU

Erinnern Sie sich noch an den Industriellenball?

DER JUNGE HERR

Ob ich mich daran erinnere …? Da bin ich ja während des Soupers neben Ihnen gesessen, ganz nahe neben Ihnen. Ihr Mann hat Champagner …

DIE JUNGE FRAU sieht ihn klagend an.

DER JUNGE HERR

Ich wollte nur vom Champagner reden. Sagen Sie, Emma, wollen Sie nicht ein Glas Cognac trinken?

DIE JUNGE FRAU

Einen Tropfen, aber geben Sie mir vorher ein Glas Wasser.

DER JUNGE HERR

Ja … Wo ist denn nur – ach ja … Er schlägt die Portiere zurück und geht ins Schlafzimmer.

DIE JUNGE FRAU sieht ihm nach.

DER JUNGE HERR kommt zurück mit einer Karaffe Wasser und zwei Trinkgläsern.

DIE JUNGE FRAU

Wo waren Sie denn?

DER JUNGE HERR

Im … Nebenzimmer. Schenkt ein Glas Wasser ein.

DIE JUNGE FRAU

Jetzt werde ich Sie etwas fragen, Alfred – und schwören Sie mir, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden.

DER JUNGE HERR

Ich schwöre. –

DIE JUNGE FRAU

War in diesen Räumen schon jemals eine andere Frau?

DER JUNGE HERR

Aber Emma – dieses Haus steht schon zwanzig Jahre!

DIE JUNGE FRAU

Sie wissen, was ich meine, Alfred … Mit Ihnen! Bei Ihnen!

DER JUNGE HERR

Mit mir – hier – Emma! – Es ist nicht schön, daß Sie an so etwas denken können.

DIE JUNGE FRAU

Also Sie haben … wie soll ich … Aber nein, ich will Sie lieber nicht fragen. Es ist besser, wenn ich nicht frage. Ich bin ja selbst schuld. Alles rächt sich.

DER JUNGE HERR

Ja, was haben Sie denn? Was ist Ihnen denn? Was rächt sich?

DIE JUNGE FRAU

Nein, nein nein, ich darf nicht zum Bewußtsein kommen … Sonst müßte ich vor Scham in die Erde sinken.

DER JUNGE HERR mit der Karaffe Wasser in der Hand, schüttelt traurig den Kopf

Emma, wenn Sie ahnen könnten, wie weh Sie mir tun.

DIE JUNGE FRAU schenkt sich ein Glas Cognac ein.

DER JUNGE HERR

Ich will Ihnen etwas sagen, Emma. Wenn Sie sich schämen, hier zu sein – wenn ich Ihnen also gleichgültig bin – wenn Sie nicht fühlen, daß Sie für mich alle Seligkeit der Welt bedeuten – – so gehn Sie lieber. –

DIE JUNGE FRAU

Ja, das werd’ ich auch tun.

DER JUNGE HERR sie bei der Hand fassend

Wenn Sie aber ahnen, daß ich ohne Sie nicht leben kann, daß ein Kuß auf Ihre Hand für mich mehr bedeutet als alle Zärtlichkeiten, die alle Frauen auf der ganzen Welt … Emma, ich bin nicht wie die anderen jungen Leute, die den Hof machen können – ich bin vielleicht zu naiv … ich …

DIE JUNGE FRAU

Wenn Sie aber doch sind wie die anderen jungen Leute?

DER JUNGE HERR

Dann wären Sie heute nicht da – denn Sie sind nicht wie die anderen Frauen.

DIE JUNGE FRAU

Woher wissen Sie das?

DER JUNGE HERR hat sie zum Diwan gezogen, sich nahe neben sie gesetzt

Ich habe viel über Sie nachgedacht. Ich weiß, Sie sind unglücklich.

DIE JUNGE FRAU erfreut

Ja.

DER JUNGE HERR

Das Leben ist so leer, so nichtig – und dann, – so kurz – so entsetzlich kurz! Es gibt nur ein Glück … einen Menschen finden, von dem man geliebt wird –

DIE JUNGE FRAU hat eine kandierte Birne vom Tisch genommen, nimmt sie in den Mund.

DER JUNGE HERR

Mir die Hälfte! Sie reicht sie ihm mit den Lippen.

DIE JUNGE FRAU faßt die Hände des jungen Herrn, die sich zu verirren drohen

Was tun Sie denn, Alfred … Ist das Ihr Versprechen?

DER JUNGE HERR die Birne verschluckend, dann kühner

Das Leben ist so kurz.

DIE JUNGE FRAU schwach

Aber das ist ja kein Grund –

DER JUNGE HERR mechanisch

O ja.

DIE JUNGE FRAU schwächer

Schauen Sie, Alfred, und Sie haben doch versprochen, brav … Und es ist so hell …

DER JUNGE HERR

Komm, komm, du einzige, einzige … Er hebt sie vom Diwan empor.

DIE JUNGE FRAU

Was machen Sie denn?

DER JUNGE HERR

Da drin ist es gar nicht hell.

DIE JUNGE FRAU

Ist denn da noch ein Zimmer?

DER JUNGE HERR zieht sie mit

Ein schönes … und ganz dunkel.

DIE JUNGE FRAU

Bleiben wir doch lieber hier.

DER JUNGE HERR bereits mit ihr hinter der Portiere, im Schlafzimmer, nestelt ihr die Taille auf.

DIE JUNGE FRAU

Sie sind so … o Gott, was machen Sie aus mir! – Alfred!

DER JUNGE HERR

Ich bete dich an, Emma!

DIE JUNGE FRAU

So wart doch, wart doch wenigstens … Schwach Geh … ich ruf’ dich dann.

DER JUNGE HERR

Laß mir dich – laß dir mich Er verspricht sich … laß … mich – dir – helfen.

DIE JUNGE FRAU

Du zerreißt mir ja alles.

DER JUNGE HERR

Du hast kein Mieder an?

DIE JUNGE FRAU

Ich trag’ nie ein Mieder. Die Odilon trägt auch keines. Aber die Schuh’ kannst du mir aufknöpfeln.

DER JUNGE HERR knöpfelt die Schuhe auf, küßt ihre Füße.

DIE JUNGE FRAU ist ins Bett geschlüpft

Oh, mir ist kalt.

DER JUNGE HERR

Gleich wird’s warm werden.

DIE JUNGE FRAU leise lachend

Glaubst du?

DER JUNGE HERR unangenehm berührt, für sich

Das hätte sie nicht sagen sollen. Entkleidet sich im Dunkel.

DIE JUNGE FRAU zärtlich

Komm, komm, komm!

DER JUNGE HERR dadurch wieder in besserer Stimmung

Gleich – –

DIE JUNGE FRAU

Es riecht hier so nach Veilchen.

DER JUNGE HERR

Das bist du selbst … Ja zu ihr du selbst.

DIE JUNGE FRAU

Alfred … Alfred!!!!

DER JUNGE HERR

Emma …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

DER JUNGE HERR

Ich habe dich offenbar zu lieb … ja … ich bin wie von Sinnen.

DIE JUNGE FRAU

DER JUNGE HERR

Die ganzen Tage über bin ich schon wie verrückt. Ich hab’ es geahnt.

DIE JUNGE FRAU

Mach dir nichts draus.

DER JUNGE HERR

O gewiß nicht. Es ist ja geradezu selbstverständlich, wenn man …

DIE JUNGE FRAU

Nicht … nicht … Du bist nervös. Beruhige dich nur …

DER JUNGE HERR

Kennst du Stendhal?

DIE JUNGE FRAU

Stendhal?

DER JUNGE HERR

Die ›Psychologie de l’amour‹.

DIE JUNGE FRAU

Nein, warum fragst du mich?

DER JUNGE HERR

Da kommt eine Geschichte drin vor, die sehr bezeichnend ist.

DIE JUNGE FRAU

Was ist das für eine Geschichte?

DER JUNGE HERR

Das ist eine ganze Gesellschaft von Kavallerieoffizieren zusammen –

DIE JUNGE FRAU

So.

DER JUNGE HERR

Und die erzählen von ihren Liebesabenteuern. Und jeder berichtet, daß ihm bei der Frau, die er am meisten, weißt du, am leidenschaftlichsten geliebt hat … daß ihn die, daß er die – also kurz und gut, daß es jedem bei dieser Frau so gegangen ist wie jetzt mir.

DIE JUNGE FRAU

Ja.

DER JUNGE HERR

Das ist sehr charakteristisch.

DIE JUNGE FRAU

Ja.

DER JUNGE HERR

Es ist noch nicht aus. Ein einziger behauptet … es sei ihm in seinem ganzen Leben noch nicht passiert, aber, setzt Stendhal hinzu – das war ein berüchtigter Bramarbas.

DIE JUNGE FRAU

So. –

DER JUNGE HERR

Und doch verstimmt es einen, das ist das Dumme, so gleichgültig es eigentlich ist.

DIE JUNGE FRAU

Freilich. Überhaupt weißt du … du hast mir ja versprochen, brav zu sein.

DER JUNGE HERR

Geh, nicht lachen, das bessert die Sache nicht.

DIE JUNGE FRAU

Aber nein, ich lache ja nicht. Das von Stendhal ist wirklich interessant. Ich habe immer gedacht, daß nur bei älteren … oder bei sehr … weißt du, bei Leuten, die viel gelebt haben …

DER JUNGE HERR

Was fällt dir ein. Das hat damit gar nichts zu tun. Ich habe übrigens die hübscheste Geschichte aus dem Stendhal ganz vergessen. Da ist einer von den Kavallerieoffizieren, der erzählt sogar, daß er drei Nächte oder gar sechs … ich weiß nicht mehr, mit der Frau zusammen war, die er durch Wochen hindurch verlangt hat – desirée – verstehst du –, und die haben alle diese Nächte hindurch nichts getan als vor Glück geweint … beide …

DIE JUNGE FRAU

Beide?

DER JUNGE HERR

Ja. Wundert dich das? Ich find’ das so begreiflich – gerade wenn man sich liebt.

DIE JUNGE FRAU

Aber es gibt gewiß viele, die nicht weinen.

DER JUNGE HERR nervös

Gewiß … das ist ja auch ein exceptioneller Fall.

DIE JUNGE FRAU

Ah – ich dachte, Stendhal sagte, alle Kavallerieoffiziere weinen bei dieser Gelegenheit.

DER JUNGE HERR

Siehst du, jetzt machst du dich doch lustig.

DIE JUNGE FRAU

Aber was fällt dir ein! Sei doch nicht kindisch, Alfred!

DER JUNGE HERR

Es macht nun einmal nervös … Dabei habe ich die Empfindung, daß du ununterbrochen daran denkst. Das geniert mich erst recht.

DIE JUNGE FRAU

Ich denke absolut nicht daran.

DER JUNGE HERR

O ja. Wenn ich nur überzeugt wäre, daß du mich liebst.

DIE JUNGE FRAU

Verlangst du noch mehr Beweise?

DER JUNGE HERR

Siehst du … immer machst du dich lustig.

DIE JUNGE FRAU

Wieso denn? Komm, gib mir dein süßes Kopferl.

DER JUNGE HERR

Ach, das tut wohl.

DIE JUNGE FRAU

Hast du mich lieb?

DER JUNGE HERR

Oh, Ich bin ja so glücklich.

DIE JUNGE FRAU

Aber du brauchst nicht auch noch zu weinen.

DER JUNGE HERR sich von ihr entfernend, höchst irritiert

Wieder, wieder. Ich hab’ dich ja so gebeten …

DIE JUNGE FRAU

Wenn ich dir sage, daß du nicht weinen sollst …

DER JUNGE HERR

Du hast gesagt: Auch noch zu weinen.

DIE JUNGE FRAU

Du bist nervös, mein Schatz.

DER JUNGE HERR

Das weiß ich.

DIE JUNGE FRAU

Aber du sollst es nicht sein. Es ist mir sogar lieb, daß es … daß wir sozusagen als gute Kameraden …

DER JUNGE HERR

Schon wieder fangst du an.

DIE JUNGE FRAU

Erinnerst du dich denn nicht! Das war eines unserer ersten Gespräche. Gute Kameraden haben wir sein wollen; nichts weiter. Oh, das war schön … das war bei meiner Schwester, im Jänner auf dem großen Ball, während der Quadrille … Um Gottes willen, ich sollte ja längst fort sein … meine Schwester erwartet mich ja – was werd’ ich ihr denn sagen … Adieu, Alfred –

DER JUNGE HERR

Emma –! So willst du mich verlassen!

DIE JUNGE FRAU

Ja – so! –

DER JUNGE HERR

Noch fünf Minuten …

DIE JUNGE FRAU

Gut. Noch fünf Minuten. Aber du mußt mir versprechen … dich nicht zu rühren? … Ja? … Ich will dir noch einen Kuß zum Abschied geben … Pst … ruhig … nicht rühren, hab’ ich gesagt, sonst steh’ ich gleich auf, du mein süßer … süßer …

DER JUNGE HERR

Emma … meine ange…

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

DIE JUNGE FRAU

Mein Alfred –

DER JUNGE HERR

Ah, bei dir ist der Himmel.

DIE JUNGE FRAU

Aber jetzt muß ich wirklich fort.

DER JUNGE HERR

Ach, laß deine Schwester warten.

DIE JUNGE FRAU

Nach Haus muß ich. Für meine Schwester ist’s längst zu spät. Wieviel Uhr ist es denn eigentlich?

DER JUNGE HERR

Ja, wie soll ich das eruieren?

DIE JUNGE FRAU

Du mußt eben auf die Uhr sehen.

DER JUNGE HERR

Meine Uhr ist in meinem Gilet.

DIE JUNGE FRAU

So hol sie.

DER JUNGE HERR steht mit einem mächtigen Ruck auf

Acht.

DIE JUNGE FRAU erhebt sich rasch

Um Gottes willen … Rasch, Alfred, gib mir meine Strümpfe. Was soll ich denn nur sagen? Zu Hause wird man sicher schon auf mich warten … acht Uhr …

DER JUNGE HERR

Wann seh’ ich dich denn wieder?

DIE JUNGE FRAU

Nie.

DER JUNGE HERR

Emma! Hast du mich denn nicht mehr lieb?

DIE JUNGE FRAU

Eben darum. Gib mir meine Schuhe.

DER JUNGE HERR

Niemals wieder? Hier sind die Schuhe.

DIE JUNGE FRAU

In meinem Sack ist ein Schuhknöpfler. Ich bitt’ dich, rasch …

DER JUNGE HERR

Hier ist der Knöpfler.

DIE JUNGE FRAU

Alfred, das kann uns beide den Hals kosten.

DER JUNGE HERR höchst unangenehm berührt

Wieso?

DIE JUNGE FRAU

Ja, was soll ich denn sagen, wenn er mich fragt: Woher kommst du?

DER JUNGE HERR

Von der Schwester.

DIE JUNGE FRAU

Ja, wenn ich lügen könnte.

DER JUNGE HERR

Na, du mußt es eben tun.

DIE JUNGE FRAU

Alles für so einen Menschen. Ach, komm her … laß dich noch einmal küssen. Sie umarmt ihn – Und jetzt – – laß mich allein, geh ins andere Zimmer. Ich kann mich nicht anziehen, wenn du dabei bist.

DER JUNGE HERR geht in den Salon, wo er sich ankleidet. Er ißt etwas von der Bäckerei, trinkt ein Glas Cognac.

DIE JUNGE FRAU ruft nach einer Weile

Alfred!

DER JUNGE HERR

Mein Schatz.

DIE JUNGE FRAU

Es ist doch besser, daß wir nicht geweint haben.

DER JUNGE HERR nicht ohne Stolz lächelnd

Wie kann man so frivol reden?

DIE JUNGE FRAU

Wie wird das jetzt nur sein – wenn wir uns zufällig wieder einmal in Gesellschaft begegnen?

DER JUNGE HERR

Zufällig – einmal … Du bist ja morgen sicher auch bei Lobheimers?

DIE JUNGE FRAU

Ja. Du auch?

DER JUNGE HERR

Freilich. Darf ich dich um den Kotillon bitten?

DIE JUNGE FRAU

Oh, ich werde nicht hinkommen. Was glaubst du denn? – Ich würde ja … Sie tritt völlig angekleidet in den Salon, nimmt eine Schokoladebäckerei in die Erde sinken.

DER JUNGE HERR

Also morgen bei Lobheimer, das ist schön.

DIE JUNGE FRAU

Nein, nein … ich sage ab; bestimmt –

DER JUNGE HERR

Also übermorgen … hier.

DIE JUNGE FRAU

Was fällt dir ein?

DER JUNGE HERR

Um sechs …

DIE JUNGE FRAU

Hier an der Ecke stehen Wagen, nicht wahr? –

DER JUNGE HERR

Ja, so viel du willst. Also übermorgen hier um sechs. So sag doch ja, mein geliebter Schatz.

DIE JUNGE FRAU

… Das besprechen wir morgen beim Kotillon.

DER JUNGE HERR umarmt sie

Mein Engel.

DIE JUNGE FRAU

Nicht wieder meine Frisur ruinieren.

DER JUNGE HERR

Also morgen bei Lobheimers und übermorgen in meinen Armen.

DIE JUNGE FRAU

Leb wohl …

DER JUNGE HERR plötzlich wieder besorgt

Und was wirst du – ihm heut sagen?

DIE JUNGE FRAU

Frag nicht … frag nicht … es ist zu schrecklich. – Warum hab’ ich dich so lieb! – Adieu. – Wenn ich wieder Menschen auf der Stiege begegne, trifft mich der Schlag. – Pah! –

DER JUNGE HERR küßt ihr noch einmal die Hand.

DIE JUNGE FRAU geht.

DER JUNGE HERR bleibt allein zurück. Dann setzt er sich auf den Diwan. Er lächelt vor sich hin und sagt zu sich selbst

Also jetzt hab’ ich ein Verhältnis mit einer anständigen Frau.

Die junge Frau und der Ehemann

Ein behagliches Schlafgemach.

Es ist halb elf Uhr nachts. Die Frau liegt zu Bette und liest. Der Gatte tritt eben, im Schlafrock, ins Zimmer.

DIE JUNGE FRAU ohne aufzuschauen

Du arbeitest nicht mehr?

DER GATTE

Nein. Ich bin zu müde. Und außerdem …

DIE JUNGE FRAU

Nun? –

DER GATTE

Ich hab’ mich an meinem Schreibtisch plötzlich so einsam gefühlt. Ich habe Sehnsucht nach dir bekommen.

DIE JUNGE FRAU schaut auf

Wirklich?

DER GATTE setzt sich zu ihr aufs Bett

Lies heute nicht mehr. Du wirst dir die Augen verderben.

DIE JUNGE FRAU schlägt das Buch zu

Was hast du denn?

DER GATTE

Nichts, mein Kind. Verliebt bin ich in dich! Das weißt du ja!

DIE JUNGE FRAU

Man könnte es manchmal fast vergessen.

DER GATTE

Man muß es sogar manchmal vergessen.

DIE JUNGE FRAU

Warum?

DER GATTE

Weil die Ehe sonst etwas Unvollkommenes wäre. Sie würde … wie soll ich nur sagen … sie würde ihre Heiligkeit verlieren.

DIE JUNGE FRAU

Oh …

DER GATTE

Glaube mir – es ist so … Hätten wir in den fünf Jahren, die wir jetzt miteinander verheiratet sind, nicht manchmal vergessen, daß wir ineinander verliebt sind – wir wären es wohl gar nicht mehr.

DIE JUNGE FRAU

Das ist mir zu hoch.

DER GATTE

Die Sache ist einfach die: wir haben vielleicht schon zehn oder zwölf Liebschaften miteinander gehabt … Kommt es dir nicht auch so vor?

DIE JUNGE FRAU

Ich hab’ nicht gezählt! –

DER GATTE

Hätten wir gleich die erste bis zum Ende durchgekostet, hätte ich mich von Anfang an meiner Leidenschaft für dich willenlos hingegeben, es wäre uns gegangen wie den Millionen von anderen Liebespaaren. Wir wären fertig miteinander.

DIE JUNGE FRAU

Ah … so meinst du das?

DER GATTE

Glaube mir – Emma – in den ersten Tagen unserer Ehe hatte ich Angst, daß es so kommen würde.

DIE JUNGE FRAU

Ich auch.

DER GATTE

Siehst du? Hab’ ich nicht recht gehabt? Darum ist es gut, immer wieder für einige Zeit nur in guter Freundschaft miteinander hinzuleben.

DIE JUNGE FRAU

Ach so.

DER GATTE

Und so kommt es, daß wir immer wieder neue Flitterwochen miteinander durchleben können, da ich es nie drauf ankommen lasse, die Flitterwochen …

DIE JUNGE FRAU

Zu Monaten auszudehnen.

DER GATTE

Richtig.

DIE JUNGE FRAU

Und jetzt … scheint also wieder eine Freundschaftsperiode abgelaufen zu sein –?

DER GATTE sie zärtlich an sich drückend

Es dürfte so sein.

DIE JUNGE FRAU

Wenn es aber … bei mir anders wäre.

DER GATTE

Es ist bei dir nicht anders. Du bist ja das klügste und entzückendste Wesen, das es gibt. Ich bin sehr glücklich, daß ich dich gefunden habe.

DIE JUNGE FRAU

Das ist aber nett, wie du den Hof machen kannst – von Zeit zu Zeit.

DER GATTE hat sich auch zu Bett begeben

Für einen Mann, der sich ein bißchen in der Welt umgesehen hat – geh, leg den Kopf an meine Schulter – der sich in der Welt umgesehen hat, bedeutet die Ehe eigentlich etwas viel Geheimnisvolleres als für euch junge Mädchen aus guter Familie. Ihr tretet uns rein und … wenigstens bis zu einem gewissen Grad unwissend entgegen, und darum habt ihr eigentlich einen viel klareren Blick für das Wesen der Liebe als wir.

DIE JUNGE FRAU lachend

Oh!

DER GATTE

Gewiß. Denn wir sind ganz verwirrt und unsicher geworden durch die vielfachen Erlebnisse, die wir notgedrungen vor der Ehe durchzumachen haben. Ihr hört ja viel und wißt zu viel und lest ja wohl eigentlich auch zu viel, aber einen rechten Begriff von dem, was wir Männer in der Tat erleben, habt ihr ja doch nicht. Uns wird das, was man so gemeinhin die Liebe nennt, recht gründlich widerwärtig gemacht; denn was sind das schließlich für Geschöpfe, auf die wir angewiesen sind!

DIE JUNGE FRAU

Ja, was sind das für Geschöpfe?

DER GATTE küßt sie auf die Stirn

Sei froh, mein Kind, daß du nie einen Einblick in diese Verhältnisse erhalten hast. Es sind übrigens meist recht bedauernswerte Wesen – werfen wir keinen Stein auf sie.

DIE JUNGE FRAU

Bitt’ dich – dieses Mitleid – Das kommt mir da gar nicht recht angebracht vor.

DER GATTE mit schöner Milde

Sie verdienen es. Ihr, die ihr junge Mädchen aus guter Familie wart, die ruhig unter Obhut euerer Eltern auf den Ehrenmann warten konntet, der euch zur Ehe begehrt; – ihr kennt ja das Elend nicht, das die meisten von diesen armen Geschöpfen der Sünde in die Arme treibt.

DIE JUNGE FRAU

So verkaufen sich denn alle?

DER GATTE

Das möchte ich nicht sagen. Ich mein’ ja auch nicht nur das materielle Elend. Aber es gibt auch – ich möchte sagen – ein sittliches Elend; eine mangelhafte Auffassung für das, was erlaubt, und insbesondere für das, was edel ist.

DIE JUNGE FRAU

Aber warum sind die zu bedauern? – Denen geht’s ja ganz gut?

DER GATTE

Du hast sonderbare Ansichten, mein Kind. Du darfst nicht vergessen, daß solche Wesen von Natur aus bestimmt sind, immer tiefer und tiefer zu fallen. Da gibt es kein Aufhalten.

DIE JUNGE FRAU sich an ihn schmiegend

Offenbar fällt es sich ganz angenehm.

DER GATTE peinlich berührt

Wie kannst du so reden, Emma. Ich denke doch, daß es gerade für euch, anständige Frauen, nichts Widerwärtigeres geben kann als alle diejenigen, die es nicht sind.

DIE JUNGE FRAU

Freilich, Karl, freilich. Ich hab’s ja auch nur so gesagt. Geh, erzähl weiter. Es ist so nett, wenn du so red’st. Erzähl mir was.

DER GATTE

Was denn? –

DIE JUNGE FRAU

Nun – von diesen Geschöpfen.

DER GATTE

Was fällt dir denn ein?

DIE JUNGE FRAU

Schau, ich hab’ dich schon früher, weißt du, ganz am Anfang hab’ ich dich immer gebeten, du sollst mir aus deiner Jugend was erzählen.

DER GATTE

Warum interessiert dich denn das?

DIE JUNGE FRAU

Bist du denn nicht mein Mann? Und ist das nicht geradezu eine Ungerechtigkeit, daß ich von deiner Vergangenheit eigentlich gar nichts weiß?

DER GATTE

Du wirst mich doch nicht für so geschmacklos halten, daß ich – Genug, Emma … das ist ja wie eine Entweihung.

DIE JUNGE FRAU

Und doch hast du … wer weiß wie viel andere Frauen gerade so in den Armen gehalten wie jetzt mich.

DER GATTE

Sag doch nicht »Frauen«. Frau bist du.

DIE JUNGE FRAU

Aber eine Frage mußt du mir beantworten … sonst … sonst … ist’s nichts mit den Flitterwochen.

DER GATTE

Du hast eine Art, zu reden … denk doch, daß du Mutter bist … daß unser Mäderl da drin liegt …

DIE JUNGE FRAU an ihn sich schmiegend

Aber ich möcht’ auch einen Buben.

DER GATTE

Emma!

DIE JUNGE FRAU

Geh, sei nicht so … freilich bin ich deine Frau … aber ich möchte auch ein bissel … deine Geliebte sein.

DER GATTE

Möchtest du? …

DIE JUNGE FRAU

Also – zuerst meine Frage.

DER GATTE gefügig

Nun?

DIE JUNGE FRAU

War … eine verheiratete Frau – unter ihnen?

DER GATTE

Wieso? – Wie meinst du das?

DIE JUNGE FRAU

Du weißt schon.

DER GATTE leicht beunruhigt

Wie kommst du auf diese Frage?

DIE JUNGE FRAU

Ich möchte wissen, ob es … das heißt – es gibt solche Frauen … das weiß ich. Aber ob du …

DER GATTE ernst

Kennst du eine solche Frau?

DIE JUNGE FRAU

Ja, ich weiß das selber nicht.

DER GATTE

Ist unter deinen Freundinnen vielleicht eine solche Frau?

DIE JUNGE FRAU

Ja, wie kann ich das mit Bestimmtheit behaupten – oder verneinen?

DER GATTE

Hat dir vielleicht einmal eine deiner Freundinnen … Man spricht über gar manches, wenn man so – die Frauen unter sich – hat dir eine gestanden –?

DIE JUNGE FRAU unsicher

Nein.

DER GATTE

Hast du bei irgendeiner deiner Freundinnen den Verdacht, daß sie …

DIE JUNGE FRAU

Verdacht … oh … Verdacht.

DER GATTE

Es scheint.

DIE JUNGE FRAU

Gewiß nicht Karl, sicher nicht. Wenn ich mir’s so überlege – ich trau’ es doch keiner zu.

DER GATTE

Keiner?

DIE JUNGE FRAU

Von meinen Freundinnen keiner.

DER GATTE

Versprich mir etwas, Emma.

DIE JUNGE FRAU

Nun.

DER GATTE

Daß du nie mit einer Frau verkehren wirst, bei der du auch den leisesten Verdacht hast, daß sie … kein ganz tadelloses Leben führt.

DIE JUNGE FRAU

Das muß ich dir erst versprechen?

DER GATTE

Ich weiß ja, daß du den Verkehr mit solchen Frauen nicht suchen wirst. Aber der Zufall könnte es fügen, daß du … Ja, es ist sogar sehr häufig, daß gerade solche Frauen, deren Ruf nicht der beste ist, die Gesellschaft von anständigen Frauen suchen, teils um sich ein Relief zu geben, teils aus einem gewissen … wie soll ich sagen … aus einem gewissen Heimweh nach der Tugend.

DIE JUNGE FRAU

So.

DER GATTE

Ja. Ich glaube, daß das sehr richtig ist, was ich da gesagt habe. Heimweh nach der Tugend. Denn daß diese Frauen alle eigentlich sehr unglücklich sind, das kannst du mir glauben.

DIE JUNGE FRAU

Warum?

DER GATTE

Du fragst, Emma? – Wie kannst du denn nur fragen? – Stell dir doch vor, was diese Frauen für eine Existenz führen! Voll Lüge, Tücke, Gemeinheit und voll Gefahren.

DIE JUNGE FRAU

Ja freilich. Da hast du schon recht.

DER GATTE

Wahrhaftig – sie bezahlen das bißchen Glück … das bißchen …

DIE JUNGE FRAU

Vergnügen.

DER GATTE

Warum Vergnügen? Wie kommst du darauf, das Vergnügen zu nennen?

DIE JUNGE FRAU

Nun – etwas muß es doch sein –! Sonst täten sie’s ja nicht.

DER GATTE

Nichts ist es … ein Rausch.

DIE JUNGE FRAU nachdenklich

Ein Rausch.

DER GATTE

Nein, es ist nicht einmal ein Rausch. Wie immer – teuer bezahlt, das ist gewiß!

DIE JUNGE FRAU

Also … du hast das einmal mitgemacht – nicht wahr?

DER GATTE

Ja, Emma. – Es ist meine traurigste Erinnerung.

DIE JUNGE FRAU

Wer ist’s? Sag! Kenn’ ich sie?

DER GATTE

Was fällt dir denn ein?

DIE JUNGE FRAU

Ist’s lange her? War es sehr lang, bevor du mich geheiratet hast?

DER GATTE

Frag nicht. Ich bitt’ dich, frag nicht.

DIE JUNGE FRAU

Aber Karl!

DER GATTE

Sie ist tot.

DIE JUNGE FRAU

Im Ernst?

DER GATTE

ja … es klingt fast lächerlich, aber ich habe die Empfindung, daß alle diese Frauen jung sterben.

DIE JUNGE FRAU

Hast du sie sehr geliebt?

DER GATTE

Lügnerinnen liebt man nicht.

DIE JUNGE FRAU

Also warum …

DER GATTE

Ein Rausch …

DIE JUNGE FRAU

Also doch?

DER GATTE

Sprich nicht mehr davon, ich bitt’ dich. Alles das ist lang vorbei. Geliebt hab’ ich nur eine – das bist du. Man liebt nur, wo Reinheit und Wahrheit ist.

DIE JUNGE FRAU

Karl!

DER GATTE

Oh, wie sicher, wie wohl fühlt man sich in solchen Armen. Warum hab’ ich dich nicht schon als Kind gekannt? Ich glaube, dann hätt’ ich andere Frauen überhaupt nicht angesehen.

DIE JUNGE FRAU

Karl!

DER GATTE

Und schön bist du! … Schön! … O komm … Er löscht das Licht aus.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

DIE JUNGE FRAU

Weißt du, woran ich heute denken muß?

DER GATTE

Woran, mein Schatz?

DIE JUNGE FRAU

An … an … an Venedig.

DER GATTE

Die erste Nacht …

DIE JUNGE FRAU

Ja … so …

DER GATTE

Was denn –? So sag’s doch!

DIE JUNGE FRAU

So lieb hast du mich heut.

DER GATTE

Ja, so lieb.

DIE JUNGE FRAU

Ah … Wenn du immer …

DER GATTE in ihren Armen

Wie?

DIE JUNGE FRAU

Mein Karl!

DER GATTE

Was meintest du? Wenn ich immer …

DIE JUNGE FRAU

Nun ja.

DER GATTE

Nun, was wär’ denn, wenn ich immer …?

DIE JUNGE FRAU

Dann wüßt’ ich eben immer, daß du mich lieb hast.

DER GATTE

Ja. Du mußt es aber auch so wissen. Man ist nicht immer der liebende Mann, man muß auch zuweilen hinaus ins feindliche Leben, muß kämpfen und streben! Das vergiß nie, mein Kind! Alles hat seine Zeit in der Ehe – das ist eben das Schöne. Es gibt nicht viele, die sich noch nach fünf Jahren an – ihr Venedig erinnern.

DIE JUNGE FRAU

Freilich!

DER GATTE

Und jetzt … gute Nacht, mein Kind.

DIE JUNGE FRAU

Gute Nacht!

Der Gatte und das süße Mädel

Ein Cabinet particulier im Riedhof. Behagliche, mäßige Eleganz. Der Gasofen brennt. –

Der Gatte. Das süße Mädel.

Auf dem Tisch sind die Reste einer Mahlzeit zu sehen; Obersschaumbaisers, Obst, Käse. In den Weingläsern ein ungarischer weißer Wein.

DER GATTE raucht eine Havannazigarre, er lehnt in der Ecke des Diwans.

DAS SÜSSE MÄDEL sitzt neben ihm auf dem Sessel und löffelt aus einem Baiser den Obersschaum heraus, den sie mit Behagen schlürft.

DER GATTE

Schmeckt’s?

DAS SÜSSE MÄDEL läßt sich nicht stören

Oh!

DER GATTE

Willst du noch eins?

DAS SÜSSE MÄDEL

Nein, ich hab’ so schon zu viel gegessen.

DER GATTE

Du hast keinen Wein mehr. Er schenkt ein.

DAS SÜSSE MÄDEL

Nein … aber schaun S’, ich lass’ ihn ja eh stehen.

DER GATTE

Schon wieder sagst du Sie.

DAS SÜSSE MÄDEL

So? – Ja wissen S’, man gewöhnt sich halt so schwer.

DER GATTE

Weißt du.

DAS SÜSSE MÄDEL

Was denn?

DER GATTE

Weißt du, sollst du sagen; nicht wissen S’. – Komm, setz dich zu mir.

DAS SÜSSE MÄDEL

Gleich … bin noch nicht fertig.

DER GATTE steht auf, stellt sich hinter den Sessel und umarmt das süße Mädel, indem er ihren Kopf zu sich wendet.

DAS SÜSSE MÄDEL

Na, was ist denn?

DER GATTE

Einen Kuß möcht’ ich haben.

DAS SÜSSE MÄDEL gibt ihm einen Kuß

Sie sind … o pardon, du bist ein kecker Mensch.

DER GATTE

Jetzt fällt dir das ein?

DAS SÜSSE MÄDEL

Ah nein, eingefallen ist es mir schon früher … schon auf der Gassen. – Sie müssen –

DER GATTE

Du mußt.

DAS SÜSSE MÄDEL

Du mußt dir eigentlich was Schönes von mir denken.

DER GATTE