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»Soweit ich weiß, hatte Zadkiel selbst nichts mit dem alten Ägypten am Hut.«, sagte Oirbsen. »Einer seiner Vorgänger dagegen soll vor Tausenden von Jahren versucht haben, die Königspyramiden zu schwarzmagischen Verstärkern umzufunktionieren. Doch der sogenannte Aton-Stern, mit dem er dies bewerkstelligen wollte, ging verloren. Den Effekt, den Zadkiel in Mettlingen erzeugt hat, könnte man mit Hilfe des Aton-Sterns vermutlich auf die ganze Welt übertragen.«
»Dann bleibt dieses Ding hoffentlich für alle Zeiten verschwunden!«
Ernst erwiderte Oirbsen meinen Blick. »Es wird dir vielleicht nicht gefallen, Coco, aber der Aton-Stern ist das sechste Siegel ...«
Ohne zu ahnen, was Marianne Schwentner und ihrer Familie zugestoßen ist, tritt Coco erneut die Reise in die Vergangenheit an, um den Aton-Stern aus der Gruft einer reichen Ägypterin namens Merit-Apuja zu entwenden. Doch die Ereignisse aus Gegenwart und Vergangenheit hängen zusammen, und als Coco den Zeitschacht verlässt, findet sie sich im Jahr 2139 v. Chr. wieder - und Merit-Apuja ist noch am Leben ...
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Seitenzahl: 129
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Was bisher geschah
DER TEMPEL DES CHUENPTAH
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.
Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.
Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf mit einem von Würmern zerfressenen Gesicht, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.
Cocos Verfehlung hat Konsequenzen. Die Stellung der Zamis in Wien wird angefochten. Nur Coco ist es zu verdanken, dass sie über ihre Herausforderer aus der Sippe der Winkler-Forcas triumphieren. Auch Asmodi hat die Schmach, die Coco ihm zugefügt hat, nicht vergessen. Jedoch verzichtet er scheinbar großzügig auf weitere Maßnahmen, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt.
Der Hilferuf ihres Bruders Georg führt Coco bald darauf in die Burg des Dämons Gorshat – und in eine Falle, die Asmodi und der dämonische Archivar Zakum ihr stellen. Coco dreht den Spieß um und entwendet den Signatstern aus Zakums Archiv – das erste von sieben Siegeln, die sie benötigt, um den Magier Merlin aus seinem Gefängnis im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde, zu befreien. Auf mehreren Reisen in die Vergangenheit erbeutet sie auch die nächsten drei Siegel, einen Armreif, einen Ring und das magische Vlies, bis sie im mittelalterlichen Mettlingen mit dem orphischen Ei schließlich das fünfte Siegel in sich aufnimmt. Das sechste Siegel, der Aton-Stern, wird sie jedoch so tief in die Vergangenheit führen wie nie zuvor – ins Ägypten des Jahres 2139 v. Chr. ...
DER TEMPEL DES CHUENPTAH
von Ralf Schuder
Oirbsen, der Bote Merlins, hatte mich zum Roten Berg gerufen, nicht weit entfernt von der Villa meiner Familie am Ende der Ratmannsdorfgasse. Wie aus dem Nichts tauchte seine gedrungene Gestalt neben mir auf.
»Erinnerst du dich an den Sarkophag, den du in Mettlingen gesehen hast?«
Ich nickte. »Der Deckel zeigte ein altägyptisches Relief mit einer Sphinx, deren Stirn ein zwölfeckiger Stern zierte. Aber was hat der Sarkophag mit Merlin zu tun?«
Oirbsen verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging den Weg hinauf. »Soweit ich weiß, hatte Zadkiel selbst nichts mit dem alten Ägypten am Hut. Einer seiner Vorgänger dagegen soll vor Tausenden von Jahren versucht haben, die Königspyramiden zu schwarzmagischen Verstärkern umzufunktionieren. Doch der sogenannte Aton-Stern, mit dem er dies bewerkstelligen wollte, ging verloren. Den Effekt, den Zadkiel in Mettlingen erzeugt hat, könnte man mit Hilfe des Aton-Sterns vermutlich auf die ganze Welt übertragen.«
Das klang nicht gerade erfreulich.
»Hoffentlich bleibt dieser Aton-Stern für alle Zeiten verschwunden«, sagte ich.
»Er ist das sechste Siegel«, erwiderte Oirbsen. »Der Sarkophag, den du in Mettlingen gesehen hast, war der Totenschrein einer Ägypterin namens Merit-Apuja. Zadkiel hatte gehofft, darin den Aton-Stern zu finden.«
»Warum sollte sich dieses Siegel ausgerechnet in einem Sarkophag befinden?«
»Merit-Apuja war die Gemahlin eines außerordentlich reichen und mächtigen Beamten. Sein Name war Chuenptah. Er besaß ein riesiges Haus und einen eigenen Tempel. Als Merit-Apuja im Jahre 2138 vor Christus starb, legte man ungeheure Schätze in ihre Gruft. Von Merlin weiß ich, dass sich unter den Grabbeigaben auch der Aton-Stern befand. Allerdings verschwand das Siegel wenig später aus der Gruft. Das bedeutet, du müsstest kurz nach Merit-Apujas Bestattung im alten Ägypten erscheinen, um den Aton-Stern auch wirklich vorzufinden. Doch ich sehe da keine Probleme – es dürfte dir nicht besonders schwerfallen, ihn zu entwenden.«
Ich blickte Oirbsen skeptisch an. »Bisher war es noch nie einfach, an eines der Siegel zu kommen.«
»Diesmal wird es anders sein. Die Gruft befindet sich im selben Tempel wie der Zeitschacht. Sobald du in der Vergangenheit bist, versetzt du dich in den schnelleren Zeitablauf, suchst die Gruft auf, schnappst dir den Aton-Stern und kehrst in die Gegenwart zurück.«
Ich schüttelte den Kopf. Oirbsen stellte sich die Sache zu einfach vor. Nach einer Zeitreise dauerte es immer eine Weile, bis meine magischen Kräfte zurückkehrten. So stand mir auch der schnellere Zeitablauf nicht sofort zur Verfügung. In diesem Zeitraum konnte mir alles Mögliche zustoßen.
»Wie sieht dieser Aton-Stern aus?«
»Er ähnelt der Darstellung auf dem Sarkophag. Es handelt sich um einen flachen, zwölfzackigen Stern, nicht viel größer als eine Handfläche. In seiner Mitte sitzt ein durchsichtiger Opal – in ihm sind ungeheure Energien gespeichert. Das sechste Siegel ist der eigentliche Schlüssel zu Merlins Gefängnis. Du musst ihn also unbedingt an dich bringen.«
»Dieser Tempel, in dem sich der Zeitschacht befindet – warum haben die Menschen ihn noch nicht entdeckt?«
»Er befindet sich unter der Erde, der Zugang ist nicht ohne Weiteres zu finden.«
Er zögerte, weiterzusprechen. Ich war sicher, dass er mir etwas verschwieg.
»Ich kann nicht glauben, dass er jahrtausendelang unentdeckt geblieben ist.«
»Asmodi ist wahrscheinlich darüber im Bilde, dass in dem Tempel ein Zeitschacht existiert – darum schützt er ihn durch einen Zauber vor der Entdeckung.« Er seufzte. »Es gibt durchaus Hinweise auf dämonische Aktivitäten. Vor zwei Wochen wurde eine österreichische Touristin namens Marianne Schwentner verletzt und völlig erschöpft in der Oase aufgefunden. Sie gab der Polizei zu Protokoll, von einem übernatürlichen Wesen attackiert worden zu sein. Natürlich hat man ihr nicht geglaubt.«
»War sie allein unterwegs?«
»Ihre Familie wird vermisst. Frau Schwentner ist überzeugt davon, dass sie den Dämonen zum Opfer gefallen ist.«
»Ich möchte mit dieser Frau sprechen.«
Oirbsen nickte. »Sie ist bereits wieder in Wien. Ich habe sie angerufen, und sie hat sich bereiterklärt, mit uns zu sprechen.«
Gerade hatten wir die höchste Stelle des Roten Berges erreicht. Die Lichter der Großstadt schienen unendlich weit entfernt zu sein. Dunkle Wolken schoben sich vor den Mond, und ein heftiger Wind kam auf. Außer uns war niemand hier oben, was ungewöhnlich war.
Oirbsen blieb stehen. Er deutete mit der Hand nach vorn. »Hier stimmt etwas nicht!«
Mitten auf dem Weg befand sich eine trichterartige Vertiefung, ein dunkles Loch, dessen Tiefe nicht abzuschätzen war. Vorsichtig ging ich auf die Öffnung zu und beugte mich über den Rand. Noch immer konnte ich nichts erkennen.
»Diese Grube ist nicht auf natürliche Weise entstanden«, sagte Oirbsen. »Die schwarzmagische Ausstrahlung ist deutlich zu spüren.«
Die Aura war schwach, aber eindeutig dämonischer Herkunft. Wir machten einen großen Bogen um die Öffnung und gingen weiter. Plötzlich schrie Oirbsen auf. Er riss die Arme nach oben und stürzte zu Boden.
»Hilf mir, Coco! Irgendetwas hat mich gepackt!«
Ich sah an ihm herunter. Eine abscheuliche Hand ragte aus der Erde und umklammerte das Fußgelenk des Gnoms. Die Klaue war mit raubtierartigen Krallen bewehrt, die Haut glänzte dunkel, fast schwarz.
Ich kniete mich hin und packte die unheimliche Hand. Ihr Griff war unnachgiebig, und trotz aller Anstrengung gelang es mir nicht, Oirbsen zu befreien. Ich blickte mich gehetzt um – in meiner Reichweite lag ein großer Stein. Ich holte aus und schlug auf die Pranke ein – immer und immer wieder. Aus der Tiefe ertönte ein dumpfes Krächzen. Die Hand öffnete sich und gab Oirbsens Bein frei. Dann verschwand sie im Boden. Keine Öffnung, keine aufgewühlte Erde blieb zurück.
Doch die Attacke war noch nicht vorbei. Eine zweite Hand schoss hervor und packe mich an den Haaren. Mit unglaublicher Brutalität wurde ich nach unten gerissen. Ich hatte das Gefühl, skalpiert zu werden – die Tränen schossen mir in die Augen, und ich hörte mich selber schreien. Oirbsen kam mir zur Hilfe: Er hatte sich aufgerichtet und hielt plötzlich ein silbernes Messer in der rechten Hand. Blitzschnell holte er aus und stieß die Klinge in den Arm des Angreifers.
Ein greller Schrei drang aus der Tiefe herauf, und wiederum wurde die Hand zurückgezogen.
»Was war das für eine Kreatur? Ein Ghoul?«, fragte Oirbsen keuchend.
»Vielleicht.« Ich erhob mich. Eigentlich konnte ich mir jedoch nicht vorstellen, dass ein träger, feiger Leichenfresser hinter einem solchen Angriff stecken sollte. »Wir sollten verschwinden.«
Doch bevor wir uns in Bewegung setzen konnten, tat sich zwischen uns der Boden auf. Eine hagere, dunkelhäutige Gestalt schoss nach oben. Ihr Gesicht war mir zugewandt, und ich konnte mich nicht entsinnen, jemals etwas Fremdartigeres gesehen zu haben. Die Haut des Wesens war anthrazitfarben, die Augen waren schräggestellt, die ovalen Pupillen leuchteten gelb. Die Nase war ein lederartiger Hautlappen, der sich pulsierend bewegte. Darunter befand sich eine Mundöffnung, aus der lange, spitze Zähne herausragten.
Das Wesen schlug nach mir, und ich wich zurück.
Oirbsen sprang herbei und stieß dem Wesen das Messer in den Rücken. Es brüllte wie ein Tier und raste senkrecht in die Erde zurück.
Der Gnom packte meinen Arm, und wir machten, dass wir fortkamen. Unter unseren Füßen begann es zu rumoren. Wir hörten langgezogene, dumpfe Schreie und Kratzgeräusche, als seien unzählige Körper dabei, sich zur Erdoberfläche hinaufzuarbeiten. Die bösartige Ausstrahlung wurde unerträglich.
Wenige Meter vor uns tauchten zwei der seltsamen Wesen auf. Wir blieben stehen und sahen uns um. Von allen Seiten kamen die Kreaturen auf uns zu.
Ich versetzte mich in den rascheren Zeitablauf und bezog Oirbsen in das Zeitfeld ein. Die Bewegungen der Wesen wurden scheinbar langsamer, bis sie schließlich ganz erstarrten.
»Zur Straße!«, rief Oirbsen.
Wir liefen bis zum Fuße des Roten Bergs, erst dort hob ich das Zeitfeld auf. Ich war erleichtert, endlich wieder Menschen um mich herum zu sehen. Ich ging davon aus, dass Asmodi uns diese Wesen auf den Hals gehetzt hatte. Vielleicht ließ er längst jedes Mitglied unserer Familie überwachen. Aber er würde es nicht wagen, seinen Angriff auf offener Straße zu wiederholen.
Wir gingen ein Stück zu Fuß, bis wir an eine belebtere Straße kamen. Oirbsen rief ein Taxi herbei und nannte dem Fahrer die Adresse von Marianne Schwentner.
Frau Schwentner wohnte am Rande Wiens in einem vierstöckigen Mietshaus, das man getrost als kleinbürgerlich bezeichnen konnte.
»Du solltest deinen Zylinder abnehmen – mit ihm wirkst du nicht besonders seriös«, sagte ich zu Oirbsen.
Er seufzte, nahm die Kopfbedeckung in die Hände und schob sie zusammen. Die flache Scheibe, die übrig lieb, ließ er unter seiner Jacke verschwinden.
Noch immer wusste ich nicht genau, warum Oirbsen von solch seltsamer Gestalt war. Als er behauptet hatte, der legendäre Manannan mac Lir zu sein, hatte ich ihm nicht geglaubt – ich hatte Manannan als ansehnlichen, hochgewachsenen Mann in Erinnerung, stets geradeheraus und mutig. Das konnte man von Oirbsen nicht sagen – ihm haftete eine gewisse Bauernschläue an.
»Ja?«, erklang eine Frauenstimme aus der Gegensprechanlage.
»Mein Name ist Oirbsen. Ich hatte mich angemeldet.«
Der Türsummer ertönte.
Im Stiegenhaus roch es scharf nach Bohnerwachs, und ein eifriger Hausmeister hatte mehrere Schilder und Zettel mit Verhaltensregeln an die Wände gehängt. Es gab keinen Fahrstuhl, und so mussten wir uns mit der Treppe begnügen.
Schnaufend erreichten wir den vierten Stock, wo bereits eine mürrisch dreinschauende, dunkelhaarige Frau auf uns wartete. Sie betrachtete uns misstrauisch, schien sich an Oirbsens sonderbarer Gestalt jedoch nicht zu stören.
»Ich möchte Ihnen Fräulein Zamis vorstellen«, sagte Oirbsen. »Sie interessiert sich brennend für die Vorfälle in Ägypten.«
Ich reichte ihr die Hand.
»Ich bin Mariannes Schwester. Aber bitte, kommen Sie doch erst einmal herein!«
Wir folgten ihr in einen großzügig angelegten Korridor, wo sie mir den Mantel abnahm. Die Küchentür war nur angelehnt, und der verlockende Geruch von frisch gebrühtem Kaffee wehte herüber.
»Ich möchte Sie bitten, Rücksicht auf Mariannes Zustand zu nehmen. Die Ereignisse haben ihr schwer zugesetzt. Seit ihrer Rückkehr aus Kairo ist sie nicht einmal mehr in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Einkaufen, Kochen, das alles besorge ich. Außerdem hat sie sich noch mehr ihrem absonderlichen Hobby gewidmet.«
»Ihr Hobby?«
»Wahrsagerei, Hexenkram, Hokuspokus ...« Sie schüttelte missbilligend den Kopf. »Treten Sie ein, dann wissen Sie, was ich meine.«
Marianne Schwentner saß in einem wuchtigen Ohrensessel. Sie starrte auf einen überlaut eingestellten Fernseher und schien uns nicht zu bemerken. Ihre Haare standen wirr vom Kopf ab, sie machte einen ungepflegten Eindruck. Vor ihr, auf dem Wohnzimmertisch, brannten sieben weiße Kerzen. Auf der Tapete über dem Sofa prangte ein heller Fleck – offenbar war vor Kurzem ein großes Gemälde abgenommen worden. Jetzt hing an seiner Stelle ein Kruzifix. Der Duft von Weihrauch durchströmte das Zimmer.
Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Auch wenn ich mit den Grausamkeiten der Schwarzen Familie nichts zu schaffen haben wollte, war ich doch eine Hexe, und die Symbole der christlichen Religion bereiteten mir Schmerzen.
»Der Signatstern, Coco!«, raunte Oirbsen mir zu. »Umfasse ihn mit beiden Händen und lege einen Schutzzauber um dich.«
Ich tat, was er mir sagte, und tatsächlich ging es mir augenblicklich besser. Der Signatstern verstärkte meine magischen Kräfte, das hatte er bereits mehr als einmal bewiesen. Wiederum blickte ich auf das Kreuz. Noch immer bereitete es mir Unbehagen, aber nicht so schlimm, dass ich nicht damit hätte fertig werden können.
»Dürfen wir uns setzen, Frau Schwentner?«, fragte Oirbsen.
Sie nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ab.
Oirbsen stellte uns beide vor. Ich gab Marianne Schwentner die Hand. Sie blickte mich mit traurigen, rotgeränderten Augen an. Ihr Händedruck war schwach, und ihr Arm sackte kraftlos nach unten.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
Oirbsen setzte sich auf die Couch, genau unter das große Kruzifix. Ich ließ mich in einem Sessel nieder. Frau Schwentners Schwester betrat das Zimmer und stellte drei Tassen Kaffee auf den Tisch.
Marianne Schwentner wandte sich an Oirbsen. »Habe ich Sie am Telefon richtig verstanden? Sie wollen nach Ägypten reisen?«
Er bejahte.
»Dann müssen Sie mir versprechen, die Oase Saa aufzusuchen! Mein Sohn Nico wird dort festgehalten. Sie müssen ihm helfen, er ist erst elf Jahre alt.«
»Sie wissen, dass er noch lebt?«, fragte ich überrascht.
Sie nickte. »Seit er verschwunden ist, erscheint er mir jede Nacht im Traum. Er wird in einem dunklen Raum gefangen gehalten und erhält nur wenig zu essen und zu trinken. Ich versuche ständig, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber ich bin zu schwach, um ihn zu befreien. Und die Behörden unternehmen nichts, denn sie halten mich für verrückt.«
Ich spürte tiefes Mitleid mit ihr. Mochten ihre Visionen in Wirklichkeit nur Hirngespinste sein, das Schicksal hatte dieser Frau übel mitgespielt.
Ich fixierte sie, um sie zu hypnotisieren. Von einer Sekunde zur anderen wurde ihr Blick ausdruckslos. Ihr Mund öffnete sich ein wenig, was ihr ein stupides Aussehen verlieh.