Das Haus Zamis 27 - Ralf Schuder - E-Book

Das Haus Zamis 27 E-Book

Ralf Schuder

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Beschreibung

Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Knarrend schwang die Tür auf. Das wenige Licht, das in den Raum drang, reichte aus, um Georg zu blenden. Er kniff die Augen zusammen, und nach einigen Sekunden erkannte er die Umrisse einer hässlichen Kreatur. Sie bewegte sich aufrecht wie ein Mensch und besaß die schuppige Haut und den Kopf einer Echse. Das Ungetüm trug ein Gewand aus dunklem Leder, um seine Hüfte hatte es einen breiten Gürtel geschnallt, in einem Futteral steckte ein furchterregend großes Messer.
Das Monster atmete rasselnd, und aus seinem Maul kamen ständig neue Speichelbläschen hervor, die sich immer weiter aufblähten, bis sie zerplatzten und als klebrige Fäden am Kinn hinabliefen.
»Steh auf!«, krächzte der Hässliche. »Du kommst mit mir ...«


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Seitenzahl: 152

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

EISKALTER ZORN

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.

Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.

Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf mit einem von Würmern zerfressenen Gesicht, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.

Cocos Verfehlung hat Konsequenzen. Die Stellung der Zamis in Wien wird angefochten. Nur Coco ist es zu verdanken, dass sie über ihre Herausforderer aus der Sippe der Winkler-Forcas triumphieren. Auch Asmodi hat die Schmach, die Coco ihm zugefügt hat, nicht vergessen. Jedoch verzichtet er scheinbar großzügig auf weitere Maßnahmen, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt. Merlin aber ist seinerseits gefangen – im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde. Um ihn zu befreien, muss Coco sieben Siegel erbeuten, die sie vor dem Einfluss der Zentrumsdämonen schützen. Als Coco diese Aufgabe meistert, erfüllt sich Merlins Prophezeiung, dass sie sich an diese Ereignisse schon bald nicht mehr erinnern wird.

Zurück auf der Erdoberfläche, muss Coco erfahren, dass ihr Bruder Georg auf Asmodis Teufelsinsel entführt worden ist, wo er von Axinum gefangengehalten wird – einem künstlichen Geschöpf, das Asmodi aus drei verschiedenen Dämonen zusammengefügt hat. Axinums Attacken auf die Zamis-Sippe widersprechen eindeutig den Statuten der Schwarzen Familie, aber der undurchsichtige Schiedsrichter Skarabäus Toth deckt Asmodis Komplott ...

EISKALTER ZORN

von Ralf Schuder

Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit.

Nur manchmal, wenn er angestrengt in die Finsternis starrte, spielten ihm seine Nerven Lichtblitze und bunte Muster vor. Und mitunter, wenn er vor sich hindöste, kamen die Gesichter zu ihm: Vater und Mutter ... Coco, Adalmar, Lydia. Aber auch die Fratzen von Asmodi, Zakum und Axinum erschienen vor seinem geistigen Auge.

Er atmete die modrige Luft tief ein und aus. Ein Mensch wäre in diesem Kerker vielleicht verrückt geworden, hätte sich von der Dunkelheit in den Irrsinn treiben lassen. Er nicht, denn er war kein Mensch. Er war Georg Zamis, Mitglied einer der mächtigsten Dämonensippen Europas.

Das Gespräch, das er mit seinem Vater via Kristallkugel geführt hatte, schien unendlich in der Zeit zurückzuliegen. Und wer konnte schon sagen, was in der Zwischenzeit geschehen war?

Vermutlich hatte der Fürst der Finsternis die Situation ausgenutzt, um Coco und die anderen Mitglieder der Familie Zamis in eine Falle zu locken.

1. Kapitel

Wäre ihnen etwas geschehen, Georg könnte es sich nicht verzeihen.

Seine Gedanken schweiften zu Aydin Özdes und Eve Richards, die sich so tapfer geschlagen hatten, obgleich sie nur Menschen waren. Marco Caprese gehörte zu Georgs besten und einflussreichsten Freunden, und er hatte den beiden zweifellos jede erdenkliche Hilfe zukommen lassen.

Doch diese Überlegungen schienen im Moment nicht von Bedeutung zu sein. Georg saß auf dem Boden, den Rücken an eine kalte, feuchte Mauer gelehnt. Der Vampir Necato hatte ihn in dieses finstere Verlies geworfen und ihm seitdem weder zu essen noch zu trinken gegeben.

Doch es gab eine Hoffnung, an die Georg sich klammerte. Der Fürst der Finsternis, der in den vielen Jahren seiner Herrschaft allzu selbstgefällig geworden war, glaubte noch immer, dass Axinum vollkommen unter seiner Kontrolle stand. Georg aber zweifelte daran – seiner Meinung nach war der künstliche Dämon unberechenbar geworden.

Es war still in dem Verlies. Georg hörte seinen eigenen Atem und das Schlagen seines Herzens. Doch irgendetwas gesellte sich zu diesen Geräuschen ... etwas, das noch fern war, aber stetig näher kam. Er konzentrierte sich und glaubte Schritte zu hören.

Ja, es waren Schritte, dessen war er sich bald gewiss. Er hörte ein metallisches Klirren – jemand hantierte mit einem Schlüsselbund herum.

Dann wurde der Schlüssel im Schloss gedreht, knarrend schwang die Tür auf. Das wenige Licht, das in den Raum drang, reichte aus, um Georg zu blenden. Er kniff die Augen zusammen, und nach einigen Sekunden erkannte er die Umrisse einer unglaublich hässlichen Kreatur. Sie bewegte sich aufrecht wie ein Mensch, besaß aber die schuppige Haut und den Kopf einer Echse. Das Ungetüm trug ein Gewand aus dunklem Leder, um seine Hüfte hatte es einen breiten Gürtel geschnallt, in einem Futteral steckte ein furchterregend großes Messer.

Es atmete rasselnd, und aus seinem Maul kamen ständig neue Speichelbläschen hervor, die sich immer weiter aufblähten, bis sie zerplatzten und als klebrige Fäden am Kinn hinabliefen. Die Augen waren klein und bewegungslos, sie stierten Georg an.

»Steh auf!«, krächzte der Hässliche. »Du kommst mit mir.«

Georg erhob sich stöhnend; ihm war kalt bis auf die Knochen, seine Muskeln schmerzten. Die abstoßende Kreatur war kein Dämon, sondern eines der zahlreichen fremdartigen Wesen, die die Teufelsinsel bevölkerten.

»Was willst du von mir? Mich zu Axinum bringen?«, fragte Georg, dessen Kopf sich auf Höhe der Schultern des Echsenwesens befand.

»Das hat dich nicht zu interessieren.«

Georg spürte, dass er zu geschwächt war, um sich in den schnelleren Zeitablauf zu versetzen. Er machte einige Schritte auf das Echsenwesen zu und glaubte, in seinen starren Augen einen Ausdruck von Geringschätzung zu erkennen.

»Geh vor! Ich will dich im Auge behalten.« Das Gekrächze hallte durch das unterirdische Gewölbe.

Georg blieb nichts weiter übrig, als der Aufforderung nachzukommen. Mit einem misstrauischen Blick ging er an dem Wesen vorbei. Vor ihm lag ein schmaler Gang, der von Fackeln erhellt wurde, die in unregelmäßigen Abständen an den Wänden hingen. Die Wände und die Decke bestanden aus grob gehauenen Steinen, sie waren feucht, und schmale Rinnsale modrigen Wassers liefen von ihnen herab.

Die Echsenkreatur stieß ihn vor sich her, trieb ihn zur Eile an. Georg fühlte sich elend und schwach, und während er durch den Gang stolperte, glaubte er einige Male, dass er sich nicht würde auf den Beinen halten können. Im Geiste sah er sich bereits mit dem Schädel voran auf den harten Steinboden prallen.

Der Gang schien kein Ende zu nehmen. Georgs Blick fiel auf eine Fackel, die lose in ihrer Halterung steckte.

»Weiter! Weiter!«

Georg setzte alles auf eine Karte. Er sprang auf die Fackel zu und riss sie an sich. Das Echsenwesen gab ein gurgelndes Krächzen von sich, das Überraschung und Wut ausdrücken mochte. Dann schlug es mit der rechten Pranke nach Georg, doch der wich dem Hieb aus und stieß die Fackel in die Fratze des Monstrums. Kochender Teer ergoss sich über die starren Echsenaugen.

»Mach es weg! Mach es weg!« Das Gebrüll war kaum zu verstehen.

Doch Georg kannte keine Gnade. Immer wieder schlug er mit der Fackel zu, und er hörte erst damit auf, als der Hässliche zu taumeln begann und stürzte. Georg beugte sich vor und nahm ihm das Messer ab. Ohne zu zögern, schnitt er der Kreatur die Kehle durch.

Im Todeskampf gab der Hässliche entsetzliche Laute von sich ... er wand sich hin und her und begann konvulsivisch zu zucken. Georg wartete nicht ab, bis das Monstrum starb – er stürzte nach vorn, dem Ausgang entgegen.

Der Weg führte wie eine Rampe steil in die Höhe, und kühle, frische Luft wehte ihm ins Gesicht. Er hörte das Rauschen des nahen Meeres, und in diesem Augenblick wuchs seine Hoffnung, doch noch von der Teufelsinsel entkommen zu können. Aber er hatte sich verausgabt – er wurde zunehmend langsamer, stolperte mehr, als dass er lief. Schwer atmend und sich mit den Händen an der Höhlenwand abstützend, näherte er sich dem Torbogen, der ins Freie führte. Dort draußen herrschte finsterste Nacht.

Georg hastete weiter nach vorn. Der langgezogene Schrei eines Nachtvogels ertönte, als er ins Freie trat und die kühle Nachtluft einatmete. Der Mond zeigte sich als dünne Sichel, und seltsamerweise standen trotz des wolkenlosen Himmels kaum Sterne am Himmel. Das Himmelszelt selbst strahlte in einem fluoreszierenden Lilablau, was zweifellos ein magisches Phänomen war, das sich nur an diesem Ort zeigte.

Es herrschte ein fremdartiges Dämmerlicht, in dem sich fast alle Details der Umgebung erkennen ließen. Der Strand wirkte grau, als bestände er aus schmutzigem Schlamm, und war von Steinen und Muscheln übersät. In unregelmäßigen Abständen ragten bizarre Felsformationen aus dem Sand hervor. Georg konnte nicht sagen, auf welchem Teil der Teufelsinsel er sich befand, und überlegte, in welche Richtung er gehen sollte.

Er trat nahe ans Wasser und genoss die Wellen, die seine nackten Füße umspülten. Die Sicht reichte bis zum Horizont, links und rechts verlor sich das Meer in der Ferne. Georg wollte sich gerade nach rechts wenden, als er spürte, wie sich etwas Kaltes um seinen rechten Fußknöchel legte. Als er nach unten blickte, fiel sein Blick auf eine schneeweiße Hand, die aus dem Boden ragte und ihn brutal gepackt hatte.

Er riss das Bein mit aller Kraft nach hinten. Die gekrümmten Krallen der Hand hinterließen blutige Striemen, doch Georg war frei und rannte auf einen hausgroßen Felsen zu, um sich hinter ihm zu verbergen.

Und während er durch den Sand stolperte, spürte er die schreckliche Ausstrahlung Axinums, die Aura des Bösen lag wie eine tödliche Bedrohung in der Luft. Georg verbarg sich in einer der metertiefen Furchen, von denen der Fels durchzogen war. Doch er ahnte, dass ihm dieses Versteck keinen wirklichen Schutz bot. Er hatte das dümmliche Echsenwesen überrumpeln können, doch gegen Axinum würde er nicht die allergeringste Chance haben. Und tatsächlich sah er einen Schatten näherkommen, der nur wenige Meter von ihm entfernt innehielt. Die große, kräftige Gestalt schien in die Dunkelheit hineinzulauschen.

Georg wagte es kaum zu atmen ... endlose Minuten zogen sich zähflüssig dahin. Dann hörte er Schritte, die sich rasch entfernten, und als er sich ein wenig vorbeugte, sah er, wie die schattenhafte Gestalt mit der Dunkelheit der Nacht verschmolz. Sie war fort.

Georg zog sich wieder in die Nische zurück und holte die Atemzüge nach, die er unterdrückt hatte. Die Angst blieb, und er wagte es nicht, sein Versteck zu verlassen. Einmal hörte er ein Krächzen, aber es war nur eine Möwe, die am Himmel ihre Bahnen zog. Es war noch immer dunkel, aber am Horizont zeigte sich ein schwaches Licht. Der Morgen kündigte sich an.

Georg neigte den Kopf und wartete. Im Licht des anbrechenden Tages könnte es ihm gelingen, das Gebäude zu finden, in dem sich das Dämonentor befand.

Er trat vorsichtig aus der Nische heraus. Im gleichen Moment schoss eine bleiche Hand heran, packte ihn grob an der Schulter und zerrte ihn ins Licht der Morgendämmerung. Georg war nicht wirklich überrascht, als er in Axinums Gesicht blickte. Der künstliche Dämon wirkte wahrhaftig wie ein Todesengel – in der Rechten hielt er seinen Dolch, auf dessen Klinge sich für einige Sekunden die aufgehende Sonne widerspiegelte.

»Ein neuer Tag beginnt.« Axinums Stimme klang melancholischer als jemals zuvor. »Ein weiterer Tag, an dem wir Blut vergießen werden.«

Die Trommeln schlugen lauter und wilder, und die grotesken Kreaturen tanzten ausgelassener, verrückter. Sie spielten ein chaotisches Spiel, das mit sexuellen und gewalttätigen Elementen durchsetzt war. Viele von ihnen waren nackt, scharwenzelten umeinander herum, verbissen sich ineinander, ließen wieder voneinander ab, um sich sofort darauf geschlechtlich zu vereinigen.

In der Mitte des Platzes prasselte ein gewaltiges Lagerfeuer. Niemand schürte es, auch wurden weder Holz noch Reisig nachgelegt. Dennoch stoben die Flammen immer wieder in die Höhe ... das Feuer wurde von einer unsichtbaren Quelle gespeist, die offenbar unerschöpflich war.

Es waren Dutzende von Schreckgestalten, die um dieses Feuer herumtanzten, und keine von ihnen glich der anderen. Eines der Wesen war über zwei Meter groß, seine Haut sah aus wie gegerbtes Leder, das Gesicht war ekstatisch verzerrt, und aus dem unförmigen Maul ragten dolchartige Zähne hervor. Eine andere Kreatur wirkte wie ein Kobold aus den tiefsten Tiefen der Erde. Seine Haut war blass und von fingerdicken, bläulichen Adern durchzogen. Dieser Zwerg schien von einer irrsinnigen Heiterkeit erfüllt zu sein, die ihn ständig meckernd lachen ließ. Von seinem Kopf standen strohartige, schmutzige Haare ab, und an den schaufelartigen Händen wuchsen Krallen, die dazu gemacht schienen, die Erde aufzuwühlen – oder um schrecklichere Dinge zu tun ...

Die größte Furcht empfand Karin Winkler vor einer schmalen, fast drei Meter großen Kreatur, die in keiner Weise an einen Menschen erinnerte. Sie glich einer überdimensionierten Heuschrecke, beteiligte sich nicht an der Orgie, sondern stand die ganze Zeit regungslos auf der Stelle und starrte die Menschen an, die mit den Köpfen nach unten an den Bäumen hingen.

Die durchsichtigen Flügel und die gepanzerte Haut der Heuschrecke glänzten, als seien sie mit einem feuchten, klebrigen Film bedeckt. Der Kopf war ein grünliches, langgezogenes Etwas, und zwei tiefschwarze Punkte mochten die Augen sein, eine schmale Öffnung über dem Kinn das Maul. Aus dem Kopf der Kreatur ragten zwei Fühler hervor, die mindestens dreißig Zentimeter lang waren.

Vor zwei Stunden noch hatte sich Karin Winkler in ihrer Heimatstadt Berlin befunden. Um acht Uhr früh war sie in eine Untergrundbahn gestiegen, die sie zu ihrem Arbeitsplatz, einem Kaufhaus am Alexanderplatz, bringen sollte. Das Abteil war überfüllt gewesen, und sie hielt vergeblich nach einem Sitzplatz Ausschau. Kurz vor der Station Jannowitzbrücke hatte ein Schwindelgefühl von ihr Besitz ergriffen. Ihr war schwarz vor Augen geworden, und irgendetwas hatte sich in ihr Hirn gebohrt, das sich anfühlte wie eine spitze, unglaublich kalte Metallnadel.

Dann war lange Zeit nichts als Dunkelheit und Stille um sie herum gewesen.

Als sie wieder zu sich gekommen war, glaubte sie zunächst, in einen nicht enden wollenden Albtraum versetzt worden zu sein. Sie hing mit dem Kopf nach unten an einem Baum, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Die Fesseln bestanden aus einem warmen Material, das wie eine Nabelschnur pulsierte, und das sich tief in ihr Fleisch schnitt. Auch in diesem Augenblick spürte Karin Winkler das Blut, das von den Füßen bis zu den Oberschenkeln lief, wo es zum Stillstand kam und schließlich gerann.

Das alles war kein Traum, es war die Realität, daran gab es keinen Zweifel. Die Welt stand in jeder Hinsicht auf dem Kopf. Vielleicht, so glaubte sie, hatte man sie heimlich betäubt und anschließend an diesen schrecklichen Ort verschleppt, oder sie mit Hilfe eines Zaubers, den sie nie für möglich gehalten hätte, von einer Sekunde zur anderen in diese entsetzliche Lage gebracht.

Sie war nicht der einzige Mensch, der sich in der Gewalt dieser Monstren befand. Es gab zwölf weitere Bäume: knorrige, hochgewachsene Kastanien, die zweifellos seit Jahren keine Blätter mehr trugen und keine Früchte mehr hervorbrachten. An jedem dieser Bäume hing ein weiteres Opfer. Es waren Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft. Auch sie blickten verständnislos und verängstigt auf die Szenerie, die sich ihnen darbot.

Die Luft war schwülwarm, die Sonne stand noch nicht im Zenit. Vermutlich war es früher Vormittag, aber im Grunde genommen interessierte Karin Winkler das nicht ... sie ahnte, dass sie diesen Tag nicht überleben würde. Das Gekreische und Gejohle der Bestien wurde immer wieder vom Dröhnen der Brandung übertönt, und wenn Karin den Kopf ein wenig neigte, konnte sie zum nahen Meer hinüberblicken. Die Sonnenstrahlen warfen goldglänzende Streifen auf die Wellen, und die Schönheit dieses Bildes stand in einem schrecklichen Kontrast zu dem irren Treiben der dämonischen Gestalten, die noch immer das Lagerfeuer umtanzten.

Karin Winkler spürte, wie heiße Tränen aus ihren Augen rannen, über ihre Stirn perlten und dann in die Tiefe fielen. Der Boden dort unten war so widerlich wie alles an diesem abscheulichen Ort: eine dunkle Kloake, feucht und klebrig. Zahlloses Gewürm und anderes Ungeziefer krabbelte emsig in dieser Fäulnis herum.

Das rhythmische Trommeln endete abrupt, die Teufelsgestalten verstummten und hielten inne. Karin hörte Schritte, jemand näherte sich. Und als sie sah, dass es sich um einen Menschen, um einen Mann, handelte, war sie im ersten Moment verblüfft. Er trug einen dunklen Anzug und trat bis auf wenige Meter an das Feuer heran.

Und nun erkannte Karin, was nicht mit ihm stimmte: Seine Haut war weiß wie Papier und seine Augen leuchteten rot, so als glimme in ihnen ein Feuer. Aus seinem Mund ragten zwei lange, spitze Reißzähne hervor. Obwohl Karin niemals zuvor mit dem Übernatürlichen zu tun gehabt hatte, wusste sie, dass dieser Mann ein Vampir war – eine Kreatur der Nacht.

Er musste unter den grotesken Missgeburten eine besondere Stellung einnehmen. Noch eben waren sie in einer wilden Orgie vertieft, schienen alles um sich herum vergessen zu haben, nun sahen sie den Vampir gespannt, aber auch mit unverkennbarer Unterwürfigkeit an.

»Necato, warum kommst du allein? Warum ist der Fürst der Finsternis nicht bei dir?« Es war die Riesenheuschrecke, die diese Worte sprach.

»Sorgt euch nicht um Asmodi, sondern stärkt euch für die bevorstehende Schlacht – eine Schlacht, die wir für uns entscheiden werden!«, antwortete der Vampir.

Ein Crescendo aus unterschiedlichsten Lauten setzte ein. Einige Kreaturen krächzten, andere gaben durchdringende Schreie von sich. Zweifellos Äußerungen der Zustimmung und der Freude.

»Worauf warten wir noch? Lasst uns das Blut der Sterblichen trinken!«, rief ein spindeldürres, lederhäutiges Wesen.

Karin spürte in diesem Moment, wie sich ihre Eingeweide vor Todesangst zusammenzogen.

Die Bestien gaben wiederum ihre abscheulichen Beifallsbekundungen von sich. Necato brachte sie mit einer Handbewegung zum Verstummen.

»Der Sabbat wird nicht beginnen, bevor Axinum seine Zustimmung gibt.«

Als der Name Axinum fiel, wurden die Dämonen seltsam still. Erwartungsvoll blickten sie zum Strand.