das herz ist ein versinkender kontinent - h. p. gansner - E-Book

das herz ist ein versinkender kontinent E-Book

H. P. Gansner

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Beschreibung

«Herz unter!», könnte man den neuen Gedichtband von Hans Peter Gansner, den vierten in seiner Gedichtreihe zum Thema «Herz», kurz zusammenfassen: «das herz ist ein versinkender kontinent» ist brandaktuell, politisch und poetisch zugleich. Hans Peter Gansners neue Herzgedichte nennen ohne Scheu auch die letzten Dinge beim Namen, doch nie fehlt das leise Lächeln von Liebe, Ironie und Verstehen.

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h. p. gansner

das herz ist ein versinkender kontinent

 

songdog-verlag

 

1. Auflage 2019

© Songdog Verlag, Wien und Bern

 

Cover: Songdog nach Vorlage von Yvo Egger

 

ISBN 978-3-9504675-4-3

 

Albrecht Dürer

Ritter, Tod & Teufel. Kaltnadelradierung

Das Herz und die Rose sind das einzig Unvergängliche.

Paracelsus 1493–1541

 

Wenn du nicht vom Boden abheben kannst, dann bleibe am Boden.

Aus der Kabbala

 

Ich möchte hingehn wie der Tau im Tal,

Wenn durstig ihm des Morgens Feuer winken;

O wollte Gott, wie ihn der Sonnenstrahl,

Auch meine lebensmüde Seele trinken!

Ich möchte hingehn wie der bange Ton,

Der aus den Saiten einer Harfe dringet,

Und, kaum dem irdischen Metall entflohn,

Ein Wohllaut in des Schöpfers Brust verklinget.

 

Du wirst nicht hingehn wie das Abendrot,

Du wirst nicht stille wie der Stern versinken,

Du stirbst nicht einer Blume leichten Tod,

Kein Morgenstrahl wird deine Seele trinken.

Wohl wirst Du hingehn, hingehn ohne Spur,

Doch wird das Elend Deine Kraft erst schwächen,

Sanft stirbt es einzig sich in der Natur,

Das arme Menschenherz muss stückweis brechen.

 

Georg Herwegh, Gedichte eines Lebendigen, Zürich, 1841

 

 

 

 

 

die verdüsterung des gesichts des arztes

beim lesen der zahlenkolonne des patienten:

 

die nierenwerte

sind beunruhigend angestiegen

ebenfalls die leberwerte

und das herz ist im keller

eine katastrophe

der puls sinkt

und sinkt

ins bodenlose

so, und jetzt schauen sie,

dass es besser geht!

 

und ich tat, wie mir gesagt wurde:

jetzt geht es schon wieder bedeutend besser…

für wie lange?

strahlende verlierer

 

als es in three miles island geschah

sagten sie den demonstranten:

was regt ihr euch auf das ist doch

meilenweit over the ocean.

 

als es in tschernobyl geschah

sagten sie beunruhigt:

tut doch nicht so

das ist dort systembedingt.

 

und als es jetzt in japan geschah

da wurden sie plötzlich stiller

und stellten

eins nach dem andern ab.

 

aber es ist noch nicht genug

dass sie davon jahrzehntelang

profitiert haben:

jetzt wollen sie auch noch den müll

 

vergraben unter den häusern ihrer

kinder und kindeskinder

und sie wollen sogar

dass die das alles noch bezahlen

 

inklusive den rückbau

ihrer schrottmühlen

die alle landschaften

verpesten und verunstalten.

 

gab es je eine generation

die so herzlos umging

mit diesem planeten

und ihrem eigenen nachwuchs?

 

mir kommen da nur

die haie in den sinn

die fressen sogar

ihre eigene brut auf

 

und saturn, der aus angst

seine macht zu verlieren

lieber seine eigenen

kinder fraß.

herzjass

 

ich warne dich

mein freund:

sag deinem arzt niemals

 

dass du im wirtshaus

zum schiefen eck

einmal trotz einem herz as

 

einen jass verloren hast.

er wird messerscharf

daraus schließen

 

dass du ein herzproblem hast

und dringend

unters messer musst.

 

wirkung in die ferne

 

jeden morgen

wenn du deine herzpille schluckst

 

kannst du das herz eines

pharma-aktionärs in der ferne

 

höherschlagen lassen

und es geht euch beiden besser

 

ist das nicht eine

perfekte win-win-situation?

 

little benn

 

an seinem 40. geburtstag

zog gottfried benn an einem »schwälenden tag«

in uttwil am bodensee die finanzielle bilanz

seiner bisherigen literarischen tätigkeit,

 

und er kam zum schluss

dass er in 15 jahren

975 mark, d. h. monatlich

4,50 verdient hatte,

 

darunter übersetzungen ins französische,

russische, polnische und abdrucke in anthologien

von den usa bis belgien,

ja sogar in der damals progressiven schweiz.

 

eine gute solotänzerin an der staatsoper

verdiente damals 300 mark

für einen auftritt, ein durchschnittlich begabter

filmemacher sogar 5 zerquetschte hunnis:

 

»da steht einer der größten dieser zeit

verdammt ungünstig da«, meckerte der

spezialist für geschlechts- und hautkrankheiten.

na ja, vielleicht hätte er es ja

 

als pornodarsteller versuchen sollen

statt über eiternde genitalien zu dichten,

aber dafür war sein pimmel wahrscheinlich zu klein

und ein herz war unter seinen organen nicht zu finden.

 

mein herz blutet

 

guten tag, herr gansner!

sie wollen uns sicher

ihr neues buch zeigen?

 

das möchte ich tatsächlich

der buchhändlerin

bei der ich seit jahren bücher kaufe.

 

ach, wissen sie, herr gansner:

ich kann ihnen absolut versichern,

dass wir ihr buch nicht verkaufen können,

 

aber entschuldigen sie einen moment:

ich sehe gerade, dass ein kunde …

und schon war ich wieder draußen.

 

ein jahr später las ich in der zeitung,

dass die buchhandlung konkurs gemacht habe.

aber da war wenigstens mein buch nicht schuld dran!

als wär’s ein stück von mir…

(frei nach Ludwig Uhland)

 

ich hatte einen kollegen,

einen bessern findst du nit.

wir saßen beide am compi,

er schrieb an meiner seite,

gescheit, herzlich und fit.

 

ein handy hat gebrummelt,

ist es meins oder ist es seins?

er muss in die chefetage,

dann fliegt er auf die straße,

als wär’s ein stück von mir.

 

will mir die hand noch reichen,

derweil ich dies hier schreib.

kann dir die hand nicht geben:

bist schon beim arbeitsamt –

doch bleiben wir kollegen,

trotz allem und erst recht!

er war ein guter jugendfreund

 

wenn man ihn an den marterpfahl band

genoss er es und spielte den gefangenen cowboy

der wie sebastian mit pfeilen traktiert wurde

und sich dann befreite und in den silbersee hechtete.

 

später machte er eine chemikerlehre denn

fürs gymnasium reichte es knapp nicht.

er blieb aber unser freund, a good guy

und immer zu einer grillparty aufgelegt.

 

schließlich gings in die fabrik

und er schob seine jährchen

bis sie fanden er sei zu alt und die

neuen technologien, und überhaupt,

 

aber er könne die kontrollgänge

übernehmen nachts mit der stablampe

um zu schauen ob die tanks und röhren

nicht lecken in dem moloch der produktion

 

so stakste er im gummioverall durch die hallen

und leuchtete jeden winkel aus und kam morgens

todmüde nach hause, wo seine frau erwachte

und fragte: ist alles gut gegangen, chéri ?

 

schon fast schlafend vor erschöpfung sagte er :

ja, außer im saal 4, dort ist immer noch eine lache

obwohl ich die direktion schon mehrmals darauf hinwies:

dort rutscht man selbst mit unsern spezialstiefeln …

 

und dann schlief er wie ein stock bis abends um fünf

denn um sechs musste er den rundgang wieder antreten.

da passierte es: seither ist er querschnittgelähmt

und die firma zahlte ihm den rollstuhl und die IV

 

das tägliche brot in der suppe. wenn ich ihn besuche

ist er immer noch fröhlich, und wir trinken zusammen

eine flasche vieux kirsch die ich mitbringe, und seine frau

macht uns ein moitié-moitié-fondue nach echter fribourger art.

---ENDE DER LESEPROBE---