Das Heute von Morgen - Maddy Eisen - E-Book

Das Heute von Morgen E-Book

Maddy Eisen

0,0

Beschreibung

Leonie startet hoffnungsvoll in ein neues Jahr. Allerdings scheinen sich ihre Beziehungen gegen sie zu stellen: Die Beziehung zu Jan ist ungeklärt, die Freundschaft zu ihrer besten Freundin leidet und auf der Arbeit macht ihr eine Kollegin das Leben schwer. Während Leonie versucht die Umstände für sich zu klären und die Hoffnung zu behalten, trifft sie immer wieder auf den berühmten Regisseur John Harold. Alle scheinen von ihm begeistert zu sein, aber welche Verbindung besteht zu ihrer Mutter und weshalb ist sie die Einzige, die ihm nicht traut? Die Ereignisse überschlagen sich und auf einmal ist Leonie diejenige, die verletzt und auf Vergebung hofft.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 256

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für alle, die hoffen möchten, egal wie aussichtslos die Situation scheinen mag.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Epilog

Prolog

Behutsam ging Leonie Walter die Treppe hinunter. Es war vorbei. Sie atmete langsam die warme, abgestandene Luft des nicht gut durchlüfteten Treppenhauses ein.

Plötzlich schreckte sie durch einen lauten Knall auf. Eine der oberen Wohnungstüren war aufgegangen und wieder zugeschlagen worden. Hastige Kinderschritte eilten die Stufen hinunter. Leonie zuckte innerlich zusammen. Sie konnte sich ausmalen, was nun kommen würde. Langsam drehte sie sich um. Vor ihr kam ein kleines Mädchen zum Stehen. Tränen kullerten über ihre Wangen.

„Du darfst nicht gehen!“ keuchte sie.

Leonie sog die Luft ein. „Sieh mal…“, setzte sie an.

„NEIN!“ schrie nun das Mädchen mit den schwarzen Haaren. Ihre großen dunklen Augen blickten sie schmerzerfüllt an. In ihrem geöffneten Mundwinkel waren deutlich Speichelfäden zu sehen. Leonie hatte Lilli noch nie so emotional gesehen. Hilflos blickte sie nach oben und sah wie sich eine Spinne von der Decke mithilfe eines langen Spinnenfadens nach unten bewegte. Leonie ging in die Hocke und berührte Lilli ganz leicht an den Schultern.

„Ich liebe dich Lilli – wie mein eigenes Kind…“

„Und warum verlässt du mich dann?“

„Ich verlasse dich nicht…“

Ein kurzer Hoffnungsschimmer flackerte in Lillis Augen auf. „Dann trennst du dich nicht von meinem Papa. Ihr werdet doch heiraten?“

Bei dieser Frage stiegen Leonie die Tränen mit voller Wucht in die Augen. Sie konnte sie nicht zurückhalten. Schnell senkte sie den Kopf, um die Fassung zu gewinnen. Dabei ließ sie die Hände noch auf Lillis Schultern liegen. Fast kam es ihr so vor als ob dies der einzige Halt war, den sie gerade hatte. Auf einmal hörte sie schwere Schritte die Treppe hinunterkommen. Leonie blickte auf. Jan stand nun hinter seiner Tochter. Sein Gesichtsausdruck war starr. Traurigkeit legte sich über Leonie. „Erkläre du es ihr Jan. Schließlich war es deine Entscheidung“, sagte sie leise.

Bevor Jan etwas erwidern konnte, sprang sie auf und lief die Treppe hinunter.

Auf der untersten Treppenstufe angekommen, erblickte sie in der Wohnungstür eine mollige Frau mit pinkem Hut, lila gepunkteter Bluse und einer gelb-rot karierten Hose. Hat diese Frau das Drama mitbekommen? Egal. Moment, kenne ich diese Dame nicht von irgendwo her? War sie nicht mal bei mir im Café?

Hastig eilte Leonie an der Frau vorbei und trat nach draußen. Sie wollte niemanden sehen. Der Schmerz saß so tief. Die Hoffnung der letzten Monate zerbrach. Als sie den Bürgersteig erreichte, hörte sie vertrautes Geräusch. Klack Klack Klack. Die Schritte ihrer Mutter. Die Frau, die ihr nie ein Vorbild gewesen war. Sie hatte nie so werden wollen wie sie, aber heute und vor allem vor ein paar Tagen hatte sie sich genauso verhalten.

Falling in and out of place

I don't know where I want to be

Afraid of what it's done to me, wooooah

But now I'm feeling lost and out of reach

And I can't find my place

I've never had a home to rest my ache

I'm tired of being on my own and broken

Scared that it won't ever end

I've tried and tried again

But all I've found is emptiness instead

I'm giving up on all I ever wanted

I guess that it's just hopeless

Leonie rekelte sich. Je länger der Song von Clinton Kane an ihr Ohr drang, desto wacher wurde sie. Die Gefühle ihres Traumes waren noch stark präsent. Sie versuchte sich vor Augen zu halten, was sie gerade geträumt hatte. Das war so hoffnungslos gewesen. Dabei hatte dieses Jahr so hoffnungsvoll angefangen.

„Gott dieser Traum ist schrecklich gewesen. Ich möchte das nicht erleben“, flüsterte sie und griff zu ihrer Bibel. Ihr Blick fiel auf das gerahmte Foto auf ihrem Nachttisch. Darauf war ein neunjähriges Mädchen mit schwarzen Haaren zu sehen. Zwei große Hände lagen auf ihrer Schulter. Das Mädchen blickte mit dunklen, leuchtenden Augen nach oben zu ihrem Vater. Dieser strahlte in die Kamera.

Seufzend klappte Leonie den Bilderrahmen um, sodass das Foto nicht mehr zu sehen war. Weshalb hatte sie es überhaupt mitgenommen? Als Lilli es ihr geschenkt hatte, war sie gerührt gewesen und hatte es mit nach Hessen genommen und direkt auf den Nachttisch ihres ehemaligen Kinderzimmers aufgestellt.

Leonie sprang auf, nahm das Bild und packte es in ihren Koffer. Dann stieg sie die Treppen hinab. Auf dem Weg nach unten nahm sie sich vor, sich nicht immer wieder Hoffnung zu machen.

Kapitel 1

Eine Weile schaute Leonie auf die schneebedeckten Felder. Gestern hatte sie mit ihrem Vater in das neue Jahr gefeiert. So etwas war bis vor einem Jahr noch unvorstellbar für sie gewesen. Doch seit sich ihr Vater bekehrt hatte, war er ein neuer Mensch geworden wie es im Epheserbrief beschrieben wird.

Frank Walter bemühte sich seiner Tochter Interesse entgegenzubringen. Manchmal wirkte das gekünstelt, denn Leonie und er waren es nicht gewohnt, Gespräche solcher Art zu führen. Leonie bewunderte die Perspektive, die ihr Vater nun auf das Leben hatte und vor allem bewunderte sie die Hoffnung, die er hatte: Leonies Mutter hatte sich von Frank getrennt, aber Leonies Vater war hoffnungsvoll, dass Eleanor Walter auch Jesus kennenlernen und das alles verändern würde.

„Gott vergib mir. Ich kann das nicht glauben. Meine Mutter ist so gottlos. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sich dir zuwenden wird. Der neugewonnene Glauben meines Vaters ist schon ein Wunder, aber dass meine Mutter sich bekehrt, wäre mehr als ein Wunder“, betete Leonie leise.

Übermorgen würde sie wieder an den Bodensee reisen und ihre Heimat Loheim in Hessen erstmal verlassen. Sie hoffte, dass ihr Vater sie irgendwann mal dort besuchen würde und ihr Leben in Konstanz kennenlernen könnte. Vor allem wollte sie ihrem Vater gerne die gesamten Liebstock Geschwister vorstellen. Dazu gehörte ihre beste Freundin Clara, die Zwillinge Matts und Lisa, welche das Café leiteten, in dem sie arbeitete und Daniel Liebstock, der Jugendreferent. Zudem wünschte Leonie, ihr Vater könnte ihre liebenswerte Mitbewohnerin Janine kennenlernen.

Leonies Gedanken wanderten zu Jan. Die Funkstille zu ihm war ihr unerträglich. Sie hätte sich vorstellen können, dass Jan Zink der Mann ihres Lebens werden würde. Aber er war ein Witwer und musste gerade verarbeiten, dass sein Schwiegervater und Schwager seine verstorbene Frau über Jahre hinweg sexuell missbraucht hatten.

Vielleicht sollte sie ihm einfach nur ein „Frohes neues Jahr“ wünschen. Ohne lang nachzudenken griff sie nach ihrem Handy. Sie schaltete es ein und ehe sie dazu kam ihm eine Nachricht zu senden, klingelte es. Die Luft entwich ihr, als sie auf das Display starrte. War das Gedankenübertragung? Zittrig und erwartungsvoll nahm sie den Hörer ab.

„Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr“, erklang eine selbstsichere männliche Stimme.

„Jan“, flüsterte Leonie.

Dann besann sie sich. Sie wollte nicht wie in einem melodramatischen Film klingen.

„Das wünsche ich dir auch, Jan“, meinte sie so sachlich wie möglich.

Jan lachte leise. Wut stieg in Leonie auf. Was gibt es da zu lachen Jan? Habe ich mal wieder zuviel Herz in meine Stimme gelegt? Gott bewahre mich davor, dass mir dieser Mann genauso das Herz bricht, wie es Benscha getan hat.

„Leonie. Es tut mir leid. Ich musste so einige Dinge sortieren… könntest du mir nochmal eine Chance geben. Also ich meine: Lilli und mir?“

Leonie hätte am liebsten einen Jubelschrei von sich gegeben, doch sie besann sich. Sie wollte ihm nicht zu sehr ihre Gefühle offenbaren. Noch nicht. Sie brauchte noch etwas Zeit, um sich verletzlich machen zu können.

„Ja gerne“, meinte sie.

Jan und Leonie vereinbarten einen Termin zum Mittagessen. Nachdem beide aufgelegt hatten, schaute in Konstanz ein Mädchen ihren Vater fragend an.

„Sie wird uns nächsten Samstag besuchen kommen“, sagte er.

„Juhu, juhu“, rief das Mädchen.

Dabei hüpfte sie durch das Zimmer. Ihre Haare schwangen in der Luft hin und her. Jan stützte seinen Kopf auf seine Hände. Er lächelte. Gott wusste, dass er Leonie allein wegen seiner Tochter eingeladen hatte. Vielleicht nicht ganz alleine wegen seiner Tochter. Seine Schwägerin Melinda hatte auch einiges dazu beigetragen. Ihrer Meinung nach war Leonie das Beste was Jan gerade passieren konnte. Jan zweifelte daran. Doch Melinda beobachtete ihn zu sehr. Er wollte den Rechtfertigungen entgehen...

***

Leonie zog sich beschwingt ihre Winterstiefel über. Ihr Gesicht cremte sie mit Fettcreme ein. Das war für sie ein idealer Schutz gegen die eisige Kälte. Sie wollte nochmal durch den Schnee stapfen. Das war eine einzigartige Chance. In Konstanz würde sie kein Schnee erwarten. Leonie liebte das Knirschen unter ihren Füßen. Zudem zeigte der Anblick einer Schneelandschaft ihr Gottes Gnade. Der Schnee verzauberte eine graue und triste Landschaft in ein Winterwunderland.

Euphorisch öffnete Leonie die Tür. Während sie die kalte Luft einatmete, dachte sie an heiße Schokolade und grinste.

„Bitte, bitte Frau Schmitt, ich brauche dich. Dich und deine Schokolade“, rief sie.

Leonie fragte sich, weshalb sie so euphorisch war. Lag es an Jans Anruf oder an dem Schnee? Bestimmt ist es der Schnee. Ich habe schon immer Schnee geliebt. Leonies Verstand wollte Jans Anruf noch nicht zu viel Bedeutung zumessen und so fokussierte sie sich auf den Schnee.

„Wer braucht Schokolade?“, krächzte eine weibliche Stimme.

Leonie sah verdutzt auf.

„Oh, Frau Schmitt! Du bist hier? Arbeitest du etwa heute?“

„Sicherlich, Mädchen. Länger als drei Tage kann ich deinen Vater nicht alleine lassen. Er ernährt sich in meiner Abwesenheit nur von Dosenfutter und er kann nun mal einen Besen nicht von einer Vorhangstange unterscheiden“, entgegnete die mollige Haushälterin theatralisch.

„Das ist genial.“ Leonie umarmte die Frau, die sie in ihrer Kindheit so positiv geprägt hatte. Sie biss sich auf die Lippen und legte ihren Kopf schräg: „Könntest du mir nachher eine heiße Schokolade machen?“

„Sicherlich Mädchen, sicherlich. Ein Winter ohne heiße Schokolade ist wie Stolz und Vorurteile ohne Mr. Darcy. Aber jetzt muss ich aus der Kälte raus.“

Energisch schritt Frau Schmitt Richtung Haus. Leonie blieb noch einen Moment lächelnd stehen. Sie war dieser Frau so dankbar. Sie war einfach die gute Seele im Hause Walter.

Es hatte heute vier Zentimeter Neuschnee gegeben. Eine Aufgabe von Frau Schmitt war es, Schnee zu schippen. Leonie sah unsicher zum Haus. Frau Schmitt war nicht mehr die Jüngste. Vielleicht sollte sie das heute übernehmen. Schließlich liebte sie den Schnee und Schneeschippen war eine sinnvolle Beschäftigung. Frau Schmitt würde wahrscheinlich schimpfen und sagen Leonie solle sie nicht arbeitslos machen. Aber die Haushälterin hatte eben selbst gesagt, sie sei nicht mehr die Jüngste. Entschlossen ging Leonie zu dem Gartenhäuschen und zog eine Schneeschippe hervor.

Während sie begann den Bürgersteig vom Schnee zu befreien, kam sie ins Schwitzen. Die Luft war eisig, aber von innen heraus spürte sie eine wohlige Wärme. „Leni!“ Leonie fuhr bei der ihr bekannten männlichen Stimme herum. Diese Stimme hätte sie unter Tausenden erkannt.

„Benscha“, brach sie hervor.

Vor ihr stand ein junger Mann in ihrem Alter: Benscha – oder mit richtigem Namen: David Wendler. Leonie schluckte kurz. Noch vor ein paar Wochen wäre sie vor ihm geflohen. Benscha war ihre große Liebe gewesen und es hatte Jahre gebraucht, um ihn loslassen zu können. Sie atmete tief ein. Ein Teil von ihr wollte ihn nie wieder sehen, ein anderer Teil von ihr wollte die unbekümmerte Jugendfreundschaft, die sie gehabt hatten, wieder zurück.

„Die geröteten Wangen stehen dir“, grinste er.

„Benscha“, sie hob scherzend die Schneeschippe hoch. Benscha beugte sich hinunter, griff nach Schnee, formte daraus einen Schneeball und feuerte ihn auf Leonie.

„Du hast es nicht anders gewollt“, zischte Leonie und startete einen Gegenangriff.

Eine Weile lang flogen die Schneebälle hin und her, bis sie sich lachend in die weiße Pracht fallen ließen. Die Luft war kalt, aber in Leonies Innerem war es warm – wohlig warm. Und das nicht nur aufgrund der vorangegangen körperlichen Aktivität, sondern auch des vertrauten Gefühls wegen. Eine Weile lagen sie schweigend im Schnee. Jeder schaute in den Himmel und genoss den Augenblick. Der kalte und feuchte Schnee durchnässte ihre Klamotten. Leonie bemerkte das kaum und auch Jan schien das nichts auszumachen. Als Leonie das schlagartig klar wurde, setzte sie sich auf.

„Was machst du eigentlich hier?“, fragte sie.

„Spazieren gehen“, antwortete er.

„Seit wann gehst du denn spazieren?“

Benscha grinste: „Auch ich habe mich ein wenig geändert.“

„Und deine Frau?“, fragte Leonie.

„Die trifft sich gerade mit Freundinnen“, Benscha zuckte mit den Schultern und setzte sich auf. Er schaute sie kurz an, dann seufzte er: „Danke, Leni. Das war gerade eine schöne Begegnung mit dir. Ich hatte nach deiner Ansage im vergangenen Jahr nicht gedacht, dass wir uns jemals wieder so unbeschwert wie früher begegnen können.“

Leonie sah ihn an. Seine Augen sprühten vor Energie. Sie erinnerte sich an die Momente, in denen sie als Kinder durch die Felder gesprintet waren und sich Streiche ausgedacht hatten. Doch sein jetziges Erscheinungsbild glich nicht eines unbekümmerten Jungen. Es zeigte mehr Reife. Ein Teil von Leonie wollte bleiben und sich mit ihm über Gott und die Welt unterhalten, doch ihre Vernunft siegte. Sie sprang auf und reichte ihm die Hand, um ihn dann hochzuziehen. „Du, ich muss jetzt mal den restlichen Schnee wegschippen und dann wieder rein. Frau Schmitt macht gerade heiße Schokolade für mich.“

„Lass mich das machen. Genieße du mal deine heiße Schokolade. Ich weiß ja, wo ich die Schippe gleich hinstellen muss. Oder hat sich an eurer Ordnung etwas geändert?“

Leonie starrte ihn verdutzt an. Weshalb machte er ihr solch ein Angebot?

„Nein, nein“, stotterte sie. „Es ist alles noch beim Alten. Danke dir.“

Ohne ihn anzuschauen, übergab sie ihm die Schneeschippe. Sie schaute sich nicht um, als sie auf das Haus zueilte. Nachdem sie die Haustür geschlossen hatte, lehnte sie sich daran. Bitte, Gott. Was war das gerade? Das war mir zu intensiv und zu ... vertraut. Hat mich nicht heute Jan angerufen? Weshalb lässt mich dann eine Begegnung mit Benscha alle Gefühle für ihn wieder hervorbringen? Oh bitte vergib mir Herr. Und bitte bewahre mich. Benscha war der Mann meines Lebens. Ich will diese tiefe Vertrautheit und die Zuneigung zu ihm nicht mehr empfinden.

Kapitel 2

Jan schritt im Büro auf und ab.

„Du weißt genau, dass ich das meiner Tochter nicht antun kann“, meinte er zu seinem Arbeitskollegen Jörg.

„Deine Schwägerin passt doch so gerne auf deine Tochter auf“, entgegnete Jörg.

Jörg hatte Recht. Melinda, seine Schwägerin, war die beste Tante, die Lilli haben konnte. Wenn Jan dienstlich über Nacht wegblieb, war sie auch schon über Nacht geblieben. Jedoch hatte Jan Lilli nie länger als eine Nacht alleine gelassen. Schon allein bei dem Gedanken krümmte sich sein Magen.

„Wie alt ist deine Tochter?“

„Neun Jahre“, flüsterte Jan. Es schien ihm, als hätte er sie gestern erst auf dem Arm gehalten und in den Schlaf gesungen.

„Na also. Ich sag dir was, mein Freund. Du wirst deiner Tochter nicht mehr lange „Hakuna Matata“ vorsingen können. Sie wird bald ihre eigenen Wege gehen.“ Jörg klopfte Jan freundschaftlich auf die Schulter. Jan zuckte kurz zusammen. Er selbst war sportlich. Das war kaum zu übersehen. Sein Körper war muskulös, aber verglichen mit Jörg sah Jan wie ein Strichmännchen aus. Jörgs Schultern waren so breit, dass man sich auf den ersten Blick fragte, wie er diese Schultern durch eine normale Zimmertür buchsieren konnte. Seine Unterschenkel wirkten wie Baumstämme in der Prärie. Jan fragte sich, ob Jörg selbst am Schreibtisch Beintraining durchführte. Trotz der grauen Haare sah Jörg sehr jung aus. Dabei wusste Jan, dass Jörg mindestens zehn Jahre älter als er selbst war.

„Was willst du mir denn damit sagen?“, Jan schaute seinen Kollegen fragend an.

„Ich kenne das, mein Freund. Ich sage nur: Much love“, zwinkerte Jörg.

Jan zog die Stirn kraus. „Hä, Jörg, wovon sprichst du?“ „Sie wird sich schon bald für die Jungs um sie herum interessieren. DU wirst hingegen schon bald uninteressant werden. Es wird egal sein, ob du zuhause bist oder nicht!“

„Jörg, sie ist 9 und nicht 14 Jahre.“

„Du ich sage dir, die Kinder sind heutzutage frühreif.“

„Woher hast du diese Information? Aus der Bild?“, fragte Jan skeptisch und schob hinterher: „Meine Tochter interessiert sich gerade vielmehr für eine Mutter und nicht für einen Jungen.“

Jan erkannte zu spät, dass diese Information ihn nur mehr in die Ecke drängte.

„Ach ja?“, Jörg begann zu grinsen. „Was ist denn eigentlich mit dieser Leonie? So hieß sie doch? Datest du sie noch?“

Jan hatte wenig Lust über Leonie zu sprechen. Er wusste selbst nicht, was er über die ganze Situation denken sollte. Vor einigen Monaten hatte er tatsächlich gedacht, sie könnte seine Frau werden. Doch die Wahrheit über seine verstorbene Frau hatte ihn zu tief getroffen. Er verspürte gerade keine Lust, Verantwortung für eine Frau zu übernehmen. Er hatte Leonie nur angerufen, weil seine Tochter ihn dazu gedrängt hatte. Gott mein Herr, hilf mir aus diesem Dilemma.

„Schon“, brummte er ausweichend.

Jörg schlug ihm triumphierend auf die Schultern. Jan zuckte erneut unter dem Gewicht der Hand seines Kollegen zusammen.

„Siehst du. Deine Tochter kann doch deine Leonie so gut leiden. Weshalb fragst du diese Frau nicht, ob sie auf Leonie aufpassen möchte. Mann Jan, es sind nur 10 Tage. Deine Tochter wird sich freuen so lange Zeit mit Leonie – einer potentiellen Mutter- verbringen zu können.“

„Ja und was ist mit Leonie? Meinst du sie wird einfach so zustimmen?“

„Schenk ihr einfach mal mehr Blumen, sag ihr wie hübsch sie ist – all so Dinge. Du wirst sehen. Das bewirkt Wunder.“

Jan schaute Jörg skeptisch an. Jörg war langjähriger Junggeselle.

„Hey, nur weil ich keine feste Beziehung haben will, bedeutet das nicht, dass ich keine Ahnung von Frauen habe.“

„Aha!“, Jan runzelte mit der Stirn.

„Hey und übrigens sind das so Christen aus so ner Freikirche, die diese geführte Mehrtageshüttentour buchen möchten. Das sind doch genau deine Leute.“

Jan schaute auf den Boden. Wenn Jörg wüsste, wie sehr er sich danach sehnte, mal wieder für längere Zeit in die Berge zu gehen, dann wäre er verloren gewesen. Jan liebte seine Tochter, aber er war nicht zum Hausmann geboren. Er vermisste die Freiheit, das Abenteuer, die körperliche Aktivität und die frische Bergluft.

„Ich denke darüber nach“, sagte er. Gott, würde ich Leonie ausnutzen, wenn ich sie frage, ob sie für längere Zeit auf Lilli aufpassen möchte?

Jan erinnerte sich an eine Unterhaltung mit Leonie, die nicht so lange her war:

„Und weil du mich magst, verschweigst du mir deine Vergangenheit.“ Jans Lächeln verschwand. „Ich dachte, du hättest verstanden…“ „Was habe ich verstanden? Dass du eine Babysitterin für deine Tochter brauchst? Dass du schöne, unverbindliche Stunden verbringen möchtest. Tut mir leid, da bist du an der falschen Adresse“, Leonie stampfte mit ihrem Fuß auf den Boden. Jan musterte sie. „Das denkst du von mir?“, fragte er vorwurfsvoll. Doch diese Frage entfachte ihre Wut noch einmal mehr. „Willst du mir daraus einen Vorwurf machen? Ich weiß nicht, was ich von dir denken soll. Ich kenne dich doch nicht mal. Ihr Männer seid doch alle gleich: Erst macht ihr irgendwelche Komplimente und dann kommt ihr mit Vorwürfen und während wir darunter leiden, habt ihr schon längst eine Neue an der Angel und alles vergessen…“

Jan schob diese Erinnerung beiseite. Jetzt wollte er sich nicht erinnern und nicht nachdenken, das war ihm zu anstrengend. Sein Magen knurrte. Das verleitete ihn dazu seinen gepackten Rucksack zu nehmen und auf die Tür zuzugehen.

„Ich gebe dir vier Wochen. Vier Wochen, mein Freund.“

Unbeirrt ging er weiter. Er gab sich gleichgültig, aber innerlich wühlten Jörgs Worte ihn auf. Er musste den Raum verlassen, bevor sein Kollege merkte, dass er ins Zweifeln geriet. Zehn Tage wandern und seine Tochter würde vor Freude springen, wenn Leonie auf sie aufpassen würde. Dessen war er sich sicher.

***

„Lisa, was gibt es?“ Leonie saß eingekuschelt in eine Wolldecke und starrte auf den Kamin. Sie hatte die heiße Schokolade von Frau Schmitt begeistert angenommen. Niemand konnte solch eine gute heiße Schokolade wie Frau Schmitt machen. Wenn die Haushälterin ihr das Rezept und die Zubereitung verraten hätte, würde sie es sofort auf die Getränkekarte des Café Liebstocks setzen.

Noch bis eben hatte sie sich an ihrem Getränk erfreut. Jetzt war sie allerdings angespannt: Lisa rief sie selten an. Wenn sie anrief, war irgendetwas nicht in Ordnung. Lisa war durch und durch eine Chaotin. Ihr Zwillingsbruder Matts war diesbezüglich das komplette Gegenteil. Nur als Team war es möglich, dass sie ein Café leiten konnte. Leonie fragte sich, ob sie Lisa mal wieder aus der Patsche helfen sollte. Das tat sie hin und wieder. Im besten Fall so, dass Matts nichts mitbekam und Lisa sich Ärger ersparen konnte. „Ein gutes, gesegnetes, neues Jahr wünsche ich dir“, ertönte eine fröhliche Stimme. Lisas gute Laune war nichts Ungewöhnliches. Leonie kannte keinen Menschen, der stets so gut gelaunt war, wie ihre Freundin und Chefin.

„Danke, das wünsche ich dir auch.“

Leonie hielt die Luft an. Sie verspürte nicht die geringste Lust eine Ewigkeit Smalltalk zu führen, bis Lisa zum eigentlichen Grund des Anrufes gelangen würde.

„Wie ist es in Hessen? Vermisst du den Bodensee?“

Leonie stellte ihre Tasse vor sich auf den Couchtisch.

„Teils, teils.“

Sollte sie Lisa auf die Sprünge helfen?

„Ich denke du rufst aber nicht an, um das zu wissen, oder?“, fragte sie direkt.

Es entstand eine kurze Pause. Leonie konnte förmlich hören, wie Lisa an ihrer Unterlippe nagte. Das tat sie immer, wenn sie überlegte, wie sie ihr Anliegen formulieren sollte.

„Du hast in drei Tagen Frühschicht. Wäre es dir möglich danach noch eine Stunde länger zu bleiben. Matts und ich möchten gerne mit dir etwas besprechen.“

Leonie zog fragend die Augenbrauen hoch. „Sind wir verschuldet? Werde ich gekündigt?“ Lisa lachte. „Ach quatsch. Es ist nichts Schlimmes. Also, kannst du das einrichten?“

„Ja kann ich schon …“

„Super, du bist die Beste. Hey ich wünsche dir noch eine richtig gute Zeit.“

Es tutete. Das Gespräch war beendet. Lisa hatte aufgelegt.

„Hey. ich wünsche dir auch noch eine richtig gute Zeit. Nun werde ich die nächsten Tage wahrscheinlich mit Grübeln verbringen. Was ist das überhaupt für ein Start in das neue Jahr. Erst Jans erfreulicher Anruf, der mir neue Hoffnung gegeben hat. Dann die merkwürdig schöne Begegnung mit Benscha, die mich in ein Gefühlchaos versetzt hat und jetzt ein fragwürdiges Treffen mit Lisa und Matts…“

„Klingt danach, als ob du noch einen Kakao gebrauchen könntest.“

Bei den Worten schrak Leonie hoch.

„Frau Schmitt! Ich habe wohl gerade laut gedacht. Kakao klingt nicht schlecht, aber ich könnte auch deinen Rat gebrauchen.“

Während Frau Schmitt auf dem Herd eine weitere heiße Schokolade zubereitete, setzte sich Leonie an den Küchentisch und begann von ihren Erlebnissen zu erzählen. Das hatte sie schon als Kind häufig getan.

Sie bemühte sich den Tag sachlich darzustellen, um so wenig wie möglich von ihren Gefühlen preiszugeben. Auf alle Fälle wollte sie nicht, dass Frau Schmitt bemerkte, dass sie sich wieder zu Benscha hingezogen gefühlt hatte. Er war ein verheirateter Mann. Sie schämte sich für ihre Empfindungen.

„Frau Schmitt, ich bin so durcheinander. Was haben all diese Begegnungen zu bedeuten? Kann ich darauf hoffen, dass sich doch noch alles zum Guten wendet?“, beendete Leonie ihren Bericht.

Frau Schmitt stellte den Kakao vor Leonie. Langsam setzte sie sich zu ihr und schaute sie nachdenklich an. „Gott ist mit dir, Mädchen. Das haben wir vor ein paar Tagen, an Weihnachten gefeiert. Immanuel – Gott mit dir, egal ob du gerade in deinen Tiefen steckst oder Höhen erlebst. Er ist mit dir und das ist vor allem deine Hoffnung, wenn du durch die Fluten deines Lebens musst.“

Leonie starrte die weise Dame an. Ist das eine Antwort auf meine Frage? Bevor sie aber Frau Schmitt genauer befragen konnte, stand diese auf.

„So nun muss ich mal oben nach dem Rechten schauen. Dein Vater hat es nicht so mit der Sauberkeit.“

Leonie blieb alleine zurück.

„Frau Schmitt, sie sind mir wie immer ein Rätsel“, murmelte sie vor sich hin. Die Haushälterin war noch nie eine Frau für lange Erklärungen gewesen. In der Vergangenheit hatte Leonie die Bedeutung ihrer Ratschläge immer erst nach längerem Nachdenken verstanden.

„Muss ich denn nun Angst haben, dass ich wieder durch Tiefen hindurch gehen werde? Gott ich kann das nicht mehr.“

„Nein, Schätzchen. Er ist mit dir. Was kann dir schon passieren. Du musst keine Angst haben“, ertönte es vom Flur her.

Leonie horchte auf und registrierte, dass Frau Schmitt mit diesen Worten die Treppe hoch ging. Frustriert ließ sie ihr Gesicht auf die Tischplatte fallen. Mehrere Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Frau Schmitt hatte ihr eine unbefriedigende Antwort gegeben und doch hatte sie ihren Blick wieder vollkommen auf Gott gerichtet.

„Mein Gott und mein Herr, du willst mich. Du hast mich gerettet. Das zählt. Ich überlasse dir die Kontrolle, denn mit dir als meinen Gott läuft das Leben am Besten.“

Grinsend stand Leonie auf. War das gerade ihr Gebet gewesen? Es hatte sehr gutgetan, das zu beten und sie glaubte, dass Weisheit sie durchdrang. War das Frau Schmitts Einfluss?

Pfeifend stellte sie die leere Tasse in die Spülmaschine, ging zum Fenster und blickte auf die weiße wunderbare Schneelandschaft. Vor ihrem inneren Auge erblickte sie einen Wandschrank und dann eine verschneite Laterne. „Nichts geschieht zweimal auf dieselbe Weise“, zitierte sie C.S. Lewis, den Autor der wunderbaren Chroniken von Narnia.

***

„Papa?“ „Hm“, Jan sah nur kurz von seinem Handy auf, doch seine Tochter rüttelte an seinem Arm und sprang dann kurzerhand auf seinen Schoss. Jan war gezwungen sein Handy wegzulegen. Könnte das Jörg sehen, würde er seine These verwerfen, Lilli würde sich für ihren Vater nicht interessieren.

„Du Papa, wenn Leonie am Samstag kommt, könnten wir doch nach dem Essen noch Schlittschuhlaufen gehen. Das wäre doch richtig klasse.“

Jan seufzte. Seine Tochter dachte seit gestern an nichts anderes als an den Besuch von Leonie. War es richtig gewesen sie einzuladen? Machte er seiner Tochter zu sehr Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit Leonie? Und was war mit seinen eigenen Interessen? Er mochte diese Frau. Aber seitdem er über die dunkle Vergangenheit seiner verstorbenen Frau Bescheid wusste, war ihm klar, dass jeder ein Päckchen mit sich zu tragen hatte. Und er wollte nicht wieder solch eine Verantwortung für die Last einer anderen Person tragen.

„Papa!“

Lilli legte ihre Hände auf die Wangen ihres Vaters und drückte diese. „Wo bist du nur mit den Gedanken?“, tadelte sie ihn. Jan räusperte sich.

„Du, Lilli, wir sollten Leonie nicht überfordern. Lass uns erstmal ein Mittagessen mit ihr verbringen. Wir können sie dann immer noch fragen, ob sie eine Woche später mit uns Schlittschuhlaufen möchte. Wir sollten sie nicht vereinnahmen.“

Lilli starrte ihren Vater an. Sie sagte nichts. Wortlos legte sie ihre Hände in den Schoss. Eine einsame Träne rollte über ihr Gesicht. Jan hasste das. Er wusste, dass sich seine Tochter nach einer Mutter sehnte und er wusste, dass sie sich dafür Leonie ausgesucht hatte. Bin ich dir denn nicht genug? Jan schlang die Arme um seine Tochter. Mit ihr auf dem Arm stand er auf und begann „Hakuna Matata“ zu singen. Es dauerte nicht lange, da lachte Lilli. Vater und Tochter ließen sich nach ein paar Minuten Tanz kichernd auf der Couch nieder. Jan nahm die Hand seiner Tochter in seine.

„Das Schlittschuhlaufen läuft nicht weg. Wir fragen sie am Samstag, ob sie Lust hat das an einem anderen Tag mit uns zu unternehmen.“

Lilli nickte und kuschelte sich an ihren Vater.

„Okay“, murmelte sie. Jan schloss für einen Moment die Augen, doch dann sah er seine verstorbene Frau vor sich. Erinnerungen an vergangene Tage tauchten auf.

„Fass mich nicht an! Lass mich in Ruhe!“, schrie sie. Jan zog blitzartig seine Hand zurück. So als hätte er sich verbrannt. Erschrocken sah er seine Frau an. „Bitte…was ist los?“, „Neeeein. Geh weg!“

Jan hörte den durchdringenden Schrei seiner verstorbenen Ehefrau so, als ob sie leibhaftig vor ihm stehen würde. Er sah ihre weit aufgerissenen Augen. Jans Gedanken wanderten zu Leonie. Eine andere Szene lief vor seinem inneren Auge ab: Leonie mit einem Kinderbuch in der Hand. Leonie, die nach hinten fällt. Er, der sie vom Fallen zu bewahren versucht. Ein gescheiterter Versuch. Er landet auf ihrem Körper. Und das was er nicht vergessen konnte, war ihr Gesichtsausdruck und ihr bleiches Gesicht. Wiederholt hatte ihm eine Frau vermittelt, er sei ein Täter. Er sei jemand, der körperliche Grenzen nicht berücksichtigte. Jan konnte sich nicht nochmal an eine Frau binden, die ein Trauma aufarbeiten musste.

Er schob sich langsam von seiner Tochter weg, doch diese rückte auf.

„Papa dein Bauch ist zu hart. Du trainierst zu viel. Das ist so unbequem darauf zu liegen“, murmelte sie. Jan lächelte. „Zeit ins Bett zu gehen, Prinzessin“, meinte er.

„Kann ich nicht hier schlafen?“

„Nein, Lilli. Das fangen wir nicht an. Das weißt du“, meinte er streng.

Lilli richtete sich auf. „Okay.“ Während sie in Richtung Kinderzimmer lief, sagte sie: „Ich werde am Samstag mein blaues Kleid anziehen. Das mag Leonie sehr gerne.“

***

Wütend fegte John den Laptop auf den Boden. „Der Laptop ist neu“, murmelte ein junger Mann mit Brille leise.

Seine Worte waren allerdings immer noch laut genug, denn jetzt brüllte der Regisseur: „Du bist mir ein feiner Regieassistent. Was verstehst du denn unter einem hübschen und talentierten Mädchen?“

„Nun ja ehrlich gesagt, dieses Mädchen hier mit den schwarzen Haaren soll laut ihrer Direktorin ein Schauspieltalent sein“, versuchte der Assistent es nochmal.

„Du sagst es: Schwarze Haare. Hast du denn nichts aus der Nazizeit gelernt?“, fauchte John.

Der junge Regieassistent schaute ihn entsetzt an. Er konnte nicht glauben, dass dieser berühmte und beliebte Regisseur eine solche Aussage traf. War er ein Nazi? Der Mann schloss seinen geöffneten Mund und überlegte, ob er kündigen sollte. Nach einem kurzen Zögern entschied er sich dagegen. Zu lange hatte er für diesen Job gekämpft. Das hier war eine Karrierechance. Langsam hob er den Laptop auf.

„Ich werde mich auf die Suche nach weiteren Mädchen machen“, sagte er und wand sich zum Gehen.

„Tu das. Ich werde für die nächste Produktion nach Konstanz reisen. Wenn ich zurückkomme, möchte ich eine geeignete Kandidatin für die Hauptrolle haben“ befahl John. Vor seinen Augen erschien ein schlankes, großes und blondes Mädchen, dass ihm viel Geld eingebracht hatte. John tastet nach seiner Narbe am Hinterkopf. Niemals hatte er gedacht, dass dieses Mädchen zum Mord bereit gewesen war. Aber bis dahin hatte sich die Zusammenarbeit mit ihr gelohnt. Nie wieder hatte ein solch talentiertes, musikalisches und bildhübsches Mädchen für ihn gearbeitet.

Kapitel 3