Das hohe Ziel der Erkenntnis - Omar al-Raschid Bey - E-Book

Das hohe Ziel der Erkenntnis E-Book

Omar al-Raschid Bey

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Beschreibung

Friedrich Arnd (Omar al Raschid Bey) war ein deutscher Publizist, der zum Islam konvertierte. Seine größtes Werk ist "Das hohe Ziel der Erkenntnis" - Aranada Upanishad - in dem es um die Grenzen menschlichen Verstehens und das Begreifen der Welt um uns geht.

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Das hohe Ziel der Erkenntnis

Omar al-Raschid Bey (Friedrich Arndt)

Inhalt:

Das hohe Ziel der Erkenntnis

Vorwort

I. Irdische Ziele – – samsâra –

II. Verkörperung der Welt – âkâsha

III. Das Verlangen dieser Welt – kâma –

IV. Wirklichkeit dieser Welt – karma –

V. Der urteilende Verstand– manas

VI. Erwachen aus der Erscheinung – buddhi

Alphabetische Zusammenstellung der in den Text unübersetzt aufgenommenen Sanskritworte.

Das hohe Ziel der Erkenntnis, Omar al-Raschid Bey

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849604431

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Das hohe Ziel der Erkenntnis

Vorwort

Er, der dieses Werk geschrieben, ist gestorben vor der Herausgabe. Weil sein Werk der Niederschlag eines ganzen Lebens war, konnte es auch nicht beendet werden, bis dies Leben erfüllt wurde.

Das Titelblatt, worauf ich in der Eigenschaft als Herausgeber genannt bin, fand sich im Manuskipt so entworfen vor, wie es hier gedruckt ist. Es war schon vorbereitet in einer Zeit, als der Tod gar nicht nahe war. Andere sollten aussäen, was in seiner Seele gereift war.

Daß mir die Aufgabe zufiel, ist selbstverständlich. Seine Lehre war Inhalt meines Lebens geworden. Ich hatte ihre helfenden und gestaltenden Kräfte an mir lebendig gefühlt.

Wie von einem Strom ist meine Seele von diesem Werke getragen worden, aus Einheit durch die Vielheit der Erscheinungswelt mit ihrem Heimatsverlangen, wieder zurück zur Einheit.

In diesem Werke heißt es: Aus einer Quelle fließt: sich eines Andern Seele nähern, sich von eines Andern Körper nähren.

Darüber ist gesagt: »Aus Verlangen und Nährung hat Brahma diese Welt gebildet.« »Darum lebt alles dieser Welt durch Nährung, durch einver-Leibung, durch an-Eignung; darum lebt alles Ich durch ein anderes und lebt kein Ich ohne nicht-Ich, und lebt alles Ich durch nicht-Ich, seelisch und sinnlich.

Also beschränkt sucht Ich Unbeschränktheit, also unvollständig sucht Ich Vollständigkeit, also unvollkommen sucht Ich Vollkommenheit, also verstoßen, sucht Ich nach dem verlorenen Paradiese, also einsam schreit Ich um Hilfe – es verlangt nach Allumfassen, nach All-einheit, nach Vollendung, – nach Nirvana.«

Tief wurde meine Seele von den Bildern des Verlangens dieser Welt bewegt. Zu höchstem Einklang sah ich das irrende gequälte Verlangen, dieser in Qual und Lust erbebenden Erschein-ungswelt sich vor meinen Augen verwandeln. Eine Erlösung sondergleichen, von der Natur selbst vollzogen. Trost und Ruhe stieg aus diesem Weke auf. Kein Wort traf meine Seele, das übersinnlich zu werden trachtete, aber ein gewaltiger Strom nahm die heimatlose Seele auf und trug sie unaufhaltsam einem unaussprechlichen Ziele zu, vor dem jeder Gedanke und jedes Wort umkehrt.

Mir schien dieses Werk wie eine Heimat und Zuflucht derer, die sich scheuen vor jedem Wort und jedem Bild, das sich ihrer Heimatssehnsucht erbarmen möchte.

Mit Naturnotwendigkeit fühlte ich mich über das unstillbare Verlangen dieser Welt hinauswachsen, ohne Weltflucht – durch Weltvertiefung, durch Versenken in die Welt der Erscheinung und des Verlangens. »Anziehung und Abstoßung ist Verlangen, brünstige Wünsche – inbrünstiges Gebet – Liebe wie Haß. Niederste Gier ist Verlangen nach dem Höchsten.«

Nichts ist zu niedrig, um nicht das Höchste zu bergen! Welch erbarmungsvoller Gedanke! – Von diesem Standpunkt aus – eine Heiligung sondergleichen der ganzen Natur. Ihre Geheimnisse und Schrecken, wandeln sich in uns zum Höchsten, wir brauchen der Natur nicht zu entfliehen; wir sind geborgen. Die Welt – zu Ende gedacht – ist Erlösung.

Das ist der Standpunkt, von dem es mir möglich war, alles, was diese Lehre mir bot, zu erfassen.

Und wenn ich mich frage: Was hat dem Werke, vordem es in die Welt geht, so viel Macht gegeben auf jene Menschen, die ihm bereits nahe traten, so mag es wohl dies sein, auf das ich hier hindeute, und was einer der teuren Freunde, die mit dem Werke lebten, aussprach: »Es wurde eine Heimat, ein Ruheplatz, wohin ich stets zurückkehren werde, wo ich mich hingehörig empfinde, es wurde mir ein ureigenster Besitz.«

Auch die Einheit dieses Werkes ist auf dem schweren Weg durch die Vielheit enstanden. Seine Kürze ist die Tat langer Jahre eines Lebens. Ich kenne den weiten Weg, ich durfte ihn mitgehen, der zurückgelegt werden mußte, um solches Ineinandergreifen aller Teile zu schaffen, um solche einheitliche Zusammenfassung aus dem Ganzen herauswachsen zu lassen. Ich erlebte es mit, welch starke Verbindung schärfster Verstandestätigkeit mit den Kräften seelischen Schauens dazu gehört, um die schwierigsten Gedankengänge und ihre anfänglich unmöglich erscheinenden Ergebnisse zu solcher Einfachheit der Vorstellung, zu solcher Selbstverständlichkeit des Ausdrucks auszugestalten.

Es war ein langsames Schaffen; aber ein sicheres Wachsen, immer aus dem Lebenszentrum, dem Ich-Punkt heraus. So entsteht ein Naturgebilde.

Alles von der Natur Geschaffene stellt sich uns mit so sicherer Selbstverständlichkeit dar, daß wir nur schwer dazu gelangen, seine Bedingtheit aus unendlicher Zusammensetzung zu begreifen.

Alles Vereinheitlichte und darum Einfache ist schwer zu ergründen. Das gilt auch für diese Schrift: sie lesen zu können – das ist eines schwere Kunst und Wenige werden sich dazu hinringen.

Paracelsus sagt:

»Was unmöglich gesagt wird, was unverhofflich und gar verzweiflich ist, wird wunderlich wahr werden und soll sich niemand verwundern über den kurzen Weg und kurzen Begriff, denn das Viele ist die Quelle von vielem Irrtum.«

Wir lernten »das sich dazu hinringen« durch ihn selbst. Er war uns der Pförtner, der uns das schwere Tor auftat.

Durch ihn empfanden wir, wie wenig alle Worte sagen, selbst seine Worte, die nicht mehr nur Worte der Sprache sind, die zu tiefen Bildern fast unsagbarer Dinge wachsen.

An der Bildung der Worte, der Enstehung der Sprache, waren, wie bei allem Schaffen, die höchsten Ahnungen lebendig mit am Werke.

Diese ursprünglichen Ahnungen tiefster Wahrheiten scheinen gleichsam durch die viel gebrauchten Worte hindurch, wachen wieder auf, sprechen sich im Worte selber wieder aus, sobald die Sprache schöpferisch behandelt wird.

Die kühnste Anwendung der Sprache deckt sich hier mit ihrem urprünglich einfachsten Sinn.

Es ist, als ob nicht ein einzelner Mensch spräche, sondern als ob der Geist der Sprache sein wissen von sich selbst offenbarte.

Der, der diese tief lebendige, wissende Sprache sprach, ging den Weg seines Werkes. »Wortlos das Letzte« ist dort das Schlußwort. Er hat auch davon uns noch ein Stück erfassen lassen durch seinen großen Tod. In Schweigen versank die Sinnenwelt, das unaussprechliche leuchtete auf, das gesucht, in sich und in allen Dingen, lebenslang; verklärt fühlte er es nahen.

Dieses Buch ist seine Wegspur dorthin. – Zu Ende der Weg; erreicht das Ziel; – wortlos das letzte.

Für mich ist es eine Notwendigkeit, ebenso gewollt wie schmerzlich und doch freudig, den innig behüteten Besitz, der bisher nur still und verehrt Nahestehenden dargeboten wurde, öffentlich hinauswirken zu lassen in die große, dieser Lehre so fremde Welt, damit sie die Wenigen finde, denen sie ihre Leuchtkraft mitteilen soll, die ein inneres Recht auf sie haben.

Solche wird sie finden; ich weiß es, weil nicht ich allein die heilsame Klärung im Wirrsal des Lebens daraus empfing. Ein Kreis von Schülern und Verehrern hatte sich langsam um den zurückgezogenen Denker versammelt.

Es lag mir nahe, Aussprüche der kleinen Gemeinde dem Werke mitzugeben, eine wärmende Hülle von Liebe, die sich bereits darum gebildet hatte; – scheint doch dies Werk auf den ersten Eindruck dem gegenwärtigen Leben so fern, als sei es aus dem Weltenraum auf die Erde gefallen; denn was aus Sehnsuchtsglut, die nie am Vergänglichen Genügen fand, geboren wurde, ist wie von der Unendlichkeit, die für uns nicht irdische Lebenwärme birgt, angehaucht. – Ich tat es nicht und gab ihm nur meine große Liebe mit, die ihm durch ein Leben gehörte.

Helene Böhlau al Raschid Bey.

I. Irdische Ziele – – samsâra –

Prüfung des aufzunehmenden Schülers. Das Leid der Welt; Frage aller Fragen. Ungelöste Widersprüche. Der Weg zur Erkenntnis.

So lautet die Upanishad:

om!

Auf das Geheiß des Verehrungswürdigen! Diese Unterweisung niedergeschrieben zu Stambul, im indischen Kloster auf Akssarai, begonnen am fünfzehnten Tag des Monats rebi ül evel im Jahre dreizehnhundertundvier.

*

Der Verehrungswürdige spricht:

»Frieden sei aller Erscheinung!«

»Du hast, o Teurer, deinen Wissensweg fern von uns gesucht; hast du, im Abendlande belehrt, des Wissens Ziel – : ›Befriedigung‹ erreicht? Welches Begehren führt dich hierher?«

– »Verehrungswürdiger...« –

»Suchst du weitere Gelehrsamkeit oder verlangt dich, aus Nichtigkeit hinaus, nach letzter Erkenntnis? – Erfasse es wohl! denn unermeßlich ist, in allen Ewigkeiten und Unendlichkeiten unermeßlich, was du – erkennend – erringst.«

– »Verehrungswürdiger! Ein Schüler steht vor dir, das Holz zum Opfer in der Hand...« –

»Nun wohl!... Was von großen Fragen bewegt dich?«

– »Das Leid auf Erden, o Herr! Die Unabwendbarkeit des Verderbens, das Grauen und die Qualen der Geschöpfe – Woher ist der Ursprung des Übels in unserer Welt?« –

»Ursprung des Übels? Hast du, o Teurer, was du so nennst, wohl erfaßt und vermöchtest mit klaren Worten zu antworten?«

– »Keine Antwort, Verehrungswürdiger!« –

»Hat dich, o Teurer, dein Lehrer über den Sinn der Fragebelehrt?«

– »Verlangend war ich, o Herr...« –

»So hast du im Abendlande Wissen hierüber nicht erlangt? – Wer von Lehrern dort gibt Antwort – letzte Erkenntnis, unwiderleglich?«

– »Unzureichend, Verehrungswürdiger, ist alle menschliche Vernunft! der Widersinn der Welt ist unüberwindlich« –

»Dem ist nicht also, o Sohn! – Eines nur, – nur Eines... ist unerkennbar...«

– »Verehrung sei dir, o Herr! Wie könnte sich selbst Widersprechendes bestehn? Wie könnte Unerreichbares dem Wissen erreichbar werden? – Fließt Übel und Böses aus der Gottheit, so ist es von der Gottheit gewollt. Will Gottheit Böses, so ist Gottheit böse. Wächst aber das Böse nicht aus der Gottheit, so ist es von der Gottheit nicht gewollt und ist dennoch, – so ist Gottheit in sich entzweit – zwei Gottheiten, die sich bekämpfen, widersprechen, aufheben. – Der Widersinn ist unlöslich« –

»Dem ist nicht also, o Teurer!«

– »O Herr! Woher ist Übel und Böses in der Welt? Warum ist Leiden und Tod? Wenn es eine Antwort auf diese Fragen gäbe, so würden die Wissenden von ihrer Wahrheit erfüllt sein; der Veda würde sie uns lehren, die Gita, Yadschnaválkya, der Buddha, Badaráyana, Shamkaratschárya, Lao-tse, Li-tse, die großen Lehrer des Abendlandes...« –

»Dennoch ist es nicht also, o Teurer! dennoch ist es nicht also!«

– »Diese Fragen sind ungelöstes Geheimnis; es gibt uns Menschen keine Antwort! Dies entgegne ich dir in Ehrfurcht, o Herr! Wenn aber dem nicht so ist, so wolle der Erleuchtete mich hierüber wahrhaft belehren.« –

»Eines – o Teurer, ist unerkennbar – nur Eines! – und Schweigen ist Antwort... Diese deine Fragen jedoch sind durchsichtig, tragen die Antwort in sich.«

– »Würdige mich der Belehrung, o Herr!« –

»Nahe liegt die Antwort, leicht ist die Antwort auszusprechen, mit wenigen Worten ist die Antwort auszusprechen – weit der Weg, mühevoll der Weg zu Erkenntnis...«

– »Weise mir den Weg, o Mächtiger! Laß die Erkenntnis überströmen auf mich, deinen Schüler, der ich in Demut deine Kniee umfasse!« –

»Wohlan! Es sei! Tritt näher, fasse meine Hand; gebiete deinem Herzen Ruhe und Ruhe den Gedanken.«

»Möge uns die Stunde günstig sein! Möge der Geist der Upanishaden uns leuchten.«

»Fern von hier, in unsrer aller Heimat ruht das Feuer unter der Asche des Herdes; der Mörser tönt nicht mehr unter den Händen arbeitsfreudiger Mädchen; der Lärm des Tages schweigt; aufgestiegen zum wolkenlosen Himmel ist der Opferrauch und heilige Elefanten künden die Nacht...«

»Indessen von denen da draußen, die sich Menschen nennen, der eine, gedankenlos wie ein Tier, sich dem Schlafe überläßt und im Traume weiter nach zerrinnenden Freuden jagt, – indessen andere, unfähig sich der Betäubung des Lebens zu entreißen, nichtige Reden führen, verächtliche Künste anstaunen oder übersättigt und nie befriedigt in Weibesarmen ruhen, – ist uns die Stunde gekommen, nach dem Hohenziel des Menschen zu forschen. – Wohlan, o Schüler, wiederhole deine Frage!«

– »Verehrung sei dir, o Fürst! Ursprung des Bösen, Ursprung von Selbstsucht und Zwietracht, Ursprung des Unheils dieser Welt, Quell alles Leides; Quell alles Widersinnes, alles Irrtums, aller Sünde dieser Welt, Frage aller Fragen, nie gelöste Rätsel! – : Wie ist sittliche Erkenntnis und Tat denkbar unter Herrschaft blinder Naturgesetze? Wie ist freie Willensentscheidung des Menschen vereinbar mit unabweisbarer Notwendigkeit alles Geschehens? Wie ist der Gegensatz zu überbrücken zwischen Empfindung und Bewegung, Seele und Körper, Gott und Welt? – Ich nehme meine Zuflucht zu dir, o mächtig Beseelter! Weise mir den Weg ans Ufer der Erkenntnis – mir, dem Suchenden!« –

»Wohlan! – Wisse dich aufgenommen, o Schüler! Schichte das Holz zum Opfer... Folge meinen Worten; schweigend folge, – du betrittst heiligen Weg. Folge mit offener Seele aus leicht verständlichem Beginn von Stufe zu Stufe festen Schrittes zum letzten Ziele, – uns allen bestimmt. Ich offenbare dir verhüllte Wahrheit – uralt heiliges Wissen – Upanishad.«

»O Teurer! Seit dem Tage Brahma stürmt unser Wohnsitz, die Erde, unaufhaltsam durch den Weltraum. Der segenspendende, totbringende Sonnenstrahl, mit jedem Augenblick rastlos vorrückend, weckt die Scharen der Geschöpfe aus tiefem Schlaf zu kurzem Tagesbewußtsein. Sie erwachen unter dem Einfluß des Erregers Savitar – und ihr erster klarer Antrieb ist, sich Nahrung zu verschaffen, um das Leben weiter zu fristen. Alsbald halten sie Ausschau nach einem schwächeren Genossen, um ihn zu berücken und zu fressen. – Sie selbst haben es sich so ins Herz gelegt: andere zu vernichten, um sich zu erhalten.

»Zu solchem Ziele ist jede Verschmitztheit, jede Frechheit, jede List und Gewalt, jedes Unrecht erlaubt und geboten, und belohnt sich auf der Stelle. Jede Unentschlossenheit, jede Abschwächung des straffen, zielbewußten Willens, etwa aufkeimendes Mitleid, die leiseste bessere Regung, rächt sich unmittelbar: der Fang ist vereitelt und Hunger die Strafe. Darum Verdruß, wenn die Beute entgeht, und Herzensfreude, wenn sie röchelnd am Boden liegt. – Kein andrer Ausweg: um zu leben – erbarmungslos morden. – Einst wirst du erkennen, aus welcher Tiefe solches fließt.

»So wird es ein gewohntes Handwerk, und seit Menschengedenken von Vater auf Sohn vererbt. Niemand weiß es anders, jedermann übt es unbedenklich aus, hält es lieb und wert, eignet sich willig die nötigen Kunstgriffe an und zieht dann, wohl ausgerüstet, tagtäglich nach lockender Beute aus.

»Sehr bald wird der Raubende den Unterschied gewahr zwischen dem leicht und dem schwer zu erlangenden Fraß, zwischen der sicheren und der gefährlichen Jagd, zwischen der wehrlosen und der wehrhaften Beute, und er lobt das Eine und schilt das Andere, betrachtet das Eine mit Haß, das Andere mit Liebe, nur sich im Auge. Was sich fressen läßt, gefällt ihm und er nennt es gut; was sich nicht willig hergibt, was widersteht, was gar ihn selber angreift, mißfällt ihm und er nennt es schlecht und böse. Fressend hält er das Tun für löblich und recht, doch selbst gefressen für unrecht und böse.

»Er trifft sonach sorgfältige Auswahl und vermeidet die Jagd auf seinesgleichen, eingedenk, daß Solche Waffen führen wie er selbst: der Kampf ist gefährlich, der Erfolg nicht sicher. Es ist geratener, Schwächere zu bekämpfen, dem gleich Wehrhaften möglichst aus dem Wege zu gehen; es ist vorteilhafter, sich mit ihm zu vertragen, gute Nachbarschaft zu halten – Frieden und Freundschaft, wenn solcher Nachbar, von gleicher Gier nach gleichem Ziel beseelt, zur Erlangung des Fraßes mitbehilflich ist.

»Notgedrungen verbindet er sich mit Gleichgesinnten, jagt und raubt gemeinsam mit ihnen, achtet auch das eingegangene Bündnis, solange es ihm dienlich scheint. Bei guter Gelegenheit jedoch kehrt er sich gegen seinen Bundesgenossen, entwendet dem Überraschten die Beute, wiederholt das bequeme Spiel so oft als tunlich und knechtet endlich den milderen oder minder schlauen Gefährten dauernd zu seinem Dienste.

»Sein böses Tun trägt ihm gute Früchte. Durch Bündnis oder Waffenstillstand nach außen leidlich gesichert, von Weib und Knecht im Jagen unterstützt, gewinnt er Zeit zur Überlegung. Er beginnt an den kommenden Tag zu denken und lernt allmählich sich die Nahrung für den Notfall zu sichern.

»Er gewöhnt sich sein Gebiet bedachtsam abzujagen; er hegt und erhält sich den Bestand nach Möglichkeit für die Zeiten des Mangels; er schont das tragende Weibchen, sorgt für den heranwachsenden Wurf und zähmt ihn, um ihn besser zur Hand zu haben. Was er nun ehrlich erworbenes Eigentum nennt, behütet er sorgsam und schützt es entschlossen gegen hungernde Mitbewerber; schützt seine Herden mit Gefahr seines Lebens gegen fremde Fresser – zum Fraß für sich.

»So im Gefühle gesicherter Nahrung schaut er mit Befriedigung und Wohlgefallen auf die anwachsende Herde und liebt sie mit aufrichtiger Liebe. Erbarmungsloser Räuber und treuer Hirte! Beides wächst aus derselben Wurzel und wird nur mit anderen Namen genannt – nur Worte, bloße Lautverschiedenheit.

»Solchem Tun und Treiben haben sich seine Glieder, seine Sinne, sein Hirn, seine Denkungsweise angepaßt, er hat seine Gewohnheiten, seine Sitten, seine Gesetze darnach gebildet; er läßt sie sich nicht abstreiten, überwacht sie eifrig, hält, was er sein gutes Recht nennt, unentwegt aufrecht und erachtet es für heilig.

»Das Rauben und Morden ist allmählich in fest gehandhabte und streng eingehaltne Ordnung gebracht, und alle Welt fügt sich freudig dieser Ordnung. Was jedermann an sich selbst als grauenvoll empfindet, wird dem Nächsten gelassen angetan. Es wird kaltblütig und mit Muße gemordet und in sanften Formen gefressen. Es ist nicht mehr das sterbende Tier im letzten vergeblichen Widerstand, mit brechendem Auge, stöhnend, blutübergossen – nein, es sind gesittet zubereitete Speisen und friedlich heitere Mahle. Es nimmt kein Vernünftiger Anstoß daran. Der Schmausende weiß sich von niederer Begierde frei, von unantastbarer Redlichkeit, auf der Höhe der Gesittung – und das Tier, das sich Herr der Schöpfung fühlt, nennt sich – Erkenntnis in ferner Dämmerung – Mensch, und seine Mitgeschöpfe – Nutzvieh.