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Vier Tore. Drei Wölfe. Zwei Leben. Ein Jahr. Thomas führt ein ganz normales Leben im mecklenburgischen Neubrandenburg - oder zumindest so normal, wie es für einen unter Menschen lebenden Wolf geht. Alles ändert sich, als er nach zehn Jahren auf andere seiner Art trifft. Gemeinsam stellen sie sich gegen Bürokratie und Vorurteile und lernen mehr darüber, was es bedeutet, ein Werwolf zu sein. In ihrer unerwarteten Freundschaft finden sie dabei einen Zusammenhalt, der ihnen lange Zeit gefehlt hat.
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Seitenzahl: 529
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Für Mama, die immer gerne neue Restaurants mit mir ausprobierte
Content Notes und Positive Tags am Ende des Buches auf Seite →
JANUAR: WOLFSMOND
FEBRUAR: SCHNEEMOND
MÄRZ: KRÄHENMOND
APRIL: WASSERMOND
MAI: WONNEMOND
JUNI: HONIGMOND
JULI: DONNERMOND
AUGUST: BLITZMOND
SEPTEMBER: JAGDMOND
OKTOBER: BLUTMOND
NOVEMBER: NEBELMOND
DEZEMBER: FROSTMOND
HINTER DEN KULISSEN
Der Schnee knarzte unter seinen Füßen, als Thomas den Trampelpfad vom Sandkrug zum Datzeberg hinaufging. Winterdienst gab es für diese Abkürzung nicht, die sich durch eine kleine Grünanlage schlängelte, um dann zu einer langen Treppe zu werden. Dank seiner Winterstiefel hatte er keine Angst auszurutschen und genoss die relative Stille und frische Luft nach einem anstrengenden Arbeitstag. Vor ein paar Tagen hatte es endlich geschneit. Das erste Mal in diesem Winter, auch wenn es bereits Januar war. Thomas liebte den Schnee. Er liebte es, wie die weiße Pracht die Welt friedlich und rein erscheinen ließ. Besonders liebte er, wie es sich auf seinem Fell und unter seinen Pfoten anfühlte, wenn er in seiner besonderen Nacht hindurchrannte. Bei seinem Glück würde es allerdings tauen, bis es dazu kam.
Das Klingeln seines Telefons riss Thomas aus den Gedanken. Verwundert blieb er mitten auf der Treppe stehen. Mühsam zog er sich einen Handschuh aus, um das Handy aus seiner Umhängetasche zu fischen. Als er es endlich in der Hand hielt, starrte er auf das Display. Sandra. Sein Herz begann heftig zu schlagen. Natürlich, er schuldete ihr noch eine Antwort. Bevor Thomas sich durchringen konnte, das Gespräch anzunehmen, hatte sie bereits aufgelegt. Er seufzte erleichtert. Das gab ihm eine Schonfrist, denn sie rief nie zweimal an. Stattdessen wartete sie auf seinen Rückruf. Gedankenverloren verstaute Thomas das Handy in seiner Tasche und zog sich den Handschuh wieder an, während er weiter die Treppe hinaufstieg.
Jeder Blick auf seinen Wandkalender hatte Thomas diesen Monat daran erinnert, dass Sandra in der Vollmondnacht ihren Geburtstag feierte. Seit Anfang des Jahres überlegte er, ob er es riskieren sollte mitzufeiern. Vor zwei Wochen war die Einladung gekommen und seitdem schob er die Entscheidung auf. Er war hin- und hergerissen. Er wollte mehr Zeit mit seinen Freunden verbringen, die er seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Ihre Truppe traf sich unregelmäßig, entweder alle auf einmal oder in kleineren Runden. Sie hatten sich kurz nach seiner Ankunft in Neubrandenburg auf dem Burgfest in Penzlin kennengelernt. Ein einfaches Gespräch über Musik, Gewandungen und Waffen wurde zu Freund- und Bekanntschaften, die sich auch nach Monaten ohne Kontakt so anfühlten, als ob keine Zeit vergangen wäre. Vor allem war jedes Treffen eine Möglichkeit, in Sandras Nähe zu sein, ohne dass zu sehr auffiel, wie oft sein Blick zu ihr huschte und wie albern er sich bei Unterhaltungen mit ihr anstellte. Seit er sie kannte, bewunderte Thomas sie aus der Ferne, war ihr Freund in allen Lebenslagen geworden, aber mehr traute er sich nicht. Sie wäre nicht die erste Frau, mit der er anbandelte, aber er wollte mehr, wollte, dass sie ihn verstand und akzeptierte. Doch seine Angst vor einer Abweisung war zu groß, um es zu riskieren.
Der Wind wehte ihm um die Nase, als er am Spielplatz oberhalb der Treppe vorbeiging. Normalerweise störte ihn das nicht, doch gerade erinnerte ihn die Kälte, die ihm bis ins Mark kroch, an all die Dinge, die schiefgehen könnten. Was, wenn er sich zu früh verwandelte? Was, wenn seine Freunde ihn nicht gehen lassen wollten? Was, wenn ihm jemand folgte? Was, wenn – Zusammen mit der Kälte schüttelte er die Gedanken ab, als er seine Wohnung betrat.
»Hey! Du bist der Einzige, der mir noch nicht gesagt hat, ob er zu meinem Geburtstag kommt!«, grüßte Sandra ihn verspielt, nachdem sie seinen Rückruf angenommen hatte.
»Oh, ist das echt schon so weit?«, fragte Thomas, sein Blick auf den Kalender gerichtet, auf dem genau diese Information stand.
»Nächsten Donnerstag«, kam prompt die Bestätigung.
»Ah, ja, ich weiß nicht –«, begann er, wurde aber sogleich unterbrochen.
»Oh, komm schon! Es ist mein Geburtstag und alle werden da sein! Sogar Ole! Ihr habt euch doch bestimmt auch schon ’n halbes Jahr nicht mehr gesehen!«
Ein Argument, mit dem auch Ole ihm bereits mehrfach in den Ohren gelegen hatte. Im Gegensatz zu Sandra hielt sich dessen Hartnäckigkeit allerdings in Grenzen, wenn Thomas’ Ausrede offensichtlich nicht ganz wasserdicht war.
Sandra erzählte von weiteren Leuten, die zugesagt hatten, und endete dann mit: »Außerdem musst du auch mal rauskommen, das ist dir klar?« Sie scherzte nicht zum ersten Mal über sein Eigenbrötler-Dasein und war eine der wenigen, die ihn trotzdem immer wieder einluden. Und nicht lockerließ, wie er es erhofft und befürchtet hatte. »Abgesehen davon weiß ich genau, dass du noch nie im Brauhaus warst und immer schon hinwolltest.«
Thomas konnte regelrecht ihr Grinsen hören. Er seufzte. Seit Jahren erzählten seine Freunde von dem Restaurant die Rostocker Straße raus, aber bisher hatten sie es nicht geschafft, gemeinsam dort hinzugehen. Ihm war bewusst, dass er nicht einfach Nein sagen konnte. Zu sehr würde es nach einer Ausrede klingen. Viel lieber hätte er es ausgesessen und so getan, als hätte er es vergessen. Doch das war nun keine Option mehr. »Lass mich noch mal meine Termine prüfen und ich ruf dich morgen an.«
»Versprochen?« Ihre Stimme klang erfreut und hoffnungsvoll.
Thomas lächelte. »Versprochen.«
Kaum hatte er aufgelegt, runzelte er die Stirn. Er brauchte einen Plan. Vorher wollte er keine endgültige Entscheidung treffen, denn eine Teilnahme barg einige Risiken. Die Gegend, in der das Restaurant sich befand und somit die potentiellen Laufgründe, kannte er nicht. Zusätzlich dazu würde er nicht rechtzeitig zurückkehren können, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Bevor er loslegte, machte er sich einen Happen zu essen und brütete darüber, wie er am besten vorgehen sollte. Anschließend schaltete er seinen Standrechner ein und öffnete eine Onlinekarte. Dort suchte er den Wallensteinkeller, wie das Brauhaus offiziell hieß, und betrachtete die Gegend für eine lange Zeit, dann suchte er weitere Informationen zu Bushaltestellen, Orten und Wegen. Eine Ecke sah vielversprechend aus und stellte sich als Gartenanlage heraus. Mit einem Zeichenprogramm fügte er der automatisch erstellten Route weitere Linien und Notizen hinzu. Als er alle Informationen zusammengetragen hatte, druckte Thomas eine Satelliten- und eine Kartenansicht der Strecke aus und legte sie in eine Mappe, die er immer in seiner Arbeitstasche dabeihatte. Neben den Karten waren mehrere beschriebene und leere Blätter darin. Diese Vorbereitung erledigt, schaltete er seinen Fernseher an, um sich ein wenig berieseln zu lassen. Nur für einen Augenblick wollte er nicht über die negativen Konsequenzen nachdenken und die nötige Ruhe zum Schlafen finden.
Nach der Arbeit am nächsten Tag machte Thomas sich auf den Weg zum Restaurant. Er hätte den Bus nehmen können, aber das war ihm zu umständlich. Die fünf Minuten, die der Bus am Busbahnhof stand, konnte er genauso gut nutzen, um die Innenstadt einmal von Osten nach Westen zu durchqueren. Zum Glück war kein Markttag, das hieß, die Menge an Menschen, die ihm auf der Turmstraße und auf dem Marktplatz entgegenkam oder im Weg stand, hielt sich in Grenzen. Als er schließlich die andere Seite erreichte, schritt er durch das Treptower Tor zur Ringkreuzung, die ihn in die Rostocker Straße führen würde. Das alte Backsteingemäuer barg wie immer einen Hauch der Vergangenheit, stünden nicht die Werbeschilder des Eisladens und moderne Holztische zwischen den Innenwänden am anderen Ende des Torgangs. Die Straße überquert, ging Thomas vorbei am Kornhus immer weiter an der Straße entlang. Dröhnend fuhren Autos an ihm vorbei und bliesen ihre Abgase in die Luft. Vielleicht hätte er so dicht am Vollmond nicht im Feierabendverkehr seine Erkundungstour machen sollen. Vielleicht hätte er vor Wochen eine Entscheidung treffen sollen. Vielleicht. Nein, hätte er, als Sandra ihn das erste Mal gefragt hatte, zugesagt, hätte er seine Meinung noch mehrfach geändert. Hätte er gleich abgesagt, hätte sie trotzdem versucht, ihn dazu zu bringen zu kommen. Mit Kopfhörern in den Ohren hoffte Thomas, mit Hilfe seines MP3-Players den Lärm auszublenden.
Wie er bis zum Brauhaus kam, hatte er sich gemerkt, dafür musste er nur an der richtigen Stelle von der Hauptstraße abbiegen. Der weitere Weg sah auch nicht schwierig aus, dennoch holte Thomas die Karte mit der Wegbeschreibung aus seiner Mappe. Am Restaurant vorbeigehend, folgte er dem Weg zur Gartenanlage. An deren Eingang nahm er die Kopfhörer ab und schaltete die Musik aus. Für diesen Teil brauchte er alle seine Sinne. Selbst ohne den Mond waren diese besser als die eines normalen Menschen. Für ihn war es ein Leichtes zu erkennen, ob jemand in letzter Zeit hier gewesen war. Auf der Kartenansicht machte Thomas die Notizen, das Satellitenbild nutzte er für die Orientierung.
Der Hauptweg führte geradeaus durch die gesamte Gartenanlage, alle paar Meter zweigten Wege ab, die zu den aneinandergereihten Garteneingängen führten. Nachdem Thomas bereits einige Abzweigungen passiert hatte, bog er schließlich nach links ab. Zusätzlich zu den Hecken und Wegen zeichnete er die Eingänge in seine Karte ein, notierte sich auch die Nummerierung. Seine Nase nahm nur vereinzelt menschliche Geruchsspuren wahr. Vermutlich prüften die Gartenbesitzer nur gelegentlich ihr Eigentum oder fütterten Vögel. So ging er an mehreren Eingängen vorbei, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Wenn seine Recherche stimmte, würde ihn dieser Weg dichter zum Ölmühlenbach bringen, der parallel zur Anlage floss. Und tatsächlich: In die Hecke eingelassen befand sich eine unverschlossene Metalltür, die ihn zum Bach führte. Als Thomas sie öffnete, hörte er bereits das Blubbern des Wassers. Einen Moment lang stand er im Rahmen, die Türkante in der handschuhlosen Hand, und überlegte, ob er es wohl schaffen würde, sie mit seinen Pfoten zu öffnen. Vermutlich nicht, entschied er nach genauer Betrachtung. Konzentriert probierte er die Tür zu verkeilen, um sie offen zu halten. Er würde vor seiner Verwandlung herkommen müssen, um dies zu tun, und da sollte es auch funktionieren. Den richtigen Winkel gefunden, ging er vollends hindurch. Sein Blick fiel auf das langsam vor sich hin plätschernde Gewässer. In der Nähe war ein kleiner Steg, an dem vermutlich Kanus und Paddelboote anlegen konnten. Das Wasser sah tief genug dafür aus. Die Kinder der Gartenanlage gingen hier bestimmt im Sommer schwimmen. Allzu verschmutzt wirkte es nicht. Thomas löste seinen Blick vom Wasser und ließ ihn in die Ferne schweifen. Vor ihm floss der Bach in einer leichten Kurve, bis er hinter der immergrünen Hecke verschwand. Hier war es, wo Thomas seinen Lauf starten könnte. Niemand würde ihn sehen, wenn er dicht an der Hecke blieb. Der Bach würde ihn weiter hinaus aus der Stadt führen. Aber zuerst brauchte er ein Versteck, in dem er sich verwandeln und seine Kleidung verstauen konnte.
Langsam ging Thomas die Gartenreihe zurück, nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte. Jeden einzelnen Garten untersuchte er auf Zeichen der Besitzer und die Zugänglichkeit des Eingangs. Da seine schweren Stiefel Abdrücke im zentimetertiefen Schnee hinterließen, musste er vorsichtig sein. Er wollte nicht, dass die Leute dachten, er würde planen, sie auszurauben. Vor jedem Tor, das überwindbar schien, holte Thomas tief Luft, um die verschiedenen Gerüche zu erkennen und zu sortieren. Vieles davon geschah instinktiv, ohne dass er es über die Jahre groß geübt hatte. Sagte ihm seine Nase, dass er nichts zu befürchten hatte, versuchte er, sich Zutritt zu verschaffen. War es zu umständlich, brach er ab.
Endlich entdeckte Thomas einen vielversprechenden Garten. Jemand war vor Kurzem hier gewesen, eine Fußspur führte zur Laube. Nachdem er sich erneut vergewissert hatte, dass gerade niemand in der Nähe war, hob Thomas ein Bein über das niedrige Tor. Behutsam setzte er seinen Fuß in einen der Fußabdrücke, bevor er sein anderes Bein hinüberhob. Es war umständlich, aber machbar. Darauf bedacht, die Spuren zu treffen, durchquerte Thomas den Garten bis zur Laube. Endlich kam er an der überdachten Terrasse an. Zu seinem Glück bestand deren Umzäunung nur aus einem meterhohen Sichtschutz und einem offenen Eingang. Nach einem Ausfallschritt stand er auf dem nahezu schneefreien Betonboden. Von dort aus sah er sich zunächst nach einem Versteck für seinen Rucksack um und hatte schnell eine passende Stelle gefunden. Nun ging es an den Rückweg. Um ihn herum war alles von Schnee bedeckt. Einige Stangen, Sträucher und Bäume ragten daraus hervor. Sollte der Schnee bleiben, würde niemand eine zweite Fußspur bemerken. Pfotenabdrücke waren jedoch ein anderes Thema. Das Tor war niedrig genug, um darüber zu springen, doch da musste er erst einmal hinkommen. Wenn er es schaffte, die Beetbegrenzung zu nutzen, würde es klappen. Sollte ihm das nicht gelingen, konnte er nur hoffen, dass wer auch immer seine Spuren fand, diese für die eines Hundes hielt. Sollten die Besitzer wider Erwarten hier sein, wenn die Zeit gekommen war, dann hätte Thomas ein Problem. Peinlich wäre ein zu schwaches Wort dafür. Allerdings bot die Gartenanlage ausreichend Schutz vor ungewollten Blicken, sodass er im Notfall auch seine Sachen unter die Hecke stopfen und sich auf dem Weg verwandeln könnte. Sorgfältig notierte er seine Erkenntnisse auf der Karte. Für den Rückweg startete er eine Stoppuhr auf seinem Telefon. Wieder nutzte er die bereits getretenen Fußspuren und ging dann mit schnellen Schritten den Weg, den er gekommen war, zurück. Als Thomas das Restaurant erreichte, schaute er auf die Zeit und war zufrieden mit dem Ergebnis, das er ebenfalls notierte. Erleichterung machte sich in ihm breit. Jetzt wusste er, wann er spätestens losgehen musste, um rechtzeitig laufen zu können, und wo er hinkonnte. Doch ob es eine gute Idee war, dieses Vorhaben wirklich durchzuziehen, wusste er noch immer nicht.
Tief in Gedanken versunken, ging Thomas zur Bushaltestelle am Treptower Tor, eine Haltestelle vor seiner üblichen. Im Bus schwirrten ihm alle möglichen Szenarien durch den Kopf. Für jedes suchte er eine Lösung und auch zu Hause kämpfte er eine ganze Weile mit sich. Es war vermutlich keine gute Idee, doch die Sehnsucht, seine Freunde, und vor allem Sandra, wiederzusehen war zu groß. Der vergangene Mond war zu knapp für seinen Geschmack gewesen, die Umstände nicht von ihm kontrollierbar. Diesmal jedoch konnte Thomas alle Eventualitäten im Voraus bedenken und seine Freunde würden mehr Verständnis zeigen als sein Chef. Außerdem musste er sich dann nicht das Gejammer anhören, dass er »nie bei irgendetwas dabei war«. Die Entscheidung gefällt, rief er Sandra an, um ihr zu sagen, dass er für ein paar Stunden kommen würde.
In den Tagen vor dem Geburtstag ging Thomas seinen Plan wieder und wieder durch, um auch die letzten Lücken zu erkennen. Am Tag selbst fühlte er sich gut vorbereitet und dennoch ängstlich. Jedes Mal, wenn seine Gedanken zu den Dingen schwankten, die schiefgehen könnten, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Thomas hasste es, sich in einer ungewohnten Umgebung zu verwandeln. Er mochte seine Routine, dennoch wollte er sie für die Feier anpassen.
Nach der Arbeit fuhr Thomas schnurstracks nach Hause, denn ihm blieb nicht viel Zeit bis zur Feier. Hätte sich sein Feierabend wieder verzögert, hätte er alles absagen müssen. In seiner Wohnung zog Thomas sich bereits herausgelegte, gemütliche Kleidung an. Er hatte Oberteile gewählt, die nicht so dünn waren, dass es bei der Kälte auffiel, aber auch nicht zu dick, um sie neben seine Sachen in den Rucksack zu stecken. Etwas, das Thomas mehrfach probiert hatte, wie er es immer tat, wenn er etwas veränderte. Nach einer letzten Überprüfung machte er sich auf den Weg zum Bus.
Als Thomas das Restaurant durch die dicke Holztür betrat, legte sich angenehme Wärme um ihn. Der köstliche Geruch von verschiedenen Fleischsorten wehte aus der Küche vor ihm herüber. Er freute sich auf das Essen und spürte, wie sich sein Magen in Erwartung zusammenzog. Tief durchatmend betrachtete er seine neue Umgebung genauer, nur um zurückzuschrecken. Vor ihm stand eine Gestalt im Halbdunkel. Erst auf den zweiten Blick erkannte Thomas sie als Schaufensterpuppe in mittelalterlicher Kleidung, vermutlich der eines Knappen, mit Hellebarde im Arm. Schmunzelnd ging er weiter den Flur hinunter, um sich zu orientieren. Links und rechts zweigten Räume ab, neben dem Kücheneingang erkannte er einen Treppenabsatz. Als er gerade auf sein Handy sehen wollte, ob Sandra ihm Genaueres geschrieben hatte, riss ihn die Stimme einer jungen Frau aus den Gedanken.
»Guten Abend, edler Herr, wünscht Ihr zu speisen?« Erwartungsvoll sah sie zu ihm hinauf. In Leinenbluse und -rock wirkte sie wie gerade einem Mittelaltermarkt entsprungen.
»Ich … ähm …«
»Tommy!«, rief eine vertraute Stimme zu seiner Rechten.
Im Eingang zum Nebenraum stand Ole mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Er zog Thomas in eine herzliche Umarmung und ihm stieg sogleich kalter Zigarettenrauch in die Nase.
»Na, alles gut bei dir?«, erkundigte sich Ole, den Arm noch immer um Thomas’ Schulter.
Sie waren ungefähr gleich groß, was die Geste für den anderen vermutlich unbequem machte. Sein Kurzhaarschnitt war mit einem schwarzen Kopftuch bedeckt und zumindest obenrum trug er seine Gewandung, zu der, wenn sie auf Mittelaltermärkte gingen, entsprechende Hosen und Schuhe gehörten.
»Werter Herr, ich sehe, Ihr habt Eure Tafel gefunden, wünscht Ihr bereits etwas zu trinken?«, erkundigte sich die Kellnerin.
»Ein großes Wasser bitte.«
Die Bestellung aufgenommen ging sie davon.
»Was? Keinen Met?«
»Heute nicht. Mir ist nicht so nach Alkohol«, begründete Thomas mit einem Schulterzucken.
»Dein Verlust«, kommentierte Ole und schob ihn Richtung Treppe.
Thomas ließ es geschehen, auch wenn sein Innerstes sich dagegen wehren wollte. Ole war drahtig und schnell, Thomas besaß hingegen mehr Muskelmasse und Wendigkeit. In einem echten Kampf würde er gegen Ole vermutlich gewinnen, doch dazu würde es nie kommen, wenn es nach Thomas ging. Zu sehr darauf bedacht, nicht über seine eigenen Füße oder die Stufen zu stolpern, die er so achtlos hochgedrängt wurde, hatte er kaum Zeit sich umzusehen. Das, was er erhaschte, hätte er gerne näher betrachtet. Vielleicht würde er später dafür Zeit haben. Oben angekommen, bugsierte Ole ihn in den nächsten Raum hinein.
»Schaut, wer endlich mal wieder hinter dem Bildschirm vorgekrochen ist!«, verkündete Ole laut der Runde, die bereits fast vollzählig an einer großen Tafel saß und ihn mit übertriebenem Jubel willkommen hieß.
Mit einem Stoß gegen Oles Schulter mit seiner eigenen wies Thomas ihn darauf hin, dass er zwar Informatiker sei, aber trotzdem viel Zeit draußen verbrachte.
»Nur nicht mit uns«, erwiderte Ole und klopfte ihm auf den Rücken bevor er seinen Platz einnahm.
Thomas machte sich amüsiert an die Begrüßung. Sandra hatte einige Leute eingeladen, fünfzehn, wenn er richtig zählte. Vor allen stand ein tonfarbener Teller, mit grüner Serviette und einem Messer. Ein paar wenige bekamen eine Umarmung, anderen schüttelte er nur die Hand. Die Mehrheit der Anwesenden kannte Thomas, anderen war er noch nie zuvor begegnet. Keiner von ihnen ahnte auch nur die Wahrheit über ihn und in welche Gefahr er sie bringen konnte, wenn er nicht aufpasste. Am Kopf der Tafel angekommen stand Sandra auf, damit er sie mit einer Umarmung beglückwünschen konnte. Ihre hellbraunen Haare waren zu einem aufwändigen Zopf geflochten, der über der freien Schulter ihres formumschmeichelnden Oberteils lag. Sie strahlte über beide Ohren, was die Schmetterlinge in Thomas’ Magen tanzen ließ. Um sich abzulenken, holte er ihr Geschenk aus seinem Rucksack: eine Flasche Honig-Whiskey, von dem sie ihm vorgeschwärmt hatte. Mit einem Grinsen bedankte sie sich und positionierte den Whiskey neben einer Flasche Met und einem guten Wein bei den anderen Geschenken. »Ihr macht mich noch zum Alkoholiker.«
»Machen?«, kam aus der Runde, woraufhin alle ins Lachen einstimmten.
Der einzige freie Platz war neben Nicole, einer Berliner Freundin von Sandra, von der Thomas wusste, dass sie auf der Suche nach einem Partner war. Ein dezenter Hinweis auf die Tatsache, dass er in all den Jahren, die Sandra und er sich kannten, keine Beziehung gehabt hatte. Sie ahnte vermutlich nicht einmal, dass sie es war, mit der er eine solche in Betracht zog. Mit einem freundlichen Lächeln setzte sich Thomas. Sogleich wurde ihm eine Speisekarte in die Hand gedrückt, die einem dreimal gefalteten Pergament glich, wenn auch aus festem Karton. Auf der Internetseite des Restaurants hatte Thomas gesehen, dass die Gerichte und Getränke altertümlich angehauchte Namen hatten, es so auf der Karte zu sehen, ließ ihn kichern.
»Die Namen sind toll, oder?« Nicole lächelte.
Thomas nickte und überlegte weiter, was der Sprudeltrunk aus schwarzer Zuckerrübe war, bis die Magd, wie es auf der Karte hieß, einen eben solchen an die Tafel brachte.
»Cola, natürlich.« Thomas schüttelte amüsiert den Kopf.
»Haben die Herrschaften gewählt?«
»Wir brauchen noch ’nen Moment«, verkündete jemand.
Mit einem »So sei es« verabschiedete sie sich wieder.
»Ich würd ’ne Platte nehmen«, warf einer in die Runde, weitere reihten sich ein.
Die Wallensteinplatte war für mehrere Essende ausgelegt und wartete mit verschiedenen Fleischvarianten auf sowie unterschiedlich zubereiteten Erdäpfeln und rotem und weißem Kraut. Thomas hatte überlegt, ob es zu gefräßig aussah, wenn er die Platte bestellte. Nun war er sich sicher, dass er sich ohne Sorgen daran beteiligen konnte.
Während sie auf ihr Essen warteten, sprachen sie über alles Mögliche, das in der Zeit seit ihren letzten Treffen geschehen war. Zum Teil mussten sie sich sehr anstrengen überhaupt herauszufinden, wann das gewesen war. Es wurde viel gelacht und Thomas fühlte sich wohl und geborgen, auch wenn diese Sicherheit trügerisch war. Ein falscher Schritt und der Abend konnte in einem Blutbad enden. Wenn er nicht in ein Gespräch verwickelt war, sah Thomas sich um. Die Wände waren nicht nur in einem Rosa gestrichen, das an ausgeblichene Ziegelsteine erinnerte, es fanden sich auch dunkle Linien darauf, die wie die Balken eines Fachwerkhauses aussahen. An einigen Stellen gab es bunte Malereien, die mittelalterliche Szenen zeigten. Zusammen mit den Holzmöbeln und den Tontellern wirkte es der Epoche entsprechend, die sie versuchten darzustellen.
»Du hast Spaß«, verkündete eine Stimme an Thomas’ Ohr. Er zuckte zusammen, krallte die Finger in die Tischplatte, als ihm Hände auf die Schultern gelegt wurden.
Sandra lachte hinter ihm und Thomas entspannte sich.
»Brauchst es gar nicht abzustreiten, ich hab das Lächeln gesehen.«
Neckend pikte sie ihm mit dem Finger in die Wange, wodurch seine Mundwinkel unweigerlich erneut nach oben gingen.
»Ha! Du lächelst schon wieder!«
Thomas drehte sich amüsiert zu ihr um. »Es ist großartig hier.«
»Wusste doch, dir gefällt das. Und du wolltest erst nicht mitkommen. Schäm dich!« Sie klopfte ihm auf die Brust, bevor sie einen Arm um seine Schulter legte. »Schön, dass du gekommen bist.«
Geste und Worte schickten Wärme durch seinen Körper. Ihr Parfüm legte sich auf seine Sinne. Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, heute in ihrer Nähe zu sein. Dass er verstärkt auf sie reagierte, hatte er aber auch nicht einkalkuliert, da er glaubte, seine Gefühle ausreichend genug unter Kontrolle zu haben.
»Natürlich, konnte ich mir doch nicht entgehen lassen.«
Mit dem Scherz wollte Thomas seine Unsicherheit kaschieren und kassierte dafür eine herausgestreckte Zunge, bevor sie sich weniger verfänglicheren Themen widmeten.
Bald darauf wurde das Essen ebenfalls in tönernen Schüsseln auf der Tafel aufgereiht. Das Fleisch lag verteilt auf zwei großen Holzbrettern und roch noch köstlicher, jetzt, da es vor ihm stand. Zu seinem Glück war das Brauhaus ein Restaurant, in dem die Kunden dazu angehalten waren, mit den Händen zu essen. Das einzige Besteck, ein scharfes Messer, musste er nur im Notfall nutzen und konnte es sonst ignorieren. Sobald die anderen anfingen, sich ihre Teller aufzufüllen, griff auch Thomas nach einer Haxe. Genüsslich sog er den Duft ein, bevor er herzhaft hineinbiss. Das Fleisch war zart und löste sich leicht vom Knochen. Es schmeckte so köstlich, wie es roch. Mit jedem Bissen, den er tat, spürte Thomas den Wolf in sich aufwallen. Er wollte mehr. Das machte es schwierig, seinen Hunger zu kontrollieren, normal zu kauen und nicht einfach alles hinunterzuschlingen. Immer wieder unterdrückte er den Drang, immer wieder zwang er sich zu Pausen, bevor er sich erneut auftischte. Außerdem war es so nicht zu offensichtlich, dass er mehr aß, als ihm zustand. Er kannte die Jagdgründe hier nicht, also musste er sichergehen, dass er gesättigt genug war, um nicht etwas – oder jemanden – aus Hunger anzugreifen. Gerade aß er eine Scheibe Kassler, die er mit beiden Händen festhielt, als Nicole an seinem Teller vorbei nach einer Schüssel griff. Das tiefe Knurren, das seiner Kehle entwich, konnte er nicht unterdrücken. Erschrocken hielt sie inne und schaute ihn an. Thomas begriff, was er getan hatte, und räusperte sich.
»Verschluckt«, presste er gespielt hervor.
Mit einem Nicken akzeptierte sie seine Lüge und tischte sich Kroketten auf. Thomas legte das Fleisch auf seinen Teller und schloss die Augen. Seine Zeit rückte unaufhaltsam näher. Die Gerüche um ihn herum wurden intensiver, sein Hunger unbändiger. Thomas atmete einige Male tief durch, drängte den Wolf zurück.
Als er die Lider wieder öffnete, schaute ihn Ole, der ihm gegenübersaß, fragend an. »Alles gut?«
»Ja, zu schnell gegessen«, winkte Thomas gekonnt ab und wischte sich die Hände an der Serviette, bevor er einen großen Schluck Wasser trank.
Das war viel zu knapp für seinen Geschmack.
Als Thomas vom vorzeitigen Händewaschen zurückkam, stand mittlerweile die seifige Schüssel für das Handwasch-Ritual auf dem Tisch vor Sandra.
»Wo du schon mal hier bist«, verkündete sie und hielt ihm erst das Handtuch und dann ihre nassen Hände entgegen. »Eigentlich sollen die Frauen den Männern die Hände abtrocknen, aber das ist mir zu altmodisch.«
Verdattert konnte Thomas der Bitte nur nachkommen. Zaghaft bewegte er den Stoff über ihre Finger, darauf bedacht, nicht zu fest zuzudrücken.
»Wo du grad dabei bist«, bat nun auch Ole, der mittlerweile zu Sandras Linken saß, und hielt Thomas ebenfalls die Hände hin.
Mit einem amüsierten Schnauben tat er ihm den Gefallen. Neben sich spürte er, wie Sandra bereits aufstand. Fertig mit dem Abtrocknen drehte Thomas sich zu ihr um und ließ sich in eine Umarmung ziehen.
»Schön, dass du da warst«, wiederholte sie ihre Aussage in anderen Worten.
Thomas klammerte sich an sie, atmete ihren Geruch ein. Verführerisch in einer Situation, in der er seinen Instinkten nicht folgen durfte. Sie lösten sich und lächelten sich für einen Augenblick an, dann drehte er sich weiter, um sich auch von den anderen zu verabschieden.
»Das nächste Mal dauert’s nicht wieder ’n Jahr, klar?«, verkündete Ole und zog ihn in eine Umarmung.
»Wir werden sehen«, erwiderte Thomas mit einem Lachen.
Würde Ole nicht am anderen Ende von Deutschland wohnen, hätte er vermutlich einen ähnlichen Stellenwert in Thomas’ Leben wie Sven damals. So allerdings sahen sie sich viel zu selten dafür und kommunizierten nur über Chats und Telefon. In den Armen seines Freundes war es schwer, den festen Druck nicht mit seinem eigenen zu erwidern und ihm womöglich das Rückgrat zu brechen. Vorsichtig löste Thomas sich von ihm, ein letztes Schulterklopfen, dann eilte er weiter. Erneut lehnte er ein Angebot, doch noch etwas zu bleiben und sich mit dem Auto hochfahren zu lassen, ab. Das waren zu viele Variablen, die ihm einen Strich durch die Rechnung machen konnten und womöglich das Leben seines Fahrers gefährden würden. Bei Nicole angelangt, bot auch sie ihm eine Umarmung an, die Thomas aus Höflichkeit annahm. Auch sie roch wunderbar, die Wirkung allerdings nicht so intensiv wie bei Sandra. Eine scharfe Note ließ ihn zurückzucken und mit einem gezwungenen Lächeln von ihr Abstand nehmen. Der Geruch war zu schwach, als dass er ihn zuordnen konnte, dennoch sorgte er bei ihm für Unbehagen. Thomas beeilte sich umso mehr mit der Verabschiedung von den restlichen Gästen.
Am Fuß der Eingangstreppe standen bereits die Raucher aus ihrer Runde, die Nikotin dem Ritual vorgezogen hatten. Der Qualm brannte in seiner feinen Nase, als Thomas zügig mit einem Abschiedsgruß an ihnen vorbeiging.
»Warst du mal im Schlachter?«, fragte einer von ihnen unvermittelt.
»Wo?«, erwiderte Thomas verwirrt, nachdem er die letzte Stufe genommen und sich umgedreht hatte, seinen Rucksack locker über der Schulter hängend.
Der andere deutete auf ein altes Backsteingebäude links hinter Thomas. »Der alte Schlachthof. War mal ’ne Disco. Offensichtlich warst du nicht drin.«
»Nein, war ich nicht«, bestätigte Thomas knapp und blickte fragend zwischen dem Gebäude und seinem Bekannten hin und her. Innerlich drängte es ihn weiterzugehen, seine Höflichkeit verbot es ihm allerdings.
»Man, das kennt echt keiner mehr …« Der andere zog nachdenklich an seiner Zigarette.
»Ich muss, mein Bus«, gab Thomas als Erklärung, bevor er sich erlaubte davonzueilen. Wieso musste er auch immer in letzter Minute aufgehalten werden?
»Man sieht sich!«, rief ihm jemand hinterher, was er mit einem Winken über die Schulter abtat.
Um das Grundstück herum stand eine Steinmauer mit eingelassenem Metallzaun. Nachdem er durch das Eingangstor getreten war, drehte Thomas sich um und winkte den anderen ein letztes Mal. Dann ging er nach links, so als ob er den Bus nehmen würde. Außerhalb ihres Sichtfelds überquerte Thomas die Straße. Damit sie ihn nicht beim Vorbeigehen erkannten, zog er die Kapuze seiner für das Wetter viel zu dünnen Jacke über den Kopf und setzte sich den Rucksack richtig auf. Schnellen Schrittes hastete er nach rechts zu seinem wirklichen Ziel.
Thomas ließ seine Sinne schweifen. Seine Nase verriet ihm schnell, dass niemand in der Nähe oder in letzter Zeit hier gewesen war. Er atmete erleichtert auf. Das war seine zweitgrößte Angst gewesen. Wie erwartet, war der Schnee größtenteils geschmolzen und hatte eine Mischung aus Schlammpfützen und gefrorenem Boden hinterlassen. Sorgsam ging Thomas den Weg entlang, den er sich ausgesucht hatte. Darauf bedacht, nur auf den harten Untergrund zu treten, um möglichst wenige Fußspuren zu hinterlassen. Der Wolf drängte ihn, sich zu beeilen. Wie im vergangenen Monat merkte Thomas, wie seine Schritte abgehackter zwischen Laufen und Gehen waren. Doch das musste er unterbinden. Zu viel Druck auf den Boden könnte hinderlich, eventuell sogar verräterisch werden, wenn neben seiner eigenen Spur die eines Wolfes auftauchte. Am Tor zum Bach überlegte Thomas für einen Augenblick, sich einfach hier zu verwandeln. Das könnte die Wolfsspur verkürzen, allerdings wollte er seinen Rucksack nicht im Schlamm abstellen. Thomas atmete tief durch, bevor er sich aufmachte zu seinem gewählten Garten. Langsam stieg er über das niedrige Tor und ging besonders vorsichtig. Endlich auf der Terrasse angekommen, holte Thomas mehrfach tief Luft. Dadurch fasste er sich genug, um sich nicht die Kleider vom Leib zu reißen und auf der Stelle zu verwandeln. Wachsam beobachtete er seine Umgebung, während er sich auszog und alles wie geübt in seinem Rucksack verstaute. Seine Papiere und das übrige Geld am Boden. Den Rucksack versteckte er unter dem Rahmen der Hollywoodschaukel. Von der Terrasse aus warf er einen Blick auf die blasse Schönheit am Himmel, die sich hinter hohen Bäumen und Schneewolken versteckte. Sie sah umwerfend aus. Die kalte Luft drang tief in seinen Körper ein, während dieser seine wölfische Gestalt annahm. Anschließend schüttelte er sich kräftig, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Thomas wusste, dass er, wenn er zu fest auftrat, einen Abdruck hinterlassen würde. Doch der Drang zu laufen war zu groß und so durchquerte er den Garten in wenigen Sätzen, bis er über das Tor sprang.
Thomas folgte dem Weg entlang des Bachs, bis dieser Seitenarm zur Tollense wurde. Bald darauf befand er sich auf einem verschneiten Feld, denn der Boden war noch zu kalt, um vollständig aufzutauen. Er japste erfreut und rannte ein paar Schritte durch die weiße Schicht, rollte sich darin und warf sie mit der Schnauze in die Luft. Freudig heulte er seinen Gruß an den Mond und rannte los, um seinen verschneiten Lauf vollends zu genießen.
Die ersten Tage nach dem Geburtstag wurde Thomas in einem der sozialen Netzwerke, die er notgedrungen für die Kommunikation mit seinen Freunden nutzte, in Fotos vom Abend markiert. In jedem Bild konnte er die subtilen Veränderungen sehen, die sein Körper bereits durchgemacht hatte.
Der starre Blick, wann immer er direkt in die Linse guckte, unverkennbar. Aber auch die leichten Stoppeln waren nicht zu übersehen, je später der Abend wurde. Thomas hoffte, dass niemand es bemerkte und wenn, es auf die Lichtverhältnisse schob.
Besonders eindeutig zeigten sich allerdings sein Klauengriff und die spitzer gewordenen Zähne auf einem Bild, in dem er beim Biss in eine Hühnerkeule festgehalten worden war. Offensichtlich ein inspirierendes Motiv, wenn er nach der Anzahl der dazugehörigen Kommentare ging.
Du siehst aus, als hättest du Angst, dir will jemand was wegessen und Mein Schaaaatz zählte er noch zu den harmlosen. Sie ahnten ja nicht, wie leicht das ein Körperteil von einem von ihnen hätte sein können. Abgesehen davon, hoffte Thomas, dass Sandra nicht bemerkte, wie vernarrt er auf dem Foto aussah, das jemand von ihnen gemacht hatte, als sie bei ihm stand. Ihre Hände auf seinen Schultern, sein Lächeln strahlend. Für den Moment verdrängte Thomas die Gedanken daran und lenkte sich mit Hausarbeit ab. Es überraschte ihn nicht, dass Ole prompt anrief. Thomas war sich sicher, worüber er reden wollte.
»Hey, alles gut bei dir?«
»Ja, klar.« Selbst in seinen Ohren klang die Antwort wie eine Lüge.
»Die Bilder hast du gesehen, oder?«
Thomas bestätigte mit einem Brummen, während er den Besen an eine Wand lehnte.
»Auf ein paar davon siehst du ganz schön durch den Wind aus. Du warst zwar irgendwie nervös, aber so hatt ich dich nicht mitbekommen. Wollte einfach sichergehen, dass es dir gut geht.«
Thomas unterdrückte ein Seufzen, rieb sich stattdessen über die Stirn. Natürlich war er nervös und durch den Wind gewesen.
»Nein, alles gut, war vermutlich Stress von der Arbeit oder so.«
»Du weichst mir aus.«
»Nein, ich weiß nur auch nicht, warum ich auf den Fotos so seltsam gucke.«
»Als wenn du urplötzlich verlernt hast zu teilen«, scherzte Ole, wissend, dass Thomas in den meisten Fällen zuletzt an sich dachte.
»Hey, ich bin Einzelkind, Teilen war noch nie mein Ding«, nutzte er die Gelegenheit für eine Ablenkung.
»Haha. Natürlich, deswegen gibst du sonst auch ständig allen von etwas ab, wenn wer was braucht.«
Thomas schnaubte und sie schwiegen für einen Augenblick.
»Es ist wirklich alles gut?«
»Ja, es ist alles gut«, wiederholte Thomas und seufzte.
»Okay, wenn doch was ist …«
»Weiß ich, wie ich dich erreiche. Danke.«
»Dafür nicht.«
Doch das Thema war damit nicht beendet. Am Montag nach dem Gespräch mit Ole erreichte ihn ein einfaches Waffeln, 17:30 Uhr?. Thomas wusste ohne Erklärung, dass Sandra damit fragte, ob sie sich nach der Arbeit im Turmcafé treffen könnten. Er bestätigte, auch wenn es ihm ein ungutes Gefühl in der Magengegend gab.
Am Fuß des Kulturfingers angekommen, beschloss Thomas, etwas von seiner unruhigen Energie im Treppenhaus abzubauen. Dreizehn Stockwerke waren eine ganz schöne Strecke, aber besser, als untätig im Fahrstuhl herumzustehen, war es allemal. Den ehemaligen Eingang der Regionalbibliothek hinter sich lassend, nahm er zunächst zwei Stufen auf einmal.
Vor der Glastür des Cafés angelangt, holte Thomas tief Luft. Er war nicht aus der Puste, aber sein Herz pochte wild in seiner Brust. Die Befürchtung, dass dies kein normales Treffen mit Sandra war, hatte ihn nicht losgelassen. Das Gespräch könnte alles zwischen ihnen verändern. Zum Positiven oder zum Negativen. Noch einmal nahm er seinen Mut zusammen und betrat das untere Geschoss des Cafés. Sogleich erkannte er Sandra an ihrem üblichen Tisch am anderen Ende des hell erleuchteten Raumes mit Blick auf den Datzeberg. Die Hochhäuser waren von hier aus gut zu sehen, auch wenn sein eigener Block von diesen verdeckt wurde. Für ihn hatte sie den Platz ihr gegenüber mit Blick in den hell gestalteten Raum freigehalten. An der Begrüßung merkte Thomas, dass etwas nicht stimmte. Sandra war angespannt, ein Hauch von Angst umwehte sie. Seine Befürchtung nahm immer mehr Form an. Zwar verfielen sie in ihren üblichen Austausch, dennoch klingelten die Warnsignale weiter in seinem Inneren.
»Was ist los?«, fragte Thomas schließlich geradeheraus und schob seinen leeren Teller zur Seite.
Sandra druckste herum, dann nahm sie ihr Smartphone und suchte etwas darin. Kurz darauf zeigte sie ihm das Foto, auf dem er sie anhimmelte.
Thomas konnte einen Fluch gerade so zurückhalten. Sie hatte es als das erkannt, was es darstellte.
»Wir sollten darüber reden, denk’ ich.«
»Worüber? Das Foto?«, stellte Thomas sich unwissend, auch wenn sein Ton alles andere als nonchalant rüberkam.
»Thomas …«, erwiderte Sandra unbeeindruckt und sah ihn herausfordernd an. »Du weißt genau, was ich meine.«
Er seufzte und nickte. Natürlich wusste er es. Es war der Grund gewesen, warum er dem Abend zugestimmt hatte.
Sie lehnte sich vor, ihre Hände auf den Tisch gelegt.
»Ich mag dich, Thomas, du bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben.« Sie wedelte leicht mit den Händen, um ihre Worte zu betonen. »Ich mein’, ohne dich hätte ich meine Ausbildung nie abgeschlossen.« Dann verschränkte sie die Arme. »Aber ich glaube nicht, dass wir als Paar was taugen würden.«
Thomas schloss die Augen, ließ die Worte sacken. Es war keine Ablehnung seiner Person, nur der Idee, mit ihm zusammen zu sein. Genaugenommen wusste Thomas es schon seit einer Weile, hatte es sich aber nie eingestehen wollen. Sie waren sehr verschieden, teils widersprüchlich. Und auch wenn Gegensätze sich anzogen, würde es in ihrer Konstellation vermutlich zu schnell zu sehr krachen. Selbst ohne eine romantische Beziehung brauchten sie manchmal mehrere Diskussionen, um den Dickkopf des anderen zu durchdringen. Sie hatte recht und Thomas konnte ihr nur mit gesenktem Kopf zustimmen.
»Dann verstehst du, dass das«, sie klopfte auf den Tisch, was ihn aufblicken ließ, und zeigte auf das Bild, »so nicht weitergehen kann?«
Er verstand, worauf sie hinauswollte, aber er konnte sich nicht vorstellen, wie es aussehen sollte, und das teilte er ihr mit kratziger Stimme mit.
»Ich auch nicht.« Sandra zuckte mit den Schultern und verschränkte erneut die Arme. »Aber ich weiß, dass ich unsere Freundschaft nicht so einfach aufgeben will.«
Auch da konnte er ihr nur zustimmen. Thomas lehnte sich zurück und rieb sich über die Augen. Dann setzte er sich auf und imitierte Sandras Geste.
»Ich denke, ich brauch’ einfach etwas Zeit, um … na ja, das loszuwerden.«
Sandra nickte und sie schwiegen. Die bedrückende Stille breitete sich weiter aus und Thomas fragte sich, ob alle ihre Treffen zukünftig auf diese Art enden würden. Er seufzte tief, dann stand er auf.
»Ich möchte gerade nicht weiter darüber reden«, erklärte er und verabschiedete sich mit einem Nicken.
Sie hielt ihn nicht auf. Einerseits war Thomas dafür dankbar, andererseits stach es wie ein Dorn in seine Brust, gab ihm das Gefühl, es sei bereits alles verloren.
Auf dem Weg nach Hause war Thomas’ Kopf wie leergefegt. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, tat alles wie auf Autopilot. Oben angekommen setzte er sich in seine Sitzecke und starrte auf das Astwerk vor seinem Fenster. So kahl hatte es nicht die gleiche hypnotisierende Wirkung wie das Rascheln der Blätter im Wind, es hielt seine Aufmerksamkeit dennoch gefasst. Ein Surren riss ihn aus seiner Lethargie. Genervt griff er nach seinem Handy und sah eine Nachricht von Ole. Thomas schnaubte. Natürlich hatte Sandra ihn hinzugezogen.
Versuche es grad zu verarbeiten schrieb er zurück und prompt klingelte das Telefon.
Thomas seufzte, dann lehnte er das Gespräch ab.
Ich will grad nicht sprechen.
k.
Eine simple Antwort und doch war Thomas dankbar, dass er nichts weiter erklären musste. Stattdessen sprachen sie über SMS, inklusive gelegentlicher Sticheleien, dass er sich doch endlich mal ein Smartphone zulegen sollte. Was Thomas nicht erwartete, war Oles Angebot, das Wochenende bei ihm zu verbringen. Mal raus aus dem Trott, um einen klaren Kopf zu bekommen. Thomas stutzte. Das letzte Mal, als er einen solchen Vorschlag angenommen hatte, musste er sich angewöhnen, immer ein Auge auf den Mondzyklus zu haben. Dennoch wusste Thomas, dass er genau das jetzt brauchte. Immerhin waren es diesmal zwei Wochen bis zum nächsten Vollmond.
Der Laden in Bochum, Zu den Vier Winden, in den Ole ihn schleppte, war grandios. In allen Ecken befanden sich Regale übervoll mit Brettspielen und nerdigen Gegenständen, die musikalische Untermalung war eine Platte von Schandmaul und es gab Met. Thomas hatte nicht vor, sich zu betrinken, aber zumindest ein, zwei Becher konnte er sich gönnen. Der Wirt grüßte Ole mit Handschlag und auch ein paar andere winkten aus der Ferne. Sie alle ein bunter Haufen aus offensichtlichen Metallern, Goths und Nerds, aber auch solche ohne erkennbare Zuordnungen. Ole suchte zunächst einen runden Holztisch für sie alleine aus, doch bald gesellten sich weitere Leute zu ihnen. Die Unterhaltungen taten genau das, was Thomas erhofft hatte: seine Gedanken ganz weit weg von allem in Neubrandenburg bringen. Er bemerkte sogar, wie eine der Anwesenden ihm Signale sandte, von denen er sich nicht sicher war, ob er auf sie eingehen und sich auf ein kleines Abenteuer einlassen sollte. Normalerweise nutzte er dafür eher männliche Bekanntschaften.
Letzten Endes entschied er sich dagegen und kehrte mit Ole in dessen Wohnung zurück. Mit einem Honigbier in der Hand lümmelten sie sich auf die Couch. Thomas lag mit dem Kopf auf der Armlehne, seine Füße an Oles Oberschenkel, und betrachtete die Decke. Der Dreifachstrahler blendete ihn ein wenig, aber das war auszuhalten.
»Du hättest nicht mit herkommen müssen«, brach Ole die gemütliche Stille zwischen ihnen.
Thomas brummte fragend, sah an seinen angewinkelten Knien vorbei zu Ole. Es gelang ihm nur bedingt.
»Sag bloß, du hast nicht mitbekommen, wie die Kleine mit dem Wolfspulli dir schöne Augen gemacht hat?«
Ein Schnauben entwich Thomas. Er hatte es definitiv mitbekommen. Als er den heulenden Wolfskopf vor vollem Mond auf ihrem Rücken gesehen hatte, hätte ihn die Ironie beinahe zum Lachen gebracht. Statt auf Oles Nachfrage einzugehen, lehnte er seinen Kopf zur Seite, schaute auf die Regale, die den Flachbildfernseher umgaben. Alles ein wenig chaotisch überfüllt, stapelten sich Spiele und Bücher darin. Vielleicht hatte er doch ein bisschen zu viel getrunken oder er vertrug nicht mehr so viel, denn es fiel ihm schwer, sich zu fokussieren. Nach einer langen Pause rutschte Thomas ein Stück hoch, verschränkte die Beine und legte seine Hände, die noch immer die unangerührte Bierflasche hielten, locker darauf.
»Das Schlimmste ist eigentlich, dass Sandra recht hat«, platzte es aus ihm heraus. »Wir würden in einer Beziehung nicht funktionieren. Das zu begreifen, ist, glaube ich, im Moment das Wichtigste für mich.« Er betrachtete ungesehen die Küchenzeile am anderen Ende des Raumes, ohne sie wahrzunehmen. »Ich will nicht sagen akzeptieren, weil das würde heißen, ich verliere irgendetwas durch unsere Freundschaft. Ich verliere etwas durch den Verlust unserer Freundschaft, wenn das Sinn ergibt.« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er einen Schluck Bier, bevor er ergänzte: »Da ist nichts nur an einer Freundschaft.«
»Trotzdem findest du sie attraktiv«, konterte Ole ungeniert.
Thomas lachte, natürlich tat er das. In einer Freundschaft hatten solche Gedanken jedoch nichts zu suchen. Sich Ersatz in Form einer völlig fremden Person oder jemandem wie Nicole zu suchen, wäre eine Beleidigung für diese. Wenn er etwas mit Fremden anfing, dann, weil es zwischen ihnen passte, nicht, weil Thomas jemand anderen in sie hineinprojizieren wollte.
Sie sprachen, bis ihre Flaschen leer waren, dann ging Ole in sein Zimmer, während Thomas es sich auf der Couch gemütlich machte.
Einen weiteren Tag verbrachten sie zusammen, bis Thomas am Sonntag wieder nach Neubrandenburg zurückkehren musste. Dort angekommen überprüfte er seine E-Mails, als ihm eine weitere Markierung auf Social Media die gewonnene Ruhe zerstörte.
Das um die Ecke vom Brauhaus! Stellt euch vor, wir hätten den Wolf gesehen!
Thomas blinzelte, traute seinen Augen nicht. Mit angehaltenem Atem las er die Worte erneut. Jemand hatte ihn gesehen? Hastig scrollte er zum dazugehörigen Beitrag: ein Handyfoto von einem Pfotenabdruck im Schlamm. Wie versteinert starrte Thomas den Bildschirm an. Das durfte doch nicht wahr sein! Er schob die Tastatur von sich und stand auf. Mit den Händen fuhr er sich durch die Haare, während er in seinem Wohnzimmer auf- und ablief. Er hatte gewusst, dass es eine schlechte Idee gewesen war, nun musste er auch mit den Konsequenzen leben. Die Hände über dem Kopf verschränkt schloss er die Augen und atmete tief durch. Jetzt in Panik zu verfallen, half ihm nicht. Mit wild schlagendem Herzen setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und las den Text des Beitrags. Schnell erkannte Thomas, dass dieser vom Besitzer des Gartens, in dem er sich verwandelt hatte, stammte. Der Mann berichtete davon, wie er nach dem Rechten sehen wollte und dabei den Abdruck entdeckte. Wie er zunächst dachte, es sei nur ein Hund, bis er einige Zeit später das Foto einem befreundeten Jäger zeigte. Doch als dieser ihn um einen Abguss bat, war der Abdruck längst durch Tauwetter und erneuten Schneefall verwischt. Das Foto das einzige Beweismittel. Thomas’ Herzschlag verlangsamte sich. Niemand hatte ihn gesehen. Zögernd scrollte er den Beitrag wieder hinab. Der Kommentar ließ ihn nicht los und er wollte, nein, musste wissen, was die anderen von der Erkenntnis hielten. Seine Freunde scherzten, stellten die wildesten Überlegungen an, nahmen die Sache alles andere als ernst. Thomas versuchte, sich in sie hineinzuversetzen. Ginge es um einen echten Wolf, hätte dieser vermutlich keine große Gefahr dargestellt. Sie wussten nicht, dass es Menschen wie ihn gab. Auch wenn er sich gelegentlich fragte, ob er noch zu den Menschen zählte.
Nach ihrer Ausrottung waren Wölfe zwar nach Mecklenburg-Vorpommern zurückgekehrt, bisher aber nicht bis in die Mecklenburgische Seenplatte vorgedrungen. Entsprechend zog der Beitrag einigen Medienrummel nach sich. Lokale Zeitungen wie der Nordkurier und die Ostseezeitung, aber auch das Nordmagazin im NDR berichteten von der potentiellen Sichtung. Jeden Abend durchforstete Thomas das Internet nach neuen Berichten. Den Tag über lenkte er sich auf der Arbeit von seinen Sorgen ab. Neben Aussagen zur Echtheit des Abdrucks gab es auch Diskussionen zum Abschuss von Tieren, die zu dicht an menschliche Siedlungen herankamen. Überall begegnete Thomas Spekulationen über streunende Hunde und Tollwut. Seine Kollegen, sein Freundeskreis, sie alle hatten etwas dazu zu sagen.
Selbst von Sandra erhielt er eine Nachricht: Du bist der Einzige, der zu Fuß los ist. Du hättest ihn vielleicht tatsächlich sehen können.
Thomas war froh, dass sie es nicht ansprach, während sie sich gegenüberstanden. Er hätte seine Züge nicht gut genug unter Kontrolle gehabt, um ihr glaubhaft vorzulügen, dass er rein gar nichts damit zu tun hatte. Dennoch ließ ihn ihr Interesse aufhorchen und einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass ihre Freundschaft auch diese Information beinhalten könnte, entfachen. Immerhin hatte sie ihm überhaupt geschrieben. Doch leider war es von der Neugier gegenüber einem wilden Tier zur Akzeptanz seiner Verwandlung ein weiter Schritt. So las er ihre Ausführungen und kommentierte an den passenden Stellen. Dennoch war ihm diese Heimlichtuerei mehr als unangenehm. Zu gern würde er reinen Tisch mit ihr machen, doch seine Angst, sie zu verlieren, war einfach zu groß. Vor allem, da ihre Freundschaft bereits auf wackeligen Beinen stand.
Abgesehen von der ungewollten Aufmerksamkeit auf seine monatlichen Aktivitäten, wusste Thomas nicht, wie er auf einige der Aussagen und Fragen reagieren sollte. Ihn störten Wildtiere nicht, auch wenn er aus eigener Erfahrung wusste, wie gefährlich ein Wolf sein konnte. Spräche er sich jedoch für den Abschuss aus, würde er jenen zustimmen, die ihm schlimmstenfalls bei einem seiner nächsten Läufe Jäger auf die Fährte schickten. Nicht zu vergessen, dass Thomas nicht wusste, ob normale Kugeln ihm etwas anhaben konnten oder ob der Silbermythos stimmte. Er wollte es nicht herausfinden, konnte allerdings auch niemanden fragen. Die wenigen Wölfe, denen Thomas seit seiner Wandlung begegnet war, hatte er nur in menschlicher Gestalt aus der Ferne gesehen und es war nie zu einem Gespräch gekommen. Von Anfang an war er nahezu auf sich allein gestellt gewesen und hatte sich alles selbst erarbeiten müssen. Entsprechend rauschte ihm der Kopf von der wiederkehrenden Konfrontation mit seinem wortwörtlichen Fehltritt.
Er brauchte frische Luft und vor allem nicht seine Kollegen um sich herum, die schon mehrfach das Thema diskutiert hatten. Kurzerhand öffnete er einen Online-Messenger und tippte in Sandras Chat: Schnitzel 12:30 Uhr? Thomas’ Finger schwebte über dem Enter-Knopf, als er bemerkte, wie selbstverständlich er ihr schreiben wollte. Er nahm es als gutes Zeichen und schickte die Nachricht ab. Kurz darauf tanzten die drei Punkte im Chatfenster, verschwanden, erschienen und verschwanden, dann kam ein einfaches Daumenhoch-Emoji als Antwort.
Irgendwie schaffte er es, die Zeit bis zur Mittagspause zu überstehen. Als es endlich so weit war, zog er sich seine Jacke über und ging seinen üblichen Weg in die Turmstraße. Auf den Fußballen hin und her wippend wartete er darauf, dass die Ampel am Rathaus auf Grün schaltete, um den Ring mit dem Strom zu überqueren. Einige Kollegen kamen ihm gerade aus der Mittagspause entgegen und er grüßte mit einem Nicken oder knappen »Mahlzeit«. Die Blumenbeete am Boulevard-Eingang waren noch nicht neu bepflanzt worden und auch sonst lag über allem eine ruhige Restwinter-Stimmung. Dennoch war es warm genug, um draußen essen zu können. Vorbei an den diversen kleineren und größeren Bekleidungsgeschäften, Frisören und Läden erreichte Thomas bald den Glaskasten gegen Ende der Turmstraße. Die Fußgängerzone war in zwei Laufwege geteilt, die auch von Transportfahrzeugen befahren werden konnten. In der Mitte befand sich ein Streifen mit hohen knubbeligen Bäumen und, an einigen Stellen dazwischen, den Glaskästen. In einem gab es im Sommer frisches Softeis, in dem vor ihm Mittagessen, das Ähnlichkeit zur DDR-Kantinenqualität hatte, wenn er seinen älteren Kollegen Glauben schenken konnte. Um den Kasten waren mehrere Stehtische aufgestellt, an denen Leute standen. Sandra wartete bereits ein Stück daneben auf ihn.
Ihre Begrüßung war gestelzt und unbeholfen. Normalerweise würden sie sich umarmen, dafür machten sie einen Schritt aufeinander zu, brachen die Bewegung dann doch ab und beschränkten sich auf ein gequältes Lächeln.
»Wie war’s bei Ole? Hab die Fotos gesehen«, begann Sandra unbeholfen ihr Gespräch. »Hast du … dich ausgetobt?«
Selbst nach mehrfachem Wiederholen der Worte in seinem Kopf ergaben sie keinen Sinn für Thomas. »Was?«
»Da waren einige hübsche Mädels und …« Betreten sah Sandra zur Seite, wippte auf ihren Fußballen.
Thomas zog die Augenbrauen zusammen, verstand die Nachfrage nicht, außer … »Bist du eifersüchtig?« Er konnte es sich nach der Vehemenz ihres Korbes nicht vorstellen, aber eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf ließ ihn dennoch diese Vermutung äußern.
»Was? Nein!«, schrie Sandra ihm entgegen, hielt dann die Hand vor den Mund und sah sich erschrocken um. Scheinbar beruhigt, dass niemand sie wegen der Lautstärke ansprechen würde, fuhr sie leiser fort: »Ich find den Gedanken nur seltsam, dass du mit irgendwem rummachst und dir vorstellst, ich sei es.«
Thomas richtete seinen Blick in den Himmel, konnte sie nicht ansehen, wusste aber, dass sie die Wahrheit verdiente. »Hatte drüber nachgedacht, bin ich nicht stolz drauf.«
»Nachgedacht, gut, das heißt, du hast es nicht gemacht.« Sie klang erleichtert und Thomas sah zu ihr. Sie wippte erneut unsicher hin und her. »Ich mein’, ich weiß ja, dass du dich zurückgehalten hast wegen mir, aber das wäre echt heftig gewesen.«
»Ich weiß …« Thomas steckte die Hände in die Hosentaschen und sah erneut zur Seite, dann stutzte er. »Moment, glaubst du, ich hatte in den Jahren, seit ich mich in dich verknallt habe, keinen Sex?«
»Äh, ja? Du hast mir nie von irgendwelchen Beziehungen oder Dates erzählt.« Sandra verschränkte ihre Arme, schaute ihn verwirrt an.
»Seit wann braucht man das dafür?« Thomas spiegelte ihre Geste.
»Warte, du hattest One-Night-Stands? Mit wem, den ich kenne?« Neugier stand Sandra ins Gesicht geschrieben.
Thomas schüttelte den Kopf, dann zuckte er mit den Schultern. Er hatte kein Interesse daran, das jetzt mit ihr zu besprechen, und versuchte es wie beiläufig zu erklären. »Irgendwelche Typen, wenn ich unterwegs war.«
»Typen?«
Er brummte bestätigend, hielt ihren Blick. Seine Vorlieben waren ihm nicht peinlich.
»Warum weiß ich nicht, dass du auch auf Typen stehst?« Sandras Ton war vorwurfsvoll, als hätte er ihr etwas Großes verschwiegen. Dabei behielt er sein größtes Geheimnis selbst jetzt für sich. Erneut tat er es mit einem Schulterzucken ab.
»Wir hätten all die Jahre über Kerle zusammen ablästern können?« Ihr sarkastischer Tonfall war deutlich zu hören und Thomas grinste über ihre Theatralik.
»Du weißt schon, dass dich das nicht abgehalten hat, mir trotzdem Details von deinen Dates zu erzählen, die ich nicht hören wollte?« In Anbetracht seiner Gefühle für sie waren das die Momente gewesen, in denen er seine eigene Unsicherheit am meisten verflucht hatte.
Nun war es wieder an Sandra, betreten zur Seite zu sehen.
»Essen?«, wechselte sie das Thema und Thomas nickte bestätigend, um das Gespräch zu beenden.
Über den in Tomatensauce ertränkten Nudeln und der panierten Jagdwurst wurde ihr Gespräch trivialer. Als stünde das Geständnis nicht zwischen ihnen. Es fühlte sich komisch an und wieder und wieder erwischte Thomas sich dabei, »Stopp« schreien zu wollen.
»Abschießen sollte man die Drecksviecher!«, drang es plötzlich an seine Ohren und Thomas lauschte der weiteren Unterhaltung, ohne sich umzudrehen.
Natürlich ging es um Wölfe. Ein dicker Kloß setzte sich in seinen Hals und ihm wurde kalt. Er war hierhergekommen, um kurzzeitig zu vergessen, nicht, um noch deutlicher zu hören, wie unwillkommen er war. Oder zumindest das, in das er sich verwandelte.
»Hey, hörst du mir überhaupt zu?«
Thomas riss den Kopf herum, hatte sich doch zu den anderen abgewandt.
»Ich denke, wir sollten uns eine Weile nicht mehr sehen«, wechselte er so unvermittelt das Thema, dass er sich selbst erschreckte.
Die ganze Situation mit ihr und dem Abdruck war ihm einfach zu viel, vermutlich hatte er einfach seine Belastungsgrenze erreicht. Sandra starrte ihn einen Moment erschrocken an, dann senkte sie den Kopf.
»Natürlich.«
»Du kannst mir schreiben oder anrufen, wenn etwas ist, aber ich brauche etwas Abstand, um … klarzukommen.« Es klang albern es auszusprechen, vor allem, da er sich nicht komplett von ihr abkapseln wollte.
»Danke, klar, nimm dir alle Zeit, die du brauchst.« Sandra schien verständig, wenn auch irritiert.
Nicht, dass er es ihr verübeln konnte. Er verstand sich gerade selbst kaum. Thomas wusste nur, dass er sich vorerst auf sich selbst konzentrieren musste.
»Danke.« Mit einem letzten Nicken nahm er seinen leeren Teller, um ihn abzugeben.
Auch zwei Wochen später könnte Thomas sich in den Arsch beißen, dass ihm solch ein Anfängerfehler passiert war. Seit zehn Jahren tat er alles, um seine Verwandlung geheim zu halten und dafür zu sorgen, dass niemand ihn sah. Die Male, an denen er ungewollt Menschen auf seinem Lauf begegnet war, konnte er an einer Hand abzählen. Daher störte es ihn umso mehr, dass etwas Banales wie ein Abdruck im Schlamm ihn alles kosten könnte, was er sich mühsam aufgebaut hatte. Selbst nach all der Zeit fühlte er sich wieder wie ein unerfahrenes Kind. Zwei Monde hintereinander sein Geheimnis zu gefährden war genug. Einen weiteren würde er nicht so unvorsichtig sein. Zum Glück fiel der nächste auf einen Samstag, so konnte er weit entfernt von der Stadt sein, wenn er sich verwandelte. Mit klarem Ziel vor Augen lud Thomas am Freitag alles, was er brauchte, in sein wenig genutztes Auto und fuhr los. Weg von all dem Trubel, der ihn in Neubrandenburg erwarten könnte, dorthin, wo er gelernt hatte, sich zu kontrollieren.
Die Felder, die an ihm verbeizogen, waren von einer frisch gefallenen Schneeschicht bedeckt. So sehr er sich sonst auch darüber gefreut hätte, heute holten ihn die Erinnerungen an seine Wolfswerdung ein. Sie zuckten wie Blitze vor seinem inneren Auge. Ein Phantomschmerz durchfuhr die Stelle, an der er gebissen worden war. Thomas verzog vor Schreck das Lenkrad, steuerte auf die zum Glück leere Gegenfahrbahn. Ruckartig kehrte er auf seine Spur zurück und bremste. Schwer atmend verlangsamte er das Auto weiter, parkte in der Einfahrt zu einem Feldweg. Er legte seine Stirn auf das Lenkrad und ergab sich seinen Gedanken.
Selbst nach drei Monaten saß der Trennungsschmerz tief. Daher beschloss Sven in seiner Position als »bester Freund« Thomas’ neu gefundene »Freiheit« zu feiern und ihn dafür in die spanische Einöde zu schleppen. Sie verbrachten die meiste Zeit mit Erkundungstouren und in verschiedenen Bars, doch all das half seinem geplagten Herzen nicht. Eines Abends, als Sven kurz vor Mitternacht bereits tief und fest schlief, ging Thomas joggen, um seinen Kopf frei zu bekommen. Der kleine Ort war abseits gelegen und von weiten Feldern und Weinanlagen umgeben. Weniger hügelig und es hätte seine Heimat sein können. Die Luft war warm um ihn herum und der Vollmond strahlte hell am sternenklaren Himmel. Seine Füße führten ihn zu einer kleinen Waldanlage am Rande der Stadt. Sie war definitiv von Menschen geschaffen, die Bäume standen in schlängelnden Reihen und doch weit auseinander, sodass der Schein der Straßenlaternen das Innere erhellte. Kurz überlegte Thomas, dann entschied er, nicht auf dem harten Beton zu laufen, sondern dem sandigen Pfad im Park zu folgen. Licht und Dunkelheit wechselten sich ab. Er könnte die Taschenlampe nehmen, die er in der Gesäßtasche trug, aber er wollte das Gefühl, unbeobachtet und von der Welt abgeschnitten zu sein, so schnell nicht aufgeben. Je weiter er lief, desto leerer wurde sein Kopf. Keine Gedanken mehr an seine Ex. Nur seine Atmung und die Bewegung seines Körpers. In gewisser Weise fühlte er sich das erste Mal wieder wirklich frei.
Plötzlich hörte er Schritte hinter sich. Sein erster Gedanke galt einem anderen Jogger, der ebenfalls nicht schlafen konnte. Die Geräusche wollten jedoch nicht in dieses Bild passen. Es klang mehr nach Hecheln als Atmen und auch die Laute der Füße folgten zu schnell aufeinander. Ein kalter Schauer durchzog ihn, als sich die Angst in seiner Brust festsetzte. Schweiß rann seinen Nacken hinab. Seine Neugierde entschied für ihn, einen Blick zu riskieren. Als er sich umwandte, erblickte er einen großen Hund, der einfach nur dastand und ihn mit angelegten Ohren anstarrte. Thomas’ Herz machte einen Sprung. Er stolperte und hielt an. Starrte dem Biest in die Augen. Es hatte die Zähne gefletscht, den Körper in Angriffshaltung. Ein tiefes Knurren drang aus seiner Kehle. Zu wissen, dass man nicht fliehen sollte, und tatsächlich nicht zu fliehen, waren zwei verschiedene Dinge.
Bevor Thomas sich aufhalten konnte, hatte sein Körper sich umgedreht und rannte, so schnell er konnte. Der Hund war ihm dicht auf den Fersen, sein Knurren für Thomas kaum hörbar über dem Pochen seines Herzens. Kurz schoss ihm die Idee durch den Sinn, vom Pfad abzuzweigen, aber er traute sich nicht.
Thomas lief und lief. Seine Muskeln schmerzten bei jedem Schritt, seine Lunge brannte vom ungleichmäßigen Atmen. Einzig Angst und Adrenalin trieben ihn voran. Etwas Schweres prallte gegen seinen Rücken. Thomas verlor das Gleichgewicht und fiel mit dem Gesicht voran auf den Boden. Der Staub stieg ihm in die Nase und hustend richtete er sich auf. Ein scharfer Schmerz umschloss seinen Oberarm. Er schrie laut auf. Zähne, schoss es ihm durch den Kopf, dann wurde er auf den Rücken gedreht. Mit letzter verbleibender Kraft versuchte Thomas, das Tier mit seiner freien Hand gegen den Kopf zu treffen. Ohne Erfolg.
Er spürte etwas Hartes unter seinem Rücken. Es dauerte erschreckend lang, bis er sich an die Taschenlampe erinnerte. Der Hund zerrte an seinem Arm, als Thomas ungeschickt nach der Taschenlampe griff. Mehrmals schlug er damit zu. Endlich löste das Tier den Biss.
Sie starrten einander ein paar heftige Herzschläge lang an, dann schüttelte sich der Hund und rannte davon. Thomas zitterte am ganzen Leib. Blut rann aus seiner Wunde. Für einen Augenblick lag er einfach nur da und rang nach Luft.
Auch jetzt, Jahre später, durchzog ihn die gleiche Panik, die er in jener Nacht gespürt hatte. Thomas würde es sich nie verzeihen, je einem Menschen solche Schmerzen zuzufügen. Mehrere tiefe Atemzüge brauchte er, bis er sich genug beruhigt hatte, um weiterfahren zu können.
Nach fast einer Stunde erreichte Thomas endlich den alten Hof am Rande des Waldes und parkte sein Auto zwischen den Gebäuden. Hinter ihm der alte Viehstall, den sein Großvater zu Garage und Lagerraum umgebaut hatte, und das Haupthaus vor sich. Dem ehemaligen Hühnerstall im niedrigen Steinanbau zu seiner Linken widmete er nur einen flüchtigen Blick. Als er ausstieg, sah er, dass nur schmale Laufpfade von der Haustür zur Einfahrt und den anderen Eingängen freigeschaufelt worden waren. Mit seinem Rucksack über der Schulter klingelte Thomas. Das Geräusch im Inneren hallte durch das zweistöckige Haus, gefolgt vom Rascheln von Latschen auf Fußbodenfliesen. Kurz darauf öffnete sich die Tür.
»Tommy!« Erst überrascht, dann freudestrahlend, entfuhr ihr die Begrüßung.
»Hallo, Mama«, erwiderte er und wurde in eine feste Umarmung gezogen.
Seine Mutter war fast zwei Köpfe kleiner als er und mit dem Alter rundlich geworden. Er klammerte sich an sie, sog ihren Duft nach Kartoffeln und Wolle ein und spürte alle Sorgen von sich abfallen. Er war zu Hause. Hier brauchte er sich nicht verstecken.
»Komm rein, komm rein«, drängte sie ihn und ging zur Seite.
Thomas trampelte den verbleibenden Schnee von seinen Schuhen und ging hinein. Kaum hatte er die Jacke geöffnet, ergriff seine Mutter diese und hängte sie auf einen freien Haken, während er seine Schuhe auszog und in das niedrige Schuhregal stellte. Als er sich aufrichtete, standen seine Hausschuhe bereits vor ihm auf dem Boden. Mit einem Lächeln wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Mutter zu.