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Jules Verne's Buch Das Karpathenschloß entführt den Leser in die atemberaubende Welt der Karpaten. In dem Roman begleiten wir den jungen deutschen Ingenieur Wilhelm auf seiner abenteuerlichen Reise durch die verschlungenen Pfade dieses mysteriösen Gebirges. Verne verwebt geschickt Elemente von Romantik, Abenteuer und Wissenschaft miteinander, während er uns in die geheimnisvolle Atmosphäre des Schlosses und seiner umliegenden Landschaft eintauchen lässt. Sein detaillierter Schreibstil und die präzise Beschreibung der Landschaften erzeugen eine fesselnde Leseerfahrung. Jules Verne, einer der bekanntesten Autoren des 19. Jahrhunderts, war bekannt für seine visionären Geschichten, die oft wissenschaftliche Entdeckungen und technologische Innovationen vorwegnahmen. Als erfahrener Reisender und Forscher konnte Verne seine Erfahrungen und Beobachtungen in seine Werke einfließen lassen. Das Karpathenschloß ist ein faszinierender Roman, der sowohl Liebhaber von Abenteuerromanen als auch Leser, die sich für die natürliche Schönheit und Geheimnisse der Karpaten interessieren, begeistern wird. Verne's meisterhafte Erzählkunst und die spannende Handlung machen dieses Buch zu einem unvergesslichen Leseerlebnis.
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Seitenzahl: 269
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Die nachfolgende Erzählung ist nicht phantastischer, sie ist nur romantischer Art. Es würde ein Irrthum sein, wegen ihrer Unwahrscheinlichkeit zu glauben, daß sie nicht wahr wäre. Wir leben in einer Zeit, wo Alles möglich... ja man wäre berechtigt zu sagen, wo Alles schon vorgekommen ist. Wenn unsere Erzählung heute auch nicht wahrscheinlich sein sollte, so ist sie es vielleicht schon morgen, Dank den wissenschaftlichen Hilfsmitteln, die sich der Zukunft bieten, und dann würde es Niemand in den Sinn kommen, sie als sagenhaft zu bezeichnen. Heute, nahe dem Abschlusse des so praktischen, so positiven neunzehnten Jahrhunderts, entstehen übrigens keine Sagen mehr, weder in der Bretagne, dem Gebiete der wilden Korrigans, noch in Schottland, der Heimat der Brownies (Heinzelmännchen) und der Gnomen; weder in dem sagenumwobenen Norwegen, dem Vaterlande der Asen, Elfen, Sylphen und Walküren, noch auch in Transsylvanien (Siebenbürgen), wo die mächtige Kette der Karpathen für Geisterbeschwörungen und Geistererscheinungen einen so günstigen Boden bietet, obwohl wir hierzu die Bemerkung nicht unterdrücken dürfen, daß gerade im transsylvanischen Lande der Aberglaube früherer Zeiten noch in üppiger Blüthe steht.
Gerando hat dieses entlegene Gebiet Europas beschrieben, Elisée Reclus hat es besucht. Beide erwähnen nichts von den Vorkommnissen, worauf unsere Erzählung beruht. Vielleicht hatten sie davon Kenntniß, wollten ihnen aber keinen Glauben beimessen. Das ist schon deshalb zu bedauern, weil der Eine diese Ereignisse mit der Verläßlichkeit des Geschichtsschreibers wiedergegeben, der Andere sie mit dem unbewußten poetischen Schwunge geschildert hätte, der seine Reiseberichte so vortheilhaft auszeichnet.
Da das also Beide unterlassen haben, will ich versuchen, es für sie zu thun.
Am 29. Mai eines der letzten Jahre hütete ein Schäfer seine Heerde am Rande eines grünen Wiesenplans am Fuße des Retyezat, der ein mit geradästigen Bäumen besetztes und mit reichen Ackerfeldern geschmücktes Thal überragt. Ueber jene offene, ganz schutzlose Hochfläche streichen zur Winterszeit die Galernen, das sind die scharfen, schneidenden Nordwestwinde, wie das Messer des Barbiers. Man sagt dann auch dort zu Lande, daß die Höhe sich – und zuweilen sehr glatt – »rasirt«.
Jener Schäfer zeigte in seinem Aeußeren nichts arkadisches und auch nichts bukolisches in seiner Haltung. Es war kein Daphnis, Amyntas, Tityros, Lycidus oder Meliböus. Der Lignon murmelte nicht zu seinen mit plumpen Holzschuhen beschwerten Füßen; die walachische Sil war es, die mit ihrem klaren, frischen Gewässer würdig gewesen wäre, durch die Windungen des macedonischen Asträus zu fließen.
Frik, Frik aus der Dorfschaft Werst – so nannte sich der ländliche Hirt – von Person ebenso vernachlässigt wie seine Thiere, schien wie geschaffen, mit in dem am Eingange des Dorfes errichteten schmutzigen Neste zu wohnen, in dem auch seine Schafe und Schweine in empörendem Schlamm und Unrath hausten, wie das übrigens für alle Schäfereien des Comitats gleichmäßig zutrifft.
Das »immanum pecus« weidet also unter der Obhut des genannten Frik... »immanior ipse«. Auf einem Haufen zusammengetragenen Grases ausgestreckt, schlief er mit dem einen und wachte mit dem anderen Auge, immer die dicke Tabakspfeife im Munde; nur dann und wann rief er seine Hunde an, wenn sich ein Lamm zu weit von dem Weideplatze verirrte, oder ließ er einen schrillen Pfiff ertönen, den das Echo von den Bergwänden vielfach wiederholte.
Es war jetzt vier Uhr Nachmittag s. Die Sonne begann zu sinken. Einzelne Felsengipfel im Osten, deren Fuß sich in wallenden Dunstwolken badete, erglänzten schon im Abendlichte. Nach Südwesten zu ließen zwei Lücken der Bergkette ein schräges Strahlenbündel hereinfallen, so wie ein Lichtstreifen durch wenig geöffnete Thüren dringt.
Das Gebirgssystem der Gegend gehörte zu dem wildesten Theile Transsylvaniens, der im Comitat Klausenburg oder Kolosvar zu suchen ist.
Ein merkwürdiges Bruchstück des österreichischen Kaiserthums, dieses Transsylvanien, das »Erdely« in magyarischer Sprache, d. h. »das Land der Wälder«. Nach Norden und nach Westen zu wird es von Ungarn begrenzt; im Süden berührt es die Walachei und im Osten die Moldau. Bei einer Oberfläche von sechzigtausend Quadratkilometern oder sechs Millionen Hektaren – d. i. fast dem zehnten Theile der österreichisch-ungarischen Monarchie – erscheint es als eine Art Schweiz, ist aber, obwohl um die Hälfte größer als der helvetische Staatenbund, doch nicht volkreicher als jene. Mit seinen dem Ackerbau erschlossenen Hochebenen, den üppigen Weideflächen, den nach allen Richtungen hin streichenden Thälern und seinen schroff aufstrebenden Felsriesen, wird Transsylvanien, das die vielen plutonischen Höhenzüge der Karpathen fast überall streifig bedecken, von zahlreichen Wasserläufen durchzogen, von Zuflüssen der Theiß und der stolzen Donau, in der das sogenannte Eiserne Thor wenige geographische Meilen weiter im Süden den Abfall der Balkankette zwischen der Grenze Ungarns und des osmanischen Reiches verschließt.
So erscheint das Bild des alten Daciens, das Trajan im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung eroberte. Die Unabhängigkeit, deren es sich unter Johann Zapoly und dessen Nachfolgern bis zum Jahre 1699 erfreute, hatte ein Ende mit Leopold I., der das Gebiet dem der österreichischen Kronländer einverleibte. Trotz veränderter politischer Verhältnisse ist es aber stets der Wohnsitz verschiedener Rassen geblieben, die hier mit einander in Berührung stehen, doch nicht verschmelzen, die Heimat von Walachen oder Rumänen, von Ungarn, Zigeunern, Szeklern moldauischer Abstammung, und auch von Sachsen, die durch Zeit und Umstände sich zu Gunsten der transsylvanischen Einheit doch schließlich »magyarisiren« dürften, so hartnäckig sie bisher auch ihre Stammeseigenthümlichkeit behaupteten.
Welchem Typus der Schäfer Frik angehörte und ob er etwa ein entarteter Nachkomme der alten Dacier war, das hätte man angesichts seines wirren Haarschopfes, des nicht gerade sauberen Antlitzes, des struppigen Bartes, der dichten, wie aus röthlichen Borsten gebildeten Augenbrauen und der zwischen grün und blau schillernden, stechenden, doch am Hornhautrande schon den sogenannten Greisenbogen zeigenden Augen des Mannes nur schwer bestimmen können. Daß er bereits fünfundsechzig Jahre zählte, konnte man schon leichter sehen. Dabei war er groß, sehnig und hielt sich straff unter dem weichen Filzhute, der freilich weniger Haare zeigte als seine halb entblößte Brust – kurz, ein Maler würde ihn, wenn er so, auf den langen Stab mit Krähenschnabelgriff gestützt, unbeweglich wie ein Felsen dastand, gewiß gern als Modell benutzt haben.
Als die Sonnenstrahlen sich durch die Berglücke im Westen Bahn brachen, drehte Frik sich um; dann formte er aus der halb eingeschlagenen Hand eine Art Fernrohr – ganz wie er diese als Sprachrohr verwendet hätte, wenn er sich weithin vernehmbar machen wollte – und blickte aufmerksam in jener Richtung hinaus. Am hellen Hintergrunde des Horizontes erhoben sich in der Entfernung einer Meile und deshalb stark verkleinert die Umrisse einer Burg. Dieser alterthümliche Schloßbau nahm auf einem einzelnstehenden Seitengipfel des Berges Vulcan den mittleren Theil eines Hochplateaus ein, das den Namen des Plateaus von Orgall führte. Bei dem schimmernden Lichte hoben sich die Umrisse des Ganzen deutlich und mit derselben Schärfe wie stereoskopische Bilder vom Himmel ab. Nichtsdestoweniger mußte das Auge des Hirten mit seltener Sehschärfe ausgestattet sein, um irgend eine Einzelheit der entfernten Gegenstände unterscheiden zu können.
Plötzlich rief er, den Kopf in die Höhe werfend:
»Altes Schloß!... Altes Schloß!... Immer stütze Dich nur auf Deine Grundveste!... Noch drei Jahre, und es ist zu Ende mit Dir, denn Deine Buche hat nur noch drei Aeste!«
Die betreffende, nahe am Rande einer der Bastionen der Burg wurzelnde Buche erschien am Himmelsgrunde wie ein seiner Papierausschnitt, und in dieser Entfernung möchte sie schwerlich für jemand Anders als den Schäfer Frik sichtbar gewesen sein. Die Deutung jener geheimnißvollen Worte, die mit einer das Bergschloß betreffenden Sage in Beziehung stand, wird an passender Stelle nachfolgen »Ja! wiederholte der Mann, nur drei Aeste!... Gestern waren es noch vier; der vierte ist aber im Laufe der letzten Nacht abgefallen... jetzt steht nur noch ein Stumpf des stolzen Baumes da.... Ich zähle nur noch drei über dem starken Stamme... nur noch drei, alteBurg... nur noch drei lebende Aeste!«
Stellt man sich einen Hirten von seiner idealen Seite vor, so erscheint er einem gewöhnlich als Denker oder Träumer; er unterhält sich mit den Planeten; er spricht mit den Sternen und versteht sich darauf, die Schrift des Himmels zu lesen. In Wirklichkeit ist er im Allgemeinen ein unwissender, vernagelter Bursche. Trotzdem dichtet ihm die Leichtgläubigkeit so oft übernatürliche Fähigkeiten an; er versteht sich auf Hexerei je nach Laune; er wendet Verzauberungen durch Besprechen ab oder verzaubert selbst Mensch und Thier – was in diesem Falle ja fast auf Eines hinauskommt; er handelt mit sympathetischen Pülverchen; man kauft von ihm Liebestränke und Zaubersprüche. Ja, es geht so weit, daß er die keimende Frucht der Ackerfurche tödtet, indem er verhexte Kieselsteine hineinwirft, oder daß er die Schafe unfruchtbar macht, indem er sie mit dem linken Auge ansieht. Ein derartiger Aberglaube findet sich in allen Ländern und fand sich zu allen Zeiten. Selbst in mehr civilisirten Ländern gehen gar viele Leute nicht an einem Schäfer vorüber, ohne diesem ein paar freundliche Worte zuzurufen, ohne ihm einen hergebrachten Gruß zu bieten, indem er speciell »Hirt« genannt wird, worauf der Mann besonderen Werth legt. Ein Abnehmen des Hutes schützt bereits gegen manches Uebel, und in Transsylvanien ist man deshalb damit nicht sparsam.
Frik wurde nun als ein solcher Hexenmeister betrachtet, der Geistererscheinungen hervorzuzaubern vermochte. Nach Aussage der Einen gehorchten ihm die Vampyre und die Stryges; nach der Anderer konnte man ihn bei abnehmendem Monde in halbfinstren Nächten, wie in anderen Gegenden das Gespenst des Großen Schalttages, auf dem Schutzdache von Mühlrädern reiten sehen, von wo aus er mit den Wölfen schwatzte oder träumerisch zu den Sternen hinausstarrte.
Frik ließ die Leute reden, denn er stand sich ganz gut dabei. Er verkaufte Zaubermittel ebenso wie Schutzmittel gegen solche. Doch war er, wohl zu bemerken, nicht weniger gläubig als seine Kundschaft, und wenn er vielleicht auch an seinen eigenen Zauberkräften zweifelte, so galt ihm doch der Inhalt der landläufigen Sagen als unbestreitbare Wahrheit.
Hiernach kann es nicht Wunder nehmen, daß er sich jene, das baldige Verschwinden der Burg betreffende Vorhersage zurechtlegte – da die Schicksalsbuche jetzt bis auf drei Aeste zusammengebrochen war – und daß er sich beeilte, diese Neuigkeit in Werst bekanntzugeben.
Nachdem er also seine Heerde zusammengerufen, indem er mit vollen Backen eine aus weißem Holz geschnitzte Schäferpfeife anblies, schlug Frik den Heimweg nach dem Dorfe ein. Die Thiere in Ordnung haltend, folgten ihm seine Hunde – zwei Terrier-Bastarde, bissige, wilde Köter, die mehr geschaffen schienen, Lämmer zu zerfleischen als solche zu beschützen. Die Heerde bestand aus etwa hundert Widdern und Schafen; darunter etwa einem Dutzend Lämmern, sonst aber aus drei- bis vierjährigen Thieren mit vier und mit sechs Zähnen.
Diese Heerde gehörte dem Ortsrichter von Werst, dem Biró Koltz, der der Gemeinde einen tüchtigen Weidepacht bezahlte und seinen Schäfer Frik hoch schätzte, weil er ihn als ebenso brauchbar bei der Schur, wie erfahren in der Behandlung der Schafkrankheiten, der Drehkrankheit, des Leberwurmes, der Trommelsucht, der Pocken, der Unfruchtbarkeit und anderer ähnlicher Störungen kannte.
Die Thiere zogen in geschlossenem Haufen dahin, voran der Leithammel mit der Glocke und ein altes Mutterschaf mit Schellenhalsband, die beide inmitten des Geblökes »den Ton angaben«.
Von dem Weideplatze aus schlug Frik einen breiten, von ausgedehnten Feldern umgebenen Fußweg ein. Hier wogten die prächtigen Halme eines Getreides, das ebenso hoch im Stroh, wie lang in den Aehren war; dort wucherten üppige Culturen von »Kukuruz«, dem Mais des Landes. Der Weg führte nach dem Saume eines aus Fichten und Tannen bestehen den Waldes, der in seinem Schatten erquickende Kühle bot. Weiter unten schlängelte sich das spiegelnde Band der Sil hin, deren Wasser sich an den Kieseln des Grundes klärte, und auf der Stämme und Klötze aus den stromaufwärts liegenden Sägemühlen hinabschwammen.
Hunde und Schafe machten am rechten Ufer des Flusses Halt und stillten gierig ihren Durst am steilen Rande, dessen Rosengebüsch sie durchbrochen hatten.
Werst lag nur wenige Flintenschuß weit von hier entfernt, und zwar jenseits eines dichten, halbhohen Weidebusches mit natürlich entwickelten Bäumen, nicht solchen verkrüppelten Kröpfweiden, deren Zweigruthen nur wenige Fuß über der Wurzel ausstrahlen. Dieses Weidengebüsch erstreckte sich bis zu den Abhängen des Vulcan, auf dem das gleichnamige Dorf den Vorberg eines nach Süden verlaufenden Zweiges des Piesagebirges einnimmt.
Die Landschaft war jetzt menschenleer. Die Feldarbeiter kehren erst mit einbrechender Dunkelheit nach ihrem häuslichen Herde zurück, und Frik hätte jetzt wohl kaum Gelegenheit gefunden, den althergebrachten Guten Tag! mit ihm begegnenden Leuten zu wechseln. Nachdem seine Thiere sich gesättigt, wollte er eben nach einem verschlungenen Thalwege einbiegen, als ihm, etwa fünfzig Schritte stromabwärts der Sil, ein dort auftauchender Mann in die Augen fiel.
»He! Guter Freund!« rief dieser dem Hirten zu.
Es war einer jener fremden Händler, die alle Märkte des Comitats besuchen und die man dazwischen in Städten, Flecken und selbst in den geringsten Dörfern antrifft. Sich den Leuten verständlich zu machen, ist ihnen eine Kleinigkeit, sie sprechen eben alle Mundarten. Niemand hätte sagen können, ob der hier Erschienene ein Italiener, Sachse oder Walache sei; man erkannte aber leicht, daß er Jude, polnischer Jude war, an seiner langen hageren Gestalt, der gebogenen Nase, dem spitz auslaufenden Vollbarte, wie an der vorspringenden Stirn und den lebhaften Augen darunter.
Dieser Hausirer handelte mit Brillen, kleinen optischen Instrumenten, Thermometern, Barometern, geringwerthigen Wanduhren u. dgl.
Was nicht in seinem, an starken Achselgurten hängenden Waarenkasten untergebracht war, das hing ihm am Halse und am Leibgürtel – ein richtiger wandelnder Kramladen.
Wahrscheinlich hegte auch dieser Jude die Achtung, vielleicht die stille Scheu, die nun einmal alle Schäfer anderen Leuten einflößen. So begrüßte er denn Frik zunächst mit einer Handbewegung. Dann begann er in rumänischer Sprache, diesem Gemenge aus Latein und Slavisch, mit fremdem Tonfalle:
»Es geht Euch doch nach Wunsch, guter Freund?
– Jawohl... je nach der Witterung, antwortete Frik.
– Dann geht's Euch heute also gut, denn es ist schönes Wetter.
– Und morgen desto schlechter, denn da wird's regnen.
– Regnen...? rief der Händler. Regnet's in Eurem Lande auch ohne Wolken?
– Nun, Wolken werden diese Nacht schon kommen... und zwar von da draußen... von der schlimmen Seite des Berges.
– Woran erkennt Ihr das?
– An der Wolle meiner Schafe, die starr und trocken wie gegerbte Haut ist.
– Das ist freilich eine schlimme Aussicht für die, die draußen im Freien ihre Arbeit haben.
– Und desto angenehmer für die, die in ihrem Hause unter Dach bleiben können.
– Gewiß, Schäfer; doch dazu muß man auch ein Haus besitzen.
– Habt Ihr Kinder? fragte Frik weiter.
– Nein.
– Seid Ihr verheiratet?
– Nein.«
Diese Fragen stellte Frik, weil sie hier landesüblicherweise an Jeden gerichtet werden, dem man auf der Landstraße begegnet.
Dann fuhr er fort:
»Woher kommt Ihr, Hausirer?
– Von Hermannstadt.«
Hermannstadt ist eine der bedeutendsten Städte Siebenbürgens. Von dieser aus gelangt man in das bis nach Petroseny herabreichende Thal der ungarischen Sil.
»Und Ihr geht...?
– Nach Kolosvar.«
Um nach Kolosvar (Klausenburg) zu kommen, hat man sich weiterhin im Thale des Maros zu halten und erreicht dann über Karlsburg, längs der ersten Ausläufer der Bilarberge hingehend, die Hauptstadt des Comitats. Die Wegstrecke beträgt etwa zwanzig Meilen (150 Kilometer).
Diese Händler mit Thermometern, Barometern und allerhand Kleinkram erscheinen immer wie Gestalten besonderer – nur nicht hofmännischer – Art. Das liegt in ihrem Geschäft. Sie »verkaufen Zeit und Wetter« in jeder Form, die Zeit, wie sie verfließt, das Wetter, wie es eben ist und wie es sein wird, wie andere »zweibeinige Ballenthiere« Körbe, Strick- und Baumwollwaaren verhandeln. Man wäre versucht, sie Reisende des Hauses Saturn & Cie. – mit dem »Goldenen Stundenglas« als Waarenchutzmarke – zu nennen. Zweifelsohne machte der Handelsjude diese Wirkung auf den biederen Frik, der verwundert diese Menge von Gegenständen betrachtete, die ihm so gut wie ganz neu waren und deren Bestimmung er nicht kannte.
»He, Hausirer, fragte er, den Arm vorstreckend, wozu dient das Ding da, das wie die Zähne eines alten Gehenkten an Eurem Gürtel klappert?
– O, das sind lauter werthvolle Sachen, erwiderte der Fremde, lauter Dinge, die all' und jedem nützlich sind.
– All' und jedem, entgegnete Frik mit den Augen zwinkernd... auch für einen Schäfer?
– Auch jedem Schäfer und Hirten.
– Und das lange glänzende Ding da...?
– Dies Instrument, belehrte ihn der Jude, indem er einen Thermometer in der Hand auf und ab gleiten ließ, sagt Euch, ob es warm oder kalt ist.
– Aber, guter Freund, das weiß ich doch allein, wenn ich unter der dünnen Jacke schwitze oder unter dem dicken Flausrock friere.«
Offenbar genügten solche Wahrnehmungen einem Schäfer, der sich um das Warum? dabei nicht kümmerte.
»Und die alte dicke Uhr dort mit dem einen Zeiger dran? erkundigte er sich weiter, auf einen Aneroïdbarometer weisend.
– Das ist keine alte Uhr, sondern ein Instrument, das Euch vorhersagt, ob's morgen schön sein oder regnen wird....
– Ist das wahr...?
– Gewiß, darauf könnt Ihr Euch verlassen.
– Na, 's mag ja sein; ich möchte das Ding aber doch nicht, und wenns nicht mehr als einen Kreuzer kostete. Ich brauche ja nur nachzusehen, wie die Wolken durch die Berge ziehen oder ob sie hoch über deren Gipfeln hingehen, da weiß ich das Wetter für vierundzwanzig Stunden auch im Voraus. Da draußen, Ihr seht wohl den Nebel, der fast auf der Erde hinschleicht?... Na, wie ich Euch sagte, das bedeutet für morgen Wasser.«
Der Schäfer Frik, ein langgeschulter Wetterbeobachter, konnte in der That jedes Barometer entbehren.
»Da ist wohl die Frage überflüssig, ob Ihr vielleicht eine Uhr braucht? nahm der Handelsjude wieder das Wort.
– Eine Uhr?... Ach, ich habe eine, die geht ganz allein und hängt mir, wo ich gehe und stehe, über dem Kopfe – das ist die Sonne da oben. Seht Ihr, Freundchen, wenn die sich über die Spitze des Roduk da drüben stellt, dann ist es Mittag, und wenn sie durch das Loch des Egelt guckt, ist es sechs Uhr Abends. Das wissen meine Schafe ebenso gut wie ich; die Schafe und die Hunde erst recht. Da behaltet nur Euren Kram.
– Freilich, bemerkte der Händler, wenn ich nur Schäfer zu Kunden hätte, da würd' es mir schwer wer den, etwas zu verdienen. Ihr braucht also gar nichts von meinen Waaren?
– Nicht das geringste!«
Die billigen Ramschwaaren des Juden waren übrigens auch wirklich nicht viel werth; die Barometer zeigten gerade dann nicht auf »Schön Wetter« oder »Veränderlich«, wenn es ihre Pflicht gewesen wäre, und die Uhrweiser bezeichneten die Stunden zu lang oder die Minuten zu kurz – mit einem Worte, der Jude trug den reinen Ausschuß trödeln. Den Schäfer mochte auch ein gewisses Mißtrauen beschleichen, denn er machte gar keine Miene, den Beutel zu ziehen. Da, als er schon den langen Stab zum Weitergehen bewegte, tippte er noch auf eine Art Röhre, die am Traggurt des Hausirers hing, und sagte:
»Wozu dient denn die kleine Röhre hier?
– Diese Röhre ist keine simple Röhre.
– Na, 's ist doch auch kein Ofenrohr?«
Der Schäfer verstand darunter eine Art altmodischer Pistole mit erweiterter Mündung.
»Nein, erklärte der Jude, das ist ein Fernrohr.«
Es war in der That eines jener Jahrmarkt-Instrumente, die die betrachteten Gegenstände fünf- bis sechsmal vergrößern oder sie um ebensoviel näher zu bringen scheinen, was ja in der Wirkung auf dasselbe hinauskommt.
Frik hatte das Fernrohr losgebunden; er besah es sich genau, drehte und wendete es nach allen Seiten und verschob die Einzelcylinder übereinander.
Dann richtete er wie ungläubig den Kopf hoch auf.
»Ein Fernrohr? sagte er.
– Ja, Schäfersmann, und zwar ein ganz vorzügliches, das Euch befähigt, viel weiter als gewöhnlich zu sehen.
– Oho, ich habe sehr gute Augen, Freundchen. Bei klarer Luft erkenne ich die entlegensten Felsen bis zur Spitze des Retyezát und die letzten Bäume im Grunde des Thalweges des Vulcan.
– Ohne die Augen halb zu schließen?
– Ohne solche Kunststückchen. Das verdank' ich dem heilsamen Thau, wenn ich vom Abend bis zum Morgen unter freiem Himmel schlafe. Glaubt nur, das wäscht die Pupille rein.
– Was... der Thau? erwiderte der Hausirer. Der macht ja die Leute weit eher blind....
– Nur die Schäfer nicht!
– Mag sein! Doch wenn Ihr auch gute Augen habt, so sind meine doch noch besser, sobald ich sie ans Ende meines Fernrohres bringe.
– Das müßt' ich erst sehen.
– Werft doch einmal selbst einen Blick durch das Fernrohr.
– Ich?...
– Versucht's nur.
– Und das kostet nichts? fragte Frik, der von Natur etwas mißtrauisch vorsichtig war.
– Nichts... gar nichts, wenigstens wenn Ihr das Fernrohr nicht kauft.«
In dieser Hinsicht beruhigt, nahm Frik das Instrument, das der Hausirer für ihn passend einstellte. Nachdem er dann das linke Auge geschlossen, brachte er das rechte nahe an das Ocular.
Erst blickte er in der Richtung des Vulcan und aufwärts nach dem Plesa hinaus. Nachher senkte er das Instrument und richtete es nach dem Dorfe Werst hinab.
»Wahrlich, rief er, 's doch richtig! Das trägt weiter als meine Augen.... Da die Landstraße... ich erkenne darauf die Leute!... Richtig, Nic Deck, der Forstwächter, der, die Flinte auf dem Rücken, vom Rundgange heimkehrt, mit...
– Wie ich's Euch sagte! unterbrach ihn der Hausirer.
– Ja... richtig... das ist Nic! fuhr der Schäfer fort. Und wer ist das Mädchen im rothen Rocke und schwarzen Leibchen, die aus dem Hause des Meister Koltz tritt, wie um jenem entgegenzugehen?
– Seht nur ordentlich hin, Schäfer, und Ihr werdet das Mädchen ebenso gut erkennen, wie den jungen Mann....
– Ja... wirklich... das ist Miriota... die schöne Miriota! – O, diese verliebten Leute! Jetzt mögen sie aber auf ihrer Hut sein, denn ich habe sie hier deutlich am Ende des Fernrohres und es entgeht mir keine Zärtlichkeit.
– Nun, was sagt Ihr jetzt von dem Instrumente?
– Was soll ich sagen? – daß man damit weiter sehen kann als sonst.«
Wenn Frik in seinem Leben noch niemals durch ein Fernrohr geblickt hatte, mußte das Dorf Werst doch wohl zu den Ortschaften des Comitats Klausenburg gehören, die am weitesten hinter der Zeit zurückgeblieben waren Und daß es an dem war, wird der Leser bald selbst erkennen.
»Jetzt, Schäfer, fuhr der Fremde fort, schaut noch einmal hindurch, aber weiterhin als nach Werst. Das Dorf liegt viel zu nahe. Seht darüber hinaus, weit, weit hinaus!
– Und das kostet auch nicht mehr?
– Keinen Heller mehr.
– Gut. Ich will mich einmal in der Gegend der ungarischen Sil umsehen. Aha... da ist der Kirchthurm von Livadzel! Den erkenn' ich an dem Kreuze, woran der eine Arm fehlt. Da... und weiter draußen seh' ich den Thurm von Petroseny, auch seinen Weißblech-Wetterhahn mit geöffnetem Schnabel, so als wollte er seine Glucken rufen!... Und ganz unten... das muß der Thurm von Petrilla sein.... Doch, nicht wahr, Hausirer, Ihr sagtet, das kostete deshalb immer nicht mehr....
– Das Hindurchsehen kostet nichts, Schäfer.«
Frik wendete sich jetzt nach dem Plateau von Orgall hin; dann folgte er mit dem Fernrohre den Waldmassen im Schatten der Abhänge des Plesa, und schließlich trat die Burg in das Gesichtsfeld des Glases.
»Richtig! rief er. Der vierte Ast liegt zu Boden... ich hatte doch recht gesehen! Na, den wird auch Keiner aufheben, um ihn am Johannisfeste als hübsche Fackel zu gebrauchen.... Nein, Keiner... nicht einmal ich selbst! Das hieße ja Leib und Seele der Hölle verschreiben! Doch keine Sorge; Einen giebt's doch, der ihn noch diese Nacht in seiner Höllenküche verbrennen wird... das ist der Chort!«
Der Chort – so heißt der Teufel, wenn er hier im Lande gesprächsweise erwähnt wird.
Der Jude hätte vielleicht nach einer Erklärung dieser Worte gefragt, die für Jeden unverständlich sein mußten, der nicht aus Werst oder dessen Nachbarschaft herstammte, doch schon rief Frik wieder mit einer aus Schrecken und Erstaunen gemischten Stimme:
»Da... was ist denn das?... Ein Dunst, der über dem alten dicken Thurme schwebt?... Ist's denn wirklich nur Dunst?... Nein, das könnte man für Rauchwolken halten!... Unmöglich! Seit langen, langen Jahren haben die Schornsteine der Burg nicht mehr geraucht!
– Wenn Ihr da draußen Rauch seht, Schäfer, so wird's schon Rauch sein.
– Nein, Hausirer... nein! Wahrscheinlich ist nur das Glas Eures Instrumentes angelaufen.
– So wischt es doch ab.
– Und wenn ich das thäte...«
Frik drehte das Fernrohr um und setzte es, nachdem er die Gläser mit dem Aermel abgerieben hatte, wieder vor das Auge.
Es war thatsächlich eine Rauchsäule, die dort aus dem Wartthurme aufwirbelte. Bei der ganz stillen Luft stieg sie kerzengerade empor und verschwamm schließlich im Dunste der Höhe.
Frik stand wie versteinert und sprach kein Wort. Seine ganze Aufmerksamkeit wandte er der Burg zu, nach der schon der Schatten der Thäler unter dem Plateau von Orgall langsam emporschlich.
Plötzlich ließ er das Fernrohr herabsinken, griff nach dem kleinen Quersack, der unter seiner Jacke hing und fragte:
»Was soll Euer Rohr kosten?
– Anderthalb Gulden,« antwortete der Händler.
Er hätte das Fernrohr auch schon für einen Gulden weggegeben, wenn Frik sonst Lust zum Kaufe gezeigt hätte. Der Schäfer feilschte aber nicht. Offenbar unter dem Drucke einer ebenso plötzlichen wie unerklärlichen Verblüffung, senkte er die Hand in den Quersack und brachte das verlangte Geld hervor.
»Kauft Ihr das Fernrohr für Euch selbst? fragte der Hausirer.
– Nein... für meinen Herrn, den Ortsrichter Koltz.
– Dann giebt er Euch zurück, was...
– Jawohl, die zwei Gulden, die es mich gekostet hat.
– Wie... die zwei Gulden, sagt Ihr?
– Natürlich.... Nun übrigens Gute Nacht, Freundchen.
– Gute Nacht, Schäfersmann!«
Frik pfiff die Hunde heran, ließ diese die Heerde zusammentreiben und zog rasch in der Richtung nach Werst davon.
Der Jude, der ihm nachschaute, schüttelte leicht den Kopf, als ob er es mit einem halben Narren zu thun gehabt hätte.
»Hätt' ich das gewußt, murmelte er vor sich hin, dann würd' ich ihm das Fernrohr etwas theurer verkauft haben!«
Nachdem er dann seine Waaren am Gürtel und auf den Schultern wieder geordnet, schlug er, am rechten Ufer der Sil hinabwandernd, den Weg nach Karlsburg ein..
Wohin er ging, hat für uns keine weitere Bedeutung. Er taucht nur dieses einzige Mal in unsrer Erzählung auf. Der Leser wird ihn nicht wieder zu sehen bekommen.
Mag es sich um Felsenmassen handeln, die in grauer Vorzeit, als der Erdboden noch nicht zur Ruhe gekommen, von der starken Hand der Natur übereinander gethürmt worden waren, oder um Bauwerke der schwachen Menschenhand, über die der Hauch von Jahrhunderten hinweg gestrichen ist – immer bleibt der Anblick nahezu derselbe, sobald man sie aus einigermaßen größerer Entfernung betrachtet. Was rohes und was künstlich bearbeitetes Gestein ist – beides verschmilzt sehr leicht ineinander. Von Weitem weisen beide dieselbe Färbung, dieselben Züge und denselben Verlauf der Linien nach der Perspective auf und gleichmäßig deckt sie die grünliche Patina der Jahrhunderte.
So verhielt es sich auch mit der Burg – gewöhnlich »das Karpathenschloß« genannt. Es wäre ganz unmöglich gewesen, seine unbestimmten Formen auf jener Hochfläche von Orgall, die es zur Linken des Vulcangipfels krönte, deutlich zu erkennen, vorzüglich, da sich das Bauwerk von den dahinter noch aufstrebenden Bergketten nicht besonders abhebt. Was man versucht ist, für einen hohen Wartthurm zu halten, ist vielleicht nichts als ein steil aufsteigender schlanker Felsen. Wer darauf hinblickt, glaubt wohl den Zinnenrand einer Mauer da zu erkennen, wo sich nur ein ausgezackter steiniger Grat ausdehnt. Das ganze Bild ist schwach, unbestimmt, verschwommen. Nach der Ansicht verschiedner Touristen besteht das ganze Karpathenschloß überhaupt nur in der Einbildung der Bewohner des Comitats.
Offenbar hätte man sich von dem wahren Sachverhalt sehr einfach überzeugen können, wenn Jemand mit Hilfe eines landeskundigen Führers aus Vulcan oder aus Werst den Thalweg durchschritten, dann die Berghöhe erstiegen und die vielgenannte Burg an Ort und Stelle in Augenschein genommen hätte. Leider wäre ein Führer nur noch weit schwieriger aufzutreiben, als der nach dem Schlosse leitende Weg aufzufinden gewesen. Hier, im Lande der beiden Sil, würde kein Mensch zu überreden gewesen sein, selbst gegen die reichlichste Belohnung einen Fremden nach dem Karpathenschlosse zu führen.
Lassen wir das übrigens bei Seite, so wäre von jenem alten Ritterwohnsitze etwa Folgendes zu sehen gewesen – das heißt im Sehfelde eines mächtigeren und besseren Fernrohres als durch das Nürnberger Instrument, das der Schäfer Frik für Rechnung des Meister Koltz erstanden hatte.
Acht- bis neunhundert Fuß unter dem Passe von Vulcan eine sandsteinfarbene Umfassungsmauer, begrenzt mit dichtem Gewirr genügsamer Schlingpflanzen, die sich auf eine Strecke von vier- bis fünfhundert Toisen (780 bis 975 Meter) ausdehnte und dabei den Wellenlinien des Erdbodens folgte. An jeder Ecke eine ausspringende Winkelbastion, von denen die rechts gelegene – auf der auch die berühmte Buche stand – noch ein kleines Wachthäuschen oder mehr eine Art Schilderhaus mit spitzem Dache trug; links erhoben sich mehrere von durchbrochenen Strebepfeilern gestützte Mauern und diese überragte das Thürmchen einer Capelle, deren gesprungene Glocke zum Entsetzen der Bewohner der ganzen Umgebung ertönte, wenn die Stöße des Sturmwindes sie in Bewegung setzten; in der Mitte endlich erhob sich das Schloß, bekrönt von zinnenumschlossener Plattform, mit drei übereinanderliegenden Reihen von Fenstern, deren Scheiben in Blei gefaßt waren und deren unterste Reihe ein runder, terrassenartiger Balcon begleitete; auf der Plattform war schließlich eine hohe Metallstange errichtet, an deren Spitze das Kennzeichen der Feudalherrschaft, ein halb vom Roste zerfressener Wetterhahn, sich knarrend im Winde drehte.
Niemand hatte eine Ahnung davon, was jene da und dort zerfallene Umfassungsmauer umschließen mochte, und ob sich im Innern des Schlosses noch ein bewohnbarer Raum befände, ebensowenig, ob vielleicht eine Zugbrücke und ein Ausfallthor noch den Zutritt gestatteten. Obwohl das Karpathenschloß thatsächlich besser erhalten war, als es sein Aussehen verrieth, schützte es noch heute eine Art ansteckende Scheu, verstärkt von dem ländlichen Aberglauben, ebenso gut, wie es früher nur seine Donnerbüchsen, Feldschlangen, Bombarden, seine Mörser und andere Artilleriemaschinen vergangener Tage geschützt hatten.
Und doch hätte das Karpathenschloß den Besuch von Touristen und Alterthumsfreunden gewiß gelohnt. Seine Lage am Rande der Hochfläche des Orgall war ausnehmend schön. Von der oberen Plattform des Wartthurmes kann der Blick ungehindert bis zu den entferntesten Linien der Bergzüge hinausschweifen. Im Hintergrunde verläuft die hohe wellenförmige und launenhaft verzweigte Kette, die die Grenze der Walachei bezeichnet. Davor höhlt sich das gewundene Thal des Vulcan aus, durch das die einzige gangbare Straße zwischen den Grenzprovinzen hinführt. Jenseits des Thales der beiden Sil liegen die Ortschaften Livadzel, Lonya, Petroseny und Petrilla, die alle an den Mündungen der hier ausgebeuteten reichen Kohlengruben aufgewachsen sind. Schon fast am Horizonte liegen in malerischem Durcheinander verschiedene hohe Berggipfel aufeinander gesattelt, die am Fuße bewaldet, an den Seiten noch grün bedeckt und ganz oben kahl und öde sind und die von den steilen Gipfeln des Retyezat und des Paring1 beherrscht wer den. Noch weiter endlich als das Thal des Hatszeg und der Lauf des Maros grüßen die im Höhendunst verschwimmenden Profile der mittleren transsylvanischen Alpen herüber.
In der trichterförmigen Mitte dieses Gebietes glänzte früher ein Binnensee, in den sich die beiden Sile ergossen, bevor sie sich einen Ausweg durch die Bergmauer gebrochen hatten. Jetzt bildet die Landstrecke nur eine gewaltige Kohlenlagerstätte mit allen Vorzügen und Nachtheilen einer solchen. Hochaufgemauerte Schornsteine vermischen sich mit dem Astwerk von Pappeln, Tannen und alten Buchen; ihr schwärzlicher Qualm verpestet die Luft, die früher von erfrischendem Dufte der Fruchtbäume und Blumen gesättigt war. Zur Zeit, wo diese Erzählung spielt, hatte der Minenbezirk, obwohl ihn die Industrie in ihrer eisernen Hand hielt, noch nichts von der ihm von der Natur verliehenen Wildheit verloren.
Das Karpathenschloß stammt aus dem zwölften oder vielleicht aus dem dreizehnten Jahrhundert. Unter der Herrschaft der Häuptlinge oder Woiwoden jener Zeit, trachteten Klöster, Kirchen, Paläste und Schlösser nicht minder wie Flecken und Städte danach, sich eine Befestigung zu schaffen. Herrenleute und Bauern hatten sich gegen Angriffe aller Art zu wehren. Diese Umstände erklären es, daß der alte Wall der Burg, ihre Bastionen und der Wartthurm das Aussehen eines Feudalsitzes erlangten, bei dem Alles zu einer wirksamen Vertheidigung vorgesehen war. Den Baumeister, der an dieser Stelle, in so gewaltiger Höhe einst die Mauern der Burg errichtet hatte, kennt Niemand; nach unverbürgter Ueberlieferung sollte es der Rumäne Manoli gewesen sein, der in den walachischen Sagen so vielfach gefeiert wird und der zu Curté d'Argis das berühmte Schloß Rudolphs des Schwarzen erbaut hat.
Herrschen also Zweifel bezüglich des Architekten, so ist das doch nicht der Fall bezüglich der Familie, die diese Burg besaß. Die Barone von Gortz waren schon seit undenklichen Zeiten die Herren des Landes gewesen. Sie kämpften wacker mit in allen Kriegen, die die transsylvanischen Provinzen mit Blut düngten, und schlugen sich gegen die Ungarn, die Sachsen und die Szekler; ihr Name erklingt in den »Cantices«, den »Doïnes« (Volksliedern), in denen das Andenken an jene traurigen Zeiten fortlebt; sie führten als Devise das berühmte walachische Sprichwort: