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Dieses eBook: "Das Kind der Prärie (Wildwestroman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Langsam senkte sich der Sonnenball, einer riesigen Feuerkugel gleich, dem Horizonte zu, und übergoß mit einer Flut rötlichen Lichtes die unabsehbar sich ausdehnende Ebene, deren Grenzen mit der Luft sich zu verschmelzen schienen. Kein Baum, kein Strauch zeigte sich dem Auge, Gras nur, Prärie- und hartes Büffelgras entsproß sterilem Boden, der oftmals an umfangreichen Stellen, ohne jeden Pflanzenschmuck, kahl und nackt zutage trat, und so den Eindruck trostloser Oede noch verstärkte. Wolkenlos spannte sich der Himmel aus, und sein eintöniges Blau erhöhte die Monotonie des Ganzen. Kein Laut ließ sich hier vernehmen, das animalische Leben schien erstorben, Schweigen des Todes herrschte überall. In der Ausdehnung der Fläche, welche der Blick zu umfassen vermochte, der Einförmigkeit der Bodengestaltung, der tiefen Stille, lag etwas furchtbar Großes. Es war die Majestät des Schreckens, die hier auf der Wüste lagerte. Nur das scheidende Tagesgestirn umhüllte in goldigem Schimmer alles mit dem Scheine warmen Lebens..." Franz Treller (1839-1908) war ein deutscher Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller. Er schrieb historische Abenteuerromane, häufig für ein jugendliches Publikum, deren Handlung oftmals Bezüge zur Geschichte seiner hessischen Heimat aufwies.
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Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Langsam senkte sich der Sonnenball, einer riesigen Feuerkugel gleich, dem Horizonte zu, und übergoß mit einer Flut rötlichen Lichtes die unabsehbar sich ausdehnende Ebene, deren Grenzen mit der Luft sich zu verschmelzen schienen.
Kein Baum, kein Strauch zeigte sich dem Auge, Gras nur, Prärie- und hartes Büffelgras entsproß sterilem Boden, der oftmals an umfangreichen Stellen, ohne jeden Pflanzenschmuck, kahl und nackt zutage trat, und so den Eindruck trostloser Oede noch verstärkte.
Wolkenlos spannte sich der Himmel aus, und sein eintöniges Blau erhöhte die Monotonie des Ganzen.
Kein Laut ließ sich hier vernehmen, das animalische Leben schien erstorben, Schweigen des Todes herrschte überall.
In der Ausdehnung der Fläche, welche der Blick zu umfassen vermochte, der Einförmigkeit der Bodengestaltung, der tiefen Stille, lag etwas furchtbar Großes.
Es war die Majestät des Schreckens, die hier auf der Wüste lagerte. Nur das scheidende Tagesgestirn umhüllte in goldigem Schimmer alles mit dem Scheine warmen Lebens.
Inmitten der Einöde bewegten sich drei Reiter langsam nach Norden zu, kaum vernehmbar war der Pferdehuf auf dem Steppengras, und das Schweigen ringsumher schien seine Wirkung auch auf sie auszuüben, denn wortlos ritten sie einher.
Zwei von ihnen waren Männer, deren Art die Prairien weiter nördlich und östlich häufig zeigten, wo nach Tausenden von Köpfen zählende Rinderherden, die Sommer und Winter im Freien bleiben, die kühnen, abgehärteten Hirten erfordern, welche sie dem Besitzer bewachen und bewahren. Die Tracht: der breitrandige Hut, der hohe Stiefel, die Art der Bewaffnung, besonders aber die kurzgestielte Peitsche mit der weitreichenden schweren Schnur, die sie im Gürtel trugen, kennzeichneten sie als Cowboys.
Die von Wind und Wetter gebräunten Gesichter der beiden Männer waren keineswegs vertrauenerweckend, und dürften den ihnen in der Einsamkeit der Wüste begegnenden friedlichen Wanderer wohl um seine Sicherheit besorgt gemacht haben.
Der eine war von langer Gestalt, und das Gesicht mit dem adlerartigen Profil, aus dem zwei dunkle Augen blitzten, trug einen verwegenen Ausdruck, der durch eine Narbe, die sich von der Stirne bis zur Wange herabzog, bis sie in dem stoppeligen Barte verschwand, keineswegs gemildert ward.
Die Erscheinung des anderen, eines Burschen, untersetzt, breitschultrig, mit massivem Kopfe und breitem Antlitz, bildete ein durchaus nicht angenehmes Seitenstück zu der seines langen Gefährten; die wilde Kühnheit auf dessen Gesicht war hier durch den Ausdruck roher Grausamkeit ersetzt.
Bewaffnet waren die unheimlichen Gesellen mit langen Büchsen, die sie vor sich, quer über den Sattel gelegt, trugen, mit Messer und Pistolen im Gürtel.
Zwischen den beiden rauhen, furchteinflößenden Gestalten ritt ein schlanker Knabe, welcher wohl kaum mehr als sechzehn Jahre zählen mochte. Um ein hübsches, aber sehr bleiches Gesicht hing langes kastanienbraunes Haar, das wellig hernieder fiel auf einen zerfetzten und beschmutzten Hemdkragen.
Gekleidet war er in eine kurzen Jacke und lange Beinkleider von feinem, dunkelblauem Tuch, die aber, wie das gestickte Hemd, Spuren mühseliger Wanderung zeigten.
Matt war die Haltung des Knaben, traurig der Ausdruck des blassen Gesichts, und das umflorte Auge richtete sich von Zeit zu Zeit wie fragend nach dem Himmel.
Schweigend ritten die drei noch eine Weile fort, bis der Lange die Stille mit den Worten unterbrach: "Müssen uns hier ein Nachtlager suchen, Jim, erreichen den Arkansas nicht mehr."
"Meinetwegen", brummte der andre, wie es schien, übel gelaunt; "denke, sind weit genug in der Steppe."
Dem Knaben schien bei diesen Worten ein Schauder zu erfassen, und seine Blicke flogen ängstlich von einem seiner Begleiter zum andern.
Der Lange entgegnete nichts, nur suchte sein Auge umher. Als es auf einem dunklen Punkte haftete, der, einem Erdhaufen gleich, sich unfern erhob, sprengte er dahin, und bald hielt er neben dem Kadaver eines Büffels, der fast zur Hälfte schon von den gefräßigen Prairiewölfen verzehrt war.
Er pfiff und sein Gefährte galoppierte zu ihm.
Der Knabe hielt sein Pferd an, und wenn die beiden Cowboys nach ihm hingeblickt hätten, konnten sie gewahren, wie er, die Hände gefaltet, zum Himmel blickte und seine Lippen sich bewegten.
"Will dir was sagen, Ben", sagte mit rauher, doch unterdrückter Stimme der Jim angeredete Mann, "habe deine Sentimentalität jetzt satt, sind weit genug in der Wüste. Heute abend jage ich ihm eine Kugel durch den Kopf, und die Sache ist abgemacht."
Der andre blickte einen Augenblick vor sich nieder, richtete dann die dunklen Augen auf seinen Gefährten und entgegnete gedämpften Tones: "Geht mir gegen die Natur, Jim. Ist ein Kind - sage dir, geht mir gegen die Natur. Wär's ein Bursche mit 'ner Büchse in der Hand, wollte ich ihm geschwind hinhelfen - aber, ist ein waffenloses Kind, Jim, schäme mich, sage dir, schäme mich."
"Hättest dann das Geschäft gar nicht übernehmen sollen."
"Habe es mir so nicht gedacht - und sind hundert Dollar viel Geld - aber hätt's nicht übernommen, wenn ich gewußt hätte, wie schwer es ist, mit ruhigem Blute ein Kind zu töten. Hat mancher mein Messer gespürt oder meine Kugel, aber waren Männer und ich dabei im Zorn oder in Selbstverteidigung. Sage dir, ist das dort ein Kind."
"Nun, und was soll nun geschehen? Wollen wir das Bürschchen wieder zurückbringen? He?"
Der lange Ben dachte einen Augenblick nach und sagte dann: "Will dir was sagen, Fellow, sind hier in einer Einöde - auf hundert Meilen kein Mensch - nicht einmal eine schleichende Rothaut - lassen den Jungen hier - mag's dann gehen wie's will."
"Unnütze Grausamkeit, eine Kugel ist Barmherzigkeit dagegen."
"Mag sein, kann's nicht übers Herz bringen. Habe das Kind beten hören -"
Der andre lachte roh auf, aber Ben fuhr, ohne es zu beachten, fort: "Fiel mir ein, daß ich auf dem Schoße meiner Mutter auch einmal gebetet habe, sage dir, Jim, wollen ihn hier allein lassen -"
"Na, meinetwegen, wenn das dein weiches Herz beruhigt, mag's sein. Aber sagt dir der Büffel nicht, daß Jäger in der Nähe waren?"
"Nein. Das Tier ist von der Herde versprengt und von den Coyotes totgehetzt. Hier kommen weder Büffel noch Jäger her."
"Well, bin einverstanden, lassen den Jungen hier - nur fort aus dieser elenden Steppe."
Schweigend ritten sie hierauf zurück zu dem ergeben harrenden Knaben, den eben die letzten Strahlen der sinkenden Sonne beschienen.
"Wollen hier zur Nacht bleiben, Master Paul, sucht euch ein Plätzchen, können heute den Arkansas nicht erreichen."
Gehorsam stieg der Knabe ab. Ihm folgten hierin die beiden Männer. Die Pferde wurden abgesattelt, angepflockt, und alle drei ließen sich auf wollenen Decken nieder, die sie von den Sätteln genommen hatten, der Knabe etwas abseits von den Gefährten.
Sie zogen Mundvorrat hervor, bestehend aus gedörrtem Fleisch und Maisbrot. Ben bot dem Knaben Speise, die dieser auch nahm und langsam zu verzehren begann, während Jim aus seiner Satteltasche eine Blechflasche hervorholte, und mit deren stark duftenden Inhalt sein Mahl würzte. Ein gleiches tat auch der Lange.
Nachdem er einen herzhaften Schluck genommen, bot er sie dem Knaben; dieser wollte sie zurückweisen, aber ein rauhes: "Wird's bald!" veranlaßte ihn, einen Schluck des feurigen Trankes zu nehmen. Hustend gab er dann die Flasche zurück.
Bald hatten die Männer ihr frugales Mahl beendet. Die Nacht war völlig herabgesunken und Jim zog den Sattel heran, und streckte sich, diesen als Kopfkissen benutzend, zur Ruhe aus. Bald verkündete sein Schnarchen, daß er schlief.
Ben saß noch aufrecht.
Nach einer Weile sagte er zu dem Knaben: "Legt euch nieder, Master Paul, und schlaft."
Mit sanfter Stimme fragte dieser dann: "Wo führt ihr mich hin? Was habt ihr mit mir vor?"
"Werdet alles erfahren, wenn wir morgen den Arkansas erreichen; macht euch keine Sorgen - geschieht euch nichts - wird sich alles aufklären."
Paul schwieg und sah zu dem Sternenhimmel empor, von dem die fernen Welten in heiterem Glanze herunterleuchteten.
Ben saß noch aufrecht und starrte vor sich hin.
Plötzlich unterbrach er die Stille mit den Worten: "Glaubt ihr an Gott, Master Paul?"
Der Knabe erschrak über die Frage, entgegnete aber dann in einem Tone, aus dem die innigste Überzeugung widerklang: "Oh ja, ich glaube an ihn."
"Und daß er das Gebet der Unschuldigen hört, und auch erhört, Master?"
"Auch das, er ist der Ewige, der Allgütige."
Der Cowboy erwiderte nichts, sandte eine Zeitlang Dampfwolken vor sich hin, die er seiner kleinen Pfeife entlockte; klopfte sie dann aus, und sagte endlich: "Es ist gut, Master Paul", und streckte sich wie sein Gefährte zum Schlafen aus.
Eine Zeitlang noch saß der Knabe, die Hände auf den Knieen gefaltet, da. Endlich überwältigte auch ihn die Müdigkeit, er hüllte sich in die wollene Decke, und sein Geist wandelte aus der ihn umgebenden trüben Wirklichkeit in das Land der Träume hinüber, die ihm die Heimat, das Elternhaus und all das ruhige Daseinsglück vorgaukelten, denen er rauh entrissen worden war.
Mitternacht mochte vorüber sein, als der Ben genannte Mann sich geräuschlos erhob und sein Pferd sattelte. Dann nahm er seinem Gefährten den Sattel unter dem Kopf hinweg und legte ihn auf dessen Tier.
Hierauf weckte er Jim, indem er ihn rüttelte.
Dieser war rasch auf den Beinen, sein Gefährte forderte ihn leise auf, davonzureiten und dieser, einen Blick auf den ruhig schlafenden Knaben werfend, nickte und bestieg sein Roß, nachdem er die Decke, auf welcher er gelegen, auf dessen Rücken geworfen hatte.
Ben that das Gleiche und ließ dabei, unbemerkt von dem andern, ein Stück Rauchfleisch fallen.
Jim nahm das Tier des Knaben am Zügel, und dann ritten sie im Schritt in der Richtung, in der sie gekommen waren, davon.
Der schlafende Knabe blieb allein in der Wüste zurück.
In einiger Entfernung ließen die Cowboys die Rosse Galopp ansprengen, und entfernten sich nun schnell von der jetzt einsamen Lagerstätte Pauls.
Ein dumpfes, knurrendes Geräusch ließ sie aufschauen, und sie gewahrten im Grase, nur undeutlich wahrnehmbar, hin- und hersprengende Tiergestalten.
"Ah, zum Teufel, der Coyote!" sagte Ben und hielt sein Roß an.
"Ja", lachte der andre in heiserem Tone, "der Coyote. Glaubst du denn, ich hätte das Milchgesicht lebendig zurückgelassen, wenn ich nicht wüßte, daß der Coyote rasch mit ihm aufräumen würde?"
"An die Bestie hatte ich nicht gedacht."
"Aber ich. Sahen ja, was er an dem Büffel für Arbeit gemacht hatte."
Ben machte Miene, sein Roß zu wenden, doch Jim stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus und sagte dann: "Bist du verrückt genug, zurückzureiten, nun, so hol' dich der Teufel. Wirst übrigens wenig mehr von ihm vorfinden." Damit spornte er sein Roß und sprengte weiter.
Nach kurzem Besinnen jagte der Lange ihm nach, indem er murmelte: "Gott mag's mir verzeihen, ich glaubte es gut zu machen", und beide verschwanden in der Nacht.
Den fest schlafenden Knaben hatte der Fortgang seiner Begleiter nicht geweckt, er schlummerte ruhig weiter.
Glänzend schienen die Sterne hernieder auf das einsame Kind, welches nur von dem Auge dessen erschaut wurde, der über uns alle wacht. Wohl eine Stunde mochte so vergangen sein, als heiseres Bellen und Geheul von der Gegend her drang, wo die Reste des Büffels lagen. Eiligst huschte dann ein Tier an dem Schlafenden vorüber. Ein in der Nähe des Knaben laut werdendes Geheul wurde von fernher gellend erwidert:
War es die Kühle der Nacht, waren es die grimmigen Laute, welche ihn erweckten, der Knabe erwachte und schaute sich um. Finsternis umgab ihn.
Er horchte - alles war still. Dann richtete er sich halb auf, und rings um ihn stoben heulend die scheuen Wüstenräuber auseinander, welche sich vorsichtig genaht hatten.
Der Knabe sah sich nach seinen Gefährten um - sie waren verschwunden; - auch sein Pferd war fort - und aus der Dunkelheit starrten ihn die grünlich glänzenden Lichter der Steppenwölfe an.
Paul erschrak in der Tiefe der Seele, er wußte, welche Gefahr ihm drohte, so feige der Coyote auch, besonders den Menschen gegenüber, für gewöhnlich ist.
Der Knabe war von Natur mutig, doch lähmte ihn jetzt fast das Entsetzen.
Heulend umkreisten ihn die Bestien. Er erhob sich ganz, und die scheuen Wölfe wichen zurück.
Gleich darauf erhob einer seine Stimme, die andern fielen ein, und im wilden Jagen rasten sie in einiger Entfernung um Paul herum.
Die Bewegungslosigkeit ihres Opfers machte sie dreister; sie kamen näher und näher, immer in der Runde umherjagend, und der Knabe, Todesschrecken im Gebein, unfähig, eine Bewegung zu machen, unfähig fast, zu denken, stöhnte leise: "Gott, Gott, sei mir gnädig!"
Einer der Wölfe war ihm so nahe gekommen, daß er das Stück Fleisch, das Ben absichtlich hatte fallen lassen, erhaschen konnte und triumphierend davontrug.
Einige der Tiere stürzten sich auf ihn, ihm die Beute zu entreißen, und bissen sich mit ihm herum - dies erregte augenscheinlich den Blutdurst der andern stärker, und schon schickten sie sich an, in wildem Anlauf ihr Opfer zu überwältigen, als aus ziemlicher Nähe, rasch aufeinanderfolgend, zwei Schüsse krachten, drei der Wölfe sich am Boden wälzten, und die andern in wilder Flucht mit Lauten des Entsetzens davonjagten und in der Nacht verschwanden.
Der Todesschreck lagerte so bleiern auf dem Knaben, daß das freudige Gefühl, im letzten Augenblicke Rettung aus drohender Gefahr gefunden zu haben, nicht gleich aufkommen wollte. Noch stand er wie versteinert, als eine hohe Gestalt undeutlich sichtbar ward und eine Stimme sagte: "Wen haben wir denn eigentlich hier?" Gleich darauf stand ein Mann neben dem Knaben, ein Mann von ungewöhnlicher Größe, und schaute ihn aufmerksam an.
"Ein Kind, soll mir Gott helfen; ein Kind. Haben sie dich hier allein gelassen, Junge?"
Zu antworten vermochte Paul nicht. Das Gefühl des Schreckens, welches ihn lähmte, machte sich zunächst in einem heftigen Thränenstrome Luft.
Geduldig wartete der Mann und lud währenddes gemächlich seine Doppelbüchse, die er eben auf die Coyotes abgefeuert hatte.
Endlich rannen des Knaben Thränen sanfter.
Der Fremde legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: "Beruhige dich, mein Junge, die kommen nicht wieder."
Paul hob das Haupt empor und blickte durch seine Thränen in das über ihn gebeugte Gesicht seines Retters, das ihn freundlich anschaute.
Nun fand er auch Worte: "Gott sei Dank", sagte er aus tiefster Seele - "Gott sei Dank - und Ihnen, Sir, - ah - Sie kamen zur rechten Zeit."
"Sagst wahr, Kind, eine Minute später durfte ich nicht kommen."
Paul schauderte, ja - eine Minute später hätte der Mann nicht kommen dürfen.
"Komm, setz dich neben mich und erzähle mir, wie du in diese Wüste kommst, die selbst der wilde Heide meidet."
Er ließ sich zur Erde nieder und Paul setzte sich neben ihn.
Der Fremde fuhr fort: "Sehe da, schon im Abendlicht, drei Reiter in der Steppe, hier - auf diesem Ufer des Arkansas. Wundere mich um so mehr, als zwei augenscheinlich Cowboys waren; konnte aus dem dritten nicht recht klug werden, war doch zu weit davon ab. Schlendere aber langsam nach. Als es dunkel wurde, legte ich mich nieder, wache aber gegen Mitternacht auf, als die zwei Cowboys dicht an mir vorbeigaloppierten. Zwei nur? dachte ich. Wo blieb denn der Dritte. Gehen wunderliche Sachen vor in der Wüste, Kind. War neugierig, zu erfahren, was aus dem Dritten geworden sei, ging in der Richtung, aus welcher die Gesellen kamen, weiter, nun - und kam zur rechten Zeit."
Der Knabe hatte seine Thränen getrocknet und horchte aufmerksam der Stimme des Fremden, die einen angenehmen Klang hatte.
Er hatte nach der gewaltigen Erregung, welche die nahe Todesgefahr hervorgerufen hatte, seine Ruhe soweit wiedererlangt, daß er gesammelt antworten konnte: "Diese beiden Menschen haben mich gewaltsam hierhergeführt, Herr - aus welchen Gründen, weiß ich nicht. Was sie mit mir vorhatten, weiß ich nicht -"
"Viel Gutes gewiß nicht", warf der Fremde ein.
"Ich fürchtete, sie wollten mich ermorden."
"War genau dasselbe, indem sie dich hier allein ließen - hätten die Coyotes kurzen Prozeß mit dir gemacht, und wenn die nicht - die auch selten hierherkommen, und nur von dem Büffel, den ich gestern jenseits des Flusses anschoß, hierhergelockt worden sind, so hätte dir der Hunger ein langsames Ende bereitet. Aber warum sollten dich die Burschen ermorden wollen?"
"Ich weiß es nicht, Herr."
"Hm, sonderbar. Muß doch einen Zweck haben, einen Jungen so weit in die trostlose Wüste zu führen, um ihn da aus dem Wege zu räumen?"
"Ich kenne ihn nicht, Herr."
Der Tag war langsam heraufgestiegen, und sandte bleiche Strahlen über die Steppe. Paul vermochte jetzt seinen Lebensretter genauer zu betrachten. Es war eine riesenhafte Gestalt, welche neben ihm, sich auf den Ellenbogen stützend, ausgestreckt lag. Das mächtige Haupt umgab ziemlich langes, graues Haar, welches unter einer Mütze aus Otterfell herniederfiel, das gebräunte Angesicht, von dichtem Bartwuchs eingerahmt, war gut geformt, wenn es auch die Spuren von Strapazen und eines entbehrungsreichen Lebens trug, aber sein Ausdruck war ehrlich und gutmütig, und der Blick der blauen Augen verstärkte diesen nur.
Es war ein Gesicht, welches Vertrauen erweckte.
Wiederum schaute der Fremde forschend in das hübsche, offene Gesicht des Knaben.
Beide schienen mit den empfangenen Eindrücken zufrieden zu sein.
"Ja, aber mein Junge", sagte dann der Fremde, "du bist doch alt genug, wie alt bist du denn?"
"Sechzehn Jahre, Herr."
"Na, also doch alt genug, um dir Gedanken darüber gemacht zu haben, weshalb man dich entführt hat."
"Das habe ich auch, Herr. Anfänglich glaubte ich, man wolle ein Lösegeld von meinen Angehörigen erpressen, ob mir gleich das unheimliche Gebaren des einen der beiden, die mich hierherführten, Besorgnis für mein Leben einflößte. Jetzt, da sie mich hier in dieser Wüste allein zurückgelassen haben, bezweifle ich nicht mehr, daß es auf mein Leben abgesehen war. Ohne euer rechtzeitiges Eingreifen, Sir, wäre ich bereits von dieser Erde abgeschieden. Oh, ich danke euch von ganzem Herzen, ich bin doch noch zu jung, um zu sterben."
"Wen die Götter lieb haben, rufen sie zeitig zu sich", sagte der Fremde so leise vor sich hin, daß ihn Paul nicht verstand.
Eben leuchtete der erste rötliche Strahl der Sonne über die weite Fläche und überzog die beiden einsam weilenden Gestalten mit goldigem Schimmer.
Beide schwiegen, ganz in den großartigen Anblick versunken, den das aufsteigende Tagesgestirn gewährte, welches die Steppe zauberisch mit seiner Lichtflut übergoß.
Nach einer Weile erhob sich der Mann, und jetzt erst im Tageslichte, und da er aufrecht stand, konnte Paul die riesenhafte Größe dieser Gestalt, die mehr als sechs Fuß messen mochte, erkennen. Auch er erhob sich, doch ob er gleich groß für sein Alter war, kam er sich neben seinem Gefährten wie ein Zwerg vor.
Der Fremde, in ein Jagdhemd von Büffelleder gekleidet, welches so geschmeidig und weich war, daß es sich allen Körperformen anschmiegte, zeigte in seiner äußeren Erscheinung und Bewaffnung den Jäger des Westens. War seine Haltung auch männlich kräftig, so deuteten doch das gefurchte Antlitz wie die Farbe des Haares und Bartes darauf hin, daß er die Mitte des Lebens bereits seit Jahren überschritten hatte.
Er ließ seine Augen rings über die Prairie fliegen und richtete sie dann auf seinen jugendlichen Schützling.
"Hast du Kraft, einen kleinen Marsch zu machen, Kind?"
"Ja, Herr, ich bin bereit."
"So komm, ich weile ungern hier in der verrufenen Steppe, und nur der Büffel hat mich herübergelockt; ich wollte sein Fell haben, denn ich wußte, daß er nicht weit kommen konnte. Nun haben mich die Wölfe um meine Beute betrogen. Komm, bis zum Flusse sind es nur wenig Meilen, und ich habe drüben ein Shanty. Dort kannst du dich ausruhen und mir dann deine Schicksale erzählen."
Damit warf er die schwere Büchse über die Schulter und schritt so kräftig aus, daß der Knabe ihm nur mit Anstrengung zu folgen vermochte. Der Riese bemerkte es und mäßigte seinen Gang.
Schweigend schritten sie eine geraume Weile nebeneinander her, bis sie endlich an das mit Büschen und Bäumen umsäumte Ufer eines breiten Flusses gelangten, der seine trüben, gelblichen Wasser in einer tiefen Einsenkung des Bodens gen Westen wälzte.
Als sie durch einen schmalen Waldstreifen, der dicht mit Unterholz durchsetzt war, niedergestiegen waren, und am Rande des Wassers standen, gewahrte Paul in einer kleinen Ausbuchtung ein indianisches Kanoe, in welchem einige Büffelfelle lagen. Sie gingen darauf zu, und der Jäger lud durch eine Gebärde den Knaben ein, das ziemlich große Boot zu betreten, und folgte selbst nach. Es bedurfte der gewaltigen Kraft des Mannes, um das Fahrzeug quer über den breiten, rasch dahinflutenden Strom zu treiben. Doch nach kaum einer Viertelstunde landeten sie am jenseitigen Ufer, welches gleichfalls mit Schilf, Büschen und oftmals dichtstehenden Bäumen besetzt war, wie das, welches sie verlassen hatten. Der Trapper zog das Boot aufs Land und befestigte es sorgfältig noch an einem Baume. Dann nahm er die Büffelhäute auf seine mächtigen Schultern, das Ruder gab er Paul zu tragen, und schritt am Ufer hinauf, wo der Knabe nach einiger Zeit eine Blockhütte bemerkte, die von Büschen umstanden und von einigen Fichten beschattet war.
"Das ist mein Heim", sagte der Jäger, "und nun sollst du bald die Gastfreundschaft der Wüste kennen lernen."
Er warf die Büffelhäute ab, öffnete die unverschlossene Thür der Hütte, in welcher dem flüchtigen Blicke sich Felle, Waffen, kleine Fässer und Kisten, Blechgeschirre, ein Herd und mannigfache andre Dinge zeigten. Der Trapper wies auf einen Stapel kleingespaltenen Holzes und sagte: "Gib davon her, Junge."
Dieser gehorchte, und bald loderte auf dem Herd Feuer empor, kochte in einem Kessel Wasser, welches einem nahen Quell entnommen war. Der Trapper langte Thee hervor und goß das kochende Wasser in die Kanne. Er nahm dann Maisbrot und die gebratene Keule einer Antilope aus einem kleinen Verschlage, reichte Paul ein Messer, gab ihm einen Blechbecher, wies auf Kanne und Nahrungsmittel und sagte: "Greife zu, Kind, es wird gern gegeben", und mit herzhaftesten Appetit machten sich beide an das frugale, aber reichliche Frühstück.
Nachdem der Hunger gestillt war und neues Wohlbehagen den Leib des Knaben durchzog, der seit Tagen nur gedörrtes Fleisch, und das knapp zugemessen, genossen, den Luxus eines warmen, belebenden Getränkes aber entbehrt hatte, legte er das Messer nieder.
Der Trapper zündete seine Pfeife an und rauchte ruhig vor sich hin.
Nach einer Weile wandte er sich an den bescheiden harrenden Knaben mit der Frage: "Wie heißest du?"
"Paul Osborne, Sir."
Es zuckte wie ein Wetterstrahl über das braune Gesicht des Riesen, und ein dumpfer Laut entfuhr seiner breiten Brust.
Der Knabe erschrak heftig und fragte nach einer Weile, während der Trapper schwer atmete und dabei die Hand vor das Gesicht geschlagen hielt: "Ist euch nicht wohl, Sir?"
Es verging Zeit, ehe der Trapper die Hand von seinem Gesicht entfernte und antwortete. Die Züge hatten fast ihren gewöhnlichen Ausdruck, als er sagte: "Es ist nichts, Kind, ein alter Rheumatismus, der mir manchmal zu schaffen macht, zog mir plötzlich durch die Glieder."
Er zündete die Pfeife, welche ausgegangen war, wieder an und fragte: "Also wie heißest du?"
"Paul Osborne."
"Woher?"
"Arkansas, Sheffieldscounty."
"Gut. Dein Vater?"
"Ach, Herr, mein Vater, John Osborne, ist seit drei Monaten tot", entgegnete der Gefragte mit schmerzlicher Betonung. Der Jäger mußte wieder einen Anfall seines Leidens haben, denn von neuem zuckte er zusammen, und im Schmerz bedeckte er wie vorher die Augen mit der Hand. Dann stand er auf und ging hastig hinaus. Der Knabe blieb ratlos, angstvoll harrend sitzen. Endlich öffnete sich die Thür, der Alte kehrte zurück und äußerte: "Man wird ein altes Jammergerippe". Nach einiger Zeit fuhr er fort: "Nun erzähle mir, wie du in die Hände der beiden Banditen gefallen bist, die dich hierhergebracht haben."
Traurig sagte der Knabe: "Ich war auf der Schule zu Little Rock, als ich die Schreckensnachricht von meines Vaters plötzlichem Tode erhielt. Ich eilte nach Hause und konnte nur noch seine teuren Reste zu Grabe geleiten. Ich stand allein da, verwaist, früh Herr eines großen Vermögens geworden, welches mein lieber Vater für mich erworben hatte. Ach, wie gern wollte ich darauf verzichten, wenn er noch lebte."
"Bist du der einzige Erbe?"
"Ja, Herr, ich war das einzige Kind meines Vaters."
"Bei deinem jugendlichen Alter muß dir doch das Gericht einen Vormund gesetzt haben, wenn nicht einer im Testamente ernannt war."
"Ein Testament fand sich nicht vor, und zu meinem Vormunde ernannte der Richter einen Bruder meines Vaters."
"Wen?" schrie der Trapper so laut, daß Paul zusammenzuckte. Dies gewahrend, setzte er hinzu: "Entschuldige, Junge, ich verstand nicht - also wen?"
"Einen jüngeren Bruder meines Vaters, Mr. James Osborne."
"Gut, weiter."
"Ich kannte Onkel James wenig, denn er war früher in Kolorado ansässig gewesen und hatte sich erst wenige Monate vor meines Vaters Tode wieder in unsrer Nähe niedergelassen."
"Weiter, weiter."
"Er übernahm die Verwaltung des mir gebliebenen Vermögens, welches in ausgedehnten Ländereien und einer Ziegelei bestand, und ich kehrte nach Little Rock zurück, um meine Studien zu vollenden.
"Als ich in den Ferien heimkehrte, machte mir der Oheim den Vorschlag, nach den Prairien im Kansasterritorium aufzubrechen."
"Nach den Prairien? Aus welchem Grunde?"
"Mein Vater hatte auch dort ansehnliche Länderstrecken erworben und züchtete große Rinderherden, die unter der Aufsicht einiger Cowboys standen. Der Oheim meinte, es sei Zeit, einmal nach meinem Eigentum dort zu sehen. Mir konnte natürlich nichts größere Freude bereiten als ein Ritt in die Steppe, und wir machten uns alsbald auf den Weg.
"Die Reise wurde, als wir uns von den Ansiedlungen entfernten, immer beschwerlicher, auch die Menschen, denen wir begegneten, zeigten sich immer zügelloser und roher. Zum erstenmal bekam ich dort auch Indianer zu sehen, wild genug aussehende Menschen."
"Weißt du, von welchem Stamme sie waren?"
"Die Leute, welche uns begleiteten, meinten, es seien Männer vom Volke der Cheyennes."
"So? Gut. Weiter."
"Wir waren seit sechs Tagen in der Steppe, ohne unsre Herden gefunden zu haben, als wir nächtlich in unserm Lager überfallen wurden."
"Von wem?"
"Ich glaube, von Indianern. Es war dunkle Nacht, und ich habe wenig gesehen, auch war ich so erschrocken, daß ich kaum etwas von mir wußte. Es war furchtbar. Das wilde Geschrei, das Knallen der Büchsen; es gellt mir noch immer in den Ohren. Ich stürzte in Todesangst fort, in die Steppe hinaus, als ich plötzlich ein Pferd hinter mir schnauben hörte und eine starke Hand mich im Nacken ergriff. Ich war von Todesangst so überwältigt, daß ich nicht einmal einen Ruf auszustoßen vermochte, ich vernahm nur eine rauhe Stimme: 'Töte ihn nicht, Jim', fühlte einen Schmerz auf dem Kopfe und verlor das Bewußtsein. Als ich zu mir kam, graute schon der Tag, und ich befand mich in Gesellschaft der beiden Gesellen, die ihr gestern abend gesehen habt, allein in der weiten Prärie."
"Hm. So? Nun, und dein Oheim und die andern, was wurde aus denen?"
"Herr, ich weiß es nicht, weiß nicht, ob sie leben, ob man sie getötet hat", sagte der Knabe schmerzbewegt. "Ich bin aus dem Schlummer aufgeschreckt, schlaftrunken und in Todesangst fortgestürzt. Hatte auch keine Waffe, um mich zu verteidigen."
"Und was begann man dann mit dir?"
"Ich ward auf ein Pferd gesetzt, welches einer der beiden mit sich führte, und mußte ihnen in aller Eile folgen."
"Wie lange warst du bis gestern abend unterwegs?"
"Vier volle Tage, Herr."
"Weißt du, aus welcher Himmelsgegend du kamst? Ritten die Kerls in gerader Richtung oder schlugen sie Haken?"
"Ich nehme an, daß wir den ganzen Ritt in gerader Richtung nach Westen zurückgelegt haben."
"Nun, und die Burschen, die dich hierherführten, ließen sich die nicht darüber aus, was der Überfall bezweckte, wie er ausgefallen, aus welchem Grunde sie dich so weit in die Wüste schleppten?"
"Sie beantworteten keine meiner Fragen; der eine nur, Ben genannt, der Lange, meinte, am Arkansas würde ich alles erfahren. Es war ein trauriger Ritt hierher mit diesen so furchteinflößenden Begleitern."
Paul schauderte in der Erinnerung zusammen, dann sagte er mit Innigkeit: "Doch Gott hat mein Gebet erhört und mir euch als Retter gesandt. Wie darf ich euch nennen, Sir?" fragte er dann bescheiden.
Der Trapper lachte bei dieser Frage, aber es war ein bitteres Lachen. "Haha! Junge, habe hier in der Steppe der Namen mehrere geführt, die mir die Jäger und Indianer gegeben hatten, hießen mich bald den Büffel, bald Goliath, bald Starkhand und was der Bezeichnungen mehr sind, die man hier in der Wildnis nach seinem Äußern oder seinen Eigenschaften erhält. Seit einigen Jahren, nach einem kleinen Scharmützel mit den Spitzbuben, den Kiowas - das ist ein Indianervolk, welches sich hier in den Steppen am Arkansas umhertreibt - bei welchem ich zwei der Burschen so kräftig die Schädel aneinanderstieß, daß das Hirn umherspritzte, und noch anderweitig unter ihnen aufräumte, nennen sie mich Grizzly, den 'grauen Bären', und unter dieser Firma bin ich jetzt wohl ziemlich allgemein unter Roten und Weißen hier in der Steppe bekannt. Stamme auch aus den Staaten, wie du, Junge, und führte einst einen christlichen Namen, wie andre Leute dort, hm, ist lange her. Wie du mich nennen sollst? Hm, sag einfach Oheim zu mir - hatte einmal einen Bruderssohn, der dir ähnlich sah, erinnerst mich an ihn; sag Oheim, Junge, soll dir keine verwandschaftlichen Verpflichtungen auferlegen", setzte er mit einem Lachen hinzu, welches wie vorher einen bitteren, schmerzlichen Grundton hatte. "Ist kurz und bündig, sag Oheim."
"Wohl, Oheim", entgegnete Paul, "es sei, wie ihr sagt."
Nach einer Weile fragte der Knabe dann: "Und ihr wohnt hier allein in der trostlosen Einöde, Oheim?"
"Trostlose Einöde, Junge? Hm, ja, kennst die Erhabenheit von Gottes freier Schöpfung nicht, weißt nicht, was du sagst. Giebt nichts herrlicheres auf dieser Welt als die endlose Steppe. Einöde? Hier spricht alles, Knabe, zu dem, der eine Seele in der Brust hat. Der Himmel, die Wolken, Sonne und Sterne, der Wind, ob er sanft einherweht, ob er verderbenbringend herniederrast, die Pflanzen und Blumen der Prairie, die Tierwelt, vom winzigen Käfer an bis hinauf zum mächtigen Büffelstier, alles redet vernehmlich zu den Menschen und in einer erhabeneren Weise als in den Ameisenhaufen, Städte genannt, denn es ist Gott selbst, der hier in seinen Werken zu uns spricht. Seit vielen Sommern lebe ich hier, und bin nicht einen Augenblick einsam. Mehrmals im Jahre muß ich freilich zu den Ansiedlungen fahren, um meine Felle abzusetzen und die Dinge einzukaufen, die ich nötig habe für mein Trapperleben, aber ich eile, sobald ich nur kann, zurück in die Wildnis, die mir eine teure Heimat geworden ist. Nach einem unruhevollen Leben habe ich hier endlich Frieden gefunden, und in der Steppe wird hoffentlich auch einst ruhen, was an mir sterblich ist."
Als der Trapper, dessen ganze Art zu reden, einen Mann von Bildung verriet, so sprach, leuchtete sein großes blaues Auge lebendig auf, und der stumm horchende Knabe fühlte, daß er mit tiefinnerer Überzeugung, mit einer Art Begeisterung sprach.
"Ja, Junge, das ist die Erhabenheit der Natur, lerne sie kennen wie ich, und du wirst sie lieben wie ich."
"Ich habe bis jetzt nur traurige Erinnerungen an die Steppe."
"Wird anders werden, Kind, wirst anders denken. Drüben freilich, jenseits des Flusses, ist salziger Boden, bis zum Canadian-River hin gedeiht nicht Pflanze, nicht Tier, aber auf diesem Ufer herrscht das reichste Naturleben. Wirst wohl einige Zeit bei mir aushalten müssen, ehe ich dich nach den Ansiedlungen zurückzuführen vermag, kann jetzt nicht fort, muß noch manchen Büffel schießen."
Paul war zu glücklich, den Gefahren, welche sein Leben bedroht hatten, entgangen zu sein, als daß ihm die Aussicht, einige Zeit bei seinem einsam hausenden Retter weilen zu müssen, Betrübnis erregt hätte. Im Gegenteil, jetzt wo er einen Beschützer gefunden hatte, war er mit der Freude der Jugend an ungebundenem Leben und romantischen Begebenheiten, gern bereit, für einige Zeit die Wildnis zu seiner Heimat zu machen, ob ihn gleich ängstliche Befürchtungen um das Geschick seines Oheims James nicht verließen.
"Ich werde gern bei Ihnen bleiben, Oheim, bis die Umstände Ihnen erlauben, mich zur Heimat zurückzusenden."
"Ist recht, Kind, denke wirst dich nicht langweilen. Bin auch nicht ganz allein hier; außer meinen Pferden habe ich noch einen wunderlichen Gesellschafter, erschrick nur nicht, wenn du den Kobold siehst, der meinen Aufenthalt und meine Lebensweise teilt."
Ein kurzer Pfiff ließ sich draußen vernehmen.
"Da ist er schon, nimm dich zusammen, wenn er kommt."
Kaum hatte er ausgesprochen, als eine so seltsame Gestalt im Eingang erschien, daß Paul, trotzdem er auf Ungewöhnliches durch seines Gastfreundes Andeutungen vorbereitet war, dennoch mächtig bei ihrem Anblick erschrak.
In der Thüre stand - war es ein menschliches Wesen, welches er sah, oder eines der Erdmännchen, wie die Märchenbücher sie abbildeten? - ein Wesen von erschreckender Häßlichkeit, fast die Karikatur eines Menschen.
Auf einem kurzen, gedrungenen Körper, dessen breite Schultern und gewölbte Brust große Stärke verrieten, saß ein umfangreicher Kopf, der durch das dichte, verworrene Haar noch größer erschien, als er war. Die wulstige Nase, der ungewöhnlich breite Mund, der, halb geöffnet, starke weiße Zähne sehen ließ, funkelnde Augen, welche unter hervortretenden Jochbeinen leuchteten, dies alles rief einen unheimlichen Eindruck hervor. Paul schauderte unwillkürlich zusammen, als er diese Gestalt erblickte.
Der Gnom stand still, als er Paul vor sich sah, und starrte dessen jugendlich schöne Erscheinung mit einem Ausdruck jäher Überraschung an, der sich in einen Blick verwandelte, welcher wenig Wohlwollen verriet. Der Mensch, dessen lange Arme fast bis zum Knie reichten, war wenig höher als vier Fuß, und das um Brust und Hüften schlotternde Jagdhemd ließ ihn noch ungefüger erscheinen, als die Natur ihn gebildet hatte.
"Nun, mein Puck, mein Staatsbursche", sagte freundlich der Trapper, "sieh dir deinen Gefährten an, habe ihn aufgelesen, wie ich einst dich aufgelesen habe, aber geh freundlich mit ihm um, hörst du", setzte er ernster hinzu - "er ist unser Freund, verstehst du, unser Freund."
Der verwachsene Mensch stand bewegungslos wie bisher, immerfort Paul anstarrend, dann wandte er das funkelnde Auge - das Auge war das einzig Schöne an ihm - auf den Trapper und fragte, mühsam nur die Laute hervorstoßend: "Bleibt - er - hier?"
"Nur so lange, Puck, bis ich ihn wieder zu seinen Verwandten nach den Ansiedlungen bringen kann, länger nicht."
Das finstere Gesicht des Zwerges hellte sich bei diesen Worten auf.
"Mein guter Puck ist etwas eifersüchtig auf alles, was sich meiner Gunst zu erfreuen scheint", sagte erläuternd der Trapper, "verüble ihm das nicht, Paul, er hat niemand auf der Welt, der sich um ihn bekümmert, als mich. He, Puck, du bist mein Pflegesohn, Bursche, wie?"
Mit einer Art Geheul, welches gewiß Freude ausdrücken sollte, eilte der Zwerg auf den Trapper zu, faßte seine Hand und küßte sie; der streichelte ihm mit einer rauhen Zärtlichkeit das buschige Haar und sagte: "Na, ist gut, mein Junge, verstehen uns, wie?"
"Ja, ja", kam es schwerfällig aus des Zwerges Munde. "Puck, Oheim, lieb - ah - lieb!"
"Weiß schon, weiß schon, mein Junge, bin dir auch gut. Ist ein trefflicher Bursche der Puck, Paul, wenn auch kein Adonis, wirst's schon erfahren und dich mit ihm befreunden."
Paul dachte, der grauenerregenden Gestalt gegenüber, dies würde wohl schwerlich der Fall sein, er konnte seinen Widerwillen nur mit Mühe bemeistern.
"Nun, wo kommen wir denn her, Bursche?" wandte sich der Trapper wieder an den Zwerg.
"Pferde", war die Antwort.
"'s ist recht, Puck, waren sie alle da?"
"Alle."
"Gut. Puck ist mein Gefährte, mein Pferdehirte, mein Ackerbauer, mein Fallensteller, mein Spürhund, mein Koch, mein Schneider - oh, du wirst sehen, wie geschickt er ist."
Der Zwerg grinste vor innigem Behagen bei diesen Worten und dehnte seinen Mund zu einer bedenklichen Breite aus. "Nur die edle Kunst des Schreibens fiel uns etwas schwer."
Puck lachte.
"Nicht schreiben, geht nicht. Puck kann nicht."
"Mußt schon so verbraucht werden, Junge; die Wissenschaft ist nicht für jeden. Aber du wirst wohl Hunger haben, wie?"
Der Zwerg nickte.
Der Trapper gab ihm Fleisch und Brot, und jener ließ sich auf einer Kiste nieder und speiste mit großem Behagen.
Mit einer Verwunderung, die mit Grauen und Widerwillen gemischt war, sah Paul dem allen zu.
"Habe den Burschen vor mehr als zwölf Jahren in der Steppe aufgelesen, weit von hier. War da ein Zug Auswanderer des Weges gekommen, die nach Westen zogen, hatten das Kind am Wege liegen lassen. Wie ich glauben will für tot, denn es war sorgsam eingewickelt und ein paar Blumen ruhten auf seiner Brust, wahrscheinlich von einer Mutter darauf gelegt, deren Herz auch an dieser Mißgeburt hing. Ich fand noch ein Fünkchen Leben in dem kleinen Kerl, über den ich erschrak wie du, aber er war dem Verschmachten bereits sehr nahe. Eine Antilope kam mir zum Schuß, ich erlegte sie und flößte dem sterbenden Kinde ihr warmes Blut ein, was geradezu Wunder that und das kleine Monstrum zu neuem Leben weckte. Was thun? Liegen konnte ich das Menschenkind nicht lassen. Ich nahm ihn auf die Schulter und ging den Wagenspuren nach, fand auch die Wagen und Eigentümer.
"Von den letzteren lagen einige verschmachtet neben den toten Pferden, der Durst hatte sie getötet, die andern hatten sich in der Steppe zerstreut und dort ein schreckliches Ende gefunden, wie so viele zu jener Zeit, welche das Goldfieber durch die Prairien nach Kalifornien trieb. Wer oder was sie waren, konnte ich nicht erfahren, Papiere oder dergleichen trug keiner bei sich, als ich die Leichname untersuchte. Dieses Kind war das einzig überlebende Wesen von jener Karawane. Ich lud mir meinen Findling wieder auf die Schulter und trug ihn davon. Bald darauf ließ ich mich hier nieder, und seit jener Zeit sind wir unzertrennliche Gefährten. Wie nützlich mir der Bursche ist, wirst du bald sehen, er ist das Kind der Prairie und kennt alle ihre Geheimnisse besser als ich."
Während der Trapper so sprach und Paul aufmerksam zuhörte, hatte Puck seine Mahlzeit vollendet.
"Nun komm, Paul, du sollst jetzt meine Herrlichkeiten schauen. Verstehst du mit der Büchse umzugehen?"
"Ich denke wohl", meinte Paul zuversichtlich.
"Nun, wollen gleich sehen. Zwei Dinge sind vor allem in der Steppe notwendig, gut reiten und gut schießen können. Beides mußt du lernen, denn oft genug hängt das Leben davon ab. Nimm die Büchse da", er deutete auf eine an der Wand hängende Waffe, welche Paul herabnahm, wies dann auf Pulverhorn und Kugelbeutel und forderte ihn auf zu laden. Paul unterzog sich der Aufgabe mit hinreichendem Geschick.
"Nun, so komm, du auch, Puck", und alle drei begaben sich hinaus.
Sie schritten an dem Waldsaum, welcher den Fluß einfaßte, an dessen Ufer her, stromauf.
Bald erreichten sie eine Stelle, wo die Axt Luft und Licht geschafft hatte, und einige eingefenzte Äcker Landes, welche gut von Mais bestanden waren, zeugten von landwirtschaftlicher Thätigkeit.
"Diese Maisfelder sind Pucks Domäne", äußerte der Trapper; "wenn ich auch die Bäume niedergelegt habe, die Ackerwirtschaft steht in den letzten Jahren nur unter seinem Betriebe."
Sie gingen durch das Maisfeld.
"Hier ist Tabak", er deutete auf die jungen Pflanzen, "zwar nicht das beste Kraut, aber immerhin gut genug für die Prairie. Das Pflanzen und Ernten besorgt mein Puck auch. Ja, wir ziehen sogar einige Gemüse", fuhr er weitergehend fort, "deren Samen ich von Osten mitgebracht habe, und mein Elf begriff sehr bald, wie er sie zu pflegen habe."
"So seid ihr früher Farmer gewesen, Oheim?"
"Ja, mein Junge, bin auf einer Farm aufgewachsen."
"Aber wißt ihr, ihr sprecht wie unsre Arkansasmänner, stammt ihr aus dem Staate?"
"Bin wohl am Arkansas gewesen", sagte der Trapper ernst werdend, "hatte manchen Freund im Staate, bin aber dort nicht geboren."
"Am Ende kanntet ihr meinen Vater, Sir?" fragte der Knabe lebhaft, "John Osborne?"
"Hm", entgegnete der Graue Bär, "habe der Osbornes von Arkansas mehrere gekannt, ob deinen Vater, weiß ich nicht. Mit einem Osborne, der auch vom Arkansas stammte, habe ich früher einmal lange Monate gemeinschaftlich gejagt, war ein wilder Geselle, der Edward Osborne."
Ein scharfer Blick streifte den Knaben bei diesen Worten.
"Oh, Edward Osborne", sagte Paul betroffen, "so hieß mein Oheim, der seit Jahren verschollen ist. Ich habe ihn nicht gekannt, aber mein Vater sprach oftmals von ihm."
"War ein Vagabund, he? Machte mir so den Eindruck."
"Nein, Herr", erwiderte der Knabe mit nachdrucksvollem Ernst, "das war er nicht; mein Vater, der ihn sehr lieb gehabt haben muß und seiner nur mit Wehmut gedachte, sagte, er sei ein wilder Bursche, aber ein Mensch von edler Denkungsart gewesen."
"So, so", sagte leise, wie vor sich hinsprechend, der Alte, "sagte das John Osborne?" Nach einer Weile fuhr er fort: "Freut mich, das zu hören; ja, war ein wilder Bursche, der Edward Osborne, ist ein Fakt." Hierauf schwieg er.
Paul bemerkte unter einigen Bäumen eine Erdhütte. Über dem Erdboden bildeten schräg gegeneinander gestellte Balken ein Dach. Dies war mit Erde bedeckt, und lustig sproßte Prairiegras darauf. Durch eine Öffnung im Giebel gelangte man in das unter der Oberfläche liegende Innere.
"Dies ist Pucks Palast", antwortete der Trapper dem fragenden Blicke des Knaben. "Hier drin schläft er, wenn er nicht, was er bei gutem Wetter gewöhnlich thut, unter freiem Himmel sein Lager aufschlägt. Hier kann er Tag und Nacht, ohne mich zu fragen oder zu stören, aus- und einkriechen, auf die Jagd gehen, auf seinem Pferde umherjagen, wie ihn die Laune ankommt. Dabei bewacht er so aus nächster Nähe unsre Pflanzungen."
Paul blickte neugierig in die Erdhöhle hinein, bemerkte ein aus Maisstroh und Büffelfellen hergerichtetes Lager, Zaumzeuge und Lassos, welche ringsumherhingen, mehrere Sättel, sowie eine Büchse, Bogen und Pfeile. Auch Äxte und Messer waren an den Wänden aufgehängt.
"Pucks Haus", erklärte stolz der Zwerg, "er selber gemacht."
"Der Junge sagt die Wahrheit", bestätigte der Graue Bär, "kein Mensch hat hier Hand angelegt, als er selber."
Sie gingen weiter, und Paul gewahrte einen hohen Stapel Maisstroh und daneben ein niedriges, rohes Blockhaus, nur mit flachen Balken überdacht, die, gleichwie die Höhle Pucks, mit Erde bedeckt waren.
"Dies ist unser Kornmagazin, Pelzlager und Stall. Obgleich die Pferde auch im Winter im Freien bleiben können, denn sie finden auch unter dem Schnee Nahrung genug, so kommen doch oft Schneestürme, die sie zu regelloser Flucht zwingen und weit abtreiben. Für solche Fälle haben wir diesen Schuppen und sammeln Vorrat an Stroh und Mais genug, um sie füttern zu können."
"Wohnt ihr im Winter auch hier?"