Der König der Miami - Franz Treller - E-Book

Der König der Miami E-Book

Franz Treller

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Beschreibung

In 'Der König der Miami' taucht der Leser ein in eine faszinierende Welt der Korruption, Macht und Intrigen in einem Miami des 21. Jahrhunderts. Franz Treller entspinnt seine Geschichte mit einem prägnanten und bildhaften Schreibstil, der den Leser von der ersten Seite an in den Bann zieht. Das Buch bietet einen tiefen Einblick in die dunklen Seiten der menschlichen Natur, während es gleichzeitig eine packende Handlung präsentiert, die den Leser bis zum Schluss fesselt. Mit seinen vielschichtigen Charakteren und raffinierten Plot-Twists hebt sich 'Der König der Miami' von anderen Krimis ab und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck beim Leser.

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Franz Treller

Der König der Miami

Nikunthas, Der Schnelle Falke
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INHALTSVERZEICHNIS

Begegnung auf dem Ontario

Die Pirateninsel

Ni-kun-tha – der Schnelle Falke

Ein Puritaner

Der Gefangene

Piraten an Bord

Ni-kun-thas Kriegslist

Lord Somerset

Der Sohn Tana-ca-ris-sons

Die Befreiung

Gefährliche Begegnung

Way-te-ta – der blonde Indianer

Eine Überraschung

Der Marterpfahl droht

In der Hand der Huronen

Flucht ins Franzosenlager

Ni-kun-tha – der Fuchs

Die weiße Squaw

Wiedersehen in der Schlacht

Der König der Miami

Friede

BEGEGNUNG AUF DEM ONTARIO

Inhaltsverzeichnis

Ein heftiger Sturm peitschte die Wasser des Ontariosees und wühlte seine Fluten bis in die Tiefe auf. Weißmähnigen Riesenrossen gleich jagten die Wogen dahin; die Luft sprühte vom Gischt, den der harte Südwest den Wellenkämmen entführte. Der riesige See glich einem Meer im Orkan; die bergehohen Wogen bedrohten alles Lebende auf seiner Oberfläche. Die Geräusche des Sturmes und der übereinanderstürzenden Wassermassen vereinigten sich zu einer unheimlichen Sinfonie. Unter dem fahldüsteren Himmel jagten die schwarzen Wolken wie gespenstige Schiffe dahin; sie hingen so tief, daß sie die haushohen Wellenköpfe zu berühren schienen.

Da der Sturm plötzlich und unvermittelt eingesetzt hatte, ohne warnende Boten vorauszusenden, hatten nicht alle Fahrzeuge, die sich in diesem Augenblick auf dem Ontario befanden, rechtzeitig das schützende Ufer erreichen können. Ein einzelnes leichtes Rindenkanu kämpfte hart mit den Wogen; gleich einer Nußschale wurde es hin und her geworfen. In dem winzigen Fahrzeug saßen drei Männer, die es mit einer bewundernswerten Ruhe und Kaltblütigkeit lenkten. Einer der drei Indianer – denn um solche handelte es sich – handhabte das Steuer, während die beiden anderen die schaufelartigen Ruder bedienten. Die Lippen der Männer waren fest zusammengepreßt, die funkelnden Augen unverwandt auf das Wasser gerichtet. Es gehörten nicht nur Mut und Kühnheit, sondern auch eine unvergleichliche Geschicklichkeit dazu, das Kanu vor dem Winde zu halten und seine Bewegungen dem Wellengang anzupassen. Ein einziger falscher Ruderschlag, ein kurzes Nachlassen des Steuers mußten unweigerlich dazu führen, das leichte Gefährt quer vor den Wind zu bringen und es damit dem sicheren Untergange zu weihen. Denn das Ufer war weit und Hilfe nirgendwo zu erwarten.

Zwei der Indianer waren bereits gesetzten Alters, der dritte ein noch sehr junger Mann, der indessen sein Ruder mit gleicher Sicherheit wie sein älterer Gefährte führte; auch sein Gesicht zeigte die gleiche steinerne Ruhe. Das Kanu tänzelte wie ein Spielzeug zwischen den Wellen, bald verschwand es zwischen den Wasserbergen, bald erschien es auf der Spitze eines Wellenkammes, vom Gischt umsprüht. Mit unheimlicher Geschwindigkeit, mehr vom Sturm als von der Muskelkraft seiner Insassen getrieben, jagte es unaufhaltsam gen Osten.

Plötzlich begann einer der Indianer zu singen. Die getragenen, eintönigen Laute mischten sich mit dem Donnern des Sturmes und dem Gurgeln der Wellen; es war, als verschmölzen sie mit dem Tosen der Elemente zu einer phantastischen Melodie. Die beiden Gefährten des Singenden hörten zu, ohne in ihren Anstrengungen im geringsten zu erlahmen. Nicht jedes Wort des Gesanges wurde deutlich, aber immer wieder hoben sich klar und deutlich einige Satzfetzen aus dem großen Brausen heraus:

»Nana-bosch, großer Manitu – du bist über allem – du bist gut!

Die Wasser beherrschst du und den Wind in den Lüften!

Sieh deine Kinder in Not, Nana-bosch!

Sollen sie leben, so besänftige das Wasser!

Sollen sie sterben, so öffne das Tor zu den ewigen Gründen!

Du bist groß, Nana-bosch, du bist gut, deine Kinder sind dein!«

Die Worte klangen auf, vermählten sich mit dem Toben der Wasser und Winde und ertranken darin. Unentwegt handhabten die drei Indianer Ruder und Steuer, aber ihre Kräfte begannen allmählich zu erlahmen. Was hier gefordert wurde, ging über Menschenkraft.

In einiger Entfernung von dem Kanu jagte mit stark verkürzten Segeln eine Sloop über die schäumenden Wasserberge vor dem Winde dahin. Am Steuer des gedeckten Fahrzeuges stand ein hünenhafter, breitschulteriger Mann, zwei andere hielten sich an den Wanten des starken Mastes, der das dreifach gereffte Hauptsegel trug. Auch dieses ungleich stärkere und widerstandsfähigere Fahrzeug hatte alle Not, sich vor der wuchtigen Gewalt niederstürzender Wellenberge zu sichern; es wurde kaum weniger hin und her geworfen.

Der ältere der beiden am Hauptmast stehenden Männer löste sich vorsichtig von den Wanten und turnte, sich mit einer Hand an der Bordwand haltend, zu dem Steuermann hinüber. »Was meinst du, Bob? Wie siehst du die Lage?« brüllte er dem Mann am Rad durch das Tosen des Sturmes zu.

»Meine gar nichts, Sir«, brüllte der Steuermann zurück, »halte mein Schiff vor dem Wind. Sonst ist nichts zu tun.«

»Welche Richtung halten wir?«

»Denke Nordost mit ein paar Strich Ost. Müssen bald Land sichten.«

»Und dann, Bob? Was wird dann?«

Der Riese zuckte die Achseln: »Müssen versuchen, aufzulaufen. Einzige Möglichkeit, uns zu retten.«

»Werden vermutlich zu Bruch gehn bei dem Versuch.«

Ein grimmiges Lächeln verzog das Gesicht des Steuermanns: »Warten wir's ab. Ganz kampflos soll der Ontario Bob Green jedenfalls nicht haben. Die Molly hält, Gott sei Dank, einen Stoß aus.«

»Wollen's also dem Alten da oben überlassen, Bob.«

»Ihm, der Molly und mir«, sagte der Steuermann.

In diesem Augenblick kam der dritte Mann der Sloop-Besatzung über das schwankende Deck heran. Es war dies ein junger Bursche von athletischen Formen mit einem klaren, offenen Gesicht. Er streckte den linken Arm aus und schrie, um sich in dem fürchterlichen Getose verständlich zu machen: »Seht doch, da drüben!«

Die beiden anderen sahen in der Richtung des ausgestreckten Armes über Bord und gewahrten hoch auf dem Kamm einer schäumenden Welle das tänzelnde Rindenkanu.

»Alle Wetter!« knurrte der Mann am Steuer. »Eine solche Nußschale noch mitten auf dem See! Die machen's nicht lange mehr; erreichen das Ufer nie und nimmer.«

Der ältere der beiden anderen, überhaupt der älteste der drei, hatte das Glas vor den Augen und folgte den Bewegungen des Kanus im Tanz der Wogen. »Sind Rothäute«, sagte er,«und zwar drei.«

»Soll'n also von mir aus zum Teufel gehen«; Bob Green, der Steuermann, verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Etwas weniger Ungeziefer auf der Welt!«

»Sind Gottes Geschöpfe wie Ihr und ich«, sagte der junge Mann.

»Daß ich nicht lache!« brüllte Bob Green. »Gottes Geschöpfe! Bluthunde sind's, widerwärtige! Das Stück Blei nicht wert, das man ihnen in den Bauch schießt!«

Der Jüngling wandte sich, ohne zu antworten, dem Alten zu. »Wie ist's, Vater«, sagte er, »haben wir wirklich keine Möglichkeit, den Leuten zu helfen?«

»Kaum, John«, sagte der Alte. »Selbst wenn wir heranzukommen versuchten; das Kanu würde bei dem Wellengang wie ein Glasscherben an unserer Bordwand zerschellen.«

»Finde, wir müßten's trotzdem versuchen, Vater. Es sind Menschen in Lebensgefahr.«

»Was denkst du denn, was man tun könnte?«

»Ihnen ein Tau zuwerfen. Vielleicht kriegen wir sie doch an Bord.«

»Halt's für ausgeschlossen bei dem Sturm, John.«

»Dann haben wir unsere Pflicht getan, Vater. Ohne uns sind sie sicher verloren. Da sieh!« Die beiden Fahrzeuge waren näher aufeinander zugetrieben worden; man konnte die Männer im Kanu jetzt vom Deck der Sloop aus deutlicher sehen. »Ihre Anstrengungen lassen nach, ihre Kräfte versagen. Ein Wunder, daß sie sich in dem Hexenkessel überhaupt so lange hielten.«

»Zweifellos richtig – sie können nicht mehr«, sagte der Alte, »laß uns also sehen, was wir tun können.«

John war bereits mit einem Seil beschäftigt, das zusammengerollt auf dem Hinterdeck lag. Er befestigte das eine Ende am Gangspill und machte sich bereit, das andere dem Kanu zuzuwerfen. Man sah seinen Bewegungen an, daß er Erfahrung in Manövern dieser Art hatte. Wenn die Indianer das Seil zu fassen bekamen, mußte das Kanu in das Kielwasser der Sloop gerissen werden.

Der Steuermann sah den Vorbereitungen offensichtlich mißgelaunt zu.

Nackter Wahnsinn, Sir«, schrie er jetzt dem Alten zu, »absolut unmöglich, bei diesem Wellengang ein lebendes Wesen an Bord zu bekommen!«

»Laßt John gewähren, Bob«, versetzte der Alte ruhig. »Unterlassen wir den Versuch, sind die Männer rettungslos verloren. Seht, daß Ihr auf der Windseite vorbeikommt und haltet genügend Abstand, damit das Kanu nicht gegen unsere Bordwand geschleudert wird.«

»Ay, ay, Sir«, knurrte der Steuermann, »ist schon gut. Allerhand Umstände ein paar roter Halunken wegen!« Aber er brachte das Schiff in die erforderliche Richtung; das Steuer gehorchte spielend seiner Faust. Die Sloop näherte sich dem Kanu mit großer Geschwindigkeit. Da John beide Hände für den entscheidenden Wurf frei haben mußte, hatte er sich mit einem leichten Seil an der Bordwand festgebunden.

Alle drei lugten jetzt scharf nach dem Indianerboot aus. Schäumend brach sich die Sloop ihre Bahn durch die Wogen; das Wasser, das bei jeder Wellenbewegung in Sturzbächen über Bord hereingeschleudert wurde, floß zu beiden Seiten durch die Speigatte wieder ab. Das kleine Fahrzeug hielt sich wacker in dem furchtbaren Sturm, wozu freilich die Geschicklichkeit des Steuermannes nicht wenig beitrug.

John sah jetzt, daß der am Steuer des Kanus stehende Indianer das Manöver der Sloop genau verfolgt hatte. Er schwenkte das Tauende in der Luft, um den Gefährdeten klarzumachen, was er beabsichtige. Doch kam er einstweilen noch nicht zum Wurf; das winzige Rindenfahrzeug verschwand hinter einer Woge und entzog sich seinen Blicken.

Als es dann, auf einem Wellenkamm tänzelnd, wieder sichtbar wurde, sah John die Blicke aller drei Indianer auf sich gerichtet. Man hatte im Kanu verstanden, was er wollte. Der Sturm heulte und raste im Takelwerk.

Jetzt! dachte John und stemmte sich fest gegen das Bollwerk. Bei dem Toben des Wassers und dem wilden Auf- und Niederschwanken der Sloop gehörte keine geringe Kraft und Geschicklichkeit dazu, das Tau so zu werfen, daß es das Kanu erreichte. Aber John wußte den rechten Augenblick abzupassen, und der Steuermann Bob manövrierte so geschickt, daß immerhin einige Erfolgschancen gegeben waren. Als die Sloop in etwa zwanzig Schritt Entfernung an dem Kanu vorüberglitt, flog das Tau, seine Ringe entfaltend; es fiel zwischen dem Mann am Steuer und den beiden Ruderern genau über das Boot.

Im nahezu gleichen Augenblick hatten die drei Indianer das Tau auch bereits ergriffen. Mit der Kraft der Verzweiflung stemmten sie sich mit den Füßen gegen die Bootswand. Es gab einen kurzen Ruck, dann füllte das leichte Gefährt sich mit Wasser und sank; kurz darauf tauchten die drei Indianer im Fahrwasser der Sloop auf.

»Nehmt das Steuer, Sir!« rief Bob Green dem Alten zu und griff nach dem von John gehaltenen Tau. Während der Alte schweigend gehorchte, zogen die beiden aus Leibeskräften an dem Tau.

Die drei Rothäute tauchten unter. Bob und John zogen unter Aufbietung der äußersten Kraft an dem Tau, aber nur einer der drei Indianer tauchte wieder auf; die beiden anderen waren offenbar untergegangen und ertrunken.

»Halt' dich fest, Rothaut!« brüllte Bob, »zieh, Junge, zieh!«

Der rote Mann hielt fest; er war jetzt schon ganz nahe. Eine Minute später, das Heck der Sloop lag eben tief im Wasser, streckte der Riese den Arm über die Bordwand und griff in das schwarze, strähnige Haar des Gefährdeten. Gleich darauf lag der triefende Körper des Mannes auf dem Deck. Der Mann war bewußtlos, aber seine knochigen Finger umklammerten immer noch mit eisernem Griff das Tau.

Bob band den Körper des Indianers fest, damit er nicht auf dem schaukelnden Deck umhergeschleudert werden konnte, und griff wieder zum Steuer. »Zäh wie eine Katze – so eine rote Bestie!« knurrte er.

John, der Ausschau gehalten hatte, ob nicht vielleicht doch noch einer der beiden untergesunkenen Indianer auftauchen möchte, ohne allerdings das Geringste erblicken zu können, kam heran und kniete sich neben den Liegenden. Es war dies ein noch sehr junger Mann mit edlen, fast klassisch geschnittenen Zügen. Er schob ihm eine Rolle Tauwerk unter den Kopf und wandte sich dem Alten zu. »Einen haben wir wenigstens retten können, Vater«, sagte er.

»Wollen sehen, ob wir selber gerettet werden«, sagte der Alte.

»Land voraus!« brüllte plötzlich Bob und gestikulierte mit einem Arm. Die beiden anderen folgten seinem Blick. Als die nächste Wellenbewegung gleich darauf das Schiff hob, sahen sie es auch: In nicht allzu weiter Entfernung erhob sich ein bewaldetes Ufer, an dem weiß schäumende Wellen emporschlugen.

Der Alte wurde fahl im Gesicht; mit weit aufgerissenen Augen starrte er zum Ufer. »Gott sei uns gnädig!« murmelte er, »unsere letzte Stunde ist gekommen.«

Obgleich seine Worte im allgemeinen Getose ertranken, hatte der Steuermann sie gleichwohl vernommen. »Vorläufig noch nicht!« sagte er, den massigen Kopf schüttelnd. »Wir sind im Bereich der Tausend Inseln, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn die Molly da nicht ein Schlupfloch fände.«

Die zweifellos höchst gefährdete Lage des Schiffes nahm jetzt die Aufmerksamkeit aller drei Männer in Anspruch, so daß sie des geretteten Indianers nicht achteten und also auch nicht wahrnahmen, daß er zu atmen begann. Die Sloop lief mit großer Geschwindigkeit auf die Küste zu, und die Männer starrten dem Streifen bewaldeten Landes entgegen, der Rettung wie Untergang bedeuten konnte.

»An die Schote des Großsegels, John!« brüllte Bob. »Laßt es fliegen, wenn ich rufe.« John gehorchte schweigend.

Immer näher kam das Land. Einer eisernen Statue gleich stand Bob am Steuer und hielt darauf zu. Knapp tausend Schritt vor ihnen toste die Tod und Untergang verheißende Brandung. Es schien fast zu spät, als Bobs scharfes Auge eine Lücke in der weiß schäumenden Wand erblickte; seine Hand riß mit eisernem Griff das Steuer herum, das Schiff gehorchte, und der Bug der Sloop hielt hart auf das Brandungstor zu.

Auf und nieder wogte das kleine, feste Schiff; zur Rechten und Linken brandeten die Wogen. Unmittelbar vor ihnen aber war offenes Wasser, von uralten Baumriesen flankiert. Und dann sahen sie vor sich den dicht bewaldeten Uferhang. Darauf zuzuhalten, schien sicherer Untergang, andererseits gab es jetzt keine Möglichkeit des Ausweichens mehr. Mit starren Augen blickten die Männer auf die drohend näherkommende Wand, darauf gefaßt, sich beim Aufprall des Schiffes mit zerschmetterten Gliedern wiederzufinden.

Da plötzlich machte der Kanal, in den sie eingelaufen waren, eine jähe Biegung nach links. »Gott sei uns gnädig!« murmelte der Alte.

»Segel los!« brüllte der Steuermann. John, der auf dieses Zeichen gewartet hatte, reagierte blitzschnell; das große Segel blähte und füllte sich im Anprall des Windes. Mit gewaltiger Kraft riß der Riese das Steuer hart backbord, es war, als handhabe er einen Kahn.

Das Schiff gehorchte dem Steuer und fiel scharf über den linken Bug ab. Und abermals erblickten sie Land, diesmal aber eine flache, sandige Küste. Der Kanal wandte sich jetzt mit leichter Biegung nach rechts, aber die Sloop war bei dem starken Wind und dem geringen Raum unfähig, die Wendung zu machen. Bob versuchte es erst gar nicht; er ließ die Molly geradeaus auf den Strand auflaufen. Alle drei Männer stürzten bei dem heftigen Anprall zu Boden, über ihnen war ein Splittern und Krachen; der schwere Mast barst wie ein Streichholz und kippte vornüber. Die Molly aber lag fest auf Strand, mit dem Bug tief in den Sand eingegraben, während die Wellen das aufragende Heck umbrandeten.

Bob, der nicht eben sanft gefallen war, stand auf und grinste über das ganze Gesicht. »Alsdann, Sir«, sagte er, »wir haben dem alten Ontario ein Schnippchen geschlagen. Die Molly liegt sanft gebettet. Ich denke, wir kriegen sie wieder flott.«

Auch John und der Alte erhoben sich nun. »Hast du dich verletzt, Vater?« fragte der Junge besorgt. Der Alte schüttelte den Kopf. Er war wie die beiden anderen mit ein paar leichten Prellungen davongekommen. Die Sloop lag völlig bewegungslos; von dem wilden Tosen der See war hier nur noch wenig zu spüren. Sie waren unzweifelhaft gerettet. Und ganz so, als hätte der Sturm seine Wut überhaupt nur an dem kleinen Schiff auslassen wollen, begann er sich jetzt zu beruhigen, und nicht lange danach lag der Ontario so friedlich und still unter dem Himmel, als vermöchte er kein Wässerchen zu trüben.

Der Alte öffnete die unter Deck führende Luke und kletterte in den Kielraum hinab, in dem die Ballen und Fässer der Ladung gestapelt lagen. Zu seiner Freude stellte er fest, daß das Schiff kein Leck hatte. Es war, bis auf den gebrochenen Mast, unbeschädigt auf Schlamm und Sand aufgelaufen; die Ladung war trocken.

Wir können wahrhaftig Gott danken«, sagte er, wieder an Deck kommend, »wir haben nicht nur das Leben gerettet, sondern auch die Ladung.«

»Hart genug am Tode vorbei ist's gegangen«, meinte John. Der Alte reichte dem Steuermann, der sich bereits eine Pfeife angezündet hatte und dicke Qualmwolken erzeugte, die Hand. »Nächst Gott haben wir es Euch zu danken, daß wir jetzt nicht samt Ladung irgendwo auf dem Grund des Sees liegen«, sagte er, »ich werd' Euch das nicht vergessen.«

»Laßt's gut sein, Sir«, entgegnete der Steuermann. »Ich werd' mit dem alten Ontario immer noch fertig; er kennt den Robert Green, und ich kenn' ihn auch. Er hat manchmal seine Mucken, der Gute, aber zum Schluß sind wir immer noch miteinander ausgekommen.«

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich nun auf den jungen Indianer, der zu sich gekommen war, auf dem nassen Deck saß und mit verstörten Blicken um sich sah. Der Oberkörper des roten Mannes war nackt, vom Gürtel abwärts war er mit Leggins aus gegerbter Hirschhaut und Mokassins aus dem gleichen Material bekleidet.

John trat heran und löste das Tau, mit dem er den Indianer zu seinem eigenen Schutz angebunden hatte. Der Rote erhob sich und sah sich mit halb scheuen, halb verwunderten Blicken um. Er sah das Schiff, auf dem er stand, den gebrochenen Mast, den sandigen Strand und den sich in einiger Entfernung erhebenden Wald. Schließlich sah er John gerade ins Gesicht. John lächelte schwach. »Spricht oder versteht mein Bruder die Sprache der Yengeese?« fragte er.

Der Indianer antwortete nicht; er mochte die Frage auch nicht verstanden haben, seine großen schwarzen Augen starrten unter der leicht in Falten gezogenen Stirn auf den jungen Weißen. John sah, daß der rote Mann prachtvoll gewachsen war; das feuchte, schwarze Haar fiel ihm bis auf die Schultern herab und umrahmte das klare Gesicht mit den harten Linien und den fest zusammengepreßten schmalen Lippen. Er war etwas kleiner und wirkte im ganzen auch schmächtiger als John, doch konnten beide, der breitbrüstige, blonde Angelsachse und der schlanke, drahtige Indianer, als nahezu vollkommene Vertreter ihrer Rassen gelten.

Der Indianer stieß ein paar gutturale Laute aus.

Bob Green, der hereingekommen war, schaltete sich ein. »Ein Seneca ist's jedenfalls nicht«, sagte er, »wahrscheinlich überhaupt kein Irokese. Sollte es gar ein Hurone sein?« Ein Funke des Hasses blitzte in seinen Augen; John griff unwillkürlich nach seinem Arm. »Versteh' das Mingo-Kauderwelsch nicht«, knurrte der Steuermann.

»Wenn er vielleicht ein Lenni-Lenape wäre?« tastete John; »die Algonkin-Dialekte ähneln einander alle; hier und da habe ich ein paar Worte aufgeschnappt.« Er runzelte die Stirn und kramte in seiner Erinnerung.

»Zu welchem Volke gehört mein Bruder?« brachte er schließlich im Dialekt der Lenni-Lenape zusammen.

In den Augen des jungen Roten blitzte es kurz auf; sein Mund stieß hastig ein paar Worte heraus.

»Ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat, aber ich habe ihn verstanden«, sagte John, »er fragt nach seinen Gefährten.« Wieder dem Indianer zugewandt, wies er ernsten Gesichts mit der Hand auf den See hinaus. »Ewige Jagdgründe – bei Manitu!« stammelte er.

Der Indianer sah ihm starr ins Gesicht und wandte den Kopf dann langsam dem See zu. Ein Schatten fiel wie ein Vorhang über sein Gesicht. Er ging langsam mit gleitenden Schritten zum Vorderdeck, sank dort in die Knie und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Vielleicht war einer der Ertrunkenen sein Vater; er ist noch sehr jung«, sagte John leise. Der Alte nickte, und Bob Green nahm die Pfeife aus dem Mund, räusperte sich und knurrte etwas Unverständliches.

Er ist weder Hurone noch Irokese«, sagte John; »soviel steht fest. Er gehört irgendeinem der Algonkin-Völker an, mag er nun ein Ottawa, ein Lenni-Lenape oder ein Shawano sein.«

Hab' nur mal kurz mit den Seneca zu tun gehabt«, knurrte Bob« »ist eine gefährliche Rasse, aber schließlich immer noch nicht so gefährlich wie die Huronen, die Satanskerle, die den Frenchers die Geschäfte besorgen. Hätt' mir verdammt leid getan, wenn ich geholfen hätte, so einem verdammten Mingo das Leben zu retten. Na, mag die Rothaut von mir aus sein, was sie will. Mach uns Kaffee, John; dann wollen wir überlegen, wie wir aus der Schweinerei hier mit einigem Anstand wieder herauskommen.«

Es währte nicht lange, da stieg den Männern der würzige Duft des braunen Getränkes verlockend in die Nase. Bob Green brachte grinsend eine Rumflasche heran. »Kaffee ist was für Weiber«, sagte er, »mit einem guten Schuß Rum wird's ein erträgliches Männergetränk.« John breitete Schinken, kalten Braten und Maisbrot aus, und alle gaben sich nach den mit knapper Not überstandenen Strapazen dem Genuß einer kräftigen Mahlzeit hin.

DIE PIRATENINSEL

Inhaltsverzeichnis

Bei dem ›Alten‹, wie wir ihn bisher kurz genannt haben, handelte es sich um Mister Elias Burns, einen Farmer, dessen nicht sonderlich große Besitzung sehr einsam am Genesee, einem Zufluß des Ontario, gelegen war. Burns hatte wie in jedem Jahr die Sloop gemietet, um die Erzeugnisse seiner Farm nach Stacket Harbour zu bringen. Mais, Hafer, Weizen, geräuchertes und eingesalzenes Fleisch sowie Ahornzucker bildeten die Hauptbestandteile der Fracht. Besitzer und eigentlicher Führer des Schiffes war der im ganzen Bereich des Ontario weithin bekannte Bootsmann Robert Green. Da Elias Burns und sein Sohn John genügend Erfahrung in der Bedienung einer Sloop hatten und die Frühlingsstürme ausgetobt zu haben schienen, hatte man darauf verzichtet, fremde Schiffsleute anzuheuern. Der alte Burns machte die Fahrt alljährlich; der heranwachsende John hatte ihn fast immer begleitet, und bisher war die Reise immer ohne ernsthafte Zwischenfälle verlaufen. Zum ersten Male war es ihnen geschehen, daß sie unversehens von einem schnell aufkommenden Sturm überrascht, aus dem Kurs geworfen und an eine fremde Küste verschlagen wurden.

Mr. Burns war ein hochgewachsener, kräftiger und muskulöser Mann hoch in den Fünfzigern. Der Bootsmann Green, dessen hünenhafte Gestalt wir bereits erwähnten, war sowohl seiner ungewöhnlichen Körperkraft als auch seiner Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit wegen allgemein bekannt und geachtet. Er mochte erst wenig mehr als dreißig Jahre zählen; sein von Wind und Wetter tief gebräuntes Gesicht war derb geschnitten, aber offen und vertrauenerweckend. Er pflegte leicht zu poltern, aber seine zuweilen wilden Redensarten vermochten den gutmütigen Grundzug seines Wesens nicht zu verdecken. Er aß jetzt, seiner Größe und seiner Körperkraft entsprechend, mit gesundem Appetit, und John stand ihm darin nicht viel nach. Doch glitten die Augen des jungen Burns während des Essens immer wieder zu dem Indianer hinüber, der noch immer regungslos, einer bronzenen Bildsäule gleich, auf dem Vorderdeck kniete.

»Wenn Mary uns hier sehen könnte und wüßte, was wir hinter uns haben, sie würde einen hübschen Schreck kriegen«, sagte John.

»Wahrhaftig, mein Junge«, antwortete der Alte, und seine Stirn zog sich in Falten. Er gedachte der auf der heimatlichen Farm zurückgelassenen Tochter. Die Achtzehnjährige bildete mit dem neben ihm sitzenden Sohn den Stolz und den Inhalt seines Lebens. Die Mutter der Kinder ruhte seit Jahren unter der Erde. »Ich hoffe nur, daß man am Genesee nichts von dem Sturm gemerkt hat«, setzte er hinzu; »sie würden sonst aus der Angst gar nicht herauskommen. Nun, Hauptsache ist trotzdem, daß wir fürs erste geborgen sind. Was meint Ihr, Bob, wird es uns gelingen, die Molly wieder flott zu machen?«

»Nun, ich denke schon«, antwortete der Steuermann. »Eine böse Schweinerei ist's natürlich, in der wir da stecken, weiß der Teufel! Eine ganz hübsche Patsche; die Kunst ist eben, wie wir wieder herauskommen. Schätze, das Richtigste wird sein, ich nehme die Jolle und suche den nächsten Hafen auf; wird ja wohl Stacket Harbour sein. Denn Leute heranholen müssen wir, allein kriegen wir die Sloop nicht zum Schwimmen. Hat sich übrigens verdammt gut gehalten, das alte Mädchen; das müßt Ihr mir zugeben. Haben wir Glück, läuft's darauf hinaus, daß wir ein paar Tage später ans Ziel kommen.«

Aber der Mast?« wandte der alte Burns ein.

»Ja, Sir, das hilft nun nichts. Müssen uns mit einem Notmast behelfen. Fichten gibt's ja genug hier und ganz hübsche dabei; werden uns eben eine zurechtzimmern. Können dann natürlich nicht ganz so schnell fahren, aber kommen jedenfalls fort. Nach diesem Sturm können wir wochenlang mit glattem Wasser rechnen.«

»Aber habt Ihr wenigstens eine Ahnung, wo wir hier sind?«

Der Steuermann nickte: »Bin ziemlich sicher. Möchte fast eine Wette eingehen, daß wir uns zwischen den Tausend Inseln befinden.«

»Schön: Tausend Inseln. Aber befinden wir uns auf englischem oder auf französischem Boden?«

»Tja!« Bob Green hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Möchte fast annehmen, daß wir uns sozusagen in neutraler Zone befinden; daß das Land hier weder König Georg noch dem Frencherkönig gehört.«

»War' eine ziemlich unangenehme Sache, wenn wir mit den Franzosen zu tun bekämen«, seufzte der Alte, »mindestens was Schiff und Ladung angeht.«

»Kaum zu bezweifeln, Sir. Die Frenchers würden die Molly samt Inhalt höchst wahrscheinlich als Strandgut betrachten. Sind nicht wählerisch in solchen Dingen, und die Kolonien würden der alten Molly wegen kaum einen Krieg anfangen.«

»Grund genug zur Besorgnis, Bob«, sagte Burns, bedenklich den Kopf schüttelnd.

»Nun, Master, ich denke, es ist nicht so schlimm.« Der Steuermann ließ den Blick über das Wasser schweifen. »Wir sind in jedem Fall in eine ziemlich abgelegene Gegend geraten; ein Schiff verirrt sich selten hierher. Außerdem: Im Herbst hatten die Frenchers nicht ein einziges Kanonenboot auf dem See; werden inzwischen kaum eins gebaut haben. Wird zwar immer wieder vom Krieg gemunkelt, der bevorstände, aber ich glaub' das nicht recht. Die werden sich hüten, mit uns anzubinden.«

»Wenn Ihr mich fragt, – ich kann dazu kaum etwas sagen«, stellte der Alte fest. »Am Genesee sind wir von aller Welt sozusagen abgeschnitten; nur höchst selten verirrt sich irgend eine Nachricht bis zu uns. Aber irgendwer sagte mir, die Frenchers hätten sich noch im Herbst im Ohiotal mit den Virginiern herumgeschossen; außerdem soll vom Niagara aus eine Expedition südwärts gegangen sein.«

»Das wird schon stimmen«, gab Bob Green zu; »die Frenchers sind seit langem scharf auf das Ohiotal; denke aber, das geht uns hier oben nichts an; einen richtigen Krieg wird's deswegen kaum geben. Glaube nicht, daß sich König Georg groß darum kümmert, was die Kolonien in der Wildnis anstellen.«

»Nun, wie dem auch sei«, sagte Elias Burns, »da wir jedenfalls nicht wissen, auf wessen Grund und Boden wir uns hier befinden, ist höchste Vorsicht geboten. Ich möchte meine Ladung nicht verlieren. Ihr meint also, die Molly könnte wieder flott gemacht werden?«

»Das werde ich gleich ganz genau wissen«, erwiderte Bob; »werde den Kielraum untersuchen. Sind Rippen und Planken noch fest, dann bringen wir sie auch ab, und wenn sie sich noch so fest in den Sand gerannt hat.« Er nickte den anderen zu, erhob sich und kletterte in das Schiffsinnere hinab.

Unten untersuchte der Bootsmann die Schiffswände, soweit die Ladung es zuließ; er fand nichts, was auf eine Beschädigung hingedeutet hätte. Er kam wieder herauf und ließ zusammen mit den beiden anderen die Jolle zu Wasser. Gemeinsam mit Elias Burns umfuhr er das im Wasser liegende hintere Teil der Sloop, und auch hier fand sich nichts. Nachdem sie dann mit gleicher Gründlichkeit auch das Vorderteil, soweit es nicht im Sand vergraben war, untersucht hatten, ohne auf sichtbare Beschädigungen zu stoßen, schien festzustehen, daß die Molly bis auf den abgebrochenen Mast keine ernsthafte Beschädigung erlitten hatte. Der Mast hatte zwar das Bollwerk eingeschlagen, das Bugspriet aber unverletzt gelassen. Bob Green grunzte zufrieden. »Scheint in Ordnung, Sir. Machen die alte Lady wieder flott. Soll bald wieder auf dem Ontario schwimmen.«

Seid Ihr wenigstens hinsichtlich der Tausend Inseln Eurer Sache sicher?« fragte der noch immer besorgte Farmer; »mich beunruhigt es, nicht zu wissen, wo ich bin.«

,Nun«, entgegnete der Steuermann, »wäre natürlich immerhin möglich, daß wir weiter nach Norden getrieben wurden. So genau war das bei dem Ausmaß des Sturmes nicht zu berechnen. Ich werde die Jolle nehmen und das klarstellen. In jedem Fall befinden wir uns am Ostende des Sees, und ich muß Hilfe von der Südküste holen. Was meint Ihr: – wollen wir noch vor Einbruch der Nacht los und uns die Gegend ein bißchen besehen?«

»Bin unter allen Umständen dafür; möchte die Unruhe loswerden«, sagte der Alte.

»Schön. Fahren wir also!« versetzte der Bootsmann.

Ein Stapel wollener Decken und etwas Proviant wurden in die Jolle geschafft. Mr. Burns steckte einen Taschenkompaß zu sich. John ging zum Vorderdeck hinüber und stellte dem Indianer eine Platte mit gebratenem Fleisch und Maisbrot hin; der rote Mann sah nicht einmal auf; er glich noch immer einer Bronzestatue. Alle drei Weißen ergriffen Büchsen und Kugelbeutel und ließen sich in die Jolle hinab, die sich gleich darauf von der Sloop löste.

Der Himmel war jetzt vollkommen klar; die Sonne sandte ihre warmen Strahlen über Wälder und Wasserläufe. Die Männer bedienten sich zunächst der Ruder, da aber bald ein leichter Wind aufkam, setzten sie den Mast und entfalteten das Segel. Sie glitten in den Kanal hinein, der sie vom See aus hierhergeführt hatte, und stellten fest, daß er nach rechts weiterging. Sie ließen den Ontario rechts liegen und segelten weiter. Bob handhabte das Steuer. Nach links umbiegend, immer noch in einem verhältnismäßig schmalen Kanal zwischen bewaldeten Ufern dahinsegelnd, wurden sie sich sehr bald darüber klar, daß sie an einer Insel gestrandet waren, zweifellos einer von vielen, nach den Kanälen zu schließen, die sie passierten.

Nachdem sie sicher waren, daß der Kanal auf ihrer Nordseite ebenfalls in den Ontario mündete, beschlossen sie, ihn in anderer Richtung weiter zu verfolgen. Sie wendeten die Jolle und segelten, von einem leichten Windhauch getrieben, tiefer in das Insellabyrinth hinein. Nach einiger Zeit trieben sie in eine größere, seeartige Wasserfläche hinein, von der aus Kanäle nach verschiedenen Richtungen zwischen bewaldeten Ufern ausliefen. Sie kreuzten wiederholt schmälere und breitere Wasserläufe, und konnten somit nicht mehr daran zweifeln, daß sie sich inmitten einer Gruppe größerer und kleinerer Inseln befanden.

»Hab' mich nicht getäuscht, Sir«, sagte Bob Green; »der Sturm hat uns zu den Tausend Inseln verschlagen. Immerhin weit genug ab von unserem Kurs.«

»Schön, oder vielmehr nicht schön«, versetzte Elias Burns; »habe nämlich von dieser Inselwelt reden gehört, und zwar wenig Gutes. Soll hier allerlei räuberisches Gesindel geben, das den Ontario samt Umgebung unsicher macht. Idealere Schlupfwinkel als diese Inseln hier sind ja auch kaum zu denken.«

»Tja«, sagte der Bootsmann nach einer Pause des Schweigens, »kann Euch leider nicht unrecht geben. Hättet Ihr nicht davon angefangen, ich hätt' Euch nichts gesagt, um Euch nicht unnötig zu beunruhigen. Aber es ist wirklich so wie Ihr sagt: das ganze Piratengesindel von Kanada und den südlichen Kolonien hat in der Gegend hier Verstecke, die kein Mensch ausfindig machen kann.«

»Schlimm, Bob, schlimm!« Der Farmer sah betroffen auf. »Fehlt bloß noch, daß so eine Bande die Molly entdeckt. Dann dürften wir sie los sein. Und mit uns selber ist's dann wahrscheinlich auch aus.«

»Solange ich lebe, ist's mit mir grundsätzlich nicht aus«, knurrte Bob. »Außerdem: die Molly liegt dicht am See, und zwar auf der Innenseite der Insel. Wüßte nicht, was einen Strandräuber veranlassen sollte, ausgerechnet da nach Beute zu suchen.«

»Ein Zufall kann dazu führen, daß sie sie finden«, brummte der Alte.

Sie segelten weiter über das stille Wasser und glitten immer tiefer in ein Gewirr von Inseln hinein.

Kommen Indianer in diese Gegend?« fragte Burns.

Der Bootsmann zuckte die Achseln: »Immerhin anzunehmen, daß sich ein paar Rothäute zum Fischen und Jagen manchmal hierher verirren. Huronen sogar möglicherweise. Vor allem aber Irokesen: Oneida, Onondaga, Seneca.«

»Das sind alles Irokesen?« fragte John.

»Ja«, versetzte Green. »Hab' mir das mal erzählen lassen. Man spricht da von den ›Fünf Nationen‹; eigentlich sind's sogar sechs, wenn man die Tuscarora noch dazu zählt, die auch zur irokesischen Sprachgruppe gehören; sonst gibt's da noch die Mohawk und die Cayuga. Aber ich versichere Euch: Ist alles das gleiche Gesindel. Rothaut ist Rothaut!«

»Glaubt Ihr, daß wir etwas von ihnen zu befürchten hätten, wenn sie uns entdeckten?« fragte der Alte.

»Trau grundsätzlich keinem von dem Gesindel, Master. Aber wenn Ihr mich ernsthaft fragt: Ich glaub's nicht. Wenn nicht gerade irgendein Häuptling die Kriegsaxt ausgegraben hat. Sonst ist Friede zwischen den Kolonien und den Irokesen. Aber mir scheint, es wird Zeit, umzukehren; die Sonne ist schon im Sinken, und wenn's erst dunkel ist, könnt' es uns passieren, daß wir die Molly vergeblich suchen.«

»Also gut, kehren wir um«, sagte Burns.

Die Jolle wendete und glitt auf dem eben gekommenen Wege zurück. Es war nicht einfach, sich in dem Gewirr von Kanälen zurecht zu finden, doch vermochten sie mit Hilfe des Kompasses wenigstens die Richtung zu halten. Eine feierliche Ruhe herrschte auf dem spiegelblanken Wasser zwischen den schweigenden Wäldern, welche rundum die Inseln bedeckten; den Männern war es, als glitten sie durch eine Märchenlandschaft.

In der Hauptsache wuchsen hochstämmige Tannen und Fichten auf den Inseln, doch lugte dann und wann immer wieder das junge Grün alter Laubbäume zwischen den Stämmen hervor. Die Gipfel der Waldesriesen leuchteten im Licht des sinkenden Abends; geräuschlos glitt das leichte Boot vor dem schwachen Winde dahin.

Sie passierten eben das Ufer einer Insel, die im Gegensatz zu den meisten anderen felsiges Gestein an den Rändern zeigte, als John plötzlich auf einen im Wasser schwimmenden Gegenstand deutete. Bob hielt darauf zu, und es zeigte sich, daß es sich bei dem treibenden Ding um einen Bootsriemen handelte, der nahe dem Ufer herumschwamm. Während sie vorüberglitten, langte John über Bord, ergriff den Riemen und zog ihn an Bord. Alle drei betrachteten das Ruder aufmerksam. Es war ein normaler Bootsriemen, wie er hier auf dem See und in der Umgebung allgemein in Gebrauch war.

»Hat schon wochenlang im Wasser gelegen, ist beinahe ganz vollgesogen«, stellte Bob fest; »sonderbar genug, daß er überhaupt noch schwamm.«

»Hier sind Buchstaben eingebrannt«, sagte John. Bob und der Alte folgten dem weisenden Finger des Jungen und erkannten gleicherweise die Buchstaben: D. R.

Bob Green stieß einen Pfiff durch die Zähne; sein Gesicht wurde ernst. »Teufel auch!« sagte er, »wie ist das möglich?«

»Was meint Ihr?« fragte der alte Burns beunruhigt.

»Der Riemen stammt von der Jolle des DUKE OF RICHMOND«, sagte Bob. »Gar kein Zweifel.«

»Ihr meint ein Schiff?«

»Ja. Der DUKE OF RICHMOND ist hier auf dem Ontario verschwunden, als wäre er eine Stecknadel.«

»Verschwunden?«

»Habt Ihr denn nichts davon gehört?«

»Was höre ich schon am Genesee!«

»Der DUKE OF RICHMOND war die schönste Sloop, die auf dem ganzen Ontario herumschwamm«, berichtete der Bootsmann. »Sie verließ Stacket Harbour im Oktober und segelte mit Kurs auf Oswego. Da ist sie nie angekommen, und kein Mensch hat seit dem Tag ihrer Abfahrt auch nur noch das geringste von ihr gehört. Nun hat zwar am zweiten Tag nach der Ausfahrt des Schiffes ein ziemlich heftiger Sturm geherrscht, aber der DUKE war eine großartige Sloop und hatte eine hervorragende Mannschaft. Möchte sagen: Es ist nahezu ausgeschlossen, daß sie einem Unwetter zum Opfer gefallen sein soll. Noch unglaubhafter ist, daß sie ähnlich wie wir irgendwo auf Strand gelaufen ist; dann hätte man das Wrack oder wenigstens etwas von seinen Trümmern finden müssen, denn die Nachforschungen haben damals sofort eingesetzt, und zwar mit aller erdenklichen Gründlichkeit.«

Und wie erklärt Ihr Euch also die Sache?«

Vollkommen klarer Fall.« Bob zuckte die Achseln. »Piraten natürlich. Haben das Schiff überfallen, die Besatzung umgebracht, die Ladung geraubt und den Kasten versenkt. Das heißt, das ist das Wahrscheinlichste; möglich ist natürlich auch, daß der DUKE hier noch irgendwo zwischen diesen verteufelten Inseln liegt, ich glaube aber nicht oberhalb, sondern unterhalb des Wassers. Wenn ein Schiff stehend sinkt, kann es lange auf Grund liegen, bevor eine Planke zutage kommt.«

»Und Ihr meint also, der Riemen hier – –«

»Der gehörte zum DUKE OF RICHMOND, Sir, darauf könnt Ihr Gift nehmen. Wüßte nicht, daß es auf dem ganzen Ontario ein Schiff gäbe oder gegeben hätte, zu dem die Buchstaben sonst noch passen.«

»Und man hat bisher nichts von dem DUKE gefunden?«

»Nicht das geringste, Sir. Der Riemen hier ist das erste Stück von der Sloop, das eines ehrlichen Mannes Auge erblickt. Und das ist verdammt schlimm, sage ich Euch, denn nunmehr ist es vollkommen klar, daß man die Mannschaft umgebracht hat.«

»Wieso ist das klar, Bob?«

»Tja, Master, das ist verdammt einfach.« Der Bootsmann starrte auf den Fund, den John noch immer in Händen hielt. »Nicht gut möglich, daß der DUKE gesunken ist und der Riemen da als einziges Überbleibsel oben blieb. Müßte von Rechts wegen auch langst bei den Fischen sein. Die Sloop ist im Oktober verschwunden; jetzt haben wir Mai. Das Stück Holz da hat aber bei weitem nicht so lange im Wasser gelegen. Ziemlich klar, daß es bis vor ein paar Wochen noch benutzt wurde.«

»Aber schließlich können auch ehrliche Leute ein treibendes Ruder auffischen; wir haben's ja auch«, sagte der Alte; »wieso schließt Ihr so ohne weiteres auf Seeräuber?«

»Weil kein ehrlicher Mann am Ontario gezögert hätte, sofort Meldung von dem Fund zu machen«, versetzte der Bootsmann. »Das hätten in diesem Fall selbst die Frenchers getan. Denn die Geschichte hat damals ein Riesenaufsehen gemacht. Wurde eine große Belohnung ausgesetzt. Weil sich nämlich der junge Sir Richard Waltham an Bord befand, ein schwerreicher Junge, Sohn und einstiger Erbe des alten Lord Somerset, ein künftiger Peer also. Nein, Sir, klare Sache das: Hier waren Piraten am Werk. Der Gouverneur hat damals Ufer und Wälder und auch die Inseln hier absuchen lassen, aber das ist keine einfache Sache. Kriegsschaluppen und Infanterie waren unterwegs; nichts zu machen, Sir, der DUKE war und blieb verschwunden. Bin überzeugt: die Halunken haben die Jolle mitgeschleppt und sind damit zwischen den Inseln umhergefahren. Haben dann eines Tages den Riemen da verloren.«

»Das würde bedeuten, daß sich etwas von dem Gesindel hier in der Gegend herumtreibt, Bob.«

»Sehr wahrscheinlich, nachdem wir das Ding da gefunden haben.«

»Gute Aussichten!« knurrte der Alte.

Das Boot trieb langsam weiter; eine Zeitlang herrschte Schweigen zwischen den Männern. Plötzlich hob John lauschend den Kopf. »Still«, flüsterte er.

»Was gibt's?« fragte der Alte verdutzt.

»Pst! Ruderschläge.«

»Wo?«

»Dort.« John deutete in Fahrtrichtung voraus. John Burns war zwischen den Wäldern groß geworden; er hatte gute Ohren. Bob, ein kaltblütiger und erfahrener Schiffer, lugte nach einem Zufluchtsort aus. Er brauchte nicht lange zu suchen. Von dem Ufer der Insel, an der sie eben vorüberglitten, zweigte unmittelbar vor ihnen eine kleine Landzunge ab, dicht mit allerlei Buschwerk bewachsen. Die schmale, auf diese Weise gebildete Einbuchtung bot nach dem Kanal zu sicheren Schutz vor Entdeckung. »Nehmt den Mast ab, John«, flüsterte Bob.

John löste das Segel, faltete es geräuschlos zusammen und legte den Mast um. Die weit überhängenden Büsche ergreifend, zog Bob das kleine Gefährt in die Bucht hinter die nur wenige Fuß breite Landzunge. Die Ruderschläge wurden deutlicher und nun auch für die beiden anderen vernehmbar.

Gut getarnt lag die Jolle hinter dem Buschwerk der Landzunge; auf der Landseite stieg das bewaldete Ufer ziemlich hoch an. Eine kleine Einbuchtung im eigentlichen Inselufer ermöglichte es, das Boot so weit zurückzulegen, daß auch ein vom Kanal aus in die Bucht fallender Blick es nicht sehen konnte. Die Männer legten das Boot fest und griffen in schweigender Übereinstimmung zu den Büchsen.

Immer näher kamen die Ruderschläge; das Fahrzeug, von dem sie herrührten, schien unmittelbar auf das Versteck zuzustreben. Auf einen Wink Bobs legten die drei Männer sich nieder, die schußbereiten Gewehre in der Hand.

Jetzt drang auch Stimmengewirr an ihr Ohr, das bald vernehmlicher wurde. »Ich gehe an Land«, flüsterte John, »ich möchte sehen, was da herankommt.«

Der Alte nickte, und John kletterte gewandt und geräuschlos wie eine Wildkatze an dem mit knorrigen Wurzeln und dichtem Unterholz bewachsenen Steilufer hoch, um sich oben hinter Büschen versteckt niederzukauern. Er vermochte von hier aus zwischen einzelnen Baumlücken einen Teil des die Insel umgebenden Kanals zu überblicken.

Nicht lange danach sah er, das Geräusch der Stimmen und Ruderschläge immer im Ohr, auch das Boot, dem sie entstammten. Es war dies ein starkes und schweres Kielboot, das von sechs Männern gerudert wurde, während ein siebenter das Steuer bediente. Nach dem Äußeren zu schließen, schien es sich bei den Bootsinsassen um ziemlich wüste Gesellen zu handeln; rauhe und heisere Stimmen durchdrangen die ringsum herrschende majestätische Stille.

»Hoffe, Fellows, der Sturm hat ein bißchen für uns gesorgt«, sagte einer der Kerle; »sehne mich nach einer Gallone Rum wie ein Wickelkind nach der Milchflasche.«

»Alte Saufgurgel!« gröhlte ein zweiter; »hast dir doch erst gestern abend den Hals vollgegossen, daß ein anderer dran krepiert wäre.«

»Ist 'ne Krankheit, Boys«, lachte der erste, »trockene Kehle; eine verdammte Krankheit, sage ich euch. Beste Medizin dagegen: Echter Jamaika. Hab's ausprobiert.«

Der Mann am Steuer sagte mit grollender Stimme: »Nächstens laß ich dich Ontariowasser schlucken. Deine verdammte Krankheit hat unsere gesamten Vorräte aus der Welt geschafft.«

»Tut genügend Rum und Zucker dazu, und mir soll's recht sein Captain«, grinste der erste ungerührt.

Dröhnendes Gelächter schallte zu John herauf. Das Kielboot fuhr eben an der Stelle vorüber, wo die Jolle hinter der Landzunge lag. John erhob sich unhörbar und schlich mit einer Geschicklichkeit, die den geübten Jäger verriet, hinter den Uferbüschen entlang; er wollte sehen, wohin das Boot steuerte.

Doch verlor er, während er sich lautlos im Gesträuch fortbewegte, das Fahrzeug aus den Augen. Zu seiner Verblüffung verstummten die Ruderschläge plötzlich, nachdem er erst eine kurze Strecke zurückgelegt hatte, dagegen hörte er die Stimmen nach wie vor. Sie klangen plötzlich so nahe, daß John sich zu Boden gleiten ließ und einer Schlange gleich auf die Stelle zukroch, von der sie ertönten.

»Bin neugierig, wie Seine Lordschaft sich befindet«, hörte John. »Nun, Skroop ist ein liebenswürdiger Wärter; wird das Jüngelchen schon gut gepflegt haben«, versetzte ein anderer, »hat ein Herz weich wie Butter.«

Die Kerle lachten; sie konnten sich nur wenige Schritte entfernt von John aufhalten. Der bog mit unendlicher Vorsicht ein paar Zweige auseinander und sah zu seiner nicht geringen Überraschung unmittelbar vor sich einen kleinen Hafen, oder jedenfalls eine hafenartige Ausbuchtung, in der mehrere Kähne lagen. Der Zugang zum Kanal war nur sehr schmal und außerdem von riesigem Wurzelwerk bogenartig überbrückt. Dichtes, ineinander gewachsenes Strauchwerk deckte den Zugang vom Kanal aus fast gänzlich ab. Die Natur hatte hier ein von außen kaum wahrnehmbares Tor und dahinter einen versteckten Hafen geschaffen, von dessen Existenz niemand etwas ahnen konnte, der draußen vorüberfuhr. John besah sich die kleine, von steilen Ufern umgebene Wasserfläche; er hatte das Kielboot und seine Insassen unmittelbar vor sich. Wüste Gesellen waren das, wahrhaftig, nicht nur der Kleider wegen, die schmutzig und zerlumpt waren. In den Lumpen steckten kräftige, teilweise vierschrötige Gestalten mit Galgengesichtern. Die Gürtel der Männer waren mit Messern und Pistolen gespickt; auf dem Boden des Bootes lagen mehrere Büchsen.

Vom Hafen aus führten im Erdreich ausgehobene treppenartige Stufen zu der bewaldeten Anhöhe hinauf. Unmittelbar vor dieser Treppe hatte das Fahrzeug, dessen Vorderteil mit Ballen, Fässern und Säcken beladen war, angelegt.

Der Mann, der vorher das Steuer geführt hatte, offenbar der Anführer der Bande, befahl jetzt einigen Männern, die Ladung an Land zu bringen. Der Befehl wurde ausgeführt, die Männer beluden sich und keuchten mit ihren Lasten die künstliche Treppe hinauf, der Steuermann als letzter; das leere Boot blieb, leicht vertäut, vor der Treppe liegen. John, der sich ja bereits oben befand, folgte den landein Schreitenden in einigem Abstand lautlos. Erst jetzt, da er sie aus nächster Nähe erblickte, konnte er die räubermäßige Ausstattung der Burschen genau in Augenschein nehmen. Sie trugen teilweise zerrissene Jagdhemden, teilweise alte Seemannsjacken; unter breitrandigen Filzhüten wirkten die sonnverbrannten, narbenzerrissenen und von verwilderten Haaren umgebenen Gesichter wenig vertrauenerweckend. Einige trugen hohe Stiefel, andere indianische Mokassins; ausnahmslos waren sie bis an die Zähne bewaffnet. Sie schwätzten und lachten, während sie ihre Lasten durch den Wald schleppten; französische und englische Laute drangen an Johns Ohr.

Nach etwa hundert Schritten betraten die Männer, zweifellos Banditen, eine Rodung, in deren Mitte ein von einem palisadenartigen Zaun umgebenes Blockhaus stand.

»Hallo!« brüllte der Anführer. »Hallo, Skroop, alte Wasserratte! Wo steckst du? Ich mach dir gleich Beine!«

Eine Minute etwa verging, dann öffnete sich eine Tür in der Palisadenwand, und ein breitschulteriger Mann mit einem Stelzfuß kam herausgehumpelt.

»Seid ein bißchen höflicher, Hollins«, brummte der Alte. »Habt lange genug auf euch warten lassen. Will euch übrigens gleich sagen: Hab' die Geschichte satt bis zum Hals. Setzt einen anderen hierher, den Bengel zu bewachen. Oder dreht ihm von mir aus das Genick um. So oder so, ich jedenfalls habe es satt!«

»Halt's Maul, Skroop, altes Ungeziefer«, versetzte der mit Hollins angeredete Banditenführer. »Da seht her, was wir bringen: Rum, Tabak, allerlei Freßbares! Wird dich, denk' ich, beruhigen und das Gleichgewicht deiner Seele wieder herstellen.«

»Will hier nicht länger Kindermädchen spielen«, brummte der Stelzfuß. »Setzt einen anderen her.«

»Wie befindet sich Mylord?«

»Der Idiot sitzt den ganzen Tag da, ohne das Maul aufzumachen.«

»Und das gefällt dir natürlich gar nicht, was ich dir nachfühlen kann. Na schön! Allons, tragt die Sachen ins Haus. Will Mylord gleich meine Aufwartung machen. Skroop, sorge gleich für heißes Wasser. Brauchen gleich eine Herzstärkung; der durstige Bill verschmachtet uns sonst.«

Lachend verschwand einer der Burschen nach dem anderen hinter den Palisaden.

John, der diesen Vorgängen mit begreiflicher Aufmerksamkeit gelauscht hatte, trat jetzt eilig den Rückweg an, begann die Dunkelheit doch bereits hereinzubrechen. In wenigen Minuten erreichte er die Stelle, wo die Jolle lag, in der sein Vater und der Bootsmann Bob unruhig auf ihn warteten. Schnell glitt er ins Boot und berichtete den aufhorchenden Männern von seinem Erlebnis.

»Eine tolle Schweinerei. Wollen später beraten, was zu tun ist. Jetzt erst einmal fort«, sagte Bob Green und zog die Jolle aus der kleinen Bucht heraus. Mit einem gewaltigen Stoß stieß er das kleine Fahrzeug dann vom Ufer ab und ließ es in den Kanal hineingleiten. Noch war es eben hell genug, um die Einzelheiten der Landschaft erkennen zu können.

»Sonderbare Dinge habt Ihr uns da erzählt, John«, sagte Bob, während sie so geräuschlos wie Vögel zwischen den Inseln dahinglitten. »Ein Blockhaus und ein Gefangener darin – ›Mylord‹ kann natürlich eine Verhöhnung sein, aber immerhin, sonderbar genug.«

»Habt ja selbst von den Seepiraten gesprochen«, versetzte der Alte; »wird also wohl seine Richtigkeit haben. Vielleicht hat John den Schlupfwinkel der Bande ausfindig gemacht.«

»Hätte nicht übel Lust, dem Hafen einen Besuch abzustatten und die Boote zu kapern«, sagte Bob; »dann könnten die Herrschaften auf ihrer Insel Robinson spielen.«

Elias Burns schüttelte den Kopf: »Das würde wahrscheinlich wenig nützen. Erstens haben die Kerle sicherlich noch andere Schlupfwinkel in diesem Insellabyrinth, und zweitens sind die Kanäle nicht breit und leicht zu durchschwimmen.«

»Hätte trotzdem Lust, es zu versuchen.«

»Und das Gesindel damit erst auf unsere Spur zu hetzen.«

»Vielleicht. Aber es wäre jedenfalls ein Hauptspaß – hätten wir nur drei, vier weitere Büchsen, wir wollten den Burschen schon warm machen.«

Die Jolle glitt in ziemlicher Ufernähe langsam dahin. Plötzlich hörten die Männer von der Seeseite her abermals Ruderschläge, die schnell näherkamen. Bob zog das Boot dicht unter die überhängenden Äste der Uferbäume; bei der inzwischen herrschenden Dunkelheit war es so völlig unsichtbar. Die Männer umklammerten die Büchsen und verhielten vor heimlicher Erregung den Atem.

Eine Jolle, ähnlich ihrer eigenen, näherte sich. Sie war mit zwei Männern besetzt, von denen nur einer die Ruder führte. Fast unmittelbar vor ihrem Versteck hielt das Boot. Im schwachen Licht des fahlen Himmels war noch eben zu erkennen, daß der im Stern sitzende Mann einen dreieckigen Hut und einen Kapottmantel trug; der andere war wie ein Seemann gekleidet. »Der Teufel soll's holen, Sir Edmund«, sagte der Ruderer, sich nach allen Seiten umblickend, »ich kann bei der verwünschten Dunkelheit die Insel nicht finden. Es ist schon bei Tage nicht einfach. Sie muß in der Nähe sein, das ist sicher, aber in der Nacht sieht ein Baum wie der andere aus. Hätte uns der Sturm nicht gezwungen, an Land zu gehen, wir wären längst da.«

»Sperr die Augen auf, Mann!« schalt der Mann im Stern mit einer noch jungen, aber harten und kalten Stimme, »die Insel ist an ihren felsigen Uferrändern leicht zu erkennen. Du bist zu weit nach rechts abgekommen.«

»Mag sein«, brummte der andere. »Wie soll man bei Nacht, ohne alle Zeichen, den richtigen Kurs halten?«

»Fahr' in den Kanal hinein, der dort links abzweigt.«

»Schön. Übrigens ist's zweifelhaft, ob Ihr Hollins antrefft.«

»Das wird sich finden. Vorwärts!«

Der Seemann setzte die Ruder ein und wandte sich nach links. Bald darauf war die Jolle in der Dunkelheit untergetaucht. Nur das Geräusch der an die Dollen anschlagenden Riemen war noch eine Zeitlang zu hören.

Die drei Männer in ihrem Versteck hatten der kurzen Unterhaltung schweigend gelauscht und horchten nun den allmählich verklingenden Geräuschen der Bootsriemen nach.

»Verdammt merkwürdige Geschichte!« knurrte Bob Green schließlich.

»Keine Gegend für mich«, brummte der alte Burns. »Wollte, die Molly schwämme schon wieder auf dem Ontario. Wollen sehen, daß wir jetzt weiterkommen.«

»Hoffentlich finden wir die Sloop. Aber wir werden schon. Leider steht der Polarstern nicht am Himmel, und die Kompaßnadel wird bei der Finsternis auch nicht zu erkennen sein. Nun, wollen sehen.« Er schob, von Ast zu Ast über sich greifend, die Jolle aus ihrem Versteck heraus und sah gleich darauf zu seiner Freude, daß das Sternenlicht ausreichte, die Kompaßnadel erkennen zu lassen. Um sich in dieser zweifellos gefährlichen Gegend nicht durch das Rudergeräusch zu verraten, richteten sie den Mast wieder auf und setzten das Segel. Der leichte Abendwind trieb sie schnell durch das Inselgewirr. Zwei Stunden später hielten sie vor dem gestrandeten Schiff.

NI-KUN-THA – DER SCHNELLE FALKE

Inhaltsverzeichnis

Als John Burns zum Vorderdeck hinüberging, fand er den jungen Indianer dort immer noch sitzen; die in seiner Nähe stehenden Speisen hatte er nicht angerührt. »Mein roter Bruder hat Kummer, aber er muß den Schmerz bekämpfen«, sagte er leise, unwillkürlich englisch sprechend.