Der Sohn des Gaucho (Abenteuerroman) - Franz Treller - E-Book
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Der Sohn des Gaucho (Abenteuerroman) E-Book

Franz Treller

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Beschreibung

Dieses eBook: "Der Sohn des Gaucho (Abenteuerroman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Franz Treller (1839-1908) war ein deutscher Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller. Bekannt geworden ist Franz Treller durch Abenteuerromane im Stile Karl Mays, die bis in die 1960er Jahre häufig gelesen wurden. Zunächst schrieb Treller historische Abenteuerromane, häufig für ein jugendliches Publikum, deren Handlung oftmals Bezüge zur Geschichte seiner hessischen Heimat aufwies. So behandelte er z.B. in Vergessene Helden das Schicksal hessischer Soldaten während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Wichtiger waren allerdings seine Jugendromane und Jugenderzählungen, die zumeist in der populären Jungenzeitschrift Der Gute Kamerad oder in dem Jahrbuch Das Neue Universum vorabgedruckt wurden und später in zahlreichen Buchausgaben weite Verbreitung fanden. Mit den Veröffentlichungen in Der Gute Kamerad trat Treller in direkte Konkurrenz zu Karl May, der hier ebenfalls Jugenderzählungen veröffentlichte. Aus dem Buch: "Juan Perez, der Gaucho, hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen; seine Schultern zuckten wie im Krampf. Er hatte die bisher unbesiegten Pampasreiter, die Gefährten seiner Jugend, unterliegen sehen. Die Schlacht war entschieden. Rosas Armee floh, allen voran der Diktator, der vor der Wut des Volkes Schutz auf einem vor Buenos Aires ankernden englischen Kriegsschiff suchte."

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Franz Treller

Der Sohn des Gaucho (Abenteuerroman)

Geschichten aus den argentinischen Bürgerkriegen

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4180-7

Inhaltsverzeichnis

Auf dem Parana
Bellavista
Am Rio Quinto
Der Verfolgte
Die beiden de Salis
Die Felshöhle
In der Pampa
Reiterkünste
Die Puelchen
Gefährlicher Besuch
Die Gefangennahme
Der Rastreador
Im Dominikanerkloster
Die Flucht
Der junge Priester
Der Sohn des Abiponenhäuptlings
Wiedersehen
Tag der Vergeltung

Auf dem Parana

Inhaltsverzeichnis

Die dunklen Wasser des Parana flossen träge dahin, und die dichten, hochstämmigen Wälder, die den Fluß zu beiden Seiten begrenzten, ließen ihn noch düsterer erscheinen. Außer dem eintönigen, dumpfen Rauschen des Wassers war nirgendwo ein Laut. Kein Fahrzeug belebte den sonst so vielbefahrenen Fluß, der auf seinem langen Lauf zahlreiche Städte berührte; der Bürgerkrieg, der nun schon seit Jahren das Land verheerte, Menschenleben und Eigentum vernichtete und blühende Provinzen verwüstete, hatte auch die mächtige, verkehrsreiche Wasserstraße vereinsamt. Die einzigen Schiffe, die jetzt dann und wann seine Fluten kreuzten, waren stark bemannte Kriegsfahrzeuge, die Soldaten und Waffen transportierten. Die Ruhe eines Friedhofes lag über den Paranaprovinzen.

Die Sonne neigte sich schon; ihre letzten Strahlen trafen zwei Männer, die auf der Lichtung einer kleinen bewaldeten Insel saßen, durch hochragende Bambusstauden und dichtes Weidengebüsch gegen jede Sicht vom Fluß aus geschützt. Zwischen den schwankenden Schilfhalmen dicht am Ufer lag ein kleines Kanu.

Die Zweige uralter Erlen und Algaroben bewegten sich flüsternd im leichten Abendwind. Der eine der beiden Männer, ein Jüngling noch, hochgewachsen und schlank, saß, mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt, den der Sturm entwurzelt haben mochte, im weichen Gras. Aussehen und Kleidung des Mannes ließen auf den ersten Blick den Gaucho erkennen, einen dieser Zentauren der Pampas, die Könige waren auf dem Rücken ihrer Pferde. Er hatte den Poncho nachlässig um die Hüften geschlungen, seine Füße waren mit jenem eigenartigen Schuhwerk bekleidet, das sich der Pampasbewohner aus der frisch abgezogenen Haut eines Pferdebeines selber anfertigt. Der breitrandige Hut beschattete ein tief gebräuntes, sauber geschnittenes Gesicht, in dessen dunklen Augen ironische Feuer blitzten.

Sein Gegenüber war ein sehr viel anderer Mann. Nichts an seinem äußeren deutete auf den Südländer. Er war stämmig und untersetzt, breiter und schwerer gebaut als der schmale und rassige Gaucho; Brust- und Schulterumfang im Verein mit den mächtigen Armen deuteten auf erhebliche Körperkraft. Seine Haut war heller, sie wirkte unter der Luftbräunung nahezu weiß, den aus einem starken Nacken zwischen gewaltigen Schultern aufwachsenden Kopf zierte lockiges Haar von einer eigenartigen goldblonden Tönung. Man hätte dieses Haar auch rot nennen können, doch war dies ein Rot, dem die Sonne goldene Lichter aufsetzte. Man sagt, daß reiche Römerinnen dereinst solche Haarfarbe liebten. Das Gesicht des Mannes war nicht schön; es wirkte mit seiner nicht sehr hohen Stirn, der stumpfen Nase, dem breiten Mund und der stark entwickelten Kiefernpartie grobschlächtig und derb, doch sah man den klaren blauen Augen unter den buschigen Brauen sogleich an, daß Gutmütigkeit und Herzenseinfalt das Wesen des Mannes bestimmten. Der Rotkopf, nennen wir ihn immerhin so, trug die Tracht der Bootsleute, die den La Plata befahren: baumwollenes Hemd, lange Beinkleider und Baskenmütze.

Die Männer sprachen miteinander, und es war eine Art Streitgespräch, wenn auch wohl kein sehr ernsthaftes, das sie führten. Der Gaucho ließ seine dunklen Augen blitzen; sie ruhten mit etwas überlegen spöttischem Wohlgefallen auf seinem stumpferen Gefährten; er sagte:

»Du entwickelst Gedanken. Das ist ein Fortschritt, ich erkenne ihn an. Aber was soll das? Ich sage dir, Mann, laß es bleiben, es ist nicht deines Amtes, es steht dir nicht an. überlaß mir das Geschäft, ich bin geübter darin. Unterbrich mich also nicht. Die Verhältnisse des Landes sind meine Sache, sie gehen mich an, denn ich bin erstens ein Bürger unserer glorreichen Föderation und zweitens ein viejo christiano. Beides bist du nicht, Compañero.«

Der andere bewegte mißbilligend den dicken Kopf. »Ich bin auch ein viejo christiano«, sagte er, »ein Bürger der Staaten bin ich auch, und also darf ich auch denken.«

»Dein Versuch zu denken hat dich zur Anmaßung geführt«, sagte seufzend der Gaucho, »aber ich verzeihe dir, denn du weißt nicht, was du sprichst.«

»Ist es wahr, daß deine Großmutter und deine Urgroßmutter richtige rothäutige Indianerinnen waren, Don Juan?« fragte der Rotkopf und blinzelte mit den blauen Augen. Ein flammender Blick traf ihn; ein Stolz, der nicht frei von Hochmut war, leuchtete aus dem Antlitz des Gauchos, dessen Schnitt die indianische Herkunft nicht verleugnen konnte. »Du weißt nichts von uns, rothaariger Flachkopf«, entgegnete der Jüngling. »Ja, meine Vorfahren, die glorreichen Konquistadoren, Hidalgos von ältestem kastilianischen Blut, heirateten hier eingesessene indianische Fürstentöchter; du denkst doch nicht, daß ich mich dieser Abstammung schäme?«

»Wie sollte ein Mensch sich seiner Abstammung schämen?« versetzte der Stämmige. »Leider weiß ich von der meinen so gut wie nichts. Aber wer sagt dir, daß ich nicht von Granden abstamme? Man sagt, die vornehmen Leute in Spanien hätten meine Haarfarbe. Es ist wahr: das Meer hat mich eines Tages an den Strand gespült, aber schließt das aus, daß ich ein Hidalgo aus ältestem Blut bin? Señora Pereira, meine alte schwarze Pflegemutter, hat oft das Zauberfeuer über meine Herkunft befragt, und ich sage dir, sie hat eine Krone in den Flammen gesehen.«

»Großartig!« sagte Don Juan. »Nun, wenn die phantastische Krone, die deine schwarze Pflegemutter gesehen hat, einmal auf deinem dicken Schädel sitzen sollte, dann machst du mich hoffentlich zum Gobernador in deinem Königreich, König Pati. Er lachte schallend, und der Rotblonde stimmte grinsend in seinen Heiterkeitsausbruch ein.

Pati war tatsächlich eines Tages als hilfloses Kind auf einem aus Schiffstrümmern hergestellten Floß in der Nähe von Kap San Antonio an Land gespült worden. Das Schiff, dem die Trümmer entstammten, war nie ermittelt worden. Das alte Negerpaar Pereira hatte sich des Findlings angenommen. Pati war im Hafenviertel von Buenos Aires zwischen Schwarzen und Weißen herangewachsen, hatte im Boot, beim Fischen und beim Beladen der Schiffe gearbeitet und bald eine staunenswerte Körperkraft zu entwickeln begonnen. Er führte seitdem den Namen des alten Negers, der Vaterstelle an ihm vertreten hatte und hieß offiziell Sancho Pereira; da jedoch die englischen Seeleute, die den La Plata befuhren, steif und fest behaupteten, Sancho sei unverkennbar ein Sohn der grünen Insel Eire, wurde er bald allgemein mit dem Spitznamen der Iren, Paddy, gerufen, den die spanische Zunge in Pati abwandelte.

Bei Ausbruch des Krieges mit England war Pati von der Regierung des diktatorisch herrschenden Präsidenten Don Manuel de Rosas zum Dienst auf einem Schlachtschiff gepreßt worden. Der harte Dienst behagte dem in Freiheit auf gewachsenen jungen Mann wenig; eines Nachts, während sein Schiff auf der Reede lag, glitt er an einem Tau ins Wasser und schwamm an Land. Natürlich durfte er sich nach dieser Desertion in Buenos Aires nicht mehr sehen lassen; er flüchtete, mußte aber bald darauf froh sein, in der Landarmee untertauchen zu können. Er wurde der Artillerie zugeteilt und hatte im Kriegslager den Gaucho Juan Perez kennengelernt.

Beide saßen sie nun auf einer kleinen Insel mitten im Parana und sprachen miteinander von ihren Erlebnissen. »Höre zu, Don Juan«, sagte Pati, »es wäre wunderbar, wenn du mir eines sagen könntest. Wir haben gerade einen Bürgerkrieg hinter uns, in dem eine Partei, die sich Föderalisten nennt, gegen eine andere, die sich als Unitarier bezeichnet, blutig gekämpft hat. Nun wüßte ich für mein Leben gern, was der Unterschied zwischen Föderalisten und Unitariern ist.«

»Es ist entsetzlich, was du für Fragen stellst«, entgegnete Don Juan, »aber andererseits ist es gar nicht so einfach, diese Fragen zu beantworten. Sieh mal, da sind Leute, die wollen alle Staaten unserer gesegneten Republik vom Salinas bis zum Rio Negro unter einen Hut bringen. Das sind die Unitarier. Verstehst du das?«

»Wie soll ich das denn verstehen?« fragte Pati zurück. »Don Manuel will doch schließlich auch alles unter einen Hut bringen, und zwar unter den seinen. Und damit er nicht mißverstanden werden kann, läßt er alle Leute totschlagen, die anderer Meinung sind.«

»Du wirst dich noch um deinen dicken Hals reden, mein Lieber«, entgegnete Don Juan.

»Jedenfalls habe ich recht«, beharrte Pati störrisch. »Oder haben wir nicht gerade die Unitarier am Conchas zusammengehauen? Kannst du mir sagen, warum?«

»Das ist nicht meine, sondern Don Manuels Sache«, versetzte der Gaucho, »und ich möchte dir den dringenden Rat geben, deinen Schädel nicht mit so verzwickten Fragen zu beschweren, die du doch nicht lösen wirst. Laß du Don Manuel nur für die glorreiche Föderation sorgen; er weiß am besten, was für das Land nötig ist.«

»Schön«, sagte Pati gleichmütig. »Aber jedenfalls hast du doch auch genug vom Kampf gegen die Unitarier gehabt; sonst hättest du ja wohl nicht bei Nacht und Nebel die Armee verlassen.«

Auf dem Gesicht des anderen begann wieder der Hochmut zu spielen. »Du sprichst, wie du es verstehst«, sagte er. »Der Krieg ist aus. Die Unitarier sind in Santa Fé und Corrientes geschlagen, und mich rufen wichtige Geschäfte in die Pampas.«

Pati grinste. »Die Leute werden aber sagen, du seiest heimlich davongelaufen«, sagte er.

»So lügen sie!« brauste Don Juan auf. »Ich habe wie ein Mann gefochten, solange die Aufrührer im Felde standen. Jetzt muß ich mich um meine eigenen Dinge kümmern. Meinst du, die rothäutigen Indios bleiben still und friedlich, wenn die Scharen Don Manuels nach Norden ziehen und die Grenzen entblößen? Da kennst du Jankitruß und seine Leute verdammt schlecht. Ich sage dir, in acht Tagen ist kein Gaucho mehr bei Don Estevan, dem glorreichen Capitano. Wir in der Pampa haben immer den ersten Stoß der roten Banditen aufzuhalten. Und übrigens, was fällt dir ein? Warum bist denn du davongelaufen? Wo du weißt, daß der Capitano vor allem Artilleristen braucht.«

»Ja, das ist nun nicht anders«, grinste Pati. »Wenn Don Juan geht, muß Pati auch gehen, die beiden gehören nun einmal zusammen.«

»Ich werde dir nicht vergessen, daß du mir vor zwei Jahren bei Monte Caserta das Leben gerettet hast«, sagte Don Juan.

»Schweig still«, antwortete der Rotblonde. »Ich werde dir ebensowenig vergessen, daß du mich am Chiquita herausgehauen hast. Aber wir wollen nicht davon reden. Etwas anderes aber«, fuhr er nach kurzer Pause fort, »hältst du es immer noch für notwendig, daß wir nur nachts reisen? Wir würden viel rascher stromab kommen, wenn wir den Tag benutzten.«

»Machen wir uns nichts vor«, sagte Don Juan, nunmehr mit sehr ernster Stimme. »Ich bin Don Manuels Mann und habe für ihn gekämpft. Aber ich habe den Kriegsdienst nun satt und will und muß nach Hause. Begegnen wir aber seinen Leuten – und ich weiß, daß er Truppen hier am Ufer des Stromes hat –, dann stecken sie uns einfach wieder in die Regimenter. Sobald wir Santa Fé hinter uns gebracht haben, kurz vor Rosario, verlassen wir das Kanu, ich fange uns Pferde ein, und wir reiten in die Pampas; es sei denn, du wolltest hier am Strom bleiben.«

»Willst du mich mitnehmen, so gehe ich mit dir«, entgegnete Pati. »Meine Pflegeeltern sind tot; was soll ich in Buenos Aires? Ich habe dort niemand, ich habe überhaupt keinen Menschen mehr außer dir und würde mich deshalb nicht gerne von dir trennen.«

»Bueno, Sancho! Bueno!« sagte der Gaucho und reichte dem Gefährten die Hand.

»Hör zu«, sagte der, »vor den Soldaten Don Manuels, die du fürchtest, habe ich weniger Angst als vor den Leuten von Entre Rios da drüben« – er deutete zum linken Stromufer hinüber – »sie sind dort alle geschworene Feinde de Rosas, und ich fürchte, sie werden wenig Umstände mit uns machen, wenn sie uns fangen.«

Don Juan schüttelte den Kopf. »Du magst vielleicht recht haben«, versetzte er, »allein mit den Unitariern kann ich kämpfen, und ich kann ihnen entrinnen, gegen Don Manuels Leute kann ich nichts machen, ich muß mich von ihnen verschleppen lassen. Ich war jetzt an die drei Jahre von der Heimat weg, und es wird Zeit, daß ich nach Hause komme; vom Krieg habe ich genug. Nein, laß uns einstweilen den Schutz der Dunkelheit ausnutzen.«

Ich füge mich natürlich«, sagte Sancho Pereira. »Und südlich von Santa Fé kenne ich jeden Fußbreit Boden an beiden Ufern; da mögen bei Tag oder bei Nacht die Unitarier oder die Capitanos Don Manuels kommen; ich fürchte sie nicht.«

»Der Neid muß dir lassen, daß du mit einem Boot umgehen kannst«, stellte der Gaucho fest, »ich aber sehne mich nach einem Pferderücken; du ahnst nicht wie sehr! Was ist der Mensch ohne Pferd!«

Während ihres Gespräches war die Sonne gesunken. Pati erhob sich. »Nun, für heute können wir jedenfalls fahren«, sagte er. »Zuvor will ich vorsichtshalber einen Blick nach oben und unten werfen.«

Er hatte das kaum ausgesprochen, da vernahmen sie zugleich den gedämpften Schall leichter Ruderschläge. Einen Augenblick standen sie lauschend, dann sagte Pati leise: »Ich will nachsehen, vom Baum aus.« Damit schwang er sich bereits katzenhaft in das untere Astwerk einer hochstämmigen Algarobe und begann in die Höhe zu klettern. Er stieß einen leichten überraschungsruf aus, der Don Juan augenblicklich an seine Seite brachte. Beide erblickten nun in dem schwachen Dämmerlicht zwei lange Barquillas so nahe der Insel, daß sie mit ihrer Bemannung zu erkennen waren. Jedes der Fahrzeuge war mit zehn Ruderern besetzt, während sich im hinteren Teil der Fahrzeuge zahlreiche Bewaffnete aufhielten. Die schlanken Fahrzeuge durchquerten den Strom oberhalb der Insel und hielten scharf auf das rechte Ufer zu. Die beiden jungen Männer stiegen von ihrem Ausguck herab.

»Was mag das bedeuten?« fragte Pati.

»Unitarier von Entre Rios«, sagte Juan. »Augenscheinlich schwer bewaffnet. Scheinen den Leuten in dem Haus dort einen freundschaftlichen Besuch abstatten zu wollen.«

»Aber was können sie wollen? Eine Handvoll Leute?« »Stehlen, mein Lieber, was sonst? Morden und stehlen.« Don Juan lachte böse.

»Dort drüben wohnen Freunde Don Manuels«, sagte Pati.

»Wäre es nicht richtig, wenn wir sie warnten?«

»Vielleicht, wenn wir Weg und Steg kennen würden«, entgegnete Don Juan. »So aber rate ich dir aus mancherlei Gründen: nein. Zweifellos haben die Burschen es auf einen überfall auf die Pflanzung abgesehen, die dort liegt. Aber ich sage dir, man kann nie wissen, ob nicht Don Manuel selbst bei so einer Unternehmung die Hand im Spiel hat; er liebt es, heimliche Feinde auf solche Weise bei Nacht unschädlich zu machen.«

»Reizend!« sagte Pati. »Aber die Boote kamen von Entre Rios.«

Der Gaucho zuckte die Achseln: »Es können natürlich auch unitaristische Räuber sein. Dann sind wir sicher, daß Soldaten Don Manuels da drüben nicht zu finden sind, sonst würden die Burschen es nicht wagen, in so kleiner Zahl auszuziehen. Wie dem auch sei, wir wollen uns die Sache immerhin ein bißchen näher besehen. Es ist jetzt dunkel genug dazu.« Er trat in das kleine Kanu, prüfte sorgfältig die beiden Karabiner, die darin standen und lehnte sie gegen die Bordwand des Vorderteils, in dem er gleich darauf Platz nahm. Pati schob den leichten Kahn ab und ließ sich im Stern nieder. Mit geringer Mühe brachte er das Kanu in freies Wasser und griff nach dem kurzen, breiten Ruder. »Wohin?« fragte er leise.

»Halte nach rechts hinüber«, sagte Don Juan.

Geräuschlos glitt das Kanu über den Strom. In der Nähe des rechten Ufers hielt Pati den Bug stromab und beschleunigte mit leichten Ruderschlägen den Lauf des Fahrzeuges. Plötzlich nahm er das Ruder hoch und zischte leise, um die Aufmerksamkeit seines Gefährten zu erregen. Er konnte ihn nur noch schattenhaft im Vorderteil des Kanus wahrnehmen; der Himmel hatte sich überzogen, kein Stern spiegelte sich in dem dunklen Wasser des Parana. Während das leichte Gefährt mit der Strömung trieb, horchten beide aufmerksam nach dem Ufer hinüber. Gedämpfte Stimmen, in der lautlosen Stille gleichwohl deutlich vernehmbar, drangen zu ihren Ohren.

»Es ist viel zu früh«, hörten sie, »Don Francisco wird Widerstand finden. Die Estancia hat zahllose Leute.«

»Ich hab's ihm gesagt«, brummte eine andere Stimme, »halt du diesen gierigen Alligator zurück!«

»Näher zum Ufer!« flüsterte der Gaucho. »Möchte verdammt gerne wissen, was da vor sich geht.«

Pati gehorchte. Dem Ufer nähergekommen, ließ er das Kanu mit dem Strom treiben. Plötzlich bellten drüben Schüsse auf, von gellenden Schreien begleitet, die aber sogleich ruckartig verstummten. Eine unheimliche Stille trat ein; sie währte nur kurze Zeit, dann hallte abermals Gewehrfeuer durch die Nacht, verbunden mit wüstem Gebrüll. Gleichzeitig erhob sich über den Bäumen, wenig unterhalb der Stelle, wo das Kanu trieb, Feuerschein, den die Wolken zurückstrahlten. Ein breiter, rötlicher Lichtstreifen fiel vom Ufer her über das Wasser. Die Schüsse und das Gebrüll dauerten an.

»Dort ist eine Bucht«, flüsterte der Gaucho. »Halte dich aus dem Feuerschein heraus!« Pati trieb das Boot der Mitte des Flusses zu. Bis hierher drang der Lichtschein nicht mehr, so daß die beiden Männer sich nach der Ursache des Feuers umsehen konnten, ohne befürchten zu müssen, selber gesehen zu werden. Ein schreckensvoller Anblick bot sich ihnen. Ein am Rand einer tiefen Einbuchtung gelegenes schloßartiges Gebäude stand in hellem Feuer, hoch schlugen die Flammen empor. Aus dem Inneren des Hauses drangen Schüsse, die von außen erwidert wurden. Durch die Fenster sah man im lodernden Flammenschein Menschen im Inneren umherlaufen; dem Anschein nach befanden sich Frauen darunter. Angst- und Entsetzensschreie drangen auf das Wasser hinaus. Jetzt stürzten von der Seite des brennenden Gebäudes aus einige Männer auf die nur schattenhaft wahrnehmbaren Angreifer los; sie brachen noch im Laufen unter deren Kugeln zusammen.

Pati, schreckensstarr ob des grausigen Anblicks, hatte das Kanu unwillkürlich dem Ufer nähergetrieben; der Schauplatz des blutigen Dramas lag deutlich vor ihren Augen. Jetzt tönten auch von der Rückseite her Schüsse; das Gebäude war also von allen Seiten umstellt. Wer aus dem Hause heraustrat, wurde augenblicklich niedergeschossen; kein Zweifel, man wollte die Insassen verbrennen. Juan und Sancho hatten in den letzten Jahren in mancher Schlacht gekämpft; sie waren einiges gewöhnt; beim Anblick dessen, was sich hier vor ihren Augen abspielte, gerann ihnen das Blut in den Adern. Im Augenblick war jeglicher Parteihader vergessen. Sie wußten nicht, wer da gegen wen kämpfte, sie sahen nur eine Mörderschar, die über Wehrlose herfiel. Stumm vor Entsetzen sahen sie zu, und das Gefühl ihrer Hilflosigkeit würgte sie in der Kehle.

Die Flammen loderten höher, das Geschrei verstärkte sich, wieder krachten Schüsse. Aus der Tür des brennenden Hauses stürzte ein Neger, er schwang ein blankes Beil in der Hand. Hinter ihm wurde die Gestalt einer jungen Frau sichtbar, die ein Kind auf dem Arm trug. Der Neger stürzte sich wie ein Rasender auf zwei schattenhafte Gestalten, die ihm zunächst standen, und begrub sein Beil in ihren Schädeln. Die Frau, in ihrem weißen Kleide weithin sichtbar, lief auf das Wasser zu, das Kind an die Brust gepreßt. Eine tiefe Stimme sprach aus dem Dunkel: »Schießt sie nieder!« Mehrere Schüsse krachten, der Neger brach zusammen, gleichzeitig mit einem Gegner, den sein Beil gefällt hatte. Die Frau aber lief weiter auf das Ufer zu.

»Haltet das Weib auf! Fangt mir das Weib!« rief die tiefe Stimme.

Die Frau aber war schon am Ufer, sie sprang in ein leichtes Boot und stieß es, ein Ruder ergreifend, kraftvoll vom Land ab; es schoß weit hinaus in den Strom. Das Kind hatte sie auf dem Boden des Gefährtes niedergelegt.

»Schießt sie doch nieder, zum Teufel nochmal!« brüllte abermals die Stimme aus dem Dunkel. Ein Mann kam ans Ufer gesprungen, er richtete sein Gewehr auf die im Boot stehende Frau, die hastig das Ruder führte. Da hob der Gaucho seinen Karabiner, schoß, und der Mann stürzte nieder, bevor sein Finger noch den Abzugbügel erreichte. Das Boot mit der Frau kam näher. Aus dem Schatten der Bäume, die das brennende Gebäude umstanden, löste sich eine hohe Gestalt. Ein Mann, dessen Gesicht von einem breiten Hutrand beschattet und überdies durch eine Halbmaske verdeckt war, hob eine Büchse und zielte auf die im Feuerschein noch klar erkennbare Frau. Abermals hob Juan seinen Karabiner. Die Schüsse fielen gleichzeitig, aber während der Gaucho sich gleich davon überzeugen konnte, daß er gefehlt hatte, brach die Frau im Boot lautlos zusammen.

Bei dem ersten Schuß Don Juans mochten die Mordbrenner eventuell noch der Meinung sein, er sei vom Ufer abgefeuert worden; der zweite Schuß konnte ihnen keinen Zweifel daran lassen, daß er vom Wasser aus gefallen war.

»In die Barquilla!« brüllte der Schütze am Ufer, von dessen Gesicht außer einem dunklen Bart nichts zu erkennen war. »Tausend Pesos dem, der mir die Frau und das Kind bringt. Gebt Arnoldo das Zeichen!«

Wohl ein Dutzend abenteuerlicher Gestalten eilte dem am Ufer liegenden Fahrzeug entgegen, das sie hergetragen hatte. Das Feuer fraß sich allmählich durch das ganze Haus, die Schreie hinter seinen Mauern waren verstummt. Plötzlich stieg eine Rakete hoch.

Das führerlose Boot mit der Frau und dem Kind war, von der Strömung erfaßt, mit ziemlicher Geschwindigkeit vorwärtsgetrieben worden; es näherte sich jetzt dem Kanu der beiden Männer, das hart am Rand der starken Strömung hielt.

»Wirf den Lasso, Don Juan«, flüsterte Pati, »wir nehmen das Boot ins Schlepp.« Der Gaucho mochte von sich aus den gleichen Gedanken gehabt haben, denn der Rotkopf hatte kaum ausgesprochen, als der Lasso Juans schon die hochragende Spitze des fremden Bootes erfaßte. Er zog es heran und befestigte die Leine an einer der Ruderbänke. »Fertig!« flüsterte er, und die Ruderschaufel Patis senkte sich wieder ins Wasser.

Es war auch die höchste Zeit, denn schon nahte die Barke mit schäumendem Bug. Pati hatte das Kanu trotz aller Aufregung immer außerhalb des Lichtscheines zu halten gewußt, aber die Mordbrenner wußten nun, daß sich Freunde der überfallenen auf dem Wasser befinden mußten, und sie waren augenscheinlich entschlossen, sie zu finden. Mit dem Einsatz seiner ganzen riesenhaften Kraft handhabte der stämmige Pati das Ruder; mit Leichtigkeit trieb er die beiden miteinander verbundenen Boote der Mitte des Stromes zu. Die Männer auf der Barquilla suchten den geheimnisvollen Schützen und das Boot mit der Frau und dem Kind natürlich stromabwärts; ihre Ruderschläge entfernten sich. Plötzlich aber flammte zu Juans und Sanchos überraschung auch oberhalb ihres Standortes rötliches Licht auf; gleich darauf sahen sie die zweite Barquilla in jagender Fahrt herankommen. Ein Dutzend hellbrennende Fackeln warfen ihren zuckenden Schein auf das nachtdunkle Wasser. Und da nunmehr auch das stromabwärts gegangene Boot von seiner erfolglosen Jagd zurückkehrte, sahen die zwei im Kanu sich alsbald im Schein der weithin leuchtenden Fackeln erkannt.

»Schießt!« klang es aus der stromaufwärts herankommenden Barke. Mehrere Gewehre entluden sich, doch pfiffen die Kugeln vorbei, ohne Schaden anzurichten. Unter Einsatz seiner ganzen Kraft suchte Pati die beiden Boote aus der Gefahrenzone herauszubringen. Er war sich klar darüber, daß bei dem Zusammenwirken der beiden Barken nur eine der im Strom verstreuten Inseln Schutz gewähren konnte; fieberhaft suchte sein Auge nach einem geeigneten Zufluchtsort.

Abermals entluden sich mehrere Gewehre; wieder pfiffen Kugeln an den Köpfen der beiden Männer vorbei, aber die Barken kamen nun rasch heran. Da erspähte Pati die vom Fackelschein angestrahlten Baumspitzen einer Insel; er atmete auf. Doch näher und näher kamen die Barquillas.

»Die Bolas«, keuchte der Ruderer, »schnell, Juan, die Bolas!«

Der Gaucho erhob sich, in der Faust die furchtbare Waffe der Pampasreiter. Die schweren, an meterlangen Lederriemen befestigten Kugeln sausten mit furchtbarer Geschwindigkeit mehrere Male um sein Haupt, entflogen seiner Hand und schlugen mit unwiderstehlicher Kraft in den dichten Haufen der einen Barquillabesatzung. Wehgeschrei erhob sich; ruckartig erloschen sämtliche Fackeln.

»Gut gemacht, Don Juan«, lachte Pati, »nun mögen sie uns suchen.« Sekunden später berührte der Bug seines Bootes bereits die Nordspitze der Insel, deren Lage er sich genauestens eingeprägt hatte. Pati griff nach dem Schilf, das die Insel umsäumte und zog sich mit seinem Kanu vorsichtig am Ufer entlang. Auf der anderen Seite des Eilandes angelangt, ging er mit seinen Fahrzeugen stromab, bis er die Südspitze erreichte. Hier trieb er die Fahrzeuge tief in das Schilf hinein.

Auf dem Strom rührte sich nichts mehr, und nun erst fanden die beiden Männer Zeit, sich um die Insassen des mitgeschleppten Bootes zu kümmern. Pati stieg vorsichtig hinein. Das weiße Kleid der regungslos liegenden Frau leuchtete matt. Pati tastete vorsichtig nach der Stirn und dem Herzen; es war kein Zweifel: die Frau war tot. An ihrer blutbefleckten Brust aber atmete schwach ein kleines Kind. »Gelobt sei Gott, das Kind lebt!« sagte Pati, »der Mutter ist nicht mehr zu helfen.«

Bevor Juan etwas sagen konnte, ward wieder Ruderschlag vernehmbar. Gleich darauf drang schwacher Lichtschein durch das Schilf und beleuchtete die Kronen der Bäume zu ihren Häuptern. Offenbar war es den Leuten in der Barquilla gelungen, die Fackeln wieder in Brand zu setzen.

Das Boot kam stromauf; Don Juan und Sancho regten sich nicht. Nach einigen Minuten drangen Stimmen zu ihnen herüber. »Sie sind nach Entre Rios hinüber«, sagte jemand. »Ich glaube eher, sie sind drüben an Land gegangen«, antwortete ein anderer. »Kaum denkbar«, kam es zurück, »dann wären sie uns in die Fänge gelaufen.« »Ich weiß nicht, was Don Francisco anstellt, wenn wir ohne die Frau und das Kind zurückkommen«, sagte der, dessen Stimme zuerst hörbar geworden war. »Um so mehr, als der Majordomo mit dem anderen Jungen in den Wald entkommen ist«, sagte ein anderer. »Und wenn die Schufte nun auf einer dieser Inseln steckten?« äußerte der erste.

»So närrisch werden sie kaum sein; da wären sie morgen früh schon gefangen«, entgegnete der zweite.

»Ein Gaucho ist dabei«, knurrte einer der Männer, »nur diese verdammten Wüstensöhne verstehen die Bolas mit solcher Sicherheit zu werfen.« Juan lächelte grimmig, als er das Lob vernahm.

Die Barke rauschte am Standort der Männer vorüber, das Geräusch der Ruder wurde schwächer und verklang schließlich ganz.

»Was nun, Don Juan?« fragte Pati.

»Wir müssen den Strom hinab«, entgegnete der Gaucho; »morgen ist wahrscheinlich eine ganze Flotte auf dem Parana und macht Jagd auf uns.«

»Also den Strom hinab.«

»Was meinst du, wie lange brauchen wir bis Santa Fé?«

»Schätze, drei bis vier Stunden.«

»Ausgezeichnet.«

»Aber die Frau und das Kind?«

»Die Tote müssen wir natürlich hier lassen«, sagte Juan, »das Kind nehmen wir mit. Wir werden ja erfahren, wer Mutter und Kind sind.«

»Ich will noch einmal nach ihnen sehen.« Pati beugte sich nieder; der Himmel hatte sich aufgehellt; einige Sterne wurden sichtbar. Pati sah: es war eine junge, schöne Frau, die dort lag. An ihrem Hals und an ihren Händen blitzte etwas. Sorgfältig löste er ein Medaillon von ihrem Nacken und einige Ringe von ihrer Hand. Er reichte Juan den Schmuck. »Bewahre das«, sagte er, »es gehört dem Kind.« Don Juan öffnete den kleinen Lederbeutel, den er auf der Brust trug, und verwahrte die Sachen. Nicht ohne Mühe befreite Pati das ruhig atmende Kind aus dem starren Arm der toten Mutter, wickelte es in seinen Poncho und übergab es dem Gaucho, der es sanft in seinem eigenen Boot bettete, wo es ruhig weiterschlief. Pati schnitt mit seinem Messer Schilfbündel ab und bedeckte mit ihnen den Leichnam. Beide Männer zogen die Hüte und sprachen ein kurzes Gebet. Dann trieben sie das Boot mit der Frau auf den Strom hinaus, der still und gleichmäßig seine Fluten nach Süden trug.

Gleich darauf griff Pati zum Ruder; unter seinen gleichmäßigen Schlägen glitt das leichte Kanu den Fluß hinab. Einige Stunden später nahte es sich bereits Santa Fé. »Wollen wir das Kind nicht hier lassen?« fragte Pati. »Was wollen wir damit anfangen?«

»Es hier lassen, hieße, es seinem Verderben überliefern«, entgegnete Don Juan. »Es ist ja kein Zweifel, daß es diesem würdigen Don Francisco – ich habe mir den Namen und auch die Erscheinung gemerkt – hauptsächlich darauf ankam, die Kinder der getöteten Frau in seine Gewalt zu bringen. Glaube mir, Pati, hier sind finstere Kräfte am Werk; es dürfte gefährlich sein, sich damit anzulegen. Noch immer herrscht Bürgerkrieg, und man weiß nicht, wer Freund und Feind ist, außer in der Schlacht.«

»Nun, wir werden jedenfalls erfahren, wo der überfall ausgeführt worden ist und durch wen«, sagte Pati.

»Das erste vielleicht«, entgegnete Juan, »das zweite – wer weiß! Von Santa Fé aus kennst du die Ufer?« »Wie meine Tasche.«

»Dann suche südwärts der Stadt am rechten Ufer noch vor Tagesanbruch ein sicheres Plätzchen aus.«

»Werd' es schon finden.«

»Wenn du irgendeinen verläßlichen Freund in der Nähe hättest – –«, überlegte Juan.

»Ich weiß nicht«, sagte Pati, »früher wohnte da in der Gegend ein alter Freund meiner Pflegeeltern, ein Neger, Pedro Mendoza; für dessen Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit könnte ich bürgen. Ob er aber noch hier wohnt, ja, ob er überhaupt noch am Leben ist, weiß ich nicht.«

»Wir wollen jedenfalls nachsehen«, sagte Don Juan. »Vielleicht erfahren wir dort schon einiges, was uns interessiert.«

Sie fuhren an Santa Fé vorüber, ohne bisher einem anderen Fahrzeug begegnet zu sein. Als der Tag graute, hielt sich Pati dicht am rechten Ufer und bog nach genauer Umschau schließlich in einen Bach ein. Schon nach kurzer Zeit gewahrten sie einige Kanus, dahinter am Ufer eine kleine, von einem Garten umgebene Hütte. Pati stieg aus, ging an eines der niedrigen Fenster und pochte leise. Die Tür öffnete sich, und ein alter Neger trat in ihren Rahmen, Juan sah vom Boot aus, wie beide Männer sich umarmten. Gott sei Dank! dachte er.

Es war wirklich der alte Pedro; er hieß auch Juan wortreich willkommen; der trug das Kind, das leise weinte, in das Haus. Es war ein etwa einjähriger Junge. Pedros Frau, die herbeigeeilt war, schlug vor Staunen die Hände zusammen, gleich darauf nahm sie das kleine Geschöpf in mütterliche Obhut.

Auf Don Juans Rat hatte Pati dem Neger nur das Notwendigste mitgeteilt. Sie hätten nach beendetem Feldzug das Heer verlassen und unweit Santa Fé auf dem Strom treibend ein Boot mit einer toten jungen Frau und dem kleinen Jungen gefunden, hatte er gesagt.

Sie könnten sich selbstverständlich einstweilen in seiner Hütte verborgen halten, sagte Pedro. Er selbst begab sich unverzüglich in seinem Segelboot nach Santa Fé, um dort vorsichtig nach Ereignissen zu forschen, welche die Abtrift eines Bootes mit einer toten Frau und einem lebenden Kind zur Folge gehabt haben könnten. Er verließ sich dabei vor allem auf seine schwarzen Stammesgenossen.

Erst spät in der Nacht kehrte der Alte zurück. Er brachte überraschende Nachricht, von Entre Rios aus sei eine starke Schar Unitarier unter General Las Palinas über den Strom gesetzt, die Estanzia nach Estanzia zerstöre und in Eilmärschen auf Santa Fé zurücke, wo man sich bereits zur Verteidigung anschicke. Es sei in aller Eile nach Buenos Aires um Hilfe gesandt und die Landbewohner seien zum Kampf aufgerufen worden. über eine ermordete Frau und deren Kind hatte er nichts erfahren können.

Don Juan hörte sich diesen Bericht an, dann sagte er nach einigem Nachdenken: »Besorge mir ein gutes Pferd, Pedro, oder sage mir, wo eines zu finden ist. Morgen früh reite ich.«

»Nimm zwei Pferde, Pedro«, sagte Pati, »ich reite mit.«

Aber das Kind! Was sollte mit dem Kind geschehen?

Das Kind wolle sie behalten, erklärte die alte Negerin, sie wolle es pflegen, als ob es ihr eigenes sei.

»Gut, Señora«, sagte Don Juan, »bewahre mir den Jungen. Laß ihn von keinem Menschen sehen, sprich nicht von ihm, denn es ist kein Zweifel, daß ihm sehr mächtige Leute nach dem Leben trachten. Gott wird es dir dereinst und ich werde es dir noch hier auf Erden lohnen, wenn ich kann.« Sie würden das Kind wie ihren Augapfel hüten und kein Wort über seine Existenz verlauten lassen, versprachen die beiden Alten.

Noch im Laufe der Nacht ruderte Pedro die beiden Männer mit ihren Sätteln, mit Zaumzeug und Waffen, einige Leguas weit den ihm wohlbekannten Bach hinauf; vor Morgengrauen setzte er sie an Land. Wie es Juan vorhergesagt, weideten dort zahlreiche Pferde. Der Lasso des Gauchos brachte bald zwei Tiere in seine Gewalt, und Minuten später galoppierten er und Pati bereits der Pampa entgegen.

Bellavista

Inhaltsverzeichnis

Nördlich der Stadt Santa Fé, in dem Staat oder der Provinz gleichen Namens, lagen die Besitzungen Don Francisco de Salis'. Sie erstreckten sich weithin am Parana und tief in das Land hinein. Der Señor de Salis gebot über große Strecken hochkultivierten Landes, das Mais, Weizen, Tabak und andere Früchte in reicher Fülle erzeugte. Er besaß ausgedehnte Wälder, die wertvolle Hölzer lieferten, und ungezählte Herden von Pferden und Rindern, die in der Pampa weideten. Er war weithin als kluger und harter Mann bekannt, der reiche Einnahmen aus seinen Ländereien herauswirtschaftete.

Don Francisco war aber nicht nur ein sehr reicher, er war auch ein außerordentlich mächtiger Mann im Staat Santa Fé, und dies nicht nur wegen seines großen Vermögens, sondern vor allem durch die Gunst des mächtigen Mannes in Buenos Aires, der das Land und die Menschen mit unerbittlicher Hand nach seinem Willen lenkte.

Die Provinzen Buenos Aires, Entre Rios, Santa Fé und Corrientes befanden sich fest in der Hand des Diktators, während ihm die entfernteren Landesteile durchaus nicht immer botmäßig waren, ja sich nicht selten gegen ihn und seine Gewaltherrschaft auflehnten, in der Regel freilich nicht zu ihrem Vorteil.

Francisco de Salis entstammte einer altspanischen Familie, die schon unter dem Adelantado Martinez de Irala im Jahre 1556 ins Land gekommen war; er war außerordentlich stolz auf diese Abkunft und gehörte zu den ergebensten Anhängern de Rosas. Die Estancia Bellavista, de Salis' Landgut, war ein ungemein stattlicher Besitz. Das schloßartige, mit Seitenflügeln versehene Hauptgebäude, das teilweise erst vor kurzer Zeit erneuert zu sein schien, zog sich, von dichten Gärten und parkartigen Anlagen umgeben, dicht am Parana hin, dessen Ufer hier eine weite Ausbuchtung aufwiesen; die weitere Umgebung zeigte zahlreiche zerstreut liegende Wirtschaftsgebäude und Landarbeiterwohnungen.

An einem schönen Frühlingstag, etwa zwei Jahre nach den soeben geschilderten Ereignissen, kamen zwei Männer die gut unterhaltene Straße entlanggeritten, die längs des Flußlaufes durch die Besitzungen Don Franciscos führte; der eine von ihnen, der mit seinem Pferde verwachsen schien, war unzweifelhaft ein Gaucho. Sein breitschulteriger Begleiter, weniger sicher zu Pferd, fiel durch rötlich schimmerndes Haar, einen Bart in der gleichen Farbe und sehr helle Augen auf. Beide blickten über die Felder und Wohngebäude hin und ließen dann das Auge auf dem Teil des Hauptgebäudes ruhen, der unter schattenden Algarobenbäumen in einiger Entfernung sichtbar wurde. Fremde waren in jenen Zeiten alltägliche Erscheinungen auf den Landstraßen; die auf den Feldern beschäftigten Arbeiter, unter denen sich auch Neger befanden, sahen nicht einmal auf.

Der voranreitende Gaucho sagte zu seinem Begleiter: »Hast du dich auch nicht geirrt, Pati? Ist das wirklich die Stelle?«

»Verlaß dich darauf, Don Juan«, sagte der andere. »Am ganzen Ufer von Santa Fé herauf liegt kein Castillo so nahe am Fluß und außerdem an einer Bucht, die eine Strömung hat. Ich habe mich nicht geirrt.«

»Um so besser«, sagte der Gaucho. »Aber dann wird es Zeit, daß wir uns nach einer Unterkunft umsehen; ich möchte nicht zu weit in die Estancia hineinreiten.«

Pati wies mit dem Arm nach rechts. »Dort«, sagte er, »das Häuschen sieht mir so aus.« Seitlich ihres Weges stand unter Erlen ein einfaches mit einer freundlichen Veranda geschmücktes Blockhaus. Eine alte, in ein buntes Kalikokleid gehüllte Negerin trat in diesem Augenblick auf die Veranda, sah flüchtig nach den Reitern hin und wandte sich gleich wieder irgendeiner Arbeit zu.

»Wir wollen bei dem Mütterchen anklopfen«, sagte Pati. Er ritt auf das Häuschen zu und rief der Negerin einen Gruß zu. »Wie ist's, Madrecilla«, sagte er, »kannst du zwei müden Reisenden Obdach gewähren und einen Becher Mate reichen?«

Die Frau sah etwas erstaunt auf, warf dann einen freundlichen Blick auf des Rotblonden gutmütiges Gesicht und sagte: »Tritt näher, Señor, wenn es dir gefällt. An einem Becher Mate soll es nicht fehlen.« Pati stieg vom Pferde, und Don Juan folgte seinem Beispiel. Sie banden ihre Pferde neben der Veranda an und schritten die wenigen Stufen hinauf. Don Juan hielt den Hut in der Hand.

»Ein Caballero aus der Pampa, Don Juan, den ich auf einer Reise begleite«, stellte Pati den Gaucho vor. »Oh«, sagte die Alte, »kommt Ihr Don Francisco besuchen?«

»Das nicht, Mutter«, antwortete Juan, »wir reiten weiter nach Santa Fé.«

Die Alte machte ein ernstes Gesicht; sie maß die jugendlichen kräftigen Gestalten ihrer Gäste mit prüfenden Blicken. »Seid ihr nicht unvorsichtig, Señores?« sagte sie. »Wißt ihr nicht, daß Krieg im Land ist? Don Francisco sucht Soldaten für die Regierung. Alle jungen Leute von uns sind ausgehoben und zur Armee geschickt worden; sie nehmen, wen sie finden.«

»Nun«, meinte der Gaucho gleichmütig, »wir sind ziemlich sicher, nicht ausgehoben zu werden.«

»Oh, gewiß habt Ihr eine Bescheinigung«, sagte die Alte. »Denn sonst ist es besser, Don Francisco und der Majordomo sehen Euch nicht.«

»Wir dienten bereits in der Armee«, sagte Don Juan.

»Schlimme Zeit, Señores!« klagte die Alte. »Meinen Enkel haben sie auch weggeholt. Aber setzt Euch, ich will Mate holen.« Damit verschwand sie im Innern des Hauses.

Don Juan sah seinen Begleiter bedeutsam an. »Du hast gehört, Pati«, sagte er, »es wird Zeit, daß wir wieder aufs Wasser kommen. Hoffentlich findest du das Kanu.«

»Es liegt sicher im Uferschilf. Ich habe mir die Stelle genau gemerkt«, erwiderte Pati.

»Ausgezeichnet«, versetzte der Gaucho, »du bist ein Prachtkerl, Pati. Aber ich gestehe dir, daß mir nicht wohl ist. Wir wollen sehen, was wir in Erfahrung bringen können, und dann unverzüglich an einen geordneten Rückzug zu Wasser denken. Wenn du dich nur nicht getäuscht hast; immerhin sind zwei Jahre verflossen seit jener Nacht.«

»In der Bucht täusche ich mich gewiß nicht«, sagte Pati. »Ob freilich noch Leute von damals hier leben, müssen wir abwarten.«

»Ich wollte, ich hätte mich früher um die Geschichte kümmern können«, knurrte der Gaucho. »Nun, wir werden ja sehen. Die Alte macht einen ordentlichen Eindruck. Versuche sie in deinem Negerkauderwelsch auszuhorchen. Sage ihr, daß du ein Prinz seiest; deine goldenen Locken werden sie davon überzeugen, und einem Prinzen widersteht man nicht.«

Da die Negerin in diesem Augenblick mit dem Mate erschien, kam Pati um eine Antwort herum. Die Alte setzte gleichzeitig einen Teller mit frischen Maiskuchen auf den Tisch und reichte einige gekochte Eier dazu. »Eßt, Señores«, sagte sie, »es ist gern gegeben.« Die beiden Männer ließen sich nicht lange nötigen.

In dem Kongodialekt, in dem dereinst seine Pflegeeltern zu ihm gesprochen hatten, sagte Pati: »Du bist eine Meisterin im Bereiten von Tortillas, Mutter.«

Die Frau sah ihn entgeistert an. »Du sprichst die Sprache der schwarzen Menschen«, stammelte sie. Pati lachte sie an. »Ja«, sagte er. »Menschen dieser Farbe danke ich mein Leben; sie vertraten Elternstelle an mir.« Und in kurzen Worten erklärte er der Alten die Geschichte seiner Jugend. Der liefen die Tränen über die Wangen, sie wußte sich vor Rührung nicht zu fassen. Schließlich aber wurde sie ernst. »Ihr kommt von Norden«, sagte sie, »dort herrscht der Krieg.«

»Wir kommen von Corrientes, Mutter.«

»Oh«, jammerte sie, »wenn dieser schreckliche Krieg doch zu Ende wäre und mein Enkel wieder daheim.«

Sie sprachen ein Weilchen über den Krieg und seine Schrecken. Dann sagte Pati, vorsichtig auf den Gegenstand seines Interesses zielend: »Es ist eine große Estancia, auf der ihr hier lebt, Mutter.«

»O ja, sie ist sehr groß«, sagte die Alte. »Don Francisco ist der reichste Estanciero am ganzen Parana.«

»Lebst du schon lange hier?«

»Ich bin hier geboren und habe die Estancia nie verlassen«, sagte die Alte.

Gut! dachte Pati, und laut sagte er: »So habt ihr gewiß einen gütigen Herrn?«

Die Negerin duckte sich unwillkürlich; sie warf einen scheuen Blick auf den Mann mit dem Goldhaar. »Wir dürfen nicht klagen«, sagte sie schließlich leise, »aber wollte Gott, Don Fernando wäre noch am Leben!«

»War das der Vater des jetzigen Herrn?«

Die Negerin schüttelte den Kopf. »Nein, sein Bruder. Er lebt nicht mehr. Sie leben alle nicht mehr. Auch Doña Maria nicht und die beiden Lieblinge.«

»Oh«, schaltete sich der Gaucho ein, »die ganze Familie? Ein Fieber hat sie hinweggerafft?«

Wieder schüttelte die Alte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »es war anders. Don Fernando starb auf der Jagd; ein Jaguar hat ihn zerrissen.« »Und Doña Maria?« »O Gott!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Die heilige Jungfrau sei ihr gnädig! Ihr und den beiden Kleinen!«

Die Männer schwiegen, sie sahen sich verstohlen an. Die Alte aber, wohl durch Patis Geplauder im Negeridiom zutraulich gemacht, sagte gedämpften Tones: »Ihr seid Fremde. Ihr könnt nicht wissen, was hier vor zwei Jahren geschehen ist. Mörder sind über den Parana gekommen. Sie haben Doña Maria und die Kinder und viele Leute erschlagen, auch meinen Sohn.« Der Jammer kam mit der Erinnerung über sie, sie barg den Kopf in der Schürze, ihre alten Schultern zuckten.

Also doch! dachte Don Juan. Laut sagte er: »Das ist entsetzlich, Madrecilla. über den Fluß, sagt Ihr, sind die Räuber gekommen?«

»Ja, über den Fluß. Räuber und Mörder!«

»Und ihr wehrtet euch nicht?«

»O doch! O gewiß!« sagte die Alte. »Die Männer haben gekämpft; alle. Auch mein Sohn. Sie liebten Doña Maria und die Kleinen. Cesar hat viele Räuber erschlagen. Aber sie hatten eine Menge Flinten und die unseren nur wenige. Sie wurden alle erschossen. Auch Cesar, mein armer Cesar. Er hat die Herrin bis zuletzt mit seinem Leibe gedeckt. Dann haben sie das Castillo verbrannt; es ist wieder aufgebaut. Oh, es war schrecklich, Señores!«

»Und nicht einmal die unschuldigen Kinder wurden von den Mördern geschont?« fragte der Gaucho. Die Alte warf ihm einen scheuen Blick zu, sie wiegte den Kopf hin und her.

»Sie waren die Erben der großen Besitzung?«

Die Negerin hob den Kopf und sah Juan scharf an; in dessen Antlitz war nichts als ernste Teilnahme zu lesen. »Ja«, sagte sie langsam, »Don Carlos und Don Aurelio waren die Erben von Bellavista.«

»Das nunmehr also ihrem Onkel gehört; sagtet Ihr nicht so?«

»Ja. Don Francisco de Salis, der Bruder Don Fernandos, ist jetzt unser Herr.« Wieder zeigten ihre Augen den scheuen, fast gehetzten Ausdruck. Sie sagte leise, sich mehr an Pati als an Don Juan wendend: »Manche Leute glauben, daß die Kinder noch leben – oh, die armen Kinder!«

»Sagtet Ihr nicht, sie wären mit der Mutter erschlagen?«

Die Alte wiegte wieder den Kopf. »Ich habe es nicht gesehen«, sagte sie. »Aber andere wollen gesehen haben, daß der Majordomo mit dem ältesten davongeritten ist, als das Haus brannte. Den Kleinsten nahm die Mutter mit hinaus auf den Parana – man hat nie wieder von ihnen gehört. Don Francisco hat suchen und suchen lassen, am Strom, in den Wäldern, auf den Pampas. Die Leiche des Majordomo hat man schließlich gefunden, weit von hier, nicht aber den Jungen, mit dem er fortgeritten war.« Sie schwieg eine Weile und fuhr dann mit kläglicher Stimme fort: »Mein Mann und ich sind fast die einzigen, die jene Nacht erlebten; alle anderen sind tot oder von Don Francisco fortgeschickt worden.«

So ist das also! dachte Don Juan, Pati hat sich nicht geirrt.

»Das alles ist schlimm, Madrecilla«, sagte er laut, »doch Gott ist gütig und gerecht. Vielleicht hat Don Francisco noch die Freude, die Kinder seines Bruders eines Tages lebend wiederzufinden.«

»Gott verhüte es!« brach es unwillkürlich aus der Alten heraus. »Es wäre ihr sicherer Tod!« Gleich darauf schlug sie sich vor den Mund; ihr Gesicht nahm eine graugelbe Tönung an; sie zitterte. »Señores«, stammelte sie, »Señores – –.« Pati legte ihr die Hand auf die Schulter und sah sie treuherzig an; er sprach ein paar Worte im Negerdialekt. Die Frau beruhigte sich langsam.

»Der Señor de Salis scheint ein sehr mächtiger Herr zu sein!« sagte der Gaucho betont.

»Das ist er gewiß, Señor, das ist er gewiß«, stammelte die Alte; sie hatte die Augen eines gehetzten Tieres. »Bleiben die Señores über Nacht hier?« fragte sie.

»Nein«, sagte der Gaucho, »im Gegenteil, wir wollen gleich weiter, um heute noch, wenn auch erst sehr spät, Santa Fé zu erreichen.« Damit erhob er sich, und Pati folgte seinem Beispiel. Die Alte, zur Veranda hinausblickend, sagte: »Da kommt mein Mann, wartet solange. Er wird sich freuen, euch noch begrüßen zu können.«

Ein alter Neger kam von den Feldern heim; er sah noch kräftig und rüstig aus und trug eine Schaufel über der Schulter. Er grüßte schon aus einiger Entfernung mit seinem Strohhut. Im Augenblick, da er vor der Veranda ankam, ertönte der scharfe Hufschlag eines herangaloppierenden Pferdes. Eine gellende, jugendliche Stimme schrie: »Steh, alter Halunke! Ich habe mit dir zu reden.« Der Gaucho und Pati sahen: ein etwa vierzehn-, fünfzehnjähriger Junge, reich gekleidet, kam auf schäumendem Pferd herangesprengt; dicht vor dem Neger parierte er sein Tier, er hätte den Alten beinahe über den Haufen geritten.

»Madre de Dios, Don Agostino!« schrie der Alte und sah entsetzt zu dem Burschen auf.

»Was hatte ich dir befohlen, schwarze Kanaille!« schrie der Junge. »Solltest du nicht mein Kanu herrichten? Habe ich dir das nicht gesagt?«

Man sah, daß der Neger zitterte. »Gewiß, Euer Gnaden«, stammelte er, »gewiß habt Ihr es mir befohlen. Aber der Majordomo hat mich zur Arbeit aufs Feld geschickt, trotzdem ich ihm sagte, was der gnädige Herr mir befohlen hatte. Ich mußte gehorchen, Euer Gnaden!«

»Mir hast du zu gehorchen, mir!« schrie der Junge mit wutflammendem Gesicht. Und die Reitpeitsche, die er in der Hand trug, sauste mehrmals auf den entblößten Kopf, das Gesicht und die Schultern des alten Negers herab, dessen Stirn sich blutig färbte.

»Misericordia, Don Agostino, por la santissima madre, misericordia!« stöhnte die Alte auf der Veranda und schlug die Hände vor das Gesicht.

Die Augen Patis begannen zornig zu funkeln; man sah seinem Gesicht an, daß er dicht vor einem gefährlichen Wutausbruch stand.

Juan kannte seinen Gefährten und wußte, was er in der Wut anzurichten imstande war; er legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Vorsicht! Ruhe, Pati!« flüsterte er, »wir sind hier allein unter Jaguaren.« Er schritt die Stufen der Veranda hinab und ging auf den Jungen zu. »Haltet Ihr es für eine würdige Handlung, einen alten Neger zu schlagen?« fragte er scharf.

Der Knabe sah überrascht auf den Gaucho, er sah dahinter die stämmige Gestalt Patis auftauchen. »Zarapeto!« brüllte er Don Juan an, »wer bist du, daß du es wagst, mich anzureden? Willst du meine Peitsche fühlen?«

»Ich würde dir das nicht raten, mein Junge«, sagte der Gaucho, »bisher hat dergleichen noch keiner ungestraft gewagt.«

»Cochinos!« schrie der Bursche auf dem Pferd. »Wer seid Ihr? Wollt Ihr mich verhöhnen? Ich lasse Euch peitschen bis aufs Blut!«

Don Juan wandte sich ab. »Komm, amigo«, sagte er, an Pati gewandt, »der Bengel hat Narrenfreiheit. Laß uns davonreiten.« Damit ging er auf sein Pferd zu. Der Junge trieb ihm das seine in den Weg und hob die Peitsche zum Schlag. Einem Blitz gleich zuckte das lange Jagdmesser in der Hand des Gauchos empor. »Jetzt gib Raum, estupido « , sagte er mit finsterem Gesicht, »gib Raum, sage ich, oder ich bahne mir den Weg!«

Der Bursche, totenblaß jetzt, riß sein Pferd zurück; seine Stimme gellte auf. »Mörder!« rief er. »Haltet sie! Hilfe! Sie wollen mich ermorden!«

Der Boden dröhnte unter den Hufen einer heransprengenden Reiterschar; in vollem Rosseslauf jagte ein hochgewachsener, schwarzbärtiger Mann in einem eleganten Reitanzug heran; eine tiefe, dröhnende Stimme rief schon von weitem: »Was gibt es da, Agostino?«

»Hilfe! Mörder!« brüllte der Knabe. Der Reiter, von einigen Caballeros und wohl einem Dutzend Dienern gefolgt, war heran. Juan und Pati wechselten, da sie den Schwarzbärtigen gewahrten, einen Blick.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der Reiter; er zügelte sein Pferd neben dem Jungen.

Der deutete auf den Neger. »Dieser alte Schuft hat meine Befehle nicht befolgt«, sagte er. »Ich war im Begriff, ihm eine Lektion zu erteilen, als diese beiden Ladrones sich einmischten und mich bedrohten. Der da« – er wies auf Don Juan – »hat sogar das Messer gezogen.«

Der Schwarzbärtige wandte sich Juan zu. Sein Gesicht flammte vor Zorn. Vor dem festen, ruhigen Blick der auf ihn gerichteten Augen des Gauchos stutzte er.

»Was stierst du mich an, Zarapeto!« brüllte er auf. »Wer bist du?«

»Ein friedlicher Reisender, der auf dem Wege in seine Heimat ist und hier einen Augenblick ausruhte«, sagte der Gaucho ruhig.

»Und der andere da?«

»Er ist mein Begleiter.«

»Ich bin der Alkalde des Bezirks«, schrie der Reiter. »Als solcher frage ich dich, woher du kommst und wohin du gehst.«

»Ich komme von Humberto und reite nach Buenos Aires.«