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Die Ermittlungen im Falle einer Entführung in Verbindung mit dem Raub eines auf den ersten Blick wertlosen Schmuckstückes führen Edmund Stucky und seinen treuen Weggefährten George Foster innerhalb kürzester Zeit in höchste Regierungskreise. Je näher die beiden der Lösung kommen, desto offensichtlicher wird die Macht des Gegenspielers - Schnell zeigt sich, dass ihre Ermittlungen nicht nur sabotiert, sondern mit groben Einschüchterungsversuchen erfolgreich verzögert werden konnten. Jeder Schritt vorwärts hat teils mehr als grässliche Konsequenzen zur Folge. Als eine wichtige Zeugin entführt wird, verschwindet mit ihr auch die bislang einzige Spur, die zur Klärung des Falles hätte beitragen können ... Ein Fall, der das Potential hat, nicht nur die Freundschaft der beiden Privatermittler nachhaltig zu belasten.
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Seitenzahl: 105
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»What immortal hand or eye,
could frame thy fearful symmetry?«
- Aus: The Tyger von William Blake
Gewidmet meinem Großvater.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Es war ein sonniger Dienstagabend, der viel schöner nicht hätte sein können. Foster und ich saßen, wie üblich an einem Tag wie diesem, gemütlich auf der Veranda des kleinen Einfamilienhauses in der Londoner Vorstadt nahe des Finsbury Parks und genossen die kühle Brise, die den Tee auf dem Glastisch vor uns rasant auf trinkbare Temperaturen herunterkühlte. Die sanften Strahlen der Abendsonne bahnten sich ihren Weg durch die hochgewachsenen Büsche, die die Terrasse stilvoll umrahmten. Der Geruch des schwarzen Tees vermischte sich mit dem herrlichen Duft frischen Kirschkuchens, den wohl einer der Nachbarn gerade gebacken und nun zum Abkühlen auf eines der Fensterbretter gestellt hatte. Foster lebte allein hier, seitdem seine Ehefrau Anna vor zwei Jahren bei einem Straßenraub ums Leben gekommen war. Obwohl Foster während seiner Ermittlungen schon immer recht verbissen war, änderte dieser Vorfall alles. Seine Vorgehensweise wurde radikaler, sein Verhalten oft bedenklich rücksichtslos. Wer Foster kannte, wusste genau, dass er im Grunde ein umgänglicher Mensch war, der keiner Fliege einen Flügel krümmen konnte, seine Art hatte ihm in der Vergangenheit jedoch bereits erhebliche Missgunst seitens seiner Vorgesetzten eingebracht. Seit er das New Scotland Yard wegen eines unschönen Vorfalls während eines Einsatzes im Londoner Bankenviertel verlassen musste, half er mir bei der Aufklärung meiner, und ich sage das nicht ohne ein gewisses Maß an Stolz, nicht gerade minder interessanten Fälle. Und so kam es, dass er trotz seiner Entlassung vor wenigen Monaten nun doch immer wieder mit seinen ehemaligen Kollegen vom Yard zu tun hatte. Da wir beide uns bisher, und erneut muss ich zugeben, nicht ganz frei von Stolz zu berichten, überaus erfolgreich in der Aufklärung allerhand mysteriöser Begebenheiten angestellt hatten, waren unsere Detektei und wir inzwischen auch über Londons Grenzen hinweg bekannt. So kam es, dass uns unsere Fälle schon oft an die entlegensten Orte dieser Welt geführt hatten, auch, wenn wir uns hin und wieder auch mit vermeintlich gewöhnlichen Fällen beschäftigten.
Die schwarze Limousine, die auf dem schmalen Gehweg vor Fosters Haus hielt, versprach eines dieser auf den ersten Blick gewöhnlichen Rätsel zu verbergen. Eine Dame fortgeschrittenen Alters stieg auf der Beifahrerseite aus und kam langsamen Schrittes auf uns zu. Sie humpelte ein wenig und ihr Gesicht offenbarte die Verzweiflung, die sie durch eine gehörige Menge Make-Up zu verstecken versucht hatte. Foster sprang auf, um ihr auf die Veranda zu helfen. Sie nahm dankend an und ließ sich bis zu einem der vier Flechtstühle führen, auf den sie sich sichtlich erschöpft fallen ließ. Ich unternahm den Versuch, mich vorzustellen. Mit einer schwachen Handbewegung würgte sie mich ab: »Aber aber, Mr Stucky. Sie sind schließlich eine überregionale Berühmtheit.«, sagte sie, müde schmunzelnd. Sie holte tief Luft und fuhr dann fort: »Meine Herren, wie sie sehen, bin ich nichts weiter mehr, als ein Häuflein Elend. Gezeichnet von den Ereignissen der letzten Nacht und der Sorge um meinen Mann.« - »Ereignisse, Madame?«, sagte Foster fragend, während er die Frau musterte, die ein rosafarbenes Taschentuch aus ihrer Handtasche zog. »Wie dumm von mir. Sie wissen ja gar nicht, was… was…« Tränen rannen ihr Gesicht hinunter. »Sammeln sie sich erst einmal. Wie ist ihr Name, wenn ich fragen darf?« - »Reeves. Maddison Reeves.« - »Reeves wie in Jewellery Reeves? Das große Juweliergeschäft in London?« - »Richtig. Mir wurde das Unternehmen vor drei Jahrzehnten von meinen Eltern überschrieben. Seitdem führe ich es mit Freude – und Erfolg! Doch was letzte Woche passiert ist… Ich weiß einfach nicht mehr, wo mir der Kopf steht.« Ich versuchte, mir die Nachrichten der letzten Wochen ins Gedächtnis zu rufen. Dunkel erinnerte ich mich daran, vor wenigen Tagen bezüglich des Juweliergeschäfts gelesen zu haben…
Foster kam mir zuvor: »Wurde ihr Geschäft nicht von zwei maskierten Räubern überfallen? Ich erinnere mich daran, etwas davon in der London Post gelesen zu haben.« Sie nickte zögerlich. Dann sagte sie: »Was aber nicht in den Zeitungen stand, sind die seltsamen Umstände des Überfalls. Die beiden Räuber wussten nämlich genau, was sie wollten: Das Kollier der sieben Blutmonde. Es ist nicht einmal ansatzweise mein wertvollstes Stück und schon gar keinen Überfall wert! Zudem verwahrte ich das Halsband lediglich für eine langjährige Kundin, die es den Banken nicht anvertrauen wollte. Deshalb wusste auch niemand außer mir wo genau ich es gelagert hatte.« - »Aber die Diebe wussten es?«, warf ich erstaunt ein, obwohl ich meinte, die Antwort schon zu kennen. »Ja, ganz genau sogar! Ich hatte sie in einem Geheimfach innerhalb meines Tresors verwahrt, das ich für besonders wertvolle Stücke einbauen ließ. Ich weiß nicht, wie sie davon erfahren haben konnten. Zumal, wie bereits erwähnt, das Halsband lediglich ideellen Wert hat.« Ich hakte nach: »Was wissen sie über das Halsband? Ich meine vor allem den Namen. Nicht viele Schmuckstücke minderen Wertes haben einen solch klangvollen Namen, nicht wahr?« - »Das stimmt natürlich. Ich weiß nicht allzu viel darüber, nur so viel: Meine Kundin lebte vor einiger Zeit in Indien. Dort war sie mit einem reichen Regierungsmann verheiratet, der die Schätze des Maharadscha verwaltete. Er wurde während der Aufstände um die Unabhängigkeit Indiens getötet, woraufhin sie sich auf den Rückweg nach England machte, um der Wut der Aufständischen zu entgehen. Mit sich brachte sie einzig und allein dieses Halsband.« Interessant. Möglicherweise war das Halsband Teil des Staatsschatzes Indiens und war nun im Auftrag der Regierung zurückgestohlen worden? Ich beschloss, diesen Gedanken fürs Erste für mich zu behalten und Foster erst später mitzuteilen, was ich vermutete, um die arme Dame im Augenblick nicht zu überfordern. Foster bat Ms. Reeves einen Tee an, den sie dankend ablehnte. Sie sei noch zu aufgewühlt, um einen guten Tee angemessen genießen zu können, sagte sie. Dann fuhr sie mit ihrer Erzählung fort: »Mein Gatte, der eine kleine Schuhfabrik außerhalb Londons besitzt, kam leider gerade zur Tür herein, als die beiden Schurken die Kette in Besitz genommen hatten und die Flucht antreten wollten. Ein Schuss fiel, die beiden flohen. Meinen Mann ließen sie blutend zurück. Zum Glück trafen die Sanitäter kurz darauf ein und konnten ihn stabilisieren. Bis gestern lag er im Hospital und befand sich außer Lebensgefahr.« Sie begann bitterlich zu weinen. »Ich verstehe nicht ganz, Madame. Wenn ihr Mann stabil und außer Lebensgefahr ist, gibt es doch keinen Grund zur Verzweiflung?«, fragte Foster. Sie schaute auf und, nachdem sie in das Taschentuch geschnäuzt hatte, entgegnete ihm, die Tränen unterdrückend: »Heute Nacht erhielt ich die Nachricht, dass mein Mann verschwunden sei. Seine Kleidung, seine Ausweispapiere, einfach alles, hätte er im Krankenhaus zurückgelassen. Mein armer, treuer Dylan. Niemals hätte er es in seinem Zustand geschafft, einfach aufzustehen und auch noch ungesehen sein Zimmer zu verlassen!« Sie verfiel wieder in zitterndes Schluchzen und wischte sich ab und an die Tränen am Ärmel ihres marineblauen Blazers ab. Warum sollten Räuber, die bereits haben, was sie wollten, einen Mann entführen, den sie im Verlauf des Überfalls angeschossen hatten? Wozu das Risiko, ihn aus dem Krankenhaus zu schaffen? Wenn man Zeugen beseitigen wollte, hätte man dies auch deutlich komfortabler erledigen können. Ich wurde das Gefühl nicht los, das eben jene Entführung eine maßgebliche Rolle in der späteren Ermittlung dieses Falles spielen würde. Weder Foster noch ich hatten bemerkt, dass nun ein Mann im schwarzen Anzug auf dem mit Pflastersteinen ausgelegten Weg stand und Mrs Reeves einen besorgten Blick zuwarf. »Mein Chauffeur, Finlay Barlow. Der Einzige, der mir in diesen Zeiten beiseite steht.« Foster gab dem uniformierten Fahrer die Hand, ich nickte ihm nachdenklich zu. Ich erkundigte mich, wie denn die betroffene Kundin auf die Nachricht reagiert hatte. »Sie war völlig am Boden zerstört. Ich konnte nicht mehr tun, als ihr zu versichern, dass die Versicherung aufkommen würde - was allerdings nicht besonders zweckdienlich sein wird, da der Wert des Schmuckstücks, wie bereits erwähnt, eher gering war.« - »Macht sie ihnen Vorwürfe?« - »Nein. Sie weiß von der Entführung und hat mir ihre Unterstützung bei der Suche nach meinem Mann zugesagt. Apropos…« Gezwungen gesammelt sah sie mir in bittend in die Augen. »Mrs Reeves, es wäre mir eine Freude, ihnen zu helfen.« - »Bezüglich des Honorars-« - »Madame, ich bitte sie. Wir arbeiten in Fällen wie diesem selbstverständlich unentgeltlich!« Ein dankbares Lächeln umspielte ihre von Tränen genässten Lippen und mit einem leisen Dankeschön zwang sie sich aus dem Korbstuhl und machte sich, den Fahrer im Schlepptau, auf den Weg zu ihrem Wagen.
»Was halten sie von der Geschichte, Foster?« - »Ganz ehrlich? Ich denke, dass diese Sache eine Nummer zu groß ist, um sie zu zweit anzugehen. Außerdem ermittelt doch derzeit auch das Yard. Die werden nicht gerade erfreut sein, wenn wir ungefragt Staub aufwirbeln.« - »Sie belieben zu scherzen, mein Bester. Wir beide wissen doch ganz genau, wie die Polizei vorgehen wird. Sie suchen eine Weile, stellen dann fest, dass sie unter Umständen über Staatsgrenzen hinweg arbeiten müssten und lassen die Sache dann galant unter den Tisch fallen. Mrs Reeves wird einen Bescheid für die Versicherung erhalten und dann wird die Sache langsam aber sicher an Bedeutung verlieren.«, warf ich ein. Foster sah mich verzweifelt an. Es war ihm noch nie geheuer gewesen, Begebenheiten dieses Kalibers anzugehen. Trotzdem habe ich ihn bis jetzt immer dazu überreden können, zumindest ein wenig herumzustochern. Sobald er auf einen Hinweis stieß, war er ohnehin nicht mehr zu zügeln. »Wo geht's als Erstes hin?«, antwortete er.
»Ms Eleanor Wallace, Bedford Avenue 71. Soweit richtig?« - »Ja. Das müsste das Backsteingebäude an der Ecke Adline Place sein, wenn ich mich nicht täusche.« Wir zwängten uns zwischen zahlreichen Tischen und Stühlen hindurch, die vor einigen Geschäften wegen der erwarteten Regenschauer bereits eingeklappt worden waren. Von allen Seiten her überholte uns der Geruch frisch gebrühten Kaffees, der in die Cafés am Straßenrand einlud. Der erste Tropfen warmen Regens traf meinen Arm, während wir vor dem Reihenhaus mit der Backsteinfassade stehen blieben, um uns umzusehen. Es hatte zwischenzeitlich begonnen, wie aus Kübeln zu regnen. »Da, auf einer der Klingeln steht Wallace.«, rief mir Foster zu, da ich ein wenig zurückgefallen war. Der Regen wurde einem von leichtem Wind ins Gesicht geweht. »Dann lassen sie uns nachsehen, ob sie zu Hause ist!«, antwortete ich und Foster klingelte. Das Wetter war unheimlich schnell umgeschlagen, weshalb ich mich mit mittlerweile durchnässtem Mantel unter dem kleinen Dach über der Haustüre unterstellte und zusammen mit Foster darauf wartete, dass man uns eben jene Tür öffnen würde. Eine in einen seltsamen Seidenmantel gehüllte, alte Dame steckte ihren Kopf durch die nur leicht geöffnete Tür hinaus und sah uns fragend an: »Wie kann ich ihnen behilflich sein, Gentlemen?« - »Ms Wallace? Wir sind wegen ihres vor wenigen Tagen entwendeten Kolliers hier!«, antwortete Foster ihr, gegen den pfeifenden Wind anbrüllend. Erfreut öffnete sie die Tür nun gänzlich. »Sie haben es bereits gefunden? Ihre Kollegen sagten mir, dass die Aufklärung einige Wochen, vielleicht sogar Monate dauern könnte, und die Chancen, dass man es überhaupt wieder auftreiben könne, entschieden schlecht stünden.« Ich unterbrach sie, was sie in ihrer Freude kaum zu stören schien: »Ms Wallace, mein Name ist Edmund Stucky. Ich bin Privatdetektiv, wie sie vielleicht bereits wissen, und wurde von ihrer Juwelierin Mrs Reeves beauftragt, den Überfall, in dessen Verlauf ihr Kollier der sieben Blutmonde abhandengekommen ist, zu untersuchen. Mein Kollege hier ist George Foster, ehemaliger Mitarbeiter des New Scotland Yard und seit einiger Zeit mein fähiger Begleiter und Kollege.« Ihr schon zuvor sehr freudiger Gesichtsausdruck war während meines Quasi-Monologs zu einem Ausdruck heller Freude geworden. Freudestrahlend rief sie: »DER Edmund Stucky?« Das peinlich berührte Lächeln hatte mich wohl verraten. »Dass ich das erleben darf! Man liest ja so viel von ihren Erfolgen und vergisst dabei ganz, dass sie als Bürger Londons doch so nah sind…«, fuhr sie fort. Ich wiegelte ihre Lobeshymne etwas verlegen ab und versuchte, das Gespräch wieder auf unser Anliegen zurückzuführen: