Das Kopierbuch der Liebe - Paul Schlesinger - E-Book

Das Kopierbuch der Liebe E-Book

Paul Schlesinger

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Beschreibung

Ein heiterer Briefroman voller Witz und Hintersinn. Wohl an ein Dutzend Freundinnen schreibt der junge Ludwig Benrath ein Frühjahr lang Brief auf Brief. Da ist die verständnisvolle Helene von T. in H., die Zigarrenverkäuferin Gusti, die unglückliche Ehefrau Katharina Rapp (deren Ehemann schon zwei Frauen vor ihr in den Selbstmord getrieben hat), eine geheimnisvolle Unbekannte, das Fräulein Marie aus dem Café Minerva und so weiter ... Jede spielt eine Rolle in diesem Liebesreigen, bis nach all den Flirts und Affären eine übrig bleibt: Suse Stein. Sie erwartet ein Kind von Ludwig ...-

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Paul Schlesinger

Das Kopierbuch der Liebe

Ein Romanauf Seidenpapier

Saga

Den 2. Februar.

An Julie B. in H.

Geliebte!

Du hast diesen Brief mit allen Erwartungen Deines feurigen Herzens geöffnet. Nach dem ersten Blick auf die matte verwaschene Schrift legst Du ihn — nein, Du wirfst ihn von Dir. Deine schönen kraftvollen Finger spreizen sich im Gefühl des Ekels, Deine guten Augen sind von Misstrauen verschleiert, und Dein schmaler, Mund öffnet sich zur stummen Klage, zum Vorwurf.

Was ist es mit der Schrift? Bist Du noch immer verwirrt, oder erinnerst Du Dich schon der Briefe auf dem Pulte Deines Vaters, wie sie von Feuchtigkeit durchzogen, an den Ecken sich werfend, aus der Kopierpresse kamen? Nun, ich bekenne meine Schuld: ich kopierte diesen Brief, oder nein, ich werde ihn wie alle anderen kopieren, die ich an Dich schreiben will. Aber bist Du wirklich im Recht, mir wieder und wieder jene kühle und berechnende Vorsicht, jene peinigende Zergliederung und Bespiegelung meines Selbst vorzuwerfen, die Dir so oft die Lust des Kusses verdarb?

Ach, Liebste, begingst Du nicht selbst den Fehler, in mir einen zu lieben, der ich gar nicht bin? Du wolltest mich hingerissen, unüberlegt, mit der stürmischen Dreingabe des ganzen Menschen an ein eben aufwallendes, unerprobtes Gefühl. Aber hättest Du mich geliebt, wenn Du mich so gefunden? Ach, an jenem ersten Tage, da ich vielleicht so war, wie Du mich wünschest, hast Du mich überhaupt bemerkt?

Ich habe Dir nie erzählt, wie oft schon diese jungen Flammen niedergetreten waren, bevor sie Dir entgegenschlugen. Nicht ich trage die Schuld, dass ich mit achtzehn Jahren reif genug war, mir Erfahrungen zu nutze zu machen. Aber Dir gebührt die Krone, weil ich Dich als erste der Mühe wert fand, die Erfahrungen anzuwenden, mit allen Künsten der Verstellung Deine Aufmerksamkeit zu erregen, und langsam Deines Vertrauens würdig — würdig — zu werden: Du weisst nicht, wie ich mich hasste, da ich als zuverlässigster der Freunde neben dir durch eine warme Herbstnacht trabte. Deine Brust war voll Gefühl für einen andern, der Dich nicht bemerkte. O, was wäre aus Dir und mir geworden, wenn ich in jener Nacht der gewesen wäre, der ich war?

Nun, da Deine Liebe zu mir verbrieft und besiegelt ist, willst Du mir die Wege vorwerfen, auf denen ich sie erschlichen? Ja, es war ein volles Jahr der Lüge und List, ein Biedermannsspiel über allen Abgründen. Aber war mein Ziel deshalb ein weniger edles? Wahr ist es, dass ich am Ende kaum noch die Kraft hatte, das Geschenk Deiner Liebe zu empfangen. Deine Wangen, Dein Kuss war meinen Gedanken zu lange vertraut gewesen, bevor Dich meine Lippen berührten. Meine Wünsche hatten mit Deinem Haar gespielt, zu spät umflutete mich sein Duft. Wich erschlug die sanfteste Liebkosung Deiner Hand — wie eine Wirklichkeit, die den gar zu säumigen Träumer notwendig vernichtet. Fassungslos hielt ich Dich in meinen Armen, plötzlich beschwert — nicht vom Glück — von Sorge, von Sorge!

Julie, ich habe mir sagen lassen, es gäbe Menschen, die mit aller Selbstverständlichkeit ungebrochener Natur, Glück auszuteilen, Glück zu empfangen vermögen. Ich bin kein solcher Mensch, bist Du es? Warum tragen wir beide den Fluch, am Morgen unseres Glückes die Nacht unserer Leiden mit untilgbarem Gewicht auf unseren Schultern zu spüren? Wir waren jung und fühlten gleichwohl unsere Vereinigung nicht als den hoffenden Anfang unseres Lebens, eher als den tröstenden Beschluss verquälter Jahre. Da wir ungeübt, ungescheut uns im heitersten Genusse hätten finden können, hatten unsere Herzen schon ihre Geschichte, und wir wurden nicht müde, in ihren Blättern zu lesen.

Wir wollten uns beide nicht verloren geben, wir wollten uns zu gutem Lächeln endlich zwingen, und es gelang uns nicht. Ich riss mich von Dir los wie in der unbestimmten Hoffnung, dass Sehnsucht der beste Teil unserer Liebe sei; ich floh hierher. Ich sah Dich nicht wieder. Ich schrieb Dir.

Aber was schrieb ich Dir? Ich weiss es nicht. Vor mir liegen Deine brennenden Briefe, ungeordnet und ewig zur Anordnung bestimmt; vergebens suche ich meine Frage aus Deiner Antwort, meine Antwort aus Deiner Frage zu erkennen. Was schrieb ich Dir? O, ich weiss, Du bist wahrhaftig. Du hast Dich mit langverhaltener Glut in das Abenteuer gestürzt, von dem Dein bestes Gefühl will, dass es das letzte bleibe. Deine Handschrift trägt die Zeichen der Leidenschaft, oder der Besonnenheit, der Sehnsucht oder eines fernen Friedens. Aber immer ist es Deine Handschrift, immer ist es unverkennbar Dein Gesicht, in Lust oder Qual, Zweifel oder Laune.

Meine Handschrift war nie dieselbe. Das weiss ich, ist aber auch das einzige, was ich weiss. Begreifst Du nun meinen Schrecken, als mir neulich wer sagte, ich sähe von Tag zu Tag völlig verschieden aus. Was ist mir? Wer bin ich?

Julie, ich will Rechenschaft haben vor mir selbst. Ich will meine Worte der Liebe nicht in den Wind streuen, als seien sie nicht gesagt: Ich weiss, sie leben weiter. Du hältst sie in Deiner Schatulle, Du greifst zu ihnen, Du kannst sie vergleichend untersuchen, Du reihst sie zu einem Bild zusammen — zu welchem?

Julie, ich ertrage es nicht länger, nicht zu wissen, wer ich bin. Noch bin ich völlig im Gewoge unbekannter Triebe. Einmal aber will ich Entschlüsse fassen können, und dann will ich Geschriebenes in der Hand halten, für mich, wider mich, Ordnung will ich haben.

Ich weiss, Julie, noch ist Dein Misstrauen kaum beruhigt. Deine gute Seele hat früh gelernt, was Skepsis ist. Und ohne Hoffnung legst Du den Brief zu den übrigen.

Ich aber hoffe! Denke nur, ich hoffe! Fünf Jahre, immerhin, sind es, dass meine besten Gefühle für Dich sind. Das Glück der Belasteten ist ein anderes, als das der Angebrochenen. Aber ich hoffe, es wird ein Glück sein! Ein tieferes, ein schmerzlicheres und doch ein vollkommenes. Gab es für unsere Herzen so früh eine Geschichte, so gibt es — ich fühle — für sie auch eine Religion. Und wir sind so weit, dass wir über ihren Sinn nicht mehr uneinig werden können.

Schreibe mir, Julie, aber nicht über diesen Brief. Und nicht über unsere Liebe, von der wir nicht zu sprechen brauchen, weil sie ist. Schreibe mir von Deinem Leben, Deinem Alltag, und ich werde von Festen lesen. Schreibe mir.

Ludwig.

Den 2. Februar, 9 Uhr abends.

An Emmy Förster.

Liebe Emmy!

In aller Eile. Ich hatte mich leider um einige Minuten verspätet. Musste noch einen wichtigen Brief auf die Post tragen; aber es waren wirklich nur fünf Minuten, und die hättest Du doch immerhin warten können. Und ich stand da und wartete so lange, so sehr lange.

Also hoffe ich auf morgen, um dieselbe Stunde.

Ich küsse Dein blondes Haar

Dein

Ludwig.

Den 3. Februar.

An Frau Helene von T. in H ...

Nun muss ich auch Dich wegen dieser blassen Schrift um Entschuldigung bitten, aber ich danke Dir im voraus dafür, dass ich bei Dir nicht so viel Worte machen muss, wie bei Julie. Sonderbar, je ernster eine Liebe ist, um so strenger fordert sie ein Zeremoniell für sich; die Liebhaberei ist überhaupt konservativ, und jede Kleine Neuerung bedarf der vorsichtigen Einführung und der zartesten Empfehlung.

Gut also, Helene, dass wir uns nicht geliebt haben. Aber meine Briefe an Dich kommen doch in dieses Buch, durch das ich eine gewisse Übersicht anstrebe. Sei trotzdem versichert, dass Dein Platz in diesem Buch ein ehrenvoller sein wird. Nein, nein, nur nicht zeremoniell werden, nur nicht Dir gegenüber. Aber ich habe eine so unendliche Dankbarkeit gegen Dich. Vielleicht lag es nur an meiner Jugend, dass es mir noch heute ein so seltenes Glück erscheint, Dich gefunden zu haben: das Mädchen, an dessen Lippen ich hängen durfte, ohne verpflichtet zu sein, in den Pausen der Lust Unsinn zu sprechen, Schwüre zu stammeln, Luftschlösser zu bauen. Nein, Helene, wären wir nicht beide in einem gewissen innersten Punkte unseres Herzens so kalt, so unerwärmbar, wir hätten fast das Recht gehabt, uns Freunde zu nennen!

Und taten es beide nicht, weil wir beide uns gegenüber den sonst unerlaubten Luxus gönnen konnten, ganz wahr zu sein, den grenzenlosen Egoismus, durch den wir uns ja nicht vor anderen Menschen auszeichnen, einzugestehen. Hilf Himmel, die durchdringendste Aufrichtigkeit gegen sich selbst ist ein billiger Scherz, wenn man nicht den Mut hat, sich ein noch so kleines Publikum dafür zu suchen. Es gab Stunden, wo ich gewünscht hätte, Dir einen kleinen Mord beichten zu können; die Pfirsichhaut Deiner Wangen hätte sich kaum gerötet, Deine Lippen, so gerade und so voll, hätten sich nur zu einem Lächeln gekräuselt. Deine Augen, die so grau, klug, schimmerlos in das von allen Reizen erfüllte Gesicht gesetzt sind, hätten mich unverwirrt angesehen, und Du hättest mit Deiner kühlen, gleitenden Stimme nur gefragt: „Wie hast Du es gemacht?“

Indessen, ich habe den Mord noch immer nicht begangen. Als man mir neulich beim Bäcker zehn Mark statt einer Kupfermünze herausgab, machte ich mich nichts wissen — nun, weil ich das Geld sehr brauchen konnte; dass ich vor vierzehn Tagen in einer meiner armseligen Buchbesprechungen drei Sätze des Kritikers J. verwandte, geschah übrigens nur aus Bescheidenheit. Es war der aufquellende Widerwille gegen mein Handwerk, das mich zwingen will, meine eigenen Ansichten der Veröffentlichung für wert zu halten. So äusserte ich über das Buch von W. die Meinung J.s über den Tell des Schauspielers H. Es wird gedruckt, bezahlt und hat seine Wirkung.

Ach ja, das Handwerk! Was ich immer noch nicht recht verstehe, Helene, dass es so ganz und gar schlecht und niederträchtig sein soll, die Hände in den Schoss zu legen, aus dem Fenster zu schauen, dem Fluge der Wolken nach, oder dem weichenden Schatten bei aufsteigender Sonne. Ich kann immer noch nichts Moralisches bei der Arbeit finden; hinter dem Schalter eines Postamtes, in den giftigen Gasen einer Plättstube, in den Fabriken, in den Börsen, in den Krämerläden — überall wird entsetzlich gearbeitet. Alles, was in den Läden liegt, ist gearbeitet, und selbst das Schwein, das sein Hinterteil zum Schlächterwagen heraushängen lässt, sagt mit einer letzten, nicht unappetitlichen Geste: Fressen ist auch Arbeit.

Ach, Helene, ich überanstrenge mich nicht einmal beim Essen. Dazu reicht es nicht. Das sage ich ohne Klage. Ich bin froh, wenn ich knapp so viel habe, meinen Hunger zu stillen. Ich möchte nur für mich das Recht jener Bescheidenheit in Anspruch nehmen, die sagt, lieber nicht arbeiten als Schlechtes und Überflüssiges. Und was sehe ich nicht in meiner nächsten Nähe arbeiten: der Komponist Walter E. komponiert vielleicht auch; aber nicht deshalb geniesst er die allgemeine Achtung unseres Kreises, sondern weil er fünfzehn unbegabten Rangen wohlhabender Familien für einiges Geld die zwecklosesten Klavierstunden erteilt. Der Dichter Heinrich von K. arbeitet an seinem Doktor, und der Mediziner Max P. schreibt Novellen, der Sänger U. zeichnet Entwürfe für eine Tapetenfabrik und selbst der Spanier Juan de L. y. B., ein Mensch, dem man wirklich nicht vorwerfen kann, dass er die Feder zu etwas anderem missbraucht hätte, als um einen Wechsel zu unterschreiben, steht von früh bis spät am Billardtisch.

O, diese keuchende, vorwärtswollende Menschheit. Sage mir nur nicht, Helene, dass ich je etwas gewollt hätte. Wenn ich es selbst mal geglaubt habe, so war es ein Irrtum. Ich habe gestern einen langen Brief an Julie geschrieben, und dann eine halbe Stunde auf ein kleines Mädchen gewartet. Übrigens vergebens. Ich habe heute diesen Brief geschrieben, und werde nachher wieder auf dasselbe kleine Mädchen warten. Und ich gebe Dir mein Ehrenwort, dass mich diese Tätigkeit vollkommen ausfüllt.

Was übrigens Julie betrifft — aber nein, es ist besser davon zu schweigen. Du bist ihre Freundin, und deshalb nicht ungefährlich. Aber kannst Du mir das eine sagen: wenn es wahr ist, dass sie mich liebt, warum hat sie den ganzen Krempel ihrer dämlichen bürgerlichen Existenz nicht hinter sich geworfen, warum kommt sie nicht, um ein Leben mit mir zu teilen, das im Grunde nicht weniger kühn und herrlich ist als das eines Bergsteigers, nicht weniger einsam als eines Königs, nicht weniger reich als das eines Bettlers? Und wenn sie nicht kommt, warum kommst nicht wenigstens Du?

Dein

Den 3. Februar, 9 Uhr abends.

An Emmy Förster.

Liebe Emmy!

Heute aber war ich wirklich pünktlich. Und stand eine ganze Stunde im rieselnden Regen. Ich weiss gar nicht, was ich davon halten soll.

Ich küsse Dich

L.

L. K. 100.

Hauptpostlagernd.

Kätchen!

Noch weiss ich nichts von Ihnen als diesen lieben zärtlichen Namen! Und in meinen Augen ist Ihr freundlich frohgemutes Bild. So schlank und kühn kämpften Sie sich durch das Schneetreiben. Aber so dicht die Flocken fielen, mich berührte dieser tiefe blaue heitere Blick. Der Schnee selbst hatte Ihre braunen Locken gezeichnet und lag dicht auf dem schwarzen runden Pelzkäppchen. Ich kämpfte mich Ihnen nach, sah die schön nach vorn gewölbte Stirn, die so besonders geschwungene Nase, von der ich noch nicht weiss, was sie bedeutet. Das starke Kinn.

Sie bemerkten mich, Sie waren nicht böse, ich stellte Sie, Sie lächelten, und nun erst sah ich den frischen, mit den köstlichsten Zähnen bewehrten Mund. Viel Zeit hatten Sie für mich nicht. Aber Sie erlaubten mir, Ihnen zu schreiben.

Das tue ich nun und habe Ihnen noch so gar nichts zu sagen. Ich bin nur neugierig auf Sie. Schreiben Sie mir auch — wann werde ich Sie sehen? Ich freue mich auf Sie und drücke inzwischen Ihre kräftige, schlanke Hand.

Ludwig Benrath.

Den 4. Februar.

Un Fräulein Melanie H. (mit einigen Büchern).

Geehrtes Fräulein!

Als Sie in dem gestrigen allgemeinen Gespräch bedauerten, die Bücher H.s nicht zu kennen, hielt ich mich nicht für berechtigt, Ihnen nach einer Bekanntschaft von der Dauer weniger Minuten die geringste der Gefälligkeiten aufzudrängen.

Nun sind immerhin schon sechzehn Stunden vergangen, dass ich Ihnen begegnen durfte, und ich bin glücklich, Ihnen aus meiner nicht eben reichen Bibliothek das zu übersenden, was ich von H. besitze — es ist zugleich alles, was er geschrieben hat.

Wundern Sie sich bitte nicht über diese Geste — und deuten Sie sie nicht falsch! Ich habe über das Verleihen von Büchern meine besonderen Anschauungen. Es gibt nichts Schöneres, als aus dem eigenen, fast ärmlichen Schatz eine Gabe reichen zu dürfen, deren Wert in tiefstem Grunde unschätzbar ist. Gerade indem wir diesem Buch, diesem einen von Tausenden gleich aussehender Exemplare, einen Eigentumswert beimessen, weil wir darin gelesen und wieder gelesen haben, schöpfen wir die Hoffnung, es möge von unserer Zuneigung, von unserem Heimatsgefühl zu dem Werk, aus diesen schon etwas verbrauchten Blättern eine gleiche Wärme und Güte zu dem neuen Menschen aufsteigen, der sich mit ihnen befasst. Wenn Sie mir gestatten, Ihnen diese Bücher zu leihen, so beglücken Sie damit doppelt einen Menschen, (einen Schriftsteller, wenn Sie wollen), der zu arm ist, Gäste an seinen eigenen Tisch zu laden, der aber nicht müde wird, die Bücher zu verteilen, die er selbst geschrieben haben möchte.

Sollten Sie belieben, mir diese Bändchen bei Gelegenheit zurückzustellen, so werde ich Sie nun doppelt in Ehren halten, weil ich weiss, dass eine neue Flamme entzündet wurde. Aber ich bemerke, dass ich von den Leuten, die Bücher nicht zurückgeben, nur diejenigen verachte, die es aus Vergesslichkeit unterlassen. Die aber mit Bewusstsein Bücher stehlen, tun es aus einer Kraft und Begierde des Gemütes, die Eigentumsrechte verleiht.

Muss ich hinzusetzen, dass auch ich diese Bücher gestohlen habe?

Mit den ergebensten Empfehlungen

Ihr

Ludwig Benrath.

4. Februar.

Fräulein Emmy Förster.

Meine Liebe!

Dein Brief hat mich überrascht. Also deshalb hast du mich drei Tage vergebens warten lassen, um mir am dritten Deine Bedingungen mitzuteilen? Wie eine Festung ihrem Belagerer? Aber nein, Kindchen, Du irrst Dich ganz entschieden, Du bist nämlich gar nicht belagert. Ich habe Dich gern — ich habe Sehnsucht nach Dir, aber Du weisst ja alles, was ich habe. In diesen zwei Wochen hast Du mir — nein, ich sage Dir doch nichts davon. Wir haben sehr wenig gesprochen, wenn wir zusammen waren, und haben sehr genau gewusst, was wir wollten. Und nun sollen wir uns plötzlich Briefe schreiben? Von einer Strassenecke zur anderen?

Nein, Liebe, aber sei nicht böse deshalb. Ich habe schon sehr viele Briefe geschrieben, und es war gar nichts dahinter. Ich könnte mir denken, mit einem Menschen stumm zu leben, zu glücklicher, tiefer — nein Kindchen, man zerstört viele Dinge, wenn man sie ausspricht. Und andere kommen nicht auf den Weg, und wenn man sie hundertmal vor sich herbetet.

Man könnte sich nur fragen: warum es nicht geschah — oder noch nicht? Aber das kommt einfach daher, dass du eben keine Festung bist, und ich kein Belagerer, Komm, schweige, und wir werden so viel Glück erleben, als unsere Herzen reichen.

Ich küsse Dich.

5. Februar.

Fräulein Gusti K.

Liebe Freundin!

Die paar Blumen zu Ihrem Geburtstag. Ich muss im Bett liegen (ein dummer Gaul hat mich gestern von hinten angerannt, aber es ist nicht weiter schlimm), und so kann ich Ihnen heute nicht die Hand drücken. Aber nichts bringt mich davon ab, die gewohnte Stunde mit Ihnen zu verplaudern.

Also es ist kurz nach Tisch. Die Bürger liegen auf ihren Sofas, die Künstler sitzen in den Kaffeehäusern, die Leutnants lungern in den Kasinos. Es ist eigentlich auch Ihre Ruhestunde, aber dann komme ich und nehme mir Ihre — meine Stunde.

Wissen Sie denn überhaupt, Gusti, dass Sie die sonderbarste Person unserer höchst sonderbaren Stadt sind? Und das Sonderbarste, dass man es Ihnen sagen darf! Es liegt nicht an Ihnen allein, das wissen wir alle. Der merkwürdige Gedanke Ihres Prinzipals, einen Zigarrenladen so einzurichten, wie — nun, wie den dämmerigsten Winkel eines frauenreichen Paschahauses. Sie werden mit Ihrer göttlichen Nüchternheit mir gleich auseinandersetzen: Tabak, Orient. Nein, nicht diese Ideenfolge ist das Wunderbare. Der Prinzipal ist kein Phantast, es gehörte nur eben die ganze Unbekümmertheit eines kaufmännischen Gemütes dazu, einen so wollüstigen Winkel mitten auf die nüchterne öde Theresienstrasse zu setzen, durch bunte Scheiben das kalte Licht abzuwehren, und nun mit echten Teppichen, unechter Holzarchitektur und weichen Polstern einen Raum zu schaffen, der weiss Gott zu allen Dingen besser geschaffen wäre als zum Zigarrenverkaufen. Ich sage das übrigens nicht aus Bewunderung für diesen Raum; ich betone nur seinen eindeutigen Zweck. Und in diese dunkle fremdländische verführerische Pracht, setzte der Prinzipal Sie, deutschestes der deutschen Mädchen.

Natürlich, er wusste schon, was er tat, der gute Mann, der es aus mehr als einem Grunde nicht mehr nötig hat, sich selbst hinter den Ladentisch zu stellen, und um dessen Geschäft und Diwans es schlecht stünde, hätte er nicht Sie gefunden!

So stehen Sie hinter der Theke wie hinter einem uneinnehmbaren Wall, derb, breit, treu. Für jeden Gast holen Sie Stösse von Kisten hervor, lassen Ihre Sachkenntnis glänzen: Sumatra mit Havana, Borneo mit Sumatra! Aber Sie, die noch niemals ein Krümchen Tabak auf der Zungenspitze gehabt haben, Sie verkaufen nicht nur, Sie kaufen auch ein. Wissen, wie es Ihre Kundschaft liebt, empfinden mit untrüglichem Instinkt, was jeder rauchen will, Arbeiter, Gelehrter, Künstler, Offizier. Und keiner hat nötig, ein zweites Mal zu suchen, Sie kennen von jedem den Namen und die Sorte seines Krautes.

Aber überlassen wir es dem Prinzipal, Ihre geschäftlichen Tugenden zu kennen, zu preisen und zu belohnen! Was sind Sie uns — Kunden!