Das Land der Pelze - Jules Verne - E-Book

Das Land der Pelze E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Bei einem Empfang der Hudson's Bay Company in Fort Reliance treffen Soldaten, Häuptlinge der Indianer und Forschungsreisende wie Paulina Barnett mit ihrer Dienerin Madge aufeinander. Paulina Barnett hat in der Vergangenheit bereits den Brahmaputra bis Tibet und weiße Flecken auf der Landkarte Australiens wie den Golf von Carpentaria bereist. Diesmal plant sie eine Reise in den hohen Norden Kanadas. Sie will sich der Expedition von Leutnant Jasper Hobson anschließen, der über den nördlichen Polarkreis in arktische Regionen vorstoßen will. Die Hudson Bay Fur Company hat ihn beauftragt, an der Nordküste des amerikanischen Kontinents eine neue Niederlassung für den Handel mit Pelzen zu gründen. Dies geschieht vor dem Hintergrund des geplanten Verkaufs von Alaska durch Russland an die USA. Der neue Stützpunkt soll eine Handelsverbindung über den Pazifik mit Dampfschiffen als Alternative zu der damals noch vermuteten Nordwestpassage ermöglichen. Insgesamt brechen 19 Personen mit 12 Hundeschlitten in den Norden auf. Jules Verne (1828-1905) war ein französischer Schriftsteller.

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Jules Verne

Das Land der Pelze

e-artnow, 2017 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-8103-2

Inhaltsverzeichnis

Erster Band
Erstes Capitel.
Zweites Capitel.
Drittes Capitel.
Viertes Capitel.
Fünftes Capitel.
Sechstes Capitel.
Siebentes Capitel.
Achtes Capitel.
Neuntes Capitel.
Zehntes Capitel.
Elftes Capitel.
Zwölftes Capitel.
Dreizehntes Capitel.
Vierzehntes Capitel.
Fünfzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.
Siebenzehntes Capitel.
Achtzehntes Capitel.
Neunzehntes Capitel.
Zwanzigstes Capitel.
Einundzwanzigstes Capitel.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
Dreiundzwanzigstes Capitel.
Zweiter Band
Erstes Capitel.
Zweites Capitel.
Drittes Capitel.
Viertes Capitel.
Fünftes Capitel.
Sechstes Capitel.
Siebentes Capitel.
Achtes Capitel.
Neuntes Capitel.
Zehntes Capitel.
Elftes Capitel.
Zwölftes Capitel.
Dreizehntes Capitel.
Vierzehntes Capitel.
Fünfzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.
Siebenzehntes Capitel.
Achtzehntes Capitel.
Neunzehntes Capitel.
Zwanzigstes Capitel.
Einundzwanzigstes Capitel.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
Dreiundzwanzigstes Capitel.
Vierundzwanzigstes Capitel.

Zweites Capitel.

Hudson’s bay fur Company.

Inhaltsverzeichnis

»Herr Kapitän?

– Mistreß Barnett.

– Was denken Sie von Ihrem Lieutenant, Herrn Jasper Hobson?

– Ich halte ihn für einen Officier, der weit vordringen wird.

– Was verstehen Sie unter den Worten, weit vordringen? Wollen Sie damit sagen, daß er den achtzigsten Breitengrad überschreiten wird?«

Der Kapitän Craventy konnte sich bei dieser Frage Mrs. Barnett’s des Lächelns nicht erwehren. Er und sie plauderten nahe dem Ofen, während die Eingeladenen zwischen dem Tische mit Speisen und dem mit Erfrischungen hin-und hergingen.

»Madame, erwiderte der Kapitän, Alles, was einem Manne möglich ist, wird Jasper Hobson thun. Die Compagnie hat ihn mit der Durchforschung ihrer nördlichsten Besitzungen und der Errichtung einer Factorei, möglichst nahe der Nordküste Amerikas beauftragt, und das wird er auch ausführen.

– Da ruht aber eine große Verantwortlichkeit auf dem Lieutenant Hobson, sagte die Reisende.

– Ja, Madame, doch ist Jasper Hobson nie vor der Durchführung eines Versuches, und wenn dieser auch noch so mühsam war, zurückgeschreckt.

– Ich glaube Ihnen, Kapitän, antwortete Mrs. Paulina, und ich werde ja diesen Lieutenant in Thätigkeit sehen. Welches Interesse treibt aber die Compagnie, auch an der Küste des Arktischen Oceans noch ein Fort zu errichten?

– O, ein sehr großes Interesse, Madame, um nicht zu sagen, ein doppeltes. Voraussichtlich wird Rußland in nächster Zeit seine amerikanischen Besitzungen der Regierung der Vereinigten Staaten abtreten1.Tritt diese Cession ein, so wird der Handel der Compagnie nach dem Pacifischen Ocean hin wesentlich erschwert, wenn die von Mac Clure entdeckte nordwestliche Durchfahrt keinen brauchbaren Seeweg bieten sollte. Darüber müssen erst neue Untersuchungen Licht geben, und die Admiralität rüstet eben ein Schiff aus, dessen Aufgabe es sein wird, von der Behrings-Straße aus längs der amerikanischen Küste bis zum Krönungs-Golf an der Ostgrenze, wo das neue Fort gegründet werden soll, hinzufahren. Gelingt das Vorhaben, so wird dieser Punkt zu einer sehr wichtigen Factorei werden, in der sich der ganze Rauchwaarenhandel des Nordens concentriren müßte. Und während der Transport der Pelze über die Indianer-Territorien sehr viel Zeit und hohe Spesen kostet, könnten flinke Dampfer den Stillen Ocean von jenem Fort aus in wenigen Tagen erreichen.

– Das wäre freilich, erwiderte Mrs. Paulina Barnett, ein schwerwiegender Erfolg, wenn die Nordwest-Passage überhaupt benutzbar ist. Doch Sie sprachen, glaub’ ich, von einem doppelten Interesse?

– Das zweite Interesse, fuhr der Kapitän fort, berührt gewissermaßen eine Lebensfrage der Compagnie. Hierzu muß ich Sie jedoch um die Erlaubniß bitten, Ihnen deren Ursprung mit kurzen Worten zu berichten. Sie werden daraus abnehmen können, wie diese einst so blühende Handelsverbindung jetzt in ihrer Wurzel bedroht ist.«

In wenigen Worten erzählte also der Kapitän die Geschichte dieser weitberühmten Compagnie.

Es ist bekannt, daß der Mensch schon in den ältesten Zeiten nach den Fellen und Pelzen gewisser Thiere trachtete, um sie zu seiner Kleidung zu verwenden. Der Rauchwaarenhandel reicht also bis in das hohe Alterthum zurück. Der Kleiderluxus ging ja manchmal so weit, daß mehrere Male sogenannte Aufwands-Gesetze (Kleiderordnungen) erlassen wurden, um dieser Mode, welche vorzüglich in Pelzwaaren Verschwendung trieb, zu steuern. So mußte z. B. das graue Pelzwerk im zwölften Jahrhundert verboten werden.

Im Jahre 1553 gründete Rußland in seinen Steppen des Nordens mehrere Niederlassungen, und englische Compagnien folgten bald diesem Beispiele. Der Handel mit Zobel, Hermelin, Viber u. s. w. wurde damals durch die Samojeden vermittelt. Unter der Regierung Elisabeth’s aber wurde der Gebrauch kostbarer Pelzwaaren durch ein königliches Verbot streng verpönt, und einige Jahre lag diese Handelsbranche völlig brach.

Am 2. Mai 1670 erhielt dann die Pelzwaaren-Compagnie der Hudsons-Bai ein Privilegium. Diese Compagnie hatte eine Anzahl Theilhaber aus den höchsten Kreisen, wie den Herzog von York, den Herzog von Albemarle, den Grafen von Shaftesbury u. s. w. Ihr Capital betrug anfangs nur 8400 Pfund Sterling. – Als Rivalen hatte sie besondere Genossenschaften, deren französische, in Canada seßhafte Agenten oft sehr abenteuerliche, aber auch ergiebige Züge unternahmen. Die unerschrockenen Jäger, welche unter dem Namen der »Canada-Reisenden« bekannt sind, machten der jungen Compagnie eine derartige Concurrenz, daß deren Fortbestand ernstlich in Zweifel gestellt wurde.

Die Eroberung von Canada aber veränderte diese bedrohliche Sachlage. Drei Jahre nach der Einnahme von Quebec, im Jahre 1766, blühte der Rauchwaarenhandel sehr merkbar auf. Die englischen Factore hatten sich in die Schwierigkeiten dieses Geschäftes eingelebt, sie kannten nun die Landessitten, die Gewohnheiten der Indianer und das Verfahren, welches diese bei ihrem Tauschhamdel einhielten. Dennoch war von Erträgnissen der Compagnie noch keine Rede. Dazu waren, gegen 1784, Kaufleute aus Montreal zur Ausbeutung desselben Geschäftes zusammengetreten, und hatten die mächtige »Compagnie des Nordwestens« gegründet, welche bald Alles zu sich heranzog. Im Jahre 1798 belief sich der Umsatz dieser neuer Compagnie auf die enorme Ziffer von hundertundzwanzig Millionen Pfund Sterling, während die Hudsons-Bai-Compagnie noch um ihren Fortbestand kämpfte.

Freilich schreckte jene Compagnie des Nordwestens auch vor keiner Immoralität zurück, wenn ihr Interesse im Spiele war. Sie beutete ihre eigenen Beamten aus, speculirte auf das Elend der Indianer, mißhandelte sie, machte sie trunken, um sie zu berauben, und übertrat das Parlamentsverbot, welches den Verkauf von Spirituosen in den Gebieten der Eingeborenen untersagte. So ernteten die Agenten dieser Gesellschaft reiche Erträgnisse, trotz der Concurrenz der inzwischen gegründeten amerikanischen und russischen Handelsgesellschaften, unter Anderen der »Amerikanischen Rauchwaaren-Compagnie«, welche 1809 mit dem Kapitale von einer Million Dollars gegründet worden war und den Westen der Felsengebirge ausbeutete.

Von allen Gesellschaften blieb die Hudsons-Bai-Compagnie die bedrohteste, bis sie im Jahre 1821 nach lange hingezogenen Verhandlungen ihre alte Rivalin, die Compagnie des Nordwestens, in sich aufnahm, und sich nun»Hudson’s bay fur Company«nannte.

Heutzutage hat diese mächtige Gesellschaft keine andere Rivalin, als die »Amerikanische Pelzwaaren-Compagnie von St. Louis«. Sie besitzt zahlreiche Etablissements, welche auf einem Raume von 3,700,000 Quadratmeilen verstreut liegen. Ihre Hauptfactoreien befinden sich an der James-Bai, an der Mündung des Severn, im südlichen Theile und nahe den Grenzen von Ober-Canada, an den Seen Athapeskow, Winnipeg, Supervior, Methye, Buffalo, ferner an den Strömen Colombia, Mackenzie, Saskatchavan, Assinipoil u. s. w. Fort-York, welches den Nelson-Fluß, der in die Hudsons-Bai mündet, beherrscht, bildet das Hauptquartier der Compagnie, bei dem sich die ausgedehntesten Rauchwaarenmagazine befinden, daneben hat sie, seit 1842, gegen eine jährliche Entschädigung von 200,000 Francs die russischen Etablissements im Norden Amerikas übernommen. Sie beutet also für eigene Rechnung die ungeheuren Ländereien zwischen dem Mississippi und dem Stillen Weltmeere aus. Nach allen Richtungen hat sie unerschrockene Reisende entsendet, so Hearn nach dem Polarmeere, welcher 1770 Copernicia entdeckte; Franklin, von 1819 bis 1822, über 5550 Meilen des amerikanischen Küstenlandes; Mackenzie, welcher nach der Entdeckung des Flusses, der seinen Namen trägt, die Ufer des Stillen Oceans unter 52° 24’ nördlicher Breite erreichte. Von 1833 bis 1834 sendete sie folgende Massen von Häuten und Pelzfellen nach Europa, welche den erstaunlichen Umfang ihres Handels genau angeben:

Biber ……. 1,074

Seehunde und junge Biber. 92,288

Bisams ……. 694,092

Dachse ……. 1,069

Bären …….7,451

Hermelins …… 491

Iltisse ……. 5,296

Füchse ……. 9,937

Luchse ……. 14,255

Marder ……. 64,490

Nerze ……. 25,100

Fischottern …… 22,303

Waschbären …… 713

Schwäne …… 7,918

Wölfe ……. 8,484

Vielfraße …… 1,571

Eine solche Production mußte der Gesellschaft wohl einen reichen Ertrag liefern; unglücklicher Weise waren aber solche Ziffern nicht beständig, und etwa seit zwanzig Jahren nahmen sie fortwährend ab.

Woher kam nun diese Abnahme, welche Kapitän Craventy jetzt Mrs. Barnett erklärte?

»Bis zum Jahre 1837, Madame, sagte er, konnte man den Zustand der Compagnie einen blühenden nennen. In eben diesem Jahre hatte sich der Export bis auf 2,358,000 Felle erhoben. Seitdem hat er sich aber stets vermindert, und erreicht jetzt kaum die Hälfte.

– Worin suchen Sie aber die Ursache hierfür? fragte Mrs. Paulina Barnett.

– In der Entvölkerung, welche die Thätigkeit der Jäger, und, fügen wir hinzu, die Sorglosigkeit derselben in den Jagdgebieten erzeugt hat. Man stellte dem Wilde nach und tödtete es ohne Schonzeit. Die Metzeleien vollzogen sich ohne Ausnahmen. Selbst die Jungen und die tragenden Weibchen wurden nicht verschont. Die Otter ist fast ganz verschwunden und findet sich nur nahe den Inseln des höchsten Nordens. Die Biber sind in kleinen Gesellschaften an die Ufer der entlegensten Ströme entflohen. Dasselbe ist mit anderen kostbaren Thieren der Fall, welche vor dem Andringen der Jäger entfliehen mußten. Die sonst immer gefüllten Fallen und Gruben sind jetzt leer. Der Preis der rohen Felle steigt, gerade wo die Pelzwaaren sehr gesucht sind. Auch verlieren die Jäger die Lust, und nur die Kühnsten und Unermüdlichen dringen noch bis zu den Grenzen des amerikanischen Festlandes vor.

– Ich begreife jetzt das Interesse, sagte Mrs. Paulina Barnett, welches die Compagnie an der Gründung einer Factorei an der Küste des Eismeeres hat, da sich die jagdbaren Thiere über den Polarkreis hinaus geflüchtet haben.

– So ist es, Madame, antwortete der Kapitän. Uebrigens mußte sich die Compagnie bald entschließen, den Mittelpunkt ihrer Thätigkeit mehr nach Norden zu verlegen, da vor zwei Jahren eine Parlamentsacte ihr Jagdgebiet wesentlich eingeschränkt hat.

– Und was konnte der Grund dieser Einschränkung sein? fragte die Reisende.

– Ein sehr wichtiger nationalökonomischer war es, Madame, der die Staatsmänner Großbritanniens lebhaft berühren mußte. Die Mission der Kompagnie ist offenbar keine civilisatorische gewesen; im Gegentheil. In ihrem eigenen Interesse mußte sie den Zustand der öden Landgebiete in Gleichem erhalten. Jeder Versuch einer Urbarmachung, welche die Pelzthiere verscheucht hätte, wurde unerbittlich von ihr unterdrückt. Ihr Monopol ist der Feind des Landbaues. Alle seiner Industrie fremden Fragen wurden von ihrem Verwaltungsrathe von der Hand gewiesen. Dieses absolute, und von gewissem Gesichtspunkte unmoralische Regime hat jene Maßnahme des Parlaments veranlaßt und eine im Jahre 1857 von dem Secretär der Colonien ernannte Commission entschied dahin, daß alle zum Ackerbau geeigneten Ländereien zu Canada geschlagen würden, wie die Territorien des Rothen, und die Districte des Saskatchavan-Flusses, während der Gesellschaft fernerhin nur diejenigen Strecken als Domäne zu überlassen seien, welche für die Civilisation keine Zukunft hätten. Im folgenden Jahre verlor die Compagnie die Abhänge der Felsen-Gebirge, welche nun direct unter dem Colonialamte stehen und der Jurisdiction der Hudsons-Bai-Compagnie entzogen wurden. Und deshalb, Madame, will die Compagnie, statt ihren Handel aufzugeben, die noch fast unbekannten nördlichen Gegenden ausbeuten, und Mittel und Wege zu einer Verbindung mit dem Pacifischen Oceane suchen.«

Mrs. Paulina Barnett war über diese Projecte der berühmten Handelsgesellschaft sehr zufrieden. Sie sollte in Person an der Gründung eines neuen Forts an der Küste des Eismeeres theilnehmen. Kapitän Craventy hatte sie mit der Sachlage völlig bekannt gemacht, und bald wäre er – denn er plauderte gern – auch noch auf weitere Einzelheiten eingegangen, wenn ihm nicht ein Zufall das Wort abschnitt.

Corporal Joliffe meldete nämlich mit lauter Stimme an, daß er mit Mrs. Joliffe’s Hilfe daran gehe, den Punsch zu bereiten. Diese Nachricht fand die verdiente Würdigung. Die Bowle – doch es war vielmehr ein Bassin – war mit dem köstlichen Naß gefüllt; sie enthielt nicht weniger, als zehn Maß Branntwein, auf dem Boden lag ein ganzer Haufen Zucker und auf der Oberfläche schwammen die nöthigen, freilich vor Alter schon runzlichen Citronen. Es bedurfte nur noch der Entzündung dieses Sees von Alkohol, und der Corporal wartete, mit der Lunte in der Hand, der Befehle seines Kapitäns, so als gelte es eine Mine anzuzünden.

»Los! Joliffe!« rief nun Kapitän Craventy.

Sofort flammte unter dem Jubel der Umstehenden das Meer von Punsch in die Höhe.

Zwei Minuten später wurden die gefüllten Gläser umhergereicht, welche stets eifrige Abnehmer fanden.

»Hurrah! Hurrah! Der Mrs. Paulina Barnett!Ein Hurrah für unseren Kapitän!«

Mitten in diesen Freudenlärmen ertönte da plötzlich ein Geschrei von außerhalb. Erstaunt schwieg die Gesellschaft.

»Sergeant Long, sehen Sie nach, was draußen vorgeht«, sagte der Kapitän.

Und auf den Befehl seines Chefs ließ der Soldat sein Glas halb ausgetrunken stehen und verließ den Salon.

Fußnoten

1 Ist inzwischen wirklich geschehen.

Drittes Capitel.

Ein aufgethauter Gelehrter.

Inhaltsverzeichnis

Als Sergeant Long in dem engen Gange war, auf welchen sich die Außenthüre des Forts öffnete, hörte er die Rufe sich verdoppeln. Irgend Jemand klopfte auch heftig an das Ausfallsthor, welches zu dem von hohen Holzmauern geschützten Hofe den Zugang bildete. Der Sergeant stieß die Thür auf. Ein fußhoher Schnee bedeckte den Boden. Bis an die Kniee in diese weiße Decke sinkend, blind vom Schneewirbel, und geschüttelt von der eisigen Kälte ging jener quer über den Hof auf das Thor zu.

»Wer, zum Kukuk, mag nur bei diesem miserablen Wetter noch kommen! sagte sich Sergeant Long und hob methodisch, um nicht zu sagen »reglementmäßig« die schweren Schließbalken des Thores aus, – bei einer solchen Kälte wagen sich doch nur Eskimos heraus.

– Aufmachen! Aufmachen! drängte von draußen eine Stimme.

– Es wird schon aufgemacht«, antwortete Sergeant Long, der allerdings seine zwölf Tempos zum Oeffnen zu brauchen schien.

Endlich schlugen sich die Thorflügel nach Innen auf, wobei den Sergeanten ein Schlitten halb in den Schnee schleuderte, welcher mit einer Bespannung von sechs Hunden wie ein Blitz hereinfuhr. Fast wäre der wackere Long überfahren worden. Doch erhob er sich ohne Murren, schloß das Thor wieder und kam in gewöhnlichem Marschirtempo, das heißt mit fünfundsiebenzig Schritt per Minute, an das Hauptgebäude nach.

Schon waren Kapitän Craventy, Lieutenant Jasper Hobson und Corporal Joliffe da, welche, der entsetzlichen Kälte trotzend, den überschneiten Schlitten betrachteten, der vor ihnen hielt.

Soeben entstieg demselben ein dick in Pelze verpackter Mann.

»Das Fort-Reliance? fragte dieser.

– Ist hier, antwortete der Kapitän.

– Der Kapitän Craventy?

– Bin ich; und Sie?

– Ein Courier der Compagnie.

– Allein?

– Nein, ich bringe einen Reisenden.

– Einen Reisenden? Und was will er hier?

– Er will den Mond sehen.«

Bei dieser Antwort fragte sich der Kapitän, ob er es mit einem Tollhäusler zu thun habe, was in Anbetracht der begleitenden Umstände nicht unwahrscheinlich war. Jetzt hatte er aber keine Zeit, darüber nachzudenken. Der Courier hatte eine schwere Masse, eine Art schneebedeckten Sack, von dem Schlitten gezogen, den er Anstalt traf, in das Haus zu bringen, als der Kapitän ihn fragte:

»Was ist’s mit diesem Sacke?

– Das ist mein Reisender.

– Und wer ist er?

– Der Astronom Thomas Black.

– Aber er ist erfroren!

– Nun, dann thauen wir ihn wieder auf.«

Von den Händen des Sergeanten, des Corporals und des Couriers getragen, hielt Thomas Black seinen Einzug in das Haus, wo man ihn in einem Zimmer des ersten Stockwerks niederlegte, dessen Temperatur in Folge eines wohlgeheizten Ofens eine ganz erträgliche war. Dort legte man ihn auf ein Bett, und der Kapitän ergriff seine Hand.

Diese Hand war buchstäblich gefroren. Man löste die Decken und Pelzhüllen, welche Thomas Black, der wie ein Packet verschnürt war, umschlossen, und fand darunter einen dicken, kleinen Mann von gegen fünfzig Jahren, mit graulichen Haaren und struppigem Barte, dessen Augen geschlossen und dessen Lippen zusammengepreßt waren, als wären sie mit Leim verbunden. Dieser Mann athmete gar nicht, oder doch nur so schwach, daß er dadurch keinen Spiegel getrübt hätte. Joliffe entkleidete ihn weiter, und wendete und drehte ihn immer hin und her mit den Worten:

»Nun vorwärts, mein Herr! Wollen Sie denn nicht wieder zu sich kommen?«

Die also angeredete Persönlichkeit schien aber nur noch ein Leichnam zu sein. Um in ihm die entschwundene Wärme wieder zurückzurufen, fand Joliffe nur ein heroisches Mitttel, welches darin bestand, den Patienten in den heißen Punsch zu tauchen.

Ohne Zweifel zum Glücke für Thomas Black kam Lieutenant Jasper Hobson auf einen anderen Gedanken.

»Schnee her! befahl er. Sergeant Long, schaffen Sie einige Hände voll Schnee!«

Im Hofe von Fort-Reliance war daran kein Mangel. Während der Sergeant den verlangten Schnee zu holen ging, kleidete Joliffe den Astronomen vollends aus. Der Körper des Unglücklichen zeigte sich mit weißen Flecken bedeckt, welche auf ein tiefes Eindringen der Kälte in den Organismus hinwiesen. Gewiß war es die höchste Zeit, den ergriffenen Stellen wieder Blut zuzuführen, was Jasper Hobson durch kräftige Abreibungen mittels Schnee zu erreichen hoffte. Bekanntlich bedient man sich in den Polargegenden ganz allgemein dieses Mittels, um die Blutcirculation wieder herzustellen, welche eine übermäßige Kälte eben so hemmt, wie sie das Wasser der Flüsse zum Stehen bringt.

Sergeant Long war zurückgekommen, und er und Joliffe frottirten nun den neuen Ankömmling auf eine Weise, die dieser vorher sicher nicht gewöhnt war. Es war das kein sanftes Abreiben oder Einsalben mehr, sondern ein handfestes Kneten, das mehr etwa an die Bearbeitung mit einer Striegel, als mit der Hand erinnerte.

Während dieser Operation sprach der schwatzhafte Corporal immer auf den Reisenden, der ihn doch nicht hören konnte.

»Nun aber vorwärts, mein Herr! Was ist Ihnen nur eingefallen, sich dermaßen durchfrieren zu lassen. So seien Sie doch nicht so halsstarrig!«

Jedenfalls blieb Thomas Black zunächst noch halsstarrig, denn eine halbe Stunde verging noch ohne ein Lebenszeichen von seiner Seite. Schon wollte man daran verzweifeln, daß er wieder zu beleben sei, und die Massirenden gedachten eben ihre anstrengenden Versuche aufzugeben, als der arme Mann leise aufseufzte.

»Er lebt! Er erholt sich!« rief freudig Jasper Hobson.

Nach Wiedererwärmung der Körperoberfläche durch jene Frictionen durfte man auch die inneren Organe nicht vergessen.

Corporal Joliffe beeilte sich demnach, einige Gläser Punsch herbeizuschaffen, die dem Reisenden sehr wohl zu thun schienen. Seine Wangen bekamen wieder Farbe, seine Augen den Blick, seine Lippen die Sprache, und der Kapitän durfte endlich auf die Mittheilung hoffen, warum Thomas Black hierher, und das in so jämmerlichem Zustande gekommen war.

Der nun wieder warm zugedeckte Thomas Black richtete sich halb empor, stützte sich auf einen Ellenbogen und sagte mit schwacher Stimme:

»Fort-Reliance?

– Ist hier, erwiderte der Kapitän.

– Der Kapitän Craventy?

– Bin ich selbst, mein Herr, der Sie hier willkommen heißt. Doch darf ich fragen, was Sie nach Fort-Reliance führte?

– Er will den Mond sehen!« fiel der Courier ein, der beharrlich bei dieser Antwort blieb.

Sie schien übrigens Thomas Black zu befriedigen, denn er nickte beifällig mit dem Kopfe. Dann fuhr er fort:

»Der Lieutenant Hobson?

– Steht auch vor Ihnen.

– Also noch nicht abgereist?

– Wie Sie sehen, noch nicht, mein Herr.

– Schön, schön, mein Herr, versetzte Thomas Black, dann habe ich zunächst Ihnen nur noch zu danken und bis morgen auszuschlafen.«

Der Kapitän zog sich mit seinen Begleitern zurück und überließ den Sonderling der so nothwendigen Ruhe. Eine halbe Stunde später war das Abendfest zu Ende und Alle suchten ihre betreffenden Wohnungen auf, entweder im Fort selbst, oder in einigen kleinen Baulichkeiten, welche außerhalb desselben in der Nähe lagen.

Am anderen Tage war Thomas Black annähernd wieder hergestellt. Seine kräftige Konstitution hatte der furchtbaren Kälte widerstanden. Ein Anderer wäre wohl nicht aufgethaut, aber Er war eben von besserem Holze geschnitzt.

Doch wer war dieser Astronom? Woher kam er? Wozu diese Reise durch die Compagnieländereien, und das jetzt, noch während des strengen Winters? Was bedeutete die Antwort des Couriers, den Mond zu sehen? War denn der Mond nicht überall sichtbar und hatte es einen Zweck, ihn hier im hohen Norden zu suchen?

Diese Fragen stellte sich Kapitän Craventy. Als er jedoch Tags nachher ein Stündchen mit seinem neuen Gast gesprochen hatte, war er sich über alle im Klaren.

Thomas Black war in der That Astronom und zwar an der von Airy mit so großem Geschick geleiteten Sternwarte von Greenwich. Ein mehr intelligenter und kluger Kopf, als Theoretiker, hatte Thomas Black seit den vierundzwanzig Jahren, die er seine Stelle schon einnahm, den uranographischen Wissenschaften (d.i. der Himmelskunde) sehr große Dienste geleistet. Im Privatleben war er ein ganz unbrauchbarer Mensch, der außerhalb seiner astronomischen

Fragen gar nicht existirte und mehr im Himmel als auf der Erde wohnte; ein würdiger Abkomme des gelehrten La Fontaine, der bekanntlich in einen Ziehbrunnen fiel. Mit ihm war keine Unterhaltung möglich, wenn man nicht von Sternen und Sternbildern sprach. Er war ein Mann, geschaffen, gleich im Fernrohr zu leben. Aber wenn er beobachtete, that es ihm auch Keiner gleich. Welch’ unerschöpfliche Geduld hatte er dann! Ganze Monate lang konnte er nach einem kosmischen Phänomen auf der Lauer liegen. Meteore und Sternschnuppen bildeten seine Specialität, und seine Entdeckungen in dieser Richtung sind von bleibendem Werthe. Handelte es sich um ganz feine Beobachtungen oder genaue Messungen und Bestimmungen, so wandte man sich stets an Thomas Black, der eine sehr merkwürdige »Gewandtheit des Blickes« besaß. Beobachten zu können ist nicht Jedermanns Sache. So nimmt es nicht Wunder, daß der Greenwicher Astronom ausersehen worden war, die nachfolgenden Beobachtungen, welche für die Selenographie (d. i. die Mondkunde) von hohem Werthe waren, auszuführen.

Bei einer totalen Sonnenfinsterniß erscheint die Mondscheibe nämlich von einem Strahlenkranze umgeben, dessen Ursprung indessen noch nicht fest steht. Ist er thatsächlich vorhanden oder Brechungsphänomen der Sonnenstrahlen rund um den Mond? Noch ist das eine offene Frage.

Seit 1706 schon haben die Astronomen diese »Aureola« wissenschaftlich beschrieben. Louville und Halley beobachteten bei der totalen Sonnenfinsterniß von 1715, Maraldi bei der von 1724, Antonio de Ulloa 1778, Bouditch und Ferrer 1806, diesen Strahlenkranz möglichst genau. Bei Gelegenheit der totalen Sonnenfinsterniß von 1842 suchten Gelehrte aller Nationen, wie Airy, Arago, Peytal, Laugier, Mauvais, Otto Struve, Petit, Baily u. A. die Lösung des Ursprungs dieser Erscheinung zu finden; aber so streng auch diese Beobachtungen waren, so sagt Arago darüber doch, daß »der Mangel an Übereinstimmung, welchen man an den von geübten Astronomen an verschiedenen Punkten angestellten Beobachtungen ein und derselben Sonnenfinsterniß findet, über diese Frage eine solche Dunkelheit verbreitet habe, daß vor der Hand an eine bestimmte Entscheidung über den Ursprung dieser Erscheinung nicht gedacht werden könne«.

Diese Frage berührt jedoch die Mondkunde sehr wesentlich und verlangt gebieterisch ihre Lösung. Jetzt bot sich eine neue Gelegenheit, diesen Lichtkranz zu beobachten. Am 18. Juli 1860 stand wieder eine totale Sonnenfinsterniß bevor, welche im Norden Amerikas, in Spanien und dem nördlichen Afrika sichtbar sein mußte. Die Astronomen verschiedener Länder waren übereingekommen, gleichzeitige Beobachtungen an verschiedenen Punkten in der Zone der Sichtbarkeit anzustellen. Thomas Black war zu dem Ende für den Norden Amerikas gewählt worden. Er befand sich da etwa unter denselben Verhältnissen, wie die englischen Astronomen, welche zur Beobachtung der Finsterniß von 1851 nach Schweden und Norwegen gegangen waren.

Es ist selbstverständlich, daß Thomas Black die ihm gebotene Gelegenheit, jenen Lichtkranz zu beobachten, mit Begierde ergriff. Er sollte gleichzeitig so weit als möglich die Natur der röthlichen Protuberanzen in’s Auge zu fassen suchen, welche an verschiedenen Stellen des Umkreises an unserem Tagesgestirne bemerkt werden. Gelang es dem Astronomen aus Greenwich, diese Frage auf unwiderlegliche Weise zu lösen, so durfte er der Anerkennung der ganzen gelehrten Welt sicher sein.

Thomas Black rüstete sich also zur Abreise und erhielt an die Hauptagenten der Hudsons-Bai-Compagnie die gewichtigsten Empfehlungsschreiben. Gleichzeitig sollte auch nächstens eine Expedition nach den Nordgrenzen abgehen, um dort eine neue Factorei zu gründen. Von dieser Gelegenheit galt es Nutzen zu ziehen. Thomas Black reiste also ab und durchschiffte den Atlantischen Ocean nach New-York, gelangte über die amerikanischen Seen nach der Niederlassung am Rothen Flusse, und dann von Fort zu Fort auf flüchtigem Schlitten, unter Leitung eines Couriers der Compagnie, trotz des Winters, trotz der Kälte, unter Mißachtung aller Gefahren einer Reise durch die arktischen Länder, am 17. März in Fort-Reliance unter den eben beschriebenen Umständen an.

Das waren die Aufklärungen, die der Astronom dem Kapitän Craventy gab, welcher sich in Folge dessen Thomas Black vollkommen zur Verfügung stellte.

»Aber, Herr Black, sagte er, warum eilten Sie dermaßen, um hierher zu kommen, da diese Sonnenfinsterniß erst im nächsten Jahre, also 1860, statthaben wird?

– Ich hatte ja gehört, Herr Kapitän, daß die Compagnie eine Expedition nach dem nördlichen Küstengebiet und über den siebenzigsten Breitengrad hinaus entsende, und wollte also die Abreise des Lieutenant Hobson nicht verfehlen.

– Herr Black, versetzte der Kapitän, wäre der Lieutenant schon fort gewesen, so würde es mir eine Ehre gewesen sein, Sie bis an die Küsten des Eismeeres zu geleiten.«

Endlich wiederholte er dem Astronomen, daß dieser völlig auf ihn rechnen könne, und nannte ihn nochmals in Fort-Reliance herzlich willkommen.

Viertes Capitel.

Eine Factorei.

Inhaltsverzeichnis

Der Sklavensee ist einer der größten, welchen man über dem einundsechzigsten Breitengrade begegnet. Er ist bei fünfzig Meilen Breite einhundertundfünfzig Meilen lang und liegt unter 61° 25’ nördlicher Breite und 144° westlicher Länge. Seine ganze Umgebung dacht sich von weither nach einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte, eben jener Bodensenkung hin, ab, welche der erwähnte See ausfüllt.

Die Lage dieses Sees, mitten in den Jagdgebieten, welche früher von Pelzthieren fast übervölkert waren, hatte von jeher die Aufmerksamkeit der Compagnie erregt. Zahlreiche Wasserläufe mündeten in denselben, oder entsprangen aus ihm, wie der Mackenzie, der Foin-Fluß, der Athapeskow u. A. m. An seinen Ufern waren einige ansehnliche Forts errichtet, wie Fort-Providence im Norden und Fort-Resolution im Süden. Fort-Reliance selbst lag am nordöstlichen Ende des Sees, nur dreihundert Meilen vom Chesterfield-Busen, den die Gewässer der Hudsons-Bai füllen.

Der Sklavensee ist von kleinen, zwei-bis dreihundert Fuß hohen Inseln, auf welchen Granit und Gneiß da und dort zu Tage steht, so zu sagen übersäet. Sein nördliches Ufer ist von dichtem Gehölz besetzt, welches an jenen dürren und eisigen Theil des Festlandes grenzt, der den Namen des »verwünschten Landes« nicht mit Unrecht erhalten hat. Dagegen ist die aus kalkigem Boden bestehende Gegend im Süden flach, ohne jeden Hügel oder irgend eine Bodenerhebung. Dort zieht sich die Grenze hin, welche die großen Wiederkäuer Amerikas, die Büffel und Bisonochsen, fast nie überschreiten, und deren Fleisch fast die ausschließliche Nahrung der canadischen und eingeborenen Jäger bildet.

Der Baumbestand im Norden bildet prächtige Wälder. Es ist nicht zu erstaunen, daß man in einer so entlegenen Gegend doch einen so schönen Pflanzenwuchs antrifft. Wirklich liegt der Sklavensee nicht in höherer Breite, als etwa Stockholm und Christiania in Schweden und Norwegen. Doch gehört hierzu die Bemerkung, daß die Isothermen, d. h. die Linien der gleichen Wärme, fast gar nicht den Breitengraden parallel laufen, und daß Amerika in gleicher Breite ungleich kälter ist, als Europa. Im April liegt in den Straßen New-Yorks z. B. noch Schnee, während diese Stadt etwa mit den Azoren in gleicher Breite liegt. Es kommt das daher, daß die Natur eines Continentes, seine Lage bezüglich der Meere, und selbst seine Bodengestaltung, von großem Einflusse auf sein Klima ist.

Fort-Reliance war zur Sommerzeit von Grün umgeben, an dem sich das Auge nach dem langen, strengen Winter ergötzte. Die Wälder bestanden in der Hauptsache aus Pappeln, Fichten und Birken. Die See-Eilande trugen herrliche Weidenbäume. Wild war im Ueberflusse darin und verließ es sogar während der schlechten Jahreszeit nicht. Mehr nach Süden zu erlegten die Jäger des Forts reichlich Bisonochsen, Elennthiere und eine Art canadischer Stachelschweine, deren Fleisch sehr geschätzt ist. Die Gewässer des Sklaven-Sees waren sehr fischreich. Seeforellen erlangten darin eine außergewöhnliche Größe und öfters ein Gewicht von über sechzig Pfunden. Hechte, gefräßige Quappen, eine Art Schattenfisch, den die Engländer den »blauen Fisch« nennen, ganze Legionen »Tittamegs«, der »weiße Corregu«, der Naturforscher, vermehrten sich darin im Ueberfluß. Die Nahrungsfrage bot demnach für die Insassen des Furt-Reliance eine leichte Lösung, und unter der Bedingung, daß sie sich den Winter über wie die Füchse, die Marder, die Bären und andere Pelzthiere bekleideten, konnten sie es wohl mit der Strenge des Klimas aufnehmen.

Das genannte Fort bestand zunächst aus einem hölzernen Hause mit Erdgeschoß und einem Stockwerke, welches dem Commandanten und dessen Officieren zu Wohnungen diente. Rund um dieses Haus befanden sich die Wohnstätten der Soldaten, die Magazine der Compagnie und die Comptoire, in welchen die Tauschgeschäfte abgewickelt wurden. Ein kleines Bethaus, dem nur ein Priester fehlte, und ein Pulverhäuschen vervollständigten die Bauwerke des Etablissements. 

Das Ganze war von zwanzig Fuß hohen Palissaden umplankt, die ein weites von vier Eckbastionen mit spitzen Dächern vertheidigtes Parallelogramm bildeten. Gegen einen Handstreich war das Fort also hinreichend geschützt. Diese Vorsicht war übrigens zu einer Zeit nöthig, während der die Indianer, statt Lieferanten der Kompagnie zu sein, für die Unabhängigkeit ihrer Territorien kämpften; gleichzeitig bedurfte man ihrer früher auch gegen die Agenten und Soldaten concurrirender Gesellschaften, als um den Besitz und das Ausbeutungsrecht dieser pelzreichen Ländereien noch Streit war.

Auf ihrem ganzen Gebiete zählte die Hudsons-Bai-Compagnie früher ein Personal von etwa tausend Mann. Ueber ihre Beamten und Soldaten stand ihr die ausgedehnteste Gerichtsbarkeit, selbst das Recht über Leben und Tod, zu. Die Chefs der Factoreien regelten die Gehalte nach Belieben und stellten eben so den Kaufwerth des Proviantes, wie den der Pelzwaaren fest. In Folge dieses Systemes, das jeder Controle entbehrte, war es nicht selten, daß sie zwei-bis dreihundert Procent Nutzen erzielten.

Aus folgender Zusammenstellung, welche der »Reise des Kapitän Robert Lade« entnommen ist, kann man ersehen, welche Ansätze dem Tauschhandel mit den Indianern zu Grunde gelegt wurden. Letztere sind übrigens die eigentlichen und besten Jäger der Compagnie geworden. Ein Biberfell war zu jener Zeit die beim Ein-und Verkauf benutzte Werthseinheit.

Die Indianer zahlen:

Für ein Gewehr ……. 10 Biberfelle.

” ein halbes Pfund Pulver.. 1 “

” vier Pfund Blei ….. 1 “

” eine Axt …….. 1 “

” sechs Messer ……. 1 “

” ein Pfund kleine Glaswaaren . 1 “

Für einen Tressenrock …… 6 Biberfelle.

” einen gewöhnlichen Rock… 5 “

” ein besetztes Frauenkleid… 6 “

” ein Pfund Tabak …… 1 “

” ein Pulverhorn …… 1 “

” einen Kamm und einen Spiegel 2 “

Seit einigen Jahren waren aber Biber so selten geworden, daß man mit der Münzeinheit wechseln mußte, und jetzt dient eine Bisonhaut als solche. Kommt ein Indianer nach einem Fort, so erhält er von den Agenten eben so viele Holzmarken, als er Häute bringt, welche er dann am betreffenden Orte gegen irgendwelche Producte umtauscht. Da die Compagnie alle Ein-und Verkaufspreise nach Gutdünken feststellt, erzielt sie bei diesem Systeme meist einen glänzenden Gewinn.

Wie in allen Factoreien galten diese Handelsbräuche auch in Fort-Reliance. Mrs. Paulina Barnett konnte sie während ihres Aufenthaltes, der sich bis zum 16. April ausdehnte, kennen lernen. Oft unterhielten sich die Reisende und Lieutenant Hobson mit einander, entwarfen stolze Plane und waren jedenfalls entschieden dafür, vor keinem Hindernisse zurückzuweichen. Thomas Black sprach nur dann, wenn es seine Specialmission betraf. Der Lichtkranz und die röthlichen Protuberanzen um den Mond verschlangen sein ganzes Interesse. Man fühlte es heraus, daß er sein ganzes Leben an die Lösung dieses Problems gesetzt hatte, und zuletzt erregte er auch in Mrs. Paulina ein lebhaftes Interesse für dieses wissenschaftliche Räthsel. O, wie verlangte es sie Beide, nur erst den Polarkreis zu überschreiten, und wie entfernt erschien noch dieser 18. Juli 1860, mindestens dem Astronomen aus Greenwich.

Die Vorbereitungen zur Abreise konnten erst gegen Mitte März begonnen werden und nahmen einen vollen Monat in Anspruch. Es bedurfte auch wirklich einer langwierigen Arbeit, eine solche Expedition nach den Polargegenden zu organisiren, da man ja Alles, wie Lebensmittel, Kleidung, Werkzeuge, Ausrüstungsgegenstände, Waffen und Munition mitnehmen mußte.

Die von Lieutenant Jasper Hobson befehligte Truppe sollte aus einem Officier, zwei Unterofficieren und zehn Soldaten bestehen, von denen drei Verheiratete auch ihre Frauen mitnahmen. Aus den energischsten und entschlossensten Mannschaften der Besatzung hatte Kapitän Craventy folgende ausgewählt:

1) LieutenantJasper Hobson.2) SergeantLong.3) CorporalJoliffe.4)Petersen, Soldat. 5)Belcher, “ 6)Raë, “ 7)Marbre, “ 8)Carey, “ 9)Pond, “ 10)Mac Nap, “ 11)Sabine, “ 12)Hope, “ 13)Kellet, “

Darüber:

Mrs.Raë.Mrs. Joliffe.Mrs. Mac Nap.

Fremde:

Mrs. Paulina Barnett. Madge.Thomas Black.

Zusammen waren das also neunzehn Personen, welche es mehrere Hundert Meilen über wüste und wenig gekannte Gebiete zu transportiren galt.

Mit Rücksicht hierauf hatten die Agenten der Compagnie alles für diesen Zug Nöthige nach Fort-Reliance geschafft. Ein Dutzend Schlitten nebst zugehöriger Bespannung standen bereit. Diese sehr kunstlosen Fahrzeuge bestanden aus leichten Planken, welche durch Querhölzer fest mit einander verbunden waren. Dazu kam ein dem Vordertheile eines Schlittschuhs ähnliches Stück Holz, welches also nach aufwärts gebogen war, und dem Schlitten gestattete, leicht, und ohne tief einzusinken, über den Schnee zu gleiten. Sechs paarweis angespannte Hunde bildeten die Zugkraft jedes Schlittens, – intelligente und flüchtige Thiere, welche unter günstigen Umständen bis fünfzehn Meilen in der Stunde zurückzulegen vermögen.

Die Garderobe der Reisenden bestand aus Rennthierfellen, welche mit dickem Pelze gefüttert waren. Alle führten auch noch wollene Kleidung mit sich, um gegen den in jenen Breiten oft sehr schroffen Temperaturwechsel gesichert zu sein. Jedermann, Officier und Soldat, Mann oder Weib, war mit Stiefeln aus Robbenfell, die mit Sehnen genäht werden, ausgerüstet, und welche die Eingeborenen mit einer Geschicklichkeit ohne Gleichen herstellen. Diese Stiefeln sind für Wasser ganz undurchlässig und empfehlen sich zum Marschiren durch ihre leichte Biegsamkeit. An die Sohlen derselben waren Schneeschuhe aus Fichtenholz von drei bis vier Fuß Länge angepaßt, Apparate, welche das Gewicht eines Menschen auch auf dem lockersten Schnee tragen, und eine sehr schnelle Fortbewegung, etwa wie die der Schlittschuhläufer auf den Eisflächen, ermöglichen. Pelzmützen und Gürtel aus Damwildleder vervollständigten diese Ausrüstung.

An Waffen nahm Lieutenant Hobson, neben hinreichender Munition, von der Compagnie gelieferte Dienstgewehre, Pistolen und einige Ordonnanz-Säbel mit; an Werkzeugen Aexte, Sägen, Hohlbeile und andere zur Zimmerarbeit nöthige Instrumente; an Ausrüstungsgegenständen Alles, was zur Gründung einer Factorei unter den gegebenen Umständen gehörte, unter Anderem einen Ofen, einen Kochofen, zwei Luftpumpen als Ventilatoren, ein »Halkett-Boat«, das ist ein Kautschuk-Canot, welches man im Augenblicke des Bedarfs aufbläst.

Bezüglich der Verpflegung durfte man wohl auf die Jäger des Detachements rechnen. Einige der Soldaten waren geübte Treiber, und Rennthiere fehlten in diesen hochnördlichen Gegenden niemals. Ganze Stämme von Indianern oder Eskimos nähren sich, aus Mangel an Brod und anderen Speisen, ausschließlich von diesem Wild, welches reichlich vorhanden und sehr schmackhaft ist. Da jedoch auch auf unvermeidliche Verzögerungen und Schwierigkeiten aller Art zu rechnen war, so mußte immerhin eine gewisse Menge Proviant mitgeführt werden.

Dieser bestand aus Bisonochsen-, Elenn-und Damhirschfleisch, welches durch große Treibjagden im Süden des Sees gewonnen wurde; ferner aus Pökelfleisch, das sich ja eine beliebige Zeit lang eßbar erhält, und endlich aus einem Präparate nach Indianerart, in welchem das getrocknete und zu ganz feinem Pulver gemahlene Fleisch alle seine nährenden Bestandtheile bei geringster Masse behält. So zerrieben, braucht es auch gar nicht gekocht zu werden, und bildet in dieser Form eine sehr stoffreiche Nahrung.

An Liqueuren nahm Lieutenant Hobson mehrere Barils1 Branntwein und Whisky mit, nahm sich aber vor, damit so sparsam als möglich umzugehen, da Spirituosen bei ganz strenger Kälte dem Menschen leicht Nachtheile zuziehen können. Dagegen hatte ihm die Compagnie, nebst einer Taschenapotheke, beträchtliche Mengen von»Lime juice«(Limoniensaft), Citronen und andere Droguen zur Verfügung gestellt, welche zur Bekämpfung der in jenen Gegenden so furchtbar auftretenden scorbutischen Affectionen, wie zum Verhindern ihres Eintritts, unentbehrlich sind. Alle Theilnehmer waren übrigens sorgfältig ausgewählt, um nicht zu fett und nicht zu mager zu sein; seit langen Jahren an die Strenge dieses Klimas gewöhnt, mußten sie die Strapazen eines Zuges nach dem Eismeere leichter ertragen. Zudem waren es gutwillige, herzhafte und unerschrockene Leute, welche ungezwungen teilnahmen. Während der Zeit ihres Aufenthaltes an den Grenzen des amerikanischen Continentes war ihnen ein doppelter Sold für den Fall zugesichert, daß sie bis über den siebenzigsten Breitengrad hinauskamen.

Für Mrs. Paulina Barnett und ihre getreue Madge war ein besonderer, etwas bequemerer Schlitten hergestellt worden. Die muthige Frau wollte zwar durchaus keinen Vorzug vor ihren Mitreisenden genießen; sie mußte sich jedoch der Einsprache des Kapitäns fügen, der übrigens nur der Dolmetscher der Compagnie selbst war.

Den Astronomen Thomas Black sollte dasselbe Gefährt, welches ihn nach Fort-Reliance gebracht hatte, auch sammt seinem gelehrten Apparate bis zum Ziele führen. Die, übrigens wenig zahlreichen, Instrumente des Astronomen, – bestehend aus: einem Fernrohre zur Mondbeobachtung, einem Sextanten zur Bestimmung der geographischen Breite und einem Chronometer zu der der Längengrade, einigen Karten und wenigen Büchern – Alles war auf diesen Schlitten verpackt, und Thomas Black rechnete stark darauf, daß ihn seine getreuen Hunde nicht im Stiche lassen würden.

Selbstverständlich war das Futter für die Bespannung nicht vergessen. Es galt unterwegs im Ganzen zweiundsiebenzig Hunde, also eine ganze Heerde, zu unterhalten, wofür die Jäger des Detachements speciell zu sorgen hatten. Diese klugen und kräftigen Thiere waren von Chipeway-Indianern angekauft, welche sie zu ihrer harten Arbeit ausgezeichnet abzurichten wissen.

Die ganze Organisation der kleinen Gesellschaft erfreute sich der einsichtigsten Leitung. Lieutenant Jasper Hobson unterzog sich ihr mit einem über alles Lob erhabenen Eifer. Stolz auf seine Mission, begeistert für sein Werk, wollte er Nichts vernachlässigen, was den Erfolg unsicher machen könnte. Corporal Joliffe, der immer alle Hände voll zu thun hatte, brachte doch nicht viel zu Stande; doch die Gegenwart seiner Frau war und wurde für die Expedition sehr nützlich. Mrs. Paulina Barnett schloß diese intelligente und muntere Canadierin, mit den blonden Haaren und großen Augen, bald in ihr Herz.

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß Kapitän Craventy für den guten Ausgang der Unternehmung Nichts unterließ. Die seitens der Oberagenten der Compagnie ihm zugestellten Instructionen bewiesen, welchen Werth man auf den Erfolg der Expedition und auf die Gründung einer neuen Factorei jenseit des siebenzigsten Breitengrades legte. Alles, was menschenmöglich war, wurde denn auch zu diesem Zwecke aufgeboten. Wenn die Natur aber dem Fuße des kühnen Lieutenants unübersteigliche Hindernisse entgegenthürmte? – Das entzog sich freilich aller Vorausberechnung.

Fußnoten

1 Ein Baril – etwa siebenzig Liter.

Fünftes Capitel.

Von Fort-Reliance nach Fort-Entreprise.

Inhaltsverzeichnis

Die ersten schönen Tage waren herangenaht. Der grüne Mantel der Hügel kam unter dem theilweise verschwundenen Schnee zum Vorschein. Einige Vögel, als: Schwäne, Auerhähne, kahlköpfige Adler und andere Zugvögel, strichen, von Süden kommend, durch die lauere Luft. An den Zweigspitzen der Pappeln, Birken und Weiden schwollen die Knospen. Große Wasserlachen, welche durch das Schmelzen des Schnees entstanden, lockten jene rothköpfigen Enten herbei, von denen es im nördlicheren Amerika so zahllose Arten giebt. Die Taucherhühner, Wasserscheerer und Eidergänse suchten sich im Norden kältere Gegenden auf. Spitzmäuse, in der Größe von Haselnüssen, spielten neben ihren Löchern und zeichneten mit ihrem kleinen, spitzigen Schwanze bunte Linien auf dem Erdboden. Es war jetzt eine Wollust, zu athmen und die Sonnenstrahlen einzusaugen, welche den Frühling so lebenweckend machen. Die Natur erhob sich nach der endlosen Winternacht aus dem Schlafe und lächelte beim Erwachen. Die Wirkung dieser Rückkehr zu neuem Leben ist in diesen nördlichsten Gegenden vielleicht fühlbarer, als auf jedem anderen Punkte der Erde.

Immerhin war die Thauwitterung noch nicht durchgreifend. Zwar zeigte das Thermometer +5°, aber die weit niedrigere Temperatur der Nächte erhielt noch die Schneeflächen. Es war das übrigens ein für die Benutzung der Schlitten allzugünstiger Umstand, als daß Jasper Hobson nicht davon hätte Nutzen ziehen sollen.

Das Eis des Sees stand noch fest. Die Jäger des Forts machten bei ihren weiten Excursionen auf dieser ebenen Fläche immer gute Beute, da das Wild schon wiedergekommen war. Mrs. Paulina Barnett konnte gar nicht genug die Geschicklichkeit bewundern, mit welcher diese Männer sich ihrer Schneeschuhe bedienten. Sie erreichten mit denselben die Geschwindigkeit eines galopirenden Pferdes. Auf den Rath Craventy’s übte sich auch die Reisende in dem Gebrauche dieser Apparate, und erwarb sich bald eine hinlängliche Geschicklichkeit, über den Schnee zu gleiten.

Schon seit einigen Tagen kamen die Indianer truppweise zum Fort, um die Ergebnisse ihrer Winterjagden gegen allerhand andere Gegenstände umzutauschen. Pelze gab es aber nicht im Ueberflusse; Marder-und Wieselfelle erreichten zwar eine hohe Zahl, aber Biber, Ottern, Luchse, Hermelins und Füchse waren selten. Die Compagnie that also gewiß gut daran, höher im Norden neue, von der Raubgier des Menschen noch verschonte Jagdgebiete aufzusuchen.

Am Morgen des 16. April war Lieutenant Jasper Hobson nebst Gesellschaft zur Abreise fertig. Durch die ganze bekanntere Gegend zwischen dem Sklaven-See und dem des Großen Bären, welcher schon über dem Polarkreise liegt, war der Weg im Voraus festzustellen. Jasper Hobson sollte zunächst nach Fort-Confidence, das am nördlichsten Theile dieses Sees liegt, ziehen. Dann war ein ganz geeigneter Punkt zur frischen Verproviantirung der Gesellschaft das Fort-Entreprise, welches zweihundert Meilen im Nordwesten, am Ufer des kleinen Snure-Sees erbaut ist. Bei Zurücklegung von fünfzehn Meilen täglich rechnete Jasper Hobson darauf, dort in den ersten Tagen des Mai einmal Halt zu machen.

Von dieser Stelle aus sollte die Expedition auf kürzestem Wege die amerikanische Küste zu erreichen suchen und sich von da aus nach dem Cap Bathurst begeben. Man war dahin übereingekommen, daß Kapitän Craventy nach einem Jahre eine Proviantsendung nach demselben Punkte dirigiren, und daß Lieutenant Hobson dieser Sendung einige Mann entgegenschicken sollte, um sie nach dem Orte, an dem dann das neue Fort errichtet wäre, zu geleiten. Auf diese Weise war die Zukunft der Factorei gegen alle Uebelstände sicher gestellt, und der Lieutenant nebst seinen Begleitern, diese freiwillig Verbannten, blieben doch in einiger Beziehung zu ihren Nebenmenschen.

Am Morgen des 16. April erwarteten die angespannten Hunde vor dem äußeren Thore des Forts nur noch die Reisenden. Kapitän Craventy hatte die zu dem Detachement gehörigen Mannschaften versammelt und richtete an sie einige herzliche Worte. 

Vor allen Dingen empfahl er ihnen die vollkommenste Einigkeit mitten in den Gefahren, denen sie zu trotzen berufen waren. Die Unterordnung unter ihre Führer war eine unabweisliche Bedingung für dieses Unternehmen, eine Sache der Entsagung und Ergebenheit. Ein Hurrah antwortete der Rede des Kapitäns. Dann sagte man kurz Lebewohl, und Jeder nahm in dem ihm vorher bezeichneten Schlitten Platz. 

Jasper Hobson und Sergeant Long nahmen die Spitze des Zuges ein. Mrs. Paulina Barnett und Madge folgten ihnen, die lange Eskimopeitsche, welche in trockene gedrehte Sehnenstücke auslief, geschickt handhabend. Thomas Black und einer der Soldaten, der Canadier Petersen, kamen in dritter Reihe. Hieran schlossen sich dann die anderen, von den Soldaten und den drei Frauen besetzten Schlitten. Corporal Joliffe nebst Gattin bildeten den Schluß. Nach Jasper Hobson’s Anordnung sollte jeder Schlitten in der vorgeschriebenen Reihenfolge verbleiben, auch eine gewisse Distanz halten, um jeder Unordnung vorzubeugen. Der Stoß eines solchen Schlittens, der im vollsten Jagen war, hätte auch sicher leicht Unheil anrichten können.

Von Fort-Reliance aus schlug Jasper Hobson sogleich eine nordwestliche Richtung ein. Dabei war zunächst ein breiter Strom zu überschreiten, welcher den Sklaven-See mit dem Wolmsley-See verbindet. Dieser Wasserlauf, welcher noch dick gefroren war, unterschied sich indeß in keiner Weise von der ungeheuren, weißen Ebene. Ein gleichmäßiger Schneeteppich lag über die ganze Umgebung gebreitet, und die von der kräftigen Bespannung gezogenen Schlitten sausten über die feste Unterlage.

Das Wetter war schön, aber noch sehr kalt. Die nur wenig über den Horizont aufsteigende Sonne beschrieb am Himmel nur einen sehr flachen Bogen. Ihre von der Schneedecke glänzend reflectirten Strahlen spendeten mehr Licht, als Wärme. Glücklicherweise bewegte kein Windhauch die Luft, welche Ruhe die Kälte weit erträglicher machte. Dennoch mußte wohl der durch die Schnelligkeit der Schlitten entstehende Luftstrom den beiden, nicht an das rauhe Polarklima gewöhnten Begleitern des Lieutenants Hobson empfindlich in’s Gesicht schneiden.

»Es geht gut, sagte da Jasper Hobson zu dem Sergeanten, welcher ruhig neben ihm saß, als stände er ›Gewehr auf Schulter‹, die Fahrt läßt sich gut an. Der Himmel ist günstig, die Temperatur mäßig, unsere Bespannung läuft wie ein Expreßzug, und wenn diese gute Witterung anhält, wird unsere Ueberfahrt ohne Hinderniß verlaufen. Was denken Sie darüber, Sergeant Long?

– Was Sie selbst denken, Lieutenant Jasper, antwortete der Sergeant, der sich nichts anders vorstellen konnte, als sein Vorgesetzter.

– Sind Sie ebenso wie ich dafür, Sergeant, fuhr Jasper Hobson fort, so weit als möglich nach Norden vorzudringen?

– Sie haben nur zu befehlen, Herr Lieutenant, ich gehorche.

– Ich weiß es, Sergeant, ich weiß, daß es hinreicht, Ihnen eine Ordre zuzustellen, um sie ausgeführt zu sehen. Möchten unsere Leute ebenso die Tragweite unserer Mission einsehen, und sich mit Leib und Seele den Interessen der Compagnie widmen. O, Sergeant Long, ich glaube, wenn ich Ihnen einen ganz unausführbaren Befehl gäbe…

– Es giebt keine unausführbaren Befehle, Herr Lieutenant.

– Was? Und wenn ich Sie bis an den Nordpol schickte?

– Dann ginge ich hin, Herr Lieutenant.

– Um auch von dort zurückzukehren? setzte Jasper Hobson lächelnd hinzu.

– Ich käme auch wieder«, antwortete einfach der Sergeant.