Das Leben des Pordenone, Marcantonio Raimondi, Leone Leoni, Francesco Primaticcio und weiterer Künstler der Terza Parte - Giorgio Vasari - E-Book

Das Leben des Pordenone, Marcantonio Raimondi, Leone Leoni, Francesco Primaticcio und weiterer Künstler der Terza Parte E-Book

Giorgio Vasari

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Beschreibung

Neu ins Deutsche übersetzt von Victoria Lorini sowie von Hana Gründler (Sogliani, Morto da Feltre und Andrea di Cosimo Feltrini, Ridolfo, Davit und Benedetto Ghirlandaio) und Katja Burzer (Fra Giocondo, Liberale und andere Veroneser Künstler). Herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Katja Burzer (Raffaellino del Garbo, Simone Mosca), Sabine Feser (Domenico Puligo, Francia Bigio, Francesco Granacci, Marcantonio Raimondi und andere Holzschnitzer und Kupferstecher, Giovanni Antonio Lapoli, Niccolò Soggi, Giuliano Bugiardini, Francesco Primaticcio), Hana Gründler (Sogliani, Morto da Feltre und Andrea di Cosimo Feltrini, Ridolfo, Davit und Benedetto Ghirlandaio), Berthold Hub (Cronaca), Christina Irlenbusch (Lorenzo di Credi, Alfonso Lombardi, Michelangelo da Siena, Girolamo Santacroce und die Dossi, Pordenone und andere Maler des Friaul, Girolamo da Treviso, Bagnacavallo und andere Maler der Romagna, Girolamo und Bartolomeo Genga, Benedetto Garofalo und Girolamo da Carpi, Battista Franco, Leone Leoni, Italienische und flämische Künstler), Daniel Mädler (Marco Calabrese [mit Sabine Feser]), Christina Posselt-Kuhli (Fra Giocondo, Liberale und andere Veroneser Künstler) und Kim Westphal (Baccio d'Agnolo; Einleitung: Mauro Mussolin).

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EDITION GIORGIO VASARI

Das Leben des Pordenone, Marcantonio Raimondi, Leone Leoni, Francesco Primaticcio und weiterer Künstler der Terza Parte

Neu ins Deutsche übersetzt von Victoria Lorini sowie von Hana Gründler (Sogliani, Morto da Feltre und Andrea di Cosimo Feltrini, Ridolfo, Davit und Benedetto Ghirlandaio) und Katja Burzer (Fra Giocondo, Liberale und andere Veroneser Künstler)Herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Katja Burzer (Raffaellino del Garbo, Simone Mosca), Sabine Feser (Domenico Puligo, Francia Bigio, Francesco Granacci, Marcantonio Raimondi und andere Holzschnitzer und Kupferstecher, Giovanni Antonio Lapoli, Niccolò Soggi, Giuliano Bugiardini, Francesco Primaticcio), Hana Gründler (Sogliani, Morto da Feltre und Andrea di Cosimo Feltrini, Ridolfo, Davit und Benedetto Ghirlandaio), Berthold Hub (Cronaca), Christina Irlenbusch (Lorenzo di Credi, Alfonso Lombardi, Michelangelo da Siena, Girolamo Santacroce und die Dossi, Pordenone und andere Maler des Friaul, Girolamo da Treviso, Bagnacavallo und andere Maler der Romagna, Girolamo und Bartolomeo Genga, Benedetto Garofalo und Girolamo da Carpi, Battista Franco, Leone Leoni, Italienische und flämische Künstler), Daniel Mädler (Marco Calabrese [mit Sabine Feser]), Christina Posselt-Kuhli (Fra Giocondo, Liberale und andere Veroneser Künstler) und Kim Westphal (Baccio d’Agnolo; Einleitung: Mauro Mussolin)

Verlag Klaus Wagenbach Berlin

Nach dem Abschluß der gedruckten EDITION GIORGIO VASARI erscheinen die verbleibenden Lebensläufe Vasaris in elektronischer Form. Damit werden die Vite (etwa 160 Künstlerbiographien) komplett in neuer Übersetzung zugänglich sein.

Dieser letzte der drei Teile vereint mehr als vierunddreißig Künstler, die im 15. und 16. Jahrhundert tätig waren.

Giorgio Vasari Lebensläufe der hervorragendsten Künstler

Kunstgeschichte und Kunsttheorie • Parmigianino • Raffael • Pontormo • Sebastiano del Piombo • Rosso Fiorentino • Giorgio Vasari. Mein Leben • Tizian • Giulio Romano • Andrea del Sarto • Steinschneider, Glas- und Miniaturmaler • Leonardo da Vinci • Einführung in die Künste der Architektur, Bildhauerei und Malerei • Sodoma und Beccafumi • Die Bildhauer des Cinquecento • Sansovino und Sanmicheli mit Ammannati, Palladio und Veronese • Bramante und Peruzzi • Die Künstler der Raffael-Werkstatt • Giorgione, Correggio, Palma il Vecchio und Lorenzo Lotto • Piero di Cosimo, Fra Bartolomeo und Mariotto Albertinelli • Perino del Vaga • Montorsoli und Bronzino sowie die Künstler der Accademia del Disegno • Francesco Salviati und Cristofano Gherardi • Daniele da Volterra und Taddeo Zuccaro • Baccio Bandinelli • Michelangelo • Die Sangallo-Familie • Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Cosimo Rosselli und Alesso Baldovinetti • Tribolo und Pierino da Vinci • Bellini und Mantegna • Jacopo della Quercia, Niccolò Aretino, Nanni di Banco und Luca della Robbia • Masolino, Masaccio, Gentile da Fabriano und Pisanello • Perugino und Pinturicchio • Lorenzo Ghiberti • Lippi, Pesello und Peselli, Castagno, Veneziano und Fra Angelico • Andrea del Verrocchio und die Gebrüder Pollaiuolo • Brunelleschi und Alberti • Giuliano da Maiano, Antonio und Bernardo Rossellino, Desiderio da Settignano und Benedetto da Maiano • Paolo Uccello, Piero della Francesca, Antonello da Messina und Luca Signorelli • Donatello und Michelozzo • Ghirlandaio und Gherardo di Giovanni • Die Sieneser Maler • Taddeo Gaddi, Agnolo Gaddi, Buffalmacco, Orcagna, Spinello Aretino und Lorenzo Monaco • Bildhauer und Architekten des Duecento und des Trecento • Cimabue, Giotto und Cavallini • Andrea Tafi, Gaddo Gaddi, Margaritone, der Florentiner Stefano und der Sieneser Ugolino, Giottino, Giovanni dal Ponte, Antonio Veneziano, Jacopo del Casentino, Gherardo Starnina, Lippo Fiorentino und Lorenzo di Bicci • Dello Delli, Parri Spinelli, Antonio Filarete und Simone Scultore, Lazzaro Vasari, Bellano da Padua, Paolo Romano, Mino und Chimente Camicia, Benozzo Gozzoli, Francesco di Giorgio und Lorenzetto Vecchietta, Mino da Fiesole, Lorenzo Costa, Ercole Ferrarese, Cecca, Bartolomeo della Gatta, Francesco Francia, Carpaccio und andere venezianische und lombardische Maler, Jacopo Indaco

ZU DIESER NEUAUSGABE

Kaum ein anderes literarisches Werk hat auf die Kunstgeschichtsschreibung folgender Generationen einen so nachhaltigen Einfluß ausgeübt wie die von Giorgio Vasari (1511–1574) verfaßten und erstmals 1550 im Druck erschienenen Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten, die achtzehn Jahre später in einer revidierten und erweiterten Fassung noch einmal herausgegeben wurden. Heute ist das Hauptwerk Vasaris vor allem unter dem Titel Le vite bekannt.

Vasaris Text wurde in der Fassung von 1568 (nach der kritischen Ausgabe von Rosanna Bettarini und Paola Barocchi) neu übersetzt – textgetreu, ungekürzt und vollständig auch da, wo Vasari sich zu wiederholen scheint.

Eine Einführung stellt die jeweilige Künstlervita vor. Der Anmerkungsapparat behandelt nicht nur die jeweiligen kunsthistorischen, literarischen und zeitgeschichtlichen Aspekte auf neuestem wissenschaftlichem Stand, sondern benennt auch die heutigen Standorte (und Zustände) der Kunstwerke, die wichtigen Abweichungen gegenüber der ersten Ausgabe der Vite sowie die uns heute bekannten Lebensdaten des Künstlers.

Herausgegeben von Alessandro Nova mit Matteo Burioni, Katja Burzer, Sabine Feser, Hana Gründler und Fabian Jonietz

Einleitung zum Leben des Raffaellino del Garbo

Der Umfang der zweiten Version der Vita Raffaellino del Garbos übertrifft jenen der ersten um mehr als das Doppelte. Vasari übernahm nur wenige Passagen der 1550er Edition der Vita unverändert. Das bereits im Prolog der ersten Edition umrissene und der Vita zugrundeliegende Thema des künstlerischen Abstiegs, dem zufolge Raffaellino sich im Gegensatz zur üblichen Künstlerlaufbahn von einem vielversprechenden, begabten jungen Maler zu einem durchschnittlichen, anspruchslosen Dutzendmaler entwickelt habe, wird zwar beibehalten, doch erheblich differenziert und mit Beispielen positiver Ausnahmen angereichert.

Ein Anlaß für die differenziertere Bewertung des Künstlers könnte Vasaris Zeichnungssammlung gewesen sein, die er im Zeitraum zwischen den beiden Editionen der Vite auch um Exemplare aus der Hand Raffaellinos anreicherte. In der vorliegenden Version der Vita erwähnt Vasari sowohl Jugendzeichnungen des Künstlers in seinem Besitz als auch Zeichnungen aus dessen Spätphase, die trotz seiner allgemein nachlassenden Qualität von zeichnerischem Können gezeugt hätten und wunderschön gewesen seien.

In diesem Zusammenhang wird auch Vincenzio Borghini, der maßgeblich in die zweite Edition der Vite involviert war, als Sammler von Zeichnungen Raffaellinos genannt. Vasaris Ausführungen erwecken den Anschein, als habe er, angeregt durch die von ihm erworbenen Zeichnungen und vielleicht bestärkt durch den Austausch mit Borghini, ein neues Interesse an Raffaellino gewonnen und dessen Werk daher für die zweite Edition der Vite aufmerksamer studiert. Denkbar ist auch, daß Vasari Kontakt zu dem von ihm erwähnten Sohn Raffaellinos geknüpft hatte, von diesem einige Zeichnungen des Vaters erwarb und im Zuge dessen auch die zusätzlichen Informationen erhielt, die er in der zweiten Edition der Vite verarbeitete.

Vasaris neues Interesse an Raffaellino kommt auch darin zum Ausdruck, daß er nun am Anfang der Vita die Unerklärlichkeit von dessen künstlerischem Abstieg betont, der geradezu gegen die Naturgesetze verstoßen habe und die Möglichkeiten menschlichen Verstehens übersteige. Dennoch findet Vasari im Laufe der Vita Erklärungen für den negativen Verlauf der Karriere Raffaellinos: schuld an dem eklatanten Qualitätsverlust seiner Werke sei seine zunehmende Armut kombiniert mit mangelnder Kühnheit gewesen, die ihn dazu getrieben habe, schlecht bezahlte und anspruchslose Aufträge anzunehmen, die schließlich seinen Stil ruiniert hätten. Außerdem habe er nicht die richtigen Beziehungen gehabt und nur mit Leuten niederen Standes verkehrt. Für den arrivierten Hofkünstler Vasari ist das soziale Milieu eines Künstlers bezeichnenderweise entscheidend und kann nicht ohne Auswirkungen auf die Qualität seiner Werke bleiben.

Anders als Vasari war Raffaellino offenbar kein strategisch denkender Künstler, was sich daran zeigt, daß er weder die seinem Stand angemessene Gesellschaft suchte noch sein Können angemessen zu vermarkten wußte. Daher bleibt Vasari auch am Ende der Vita von 1568 bei seinem bereits 1550 gefällten Urteil, nach dem sich in den letzten Werken Raffaellinos »jeglicher künstlerische Wert in Geschmacklosigkeit« gewandelt habe.

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DAS LEBEN DES FLORENTINER MALERS RAFFAELLINO DEL GARBO

Vita di Raffaellino del Garbo. Pittor Fiorentino (1568)

Raffaello del Garbo,1 der als Kind mit dem Kosenamen Raffaellino gerufen wurde und diesen Namen dann immer behielt, gab seit seinen Anfängen in der Kunst zu solch hohen Erwartungen Anlaß, daß man ihn schon damals zu den Vortrefflichsten zählte, was nur wenigen zuteil wird. Den allerwenigsten widerfährt jedoch, was ihm dann passierte, der es von einem ausgezeichneten Anfang und nahezu verläßlicher Hoffnung zu einem ganz enttäuschenden Ende brachte, ist es doch sowohl in der Natur als auch in der Kunst in der Regel üblich, sich von kleinen Anfängen nach und nach bis zur höchsten Perfektion zu steigern. Aber gewiß sind uns viele Ursachen der Kunst wie auch der Natur unbekannt, und nicht immer und überall halten sie sich an die gewohnte Ordnung, etwas, womit das menschliche Urteil oft überfordert ist. Wie dem auch sei, hat man dies bei Raffaellino gesehen, denn es schien, als ob Natur und Kunst sich bemühten, in ihm mit einigen außergewöhnlichen Grundsätzen zu beginnen, die dann auf halbem Wege weniger als mittelmäßig waren und am Ende fast gar nichts mehr taugten.2

In seiner Jugend zeichnete er, um sich darin zu vervollkommnen, mehr als jeder andere Maler, der sich je im Zeichnen geübt hat, weshalb man noch heute in der ganzen Zunft eine große Zahl von Zeichnungen findet, die von einem seiner Söhne zu einem Spottpreis verkauft wurden.3 Sie sind teils mit dem Stift, teils mit der Feder und dem Pinsel, alle aber auf getönten, mit Bleiweiß gehöhten Blättern gezeichnet und mit bewundernswerter Kühnheit und Routine ausgeführt, wie viele von ihnen es in wunderschönstem Stil in unserem libro vorführen.4 Darüber hinaus lernte er so gut in Tempera und Fresko zu malen, daß seine ersten Werke, wie schon gesagt wurde, mit einer unglaublichen Geduld und Sorgfalt ausgeführt sind.5 In der Minerva-Kirche wird das Grab von Kardinal Carafa6 von jenem Gewölbehimmel7 überfangen, der so fein gestaltet ist, daß er von Miniatoren ausgeführt scheint, weshalb er von den Künstlern seinerzeit hochgeachtet wurde und sein Lehrer Filippo8 ihn in manchen Dingen für einen viel besseren Meister hielt als sich selbst. Dabei hatte Raffaello Filippos Stil in einer Weise übernommen, daß nur wenige darin etwas anderes erkannten als seinen eigenen. Als er sich dann von seinem Meister trennte, legte er sich einen sehr viel geschmeidigeren Gewandstil zu und schuf auch Haare und Gesichtszüge deutlich weicher. Die Künstler setzten nun so große Erwartungen in ihn, daß er zu der Zeit, als er diesen Stil pflegte, für den besten unter den jungen Malern gehalten wurde. So kam es dazu, daß die Familie der Capponi, die außerhalb der Porta San Frediano auf dem Hügel unterhalb der Kirche San Bartolomeo a Monte Oliveto eine ›Paradies‹ genannte Kapelle hatte errichten lassen, ihm den Auftrag für die [Altar-]Tafel erteilte, in der er die Auferstehung Christi in Öl malte, mit einigen wie leblos um das Grab zusammengesunkenen Soldaten, die sehr lebendig und schön sind, noch dazu die anmutigsten Köpfe haben, die man finden kann, unter denen der eines jungen Mannes auf wunderbare Weise Niccolò Capponi porträtiert. Ebenso gibt es dort eine Figur, auf die der Steindeckel des Grabes gefallen ist und die mit ihrem zum Schrei verzerrten Gesicht einen sehr schönen und bizarren Anblick bietet.9 Da die Capponi das Außerordentliche von Raffaellos Arbeit erkannten, ließen sie einen Rahmen anfertigen, der durchgehend geschnitzt war und runde Säulen mit einer prächtigen Vergoldung auf poliertem Bolus aufwies.10 Wenige Jahre später schlug ein Blitz in den Glockenturm ein, ließ das Gewölbe einstürzen und ging direkt neben dieser Tafel nieder, die keinerlei Schaden nahm, da sie in Öl gemalt war. Wo aber der Blitz die goldene Verzierung streifte, verdampfte das Gold und es blieb dort nichts als der blanke Bolus übrig. Ich meinte, dies im Hinblick auf die Ölmalerei erwähnen zu müssen, damit man sieht, wie wichtig es ist, zu wissen, wie man sich vor ähnlich verheerender Einwirkung schützen kann, zumal nicht nur dieses Werk, sondern auch viele andere davon betroffen waren.

Zwischen der Carraia-Brücke und der [Via della] Cuculia freskierte er an der Ecke eines Hauses, das heute Matteo Botti11 gehört, ein kleines Tabernakel, in dem die Madonna mit dem Sohn auf dem Arm, dazu die Heilige Katharina und die Heilige Barbara auf Knien sehr anmutig und sorgfältig dargestellt waren.12 Auf dem Landsitz der Girolami in Marignolle schuf er zwei wunderschöne Tafeln mit der Madonna, dem Heiligen Zenobius und weiteren Heiligen, die Predellen darunter sind mit kleinfigurigen Szenen aus dem Leben jener Heiligen angefüllt, die mit Sorgfalt gemalt sind.13 Für die Nonnen von San Giorgio schuf er am Portal ihrer Kirche eine Pietà mit den umstehenden Marien in Fresko und 1504 in einem anderen Bogen daneben auf ähnliche Weise eine Madonna, ein Werk, das großes Lob verdient.14 In der Kirche Santo Spirito in Florenz malte er neben der von seinem Meister Filippo für die Nerli geschaffenen Tafel eine Pietà, die als ausgenommen gut und lobenswert gilt.15 Allerdings ist eine andere mit dem Heiligen Bernhard weniger vollkommen als diese.16 Neben der Tür zur Sakristei schuf er zwei Tafeln: In der einen, in welcher der Heilige Papst Gregor die Messe liest, erscheint ihm Christus nackt, blutüberströmt und mit dem Kreuz auf den Schultern, während ihm der Diakon und Erzdiakon in liturgischen Gewändern bei der Messe dienen und zwei Engel den Leib Christi beweihräuchern;17 daneben schuf er in einer anderen Kapelle eine Tafel mit der Madonna und den Heiligen Hieronymus und Bartholomäus.18 Mit beiden Werken mühte er sich gehörig ab, wurde aber von Tag zu Tag schlechter,19 wobei ich nicht weiß, welchem Umstand ich dieses Unglück zuschreiben soll, weil der arme Raffaello es weder an Eifer noch Sorgfalt oder Mühe fehlen ließ, was ihm allerdings wenig nützte. Dazu wird folgende Ansicht vertreten: Da seine Familie in Schulden und Armut geraten war und er täglich ausgeben mußte, was er verdiente, noch dazu nicht allzu kühn war und Aufträge von geringem Wert annahm, wurde er von Mal zu Mal schlechter, gleichwohl ließ sich in seinen Werken immer noch Gutes finden. Für die Mönche von Cestello freskierte er auf einer Wand ihres Refektoriums eine große Szene, in der er das Wunder malte, wie Jesus Christus mit fünf Broten und zwei Fischen fünftausend Menschen sättigte.20 Für den Abt de’ Panichi21 schuf er für die Kirche von San Salvi vor der Porta alla Croce die Tafel am Hauptaltar, in der er die Madonna und die Heiligen Johannes Gualbertus, Salvius, Kardinal Bernhard degli Uberti und Abt Benedikt darstellte, und an den Seiten Johannes den Täufer und den Heiligen Fidelis in Rüstung in zwei Nischen, die das mit einem prächtigen Rahmen versehene Tafelbild einfassen, dazu in der Predella eine Menge kleinfiguriger Szenen aus dem Leben des Heiligen Johannes Gualbertus, bei denen Raffaello sich sehr gut hielt. Deshalb entschied jener Abt, der Erbarmen mit ihm und seiner Kunst hatte, ihm in seiner Not beizustehen, und Raffaello porträtierte ihn in der Predella jener Tafel zusammen mit ihrem damaligen Ordensgeneral.22 In San Pier Maggiore schuf er eine Tafel rechts vom Eingang der Kirche23 und in Murate ein Bild, das den Heiligen König Sigismund darstellt.24 Für Girolamo Federighi25 freskierte er in San Pancrazio an der Stelle, wo er beigesetzt ist, eine Dreifaltigkeit, in der er ihn mit seiner Gemahlin kniend nach dem Leben malte und hier wieder zu einem minuziösen Stil zurückzukehren begann.26 Ebenso schuf er in Cestello zwei Figuren in Tempera, nämlich einen Heiligen Rochus und einen Heiligen Ignatius, die sich in der Kapelle des Heiligen Sebastian befinden.27 Am Widerlager der Rubaconte-Brücke in Richtung der Mühlen schuf er in einem Kapellchen die Madonna, den Heiligen Laurentius und noch einen weiteren Heiligen.28 Am Ende verlegte er sich darauf, jedwede mechanische Arbeit zu verrichten. Einigen Nonnen und anderen Leuten, die damals zahlreiche Paramente bestickten, bot er sich an, zu einem Spottpreis Zeichnungen in chiaroscuro und Verzierungen mit Heiligenfiguren und -geschichten anzufertigen. Und obwohl er noch schlechter geworden war, gingen ihm mitunter wunderschöne Zeichnungen und Einfälle von der Hand, wovon viele Blätter zeugen, die nach dem Tode der Sticker hier und da verkauft wurden.29 Und im Buch des Herrn Spitalleiters30 gibt es davon viele, die zeigen, wie tüchtig er im Zeichnen war.31 So entstanden für die Kirchen von Florenz und für das Herrschaftsgebiet und auch für römische Kardinäle und Bischöfe zahlreiche Paramente und Verzierungen, die man für sehr schön hält. Heute ist diese Art des Stickens, wie sie von Paolo aus Verona,32 dem Florentiner Galieno33 und anderen ausgeübt wurde, fast ganz in Vergessenheit geraten, weil man eine andere Methode mit weiten Stichen erfunden hat, die weder jene Schönheit noch jene Genauigkeit besitzt und viel weniger haltbar ist als erstere. Daher gebühren ihm für dieses Verdienst nach seinem Tod Ruhm und Ehre in seiner Kunst, auch wenn ihm die Armut ein beschwerliches und mühevolles Leben beschert hat. In Wahrheit war Raffaello unbeholfen in der Wahl seines Umgangs. Stets verkehrte er nur mit armen Leuten von niederem Stand, weil er sich in Anbetracht der Tatsache, daß man in jungen Jahren große Erwartungen in ihn gesetzt hatte und dann später erkannte, wie weit er von den Werken entfernt war, die er in seiner Jugend so vortrefflich ausgeführt hatte, nun für unwürdig hielt und sich seiner selbst schämte. Mit zunehmendem Alter fiel er immer mehr von jenem frühen Guten ab, bis die Werke gar nicht mehr von seiner Hand zu sein schienen. Und die Kunst jeden Tag etwas mehr vergessend, ging es mit ihm so weit bergab, daß er mit Ausnahme der Tafeln und Bilder, die er schuf, jede noch so geringfügige Sache malte. So sehr verzagte er am Ende, daß ihm alles, vor allem aber die familiäre Last seiner Kinder, Verdruß bereitete und sich jeglicher künstlerische Wert in Plumpheit verkehrte. Von Krankheit geplagt und verarmt starb er elendig im Alter von achtundfünfzig Jahren und wurde 1524 von der Compagnia della Misericordia in San Simone in Florenz bestattet.

Er hinterließ viele erfahrene Schüler, unter anderem den Florentiner Maler Bronzino,34 der in seiner Kindheit bei ihm die Grundlagen der Kunst erlernt hatte und sich dann unter der Anleitung des Florentiner Malers Jacopo Pontormo35 so gut entwickelte, daß er in der Kunst dieselben Früchte hervorbrachte wie sein Meister Jacopo.36

Das Bildnis Raffaellos wurde nach einer Zeichnung angefertigt, die im Besitz von Bastiano da Montecarlo37 war, ebenfalls sein Schüler und für einen Künstler ohne disegno ein erfahrener Meister.

Einleitung zum Leben des Cronaca

Simone di Maso d’Antonio del Pollaiuolo, genannt Cronaca, hat in der modernen Kunstgeschichtsschreibung wenig Aufmerksamkeit erfahren; bis heute gibt es keine monographische Untersuchung zu seinem Leben und seinem Werk. Für Vasari hingegen war Cronaca offenbar eine zentrale Gestalt der Kunst- und Architekturgeschichte. Darauf deutet schon der Umstand hin, daß er seine Vita in die »dritte Epoche« einordnet, »wo wir jene modernen Werke finden, die die größte Wertschätzung erfahren und die am meisten gepriesen werden.« (Vasari, Kunstgeschichte und Kunsttheorie, S. 109 – Proemio della terza parte, 1568.) Daß Vasari Cronaca zu jenen Künstlern zählt, die sich »zur höchsten Vollendung zu erheben« vermochten, während er seinen Zeitgenossen, den aus Siena stammenden Francesco di Giorgio Martini, in die zweite Epoche verbannt, ließe sich noch mit der generellen Tendenz erklären, die Florentiner Bautradition als für ganz Italien vorbildlich zu zeichnen. Doch auch die Vita seines Landsmannes Giuliano da Sangallo fällt weniger positiv aus als die des Cronaca.

Die Begründung für diese Bevorzugung des Simone del Pollaiuolo vor seinen Zeitgenossen liegt in dem besonderen, in die Zukunft weisenden Antikenbezug. Während nach Vasari die Antikenerfahrung bei Giuliano da Sangallo eine eher untergeordnete Rolle spielte, eröffnet die Vita des Cronaca programmatisch mit einem ausführlichen Bericht über sein frühes Antikenstudium in Rom und dem Eindruck, den es seinerzeit in Florenz hinterließ. Die Topoi Romaufenthalt und Antikenstudium verbinden Cronaca mit jenen zwei Protagonisten der Viten, die in der Architektur hervorstechen: Brunelleschi, der die Prinzipien der antiken Baukunst wiederentdeckte, und Bramante, der die Architektur auf ihre alte Höhe zurückführte und zum ersten Mal die Antike sogar übertraf. Das Werk Giuliano da Sangallos mag den bedeutenderen künstlerischen Rang einnehmen, aber Cronaca kommt die größere historische Bedeutung hinsichtlich der vertieften Rückbesinnung auf die Antike zu. Er ist der legitime Erbe Brunelleschis und der direkte Vorläufer Bramantes.

Das Besondere an Cronacas Verhältnis zur Antike war Vasari zufolge die Sorgfalt seiner Vermessungen und seine Fähigkeit, mit ›chronistischer‹ Präzision von den antiken Bauten Roms zu berichten. Und tatsächlich scheint Cronaca der erste gewesen zu sein, der den Baubestand, so wie er war, in allen Einzelheiten festhielt. Jedenfalls reflektieren die erhaltenen Zeichnungen, die Cronaca zugeschrieben werden können, eine neue, detaillierte Akkuratesse der Wiedergabe (Günther 1988, S. 66‒103): Sie sind nicht nur kotiert, sondern setzen zum ersten Mal Orthogonalprojektion ein und kombinieren systematisch Grundrisse mit Aufrissen, bisweilen auch mit Teilschnitten; sie verzichten jedenfalls im Gegensatz zu den Zeichnungen Giuliano da Sangallos auf perspektivische Wirkungen und phantasievolle Ergänzungen. Es war wohl diese neue dokumentarische Qualität seiner Zeichnungen, die ihm schon zu Lebzeiten den Spitznamen des ›Chronisten‹ eintrug.

Unter denselben Vorzeichen des Romaufenthaltes und des präzisen Antikenstudiums steht die zweite Schlüsselstelle der Vita: Die auffallend ausführliche Besprechung des Kranzgesimses des Palazzo Strozzi. Vasari stellt heraus, daß es nach einem Stück eines Gebälkes vom Trajansforum gestaltet ist, das Cronaca während seines Romaufenthaltes selbst aufgenommen hatte (was uns durch eine im Canadian Centre for Architecture in Montreal erhaltene Zeichnung von seiner Hand bestätigt wird). Auf diese korrekte Beobachtung läßt Vasari Grundsätzliches folgen: Lobenswert ist nicht die bloße getreue Befolgung einer antiken Vorlage, sondern die Sicherheit und Geschicklichkeit, mit der Cronaca das klassische Vorbild adaptierte und dabei stilistisch und ästhetisch weiterentwickelte. Sodann stellt Vasari, um diese vorbildliche Haltung gegenüber den antiken Vorbildern zu verdeutlichen, Cronacas Kranzgesims des Palazzo Strozzi als negatives Beispiel das Kranzgesims des Palazzo Bartolini (Salimbeni) gegenüber, welches Baccio d’Agnolo eine Generation später vom Serapeum am Quirinal übernahm. Der Rückgriff auf die Antike ist, wie Baccios Mißgriff lehrt, keineswegs simpel. Es reicht nicht, das antike Vorbild zu kopieren, vielmehr muß es – Cronaca führt es vorbildlich vor – mit Verstand und ›Gespür‹ weiterentwickelt und an die moderne Bauaufgabe angepaßt werden. Es ist die künstlerische ›licenzia‹, die Freiheit der Modernen gegenüber den antiken Vorbildern, welche Cronaca von Baccio d’Agnolo unterscheidet, auch wenn Vasari diesen Begriff an dieser Stelle nicht verwendet. (Vasari, Kunstgeschichte und Kunsttheorie, S. 237–238 – Victoria Lorini zu ›licenz[i]a‹ – Freiheit [künstlerische].)

In der Vorrede zum dritten Teil der Vite hatte Vasari noch einmal die Errungenschaften der zweiten Epoche unter fünf Schlagworten zusammengefaßt und an erster Stelle den Begriff der ›Regel‹ angeführt, worunter »in der Architektur die Art und Weise des Vermessens von Altertümern und das Beachten der Pläne antiker Gebäude für moderne Bauwerke« zu verstehen ist (Vasari, Kunstgeschichte und Kunsttheorie, S. 109). Zur »absoluten Vollendung« fehlte es den Vertretern der zweiten Epoche indes noch »an einer gewissen Freiheit der Regel« (Vasari, Kunstgeschichte und Kunsttheorie, S. 110). Diesen Fortschritt von der gelehrten Imitatio zur schöpferischen Aemulatio vollzogen erst die Künstler der dritten Epoche, für die Architektur erstmals Cronaca, dessen Vita deshalb auf jene des Bramante (und schließlich Michelangelo) vorausweist, »der sie [die Römer] mit neuem Erfindungsgeist nachahmte, nicht nur gelehrt, sondern um ein Höchstmaß an Schönheit und Schwierigkeit bereichert, so daß wir sie heute durch ihn verschönert sehen.« (Vasari, Bramante und Peruzzi, S. 12.)

Während die Berichte über Cronacas Romaufenthalt und das Kranzgesims des Palazzo Strozzi – und damit auch seine positive Bewertung und seine gewichtige Einordnung in die Kunstgeschichte – sich in dieser Form bereits in der ersten Ausgabe der Vite von 1550 finden, erweisen sich andere Stellen in der 18 Jahre späteren Fassung verändert. Der größte Eingriff betrifft die Passage zum Palazzo della Signoria (Palazzo Vecchio), die in der zweiten Edition von 1568 beinahe die Hälfte des Textes der Vita umfaßt, während es in der ersten Ausgabe lediglich in einem Satz geheißen hatte: »Im großen Ratssaal des Palazzo della Signoria in Florenz schuf er die hölzernen Dachbinder, die das Dach tragen, die als wunderbar, einfallsreich und höchst erstaunlich gelten und durch die er viel Ruhm erlangte.« Vasaris gesteigertes Interesse rührt von dem Umstand, daß er inzwischen selbst als Architekt tätig geworden war und von Herzog Cosimo I. de’ Medici mit dem Umbau und der Ausstattung des Palastes zur herzoglichen Residenz beauftragt worden war. Vasari nutzt die Erweiterung des Textes dazu, Cronaca nicht nur den Dachstuhl, sondern auch den Entwurf für den Saal insgesamt sowie für die Haupttreppe zuzuschreiben und diese Bauteile ausführlich zu schildern. Doch der Großteil des neuen Textes besteht in einem Lobpreis der eigenen Wohltaten.

Der zweite bemerkenswerte Unterschied zwischen erster und zweiter Auflage betrifft die Bewertung der Anlage der Innenräume und der beiden Treppenhäuser des Palazzo Strozzi, die Vasari 1550 Cronaca zugeschrieben und ausführlich gepriesen hatte. Dieses Lob fällt 1568 im Licht der großzügigeren Räumlichkeiten und Treppen der eigenen Zeit im allgemeinen und der von Vasari verantworteten Umbauarbeiten am Palazzo Vecchio im besonderen weg. Um die insgesamt positive Bewertung Cronacas nicht zu schmälern, versucht Vasari gleichzeitig, ihn von dem inzwischen als ungenügend oder fehlerhaft Erkannten freizusprechen, indem er es unverschuldeten, widrigen Umständen oder anderen Künstlern zuschreibt.

Vasari standen für die Biographie Cronacas keine literarischen Quellen zur Verfügung. Die Rechnungsbücher des Palazzo Strozzi, des Konvents von Santo Spirito, des Palazzo Vecchio oder der Domopera scheint er nicht konsultiert zu haben. So mußte er sich auf mündliche Auskünfte und seine eigene Anschauung verlassen. Die moderne Forschung konnte die Chronologie der Vita in den groben Zügen bestätigen und Cronacas Beteiligung an den meisten von Vasari genannten Werken belegen, sie hat jedoch auch zahlreiche Irrtümer nachgewiesen. Schon der Angabe, Cronaca wäre als Zimmermann beziehungsweise Tischler ausgebildet worden, widersprechen die frühen Quellen, die ihn als Bildhauer und vor allem als Steinmetz beziehungsweise Steinschneider bezeichnen. Vasari irrt, wenn er Benedetto da Maiano zum Entwerfer und Hersteller des Modells des Palazzo Strozzi erklärt, denn aus den Rechnungsbüchern geht eindeutig hervor, daß dieses von Giuliano da Sangallo stammt. Ebenso irrt er, wenn er Cronaca selbst die Sakristei von Santo Spirito zuschreibt, während dieser tatsächlich nur an ihrem Vestibül beteiligt gewesen sein dürfte, das Vasari jedoch Jacopo Sansovino zurechnet.

Vasari war also bisweilen schlecht informiert. Doch hinter seinen Fehlern bei den Zuschreibungen steht noch ein grundsätzlicheres Problem: Vasari stellt – der inneren Logik der Gattung Biographie und der Einordnung des Künstlers in die Terza Parte folgend – mit Cronaca (oder Benedetto da Maiano oder Jacopo Sansovino) als dem alleinigen Autor eines Werkes den souverän entwerfenden Künstler-Architekten in den Vordergrund, den es jedoch im Quattrocento in dieser Ausprägung nicht gegeben hat. (Burioni 2008, bes. S. 95–96 und S. 106–109.) Erst um 1500, mit dem Auftreten Bramantes in Rom und seiner Stellung als ›Hofarchitekt‹ Papst Julius’ II., beginnt sich eine neue Auffassung vom Beruf des Architekten durchzusetzen, der vom Entwurf bis zur Ausführung alle Details des Bauprozesses leitet und dem somit die Autorschaft des Baus zugeschrieben werden kann. So verstand sich jedenfalls ein halbes Jahrhundert später Vasari selbst, als er zum Hofarchitekten Herzog Cosimos I. aufgestiegen war.

Mit dieser Vorstellung von Autorschaft wird Vasari jedoch der vielseitigen Tätigkeit und dem kooperativen Charakter der Arbeit des Cronaca nicht gerecht. Simone del Pollaiuolo war im Gegensatz zu dem Goldschmied Brunelleschi oder dem Zimmermann Giuliano da Sangallo als Steinmetz ausgebildet worden und kann deshalb als einer der wenigen ›professionellen‹ Baumeister bezeichnet werden. Trotzdem, oder gerade deshalb, war er kein Entwurfsarchitekt in Vasaris und unserem modernen Sinne. In den erhaltenen Quellen tritt er uns vor allem als anerkannter Sachverständiger und gefragter Organisator entgegen. Sowohl im Falle des Palazzo Strozzi also auch im Falle von San Salvatore e San Francesco oder den Arbeiten am Dom ist Cronaca zunächst nur für die Beschaffung von Baumaterial zuständig und wächst jeweils erst langsam in eine leitende Position, die er meist obendrein nicht allein innehatte, so daß ihm zwar aufgrund der Quellen oder der stilistischen Analyse Teilentwürfe zugeschrieben werden können, aber keinesfalls der Gesamtentwurf oder auch nur die Aufsicht während der gesamten Bauzeit. Der Palazzo Strozzi beispielsweise ist das Resultat eines komplexen Zusammenspiels aus Vorgaben Filippo Strozzis (und Lorenzo de’ Medicis), Ideen Giuliano da Sangallos und Fortbildungen der ausführenden Handwerker, die keineswegs immer unter der Leitung Simone del Pollaiuolos standen. Ebensowenig hat Cronaca den Großen Ratssaal des Palazzo della Signoria ›entworfen‹. Die erhaltenen Quellen bezeichnen an mehreren Stellen, und gleichzeitig, neben Cronaca auch Monciatto und Antonio da Sangallo als ›capomaestro‹ der Arbeiten am Saal; und 1497 wird nicht Cronaca, sondern Sangallo zum alleinigen Leiter der Arbeiten ernannt. Der Entwurf und die Ausführung des großen Ratssaales sind deshalb wohl am besten als Frucht der Zusammenarbeit einer Gruppe von Künstlern zu verstehen. Und dasselbe gilt für die Sakristei von Santo Spirito oder für Tambour und Galerie der Domkuppel. Wie sich die Zusammenarbeit der Künstler jeweils konkret gestaltete, läßt sich indes nur schwer näher präzisieren. Am ehesten – aus stilistischen Gründen – kann San Salvatore e San Francesco als Cronacas ›Werk‹ bezeichnet werden, doch ausgerechnet zu diesem entwicklungsgeschichtlich bemerkenswerten Bau verliert Vasari kein über die bloße Nennung hinausgehendes Wort (Markschies 2001).

Und trotzdem hat Vasari Cronaca richtig bewertet und eingeordnet. Obwohl Cronaca nur an wenigen Bauten mit eigenen Entwürfen beteiligt gewesen ist, war er durch seine zahlreichen Tätigkeiten und Ämter in den neunziger Jahren des Quattrocento neben Giuliano und Antonio da Sangallo d. Ä. und Baccio d’Agnolo der wichtigste Architekt in Florenz. Außerdem handelt es sich zwar nur um wenige Bauten, aber doch um Schlüsselwerke der Architekturgeschichte. Das Kranzgesims und der Innenhof des Palazzo Strozzi, das Vestibül der Sakristei von Santo Spirito und die Wandgliederung der Kirche San Salvatore e San Francesco weisen eine besondere Nähe zur römischen Antike, eine strenge Trennung von Wand und architektonischer Gliederung und eine nüchterne, dekorationslose Formensprache auf, die Simone del Pollaiuolo, genannt il Cronaca, zu einem wichtigen Bindeglied machen zwischen Brunelleschi und der Florentiner Frührenaissance auf der einen Seite und der Hochrenaissance auf der anderen Seite: dem Florentiner Werk Michelangelos und den Werken Bramantes und Raffaels.

Die bleibende Bedeutung Vasaris wiederum besteht darin, diese zentrale Stellung erkannt zu haben. Bis heute ist seine Vita die einzige Biographie Cronacas, und sie wird immer die Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit diesem Künstler bleiben. Für eine solche gilt es jedoch, sich freizumachen von einem anderen Erbe Vasaris, nämlich der anachronistischen Rückprojektion der souverän schaffenden Künstlerpersönlichkeit, im Falle der Architektur: des Entwurfsarchitekten, um statt dessen die kooperative Realität einer Profession im Werden genauer in den Fokus zu nehmen.

BH

DAS LEBEN DES FLORENTINER ARCHITEKTEN CRONACA

Vita del Cronaca. Architetto Fiorentino (1568)

Viele Talente gehen verloren, die außergewöhnliche und achtbare Werke schaffen würden, stießen sie in der Welt nur auf Menschen, die fähig und willens sind, sie in den Bereichen einzusetzen, in denen sie gut sind. Häufig ist es aber so, daß wer könnte, nichts unternimmt oder unternehmen will, und wenn doch irgend jemand ein vortreffliches Bauwerk errichten lassen möchte, er sich nicht weiter darum schert, einen wirklich außerordentlichen Architekten und besonders feinsinnigen Kopf ausfindig zu machen, sondern seine Ehre und seinen Ruhm in die Hände gewisser betrügerischer Talente legt, die dem Namen und Ruf solcher Erinnerungswerke oft nur Schande bereiten. Und um jene groß zu machen, die in allem von ihm abhängen, ächtet so einer häufig die guten Entwürfe, die man ihm vorlegt – so weit kann es der Ehrgeiz treiben –, und verwirklicht den schlechtesten, so daß sein Name nun für immer mit der Plumpheit jenes Werks verbunden bleibt, weil diejenigen, die sich ein Urteil erlauben dürfen, davon ausgehen, daß den Künstler und denjenigen, der ihn etwas schaffen läßt, dieselbe Gesinnung eint, da jene sich in den Werken überschneidet. Und wie viele Fürsten hat es auf der anderen Seite gegeben, die dank der Begegnung mit vortrefflichen und urteilsfähigen Menschen nach ihrem Tod keinen geringeren Ruhm durch den Erinnerungswert ihrer Bauwerke erlangt haben als durch die Herrschaft über ihr Volk!1 Wirklich glücklich getroffen hatte es da zu seiner Zeit Cronaca,2 der sich nicht nur auf seine Arbeit verstand, sondern immer jemanden fand, der ihn einsetzte, und dies stets für bedeutende und prachtvolle Werke.

Von ihm wird erzählt, daß zu der Zeit, als Antonio Pollaiuolo3 in Rom war, um die Bronzegrabmale in Sankt Peter zu gestalten,4 ein mit ihm verwandter junger Mann namens Simone in sein Haus kam,5 der wegen irgendwelcher Rechtsstreitigkeiten aus Florenz geflüchtet war.6 Jener hatte dank seiner Lehre bei einem Tischlermeister eine starke Neigung für die Architektur7 und begann nun, sich mit den herrlichen Altertümern jener Stadt zu befassen und sie zum Vergnügen mit größter Sorgfalt zu vermessen.8 Damit fuhr er fort und zeigte nicht lange nach seiner Ankunft in Rom, daß er sowohl beim Ausführen der Vermessungen als auch bei der Umsetzung welches Werks auch immer große Fortschritte gemacht hatte. Daraufhin faßte er den Gedanken, nach Florenz zurückzukehren, und verließ Rom.9 Wieder in der Heimat, berichtete er, weil aus ihm ein recht guter Redner geworden war, mit solcher Genauigkeit von den Wundern Roms und denen anderer Orte, daß man ihn seither den Cronaca nannte, weil es tatsächlich jedem so schien, als würde er mit seiner Ausführungen eine Chronik der Dinge wiedergeben.10 So war aus ihm einer geworden, den man unter den modernen Architekten der Stadt Florenz für den vortrefflichsten hielt, weil er beim Auswählen der [Bau-]Plätze Urteilskraft besaß und einen erhabeneren Verstand zeigte als viele andere, die jenem Beruf nachgingen,11 zumal seine Werke erkennen ließen, welch guter Nachahmer der Altertümer er war und wie sehr er die Regeln Vitruvs12 beachtete und die Werke eines Filippo Brunelleschi13 studiert hatte.14

Damals lebte in Florenz jener Filippo Strozzi,15 den man heute zur Unterscheidung von seinem Sohn16 den ›Alten‹ nennt und der so reich war, daß er Heimatstadt und Kindern unter anderem einen schönen Palast zum Gedenken an sich hinterlassen wollte.17 Dafür machte ihm Benedetto da Maiano,18 der zu diesem Zweck von ihm berufen worden war, ein Modell von einem rundherum freistehenden Gebäude, das dann zur Ausführung kam, allerdings nicht vollständig, wie weiter unten zu berichten sein wird, weil einige Nachbarn ihm nicht entgegenkommen und ihre Häuser nicht aufgeben wollten.19 Also begann Benedetto mit dem Bau des Palasts so wie es ihm möglich war, und brachte die äußere Schale vor dem Tod besagten Filippos fast zum Abschluß.20 Diese Gebäudeschale folgt einer, wie man sieht, graduell abgestuften Rustika-Ordnung, wo der Teil der Bossen von der ersten Fensterreihe abwärts einschließlich der Türen als stark vortretendes Bossenwerk erscheint, während der Bereich zwischen der ersten und zweiten Fensterreihe sehr viel weniger erhaben rustiziert ist.21 Nun fügte es sich, daß genau in dem Moment, als Benedetto Florenz verließ, Cronaca aus Rom zurückkam.22 Man brachte ihn zu Filippo, dem das Modell, das er für den Innenhof und das außen um den Palast laufende Gesims geschaffen hatte, so gut gefiel, daß jener, der die Vortrefflichkeit seines Talents erkannt hatte, von da an alles in dessen Hände zu legen beschloß und auch künftig immer auf seine Dienste zurückgriff.23 Also schuf Cronaca dort neben der schönen Außenseite in toskanischer Ordnung24 oben als Dachabschluß ein prächtiges korinthisches Gesims, von dem man heute die Hälfte mit so einzigartiger Anmut vollendet sieht, daß man dort weder etwas hinzufügen noch sich etwas Schöneres vorstellen kann.25 Dieses Gesims empfand Cronaca einem nach, das er in Rom gezeichnet und genau vermessen hatte und das sich an der Spoglia Cristo befindet, wo es unter den vielen jener Stadt als wunderschön gilt.26 Tatsächlich hat Cronaca es den Proportionen des Palasts entsprechend vergrößert, damit der Abschluß in angemessenem Verhältnis stehen und mit seinem Vorsprung zugleich das Dach jenes Palastes bilden würde. Und so war Cronacas Talent solcherart, daß er sich der Werke anderer zu bedienen und sie gewissermaßen zu seinen eigenen zu machen wußte – was nicht vielen gelingt, weil es eben nicht nur darauf ankommt, Abbildungen und Zeichnungen von schönen Werken zu besitzen, sondern man auch in der Lage sein muß, sie mit Anmut, Maß, Gespür für die Proportion und Angemessenheit dem Zweck anzupassen, dem sie dienen sollen.27 Sosehr Cronacas Gesims gelobt wurde und immer gelobt werden wird, so sehr wurde jenes kritisiert, das in derselben Stadt am Palast der Bartolini28 von Baccio d’Agnolo29 geschaffen wurde, der es Cronaca nachmachen wollte und auf eine kleine feingliedrige Fassade ein großes antikes Gesims setzte, das exakt den Giebelmaßen vom Monte Cavallo folgte.30 Das mißlang jedoch gründlich, weil Baccio bei seiner Anpassung jeglichen Urteilssinn vermissen ließ, so daß es schlechter nicht sein könnte und wirkt, als säße auf einem kleinen Kopf ein riesiges Barett.31 Und da genügt es auch nicht, daß die Künstler sich, was viele von ihnen tun, nach der Ausführung der Werke wie folgt entschuldigen: Ihre Maße würden exakt dem antiken Vorbild folgen und nach guten Meistern kopiert sein, denn eine gute Urteilskraft und das Auge spielen in allen diesen Dingen eine wichtigere Rolle als jedes Zirkelmaß.32

Cronaca führte also das genannte Gesims mit Zahnschnitt und Eierstab rund um jenen Palast mit großer Kunstfertigkeit zur Hälfte und auf zwei Seiten ganz aus, wobei er die Steine in einer Weise austarierte, um das Gleichgewicht und die Verbindung unter ihnen sicherzustellen, daß man nichts zu sehen bekommt, das besser gemauert noch mit größerer Sorgfalt zur Vollendung gebracht wäre. Ebenso sind alle anderen Steine an diesem Palast so ebenmäßig bearbeitet und gut zusammengefügt, daß sie nicht gemauert, sondern wie aus einem Guß erscheinen.33 Und damit alles zueinander passen würde, ließ er als Schmuck für besagten Palast überall wunderschöne Schmiedeeisen und die an den Ecken befindlichen Laternen anfertigen, die ausnahmslos von dem Florentiner Schmied Niccolò Grosso Caparra mit allergrößter Sorgfalt gearbeitet worden sind. An jenen wundervollen Laternen sieht man Gesimse, Säulen, Kapitelle und Konsolen mit herrlicher Meisterschaft in Eisen geschmiedet, und niemals zuvor hat ein moderner Künstler derart große und komplizierte Konstruktionen aus Eisen mit so viel Sachverstand und Erfahrung ausgeführt.34

Niccolò Grosso war ein verschrobener Mensch, der nur dem eigenen Kopf folgte, der seine Belange und die von anderen mit Vernunft regelte und nie fremdes Eigentum begehrte. Bei seinen Werken arbeitete er niemals auf Kredit, verlangte vielmehr stets einen Vorschuß, weshalb Lorenzo de’ Medici35 ihn ›Caparra‹ (Kaufgeld) nannte, ein Name, unter dem er auch bei vielen anderen bekannt war. Er hatte an seiner Werkstatt ein Schild angebracht, auf dem brennende Bücher dargestellt waren. Wenn ihn dann einer bei der Bezahlung um Aufschub bat, antwortete er: »Ich kann nicht, meine Bücher brennen, da lassen sich keine Schuldner mehr hineinschreiben.«36 Von den Herren Capitani der Guelfischen Partei wurde er beauftragt, ein paar Feuerböcke anzufertigen,37 nach denen sie, als er sie vollendet hatte, mehrmals anfragen ließen. Er aber pflegte wieder und wieder zu sagen: »Ich schwitze und schufte an diesem Amboß und will darauf mein Geld bezahlt haben.« Daraufhin ließen sie erneut nach ihrer Arbeit schicken und ihm ausrichten, er würde, sobald er wegen des Geldes käme, sofort bezahlt werden. Doch er blieb stur und antwortete, daß sie ihm zuerst das Geld bringen sollten. Da wurde der Provveditore38 wütend, weil die Capitani ihre Feuerböcke sehen wollten, und ließ ihm mitteilen, daß er die Hälfte des Geldes erhalten habe und er nun die Feuerböcke schicken solle, woraufhin man ihm den Rest begleichen würde. Caparra sah ein, daß dies der Wahrheit entsprach, und übergab daraufhin dem Edelknappen, den sie geschickt hatten, nur den einen Feuerbock mit den Worten: »Da, nimm diesen hier, der gehört ihnen; und wenn er ihnen gefällt, dann bringe mir die volle Bezahlung und ich gebe dir auch den anderen, bis dahin gehört er mir.« Als die Amtsträger die wunderbare Arbeit sahen, die er hier vollbracht hatte, schickten sie ihm das Geld in die Werkstatt und er lieferte ihnen auch den anderen Feuerbock. Ebenso heißt es, Lorenzo de’ Medici habe Gegenstände aus Eisen schmieden lassen, um diese als Geschenk ins Ausland zu schicken und Caparras Vortrefflichkeit auf diesem Weg bekannt zu machen. Er begab sich daher persönlich in seine Werkstatt und fand ihn zufällig bei der Arbeit an einigen Werken für ein paar arme Leute, von denen er einen Teil der Bezahlung als Handgeld erhalten hatte. Als Lorenzo seine Anfrage vortrug, wollte Caparra ihm auf keinen Fall seine Dienste versprechen, bevor er die Verpflichtung gegenüber jenen nicht erfüllt hätte, weil sie, wie er sagte, vor ihm in die Werkstatt gekommen seien und er ihr Geld ebenso hoch schätzen würde wie seines. Demselben brachten ein paar junge Leute aus der Stadt eine Zeichnung, nach deren Vorgabe er ihnen ein eisernes Werkzeug zum Aufsperren und Aufbrechen anderer Eisenvorrichtungen mittels einer Schraube herstellen sollte. Er aber verweigerte nicht nur seine Dienste, sondern schalt sie mit den Worten: »Unter keinen Umständen möchte ich euch in einer solchen Sache unterstützen, das ist nichts anderes als Diebeswerkzeug, das zum Stehlen dient oder dazu, junge Mädchen in Verlegenheit zu bringen. Das ist, sage ich, nichts für mich und auch nichts für euch, die ihr mir rechtschaffene Männer scheint.« Als diese merkten, daß Caparra ihnen den Dienst nicht tun wollte, fragten sie ihn, ob es in Florenz jemand anderen gäbe, der ihnen behilflich sein könnte; da wurde er wütend und schaffte sie sich unter einem Schwall von Flüchen vom Hals. Niemals wollte er für Juden arbeiten, im Gegenteil, er pflegte zu sagen, ihr Geld sei verdorben und stinke.39 Er war ein guter und religiöser Mensch, hatte aber einen eigensinnigen und sturen Kopf; auch wollte er nie aus Florenz weggehen, egal welche Angebote man ihm machte, weshalb er dort lebte und starb.

Ich habe ihm dieses Andenken setzen wollen, weil er in seiner Tätigkeit wirklich einzigartig war und es niemals jemanden gegeben hat noch geben wird, der ihm ebenbürtig ist, was man besonders an den schmiedeeisernen Werken und den wunderschönen Laternen am Palast der Strozzi sehen kann, den Cronaca vollendet und mit einem überaus prächtigen Innenhof in korinthischer und dorischer Ordnung mit Säulen, Kapitellen, Gesimsen, Fenstern und Türen wunderschön ausgestattet hat.40 Und sollte jemand meinen, das Innere dieses Palasts entspräche nicht dem Äußeren, so muß er wissen, daß Cronaca keine Schuld trifft, da er gezwungen war, sich innen an die von anderen begonnene äußere Schale anzupassen und in weiten Teilen das weiterzuführen, was andere zuvor ausgeführt hatten.41 Es war also nicht wenig, welch große Schönheit er diesem sichtlich verliehen hat. Dasselbe antwortet man denen, die behaupten, der Anstieg der Treppen sei weder sacht noch ausgewogen, sondern zu steil und übergangslos geraten;42 und auch jenen, die sagen, die Zimmer und privaten Gemächer im Inneren würden nicht, wie schon gesagt, der äußeren Größe und Pracht entsprechen. Dessen ungeachtet wird man nicht anders können, als diesen Palast für wahrhaft prachtvoll zu halten und jedem privaten Gebäude ebenbürtig, das zu unserer Zeit in Italien gebaut worden ist. Deshalb hat Cronaca für dieses Werk unendlich viel Lob verdient und verdient es noch.

Derselbe schuf die Sakristei von Santo Spirito in Florenz, die einen schön proportionierten, achtseitigen Sakralraum darstellt und sehr sauber ausgeführt ist;43 unter anderen Dingen, die in diesem Werk zu sehen sind, gibt es dort ein paar Kapitelle, die von der glücklichen Hand des Andrea dal Monte Sansovino44 stammen und mit höchster Perfektion ausgeführt sind.45 Dergestalt ist auch die Eingangshalle besagter Sakristei, die als wunderschöne Erfindung gilt, wenngleich die [Wand-]Gliederung oberhalb der Säulen, wie noch zu sagen sein wird, nicht gut eingeteilt ist.46 Derselbe [Cronaca] schuf außerhalb von Florenz auch die Kirche San Francesco dell’Osservanza auf dem Hügel von San Miniato47 und ebenso die gesamte Anlage des Konvents der Servitenbrüder, die sehr gelobt wird.48 Zur selben Zeit sollte auf Anraten des damals hochberühmten Predigers Fra Girolamo Savonarola49 der große Ratssaal im Palazzo della Signoria in Florenz errichtet werden,50 wozu die Meinungen von Leonardo da Vinci,51 dem noch ganz jungen Michelangelo Buonarroti,52 Giuliano da Sangallo,53 Baccio d’Agnolo54 und dem mit Savonarola eng befreundeten55 und ihm ergebenen Simone del Pollaiuolo, genannt Cronaca, eingeholt wurden.56 Nach vielen Disputen beschlossen sie einstimmig, den Saal in jener Weise zu errichten, wie er dann immer gewesen ist, bis man ihn, wie gesagt und an anderer Stelle auszuführen sein wird,57 in unseren Tagen fast vollständig erneuert hat. Der Auftrag für das gesamte Werk wurde Cronaca übertragen, weil er erfinderisch war und außerdem ein Freund von besagtem Girolamo. Er führte es mit großer Schnelligkeit und Sorgfalt aus und zeigte besonders bei der Konstruktion des Dachs wunderschönes Vorstellungsvermögen, da das Gebäude nach allen Seiten riesige Ausmaße besitzt.58 Er ließ also den Zugbalken des Dachstuhls, dessen Länge von Mauer zu Mauer 38 Ellen beträgt, aus mehreren abgeschrägten und einwandfrei verzapften Balken zusammenfügen, weil es unmöglich ist, passende Hölzer von solcher Länge zu finden.59 Während andere Dachstühle sonst nur eine Giebelsäule aufweisen, haben alle in diesem Saal jeweils drei: eine große in der Mitte und je eine kleinere auf jeder Seite. Die Länge der Dachpfetten ist maßgerecht bemessen und so auch die Sparren jeder Giebelsäule. Nicht verschweigen will ich, daß die Sparren der kleineren Giebelsäulen den Schub über die Pfette seitlich zur Mauer lenken und zur Mitte hin über den Sparren der Hauptgiebelsäule.

Ich habe berichten wollen, wie diese Dachbinder gemacht sind, weil sie mit schöner Überlegung ausgeführt worden sind und ich viele gesehen habe, die sie gezeichnet haben, um sie an verschiedene Orte zu senden. Nachdem die in dieser Weise gefertigten Dachbinder heraufgezogen und jeweils in einem Abstand von sechs Ellen angebracht worden waren, man dann auch innerhalb kürzester Zeit das Dach gedeckt hatte, ließ Cronaca die Raumdecke anbringen, die seinerzeit aus einfachem Holz gemacht und in quadratische Felder von jeweils vier Ellen Kantenlänge unterteilt war, mit einem umlaufenden, aus wenigen Gliedern bestehenden Sims; eine flache Profilleiste in der Breite der Holzbalken wurde ausgeführt, die rings um die Kassetten und das ganze Werk lief und an den Kreuzpunkten und an den Ecken des gesamten Plafonds mit Beschlägen versehen war.60 Und weil die beiden Stirnwände dieses Saals um acht Ellen aus dem Lot liefen, entschloß man sich nicht, wie man es hätte tun können, die Mauern zu verstärken, um den Saal auf ein rechtwinkliges Maß zu bringen, sondern führte die Wände so, wie sie waren, bis zum Dach hoch und ließ in jede Stirnwand drei große Fenster ein.61 Als alles fertig war und ihnen dieser Saal mit seiner außerordentlichen Größe lichtarm und, im Vergleich zu einem in der Länge und Breite derart großzügig bemessenen Baukörper, zwergenhaft erschien und wenig Luft nach oben bot, er ihnen kurz gesagt nahezu vollkommen unproportioniert vorkam, versuchten sie mit geringem Erfolg, eine Verbesserung zu erreichen, indem sie in der Mitte des Saals auf der Ostseite zwei Fenster einließen und auf der Seite nach Westen vier.62 Anschließend errichteten sie zu seiner Vervollkommnung auf der Etage mit dem Backsteinfußboden auf Drängen der Bürger mit großer Schnelligkeit eine an den Wänden rings umlaufende, drei Ellen breite und hohe Holztribüne, auf der alle Ratsmitglieder der Stadt Platz finden sollten und die mit Sitzreihen wie im Theater und Geländern vorne ausgestattet war.63 Und in der Mitte der nach Osten zeigenden Wand befand sich eine Empore, auf der der Gonfaloniere della Giustizia64 und die Ratsherren saßen; zu beiden Seiten dieser Empore befanden sich zwei Türen, von denen eine in das geheime Beratungszimmer führte, die andere zum specchio.65 Gegenüber stand, an der Wand Richtung Westen, ein Altar zum Lesen der Messe mit einer Tafel, wie gesagt, von der Hand Fra Bartolomeos,66 und neben dem Altar das Rednerpult.67 In der Mitte des Saals standen dann in Reihen nebeneinander und quer die Bänke für die Bürger. In der Mitte und an den Ecken der Tribüne befanden sich mehrere Aufgänge mit sechs Stufen, über welche die Magistratsdiener bequem die Vorschläge einsammeln konnten. Bei diesem Saal, der dank der schnellen Ausführung und der vielen schönen Überlegungen damals sehr gelobt worden ist, hat späterhin die Zeit dafür gesorgt, seine Fehler zu enthüllen: die niedrige Höhe, die Dunkelheit, die triste Stimmung und das fehlende Winkelmaß.68 Dessen ungeachtet verdienen Cronaca und die anderen Nachsicht, nicht nur wegen der Schnelligkeit, mit der er nach dem Willen der Bürger ausgeführt wurde, die ihn mit der Zeit mit Bildern auszuschmücken und die Decke zu vergolden gedachten, sondern auch, weil in Italien bis dahin kein größerer Saal erbaut worden war, obwohl auch der im Palast von San Marco in Rom, derjenige, den Pius II.69 und Innozenz VIII.70 im Vatikan erbauten, der in der Festung von Neapel und jene in den Stadtpalästen von Mailand, Urbino, Venedig und Padua enorme Ausmaße haben.71 Danach schuf Cronaca auf Beschluß derselben einen großen, sechs Ellen breiten Treppenaufgang, der über zwei gebogene Treppenläufe zu diesem Saal hinaufführt und reich mit Ornamenten aus macigno, mit korinthischen Pilastern und Kapitellen, doppelten Gesimsen und Bögen von derselben Gesteinsart ausgestattet ist, darüber wölbt sich ein Tonnengewölbe, die Fenster sind mit Buntmarmorsäulen versehen, mit Kapitellen aus behauenem Marmor.72 Und obwohl dieses Werk sehr gelobt worden ist, hätte man es noch mehr geschätzt, wenn diese Treppe nicht beschwerlich und zu steil geraten wäre, zumal man sie sachter hätte ansteigen lassen können, wie man es unter denselben Raumverhältnissen und exakt derselben Breite zur Zeit Herzog Cosimos mit den von Giorgio Vasari geschaffenen neuen Treppenaufgängen gegenüber der Treppe von Cronaca getan hat, die so sacht und bequem im Anstieg sind, daß man auf ebener Erde zu gehen meint.73 Und dies war ein Werk von besagtem Herzog Cosimo,74 der als ein Mann von schärfstem Verstand und größtem Urteilsvermögen in allen Dingen wie auch im Regieren seiner Untertanen weder Kosten noch sonst etwas scheut, damit alle Befestigungsanlagen und öffentlichen wie privaten Gebäude der Größe seines Geistes entsprächen und dabei nicht weniger schön als nützlich und nicht weniger nützlich als schön wären.

Als Seine Exzellenz nun zur Erkenntnis gelangte, daß dieser Saal der größte, prächtigste und schönste Baukörper in ganz Europa sei, beschloß er, die fehlerhaften Stellen auszubessern und alle anderen Bereiche nach Entwurf und Gestaltung von Giorgio Vasari aus Arezzo noch viel reicher auszuschmücken als jedes andere Gebäude Italiens.75 Dazu wurden die alten Mauern um zwölf Ellen hochgezogen, so daß die Höhe vom Fußboden bis zur Decke [nun] 32 Ellen beträgt, die von Cronaca geschaffenen Dachbinder, die das Dach tragen, erneuert und mit neuer Ordnung in der Höhe angebracht.76 Die alte Decke, die gewöhnlich und schlicht und diesem Saal kaum angemessen war, schuf man völlig neu in einer abwechslungsreichen Unterteilung mit üppiger Rahmung, voll von Schnitzwerk, das ausnahmslos vergoldet war, und 39 Gemäldetafeln in quadratischen, runden und achteckigen Feldern, von denen die meisten jeweils neun Ellen, andere etwas mehr messen, mit in Öl gemalten Szenen, deren größte Figuren sieben bis acht Ellen hoch sind.77 Jene Szenen zeigen, ganz vorne beginnend, den Aufstieg, die Ehren, Siege und alle herausragenden Leistungen der Stadt und des Staates Florenz, insbesondere den Krieg gegen Pisa und Siena, dazu unendlich viele andere Dinge mehr, die zu berichten viel zu lange dauern würde. Und auf jeder Seitenwand hat man eine passende Fläche von sechzig Ellen freigelassen, um darin drei Szenen zu malen, die in Übereinstimmung mit der Decke eine Fläche von je sieben Bildern pro Seite einnehmen und von den Kriegen gegen Pisa und Siena handeln. Jene Felder an den Wänden sind so groß, daß man weder bei antiken noch bei modernen [Künstlern] größere Flächen für gemalte [Historien-]Szenen gesehen hat. Besagte Felder sind mit gewaltigen Stein[leisten] eingefaßt, die an den Stirnseiten des Saals zusammentreffen, wo der Herr Herzog auf der einen, und zwar nach Norden gerichteten Seite eine von Baccio Bandinelli78 begonnene und fast zur Vollendung gebrachte Wand fertigstellen ließ, die über und über mit Säulen und Pilastern und Nischen angefüllt ist, in denen Statuen aus Marmor stehen.79 Diese Abtrennung soll für die öffentliche Anhörung dienen, wie an entsprechender Stelle auszuführen sein wird.80 Für die gegenüberliegende Seite ist in einer ähnlichen Fassade, die man von dem Bildhauer und Architekten Ammannati81 ausführen läßt, ein Springbrunnen für den Saal geplant, mit einer prachtvollen, wunderschönen Ausstattung aus Säulen und Statuen aus Marmor und Bronze.82

Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß dieser Saal dank der Anhebung des Dachs um zwölf Ellen nicht nur an Höhe gewonnen hat, sondern auch ein Übermaß an Licht, weil neben den weiter oben liegenden Fenstern auf jeder Stirnseite drei enorme Fensteröffnungen eingelassen werden sollen, die sich auf der Ebene oberhalb eines Gangs befinden werden, der im Saal eine Loggia bildet und auf der einen Seite über dem Werk Bandinellis verläuft, von wo aus man eine wunderschöne Aussicht auf den gesamten Platz haben wird. Von diesem Saal und den weiteren Ausstattungsarbeiten, die in diesem Palast durchgeführt wurden und werden, will ich an anderer Stelle ausführlicher berichten.83 Im Augenblick will ich nur folgendes sagen: Könnten Cronaca und jene anderen virtuosen Künstler, die den Entwurf zu diesem Saal vorlegten, ins Leben zurückkehren, würden sie, so glaube ich, weder den Palast noch den Saal oder sonst etwas dort wiedererkennen. Der Saal, das heißt jener Teil, der ein rechtwinkliges Maß besitzt, ist, ohne die Werke von Bandinelli und Ammannati, neunzig Ellen lang und achtunddreißig Ellen breit.84

Doch kehren wir zu Cronaca zurück, dem die Dinge um Girolamo Savonarola derart zu Kopf stiegen, daß er wie besessen von nichts anderem mehr reden wollte.85 So lebte und starb er am Ende nach langer Krankheit im Alter von fünfundfünzig Jahren86 und wurde 1509 in der Kirche Sant’Ambrogio in Florenz ehrenvoll beigesetzt; nicht lange danach hat Messer Giovanbattista Strozzi87 folgendes Epitaph auf ihn verfaßt:

CRONACA

ICH LEBE UND LEBE NOCH TAUSENDE UND ABERTAUSEND JAHRE DANK DEM FORTDAUERN MEINER PALÄSTE UND KIRCHEN; SCHÖNES ROM, MEINE SEELE JEDOCH LEBT IN FLORENZ.88

Cronaca hatte einen Bruder namens Matteo,89 der die Bildhauerei ausübte und bei dem Bildhauer Antonio Rossellino90 in die Lehre ging. Und obwohl er ein schönes und feines Talent besaß, gut zeichnete und viel Erfahrung hatte, hinterließ er kein einziges vollendetes Werk, weil ihn der Tod im Alter von neunzehn Jahren der Welt entriß und er nicht erfüllen konnte, was sich ein jeder, der ihn kannte, von ihm versprach.91

Einleitung zum Leben des Domenico Puligo

Ob Vasari, der zum Zeitpunkt von Domenico Puligos Tod 1527 in Florenz sechzehn Jahre alt war, den Protagonisten der vorliegenden Vita noch persönlich kannte, darf bezweifelt werden. Die 1550er Version der Lebensbeschreibung ist äußerst knapp gehalten und führt nur wenige Werke des Florentiner Meisters auf, ohne näher auf sie einzugehen. Erst für die zweite Ausgabe der Vite scheinen dem Biographen mehr Informationen zur Verfügung gestanden zu haben. Neben Puligos Schüler Domenico Beceri, der in den 1560er Jahren ein Mitarbeiter Vasaris bei der malerischen Ausstattung des Salone dei Cinquecento im Palazzo Vecchio war, könnte auch der Maler Ruberto Lippi, Sohn des Filippino Lippi und ein einflußreiches Mitglied der Accademia del disegno (zwischen 1563 und 1568 war er provveditore, später consigliere dieser Institution), einiges zur Ergänzung beigetragen haben. Für letzteren spricht vor allem die Tatsache, daß er im ersten Drittel des Cinquecento zusammen mit Domenico Puligo, Andrea del Sarto, Giovanfrancesco Rustici und einigen anderen zur Compagnia del Paiuolo gehörte, einer jener Florentiner Bruderschaften, die mit ungeheurem finanziellem und künstlerischem Aufwand ausschweifende Gastmähler, Feste und Theateraufführungen in Florentiner Palästen veranstalteten, wovon Vasari in der Vita des Rustici ausführlich erzählt.

Die Tatsache, daß Vasari in der späteren Version der Puligo-Vita mehr Auftraggeber und Sammler nennt, die eng mit den Medici verbunden waren oder sogar zum Hof von Cosimo I. gehörten ‒ sei es als Schatzmeister, Gesandter oder Berater des Fürsten ‒, läßt zudem vermuten, daß Vasari als späterer Hofkünstler Herzog Cosimos Nachrichten vielleicht sogar aus diesem Umfeld bezog oder unmittelbare Kenntnis von den genannten Werken Puligos hatte. Zugleich macht die Nennung dieser Auftraggeber deutlich, wie hoch im Kurs Puligos Werke in bestimmten Florentiner Kreisen standen und welche Wertschätzung er in diesem Ambiente genoß. Ungeachtet dessen fällt der allgemeine Tenor der Vita eher verhalten aus. Die bereits im Prolog der Editio princeps formulierte generische Bemerkung, manche Werke würden auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, als seien sie im Ganzen hervorragend und bewundernswert, spiegelt in aller Deutlichkeit Vasaris distanzierte Haltung gegenüber seinem Protagonisten wider und läßt erahnen, daß er und andere Connaisseurs seines Kalibers die künstlerischen Fähigkeiten Domenico Puligos als limitiert erachteten.

Inspiriert von Quintilians Erwägung, ob für die Rhetorik die natürliche Veranlagung oder die Lehre von größerer Bedeutung sei – eine Frage, die der im 16. Jahrhundert vielbeschworene antike Autor in seiner Schrift über die Ausbildung des Redners zum vollkommenen Orator an verschiedenen Stellen erörtert –, entwirft Vasari von Puligo das Profil eines Malers, der trotz eines gewissen Defizits im Beherrschen der Regeln und ungeachtet seiner mangelnden Bereitschaft, Opfer für die Kunst auf sich zu nehmen, Bilder von immenser Wirkkraft schuf. Dieses Phänomen verdanke Puligo seinem herausragenden Können in der Farbgebung, seinem immensen Talent, die Farben derart anmutig, zart und weich miteinander zu vermischen, daß die von ihm geschaffenen Werke gemeinhin große Bewunderung hervorrufen würden, auch wenn es ihnen hie und da an disegno mangele. In dieser von Vasari insinuierten Charakterisierung gleicht Puligo jenem Typus des unausgebildeten Redners, der in Unkenntnis der Regeln, ohne vernünftige Überlegung, jedoch mit einem besonderen Naturtalent ausgestattet, eloquent daherkommt und beim gemeinen Volk großen Anklang findet, ja den unerfahrenen Zuhörer sogar glauben läßt, der Unstudierte sei im Reden begabter als der in der Rhetorik Unterwiesene. Freilich ist Quintilian – wie auch Vasari – der Überzeugung, daß sowohl eine natürliche Begabung als auch eine theoretische und praktische Ausbildung notwendige Voraussetzungen für einen vollkommenen Redner beziehungsweise Künstler sind. Doch selbst ohne eine Unterweisung in den Regeln könne eine natürliche Veranlagung sehr viel ausrichten, wohingegen eine wissenschaftliche Ausbildung ohne die Hilfe der Natur ebensowenig bewirke wie die Bestellung eines Bodens, der keinerlei Fruchtbarkeit besitzt.1

Bei allem Lob, das Vasari seinem Protagonisten auf dem Gebiet des Kolorits spendet, insbesondere durch positiv konnotierte Adjektive wie »vago«, »morbido«, »dolce« sowie den Begriff der »grazia«, gilt es jedoch zu bedenken, daß der schon in der Antike begründete ambivalente Status der Farbe in der Malerei einen Einfluß auf die Beurteilung seiner künstlerischen Fähigkeiten hatte. Auf der einen Seite assoziierte man Farbe mit etwas Dekorativem, stand sie für Augenlust, das Illusorische, das Trügerische, für eine Art Schminke. Andererseits aber war es die Farbgebung, die dem Dargestellten Leben einhauchte und ihm Wahrheit verlieh. Nicht von ungefähr hieß es von Leonardo, daß er seinen liebsten Schülern verboten haben soll, vor ihrem zwanzigsten Lebensjahr Pinsel und Farben anzurühren, damit sie nicht der Verführungskraft und der trügerischen Schönheit der Farben erlägen, bevor sie die genauen Proportionen der Dinge zu zeichnen gelernt hätten.2 Und im Zuge dessen behauptet auch Vasari in seiner Autobiographie, daß er erstmals mit Farben gearbeitet habe, nachdem er sich unter der Leitung Michelangelos und Andrea del Sartos für einige Zeit dem Zeichnen gewidmet hätte.3 Puligo hingegen, so will es jedenfalls Vasari, hätte sich von Kindesbeinen an, wie es seinem Talent entsprach, auf die Farbgebung konzentriert. Er sei ein Schüler Ridolfo Ghirlandaios gewesen, in dessen Werkstatt, wie an anderer Stelle berichtet wird, seinerzeit viele junge Männer kamen, um bei ihm zu erlernen, woran sie am meisten Gefallen hatten.4

Die Beschreibung der Ghirlandaio-Werkstatt nimmt in der 1568er Version der Vita einen ungewöhnlich breiten Raum ein. Wurde in der Editio princeps lediglich darauf verwiesen, daß Puligo seine Lehrjahre dort verbrachte, so wird sie nun gleich vor Beginn der eigentlichen Schilderung von Puligos Leben und Werk als eine Art Gegenstück zur Del-Sarto-Werkstatt, der zweiten bedeutenden Werkstatt jener Zeit in Florenz, präsentiert und zu einer Künstlerschmiede mit europäischer Breitenwirkung stilisiert. Die Vielseitigkeit des Lernangebots auf dem Gebiet der Malerei sei für angehende Künstler attraktiv gewesen und hätte deren Spezialisierung bewirkt. Viele der dort produzierten Gemälde seien nach England, Deutschland, Spanien, Frankreich oder Ungarn verschickt worden, und etliche von Ridolfos Schülern und Mitarbeitern seien späterhin an Höfe von internationalem Rang berufen worden. Ridolfo selbst, der 1561 starb, wird in der ihm gewidmeten Lebensbeschreibung (erstmals in der 1568er Edition der Vite enthalten) als Künstler vorgestellt, der hauptsächlich als begabter Porträtist in Florenz Karriere machte. Schon in jungen Jahren, so hebt Vasari hervor, hätte sich dieser mit dem Malen von naturgetreuen Porträts einen großen Namen gemacht und unter den zahlreichen von seiner Hand geschaffenen Bildnissen sei das von Herzog Cosimo de’ Medici im jugendlichen Alter besonders erwähnenswert. Dieses Bildnis, das 1531 datiert wird, sei ein wunderschönes, der Wirklichkeit sehr ähnliches Werk, das der Fürst noch heute in seiner Sammlung, der guardaroba, aufbewahre.5

Daß Domenico Puligo, der wie gesagt aus der Werkstatt Ridolfo Ghirlandaios hervorgegangen sein soll (seinen Namen sucht man in der Vita des Ridolfo allerdings vergeblich), besonders in der zweiten Edition vorrangig als eifriger Porträtist und Maler von Madonnenbildnissen, mithin als Produzent von eher kleinformatigen Werken vorgestellt wird, ist vor diesem Hintergrund keineswegs überraschend. Zwar werden einige wenige Werke von größerem Format genannt, darunter eine zwei Meter hohe Tafel mit der Darstellung der Vision des Heiligen Bernhard, ein Bild, das Vasari als das beste Werk Puligos bezeichnet, doch ist es im Vergleich zur 1550er Edition vor allem dessen Porträtkunst, die im Fokus steht. Es dürfte kein Zufall sein, daß die längste Passage überhaupt, die sich innerhalb des Gesamtwerks der Vite