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Es ist Sommer: Linn genießt die warmen Temperaturen in ihrer neuen Heimat und freut sich auf den Auftritt mit ihrer Tanzgruppe. Doch der Auftritt endet beinahe tödlich, als eine Tanzlehrerin sich offenbar das Leben nehmen will. Linns kriminalistischer Spürsinn wird jedoch geweckt, als sich herausstellt, dass es sich nicht um einen Selbstmordversuch handelt. Zwischen Tutus, Haarspray und Blasenpflastern findet sie in der Tanzschule mehr mögliche Täter und Motive als Schwielen an den Füßen einer Ballerina ...
Über die Serie:
Nach einer gescheiterten Ehe ist Linn Sommer froh, in Kanada einen Neuanfang wagen zu können. Die waschechte Norddeutsche mit einer Schwäche für Stepptanz, Fahrradfahren und attraktive Männer verschlägt es in das idyllische Städtchen Kitchener. Dort findet sie einen Job in der deutschen Bäckerei Hansel & Pretzel. Alles scheint perfekt - bis Linn hinter der Bäckerei eine Leiche findet! Sie beschließt, auf eigene Faust zu ermitteln. Und das nicht nur, weil der zuständige Inspektor unwiderstehlich charmant ist.
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Seitenzahl: 253
Cover
Grußwort des Verlags
Über diese Folge
Hansel & Pretzel - Die Serie
Die Protagonisten
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Rezept
Schweineohren
Danksagung
In der nächsten Folge
Über die Autorin
Impressum
Leseprobe
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Es ist Sommer: Linn genießt die warmen Temperaturen in ihrer neuen Heimat und freut sich auf den Auftritt mit ihrer Tanzgruppe. Doch der Auftritt endet beinahe tödlich, als eine Tanzlehrerin sich offenbar das Leben nehmen will. Linns kriminalistischer Spürsinn wird jedoch geweckt, als sich herausstellt, dass es sich nicht um einen Selbstmordversuch handelt. Zwischen Tutus, Haarspray und Blasenpflastern findet sie in der Tanzschule mehr mögliche Täter und Motive als Schwielen an den Füßen einer Ballerina ...
Nach einer gescheiterten Ehe ist Linn Sommer froh, in Kanada einen Neuanfang wagen zu können. Die waschechte Norddeutsche mit einer Schwäche für Stepptanz, Fahrradfahren und attraktive Männer verschlägt es in das idyllische Städtchen Kitchener. Dort findet sie einen Job in der deutschen Bäckerei Hansel & Pretzel. Alles scheint perfekt – bis Linn hinter der Bäckerei eine Leiche findet! Sie beschließt, auf eigene Faust zu ermitteln. Und das nicht nur, weil der zuständige Inspektor unwiderstehlich charmant ist.
Sieglinde (Linn) Sommer, deutsche Teeliebhaberin, die sich nach einer Trennung ein neues Leben in Kanada aufbaut und dabei begeistert in Mordfällen ermittelt
Bas van de Groot, Polizeiinspektor, der Linns Einmischung einerseits nicht leiden kann, aber andererseits sie auch für ihre Menschenkenntnis bewundert
Kamryn Bellamy, Reporterin mit einem schier unermüdlichen Schatz an eigenwilligen, schottischen Redewendungen und Linns beste Freundin
Mackenzie (Mac) Snyder, Linns Gothic-Mitbewohnerin mit einer Vorliebe für laute Musik, Computergenie, stammt aus einer mennonitischen Familie
Igor Medwedew, Linns Mitbewohner, Fitnesscoach und angehender Koch, verwöhnt die WG regelmäßig mit seinen Kochkünsten
Bryan Evans, Linns Vermieter und Makler, der immer um ein friedliches Zusammenleben in der WG bedacht ist
Kyle Anderson, Linns Mitbewohner, Locationscout beim Fernsehen, dessen reizvolle Grübchen Linn häufig verwirren
Marianne und Rainer Brunhuber, Hansel & Pretzel-Besitzer, die Linn wie eine eigene Tochter ins Herz schließen
»Du bist tot, wenn ich dich in die Finger kriege«, stieß Ekaterina zwischen zusammengepressten Lippen hervor.
»Mist, ich hatte mich sehr auf meinen ersten Sommer hier gefreut.« Ich streifte ein frisches T-Shirt über den Kopf.
»Nicht du.« Die Studentin wühlte mit beiden Händen in ihrer Handtasche. »Ha!« Triumphierend nahm sie einen Lippenpflegestift heraus. Sie zog die Kappe ab und verteilte mit ihrem kleinen Finger den kläglichen Rest des Pflegewachses auf ihren Lippen.
»Was ist, wenn ich beim Auftritt alle Schritte vergesse oder ohnmächtig werde oder vor Aufregung spucken muss?« Onna verstaute ihre Steppschuhe in einem Beutel.
»Wenn du die Schrittfolge nicht mehr weißt, wirst du ungelenk auf der Bühne herumhampeln. Falls du umkippst, zerren wir dich nach hinten. Wenn du dich übergibst, machst du die Schweinerei selbst weg. So oder so wird es peinlich für dich und die Tanzschule sein. Sind deine Fragen damit beantwortet?« Es schepperte, als Ekaterina die leere Hülle des Lippenstifts in den Metallmülleimer warf.
Die Gesichtsfarbe unserer Mittänzerin wurde grau. Ich hatte lange angenommen, dass Dunkelhäutige weder einen Sonnenbrand bekommen noch erbleichen konnten. Doch die gräuliche Verfärbung von Onnas Teint war ein deutliches Zeichen: Sie war blass vor Angst.
Ich warf Ekaterina einen tadelnden Blick zu. »Das war nicht hilfreich.«
»Aber die Wahrheit«, verteidigte sie sich.
Ich legte Onna eine Hand auf die Schulter. »Wir haben noch drei Proben vor uns. Mit jeder wirst du sicherer werden.«
»Ich hoffe, du hast recht.« Onna öffnete die Tür des KW Dance Studios und ließ Ekaterina und mir den Vortritt. Neben dem Eingang stand eine Tulpenmagnolie in voller Blüte. Die dickfleischigen, weiß-zartrosa Blüten verströmten einen betörenden Duft, der durch die warme Juniluft nur noch verstärkt wurde.
»Beim Ein-Dollar-Laden gibt es billige Feudel fürs Aufwischen – wenn du auf Nummer sicher gehen willst.« Ekaterina grinste Onna frech an.
Onna presste ihre Hände auf die Ohren. »Hör auf!«
»Wenn dein Lampenfieber wirklich so schlimm ist, geh zu Kira.« Ekaterina klimperte mit ihrem Schlüssel.
»Meinst du, sie wird ihr ein paar Extrastunden geben?«, fragte ich.
»Sie kann Onna was zum Entspannen geben.« Ekaterina schloss ihr Auto auf. »Von ihrer kleinen Marihuanaplantage.«
»Das war doch ein Scherz.« Ich stellte die Tasche mit meinen Tanzsachen in meinen Fahrradkorb.
»Bei Kira bin ich mir da nicht so sicher. Sie ist immer gut drauf, würde mich nicht wundern, wenn sie auch ab und zu mal was raucht.« Ekaterina setzte sich in ihren Wagen, hupte kurz und brauste dann davon.
»Ich glaube, ich kann nicht vor Leuten tanzen. Mit oder ohne Drogen.« Onna fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
Ich zog meinen Fahrradschlüssel hervor. »Mach dir nicht so viele Gedanken. Das klappt schon.«
Onna verabschiedete sich und stieg in ihr Auto. Ihr Auspuff knatterte laut, als sie vom Parkplatz auf die Straße einbog.
Während ich den Schlüssel in meinem Fahrradschloss herumdrehte, fuhren ein Corolla und ein Minivan auf den Parkplatz. Aus dem Toyota stieg ein Pärchen aus und steuerte auf den Eingang zu. Ich blinzelte gegen die untergehende Sonne an und erkannte Valeria. Die beleibte Frau spanischer Abstammung traf sich regelmäßig mit anderen Übergewichtigen der „Weight Busters“, kurz Weebees, in dem Café, in dem ich arbeitete.
»Das ist ja ein Zufall! Ich wusste nicht, dass du tanzt«, begrüßte sie mich und drehte sich zu ihrem Begleiter. »Andrew, das ist Linn. Sie arbeitet bei Hansel & Pretzel.«
Bei der Erwähnung seines Namens wurde mir bewusst, dass es sich hierbei um ihren Verlobten handeln musste.
»Ich hab schon viel Gutes über eure Leckereien gehört. Aber bis zur Hochzeit hat Valeria mir einen Besuch bei euch verboten.« Der Mann klopfte demonstrativ auf seinen Bauch.
»Dabei haben wir derzeit so viele köstliche Sachen mit Obst: Kuchen mit Erdbeeren, Himbeeren ...«
»Bring ihn nicht auf dumme Gedanken«, unterbrach Valeria mich.
Die Eingangstür öffnete sich, und meine Stepptanzlehrerin erschien im Türrahmen. »Kommt rein, wir können sofort loslegen«, begrüßte Kira das Pärchen mit einem Kopfnicken.
»Habt ihr Privatstunden?«, fragte ich.
Valeria schmiegte sich an ihren Verlobten. »Ich will an unserem großen Tag einen unvergesslichen Hochzeitstanz aufs Parkett legen.«
Kira blickte auf den Boden und schwieg. Ich vermutete, dass die zukünftigen Eheleute noch weit davon entfernt waren, ihren Gästen einen tollen Auftritt darzubieten.
Andrew strich Valeria übers Haar. »Ich bin kein John Travolta, daher brauchen wir jede Unterstützung, die wir kriegen können.«
»Kira!«, schrillte plötzlich eine Stimme über den Parkplatz. Eine Mittvierzigerin war aus dem Minivan gestiegen und preschte auf uns zu.
Meine Stepptanzlehrerin setzte ein gezwungenes Lächeln auf. »Stacey. Es tut mir leid, aber ich hab jetzt ...«
Die Frau namens Stacey drängte sich an uns vorbei und baute sich vor Kira auf. »Was fällt dir ein, Maddie in die zweite Reihe zu stellen?«
Kira drehte sich zum zukünftigen Hochzeitspaar. »Geht schon mal vor, ich komme gleich nach.«
Valeria und Andrew hoben die Hand zum Abschied und verschwanden im Studio. Neugierig spitzte ich die Ohren und fummelte umständlich an meinem Schloss herum.
Staceys Blick verfinsterte sich. »Weiß deine Chefin davon?«
»Meinst du Gloria?« Kira schüttelte amüsiert den Kopf. »Wir sind gleichberechtigte Partner. Aber selbst wenn sie mein Boss wäre, würde sie mir recht geben. Die erste Reihe gehört den kleinen Tänzerinnen, die größeren stehen dahinter. So können alle gesehen werden.«
»Es geht hier aber nicht um irgendeine Tänzerin, sondern um meine Tochter!«, fauchte Stacey sie an. »Ich bezahle viel Geld. Wenn sie in der hintersten, dunklen Ecke auf der Bühne steht, wird sie doch nie bemerkt werden!«
»Du erhoffst dir, dass Maddie von einem Talentscout entdeckt wird?« Kira fuhr sich durch die Haare. »Deine Tochter tanzt gern, aber sie hat keine professionellen Ambitionen. Erst letzte Woche hat sie mir erzählt, dass sie gern Tiermedizin studieren möchte und ...«
Stacey hob den Zeigefinger und wedelte damit vor Kiras Gesicht. »Erzähl mir nichts über die Karriere meines Kindes! Ich bin ihre Mutter, ich weiß am besten, was gut für sie ist. Sie wird Tänzerin werden. Basta.« Sie trat näher an Kira heran. »Und du wirst dafür sorgen, dass sie bei der Aufführung in der ersten Reihe tanzen wird!«
Zu Hause fand ich meine Mitbewohner hinten im Garten. Grillgeruch lag in der Luft. Ich ließ mich ächzend auf einen Gartenstuhl fallen und beschwerte mich über die anstrengende Steppstunde in dem nicht klimatisierten Raum.
»Ich dachte, die Aufführung sei nur für Kinder?« Durch Igors starken russischen Akzent klang die Frage herablassend.
»Es ist bestimmt eine Märchenaufführung, und Linn darf den bösen Riesen spielen.« Mac, die einzige Frau in unserer Wohngemeinschaft außer mir, pustete auf ihre frisch schwarz lackierten Fingernägel.
Zum ersten Mal, seit ich im letzten Oktober eingezogen war, sah ich sie in einem kurzärmeligen Oberteil. Aber auch dies war passend zu ihrem restlichen Gothic-Look schwarz. Ich fragte mich, ab welcher Temperatur sie ihren langen Rock und die hohen Stiefel gegen etwas Luftigeres eintauschen würde.
»Jede Gruppe, Kinder und Erwachsene, zeigt einen eigenen Tanz«, erklärte ich.
»Ich musste damals immer zu den Vorstellungen meiner Schwester.« Unser Vermieter Bryan schaute von seinem Handy hoch. »Das war eine richtige Familienveranstaltung mit Eltern, Großeltern, Tanten, Onkels und so.«
»Da Linns Familie in Deutschland ist, sollten wir mitkommen und sie anfeuern.« Mac begann, rhythmisch in die Hände zu klatschen. »Unsere Linn steppt wie der Bär, niemand hat so viel Flair!«
Igor ließ die Grillzange ins Gras fallen und prustete los. Sein helles Kinderlachen stand im krassen Widerspruch zu seinen beeindruckenden Muskelpaketen.
»Ihr seid die besten Mitbewohner der Welt!« Ich griff mir theatralisch ans Herz. »Mac, du könntest meine Mutter sein, Bryan mein Vater. Igor, willst du meinen Bruder vertreten?«
»Wann ist das genau? Ich muss erst mal checken, ob ich da Zeit hab. Nicht, dass ich an dem Tag einen Besichtigungstermin hab.« Bryan arbeitete als Immobilienmakler und war immer bemüht, in der Wohngemeinschaft den Hausfrieden zu wahren.
»Typisch Vater«, jammerte Mac mit melodramatischer Stimme. »Nie hat er Zeit, sich die tänzerischen Fortschritte seiner Tochter anzuschauen.«
»Aber ich ... also ...« Bryan sah hilflos zwischen Mac und mir hin und her.
»Entspann dich. Das war ein Witz.« Igor hatte die Grillzange mittlerweile mit einem Küchentuch abgewischt und hob einen Spieß hoch. »Mag jemand probieren, ob der gut ist?«
Sofort schnellten unsere Hände hoch. Igor, der in aller Herrgottsfrühe als Personal Trainer arbeitete, machte am Culinary College eine Ausbildung zum Koch und verwöhnte uns regelmäßig mit köstlichen Leckerbissen, die nie jemand ablehnte.
Kurze Zeit später saßen wir schweigend um den Gartentisch und genossen Igors Grillkunst.
»Ist Kyle noch bei Norah in Kingston?«, unterbrach ich die Stille, nachdem ich mit dem letzten Stück Pfirsich die Marinade des Spießes aufgenommen hatte.
Bryan nickte.
Kyle, der fünfte Bewohner, war seit Januar nur noch selten zu Hause. Seine Freundin Norah war Silvester unverhofft wieder aufgetaucht, nachdem sie fast eineinhalb Jahre spurlos verschwunden gewesen war. Vor ihrem Verschwinden hatte sie an Depressionen gelitten, hatte Stimmungsaufheller und Drogen genommen. Seit ihrer Heimkehr bemühte sich Kyle, sie bei ihrer Rückkehr ins Leben zu unterstützen.
Kyle und ich waren uns vor Weihnachten nähergekommen. Bis Norah wieder aufgetaucht war. Obwohl dies ein halbes Jahr zurücklag und ich seit vier Monaten in festen Händen war, wurde ich manchmal wehmütig, wenn ich an ihn dachte.
Die Zitronellakerzen, die auf dem Tisch standen, um die Mücken fernzuhalten, flackerten auf. Grillen zirpten, und irgendwo bellte ein Hund gegen das leise Gitarrenspiel eines Nachbarn an. Ich hatte gut gegessen und ließ den Montagabend gemütlich mit meinen Mitbewohnern ausklingen. Es gab im Grunde nichts, was diese schöne Stimmung trüben könnte. Ich atmete tief durch. Es war Juni, und mein erster Sommer in KW, wie die Einwohner die Doppelstadt Kitchener-Waterloo liebevoll nannten, lag vor mir. Ich war mir sicher, er würde herrlich entspannt werden.
»Ich glaube, du hast einen Verehrer«, raunte Marianne mir auf Deutsch ins Ohr, als sie mit einer Ladung frischer Brötchen an mir vorbeiging.
Marianne und Rainer, die Besitzer von Hansel & Pretzel und damit meine Chefs, waren ebenso wie ich von Deutschland nach Kanada ausgewandert. Allerdings waren sie mir etwa fünfundzwanzig Jahre voraus. Untereinander unterhielten wir uns in unserer Muttersprache, wechselten aber bei Anwesenheit anderer sofort ins Englische. Beide waren mit Anfang fünfzig zwar jünger als meine Eltern, aber ich hatte mich sogleich von ihnen behütet gefühlt.
»Das wäre der erste seit Christian-Otto im Kindergarten.« Ich schrieb mit einem Stift die Uhrzeit auf die Glaskanne. Meine Chefs waren dafür bekannt, ihren Kunden immer frisch gebrühten Kaffee anzubieten. Und frisch bedeutete in ihren Augen nicht älter als eine Stunde.
Marianne ließ die Brötchen langsam vom Backblech in den Korb gleiten. »Der Mann, der direkt an der Tür sitzt, starrt ständig zu dir rüber.«
»Sieht er gut aus?«
»Das beurteilst du am besten selbst.«
Vorsichtig riskierte ich einen Blick auf den Kunden, der offenbar in eine Zeitung vertieft war. Ich schätzte ihn auf Ende dreißig, er trug seine dunkelblonden Haare kurz, hatte leichte Geheimratsecken, und auf seiner Nase saß eine randlose, eckige Brille. Doch was mir am meisten ins Auge fiel, war sein kurzärmeliges, türkisfarbenes Hemd.
»Ich stehe nicht auf Versicherungsvertreter«, flüsterte ich Marianne zu.
In dem Moment schaute der Mann hoch. Als er bemerkte, dass wir ihn ansahen, verbarg er sein Gesicht blitzschnell hinter der Tageszeitung.
»Sag ich doch, der mag dich.« Marianne ging an mir vorbei und verschwand mit dem leeren Blech in der Backstube.
»Bisher war der Tag eine komplette Verschwendung von Make-up und Haarspray.« Meine Freundin Kamryn stand kurze Zeit später vor dem Tresen. Einzelne Strähnen ihrer roten, langen Locken klebten verschwitzt am Kopf, und ihre Wimperntusche hatte Spuren unter ihren Augen hinterlassen, die mich an einen Waschbären erinnerten. »Ovaltine on the rocks, bitte.« Ihr britischer Akzent ließ das »on the rocks« nach James Bond klingen.
»Ist das dein Sommer Look? Wie soll denn das im Juli werden?«, fragte ich.
»Keine Sorge, das war mein erster und letzter Besuch bei Excellent Powder Coating.«
»So exzellent kann es ja nicht gewesen sein, denn dein Gesicht glänzt wie eine Speckschwarte.«
»Mensch, nicht Gesichtspuder! Die verkleiden Metalle mit Kunststoff, und die Werkstätten sind so heiß wie eine finnische Sauna im Winter.«
»Hört sich nach einem Knallerartikel für die Kitchener Gazette an.«
Kamryn arbeitete als Reporterin bei der lokalen Tageszeitung.
Ich griff nach der Ovomaltinedose und wunderte mich erneut über die unterschiedlichen Namen des Malzgetränks im Englischen und im Deutschen. »Kann man das überhaupt kalt zubereiten?«
»Hallo? Natürlich geht das. Kalte Milch, umrühren, Eiswürfel dazu, fertig.« Kamryn deutete auf einen leeren Tisch am Fenster. »Bin da drüben.«
Eine Minute später servierte ich ihr Lieblingsgetränk. »Bitte schön, Bellamy. Kamryn Bellamy. Ovaltine on the rocks. Allerdings gerührt und nicht geschüttelt.«
»Danke, Miss Nomoneypenny. Ich glaube übrigens, der«, sie machte eine vorsichtige Kopfbewegung in Richtung des Mannes mit den Geheimratsecken, »steht auf dich.«
Ich stöhnte leise. »Hör bloß auf. Marianne meinte das auch schon.«
»Der Kerl kann seine Augen kaum von dir lassen.« Sie kicherte anzüglich. »Das macht bestimmt dein neuer Hüftschwung.«
»Mein neuer was?« Mein Blick fiel auf die Zuckertüten, die völlig durcheinander in dem kleinen Acrylbehälter auf Kamryns Tisch waren.
»Tu nicht so unschuldig. Seit eure Aufführung bevorsteht, tänzelst du neuerdings so komisch.«
»Blödsinn, ich gehe völlig normal.« Ich schüttete die Tütchen auf den Tisch und begann diese zu sortieren. »Und außerdem mache ich irischen Stepptanz, da ist der Oberkörper komplett steif, nix mit Hüftwackeln.«
An Kamryns Glas perlten kleine Wassertropfen. Sie strich sie herunter. »Schade, dass ich an dem Nachmittag über die Eröffnung der neuen Wasserrutsche im Freizeitbad berichten muss. Ich würde dich zu gern tanzen sehen und dir beistehen.«
»Was soll mir denn passieren?«
»Hattest du noch keinen Kontakt mit den berühmt-berüchtigten Tanzmuttis?«
»Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Kamryn nahm einen großen Schluck von ihrem Getränk. »Oh, komm schon. Diese fanatischen Frauen existieren doch überall auf der Welt. Die, die selbst beim Tanzen versagt haben und daher jetzt alles dafür geben, dass ihre kleinen Lieblinge im Rampenlicht stehen.«
»Kann nicht sagen, dass mir solche schon mal begegnet wären.« Der Tütchenstapel mit dem Zuckerersatzstoff war wesentlich kleiner als die des weißen und braunen Zuckers. Hier musste ich dringend für Nachschub sorgen.
»Kommst du von den Shetlands?« Kamryn ließ die Eiswürfel in ihrem Glas klirren.
Immer wenn ich dachte, ich hätte schon alle schottischen Sprüche meiner Freundin gehört, überraschte sie mich mit einer neuen Kreation. »Wieso?«
»Im Juni, wenn alle Aufführungen stattfinden, drehen die hier durch. Jede Mutti hofft, dass ihr Kind von einem Talentscout entdeckt wird.«
Ich sortierte die Tütchen nacheinander in den Behälter zurück. »Die meisten Mädchen tanzen, weil sie Spaß daran haben. Da ist vielleicht mal eine darunter, die das Ganze ernster nimmt, aber ...«
»Sperr die Ohren auf! Ich hab nicht von den Tänzerinnen, sondern von ihren Müttern gesprochen.«
Sofort musste ich an Stacey denken, die Mutter, die am Abend zuvor mit Kira gestritten hatte. »Aber das sind doch auch Ausnahmen. Außerdem bin ich keine Konkurrenz für deren Töchter. Also kein Grund, mich anzufallen.«
»Wer weiß. Vielleicht stiehlst du den talentierten Kindern mit deinem außergewöhnlichen Hüftschwung ja die Show.«
»Ja, klar. Weil ich in meinem Alter jetzt auch noch eine Tanzkarriere plane.«
»Jessica ist talentiert, Bethany. Du solltest sie unbedingt vortanzen lassen, damit sie ab September bei der Wettbewerbsgruppe mitmachen kann.« Stacey hielt eine Hand über die Augen ihrer Tochter Maddie und nebelte sie mit einer Ladung Haarspray ein.
Ich fädelte den gerissenen Schnürsenkel aus den Ösen heraus. Als ich hinter der Bühne meine Schleife festziehen wollte, hielt ich plötzlich ein Teil in der Hand. Glücklicherweise hatte ich immer ein Ersatzpaar dabei, sodass ich jetzt im Umkleideraum des universitätseigenen Theaters saß, um meinen Schuh für die Probe zu reparieren.
»Oh ja, darf ich?« Die etwa achtjährige Jessica mit den blonden Korkenzieherlocken sah ihre Mutter Bethany flehend an.
Diese versuchte, die widerspenstigen Haare ihrer Tochter zu einer komplizierten Frisur hochzustecken. »Ich weiß gar nicht, wann die Vortanztermine sin...«
»Nächste Woche Dienstag und Donnerstag, jeweils von 16 bis 20 Uhr«, unterbrach Stacey sie.
»Ich hab an den Tagen Spätschicht. Das schaffe ich nicht.« Bethany klemmte sich mehr Haarnadeln zwischen die Lippen.
Ihre Tochter machte einen Schmollmund.
»Kannst du nicht freinehmen?«, schlug Stacey vor. »Das könnte der Beginn einer grandiosen Karriere für Jessica sein.«
Bethany zog vorsichtig eine Nadel zwischen ihren Lippen hervor und steckte damit eine Locke hoch. Sie schwieg und konzentrierte sich auf die Hochsteckfrisur.
»Das wäre eine einmalige Gelegenheit für Jessica.« Stacey gab nicht auf. »Du willst deine Tochter doch glücklich sehen, oder? Dann solltest du ihr diese Chance nicht verbauen.«
Obwohl ich nur unfreiwillige Zuhörerin des Gesprächs war, kam ich mir unangenehm bedrängt von Stacey vor und vermutete, dass Bethany sich noch stärker in die Ecke gedrängt fühlte. Ich beeilte mich, den neuen Schnürsenkel einzufädeln.
»Natürlich will ich, dass sie glücklich ist. Aber was, wenn sie angenommen wird?«
Stacey guckte irritiert. »Dann trainiert sie mit den Besten.«
»Die haben sicherlich mehr als einmal wöchentlich Training.« Mittlerweile hatte sie alle Nadeln in Jessicas blondem Schopf versenkt.
»Dreimal in der Woche«, bestätigte Stacey. »Montags, dienstags und donnerstags von 16 bis 19 Uhr. Vor den Auftritten manchmal auch am Wochenende. Von nichts kommt nichts.«
Jessica berührte den Arm ihrer Mutter. »Darf ich hingehen? Bitte. Ich tue auch alles, was du willst. Müll rausbringen, Geschirrspüler ausräumen und so.«
Ich fragte mich, ob das Mädchen bei dem Pensum überhaupt noch Zeit hätte, geschweige denn zu Hause sein würde, um diese Arbeiten übernehmen zu können.
»Jess, glaub mir, ich würde dir das gönnen, aber ich kann dich nächste Woche nicht zu dem Vortanzen fahren.«
Stacey klatschte in die Hände. »Ich kann dich am Dienstag fahren.«
»Echt? Das würdest du tun?« Die Augen des Mädchens leuchteten.
Es war Bethany anzusehen, wie sie mit sich rang. Staceys imaginärer Würgegriff schien sich immer weiter um ihren Hals zu legen. Sie tat mir leid.
»Das ist nett von dir, Stacey. Aber das Angebot kann ich nicht annehmen.«
»Was?«, schrie Jessica auf. »Wieso nicht?«
Bethany beugte sich zu ihrer Tochter. »Jess, ich kann dich nicht dreimal in der Woche zum Training kutschieren. Schon gar nicht, wenn ich an zwei Tagen immer zu der Zeit arbeiten muss.«
Stacey hob die Hand. »Aber ich kön...«
Bethany unterbrach sie, schaute jedoch weiter ihre Tochter an. »Ich tue wirklich alles für dich, aber das kann ich nicht. Weder zeitlich noch finanziell. Der Unterricht kostet mehr, du würdest an mehreren Wettbewerben im Jahr teilnehmen, und mehr Auftritte bedeuten mehr Kostüme, mehr Make-up, mehr Fahrten durch Ontario.« Sie schluckte. »Das Geld haben wir nicht über.«
Die Schultern ihrer Tochter sackten nach vorn, und sie schniefte leise.
Bethany umarmte sie. »Lass uns einen Moment nach draußen gehen, okay?«
Beide verließen den Umkleideraum. Ich atmete durch. Bethanys Anspannung hatte sich auf mich übertragen, und ich war froh, dass diese Situation vorüber war.
Stacey sah ihre eigene Tochter an. »Da will man was Gutes tun und stößt nur auf taube Ohren. Manchmal finde ich finanziell benachteiligte Menschen anstrengend.«
»Andrew? Was machst du hier?« Nachdem ich fluchtartig den Umkleideraum verlassen hatte und mit meinen Stepptanzschuhen in Richtung Bühne klapperte, kam mir Valerias Verlobter entgegen.
»Ich kümmere mich um eure Musik.«
»Bist du so ein Freizeit-DJ?«
»Nein. Ich arbeite bei der Uni als Techniker. Bei Veranstaltungen sorge ich dafür, dass alles reibungslos läuft, was den Ton«, Andrew wedelte mit einem Mikrofon in seiner Hand, »und Licht angeht. Nicht, dass plötzlich während eines Events der Saal stockdunkel ist oder so.« Er musterte mein komplett schwarzes Outfit und die weißen Handschuhe, die ich trug. »Tanzt du in der Gruppe, für die das Schwarzlicht gebraucht wird?«
»Ja. Wir sind alle nicht mehr sechzehn und wollten uns nicht halbnackt auf die Bühne stellen.« Ich deutete auf meine Leggings und das langärmelige T-Shirt. »Daher diese Komplettverhüllung.«
»Besser als einige der Kostüme, die ich schon gesehen hab. Da laufen ein paar in Fummeln herum, damit würde ich mein Kind, wenn ich eins hätte, nicht aus dem Haus lassen.«
In dem Moment scheuchte eine untersetzte Frau mit knallroter Brille zwei Mädchen an uns vorbei.
Ich blinzelte. »Wow, ihr seht ja toll aus. So gleich.«
Die Kinder ignorierten mich und liefen weiter, nur die Brillenträgerin blieb stehen.
»Brianna und Bella, meine Zwillinge.« Sie lächelte Andrew an. »Ann Vorley ist mein Name.«
Valerias Verlobter gab ihr ein vorsichtiges Lächeln zurück.
»Schön, Sie kennenzulernen«, sagte er zögerlich.
Ann Vorley deutete auf das Mikrofon in seiner Hand. »Sie dürfen jederzeit Aufnahmen von meinen Töchtern machen. Ist es fürs Lokalfernsehen oder national?«
»Nein, nein. Ich bin nicht vom Fernsehen. Ich arbeite hier in der Technik.«
Sofort erstarb das Lächeln auf dem Gesicht der zweifachen Mutter. »Ach so. Schönen Tag noch.« Sie beeilte sich, hinter ihren Kindern herzukommen, und stieß dabei fast mit Kira zusammen, die in Begleitung eines Mannes den Gang herunterkam.
»Sei besser vorsichtig und häng es nicht an die große Glocke«, sagte er zu ihr, bevor sie ihm einen Finger auf den Mund legte.
»Ich hab die Situation unter Kontrolle.« Sie bedachte Andrew mit einem kurzen Nicken und wandte sich zu mir. »Linn, darf ich dir meinen Verlobten Darrell vorstellen?«
Kiras Verlobter legte einen Arm um ihre Hüfte und nickte mir zu.
»Ich hab gehört, dass es im Herbst vor den Altar geht.« Ich zeigte auf Andrew. »Dieser mutige Mann wird den großen Schritt schon in knapp drei Wochen begehen.«
»Wirklich?« Darrell sah den Tontechniker interessiert an. »Schon aufgeregt?«
»Geht so.« Valerias Zukünftiger wich seinem Blick aus.
»Andrew ist gut vorbereitet, nicht wahr?«, sagte Kira.
»Er nimmt Privatstunden bei Kira, damit er beim Hochzeitstanz so romantisch wie Matthew McConaughey beim ›Wedding Planner‹ tanzen kann«, verriet ich Darrell.
»Wird wohl eher Kevin James aus Hitch – Der Date Doktor werden«, bemerkte Kira.
Andrews Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich muss los«, sagte er und machte auf dem Hacken kehrt.
»Ich sollte auch gehen. Bis später«, verabschiedete sich Darrell. Er küsste Kira flüchtig auf die Wange und verschwand in Richtung Seitenausgang.
»Du bist gleich dran.« Kira musterte mein Gesicht. »Und du bist ja noch gar nicht fertig!«, entfuhr es ihr.
»Warum?« Ich sah an mir herunter.
»Du bist nicht geschminkt, und deine Haare sind noch nicht gemacht.«
»Wieso Make-up? Und welche Frisur?«
»Ich hab vor zwei Wochen das Frisurbild, die Make-up-Liste und die Anleitung verteilt, wie das Make-up aufzutragen ist und die Haare hochzustecken sind.«
»Ich dachte, das sei optional.«
»Optional?«, echote Kira. Sie lehnte sich an die Wand und legte den Kopf in den Nacken.
Eine Schar etwa vierjähriger Mädchen ging im Gänsemarsch an uns vorbei. Alle waren geschminkt und hatten ihre Haare zu einer eleganten Frisur hochgesteckt. Onna, die mit meiner Gruppe ein paar Meter weiter stand, winkte mir hektisch zu. Erst jetzt fiel mir auf, dass auch sie geschminkt war und ihre dunklen, krausen Haare nicht wie sonst offen, sondern hochgesteckt trug.
»Hast du das Make-up wenigstens schon gekauft?«, wollte Kira wissen.
»Nein. Erstens schminke ich mich selten, und zweitens war das alles von MAC. Die Marke ist sauteuer, und die Farben, die da draufstanden, sind auch nicht so meins.«
Bevor Kira etwas dazu sagen konnte, hörten wir Ann Vorley rufen: »Eis! Wir brauchen sofort Eis.«
Sie kam mit einem der Zwillinge den Gang hinunter. Die Tochter stützte sich auf die Mutter und humpelte.
»Was ist passiert?«, fragte Kira.
»Sie ist umgeknickt«, erklärte Ann Vorley. »Gloria hat gesagt, hinter der Bühne soll irgendwo eine Kühltasche stehen.«
Kira zeigte auf eine Tür. »In dem Raum dort sind verschiedene Kühlpacks.« Sie strich dem Mädchen über den Kopf. »Keine Sorge, das schwillt sicherlich nicht an. Du wirst bestimmt am Sonntag tanzen können.«
Nachdem die beiden verschwunden waren, wandte sie sich wieder mir zu. »Jeder, der bei der Aufführung teilnimmt, trägt die gleiche Frisur und identisches Make-up. Da die Produkte unterschiedlicher Hersteller in Millionen verschiedene Nuancen angeboten werden, geben wir die jeweilige Marke sowie die Farbnummer bei der Schminke vor.«
»Ich soll das Zeug für den Auftritt kaufen, egal, ob ich es anschließend weiter verwenden werde oder nicht?«
»Genau.«
»Was für eine Verschwendung. Kann die Tanzschule nicht einfach Make-up kaufen, und wir bringen dann eigene Pinsel und Schwämmchen mit?« Ich stutzte. »Mussten die Kinder das Make-up auch kaufen?«
»Ja, natürlich. Viele Mütter müssen den Nagellack vor dem Auftritt nachkaufen, weil die Töchter so wild darauf sind, dass sie ihn vorher schon geleert haben.«
»Also, Nagellack ist bei uns ja nun wirklich überflüssig, da wir Handschuhe tragen.«
»Falls ein Handschuh beim Tanzen runterfallen sollte, müssen auch eure Nägel lackiert sein.«
Ich deutete auf meine Haare. »Aber diese aufwendige Hochsteckfrisur vom Bild kann ich mit meinen paar Haaren gar nicht machen.«
»Kauf dir ein Haarteil oder Duttkissen.« Kira ging Richtung Bühne. »Am besten gleich heute nach der Probe, damit du es rechtzeitig zur Aufführung hast.«
Ich schlich hinter ihr her.
»Wieso hast du mir nicht gesagt, dass ich mich schminken und meine Haare hochstecken muss?«, flüsterte ich, als ich neben Onna stand.
»Kira hat uns doch eine Liste mitgegeben.«
»Ja, aber warum hast du vorhin in der Umkleide nichts gesagt?«
»Ich bin so nervös, dass ich froh bin, dass ich meine Schuhe richtig anziehen kann.«
Die Balletttruppe der Teenager verließ die Bühne, und die Hip-Hop-Gruppe der achtjährigen Mädchen trat vor. Ich wollte gerade ihre kurzen pinken Bikinioberteile und knappen Röcke kommentieren, als eine schnelle Musik losschrillte, begleitet von Lady Gagas Gesang.
Das, was ich vom Text verstand, hörte sich an, als wenn die amerikanische Popsängerin keine Liebe, sondern nur Geld im Gegenzug für Sex verlangte. Gerade als ich nachfragen wollte, verformte sich Onnas Mund zu einem großen »O«, und ich wusste, dass ich mich nicht verhört hatte.
Ekaterina fing an zu kichern, als die Mädchen eindeutig mit Po und Hüften anfingen zu wackeln.
»Ist das deren Ernst? Kinder halbnackt auf der Bühne zu so einem Text rumspringen lassen?«, fragte ich.
»Widerwärtig!«, brüllte eine Männerstimme los. »Aufhören! Sofort!«
Die jungen Mädchen robbten auf dem Boden und räkelten sich dabei verführerisch.
Ich trat vorsichtig einen Schritt nach vorn und versuchte in den Zuschauerraum zu schielen. Ein paar Mütter saßen im Dunkeln, ihre Gesichter waren nur vom Display ihrer Handys erleuchtet. Im Mittelgang direkt vor der Bühne stand ein Mann mit einer Art Turban auf dem Kopf, und die Länge seines buschigen Bartes hätte den Weihnachtsmann erblassen lassen. Er hatte eine Jeans und ein ausgewaschenes T-Shirt der Universität an, klimperte mit einem dicken Schlüsselbund und machte Anstalten, auf die Bühne zu klettern.
»Stopp! Einen Moment Pause.« Kira wedelte Andrew zu, der hinter den Stuhlreihen an einem Mischpult saß. Sofort verstummte der Gesang der New Yorkerin.
Meine Tanzlehrerin ging energisch auf den Mann zu. »Wir proben für einen Auftritt. Wären Sie bitte so freundlich und wür...«
»Baljeet?« Andrew war hinter seinem Pult hervorgekommen und kam den Gang herunter. »Er arbeitet hier als Hausmeister«, erklärte er Kira.
Baljeet ging auf Kira zu. »Sie lassen diese Mädchen wie ... wie unzüchtige Frauen rumhüpfen?«
Eines der Kinder auf der Bühne fing an zu kichern. Kira signalisierte Tara, einer anderen Tanzlehrerin, dass sie die Gruppe von der Bühne bringen sollte. Dann drehte sie sich zu Baljeet. »Wir haben das Theater für dieses Wochenende für eine Aufführung gemietet. Wenn Ihnen unsere Tänze nicht gefallen, tut es mir leid. Dennoch möchte ich Sie bitten, uns in Ruhe proben zu lassen.«
»Der Liedtext und die Bewegungen der Kinder sind nicht angebracht.« Seine dunklen Augenbrauen hatten sich so dicht zusammengezogen, dass es aussah, als wenn es ein durchgehender Balken war.