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**Verbotene Liebe am Hof des Königs** Lanea liebt ihr Leben. Sie genießt es, jeden Morgen mit den Stammesmitgliedern am feinen Sandstrand die Sonne zu begrüßen und mit ihrer besten Freundin, der Häuptlingstochter, unbeschwert zu lachen. Doch von einem Tag auf den anderen ändert sich alles. Der zukünftige Großkönig des Reiches ruft zur Brautschau und Lanea soll als falsche Prinzessin an den Hof reisen. Ein Ort, an dem man ihr nicht nur mit Vorurteilen begegnet, sondern hinter jeder Ecke Intrigen und tödliche Verschwörungen lauern – und mittendrin Prinz Aaren, dessen sanftmütige braune Augen Laneas Herz bei jedem Blick zum Flattern bringen. Doch seine Liebe darf sie nicht für sich gewinnen… Romantische Fantasy zum Abtauchen und Wohlfühlen Endlich eine neue YA Romantasy aus der Feder von Erfolgsautorin Jennifer Wolf! Die fesselnde Liebesgeschichte um dieses ungleiche Paar, das allen Widrigkeiten zum Trotz füreinander bestimmt ist, lässt alle Leserherzen höherschlagen. Am Hof des Königs erwacht eine Liebe, die so weit ist wie das Meer – und dennoch nicht sein darf. //Hol dir auch die wunderschön veredelte Print-Ausgabe als Schmuckstück für dein Bücherregal!//
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Jennifer Wolf
Das Lied der Sonne
**Verbotene Liebe am Hof des Königs**Lanea liebt ihr Leben. Sie genießt es, jeden Morgen mit den Stammesmitgliedern am feinen Sandstrand die Sonne zu begrüßen und mit ihrer besten Freundin, der Häuptlingstochter, unbeschwert zu lachen. Doch von einem Tag auf den anderen ändert sich alles. Der zukünftige Großkönig des Reiches ruft zur Brautschau und Lanea soll als falsche Prinzessin an den Hof reisen. Ein Ort, an dem man ihr nicht nur mit Vorurteilen begegnet, sondern hinter jeder Ecke Intrigen und tödliche Verschwörungen lauern – und mittendrin Prinz Aaren, dessen sanftmütige braune Augen Laneas Herz bei jedem Blick zum Flattern bringen. Doch seine Liebe darf sie nicht für sich gewinnen …
Buch lesen
Vita
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© Isabell Schmitt-Egner
Jennifer Wolf lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in einem kleinen Dorf zwischen Bonn und Köln. Aufgewachsen ist sie bei ihren Großeltern und es war auch ihre Großmutter, die die Liebe zu Büchern in ihr weckte. Aus Platzmangel wurden nämlich alle Bücher in ihrem Kinderzimmer aufbewahrt und so war es unvermeidbar, dass sie irgendwann mal in eins hineinschaute. Als Jugendliche ärgerte sie sich immer häufiger über den Inhalt einiger Bücher, was mit der Zeit zu dem Entschluss führte, einfach eigene Geschichten zu schreiben.
Für meine Tochter Alice
Noch sind die Trommeln leiser als das Rauschen der Wellen. Doch sowie die Sonne sich gleich brennend am Horizont erheben wird, werden auch sie lauter werden. Die Kikili erklingt, ein Instrument, das man nur in Palilan kennt. Ich weiß, dass mein guter Freund Nalu sie in den Händen hält und dem hölzernen Körper durch das Zupfen der Saiten aus Pferdehaar eine vertraute Melodie entlockt. Ich halte meinen Blick auf das Meer gerichtet, meine Bewegungen sind routiniert. Der Tanz ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Meine nackten Füße sinken bei jedem Schritt ein kleines Stück im feuchten Sand ein. Eine leichte Brise weht mir ins Gesicht und trägt den Duft von Mango und Kokosnuss mit sich. Seifen und Cremes der Mädchen, der tanzenden Mädchen. Der Horizont färbt sich flammend rot und unser Häuptling Makaio singt mit seiner kraftvollen Stimme die ersten Zeilen des Lieds unserer Urahnen. Wir begrüßen die Sonne, helfen ihr, den Weg über das Meer zu uns zu finden. Ich hebe meinen rechten Arm in die Luft und biege meinen Körper dem Meer entgegen, während mein linker Fuß im Sand einen Kreis beschreibt. Die Trommeln werden lauter und unser Tanz nimmt an Tempo zu. Kanani singt nun zusammen mit ihrem Vater das Lied der Sonne. Sie ist meine beste Freundin und ihre Stimme geht mir jedes Mal tief unter die Haut. Das Meer umspült mit einer brandenden Welle meine Füße und der Wind trägt mein Haar von meinen Schultern. Gemeinsam mit der Sonne erheben wir alle unseren Gesang über das Meer. Die anderen Menschen des Kontinents Valean behaupten es nicht zu hören … das Lied der Sonne. Sie halten uns für verrückt. Doch jede Palila und jeder Palilo weiß es besser.
Sie singt.
Für uns.
Das Lied ist in uns, klingt in unseren Herzen. Vibriert und pulsiert in uns wie das Blut in unseren Adern. Wir mögen nur ein kleiner Landfleck sein, der südlichste Zipfel von Valean, aber wir sind ein stolzes Volk. Auch wenn man uns im restlichen Großkönigreich für Wilde hält. Großkönig Rasmus soll uns sogar schon als Tiere bezeichnet haben, wir taugten nicht mal als Diener. Den Palilos ist das recht, so lässt man uns in Ruhe. Die Morgenzeremonie endet mit lauten Jubelrufen, als die Sonne sich vollständig und kreisrund am Himmel zeigt. Wir klatschen und umarmen uns. Ich drehe mich um und sehe Nalu, wie er Kanani schöne Augen macht. Lächelnd suche ich nach meinen Eltern. Sie stehen beim Häuptling und mein Vater sieht gar nicht begeistert aus. Fragend schaue ich hinüber, als mein Blick den meiner Mutter trifft. Sie schüttelt ihren Kopf, und die dunkelroten Lippen sind fest aufeinandergepresst. Ihr Name ist Okelanie und mein Vater behauptet, dass sie die schönste Frau Palilans sei.
»Deine Lele wirkt angespannt«, sagt Nalu plötzlich neben mir. Er mustert meine Mutter und legt mir den Arm um die Schulter. »Was will Makaio von deinen Eltern?«
»Ich weiß nicht«, sage ich und lächle ihn an. »Aber ich werde es nachher herausfinden.«
Er grinst frech und raschelt an den Muschelketten an meinem Handgelenk. »Lanea?«
»Hm?«, brumme ich und schließe einen Moment die Augen, um die wärmenden Strahlen der Sonne mit allen Sinnen zu genießen.
»Denkst du … Kanani …?«
»Hat etwas für dich übrig?«, beende ich seinen Satz und öffne ein Auge, um ihn amüsiert zu mustern. Sein Haar ist so schwarz wie meins und das der anderen Palilos. Wir alle tragen es lang, egal ob Mann oder Frau. Unsere Haut ist sonnengebräunt, so wie die der meisten Menschen in den südlichen Ländern von Valean. Doch wir sehen nur selten Fremde in Palilan, da es durch eine große Gebirgskette vom Rest des Großkönigreichs abgeschnitten ist. Es ist fast unmöglich, sie zu überqueren, und nur wenige Palilos kennen überhaupt den Weg. Deshalb umschiffen wir sie, wenn es nötig ist, lieber mit Booten. Einen richtigen Hafen, wie ihn unsere Nachbarländer haben, gibt es nicht. So wie in Goldwind, der reichen Hafenstadt ganz im Norden Valeans. Ihren Namen hat sie von dem Metall, das von dort aus mit großen Segelschiffen in ferne, fremde Länder gebracht wird. Ich habe in Büchern darüber gelesen, bin aber noch nie dort gewesen. Mein Weg hat mich noch nie aus Palilan herausgeführt. Anders als der meiner Lele. Bis vor einiger Zeit, ich glaube, der Jahreskreis hat sich etwa um die fünf Mal geschlossen, hat sie in Süd-Merenda gearbeitet, einem Land, das nordöstlich an Palilan grenzt. Dort ist der einzige Hafen, den wir Palilos gelegentlich anfahren. Ich habe in den ersten elf Jahren meines Lebens meine Mutter nur selten gesehen. Mein Vater hat mich und meinen älteren Bruder großgezogen. Doch wir reden nicht über ihn. Wir Palilos glauben, dass es den Seelen der Verstorbenen schadet, wenn wir dies tun und ihre Namen nennen. Es weckt sie aus ihrem Schlaf und lässt sie unruhig umhertreiben. Doch anders als das Schweigen über meinen Bruder ist es für uns ungewöhnlich, unser Land zum Arbeiten zu verlassen. Was Lele in Merenda gemacht hat und wer sie angestellt hat, ist mir bis heute ein Rätsel.
»Lanea?« Nalus goldbraune Augen mustern mich amüsiert. »Träumst du?«
»Ein bisschen«, gebe ich zu und streiche mir eine Strähne, die eine sanfte Meeresbrise mir ins Gesicht geweht hat, hinter das Ohr.
Nalu zieht die Augenbrauen hoch. »Nun? Was denkst du?«
»Ich werde mal vorsichtig bei ihr auf den Busch klopfen.«
Mein Freund lässt die Schultern hängen und seine Gesichtszüge wirken enttäuscht. Mir ist schon öfter aufgefallen, dass er ihr hinterherschaut. Aber Kanani ist sehr verschlossen, ein sanftes Wesen, zerbrechlich.
»Kanani spricht also nie über mich?«
Ich sehe ihn entschuldigend an und schüttele den Kopf. »Aber du kennst sie doch. Sie behält vieles für sich.« Besonders in letzter Zeit. Etwas lastet schwer auf dem Herzen meiner Freundin und ich versuche schon seit Tagen etwas aus ihr herauszubekommen. Kanani ist eine wahre Häuptlingstochter, sie trägt bereits jetzt jede Sorge still für sich allein und kümmert sich immer erst um andere. Doch ich weiß, wie empfindlich sie hinter dieser Fassade ist und wie sehr sie manchmal leidet. Deshalb passe ich auf sie auf und bin für sie das, was man in anderen valeanischen Ländern wohl ihre Hofdame nennen würde. Bei uns gibt es so etwas nicht, jedenfalls nicht unter dieser Bezeichnung. Es war der Urgroßvater von Makaio, der beschlossen hat, dass Palilan keinen König mehr haben sollte. Er ernannte sich selbst zum Häuptling und beraumte einen Stammesrat an.
»Wir machen die Boote fertig und gehen fischen.« Nalu denkt mehr laut, als dass er mit mir spricht. Er betrachtet das in der Morgensonne glitzernde Meer. »Pass gut auf Kanani auf, ja?«
Ich lächle ihn an, als sein Blick wieder den meinen trifft. »Das mache ich doch immer.«
Er grinst, zeigt mir seine weißen Zähne und verabschiedet sich, um zu den Booten zu laufen. Nalu ist, wie die meisten Palilos, viel dunkler als ich. Er arbeitet den ganzen Tag an der Sonne, während ich mich mit Kanani im Haus des Häuptlings aufhalte. Meine Beine unter dem schlichten, bunten Rock, dessen Muster an die Strahlen der Sonne erinnert, sind sogar fast noch so hell wie bei meiner Geburt. Schon damals wurde ich vom Häuptling dazu auserkoren, Kanani eine Freundin zu sein. Das war eine große Ehre für meine Familie und eine Erleichterung für meinen Vater, übernahm doch die Häuptlingsfamilie einen Teil meiner Erziehung. Ich durfte zusammen mit Kanani mehr lernen als das, was Kinder für gewöhnlich bei uns an Bildung erhalten. Die Geschichte Valeans mit seinen so unterschiedlichen Völkern und Kulturen hat mich schon immer fasziniert.
Ich richte das Tuch, das ich mir als Oberteil umgebunden habe, und reibe über meinen nackten Bauch. Da drin grummelt es ganz schön. Ich sollte mir etwas zu essen nehmen, bevor ich mich auf den Weg zu Kanani mache. Nalu und einige andere junge Männer schieben singend ein Boot über den Sand hinüber zum Wasser. Ich winke ihnen zu und beobachte, wie sie durch die brandenden Wellen hinaufspringen. Meine Eltern stehen noch drüben beim Häuptling. Doch Kanani erwartet mich gleich, ich sollte wirklich losgehen. Das Lied der Fischer summend betrete ich den kleinen, sandigen Pfad, der mich vorbei an Palmen und dichten Bananenstauden zu unserer Hütte führt.
***
»Das Lied der Sonne erklinge heute in deinem Herzen, Kind«, begrüßt mich Ahio, unser Nachbar. Er sitzt auf einem Stuhl vor seiner aus Holz, Lehm und Palmwedeln selbst gebauten Hütte, die Hände auf einen Stock gestützt. Er trägt nur eine Hose und hält sein Gesicht in das sanfte Licht der Morgensonne. Er ist einer der Ältesten meines Stammes, sein Körper ist dünn und ausgemergelt von der vielen Arbeit, seine Haut runzelig und von der Sonne gegerbt. Ich nehme mir einen Moment und gehe zu ihm hinüber.
»Ein schöner Sonnenaufgang, nicht wahr, Ahio?« Ich hocke mich auf eine der Stufen, die zu seiner Hütte führen. Er dreht sich auf seinem Stuhl zu mir um.
»Wunderschön. Heute hat sie besonders laut gesungen.« Sein Blick wandert zur Sonne und er kneift die Lider zusammen.
»Hm«, brumme ich nachdenklich. Jeder nimmt die Stimme der Sonne anders wahr. Wir sind ihre Kinder und sie liebt uns alle.
»Hier.« Ahio reicht mir ein Bananenblatt. Darauf liegen, bereits mundgerecht geschnitten, Bananen und Mangos. »Iss etwas, Mädchen.«
»Danke, Ahio.« Ich nehme ein Stück Mango, sie schmeckt wunderbar süß. Er sagt nichts, Ahio war noch nie ein Mann vieler Worte und er hat es immer genossen, zusammen mit mir zu schweigen. Deshalb esse ich und schaue mit ihm den Kindern nach, die laut lärmend an uns vorbei zur Versammlungshütte rennen, wo sie unterrichtet werden. Sie singen und lachen und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Ahio alles mit einem Lächeln auf den eingefallenen, alten Lippen beobachtet. Seine Frau ist vermutlich schon in der großen Hütte, sie bringt unseren Kindern etwas über die Pflanzen und Tiere Palilans bei. Wie und wann man was sät und erntet oder was eine Ziege zum Leben braucht. Natürlich lernen sie auch rechnen, schreiben und lesen. Aber wenn wir ehrlich sind, brauchen das nur die wenigsten Palilos. Es ist uns wichtiger, dass unsere Zukunft weiß, wie man sich ein Heim baut und Nahrung in den Bauch bekommt. Ich lege das Bananenblatt beiseite und meine Hand auf Ahios Schulter. Er tätschelt sie, bringt damit meine Muschelarmbänder zum Klirren und verabschiedet mich ohne Worte.
Ich gehe in unsere Hütte und mache mir schnell die Haare, flechte einen Zopf und schmücke ihn mit Blumen, die ich heute Morgen, als ich mich am Brunnen gewaschen habe, gepflückt habe. Ich öffne vorsichtig den Topf mit zerstoßener Hilulu-Blüte. Sie wächst nur hier in Palilan und ihre roten Blätter lassen sich zusammen mit etwas Kokosöl wunderbar dazu verwenden, die Lippen zu röten. Ich tunke meinen Finger in die weiche Masse und verteile sie tupfend auf meinem Mund. Das kräftige Rot schmeichelt meiner sonnengebräunten Haut und lässt meine Zähne weißer wirken. Ich lächle mich in dem kleinen Spiegel an. Er stammt irgendwo aus Valean, vermutlich Germaine. Unsere Händler tauschen solche Dinge im Hafen von Süd-Merenda gegen unsere Feldfrüchte und Blumen ein. Sogar unsere Seifen und Cremes beginnen im südlichen Valean Anklang zu finden. Allerdings heißt es, dass die Verkäufer in Süd-Merenda behaupten, die Produkte seien dort hergestellt worden. Sicher nehmen sie dafür auch den doppelten Preis. Ich winke Ahio noch einmal zu, der zu schnitzen begonnen hat und mir ein fast zahnloses Lächeln schenkt. Ein paar Palilas kommen mir auf dem Weg zum Heim des Häuptlings entgegen, sie tragen Krüge mit Wasser vor dem Bauch und ihre kleinsten Kinder in Tüchern auf dem Rücken. Eins hat eine Hand ausgestreckt. Ich streiche im Vorbeigehen sanft dagegen und lächle das kleine Geschöpf an, dessen Augen freudig größer werden. Die Haut des Babys ist noch ganz hell, es ist erst ein paar Monate alt. Es quietscht fröhlich und ich lache leise vor mich hin.
»Lanea?«, höre ich jemanden von Weitem meinen Namen rufen. Es ist Kanani, die mich ruft und mir über den sandigen Weg entgegengelaufen kommt. Ich werde schneller, laufe nun auch fast und bleibe mit einem Lächeln auf den Lippen vor ihr stehen. Sie nimmt meine Hände und ich lege fragend den Kopf schief.
»Ist etwas passiert?«, frage ich und hebe eine Hand an das Gesicht meiner Freundin. Sie wirkt nervös.
»Großkönig Rasmus. Er liegt im Sterben.«
Die Nachricht ist spannend, keine Frage, aber ich verstehe nicht, warum es sie offenbar so aufwühlt. Kanani sieht sich um, scheint zu überlegen, wohin wir gehen können, um ungestört zu reden.
»Komm«, entscheidet sie schließlich, hakt sich bei mir unter und zieht mich mit sich. Ich folge ihr, weg vom sandigen Pfad unter unseren Füßen, vorbei an Hütten, Sträuchern und arbeitenden Palilos. Als wir auf einen kleinen, steinigen Weg kommen, ahne ich, wo sie hinmöchte. Ihr schwarzes Haar ist immer noch offen, weil ich es ihr noch nicht gemacht habe. Sie geht jetzt knapp vor mir und ich kann nicht anders, als es ihr mit einem Griff sanft von der Schulter zu ziehen. Wir kommen an dem kleinen Wasserfall an, der Süßwasser aus den Bergen nach Palilan bringt. Sein stetes Rauschen ist hier am Ufer des Wasserbeckens laut genug, um zu verhindern, dass uns jemand zuhören kann. Kanani zieht mich zu ein paar Steinen, auf denen wir schon als Kinder gesessen und geredet haben. Ich nehme Platz und mustere ihr besorgtes Gesicht. Sie schlägt ihre schönen Augen nieder und greift in den Stoff ihres Rockes.
»Kanani, sag mir doch, was los ist«, flehe ich, weil ich mit jedem Herzschlag mehr den Eindruck bekomme, dass etwas passiert ist.
»Dass der Großkönig erkrankt ist, hat mein Dede mir schon vor einigen Wochen erzählt.«
War es das, was sie so bedrückt hat? Aber warum? Nach allem, was man uns beigebracht hat, ist Rasmus grausam und gefährlich. Doch ich entscheide sie nicht weiter zu drängen und abzuwarten. Kanani streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht und seufzt.
»Wenn er stirbt, wird sein Sohn Aaren der neue Großkönig.«
Ich nicke und in meinem Bauch macht sich ein eigenartiges Gefühl breit. Wir kennen beide die mysteriösen Geschichten um Prinz Aaren. Niemand hat ihn bisher gesehen. Rasmus hat ihn versteckt gehalten und keiner weiß warum. Einige behaupten, er sei grässlich entstellt, andere sagen, der Großkönig habe bloß Angst um ihn.
»Ich verstehe.« Ich nicke nachdenklich. »Du machst dir Sorgen, was er für ein Regent wird.«
Kanani schaut zum Wasserfall. »Das auch. Aber darum geht es nicht.«
Ich ziehe erstaunt die Augenbrauen hoch. »Sondern?« Ich streichle sanft ihren Arm.
»Aaren benötigt eine Frau. Ohne darf er nicht regieren. Es muss sichergestellt sein, dass die Linie fortgeführt wird.«
»Werden die Prinzen nicht seit jeher mit Prinzessinnen der nördlichen Königreiche verheiratet?«, frage ich.
»Ja, allerdings verlangen die valeanischen Gesetze, dass der Großkönig das ranghöchste Mädchen aus jedem Land in Valean in Betracht ziehen muss.«
Das eigenartige Gefühl in meinem Bauch breitet sich bis in meine Glieder aus.
»Ich muss an den Hof des Großkönigs.« Sie schluckt und ergreift meine Hände. »Ich habe Angst, Lanea. Wie wird man mich dort behandeln?«
Ich drücke ihre ungewöhnlich kalten Hände und schaue in ihre dunkelblauen Augen. Wir haben sie gehört … die Geschichten darüber, wie man uns außerhalb Palilans behandelt, und der Gedanke, dass meine Freundin das ertragen muss, sticht glühend heiß in meinem Herzen.
»Diese ganze Sache ist doch eine Farce!« Kananis Stirn kräuselt sich angespannt. »Es ist klar, dass Rasmus nicht mich für seinen Sohn erwählen wird, und die gütige Sonne möge verhüten, dass das je so kommt. Warum also muss ich dorthin? Um mich bespucken und als Wilde beschimpfen zu lassen?«
»Kanani …« Mir fehlen Worte des Trostes. Fieberhaft denke ich nach.
»Wir sehen nicht viel anders aus als sie … in anderer Kleidung könnte ich auch aus Nord- oder Süd-Merenda kommen.«
»Ich weiß …«
»Lanea, ich habe solche Angst vor dieser Reise.« Ihre Hände zittern, genau wie ihre Stimme.
»Nun warte doch erst mal ab. Ist denn schon sicher, dass du dorthin musst?«, frage ich und Kanani nickt. In ihren Augen beginnt es zu glitzern. Ich erhebe mich und ziehe sie in meine Arme. »Du weißt, dass ich immer an deiner Seite sein werde?«
Sie schluchzt und ich spüre ein zaghaftes Nicken an meiner Schulter. Ich streiche über ihr glattes schwarzes Haar. Es dauert nur einen kurzen Moment, dann strafft sie ihren Körper und tritt von mir zurück. Mit dem Handrücken trocknet sie ihre Tränen und schließt einen Moment die Augen. Das kenne ich nur zu gut von ihr. Sie zieht sich wieder in sich selbst zurück.
»Tut mir leid, Lanea.«
»Nein, entschuldige dich nicht«, raune ich leise gegen den Wasserfall an. »Ich bin für dich da, Kanani. Wir schaffen das irgendwie und ertragen alles, was sie uns entgegenwerfen. Weil wir wissen, dass wir danach nach Palilan zurückkehren. Gemeinsam. Für immer.«
Ein Lächeln legt sich auf ihre Lippen und sie öffnet wieder die Augen, um mich anzusehen. »Danke, liebste Freundin.«
»Die Sonne und ihr Lied werden uns auch dorthin begleiten.«
Kanani nickt und wirkt gefasster. Ob es echt oder gespielt ist, ist schwer zu sagen. Ich ergreife erneut eine ihrer Hände.
»Komm, ich mache dir die Haare, Prinzessin.«
Sie stößt mich leise lachend an, weil sie nicht so genannt werden mag. Aber für den Rest der Welt ist sie das: eine Prinzessin. Valean interessiert sich nicht dafür, dass wir schon seit vielen Jahrzehnten ein Stamm und kein Königreich sind.
***
Im Haus des Häuptlings herrscht großer Aufruhr. Der Stammesrat wurde einberufen, und während wir zu Kananis Zimmern gehen, hören wir aufgeregte Stimmen aus dem Empfangsraum. Häuptling Makaio übertönt sie und ruft zur Ordnung. Wie auch unsere Hütte ist das Heim des Oberhaupts aus Holz und Lehm gebaut. Es ist nur bedeutend größer und mit palilanischen Kunstwerken geschmückt. Hier gibt es abgetrennte Zimmer und die Wände wurden größtenteils auch innen mit Holz verkleidet. Trotzdem ist es genauso hellhörig wie die kleinen Hütten.
»Sie sind alle nervös wegen der Reise. Als damals Rasmus’ Ehefrau gesucht wurde, kam es wohl zu Angriffen auf uns.« Kanani atmet bebend durch. »Warum kann man uns nicht, wie sonst auch, einfach in Ruhe lassen?«
»Nun, wir gehören zum Großkönigreich. Es gibt sicher viele Könige, die hoffen, dass der Großkönig einen Fehler macht. Ich will nicht wissen, wie viele Dolche im Rücken von Rasmus nur darauf warten, dass er sich zurücklehnt.«
»Manchmal machst du mir Angst, Lanea.« Kanani drückt meine Hand und zieht mich in ihr Schlaf- und Ankleidezimmer. Sie setzt sich auf den Stuhl vor dem großen mit Gold verzierten Spiegel, der seit Generationen im Besitz der Familie ist. Ich nehme eine der weicheren Bürsten und beginne ihr Haar zu kämmen.
»Dede hat Händler geschickt, um Kleider zu besorgen«, sagt sie nach längerer Zeit des beklommenen Schweigens zwischen uns. Ich bin gerade dabei, ein Band in eine Strähne einzuflechten.
»Darf ich auch mal eins anziehen?«, frage ich, teils aus Neugierde, teils, um ihr vielleicht ein Lächeln abzuringen. Es gelingt und ihr Spiegelbild sieht mich schmunzelnd an.
»Wenn du magst.«
»Würde mich mal interessieren, ob man darin laufen kann.« Ich kenne die Kleider nur von Bildern und aus Geschichten. Kanani und ich habe die gleiche Größe und Statur. Was ihr passt, passt auch mir.
»Meinst du, Aaren ist so brutal wie sein Vater?«, offenbart sie mir eine ihrer Sorgen.
»Hmh … ich weiß nicht. Ich finde es nur so eigenartig, dass noch niemand ihn je gesehen haben soll.« Irgendwas ist da faul.
»Mein Vater meint, dass Rasmus Angst hat, man könnte Aaren vergiften. Er hat nur den einen Sohn.«
Ich nicke nachdenklich. »Das könnte sein.« Dennoch … wieso kennt ihn dann absolut niemand? Ich stecke die Strähne ihres samtweichen Haares fest und nehme mir die nächste. »Wir können nur hoffen, dass wir ihm so egal sind wie seinem Vater.«
Kanani brummt zustimmend. Sie weiß, dass sie jetzt nicht nicken darf, ansonsten ruiniert sie meine Arbeit.
»Vor ihm habe ich am meisten Angst, dabei ist nicht mal klar, ob wir ihn überhaupt zu Gesicht bekommen.«
»Es ist das Unbekannte, das dich unruhig macht. Dass man sich von Rasmus fernhalten muss, ist weitgehend bekannt. Der Prinz bleibt ein Buch mit sieben Siegeln.« Es ist immer besser, seinen Feind zu kennen. »Ist es eigentlich üblich, dass der Vater die zukünftige Ehefrau für seinen Sohn aussucht?«
»Nein. Rasmus hat seine Frau selbst ausgewählt.«
»Scheint, als wolle der Großkönig seine Macht noch so lange voll ausschöpfen, wie er kann.« Das passt zu ihm, nach allem, was ich über ihn gehört habe.
»Zum Glück soll er schon bettlägerig sein. Von da aus wird er mich wohl kaum anspucken oder schlagen.«
Sie tut mir so leid, dass mir das Herz in der Brust wehtut. Dass sie vermutlich mehr Angst vor seinen Wachen und Untertanen haben muss, sage ich ihr nicht. Ich will sie nicht noch mehr ängstigen. Die Völker Valeans sind arm, selbst viele seiner Könige. Wir Palilos könnten willkommene Prügelknaben werden, an denen die anderen ihren Unmut über das Elend auslassen, weil sich niemand für uns interessiert und so auch keine Strafe droht. Jedenfalls ist es das, was meine Eltern dazu gesagt haben, und ich glaube ihnen.
»Wir werden uns unauffällig verhalten«, sage ich und spreche dabei meinen Plan laut aus, während ich die letzten Handgriffe an Kananis Haaren mache. »Wir gehen hin, schauen uns die Hochzeit an und reisen wieder ab.«
»Müssen wir bis zur Hochzeit bleiben?«
»Ich weiß nicht. Wird das nicht von uns verlangt?«
Meine Freundin presst die Lippen zusammen und sieht über ihre Schulter, da ich soeben mit ihrer Frisur fertig geworden bin.
»Du weichst mir dort nicht von der Seite?«
Ich lächle sie an. »Niemals, Prinzessin.«
Sie verengt ihre Augen. »Nun denn, Zofe. Man bringe mir mein Frühstück.«
Ich strecke ihr die Zunge heraus, mache mich aber dennoch auf den Weg zur Küche. Das gehört zu meinen Aufgaben, auch wenn Kanani mir nie das Gefühl gegeben hat, ihre Bedienstete zu sein. Ich spreche von mir gerne als Freundin oder Vertrauter. Einer Weggefährtin, so wie auch ihre Mutter eine hat. Jaimia kenne ich schon, seit ich denken kann. Für Kanani war sie immer so etwas wie eine Tante.
»Nein!«, höre ich eine aufbrausende Stimme und halte inne. Der Weg zur Küche führt vorbei am Versammlungszimmer. Es ist mein Dede, der dort vehement widerspricht.
»Kommt gar nicht infrage.«
»Aber Liebling, warum nicht?« Das ist meine Lele. Wieso sind sie dort? Sie gehören nicht zum Rat. Ich gehe näher zu der Tür, hinter der gesprochen wird, und presse mein Ohr gegen das Holz.
»Was ist, wenn jemand das durchschaut? Dann wird unsere Tochter als Betrügerin geköpft!«
Es geht um mich? Ich lege mir eine Hand auf die Brust, wo mein Herz plötzlich so heftig klopft, dass ich jeden einzelnen Schlag spüre.
»Das wird nicht passieren. Ich werde sie als Zofe begleiten.«
»Okelanie, das ist eine sehr gute Idee.« Häuptling Makaio klingt entspannt, was mich stutzig macht.
»Er wird ihr nichts tun, wenn ich dabei bin.« Die Worte meiner Lele ergeben keinen Sinn. Von wem sprechen sie jetzt? Vater schweigt, vermutlich denkt er nach.
»Kanani muss hierbleiben. Sie ist mein einziges Kind.«
»Und Lanea meines.«
Ich entscheide, dass ich genug gehört habe, und reiße die Tür zum Saal auf. Die Mitglieder des Stammesrats, meine Eltern und unser Häuptling schauen überrascht zu mir herüber.
»Ich konnte euch hören«, sage ich. »Auch wenn ich nicht mitbekommen habe, worum es geht, finde ich, dass ich ein Recht darauf habe, zu erfahren, was ihr hinter meinem Rücken über mich entscheidet.«
Meine Mutter hat einen fremden Glanz in ihren Augen, der nicht so ganz zu dem passen will, was ich nun aus der Mimik meines Vaters lesen kann.
»Hat Kanani dir die Neuigkeiten schon erzählt?«, fragt der Häuptling und kommt auf mich zu. Er ist eine imposante Gestalt, sehr groß und stark. Seine Muskeln zeugen davon, dass er nicht den ganzen Tag nur auf einem Thron sitzt und regiert, sondern durchaus mit anpackt, wenn eine neue Hütte gebaut oder ein Baum gefällt werden muss. Makaio hat breite Schultern und seine Haare sind zu einem Zopf geflochten. Ich atme tief durch und schaue ihm fest in die Augen.
»Ja, das hat sie.«
»Gut, dann bist du im Bilde über die politische Lage Valeans. Du bist ein kluger Kopf, Lanea. Oft genug hast du meiner Tochter die Flausen ausgetrieben. Kanani ist eine gute Seele und ich weiß, dass sie eines Tages unser Volk mit der Hilfe des Rates und nicht zuletzt auch deiner wird führen können.« Er sieht zu meinen Eltern. »Jedoch mache ich mir Sorgen wegen der Reise. Wie wir alle hier wissen, ist sie für uns Palilos im Grunde völlig überflüssig. Wir müssen nur anwesend sein. Natürlich wäre es für den zukünftigen Häuptling gut, etwas von Valean zu sehen. Aber das habe ich damals auch nicht. Und im Moment ist die Lage im Großkönigreich äußerst gefährlich.« Sein Blick trifft wieder meinen. »Du bist stark und klug. Ich wünsche mir, dass du an ihrer statt dorthin reist.«
Mir fehlen die Worte. Ich bin selten sprachlos, aber nun ist mein Kopf wie leer gefegt. Fragend sehe ich zu meinen Eltern. Dede mahlt mit den Zähnen und funkelt wütend die Dielen unter seinen Füßen an, während meine Mutter … glücklich scheint. Das ist merkwürdig. Ich schließe einen Moment die Augen und sehe Kanani vor mir. Wie sie zittert und sich vor der Reise fürchtet. Da ist ein Gedanke in meinem Kopf, der sich augenblicklich über alles andere zu erheben scheint. Ich wäre ohnehin mitgereist, warum sollte ich ihr das alles nicht ersparen?
»Und meine Mutter kommt mit mir?«
»Ja, Okelanie wird dich zusammen mit unseren stärksten und tapfersten Männern begleiten.«
»Wir reisen hin, bleiben ein bis zwei Tage und kommen zurück, richtig?«
»Ja.« Makaio grinst siegessicher. »Es könnten auch drei bis vier Tage werden, aber ja.«
Wenn ich Kanani so die Angst nehmen kann, bin ich bereit. Für sie nehme ich das gerne auf mich.
»Ich mache es«, sage ich entschlossen. Was soll schon groß passieren? Den Spott und die bösen Blicke werde ich schon ertragen. Es werden andere Palilos bei mir sein. Ich bleibe einfach in ihrer Gesellschaft.
***
Der Mond glänzt silbern am Himmel und die Wellen des Meeres branden sanft am Strand. Ich sitze im Sand und kaue das süße Fruchtfleisch einer Kokosnuss, den Blick hinauf zu den Sternen gerichtet. Kanani sitzt neben mir. Sie hat ihre Frisur gelöst und der Wind trägt den Duft ihrer Haare zu mir herüber. Sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie so erleichtert ist, macht sich aber dennoch große Vorwürfe. Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, ihr zu sagen, dass dies die beste Lösung sei. Nachdem der Stammesrat gegangen war, nahm Makaio mich und meine Eltern zur Seite. Er erzählte von Hofintrigen und den Abgründen der menschlichen Seele. Er hat Sorge, dass sich seine Tochter, herzensgut und so zerbrechlich, in etwas verwickelt. Und das würde sowohl ihr selbst als auch ihm und ganz Palilan schaden. Ich kann es nicht genau sagen, aber ich hatte ein bisschen das Gefühl, dass er aus Erfahrung sprach. Seine Schwester war damals bei Rasmus’ Brautschau. Wer weiß, was sie erlebt hat. Ich habe sie nie kennengelernt, sie starb, bevor ich geboren wurde. Vielleicht war es ihre Veränderung durch diese Reise, die Makaio heute Angst macht.
»Die Sonne und die Sterne werden dich hoffentlich wohlbehalten zurückführen.« Kanani hat es den Appetit verschlagen. Sie hat nichts von all dem gegessen, was wir in Weidenkörben hierhergetragen haben.
»Das werden sie«, verspreche ich.
»Hast du keine Angst?«
»Nein«, antworte ich. »Die galt nur dir und du bleibst hier, in Palilan. In Sicherheit.« Meine Mutter schien guter Dinge und ich freue mich nun sogar ein wenig. Endlich sehe ich die Orte, von denen ich immer nur gelesen habe. Dass Vater Angst hat, kann ich jedoch verstehen. Aber wieso sollte Rasmus etwas merken? Niemand außer den Palilos weiß, wie Kanani aussieht. Und selbst wenn sie es wüssten, müssten sie mir Aufmerksamkeit schenken, um es herauszufinden. Nein, ich halte es für sehr unwahrscheinlich und Lele tut dies anscheinend auch.
»Wenn dir etwas geschieht, werde ich mir das nie verzeihen können.«
Ich sehe zu ihr, die Nacht hat das Dunkelblau ihrer Augen in Schwärze getaucht. »Ich verspreche dir, Kanani, bei unserer Mutter, der Sonne … Ich werde gut auf mich aufpassen.«
Meine Freundin greift nun doch nach einer gekochten Banane und lächelt mich an, dann wendet sie den Blick hinauf zu den Sternen. »In Ordnung.«
»Aber wehe, du lachst mich aus, wenn ich die albernen Kleider anprobieren muss«, warne ich sie.
»Das würde ich doch niemals tun«, schwört sie feierlich und das Zucken in ihren Mundwinkeln verrät sie.
»Du tust es doch jetzt schon«, schimpfe ich grinsend und werfe eine Handvoll Sand nach ihr.
»Lanea! Das schöne Essen!« Kanani klopft sich den Sand von der Kleidung. »Und meine Haare …«
»Mich hat Sand noch nie davon abgehalten zu essen.«
»Du Wilde!« Kanani zwinkert mir zu und wir kichern gemeinsam. Dann wird es still zwischen uns. Wir lauschen eine ganze Weile dem Meer und genießen die kühle Brise, die der Wind von jenseits des Horizonts zu uns herüberträgt. Irgendwann beginnt Kanani leise zu singen. Ich lehne mich zurück, mache es mir im Sand bequem, dann liege ich da und lausche ihrem Gesang. Eine Zeile schreibt ihre Stimme direkt in mein Herz: Ich wende mein Gesicht der Sonne zu, dann bleiben die Schatten hinter mir.
Mein Vater ist ziemlich wütend auf meine Mutter. Ich merke es am nächsten Morgen, als wir uns für die Sonnenaufgangszeremonie fertig machen. Er spricht kaum ein Wort mit ihr, sieht auch mich an, als hätte ich ihn verraten.
»Dede?«, flüstere ich leise und gehe zu ihm. Er ist gerade dabei, seine Haare zusammenzubinden.
»Ja, Lanea?«
»Bist du mir böse, weil ich zugestimmt habe?«
Er seufzt und seine Gesichtszüge entspannen sich etwas. Kurz sieht er mir in die Augen, dann weicht sein Blick dem meinen aus.
»Ich will nicht noch ein Kind verlieren.«
»Das wirst du nicht«, verspreche ich schnell. Mutter hat von unserem Gespräch Wind bekommen und stellt sich zu uns, sagt aber nichts.
»Es braucht dich nur aus Versehen jemand mit deinem richtigen Namen anzusprechen.« Der Schmerz in Dedes Augen, als er mich wieder ansieht, trifft mich tief.
»Dann sagen wir ihnen, dass Lanea ein Kosename in Palilan ist.« Ich zwinkere ihm zu und versuche stark und zuversichtlich zu wirken.
Mein Vater lächelt müde, die Augenringe erzählen von einer schlaflosen Nacht. Ich umarme ihn und er erwidert diese Geste sofort.
»Ich habe doch nur euch.« Auch wenn ich es nicht sehe, ich spüre förmlich, wie sein Blick dabei zu meiner Lele gewandert ist.
»Du wirst uns nicht verlieren.« Sie klingt so sicher, dass ich nicht anders kann, als ihr zu glauben. »Er wird dafür sorgen.«
Wer ist er?, will ich fragen, doch ehe ich den Mund öffnen kann, erklingt das Horn, das uns an den Strand ruft. Dies wird mein vorerst letzter Tag in Palilan werden. Morgen früh, direkt nachdem wir die Sonne begrüßt haben, wird ein Schiff mit meiner Lele und mir an Bord nach Süd-Merenda segeln. Der Gedanke flößt mir ein Gefühl von Ehrfurcht ein. Das erste Mal in meinem Leben werde ich meine Heimat hinter mir lassen und all dem begegnen, was ich nur aus Geschichten kenne. Ein kribbeliges Gefühl von Aufregung und Angst erfüllt mich, ich habe Lust auf ein Abenteuer. Jedenfalls so lange, bis mich Kanani unter den strengen Blicken ihrer Mutter am Nachmittag in eins der Kleider quetscht, die für meine Reise und den Aufenthalt am Hofe eingetauscht wurden. Kanani und ich haben zusammen am Strand auf das Schiff mit den Händlern aus Süd-Merenda gewartet. Das Kleid ist schwer und wurde fest an meinen Rücken zugeschnürt. Der Rock ist unten so weit, dass ich gar nicht weiß, wie man damit durch eine Tür gehen soll. Ich streiche über den wertvollen Stoff.
»Wenn man bedenkt, dass selbst dieses durch seine Schlichtheit auffallen wird«, sagt Kananis Mutter Ikaika und mustert mich aus ihren dunklen Augen. Auf ihrem Kopf trägt sie den großen Blumenkranz der Frau des Häuptlings. Ich betrachte erstaunt den rosa Stoff meines Kleides und den mit Perlen bestickten Gürtel um meine Taille. Das soll schlicht sein?
»Es ist so wuchtig, wie sehen denn die Kleider der anderen Prinzessinnen aus?«
»Sie sind bestickt. Mit Goldfäden verziert. Jede Menge Schnickschnack. Selbst der Schmuck. Edelsteine und Juwelen.«
Ich fasse an die Halskette, die auf meiner Brust ruht. Ihre Perlen stammen aus Muscheln, die unsere Fischer mitgebracht haben.
»Das Rosa schmeichelt deinen Augen. Es lässt sie grüner wirken.« Ikaika überlegt. »Nur die roten Lippen passen nicht.« Sie reicht mir ein Tuch. »Wisch dir die Farbe ab, Kind.«
»Lanea braucht noch etwas für über die Arme«, grübelt Kanani laut und geht dann an ihren Schrank, während ich mir über den Mund wische. Mein Kleid hat oben eine Corsage und nur schmale Ärmel. Hier im Süden Valeans ist das angenehm, aber ich schätze, je nördlicher wir kommen, desto kühler wird es werden. Kanani legt mir eine weiße Stola aus Seide um die Schultern und holt meine Haare darunter hervor. Sie passt zum Kleid, warm halten wird sie mich aber nicht.
»Du siehst wunderschön aus«, schwärmt meine Freundin.
»Es ist unbequem«, maule ich und zupfe an der Corsage herum.
»Du wirst dich dran gewöhnen.« Ikaika seufzt. »Ich wünschte nur, wir hätten etwas Besseres für dich. Das Kleid wird die Leute nur in ihren Vorurteilen bestätigen.«
»Dann kann ich auch gleich in meinen Sachen gehen.«
»Nein!«, kommt es wie aus einem Mund.
Ich mache große Augen. »Das war ein Scherz!« Bei der Sonne, sind die angespannt! Dabei bin ich es, die dieses ausladende Kleid tragen muss. »Ich möchte was ausprobieren.« Langsam, aus Angst, ich könnte irgendetwas ruinieren, gehe ich zur Tür und bleibe stehen. Der Reifrock hat zum Glück verhindert, dass ich auf das Kleid trete, doch nun stehe ich vor dem nächsten Problem. Ich strecke meinen Arm aus. »Wie im Namen von Sturm und Sonnenschein komme ich an die Klinke einer Tür?«
Ikaika lacht. »Im Schloss wird man dir jede Tür öffnen, aber das Kleid ist nicht aus Glas, du darfst durchaus damit gegen die Wand stoßen.«
Ich gehe vorsichtig näher, spüre, wie der Reifrock nachgibt, und mache die Tür auf. Natürlich bin ich zu breit für die kleine Öffnung.
»Nun«, seufzt Ikaika, »ich denke, das Problem wird sich dir auf der Reise öfter stellen. Sei einfach vorsichtig, wenn du es da durchzwängst. In Rasmus’ Schloss sind die Türen viel breiter.«
»Wir haben keinen Haarschmuck«, grübelt Kanani laut. »Die Blumen in ihrem Haar werden nur bis zum Abend halten.«
Ikaika schlägt die Hand vor das Gesicht. »Du hast recht, Kind. Vielleicht sollten wir ihr meine Perlenkette mitgeben. Die kann sie sich einflechten.«
»Egal wie sehr ihr sie verkleidet«, mischt sich das erste Mal Jaimia ein. »Man wird sie immer als Palila erkennen. Die Prinzessin aus Merenda mag uns ähnlich sein, aber Lanea wird trotzdem wie ihre Dienstmagd aussehen.«
Verzweiflung macht sich in den Gesichtern von Ikaika und Kanani breit, was mich traurig stimmt.
»Es ist gut so«, entscheide ich. »Man soll mich ruhig als Palila erkennen. Ich bin stolz darauf, wer ich bin. Sollen sie doch reden, ich werde sie nie wiedersehen.«
Ikaika kommt auf mich zu und umarmt mich. Sie duftet nach Kokosnuss und Sonne. »Du hast noch zwei weitere Kleider in deiner Truhe«, sagt sie, während sie mich an ihr Herz drückt. »Das hier trägst du erst in Kingsplains. Die anderen beiden sind zwar ähnlich geschnitten, aber ihre Farben sind nicht so schön. Das eine ist zartgrün, der Stoff ist jedoch von der Sonne etwas ausgebleicht. Es stammt von einer Zofe im merendanischen Königshaus. Das andere Kleid ist gelb, du kannst es auch im Schloss tragen, aber es hat ein paar kleine Risse unten am Saum.« Sie lässt mich los, ihr Blick bleibt jedoch fest auf mich gerichtet. »Unterwegs wird das niemanden stören. Du bist eine Prinzessin auf Reisen, das kann ja auch gerade erst passiert sein.«
Makaio sagte, dass wir zwei bis drei Wochen unterwegs sein werden. Größtenteils zu Fuß. Es ist unklar, wo wir schlafen werden, ob wir immer genügend zu essen bekommen. Das alles wird sicher beschwerlicher als ein paar böse Blicke und gemeine Worte im Schloss von Großkönig Rasmus. Vermutlich werden die Kleider noch mehr leiden, als sie es ohnehin schon getan haben.
»Kann ich unterwegs nicht was Leichteres anziehen?« Das Gewicht des Kleides stört mich schon jetzt und ich trage es gerade mal ein paar Minuten. Wie wird das erst bei einem tagelangen Fußmarsch sein? Ich will gar nicht wissen, wie erschöpft und hungrig ich in Kingsplains ankommen werde. Ikaika scheint zu überlegen und legt eine Hand an ihr Kinn. Ich ahne, worüber sie nachdenkt. Man wird mich sehen. Die Menschen in Valean wissen, dass die Prinzessinnen auf dem Weg zum Großkönig sind. Sie will Palilan nicht dadurch bloßstellen, dass wir uns keins dieser Ungetüm-Kleider leisten können.
»Gib mir einfach noch ein paar schlichte, lange Kleider mit. Ich werde diese Monster hier auf der Reise so oft wie möglich tragen. Aber wenn wir einige Zeit an keinem Ort vorbeikommen, kann ich sie vielleicht etwas schonen.«
Ikaika lächelt. »Ja, so machen wir es.«
Ich atme erleichtert aus, was in der Corsage gar nicht so einfach ist, denn um ausatmen zu können, muss man erst mal einatmen.
***
Als ich am Abend auf meiner Matte liege, kreisen die Gedanken so sehr in meinem Kopf, dass ich keinen Schlaf finde. In der Hütte hängt der Duft von gebratenem Fisch und Rauch. Leise knistert in der Mitte noch das Feuer. Ich weiß nicht wieso, aber ich muss an Prinz Aaren denken. Wie muss er sich gerade fühlen? Ihm wird einfach eine Frau vorgesetzt, in einer Zeit, in der er seinen Vater verliert. Das stelle ich mir furchtbar vor. Hat er resigniert oder seine Rolle akzeptiert? Hat er Angst davor, Großkönig zu werden, oder freut er sich sogar darauf? Ist er froh Rasmus bald loszuwerden oder ist sein Herz schwer? Und warum durfte ihn vorher nie jemand sehen? Hat Rasmus solche Angst um seinen Sohn? Nun, vielleicht werde ich ein paar Antworten auf meine Fragen bekommen, sobald ich die Anreise hinter mich gebracht habe. Wenigstens wird Nalu bei mir sein. Er kam eben mit der Nachricht zu uns in die Hütte. Ich freue mich, neben meiner Mutter einen guten Freund dabeizuhaben. Er kann für mich die Kikili spielen, wenn ich Heimweh bekomme. Die feinen Härchen auf meinen Armen stellen sich beim Gedanken daran, dass ich Valean und Kingsplains sehen werde, auf. Ein Schauer durchfährt mich.
»Hey, meine Ninu, kannst du nicht schlafen?«, erklingt sanft die Stimme meiner Mutter. Sie kommt zu mir herüber und setzt sich an mein Nachtlager. Ihre Augen sprechen Bände. Sie ist voller Vorfreude und ich habe mir vorgenommen unterwegs herauszufinden, wieso das so ist.
»Haben wir wirklich an alles gedacht?«, frage ich und sie lächelt. Wir haben unsere Sachen in eine Truhe gepackt, die zusammen mit dem großen Karren morgen auf das Boot verfrachtet wird.
»Haben wir, Kind.« Mutter streichelt mir über den Kopf. »Schließe jetzt deine Augen, du brauchst morgen Kraft.«
Doch das schaffe ich in der Nacht nur kurz. Die Aufregung weckt mich immer wieder und entlässt mich nur kurz in die beruhigenden Arme des Schlafs. Als mir Mutter dann am nächsten Morgen, nach der Sonnenaufgangszeremonie, in unserer Hütte in das gelbe Kleid hilft und meine Haare mit Hilulu-Blumen schmückt, bin ich so nervös, dass alles in mir zu kribbeln scheint. Zum Abschluss tupft mir Lele etwas Farbe auf die Lippen. Ich fasse das Kleid vorsichtig an einem der Reifen des Unterrocks und hebe es an, damit es auf dem sandig-lehmigen Boden nicht so schnell verdreckt und ich leichter laufen kann.
»Jetzt siehst du aus wie eine palilanische Prinzessin«, raunt mein Vater und es glänzt in seinen Augen. Ich kann darin neben dem Abschiedsschmerz auch Stolz erkennen. Lele stellt sich zu ihm, in der Hand hält sie Schuhe, die zu dem Kleid passen. In Palilan tragen wir nur selten welche und ich vermute, dass mich das unterwegs noch sehr stören wird. Ich strecke ihr nacheinander meine Füße entgegen und sie hilft mir hinein. Die Enge ist ungewohnt und nicht sonderlich angenehm. Plötzlich sind Stimmen zu hören. Der Wind trägt sie vom Meer zu uns herüber. Es sind die jungen Palilos, die uns begleiten werden. Sie singen, während sie vermutlich das Schiff fertig machen. Mutter und Vater müssen mir wegen der Weite des Kleides durch die Brettertür unserer Hütte helfen, vor der lauter Palilos warten und plötzlich laut jubeln. Der kleine Weg ist voller Menschen, einige sind sogar in die Palmen geklettert und winken mir zu. Andere sitzen auf den Dächern der vielen Hütten und balancieren vorsichtig darauf herum, um auf den stützenden Holzbalken zu bleiben und kein Loch in die Konstruktion aus Palmwedeln zu reißen. Erstaunt betrachte ich meine Landsleute und erwidere lächelnd ihren Abschiedsgruß. Einen ganz besonders. Ahio steht, auf einen Stock gestützt, neben seiner Frau, direkt an der untersten Steinstufe vor unserer Hütte. Er lässt es sich nicht nehmen, mir eine Hand zu reichen. Ich ergreife sie und drücke ihm einen Kuss auf die Wange, nachdem ich heil unten angekommen bin.
»Komm gesund zurück, Kind«, ruft er mir gegen den Lärm ins Ohr.
»Ich gebe mein Bestes. Wir sehen uns wieder, Ahio«, verspreche ich und drücke ihn an mich. Die jubelnde Menge begleitet meine Eltern und mich zum Steg, an dem das größte Boot Palilans auf Lele und mich wartet. Davor stehen Makaio, Kanani und Ikaika. Meiner Freundin laufen Tränen über die Wangen, als sie mich sieht. Ich beschleunige meine Schritte so gut es geht und falle ihr in die Arme.
»Lanea!«, schluchzt sie nur.
»Vergiss nicht, ich reise hin, bleibe kurz und komme dann sofort zurück«, erinnere ich sie.
»Mach dir keine Sorgen«, höre ich plötzlich Nalu neben uns. Er grinst und lehnt sich etwas vor. »Ich passe auf sie auf.«
Kanani errötet leicht und lächelt ihn an. Erstaunt über ihre Reaktion bleibt mir kurz der Mund offen stehen.
»Prinzessin.« Nalu verneigt sich vor ihr und sieht dann zu mir, hält mir seine Hand hin. »Falsche Prinzessin.«
»Edler Ritter.« Ich mache einen Knicks und nehme seine Hand. Nalu lacht laut, als er mich über die Planken zum Boot führen will. Doch dann löse ich mich von ihm und drehe mich um. Ich habe Dede noch nicht Auf Wiedersehen gesagt. Er steht bereits hinter mir und zieht mich in seine Arme. Worte findet er kaum noch. Nur zwei, denen ich mit einem Nicken zustimme.
»Bis bald.«
Ich gebe ihm einen Kuss und wende mich dann wieder Nalu zu, der meiner Mutter aufs Schiff geholfen hat und nun wieder mir die Hand reicht. Ich bin nicht das erste Mal auf diesem Boot, als Kinder haben wir hier oft gespielt. Es war ein Leichtes, uns hinaufzustehlen, wenn es ungenutzt am Steg verankert war, aber ich bin noch nie damit gesegelt. Ich stelle mich an die Reling und winke meinen Freunden und Verwandten zu, Landsleuten, allen, die mir etwas bedeuten. Es sind die Augen meines Vaters, an denen mein Blick haften bleibt. Nun kommen mir die Tränen.
»Kanani!«, ruft Nalu neben mir und hält ein Seil in der Hand. »Wenn ich Lanea heil zurückbringe, darf ich dir dann den Hof machen?«
Ich reiße Mund und Augen weit auf und starre erst ihn und dann Kanani an. Sie lacht über das ganze Gesicht … und nickt. Als unsere Blicke sich treffen, zuckt sie nur mit den Schultern. Die Männer fangen an zu singen und das Schiff legt schwankend ab. Ich spüre die Wärme meiner Mutter neben mir, noch bevor sie den Arm um meine Taille gelegt hat. Ein Ruck geht durch das Boot und wirft mich fast um, als der Wind die Segel erfasst und sie sich aufblähen.
»Wie lange dauert es bis zum Hafen in Süd-Merenda?«, frage ich meine Lele, die diese Reise schon häufiger gemacht hat.
»Das kommt immer auf den Wind an.« Sie schaut hinauf zu den Segeln. »Wir haben Südwestwind, das ist gut. Wir dürften also gegen Mittag dort sein.«
»Was wird mich dort erwarten?«
Mutters Blick ist in die Ferne gerichtet. »Eine ganz andere Welt, Ninu.«
Ich lehne mich an sie und beobachte, wie Palilan an uns vorbeizieht. Schließlich sind nur noch Gebirge zu sehen. Die Stimmung an Bord ist zum Glück ausgelassen und fröhlich. Ich kann die jungen Palilos verstehen, die große Lust auf dieses Abenteuer haben. Das Herz in meiner Brust schlägt ebenfalls aufgeregt, aber jetzt, wo ich Palilan tatsächlich zurücklasse, vermischen sich meine Gefühle immer mehr zu einem Klumpen in meinem Bauch. Vielleicht liegt mir aber auch nur das Brot, das ich gefrühstückt habe, schwer im Magen. Oder das Kleid erdrückt mich.
***
»Schau!«, lenkt mich meine Mutter einige Stunden später von meinen rasenden Gedanken ab und deutet zum Bug des Schiffes. Sie meint jedoch etwas, das noch weiter in der Ferne liegt und mit bloßem Auge kaum zu erkennen ist. Das Gebirge, das fast die ganze Zeit über vom Schiff aus zu sehen war, flacht dort ab und ich meine das Grün von Bäumen zu erkennen.
»Dort ist Kattalina, die Hafenstadt von Süd-Merenda.«
»Werden sie mit uns reisen? Das Königshaus von Merenda«, frage ich und bringe meine Mutter damit zum Lachen.
»Nein, Kind. Vermutlich sind sie bereits mit der Kutsche aufgebrochen. Wir werden wohl die Letzten sein, die eintreffen.«
Kingsplains liegt mitten in Valean. Es heißt, dass das Schloss von Großkönig Rasmus wie ein Berg inmitten der Häuser emporragt und man es schon von Weitem sehen kann. Es gibt einen Fluss, auf dem man dorthin gelangen könnte, aber er ist sehr flach. Genau wie das Land, das die Stadt umgibt. Unsere Handelsschiffe haben mit ihrem Stauraum im Rumpf zu viel Tiefgang und wir hätten an einer fremden Küste von Bord gehen müssen. Vielleicht hätten wir ein Floß bauen sollen? Der Gedanke, als Letztes anzukommen, behagt mir nicht. Das zieht nur unnötig Aufmerksamkeit auf uns.
»Aber …« Mutter presst kurz die Lippen zusammen. »… Ich vermute, dass die Leute uns in Kattalina erwarten werden, um die palilanische Prinzessin zu sehen.« Lele schnaubt leise lachend. »Auch wenn sie uns nicht mögen, neugierig sind die Menschen immer.«
»Hmh.« Soll mir recht sein, dann kann ich gleich üben mich nicht ablenken zu lassen. Sobald wir im Schloss sind, muss ich jederzeit hoch konzentriert sein, hat mir Makaio eingebläut.
Wir lassen das Gebirge hinter uns und zunächst bin ich etwas enttäuscht, dass die Palmen und der Strand dahinter dem in Palilan sehr ähneln. Doch dann kommt der Hafen in Sicht und ich staune nicht schlecht. Weiße Häuser aus Stein mit Dächern in der Farbe von Mangos. Ich habe davon gelesen, Zeichnungen gesehen, aber sie nun wirklich zu erblicken, ist etwas völlig anderes. Mehr Schiffe, als ganz Palilan besitzt, liegen im Hafen und ein fremder Geruch erfüllt die Luft. Mutter ergreift meine Hand und mustert mich, das sehe ich aus dem Augenwinkel, kann meinen Blick aber nicht von der fremden Stadt lösen. Wie meine Lele prophezeit hat, warten einige Menschen am Pier. Sie rufen mehr Leute heran und die Menge wird zusehends größer. Dann stehen sie still da, in ihrer merkwürdigen Kleidung, und starren unser Schiff an. Unsere Männer machen sich bereit anzulegen, weshalb Mutter und ich beiseitetreten. Ich vermeide es, zu den Süd-Merendanern zu schauen, und beobachte angestrengt Nalu, der mit zwei weiteren Männern die Segel einholt.
»Sag dem Meer Lebewohl, mein Kind. Du wirst es für lange Zeit nicht sehen«, flüstert Lele mir ins Ohr. Ich genieße ein letztes Mal den Anblick des sich sanft wogenden Blaus, das mir so vertraut ist wie meine eigene Haut. Die Sonne steht schon hoch am Himmel und lässt es ein wenig glitzern.
»Me hene no kano«, verabschiede ich mich in der Sprache meiner Ahnen. Es war Rasmus’ Urgroßvater, der sie uns als Muttersprache verboten hat. Seitdem muss jedes Palilokind zuerst Valeanisch lernen. Ich kann die Beweggründe verstehen, man sollte im Großkönigreich Valean eine gemeinsame Sprache sprechen, doch es tut mir trotzdem leid um die verschiedenen Kulturen der einzelnen Königreiche. Ein Ruck geht durch das Schiff, als der Anker sich in den Meeresgrund gräbt, um es dem Pier entgegenzudrehen. Ich muss mich an meiner Lele festhalten, um nicht zu fallen. Sanft stoßen wir gegen den Steg, und die ersten Palilos springen von Bord, um die Taue festzuziehen.
»Seemannsbeine hast du keine, was?«, zieht mich Nalu auf und er kann froh sein, dass er über mir in einem Mast hängt, um die geschlossenen Segel festzuzurren, sonst hätte ich ihn gezwickt. Ein Palilo öffnet einen Teil der Reling und fährt die Planke aus. Ich starre darauf, als wäre sie aus Feuer. Wenn ich jetzt das Schiff verlasse, betrete ich ein fremdes Land, lasse das letzte bisschen Palilan, das mir unter den Füßen noch bleibt, hinter mir. Die Männer auf dem Schiff stimmen ein Lied an und ich bin ihnen sehr dankbar dafür, denn das bedrückende Schweigen der Merendaner hängt fast schon bedrohlich in der Luft. Nalu eilt an meine Seite und reicht mir die Hand. Er grinst mich an.
»Bereit?«
Ich versuche tief durchzuatmen und nicke ihm zu. Es verlangt all meinen Mut, seine Hand zu ergreifen und mich über die Planke zum Steg führen zu lassen. Der Gesang meiner Landsleute geleitet mich an Land, hin zu den fremden Menschen. Ich versuche jeden Blickkontakt zu vermeiden und presse mich etwas näher an Nalu. Gemeinsam mit mir wartet er zwischen den Merendanern darauf, dass die anderen uns mit dem Karren folgen. Sie haben einige Schwierigkeiten, ihn vom Schiff zu bekommen, und er passt nur so gerade auf den Steg. Es ist unangenehm, hier zu stehen und angestarrt zu werden, aber ich versuche mich auf den Geruch des Meers und die warmen Strahlen der Sonne auf meiner Haut zu konzentrieren. Das Lied der Palilos endet und ich nehme das erste Mal leises Flüstern um mich herum wahr.
»Sie sieht aus wie eine Bettlerin«, höre ich eine weibliche Stimme sagen.
»Das Kleid ist keiner Adligen würdig.« Ein Mann, dessen Satzmelodie ganz fremdartig klingt.
»Aber sie ist wunderschön«, findet eine junge Merendanerin und ich muss ein bisschen schmunzeln. Vorsichtig lasse ich meinen Blick schweifen. Die Menschen sind den Palilos gar nicht so unähnlich. Sie haben dunkle Haare, nur dass die Männer ihre kurz tragen. Ihre Haut ist genauso sonnenverwöhnt wie meine, nur ihre Kleidung sieht ganz anders aus. Die Röcke der Frauen sind nicht ausladend, aber einfarbig, ohne Muster. Die Männer haben lange Hosen und Oberteile an. Die Palilos, die Lele und mich begleiten, tragen kurze Hosen und ihre Oberkörper sind nackt. Ich weiß, dass sie andere Kleidung dabeihaben, aber bisher machen sie noch keine Anstalten, sich zu bedecken. Viele Männer und Frauen um mich herum haben Hüte auf dem Kopf wie unsere Alten, deren Haare ausgefallen sind. Lele steht noch auf dem Steg bei Kimo, der eine Karte ausrollt. Kimo gehört zum Stammesrat und wird uns helfen nach Kingsplains zu gelangen. Der Karren hat es endlich heil auf das Festland geschafft. Abwartend sehen wir alle zu Kimo und meiner Mutter, während ein Palilo etwas Brot und geräucherten Fisch, eingewickelt in Bananenblätter, herumreicht. Schnell Verderbliches müssen wir von unserem Proviant zuerst aufbrauchen.
»Sie essen im Stehen«, echauffiert sich eine Frau und mein Blick wandert unbedacht zu ihr. Überrascht starren wir uns gegenseitig an, bis ich mich eines Besseren besinne und die Augen einen Moment schließe. Auch ich bekomme etwas zu essen und ich kann aus dem Gemurmel um mich herum heraushören, dass man sich darüber wundert, dass ich nicht als Erste dran war. Das sollte ich den Männern sagen, damit wir beim nächsten Mal damit nicht mehr anecken. Ich ahne, dass unser ganzes Vorhaben nicht einfach werden wird, und beiße in das Stück Brot.
»Prinzessin?«, spricht Nalu mich an, wie er es für die Zeit der Reise tun soll. »Wollt Ihr Euch nicht zumindest auf den Karren setzen?« Eindringlich mustert er mich mit seinen goldbraunen Augen. Ich nicke und lasse mich von ihm hinübergeleiten. Er hebt mich auf die Ladefläche des Karrens und hilft mir den Stoff meines Kleides zu sortieren. Vorsichtig, um ihn nicht schon zu versauen, esse ich von dem Fisch, löse mit meinen Fingern das zarte Filet von den Gräten, während Lele und Kimo sich einig geworden zu sein scheinen. Es ist merkwürdig, dass man mich beim Essen beobachtet, aber ich weiß aus dem Unterricht mit Kanani, dass das in einigen Königreichen von Valean so Tradition ist. Das Volk wird eingeladen von einer Empore aus dem König beim Speisen zuzusehen. Damit will man zeigen, dass es dem Land gut geht, und am Ende fällt für die Leute auch noch etwas ab. Für mich klingt das völlig verrückt, man könnte auch einfach zusammen essen. Aber so wie ich unsere Traditionen ehre, versuche ich auch andere Kulturen zu respektieren. Meine Meinung dazu werde ich also für mich behalten. Ein dumpfes Gefühl in meiner Brust verrät mir ohnehin, dass alles, was ich gelernt habe, nicht ausreichen wird.
»Sie stehen einfach nur da und starren«, beschwert sich Nalu mit gepresster Stimme neben mir. »Geht es dir gut?«
»Ja, mir wäre nur wohler, wenn wir uns auf den Weg machten.«
Er nickt mir verständnisvoll zu. »Es geht bestimmt gleich weiter.« Sein Blick schweift zu den weißen Häusern, deren Farbe die Wärme der Sonne abhalten soll. »Ob es in den Steinen kühl ist?«
Eine Antwort auf diese Frage werden wir vorerst nicht bekommen, denn Kimo will aufbrechen. Ein paar Palilos greifen den Karren mit mir darauf und drehen ihn. Vermutlich geziemt es sich für eine Prinzessin, hier sitzen zu bleiben? Ich bezweifle, dass im Hofzeremoniell dazu etwas steht, und wenn, dann habe ich es wieder vergessen. Es ist Jahre her, dass Kanani und ich darin unterrichtet wurden. Die Worte »Prinzessin« und »Karren« gehören jedoch sicher nicht zusammen. Ich bleibe trotzdem, wo ich bin, und halte den Fisch fest, damit er bei dem Geschaukel nicht herunterfällt. Während wir uns langsam vom Hafen entfernen, schauen die Menschen uns nach, doch ich halte meinen Blick gesenkt und beiße von einem Stück Brot ab. Wir wirken nicht wie ein Trupp Hochgeborener auf dem Weg zum Großkönig. Eher wie fahrendes Volk, von dem meine Lele mir erzählt hat. Ihre Haut soll ohne Sonne von Geburt an fast die Farbe unserer haben. Sie haben keine Heimat, reisen von Land zu Land mit Pferdewagen und zu Fuß. Nur nach Palilan kommen sie aufgrund der Gebirgskette nicht. Lele sagt, dass sie ungefähr so gern gesehen sind wie wir. Allerdings sprach sie immer sehr liebevoll über diese Menschen. Einer der Männer, die hinter dem Karren unseren kleinen Trupp begleiten, singt leise ein Lied und ich betrachte die Palmen am Straßenrand, deren Blätter sanft vom Wind geschaukelt werden. Ein eigenartiger Duft kitzelt meine Nase, den ich nicht benennen kann. So etwas habe ich noch nie gerochen. Würzig, aber sehr mild. Irgendwie auch süßlich. Das vertraute Meeresrauschen ist schon nach kurzer Zeit nicht mehr zu hören. Wir bewegen uns ins Landesinnere.
»Wie lange brauchen wir, um Merenda zu durchqueren?«, frage ich laut und hoffe, dass Kimo mich hört. Merenda ist nicht sehr groß, es schlängelt sich auf der Karte an der Küste entlang, und wenn wir landeinwärts gehen, dürften wir nicht allzu lange brauchen.
»Zwei Tagesmärsche«, antwortet Kimo. »Wenn wir nicht aufgehalten werden.«
Zwei Tage … und dann haben wir gerade mal das kleine Merenda geschafft. Meine Gedanken waren immer so sehr mit dem Schloss und Rasmus beschäftigt, dass ich die wochenlange Wanderung dorthin und auch wieder zurück fast verdrängt habe. Wir sind dreizehn Menschen. Elf Palilos, meine Lele und ich. Vielleicht sollte ich die Zeit nutzen, jeden von ihnen kennenzulernen.
***
Am nächsten Tag endet die gepflasterte Straße und wird zu einem Schotterweg. Ich trage eins meiner einfachen Kleider und auch die Männer haben sich nun eine Oberbekleidung übergestreift. Um Siedlungen haben wir dennoch einen Bogen gemacht. Die Straße führt zwar immer wieder an ihnen vorbei, doch noch haben wir alles, was wir benötigen, auf unserem Karren. Wir müssen kein Essen kaufen und schlafen einfach unter freiem Himmel. Das Land verändert sich zusehends. Die Erde hat eine leicht rötliche Farbe und Palmen oder Sträucher werden immer seltener. Wasser gibt es fast nirgends und ich bin froh um unsere zwei mitgebrachten Fässer. Die Sonne begleitet uns und zeigt ihre Pracht am wolkenlosen Himmel. Ohne den kühlenden Wind vom Meer oder einen Schatten spendenden Baum fühlt sich ihre Wärme nicht angenehm an. Die karge Einöde ist beklemmend und ich frage mich, ob der Boden fruchtbar genug ist, damit die Menschen Nahrung anbauen können. Die nächste kleine Siedlung kommt in Sichtweite und ich wechsle automatisch auf die andere Seite des Karrens, damit man mich nicht so schnell sieht. Ich trage kaum etwas Besseres als die normalen Bürgersfrauen.
»Wer seid Ihr?«, höre ich die Stimme einer alten Frau, als wir näher zum Dorf kommen.
»Wir sind die Abgesandten aus Palilan«, antwortet Kimo. »Wir bringen unsere Prinzessin zum Schloss von Großkönig Rasmus, wie uns befohlen wurde.«
Ich versuche mich klein zu machen, sicherlich sucht man jetzt mit Blicken nach mir.
»Es ist nur eine alte Frau am Wegesrand«, raunt mir Nalu zu. »Sie scheint kaum noch etwas sehen zu können und hat bis gerade an einen Stein gelehnt gesessen.«
Ich strecke meinen Körper wieder durch und erspähe die Frau mit den weißen Haaren. Ihr Rock ist am Saum ganz zerfetzt und der schmale Ärmel ihres Oberteils ist an einer Schulter nach unten gerutscht. Sie wirkt dürr und Nalu hat recht, ihr Blick ruht neben uns.
»Können wir Euch nach Hause begleiten?«, fragt meine Lele und geht auf die Frau zu.
»Ich suche meinen Sohn. Er wollte Wasser aus dem Brunnen holen.«
»Wohnt Ihr hier in der Siedlung?«
»Mein Sohn wollte Wasser holen.«
Die arme Frau scheint völlig verwirrt. Ich fülle einen aus Ton gefertigten Becher mit Wasser.
»Hier, trinkt das.« Ich halte der Frau das Getränk so hin, dass sie es mit ihren Fingern ertasten kann. Sie setzt den Becher an ihre Lippen und leert ihn in wenigen Zügen.
»Danke.« Sie hält mir das leere Gefäß mit zittrigen Händen hin. »Ist mein Sohn da?«
Lele tauscht einen Blick mit mir. »Er ist bestimmt schon zu Hause. Kommt, wir nehmen Euch mit bis in die Siedlung.«
»Ja, ja, vielleicht ist Rico schon da«, faselt die Alte. »Er ist so ein guter Junge. Ein guter Junge.«
Mehrfach versuchen wir mit ihr zu sprechen, herauszufinden, wie sie heißt, doch sie redet nur wirres Zeug. Als wir an der Siedlung ankommen, treffen wir auf einen kleinen Jungen. Er steht an einem Brunnen, und als er uns erblickt, rennt er los in eins der Häuser. Diese sind längst nicht so schön weiß wie in Kattalina und viele Dächer sind eingefallen. Der Junge kommt wieder heraus, ihm folgt ein Mann in abgewetzten Kniebundhosen und einer vor Dreck starrenden Weste.