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Das Lied von Bernadette ist ein 1941 erschienener Roman
von Franz Werfel, der das Leben der heiligen Bernadette Soubirous von Lourdes beschreibt.
Franz Werfel hatte auf der Flucht vor den Nationalsozialisten mit seiner Frau Alma im Sommer 1940 für mehrere Wochen Herberge in Lourdes gefunden, bevor es ihnen möglich war, über die Pyrenäen und weiter nach Amerika zu fliehen. Franz Werfel schreibt in seinem Vorwort zu dem Roman, dass er auf diese Weise die wundersame Geschichte des Mädchens Bernadette Soubirous kennenlernte. In seiner großen Bedrängnis habe er eines Tages ein Gelübde abgelegt: wenn er die rettende Küste Amerikas erreiche, werde er als erstes vor jeder anderen Arbeit „das Lied von Bernadette singen“, so gut er es könne:
„Ich habe es gewagt, das Lied von Bernadette zu singen, obwohl ich kein Katholik bin, sondern Jude. Den Mut zu diesem Unternehmen gab mir ein weit älteres und viel unbewußteres Gelübde. Schon in den Tagen, da ich meine ersten Verse schrieb, hatte ich mir zugeschworen, immer und überall durch meine Schriften zu verherrlichen das göttliche Geheimnis und die menschliche Heiligkeit – des Zeitalters ungeachtet, das sich mit Spott, Ingrimm und Gleichgültigkeit abkehrt von diesen letzten Werten unseres Lebens.“
In Amerika angekommen, schrieb Werfel den Roman in nur fünf Monaten nieder. Er wurde Werfels kommerziell erfolgreichstes Werk.
Franz Viktor Werfel (* 10. September 1890 in Prag, Österreich-Ungarn; † 26. August 1945 in Beverly Hills) war ein österreichischer Schriftsteller jüdisch-deutschböhmischer Herkunft. Er flüchtete vor der nationalsozialistischen Herrschaft ins Exil und wurde 1941 US-amerikanischer Staatsbürger. Er war ein Wortführer des lyrischen Expressionismus.
In den 1920er und 1930er Jahren waren seine Bücher Bestseller. Seine Popularität beruht vor allem auf seinen erzählenden Werken und Theaterstücken, über die aber Werfel selbst seine Lyrik setzte. Mit seinem Roman Verdi. Roman der Oper (1924) wurde Werfel zu einem Protagonisten der Verdi-Renaissance in Deutschland. Besonders bekannt wurden sein zweibändiger historischer Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh 1933/47 und Das Lied von Bernadette aus dem Jahr 1941. Sein letzter Roman Stern der Ungeborenen von 1945 offenbart Werfels Dante-Rezeption.
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The sky is the limit
Erste Reihe Wiedererweckung des 11. Februar 1858
Ein persönliches Vorwort
Kapitel Eins. Im Cachot
Kapitel Zwei. Massabielle, ein verrufener Ort
Kapitel Drei. Bernadette weiß nichts von der Heiligen Dreifaltigkeit
Kapitel Vier. Café Progrès
Kapitel Fünf. Kein Reisig mehr
Kapitel Sechs. Das Wut- und Wehgeheul des Gave
Kapitel Sieben. Die Dame
Kapitel Acht. Die Fremdheit der Welt
Kapitel Neun. Frau Soubirous gerät außer sich
Kapitel Zehn. Bernadette darf nicht träumen
Zweite Reihe Wollen Sie mir die Güte erweisen
Kapitel Elf. Ein Stein saust nieder
Kapitel Zwölf. Die ersten Worte
Kapitel Dreizehn. Boten der Wissenschaft
Kapitel Vierzehn. Eine geheime Beratung, die unterbrochen wird
Kapitel Fünfzehn. Die Kriegserklärung
Kapitel Sechzehn. Die Dame und die Gendarmerie
Kapitel Siebzehn. J. B. Estrade kommt von der Grotte
Kapitel Achtzehn. Dechant Peyramale fordert ein Rosenwunder
Kapitel Neunzehn. Anstatt des Wunders ein Ärgernis
Kapitel Zwanzig. Wetterleuchten
Dritte Reihe Die Quelle
Kapitel Einundzwanzig. Der Tag nach dem Ärgernis
Kapitel Zweiundzwanzig. Der Tausch der Rosenkränze oder: Sie liebt mich
Kapitel Dreiundzwanzig. Ein Louisdor und eine Ohrfeige
Kapitel Vierundzwanzig. Das Kind Bouhouhorts
Kapitel Fünfundzwanzig. Du spielst mit dem Feuer, o Bernadette
Kapitel Sechsundzwanzig. Nachbeben oder Äffen des Mirakels
Kapitel Siebenundzwanzig. Das Feuer spielt mit dir, o Bernadette
Kapitel Achtundzwanzig. A. Lacadé wagt einen Staatsstreich
Kapitel Neunundzwanzig. Ein Bischof ermißt die Folgen
Kapitel Dreißig. Der Abschied aller Abschiede
Vierte Reihe Die Schatten der Gnade
Kapitel Einunddreißig. Sœur Marie Thérèse verläßt die Stadt
Kapitel Zweiunddreißig. Der Psychiater greift in den Kampf ein
Kapitel Dreiunddreißig. Digitus Dei oder der Bischof gibt der Dame eine Chance
Kapitel Vierunddreißig. Eine Analyse und zwei Majestätsbeleidigungen
Kapitel Fünfunddreißig. Die Dame besiegt den Kaiser
Kapitel Sechsunddreißig. Bernadette unter den Weisen
Kapitel Siebenunddreißig. Eine letzte Versuchung
Kapitel Achtunddreißig. Die weiße Rose
Kapitel Neununddreißig. Die Novizenmeisterin
Kapitel Vierzig. Das ist meine Stunde noch nicht
Fünfte Reihe Das Verdienst des Leidens
Kapitel Einundvierzig. Feenhände
Kapitel Zweiundvierzig. Viel Besuch auf einmal
Kapitel Dreiundvierzig. Das Zeichen
Kapitel Vierundvierzig. Nicht für mich fließt diese Quelle
Kapitel Fünfundvierzig. Der Teufel bedrängt Bernadette
Kapitel Sechsundvierzig. Die Hölle des Fleisches
Kapitel Siebenundvierzig. Der Blitz von Lourdes
Kapitel Achtundvierzig. Ich habe nicht geliebt
Kapitel Neunundvierzig. Ich liebe
Kapitel Fünfzig. Das fünfzigste Ave
Handelnde Personen
In den letzten Junitagen des Jahres 1940, nach dem Zusammenbruch Frankreichs, kamen wir auf der Flucht von unserem damaligen Wohnort im Süden des Landes nach Lourdes. Wir, meine Frau und ich, hatten gehofft, noch rechtzeitig über die spanische Grenze nach Portugal entweichen zu können. Da jedoch sämtliche Konsuln einmütig die notwendigen Visa verweigerten, blieb uns nichts anderes übrig, als in derselben Nacht, da die Grenzstadt Hendaye von den deutschen Truppen besetzt wurde, unter großen Schwierigkeiten ins Innere Frankreichs zu flüchten. Die Départements der Pyrenäen waren zu einem phantastischen Heerlager des Chaos geworden. Die Millionen dieser seltsamen Völkerwanderung irrten auf den Landstraßen umher und verstopften die Städte und Dörfer: Franzosen, Belgier, Holländer, Polen, Tschechen, Österreicher, exilierte Deutsche und dazwischen die Soldaten der geschlagenen Armeen. Nur höchst notdürftig konnte man seinen Hunger stillen. Obdach aber gab es überhaupt keines mehr. Wer irgendeinen gepolsterten Stuhl eroberte, um die Nacht darauf zu verbringen, wurde viel beneidet. In endlosen Reihen standen die mit Hausrat, Matratzen, Betten hochbeladenen Autos der Flüchtlinge unbeweglich, denn Treibstoff war nicht mehr vorhanden. In Pau hörten wir von einer dort ansässigen Familie, Lourdes sei der einzige Ort, wo ein vom Glück Begünstigter vielleicht noch Unterkunft finden könne. Da die berühmte Stadt nur dreißig Kilometer entfernt lag, so riet man uns, den Versuch zu wagen und an ihre Pforten zu pochen. Wir gehorchten diesem Rat und fanden endlich Herberge.
François Soubirous erhebt sich in der Finsternis. Es ist Punkt sechs. Seine silberne Uhr, Hochzeitsgeschenk der klugen Schwägerin Bernarde Casterot, besitzt er längst nicht mehr. Die Quittung der städtischen Pfandleihanstalt über sie und über einige andere magere Schätze ist bereits seit vorigem Herbste verfallen. Soubirous weiß, es ist Punkt sechs, obwohl die Glocken der Pfarrkirche von Saint Pierre noch nicht zur Frühmesse geläutet haben. Arme Leute haben die Zeit im Gefühl. Sie wissen auch ohne Zifferblatt und Glockenton, was die Uhr geschlagen hat. Arme Leute haben immer Angst, zu spät zu kommen.
Die Rue des Petites Fossées ist eine der schmalen Gassen, die den Burgfelsen von Lourdes umlagern. Sie steigt winkelzügig an, ehe sie in den Stadtplatz Marcadale mündet. Es ist hell geworden. Man sieht aber dennoch nur wenige Schritte weit. Der Himmel hängt tief herab. Ein Vorhang, gewirkt aus Regen und dicken Schneeflocken, schlägt Soubirous ins Gesicht. Die Welt ist leer und stumpf. Nur die Clairons der Dragonereskadron auf dem Kastell und in der Nemours-Kaserne unterbrechen mit ihren morgendlich spritzigen Signalen die Öde. Obwohl hier unten im Gave-Tal der Schnee nicht liegenbleibt, dringt die eisige Kälte in sonderbaren Stößen bis in die Knochen. Es ist der Anhauch der Pyrenäen, die hinter den Wolken lauern, die schneidende Botschaft der gedrängten Kristallhäupter, vom Pic du Midi bis zum furchtbaren Dämon Vignemal, dort zwischen Frankreich und Spanien.
Hinterm Lehrertisch sitzt Sœur Marie Thérèse Vauzous, eine der Klosterfrauen von Nevers, die an das Hospital und die ihm angeschlossene Mädchenschule in Lourdes abgeordnet sind. Sœur Marie Thérèse ist noch jung, und sie könnte für schön gelten, wenn ihr Mund nicht allzu schmal und ihre hellblauen Augen nicht allzu eingesunken wären. Die Blässe des feingeformten Gesichtes wirkt unter dem schneeweißen Haubenvorstoß krankhaft gelblich. Die langgefiederten Hände deuten auf ausgezeichnete Herkunft. Wenn man aber näher hinsieht, so sind diese adligen Hände rot und aufgesprungen. Was die erbarmungslosen Zeichen der Strenge und Abtötung anbetrifft, so bietet die Nonne Vauzous zweifellos das Bild einer mittelalterlichen Heiligen dar. Der Katechet von Lourdes, Abbé Pomian, der ein feiner Spötter ist, sagt von ihr: »Die gute Sœur Marie Thérèse ist weniger eine Braut als eine Amazone Christi.« Er kennt die Klassenlehrerin Vauzous ziemlich genau, da sie ihm als Gehilfin beim Religionsunterricht der Mädchen zugeteilt ist. (Die seelsorgerliche Pflicht führt den Kaplan Pomian viel in den Dörfern und Märkten des Kantons umher, so daß er oft tagelang von Lourdes abwesend ist. Er selbst pflegt sich dann einen Commis Voyageur Gottes zu nennen. Sein Oberer, der Dechant Peyramale, verabscheut dergleichen witzige Aperçus.) Marie Thérèse Vauzous bereitet die Kinder unter Pomians Leitung zur Erstkommunion vor, die im Frühjahr stattfindet.
Auf dem Stadtplatz Marcadale, wo zumeist sich das öffentliche Leben von Lourdes abspielt, liegt zwischen den beiden großen Speisehäusern das Café Français. Es ist nicht weit entfernt von der Haltestelle der Postomnibusse, von dem wichtigsten Einfallspunkt der großen Welt in die kleine Welt des Pyrenäenstädtchens. Der Cafétier, Monsieur Duran, hat unter erheblichem Kostenaufwand das Lokal im vorigen Jahre neu eingerichtet. Roter Plüsch, Marmortische, Spiegelscheiben, ein riesiger Kachelofen, der einem zinnengekrönten römischen Wachtturm gleicht. Dank dieser Festung von einem Ofen ist das Café Français der bestgeheizte Raum von Lourdes. Herr Duran aber sorgt nicht nur für Wärme, er sorgt auch für Licht. Er hat eine neuartige Form der Beleuchtung eingeführt. Starke, grünbeschirmte, dauerhaft strahlende Petroleumlampen, die, an waageförmigen Stangen befestigt, von der Decke herabhängen und ihren weißlich heimeligen Schein über die Marmortische gießen. Der Cafétier ist überzeugt davon, daß in dem neuerungstollen Paris, das jeder modernen Erfindung atemlos nachläuft, nur sehr wenige Gaststätten mit solchem Lichte gesegnet sind. Duran ist im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute kein besonders sparsamer Mann. Er läßt sein Licht auch am Tage leuchten, wenn es nötig ist, wie zum Beispiel heute, da die Winterdämmerung nicht weichen will. Er geht in seiner Großmut noch weiter. Nicht beim materiellen Lichte läßt er es bewenden. Er ist bestrebt, geistiges Licht zu verbreiten. Zu diesem Zwecke hängen an den Kleiderrechen, wohleingerahmt, eine Menge der großen Pariser Zeitungen, deren Abonnementsspesen der Inhaber des Café Français nicht scheut. »Le Siècle« ist vorhanden, »L'Ère Impériale«, »Le Journal des Débats«, »La Revue des Deux Mondes«, »La Petite République«. Jawohl, auch diese »Petite République«, ein höchst revolutionäres Blatt, gegen den Kaiser und seine Regierung gerichtet, eine kampflustige Gazette, hinter der, wie jedermann weiß, Louis Blanc in Person steht, der sozialistische Gottseibeiuns. Daß »Le Lavedan«, das Wochenblatt von Lourdes, aufliegt, muß nicht eigens erwähnt werden. Die Redaktion hat mit Herrn Duran ein beiderseits günstiges Abkommen getroffen, demzufolge jeden Donnerstag vier Exemplare des frischen »Lavedan« auf den Marmortischen zu liegen haben. Im Hinblick auf all diese Bemühungen um die geistige Verpflegung seines Gästekreises ist es zu verstehen, daß Durans ehrgeiziges Café Français von manchen Leuten auch »Café Progrès« genannt wird.
Noch ehe Bernadette und Marie aus der Schule heimgekommen sind, tauchen die beiden Kleinen im Cachot zum Mittagessen auf. Das ältere der Brüderchen, Jean Marie, macht ein verwegen schlaues Gesicht, als hätte er ein Abenteuer siegreich bestanden. Das hat er auch. Nach der letzten Vormittagsmesse, die der Dechant Peyramale meist selbst zu lesen pflegt, ist die Pfarrkirche fast immer menschenleer. Um diese Zeit schlich sich der siebenjährige Jean Marie in die kleine Seitennische, wo das Madonnenbild steht, das in Lourdes von den Frauen sehr verehrt wird. Dort brennen auf einem eisernen Rost vor der Muttergottes viele geweihte Kerzen. Jean Marie hat ein paar Klumpen des geschmolzenen Wachses zusammengekratzt und bringt sie nun treuherzig der Mutter nach Hause: