DAS MÄDCHEN MIT DREI NAMEN - Peter Chambers - E-Book

DAS MÄDCHEN MIT DREI NAMEN E-Book

Peter Chambers

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Beschreibung

Ich parkte vor der Villa Montana und vergewisserte mich, ob ich nichts einigermaßen Wertvolles in meinem Chevrolet zurückgelas­sen hatte. Villa Montana war ein malerischer Name für ein male­risches Anwesen. Der Name beschwor das alte Spanien, rosenumrankte Balkone und stolze, fächerwedelnde Schönheiten. Malerisch. Das so benannte Gebäude war ein achtstöckiges Appartementhaus mit flacher Fassade und befand sich in den letzten Stadien des Ver­falls. Die ehemals weißen Wände waren nun bräunlich grau, und es stand jedem frei, nach Belieben auf die ursprüngliche Farbe des Anstrichs zu schließen. Hier, im Hafenviertel, hatte sich der Stadt­dunst in Nebel verwandelt, der mich feuchtkalt einhüllte, als ich dastand und die Außenseite von Ruby Capones letztem Domizil betrachtete...

 

Der Roman Das Mädchen mit drei Namen des britischen Kriminal-Schriftstellers Peter Chambers (* 17. August 1924; † 01. Januar 2006) erschien erstmals im Jahr 1963; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1964.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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PETER CHAMBERS

 

 

Das Mädchen mit drei Namen

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DAS MÄDCHEN MIT DREI NAMEN 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Das Buch

 

 

Ich parkte vor der Villa Montana und vergewisserte mich, ob ich nichts einigermaßen Wertvolles in meinem Chevrolet zurückgelassen hatte. Villa Montana war ein malerischer Name für ein malerisches Anwesen. Der Name beschwor das alte Spanien, rosenumrankte Balkone und stolze, fächerwedelnde Schönheiten. Malerisch. Das so benannte Gebäude war ein achtstöckiges Appartementhaus mit flacher Fassade und befand sich in den letzten Stadien des Verfalls. Die ehemals weißen Wände waren nun bräunlich grau, und es stand jedem frei, nach Belieben auf die ursprüngliche Farbe des Anstrichs zu schließen. Hier, im Hafenviertel, hatte sich der Stadtdunst in Nebel verwandelt, der mich feuchtkalt einhüllte, als ich dastand und die Außenseite von Ruby Capones letztem Domizil betrachtete... 

 

Der Roman Das Mädchen mit drei Namen des britischen Kriminal-Schriftstellers Peter Chambers (* 17. August 1924; † 01. Januar 2006) erschien erstmals im Jahr 1963; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1964. 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur. 

  DAS MÄDCHEN MIT DREI NAMEN

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Aus dem Dunst vor dem Fenster drang plötzlich ein dünner Strahl wässerigen Sonnenlichts und fiel direkt auf einen Staubfleck der ansonsten blitzblanken Oberfläche meines Schreibtischs. Verärgert starrte ich darauf nieder. Zwanzig Minuten lang hatte ich die spiegelglatte Tischplatte bewundert, und jetzt zeigte sich ein Fleck! Der Summer der Sprechanlage ertönte, und ich drückte die Taste nieder.

»Ja?«

»Da ist ein Mr. Benson und will Sie sprechen, Mr. Preston«, kam Florence Digbys kühle, unpersönliche Stimme aus dem Lautsprecher.

»Nun, ich bin ziemlich beschäftigt, Miss Digby. Machen Sie einen Termin aus, ja?«

Es war vier Uhr nachmittags. Was immer mir der Rest des Tages noch bescheren mochte, auf einen Mann namens Benson konnte ich verzichten. Aber bevor ich den Apparat abschalten konnte, meldete sich wieder Florence.

»Mr. Benson ist aus San Francisco, Mr. Preston. Er muss noch heute Abend dorthin zurück.«

Ich unterdrückte die Resignation in meiner Stimme und sagtet »Na schön. Bitten Sie ihn herein.«

Ein paar Sekunden später öffnete Florence die Tür, und ich erblickte meinen Besucher. Er war um die Sechzig, mit einem ausgeprägten, zerklüfteten Gesicht und harten, schwarzen Augen. Eine ungebärdige weiße Mähne bedeckte das mächtige Haupt. Er war mittelgroß und breitschultrig. Falls er für den dunkelgrauen Anzug weniger als 300 Dollar gezahlt hatte, war das ein Betrug an dem Schneider.

»Mr. Preston?«

»Sehr erfreut, Mr. Benson.«

Ich stand auf, und wir tauschten einen kurzen Händedruck. Seine Handfläche war kühl und trocken, sein Zugriff fest. Die schwarzen Augen musterten mich von Kopf bis Fuß und machten sich dann mit der Umgebung vertraut. Er nahm im Besuchersessel Platz und wies die angebotene Zigarette zurück. Seine Haltung war befehlsgewohnt, aber nicht aufdringlich. Eine innere Stimme sagte mir, ich müsse den Mann schon irgendwo gesehen haben, aber ich konnte ihn nirgends unterbringen. Bis jetzt hatte er nichts als meinen Namen ausgesprochen, also war ich etwas überrascht, als ich bei seinen nächsten Worten einen unverkennbaren Akzent feststellte. Einen Akzent, der die Entfernung zwischen der Bucht von San Francisco und dem Golf von Neapel einigermaßen zusammenschrumpfen ließ. »Kann die Dame draußen uns hören?«

»Nein. Die Tür ist acht Zentimeter dick«, antwortete ich. »Okay.« Er richtete die schwarzen Augen wieder auf mich. »Man sagte mir, Sie sind ein gerissener Bursche.«

»Man? Wer ist das?«

Er zuckte die Achseln.

»Die Leute. Sie wissen schon. Hier, dort. Überall. Sie sind kein Unbekannter.«

Mit gebotener Vorsicht warf ich ein: »Dann werden Sie auch erfahren haben, dass ich nicht billig bin.«

Er grinste kurz. In dem einen Mundwinkel glitzerte eine Goldkrone auf, bis er die Lippen wieder schloss.

»Ich will immer das Beste. Wer das Beste will, muss dafür zahlen. Ist doch klar.«

Fast unbewusst strich seine linke Hand über das tadellose Revers seines Sakkos. Mir schien, er müsste eigentlich über das Stadium hinaus sein, da man allen Leuten erzählt, was alles gekostet hat, aber irgendwie hafteten ihm jene Zeiten noch an.

»Gewiss, man hat mir von Ihnen erzählt. Außerdem habe ich über Sie nachgedacht, bevor ich hergekommen bin. Ich sage mir, ein Bursche, der gerissen ist und eine Menge Geld verdient, der hält auch seinen Mund. Zumal in Ihrer Branche.«

Das sah ganz so aus, als sollte ich in etwas hineingezogen werden, wogegen es gesetzliche Einwände gab.

»Mr. Benson«, erwiderte ich langsam, »Sie haben mir den Grund Ihres Hierseins noch nicht verraten, es ist also kein Schaden angerichtet. Noch nicht. Lassen Sie mich also etwas erklären, bevor Sie weitersprechen. Ja, ich verstehe sehr wohl, meinen Mund zu halten. Aber ich lasse mich nicht in Sachen ein, wo ich den Mund halten muss, weil ich sonst im Gefängnis lande. Falls Sie mir also etwas – äh – Illegales vorschlagen wollten, ist es besser, wir verabschieden uns gleich, und nichts für ungut.«

Das Grinsen war diesmal breiter, und dementsprechend glitzerte nicht eine Goldkrone, es glitzerten deren zwei.

»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Aber keine Sorge. Mein Anliegen ist weder schmutzig noch krumm, völlig legal, Ehrenwort. Aber es ist vertraulich.«

»Also gut. Schießen Sie los«, forderte ich ihn auf.

Er nickte und fuhr sich mit den dicken Fingern durch die widerspenstige weiße Mähne.

»Fangen wir gleich mit den Namen an«, sagte er. »Sie sitzen da und zerbrechen sich den Kopf, woher Sie mich kennen. Ich werde Ihnen die Mühe abnehmen. Ich heiße nicht Benson, sondern Benito. Rudy Benito.«

Deshalb. Es war allerdings schon einige Zeit her, seit sein Bild täglich in den Zeitungen prangte. Damals hatte er zudem schwarzes Haar besessen, darum war ich nicht gleich daraufgekommen, wen ich vor mir hatte. Rudy Benito... Im Laufe der Zeit hatte man ihn so gut wie eines jeden Verbrechens beschuldigt, das im Strafgesetzbuch verzeichnet stand. Anfangs, während seiner Lehrjahre, hatte man ihn tatsächlich ein paarmal erwischt. Später machte er dann Karriere und stieg in Gangsterkreisen zur Elite auf. Der vornehme Boss, der an ehrenhaften Unternehmungen ebenso beteiligt ist wie an solchen, die das Licht scheuen. In der Gegend von San Francisco wagte niemand auch nur einen simplen Tankstellenüberfall ohne Benitos Erlaubnis. Andernfalls wurde man nachts zum Hindernisschwimmen abkommandiert. Das Hindernis bestand aus einem Betonklotz an den Füßen. Florence Digby hatte gewaltig untertrieben mit ihrer Behauptung, unser Besucher sei aus San Francisco. Benito war der Zar von San Francisco.

»Der Name ist mir vertraut, Mr. Benito«, sagte ich,

»Kann ich mir vorstellen«, gab er trocken zurück. »Was also will ich von Ihnen? Das fragen Sie sich doch die ganze Zeit?«

Ich neigte zustimmend den Kopf.

»Es ging mir durch den Sinn. Einerseits verfügen Sie – wenn meine Informationen nicht allzu überholt sind – ohnehin über eine große Anzahl von – äh – Geschäftsbeziehungen. Mit Leuten, die alles tun könnten, was ich auch kann, wahrscheinlich sogar schneller. Diesen Leuten stünden zum Beispiel viel bessere Informationsquellen zur Verfügung.«

»Richtig«, stimmte er zu. »Und andererseits?«

»Andererseits entspricht es nicht Ihrer Gewohnheit, Zeit zu verschwenden. Ich kann Ihnen also vermutlich von Nutzen sein. Und wenn Sie soweit sind, werden Sie darauf zu sprechen kommen.«

»Okay.« Plötzlich schnalzte er mit den Fingern. Ich wusste damals noch nicht, dass es nur eine Angewohnheit war. »Na schön, Preston. Ich erzähle Ihnen jetzt die Geschichte. Die vertrauliche Geschichte. Ich war früher mal verheiratet. Haben Sie schon was davon gehört?«

»Nein, ich hatte keine Ahnung.«

»Gut. Kaum jemand weiß davon. Ich miete keine Werbezeit im Fernsehen, um es unter die Leute zu bringen, falls Sie verstehen, was ich meine.«

Ich verstand, was er meinte.

»Es liegt schon Jahre zurück, und es ist schief gegangen. Ich war damals ganz hübsch wild, wissen Sie, Überfälle, Schießereien. Raues Zeug. Das war, bevor ich den Dreh heraus hatte. Wenn ich bloß genug Verstand gehabt hätte, mich mit einem Weib von der Sorte zusammenzutun, wie ich sie gewohnt war! Dann wäre alles glattgegangen. Aber nein, ich musste mir unbedingt ein richtig anständiges Mädel aussuchen, wissen Sie, aus guter Familie, mit allem Drum und Dran. Na ja. Wie konnte es anders sein, sie hat mich an die Luft gesetzt. Eine Weile hat sie’s ausgehalten, zwei, drei Jahre vielleicht, aber das war kein Leben für eine Frau wie sie. Schätze, ich habe auch nicht recht für so eine Frau getaugt oder für eine anständige Frau überhaupt. Eines schönen Tages ist sie also auf und davon.«

Er sprach sachlich und achtete sorgsam auf die Wahl der Worte, sodass ihm nicht anzumerken war, was dabei in ihm vorging. Es gelang ihm auch. Ich hätte nicht erraten können, ob das Scheitern seiner Ehe ihm nahegegangen war oder nicht. Er sagte einfach die Tatsachen her.

»Danach habe ich sie nur noch drei- oder viermal gesehen. Sie ist zwei Jahre später gestorben. Lungenentzündung.«

Jetzt huschte ein Schatten flüchtig über die massigen Züge. Er lächelte rasch und wischte den Schatten augenblicklich weg. Aber er war dagewesen.

»Mann, ist das alles herzergreifend, was? Na ja, viel kommt nicht mehr nach. Wir hatten ein Kind. Ein Mädchen. Wir nannten sie Gina, nach ihrer Mutter. Liebes, nettes Kind. Eine Schönheit. Natürlich blieb das Kind bei seiner Mami. Kein Platz für ein Kind bei einem Kerl wie mir. Als die Mutter gestorben war, habe ich das Kind sozusagen übernommen, verstehen Sie? Habe sie selbstredend nicht bei mir behalten. Habe sie in ein erstklassiges Kloster in der Provinz gebracht. Dort hat man sich gut um sie gekümmert, hat sie zu einem richtig ordentlichen Menschen erzogen. Ich bin öfter mal hingefahren, wenn ich konnte, wissen Sie, und habe mit ihr Ausflüge gemacht und so. Und dann, ehe man sich’s versieht, ist sie achtzehn und wird aus der Schule entlassen. Was dann kommt, brauche ich Ihnen nicht zu erzählen.«

Er sah mich fragend an.

»Ich vermute«, entgegnete ich, »sie kam nach San Francisco, und es hat nicht lange gedauert, bis sie etwas über Ihre Geschäftsinteressen herausbrachte. Etwas, das ihr missfiel.«

»Stimmt. Aber so wollte ich es nicht haben. Ich wollte sie zum Wegfahren überreden. Nach New York oder sonstwohin. Aber davon wollte sie nichts hören. Sie hat gesagt, sie sei lange genug von zu Hause fortgewesen. Jedenfalls ging es so aus, dass sie mir vorwarf, sie könne so ein Leben nicht ertragen. Und mich auch nicht, wenn ich so weiterleben wollte. Jawohl, ich kann Ihnen sagen, die Nonnen haben an dem Mädel ganze Arbeit geleistet. Klingt ja wohl ziemlich verrückt, aber ich war richtig stolz auf sie, wie sie mir die Meinung gegeigt hat!«

»Wann war das?«, fragte ich.

Er verzog das Gesicht und konzentrierte sich.

»Das war vor drei – nein – vor viereinhalb Jahren.«

»Sie ist jetzt also über dreiundzwanzig«, meinte ich.

Wieder der Schatten. Diesmal folgte kein Grinsen, um ihn wegzuwischen.

»Lassen Sie mich weitererzählen«, fuhr er fort, »Also, meine Gina hat mich sitzenlassen, genau wie ihre Mami. Sie ist nach Vale City gegangen, hat eine Wohnung gemietet und sich eine Stellung besorgt. Sie wollte kein Geld von mir annehmen, überhaupt keine Unterstützung. Ich habe auch nicht darauf bestanden. In ihrer Verfassung wäre sie imstande gewesen, irgendwohin zu verschwinden, wo ich sie nicht so leicht wiedergefunden hätte. Wie’s jetzt ist, sagte ich mir, höre ich ab und zu etwas über sie und weiß, wie’s ihr geht. Wenn ich sie allein weiterziehen lasse, wer weiß, was dann geschieht. Junge Mädchen allein in großen Städten, das kenne ich. Ich weiß, was da passiert. Ach, ich habe vergessen, Ihnen zu erzählen, dass sie ihren Namen geändert hatte. Es gab keine Gina Benito mehr. Jetzt hieß sie auf einmal Jeannie Benson, und niemand von dort bringt sie mit mir in Verbindung. Jedenfalls wusste ich, dass es ihr gut ging, darauf kam es schließlich an, und so ließ ich alles laufen.«

Er sprach jetzt langsamer, und ich wusste, dass wir uns dem schwierigen Teil näherten.

»So vor einem Jahr fängt sie was mit ’nem Mann dort in Vale City an. Bisschen alt für sie, an die Vierzig, aber ein anständiger Mensch. Stadtrat außerdem. Ich hab’ die Finger davon gelassen. Vielleicht war das für Gina eine große Sache, und sie hat bestimmt nicht gewollt, dass ich dazwischenfunke. Ich hab’ mich also nicht eingemischt, klar? Sah so aus, als würden sie vielleicht sogar heiraten. Dann auf einmal packt sie ihre Sachen und läuft weg. Gibt die Stellung auf, die Wohnung, alles. Eines Abends fährt sie einfach aus Vale City fort und verschwindet. Niemand weiß, wohin. Ich hab’ ein paar Leute eingesetzt, aber sie haben nichts herausgebracht. Das war vor sechs Monaten. Ein halbes Jahr lang hab’ ich nicht gewusst, wo sie steckt. Jetzt weiß ich es.«

Er griff in die Tasche und zog ein Zeitungsblatt heraus. Ich sah es mir an und stellte fest, dass es der gestrigen Ausgabe des Los Angeles County Examiner entnommen war.

»Lesen Sie das.«

Da war das Bild einer künstlichen Blondine. Ich hatte die Geschichte tags zuvor beiläufig gelesen, nun achtete ich auf jedes Detail.

 

Rauschgiftsüchtige tot aufgefunden!

 

Ruby Capone, etwa 27, wurde heute am frühen Morgen tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Todesursache ist vermutlich eine Überdosis injizierten Heroins.

Die vollständig bekleidete Tote wurde von einer Freundin, Miss Rose Schwartz, entdeckt, der die benachbarte Wohnung in der Villa Montana gehört. Die Polizei gibt bekannt, dass im gegenwärtigen Stadium der Ermittlungen Mord nicht ausgeklammert werden kann. 

Das Mädchen war in den Clubs und Bars von Monkton City eine wohlbekannte Erscheinung und wurde letzten Monat zusammen mit drei anderen Mädchen aus dem Guckkasten-Club wegen Verdachts unsittlichen Lebenswandels verhaftet. Die Anklage wurde fallengelassen, und dem Vernehmen nach strengte Miss Capone gegen die Stadt ein Verfahren wegen unzulässiger Festnahme an. 

 

Das war alles. Ich las es noch einmal und prägte mir sämtliche Details ein. Dann reichte ich Benito das Blatt zurück.

»Das ist Ihre Tochter?«

Er nickte, wobei er den Kopf rasch abwandte, aber ich hatte den plötzlichen blanken Schimmer in seinen Augen bemerkt. Als er sprach, klang seine Stimme gelassen und beherrscht.

»Das ist Gina. Ich hab’s eben erst durch Zufall erfahren. Ich lese das Blatt meistens nicht. Hab’s gekauft, um mir die Zeit zu vertreiben, als ich gestern eine Reifenpanne beheben ließ. So erfährt der Mensch, was mit seiner eigenen Tochter passiert ist! Er liest davon in der Zeitung in irgendeiner dreckigen Reparaturwerkstatt. Sonst hätte ich es vielleicht nie erfahren.«

Er legte eine Pause ein, aber er erwartete keine Erwiderung von mir. Wir saßen eine Weile schweigend da.

»Ich möchte, dass Sie da Licht hineinbringen, Preston. Finden Sie heraus, was man meiner Gina angetan hat, und wer es war. Noch mehr. Finden Sie heraus, was sie in diesen sechs Monaten getrieben hat und mit wem. Wegen Geld machen Sie sich keine Sorgen. Geben Sie aus, was Sie brauchen. Mehr. Abgemacht?«

Ich ließ mir das durch den Kopf gehen und dachte allerlei; hauptsächlich, warum ein Mann wie Benito, ein großer Mann in der Unterwelt, sich in dieser Angelegenheit an mich wenden sollte. Benito musste Verbindungen haben, deren Ausläufer tief in den Sumpf von Monkton City oder jeder anderen beliebigen Stadt reichten. Ein einzelner Privatdetektiv wie ich würde, verglichen mit der ihm zu Gebote stehenden Organisation, wie ein auf Eiern herumtrampelnder Elefant wirken.

»Warum warten Sie nicht einfach ab, was die Polizei ausgräbt?«

Er schnitt eine Grimasse.

»Die Polizei? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Preston? Was glauben Sie denn, was die Polizei machen wird? Extra Hilfskräfte einsetzen? Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich glaube ja nicht, dass die Polizei dumm ist. Ein Mensch wie ich gelangt nicht dorthin, wo er ist, wenn er die Polizei für dumm hält. Aber bitte – ein billiges Barmädchen geht am großen H ein. Was soll die Polizei machen? Das Mädel hat keine Familie, führt einen falschen Namen. Niemand weiß etwas über sie, und wenn jemand ein bisschen was über sie weiß, wird er sich hüten, es der Polizei aufzutischen. Sie stochern also hier und da herum, vielleicht bemühen sie sich sogar ehrlich. Aber sie stehen vor einer Sackgasse, und das wissen sie, bevor sie noch anfangen. Eine Herumstreunerin wie diese Ruby Capone, was wollt ihr denn? Kommt alle Tage vor. Nach zwei, drei Tagen geben sie’s auf. Gerissene Leute, die von der Polizei. Die schlagen nicht mit dem Kopf gegen die Wand, bewahre! Sie legen die Sache ad acta.«

Ich entdeckte, dass ich unwillkürlich zustimmend nickte. Was Benito sagte, stimmte. Die Städte waren voll von jungen Mädchen, die aus dem Nichts kamen und wieder dorthin zurückzustreben schienen. An der Haltung der Polizei gab es nichts zu tadeln. Sie war im Erkennen der Anzeichen geübt, wenn sie sich mit einem Todesfall wie dem von Ruby Capone befasste.

Obwohl Benito seine Stimme weiterhin unter Kontrolle hielt, ließ seine Ausdrucksweise allmählich nach, ein sicheres Zeichen emotioneller Erregung.

»Haben Sie nicht erwogen, sich selbst an die Polizei zu wenden?«, erkundigte ich mich. »Sie sind der Vater, Sie können alles, was sich bis vor wenigen Monaten ereignet hat, zu Protokoll geben. Mit solchen Informationen versehen, könnten die Beamten

»Nö«, wehrte er ab. »Kommt nicht in die Tüte. Leute wie ich gehen nicht zur Polente. Erstens gehört es sich nicht, und zweitens könnten es mir ein paar von meinen Bekannten krumm nehmen, wenn ich mich den Bullen an den Hals werfe. Sähe nicht gut aus, wäre auch nicht gut. Wenn wir was zu erledigen haben, dann haben wir unsere Mittel und Wege.« Er sah mich traurig an. »Außerdem ist da noch ein anderer Grund. Diese Ruby Capone bedeutet mir nichts. Ich hatte ein süßes Mädel, ihr Name war Gina Benito, oder von mir aus auch Jeannie Benson, wenn ihr das lieber war. Die hatte nichts mit Bars, Rauschgift und solchem ekelhaften Zeug zu tun. Sie hat gelebt, wie sie war, ein liebes, sauberes Mädel, und so ist sie auch gestorben. Jeannie Benson hatte Freunde, nette Leute. Sie hatte die Nonnen dort in dem Kloster. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mir von solchen Leuten meine Jeannie mit dieser Ruby Capone verwechseln lasse, he?«

Ich wusste, was er damit auszudrücken versuchte.

»Nein, das glaube ich kaum«, sagte ich.

»Da glauben Sie richtig«, gab er zurück.

»Tja, wenn wir es also mit Ruby Capone zu tun haben«, meinte ich, »wie wär’s dann mit den Mitteln und Wegen, die Sie soeben erwähnt haben? So könnten Sie doch alles herausbekommen, was Sie wissen wollen. Und in einem Viertel der Zeit, die ich. dazu brauchen würde. Vorausgesetzt, ich finde überhaupt etwas heraus.« Er schüttelte den Kopf.

»Klar, ich habe Mittel. Ich könnte jetzt das Telefon abheben.« Er deutete auf den Tisch. »Jetzt sofort könnte ich mit einem Mann reden. Der würde mir die ganze Geschichte binnen einer Stunde liefern. Aber das kann ich nicht riskieren. Den Kerlen, die Ruby Capone das angetan haben, blüht nichts Gutes. Und das würde die Organisation nicht kapieren. In unserem Syndikat gibt es keine persönlichen Raufereien. Die würden’s mir heimzahlen!«

Das passte schlecht mit dem zusammen, was ich über den Mann wusste, der mir da gegenübersaß. Man hatte ihn im Laufe der Zeit schon mit verschiedenen Bezeichnungen bedacht, aber das Wort Feigling war noch nie gefallen.

»Käme es darauf an? Ich meine, angenommen, Sie hätten recht, und man nähme es Ihnen übel, wäre das noch von Belang, wenn Sie unterdessen die Leute erwischt hätten, auf die es Ihnen ankommt?«

Wieder schüttelte er den massigen weißbehaarten Kopf.

»Es wäre nicht von Belang. Es ist überhaupt nichts mehr von Belang. Sie begreifen noch immer nicht, Preston. Ich kenne die Organisation, ich kenne sie von vom bis hinten. Wenn was getan werden muss, wird es schnell getan. Für mich könnte das zu schnell sein. Man könnte es mir eintränken, noch bevor ich mit dem fertig bin, was ich machen muss. Und darauf, Preston, darauf kommt es mir an.«

Dieser Mann steht wirklich für sich allein, überlegte ich. Da gab es zwei große, wohlorganisierte Maschinerien, von denen jede für sich die von ihm gesuchten Leute aufzuspüren vermochte: die Polizei und das Gangstersyndikat. Beide waren ihm versagt. Blieb anscheinend nur noch jemand wie ich übrig.

»Preston, was sagen Sie nun?«

Wieder klang die Stimme frei von Empfindungen, aber ich wusste, wie sehr ihm an der Antwort lag.

»Sagen Sie mir noch eins«, wich ich aus. »Angenommen, ich beiße an. Nehmen wir weiter an, ich habe Glück und finde heraus, was Sie wissen wollen. Oder genauer – ich finde die Leute, über die Sie etwas wissen wollen. Was geschieht dann? Sprengen Sie sie dann in die Luft?«

Die schwarzen Augen verengten sich, als er mir ins Gesicht sah.

»Wie Sie das sagen, hört sich’s nicht so an, als wäre Ihnen was daran gelegen.«

Ich ignorierte das.

»Sie haben mir noch nicht geantwortet«, mahnte ich.

»Na schön, ich antworte Ihnen.« Er knetete an seinen starken Händen. »Das möchte ich gern, das möchte ich am allerliebsten. Ich möchte sie bitter dafür büßen lassen, das können Sie mir glauben, Preston. Wenn sie nur diese Ruby Capone umgebracht hätten – keinen zweiten Gedanken würde ich daran verschwenden. Aber sie haben mehr auf dem Gewissen. Sie haben noch jemanden umgebracht. Sie haben meine Jeannie umgebracht. Vielleicht glauben Sie jetzt, das wäre ein Grund mehr für mich, die Sache persönlich in die Hand zu nehmen. Aber weil sie Jeannie umgebracht haben, kann ich das nicht. Kerle wie ich haben keine Beziehungen zu Leuten wie Jeannie Benson. Sie halten mich für übergeschnappt, aber das ist mir völlig piepe. Die Gauner, die das verbrochen haben, werden der Polente ausgeliefert. Der Staatsanwalt wird alles erfahren, was sie auf dem Kerbholz haben, bis zum Spucken auf den Gehsteig. Er wird einen luftdichten, wasserdichten, sonnenklaren Fall vorfinden, mit sämtlichen Anklagepunkten, die wir nur irgend ausgraben können. So hieb- und stichfest, dass nicht mal Marty – nicht mal der gerissenste Anwalt sie freibekommen wird. Und Sie werden dem Staatsanwalt diesen großen Gefallen erweisen. Kapiert?«

»Ich glaube schon«, sagte ich langsam.

Zwei Impulse rangen miteinander im Innern dieses Mannes. Jeglicher Naturinstinkt drängte den Ganovenhäuptling, auszuziehen und Jeannie zu rächen. Aber die fixe Idee, ihren guten Namen schützen zu müssen, sich bemühen zu müssen, alles in ihrem Sinne zu erledigen, das war es, was seine Hand von der Waffe fernhielt. Und ich hatte die Tatsache nicht übersehen, dass er in seiner Aufregung fast den Namen des Gangsteranwalts verraten hätte.

»Sie sind sich im Klaren darüber, dass ich keinen Erfolg garantieren kann?«, fragte ich.

»Das heißt, Sie wollen’s probieren, was?«

»Wenn Sie im Gedächtnis behalten, was ich eben gesagt habe.«

Er griff in die innere Rocktasche, nahm einen großen Briefumschlag heraus und legte ihn vor mich auf den Tisch.

»Spesengeld.«

Ich sah nach. In dem Kuvert befanden sich fünf große Banknoten, jede im Wert von 1.000 Dollar.

»Damit kaufen Sie meine Zeit«, erklärte ich. »Das reicht für alle meine Bemühungen, für sämtliche Schmiergelder, die ich anlegen muss. Aber Resultate sind dafür nicht zu erzielen. Nicht unbedingt. Erfolg garantiere ich nicht.«

Ich zog die nächstbeste Schublade auf und warf das Geld hinein. Benito nickte zufrieden.

»Sie werden Erfolg haben«, betonte er. Und dann: »Schon gut, Sie brauchend nicht noch mal zu sagen, ich hab’s gleich beim ersten Mal mitgekriegt. Aber ich glaube, Sie werden’s schaffen.«

Darauf erwiderte ich nichts. Stattdessen stellte ich eine Frage.

»Der Mann in Vale City, mit dem Ihre Tochter befreundet war. Der Stadtrat. Kennen Sie seinen Namen?«

Sein Gesicht verdüsterte sich.

»Moment mal, Jeannie Benson hat Sie nicht zu interessieren. Ihr Mädel heißt Ruby Capone.«

»Zugegeben. Doch Ruby wurde geboren, als Jeannie verschwand. Ich werde mit Ruby besser vorwärtskommen, wenn ich weiß, was Jeannie getan hat, ehe sie Vale City verließ.«

Er grübelte eine Weile darüber nach.

Dann meinte er: »Na ja, von mir aus, wenn’s sein muss. Sie kennen Ihren Beruf besser als ich. Bloß damit wir uns recht verstehen.

Niemand außer mir und Ihnen weiß, was mit Jeannie passiert ist. So soll’s auch bleiben. Der Mann heißt Handford. Walter Handford. Hat dort ein Bauunternehmen. Machen Sie in Vale City keine Scherereien, Preston!«

»Keine Angst«, versicherte ich. »Übrigens, haben Sie ein Foto von Jeannie?«

»Jawohl«, bestätigte er. »Aber ich gebe es Ihnen nicht. Sie hat ganz anders als diese Ruby Capone ausgesehen, mehr will ich nicht sagen. Sie nehmen die Aufnahme von Ruby Capone. Niemand wird merken, dass das meine Jeannie ist. Sie werden trachten, dass es so bleibt.«

»Na schön.«

Er stand auf.

»Ich fahre heute Abend nach San Francisco zurück«, teilte er mir mit. »Wie höre ich von Ihnen?«

»Ich werde Sie anrufen«, sagte ich.

Er nannte mir drei Nummern, wo ich ihn zu verschiedenen Tageszeiten erreichen konnte. Plötzlich grinste er.

»Komisch, Preston. Man hat mir gesagt, dass Sie nicht für mich arbeiten würden.«

»So?«

»Ja. Man hat gesagt, dass Sie manchmal ein komischer Kauz sind, aber dass Sie sich mit niemandem wie – wie mir einlassen würden. Die Leutchen haben sich geirrt, was? Fünf Mille machen eben doch eine ganz schöne Untermalungsmusik bei Verhandlungen, nicht?« Ich schüttelte den Kopf.

»Die Leutchen haben sich nicht geirrt, Benito. Man hat Sie richtig informiert. Für Sie würde ich keinen Finger krumm machen.« Zornesröte überzog sein Gesicht.

»Was soll das heißen, zum Teufel noch mal?«

»Ich tue es nur einem netten Mädchen namens Jeannie Benson zuliebe. Mir scheint, für sie waren die Weichen von Anfang an falsch gestellt. Und deshalb will ich jetzt etwas für sie tun, wenn es mir gelingt. Und auch sie hätte mit Ihnen bestimmt nichts zu tun haben wollen.«

Verwunderung breitete sich über sein dunkles Gesicht, und er schüttelte verwirrt den Kopf.

»Man hat mir auch gesagt, dass Sie manchmal ganz komische Ansichten haben. Tja Er zuckte die Achseln. »Mir ist es egal, was für Gründe Sie haben. Sie tun’s, und das ist die Hauptsache.«

Es war lange her, seit jemand zu Benito so gesprochen hatte wie ich. Er hätte anders darauf reagiert, wären die Trümpfe anders verteilt gewesen. Wir starrten einander eine Weile an, dann ging er zur Tür.

»Der Name ist Ihnen doch aufgefallen? Ruby kommt Rudy am nächsten. Den Namen Benito wollte sie nicht verwenden, damit niemand mich und sie in Verbindung bringen konnte. Was hat sie also abgemacht? Sie hat sich den Namen des berüchtigsten Gangsters ausgesucht, der je gelebt hat – Al Capone. Damit ich es nur richtig verstehe, wenn ich sie jemals finde. Wie tief kann man einen Menschen denn hassen?«

Darauf wusste ich keine Antwort. Schließlich zuckte er die Achseln und öffnete die Tür, um zu gehen.

»Sie rufen mich an, he?«

»Ich rufe Sie an.«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Ich parkte vor der Villa Montana und vergewisserte mich, ob ich nichts einigermaßen Wertvolles in meinem Chevrolet zurückgelassen hatte. Villa Montana war ein malerischer Name für ein malerisches Anwesen. Der Name beschwor das alte Spanien, rosenumrankte Balkone und stolze, fächerwedelnde Schönheiten. Malerisch. Das so benannte Gebäude war ein achtstöckiges Appartementhaus mit flacher Fassade und befand sich in den letzten Stadien des Verfalls. Die ehemals weißen Wände waren nun bräunlich grau, und es stand jedem frei, nach Belieben auf die ursprüngliche Farbe des Anstrichs zu schließen. Hier, im Hafenviertel, hatte sich der Stadtdunst in Nebel verwandelt, der mich feuchtkalt einhüllte, als ich dastand und die Außenseite von Ruby Capones letztem Domizil betrachtete.

Es war fast sieben Uhr abends, und die Nacht drängte den Tag unaufhaltsam über den Horizont hinaus. Licht brannte hinter einer ganzen Anzahl von Fenstern, von denen viele mit keinerlei Vorhang aufwarteten. Die Nummer der Wohnung, die ich suchte, war sieben. Ich stand einen Moment lang im Eingang und inspizierte die Kärtchen, die auf alle möglichen Arten in den Rähmchen neben den Appartement-Nummern steckten. Ich bemerkte die leere Fläche bei Nummer 5, als ich auf den mit 7 bezeichneten Knopf drückte. Es klickte, als das Türschloss aufsprang. Ich stieß die Tür auf und trat ein. Meine Nase brauchte nicht lange, um festzustellen, dass der Geruch des Nebels dem Geruch vorzuziehen war, der den abgeblätterten und verschrammten Hausflur erfüllte. Kein Ort zum Verweilen, entschied ich, und strebte zur Treppe.